Broken Bird: Gefunden - Dalia Black - E-Book

Broken Bird: Gefunden E-Book

Dalia Black

4,5

Beschreibung

Nach einem Martyrium auf der Flucht vor ihren Peinigern trifft Olivia Campbell auf den ebenso erfolgreichen wie attraktiven Rechtsanwalt Ben. Der Dominus Ben nimmt Olivia mit auf das Anwesen, wo er mit anderen Mastern Spielbeziehungen nachgeht. Nach dem Tod seiner einstigen großen Liebe glaubt Ben, nicht mehr in der Lage zu sein, jemals wieder zu lieben. Ebenso wie Olivia hat er hohe Mauern um sein Herz errichtet. Auf dem Anwesen beobachtet Olivia das Liebesspiel zwischen einem der Master und einer Frau und wird hierbei von Ben erwischt. Obwohl sie sich von Ben angezogen fühlt, wehrt sie sich weiterhin gegen jede Nähe. Olivia tut erneut das einzige, was sie für richtig hält: Flüchten. Hierbei hat sie allerdings die Rechnung ohne Ben gemacht. Er findet Olivia und führt sie in die Welt der Dominanz und Unterwerfung ein, bis sie sich ihm endlich hingibt und sich fallen lässt. Doch die Gefahr kommt immer näher ...

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Dalia Black

Broken Bird: Gefunden

Erotischer Roman

© 2019 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678

Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

Covergestaltung: © Mia Schulte

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-415-3

ISBN eBook: 978-3-86495-416-0

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Danksagung

Autorin

Kapitel 1

Olivia

»So ein Mist!«

In der Dunkelheit über diese dunkle Landstraße zu wandern, war nichts, was ich in meiner derzeitigen Verfassung noch brauchte. Mein Leben war die reinste Katastrophe, aber ich hatte keine andere Wahl.

Ich flüchtete vor meinem Mann, um in England ein neues Leben weit weg von ihm zu beginnen, in der Hoffnung, dass er mich dort nicht finden würde. Aber alles endete in einer weiteren Misere.

Die Wohnung, die ich angemietet hatte, bewohnte schon jemand anderes. Nun stand ich mit nichts da. Ich hatte keine Familie mehr, keine Freunde, keinen Job und jetzt auch keine Wohnung. Ich hatte wortwörtlich alles verloren, besaß nichts außer den Klamotten, die ich trug, und einer winzigen Reisetasche, die gerade einmal das Nötigste für die paar Tage enthielt, die ich für die Reise in meine neue Heimat brauchte.

Die Verzweiflung ließ Tränen in mir aufsteigen. Ich wusste nicht wohin, und zurück konnte und wollte ich auf keinen Fall. Nachdem ich über neun Stunden in einem Flugzeug von New York nach London gesessen und anschließend noch eine Reise in die kleine Grafschaft Somerset im Südwesten Englands hinter mich gebracht hatte, überlegte ich, was ich nun tun sollte. Die Hotelsuche stellte sich als aussichtslos heraus, da derzeit eine Messe stattfand und alle Zimmer ausgebucht waren. Meine Kraftreserven existierten nicht mehr, ich war am Ende.

Aufgrund der Verletzungen, die mein Mann mir zugefügt hatte, bevor ich mich endlich von ihm losreißen konnte, tat mir alles weh, und ich war kaum noch in der Lage, mich auf den Beinen zu halten. Wenn ich keine Bleibe für heute Nacht fand, blieb mir nur eine Brücke. Mir sollte besser schnell etwas einfallen, bevor mich auch noch meine letzten Kraftreserven verließen. Mein Bargeld, das ich mir heimlich in der Zeit angespart hatte, in der ich noch nicht eingesperrt gewesen, sondern arbeiten gegangen war, reichte nicht ewig, denn es war nicht gerade ein Vermögen. Sonst besaß ich noch ein Sparbuch, welches ich vor meinem Mann verborgen gehalten hatte. Dieses steckte, zusammen mit dem Geld, in meiner Reisetasche.

Wegen des Tränenflusses verschwamm meine Sicht. Von der Stadt kommend lief ich weiter. Dunkelheit umfing mich, und ich hatte kein bestimmtes Ziel, aber alles war besser, als einfach irgendwo in dieser Einöde zusammenzubrechen.

Aus diesem Grund befand ich mich schließlich auf einer dieser einsamen Landstraßen, die so typisch für Südengland und doch etwas ganz Besonderes waren. Diese traumhaften Landschaften luden geradewegs dazu ein, erkundet zu werden. Kaum verließ man die Schnellstraßen, landete man sofort im Grünen. Auf kleinen, schmalen und oft gewundenen Straßen ging es auf und ab, vorbei an kleinen Ansiedlungen, über Steinbrücken aus der Römerzeit und durch Alleen, deren Bäume bereits so verwoben waren, dass man fast denke könnte, man würde durch einen Tunnel fahren. Die Straßen waren oft eng und durch bemooste Steinmauern begrenzt. Schon früher hatte ich oft geplant, unbedingt mal hierher zu reisen.

Wäre es Tag und ich nicht so verzweifelt, könnte ich diesen Spaziergang sogar genießen. Doch genau das Gegenteil war der Fall, denn es war düster und unheimlich.

Autos fuhren hier um diese Uhrzeit auch nicht mehr entlang. Hatte ich schon erwähnt, dass ich die Dunkelheit hasste? Zu allem Überfluss begann es nun auch noch zu regnen. Was sollte ich nur tun?

Immer mehr Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen. Ich war einfach vollkommen verzweifelt. Meine Gedanken schweiften umher, als plötzlich Lichter vor mir aufleuchteten und mich wieder zurück in die Gegenwart rissen. Ein großer Pick-up fuhr an mir vorbei, doch Sekunden später blinkten plötzlich die roten Bremslichter auf. Der Wagen wurde langsamer und hielt ein paar Meter weiter auf der anderen Seite der schmalen Straße an.

Scheiße, das fehlte mir gerade noch. Wer wusste schon, was für ein Mensch dort im Auto saß. Eine einsame Frau auf einer verlassenen Landstraße, und das auch noch mitten in der Nacht, das war doch ein Freifahrtschein für jeden Mörder. Man würde mich noch nicht einmal vermissen.

Okay, mein Mann vermisste mich sicherlich schon, da er inzwischen von seiner Dienstreise heimgekommen sein und mein Entkommen bemerkt haben müsste, doch das war selbst in dieser Situation kein Trost. Es bewirkte höchstens, dass mein Herz vor Angst noch schneller schlug, als es das seit dem Halten des Wagens sowieso schon tat. Ich wollte gar nicht daran denken, was er unternehmen würde, um mich zu finden. Unschlüssig hatte ich meinen Blick auf den Pick-up gerichtet, rührte mich jedoch nicht vom Fleck. Aber was hatte ich noch zu verlieren? Ich war doch schon längst tot, mein Schicksal war besiegelt. Wenn mein Mann mich finden würde, würde er mich umbringen. Genau das war die Konsequenz, wenn ich jetzt einfach aufgab. Ich atmete einmal tief durch und tat dann, was ich tun musste, um zu überleben.

Nicht weiter auf den Pick-up achtend, setzte ich meinen Weg fort. Blöderweise hatte ich die Rechnung ohne den Fahrer gemacht, der einfach zurücksetzte und schließlich mit laufendem Motor neben mir stehen blieb. Er kurbelte das Fenster herunter und lehnte sich schließlich etwas heraus. Aufgrund der Dunkelheit und des Regens erkannte ich leider nicht allzu viel von ihm, da die Scheinwerfer hier an der Seite nur wenig Licht boten und die Innenbeleuchtung direkt in seinem Rücken lag.

»Brauchen Sie Hilfe? Haben Sie sich verlaufen? Dies hier ist kein Ort für eine Frau, die allein unterwegs ist.«

Der Fremde sprach mit dunkler Stimme, in der ein tiefes Timbre mitschwang, das ich unter anderen Umständen sogar sehr sexy gefunden hätte. Aber Angst ergriff Besitz von mir, und es lief mir ein Schauer über den Rücken, weil mir bewusst war, dass ich ihm hier allein auf der Landstraße schutzlos ausgeliefert war.

Mit Männern hatte ich abgeschlossen, und ich war nicht bereit, von einer Hölle in die nächste zu wandern.

»Nein, alles gut!«

Schüchtern blickte ich zu ihm, unsicher, ob er mich überhaupt verstand, da ich so leise sprach, aber mehr konnte ich mir unter diesen Umständen nicht abverlangen, da meine Gedanken immer noch verrücktspielten.

Ich spürte, wie sein Blick über meinen Körper glitt. Unbehaglich trat ich von einem Fuß auf den anderen. Einerseits wünschte ich mir, mehr von ihm erkennen zu können, andererseits mochte ich es nicht, zu viel Aufmerksamkeit von einem fremden Mann zu erhalten, also sollte ich ihm meinerseits auch nicht zu viel davon schenken.

Zu meinem Erstaunen stieg er plötzlich aus und kam auf mich zu. Dicht vor mir blieb er stehen, sein eindringlicher Blick traf mich vollkommen unvorbereitet.

»Das sieht mir aber nicht danach aus. Sie sollten wirklich nicht allein hier umherwandern, schon gar nicht um diese Uhrzeit. Die Straßen hier können gefährlich und heimtückisch sein. Haben Sie sich verlaufen? Soll ich Sie vielleicht irgendwo absetzen?«

Ich musterte ihn genauer und mir lief sprichwörtlich das Wasser im Munde zusammen, als er sich so drehte, dass das Licht der Innenbeleuchtung mir mehr von ihm offenbarte.

Seine kurzen dunklen Haare, das markante Kinn und der sexy Dreitagebart zogen mich sofort in den Bann.

»Wow! Was für ein Mann!«, dachte ich.

Der Fremde grinste mich schelmisch an, und da erst bemerkte ich, dass ich meinen Gedanken laut ausgesprochen haben musste. Wäre es nicht so dunkel, könnte er jetzt genau erkennen, wie ich rot anlief.

Mir fehlten die Worte, und so stand ich einfach da und sah ihn verwundert an, als ich bemerkte, dass er mir meine Tasche aus der Hand nahm. Was sollte das werden?

»Vielen Dank! Wir sollten diese Unterhaltung aber vielleicht doch lieber im Trockenen weiterführen. Du bist vollkommen durchnässt und wir beide holen uns hier draußen sicherlich noch eine Lungenentzündung, wenn wir weiter herumstehen. Komm.«

Wie selbstverständlich duzte er mich, ließ mich ohne ein weiteres Wort stehen und ging zurück zu seinem Wagen. Sprachlos stand ich da und rührte mich nicht. Was fiel ihm ein, mir ohne zu fragen meine Tasche wegzunehmen und davon auszugehen, ich würde ihm einfach in sein Auto folgen? Die Gefahr, dass er vielleicht doch ein Massenmörder war, war noch lange nicht gebannt.

»Jetzt komm schon, oder soll ich dich tragen?«

Grinsend sah er mir entgegen und ich erwachte endlich aus meiner Schockstarre.

»Was fällt Ihnen ein? Sie können nicht einfach meine Tasche nehmen und mich dazu zwingen, bei Ihnen einzusteigen. Ich kenne Sie schließlich nicht. Geben Sie mir meine Tasche zurück und lassen Sie mich in Ruhe. Ich komme schon klar!«

So schnell wie möglich eilte ich hinter ihm her, um meine Tasche zurückzuholen, doch er packte sie wie selbstverständlich auf den Rücksitz und schloss die Tür.

»Das sehe ich anders. Ich sehe hier weit und breit niemanden, der dich sonst aus deiner misslichen Lage befreien könnte. Du kannst mir vertrauen, ich tue dir nichts. Ich möchte dir nur helfen und dich hier aus dem Regen rausholen, bevor du krank wirst. Na, komm schon.«

Nachdenklich musterte ich ihn und gab mir schließlich einen Ruck. Ich hatte keine andere Wahl und außerdem nichts zu verlieren, immerhin konnte ich wirklich nirgendwo hin. Gentlemanlike hielt er mir die Beifahrertür auf und half mir sogar beim Einsteigen. Die Schmerzen machten mir zu schaffen, und ich presste die Lippen fest aufeinander, um nicht laut aufzustöhnen, aber ein kleiner Laut entkam mir trotzdem.

Falls er mein Ächzen wahrnahm, ließ er es sich nicht anmerken. Stattdessen schloss er einfach die Tür und umrundete den Wagen, um selbst einzusteigen. Sobald er saß, drehte er sich zu mir.

»Also, ich vermute, du hast keine Bleibe für heute Nacht?«

Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Ich blickte auf die ineinander verschränkten Finger in meinem Schoß, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Die Nervosität nahm mir jeglichen Mut, und ich wusste immer noch nicht, ob ich ihm trauen konnte, auch wenn er mein letzter Ausweg aus diesem Albtraum war. Was war nur los mit mir? Ich wollte ihn wütend anschreien, weil er so selbstverständlich entschieden hatte, dass ich mit ihm mitfahren würde, aber kein Wort verließ meine Lippen. Der Kampfgeist von eben war direkt wieder erloschen. Dieser Mann löste etwas in mir aus, das ich seit Jahren, nein, eigentlich noch nie in meinem bislang dreißigjährigen Leben verspürt hatte. Ich fühlte mich geborgen und geliebt. Seine Gegenwart wirkte gefährlich und gleichzeitig beruhigend auf mich, was mich zutiefst verunsicherte.

Plötzlich spürte ich seine warmen Hände auf meinen. Automatisch verkrampfte ich mich und entzog mich ihm, vermisste seine Wärme jedoch augenblicklich. Dabei war es doch nur eine kurze, sanfte Berührung von ihm gewesen. Ich kannte ihn nicht, wusste nicht einmal seinen Namen. Er war ein Fremder, und doch löste er Dinge in mir aus, die mich überforderten. Was war nur los mit mir?

»Ich heiße übrigens Ben Marks, und du?«

Konnte er Gedanken lesen? Ich sah ihn immer noch nicht an, sondern hielt meinen Blick weiter gesenkt.

»O… ähm … Jules. Jules Bennett.«

Oh Mist! Fast hätte ich mich verplappert und ihm meinen richtigen Namen verraten. Aber im letzten Moment war mir dann doch die rettende Lüge über die Lippen gekommen, die mich vor den Gefahren meiner Vergangenheit schützen würde. Ich durfte niemandem vertrauen, schon gar nicht einem völlig Unbekannten wie Ben Marks.

Endlich startete er den Wagen.

»Ein schöner Name. Freut mich, Jules. Aber kommen wir doch noch mal zurück zu meiner ersten Frage, ob du weißt, wo du die Nacht verbringen kannst. Da du sie nicht beantwortet hast, gehe ich davon aus, dass du nicht weißt, wohin du heute Nacht sollst. Deshalb nehme ich dich mit zu mir, es ist nicht sehr weit. Dort bist du sicher.«

Ich blickte kurz auf und betrachtete sein Profil. Seine markanten Gesichtszüge strahlten eine unglaubliche Härte aus, aber die Sanftheit in seinen Augen sprach eine ganz andere Sprache.

»Das … das geht nicht. Auf gar keinen Fall. Ich kann nicht einfach mit zu Ihnen. Ich kenne Sie nicht mal. Setzen Sie mich einfach in der Stadt ab, dann finde ich schon etwas.«

Ich ignorierte sein ständiges Duzen, zu dem er so selbstverständlich übergegangen war, und blieb stur beim Sie. Für einen kurzen Moment löste er seinen Blick von der Fahrbahn, ließ sich von meinem Widerspruch jedoch sonst nicht weiter beeindrucken.

»Keine Widerrede. Du bist doch gerade aus der Stadt rausgekommen, und ich weiß, dass die Hotels zurzeit wegen der Messe alle ausgebucht sind. Aus diesem Grund wirst du die nächsten Tage sowieso kein Glück mit einem freien Zimmer haben und du willst doch nicht irgendwo auf der Straße übernachten. Wie gesagt, du kannst mir vertrauen. Wir haben ein Gästezimmer und eine heiße Dusche. Es ist wirklich nicht weit, wir sind gleich da.«

Mir fielen keine Ausreden mehr ein und ich gab mich geschlagen, auch wenn ich mich fragte, wen genau er mit wir gemeint hatte. Insgeheim war ich dankbar für sein Angebot, daher stellte ich keine weiteren Fragen. Dennoch fürchtete sich ein Teil von mir vor ihm und misstraute seiner netten Geste. Er strahlte eine ungeheure Stärke aus, die mich einschüchterte. Aber genau das wollte ich auf keinen Fall mehr: eingeschüchtert werden. Von niemandem. Das gehörte zu meiner Vergangenheit, und dort sollte dieses Verhalten auch bleiben.

Mein altes Ich aus der Zeit vor meinem Mann war nicht schüchtern gewesen, sondern genau das Gegenteil. Eigentlich hatte ich eine sehr direkte Art. So manches Mal hatten mich mein Temperament und mein loses Mundwerk schon in Schwierigkeiten gebracht. Aber so war ich eben gewesen und ich wollte wieder so sein wie damals. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob das je wieder möglich wäre, denn die Ereignisse der letzten Jahre hatten mich doch sehr geprägt.

Ich konnte es mir nicht erklären, aber die Wirkung, die Ben seit dem ersten Augenblick auf mich hatte, ließ mich hoffen, dass ich durch ihn wieder zu meinem alten Ich finden könnte. Es war nur eine Ahnung, der Anflug eines Gefühls, aber es war deutlich genug, um nicht einfach ignoriert werden zu können. Auf eine merkwürdige Weise hatte mich etwas vom ersten Moment an zu ihm hingezogen. Er ließ mir keine Wahl und traf Entscheidungen für mich, und doch fing ich an, ihm zu vertrauen.

Ich hoffte trotz seines Eifers und seiner Hilfsbereitschaft, die Welt würde morgen wieder anders aussehen und mir würde heute Nacht eine Lösung für meine Probleme einfallen, denn ein Zurück gab es ohnehin nicht mehr. Ich würde ein neues Leben anfangen, weit weg von meinem Mann und der Hölle, die ich hinter mir gelassen hatte. Es durfte nur niemand erfahren, wer ich wirklich war. Keiner durfte meinen richtigen Namen herausfinden, denn ich wusste, was dann geschehen würde. Mein Mann würde mich schneller finden, als mir lieb war. Fast wäre mir mein richtiger Name schon herausgerutscht und ich hätte mich verraten, noch bevor ich überhaupt mein neues Leben begonnen hatte. Ich musste wirklich besser aufpassen und darauf achten, dass ich keine Spuren hinterließ.

Wir waren ungefähr fünfzehn Minuten gefahren, als Ben in eine lange Auffahrt zu einem Grundstück einbog, das von einer hohen Mauer umgeben und mit einem großen massiven Stahltor vor unbefugtem Zutritt gesichert war.

Ungläubig blickte ich auf das, was sich hinter dem Tor verbarg. Es war ein riesiges Grundstück mit einer Villa. Der Weg dorthin war mit kleinen Scheinwerfern gesäumt, und auch an der Villa selbst befanden sich Lichter, die alles in einem prunkvollen Glanz erstrahlen ließen. Mir kam der Gedanke an ein Disney-Schloss in den Sinn, bei all den Erkern und Türmen, die das riesige Gebäude zierten. Er konnte hier unmöglich allein wohnen, vermutlich hatte er eine große Familie. Eine Frau und mindestens zehn Kinder. Was auch irgendwie absurd klang, wenn ich richtig darüber nachdachte. Meine Fantasie ging mit mir durch, so viel war klar.

Ich staunte immer noch, als wir aus dem Wagen ausstiegen. Aus der Nähe sah dieses Schloss noch imposanter aus, und ich wusste gar nicht, wohin ich meine Augen zuerst richten sollte.

»Heilige Scheiße!«, entkam es mir.

Ungerührt holte er meine Tasche vom Rücksitz, nahm meine Hand und führte mich über die große Treppe zur herrschaftlichen Haustür.

In der Villa brannte bereits Licht, als wir sie betraten. Ben stellte meine Tasche vor einer Kommode in der Empfangshalle ab und half mir aus meiner Jacke. Bei seiner Berührung erzitterte ich, als die Hitze seiner Hände durch die nassen Stoffschichten meiner Kleider drang. Ich kämpfte gegen den Impuls an, mich einfach gegen ihn zu lehnen und seine Wärme und Nähe in mich aufzusaugen.

»Komm, ich zeige dir das Gästezimmer. Dann kannst du gleich duschen und dich aufwärmen, damit du dich nicht erkältest. Den Rest des Hauses zeige ich dir später.«

Er nahm die Tasche wieder in seine Hand und führte mich die Treppe hoch, an deren Ende er nach rechts in einen langen Gang abbog. Staunend versuchte ich, mit ihm Schritt zu halten, denn noch nie hatte ich solch ein Schloss von innen gesehen. Es war stilvoll eingerichtet, einige Schränke und Kommoden zierten den Flur, dem wir folgten, und der durch diese sehr einladend wirkte. Bilder in den unterschiedlichsten Formen und Farben schmückten die Wände. Es war einfach wunderschön.

Ben blieb vor einer Tür auf der linken Seite stehen, öffnete sie und bedeutete mir, vorzugehen. Dann kam er ebenfalls herein, stellte meine Tasche auf das große Bett und zeigte mir anschließend eine weitere Tür im Raum.

»Hier ist das Badezimmer. Handtücher liegen dort im Regal. Bedien dich einfach. Wenn du fertig bist, komm runter in die Küche, sie befindet sich gleich links neben der Treppe. Ich mache uns etwas zu essen.«

Mit diesen Worten ließ er mich allein. Mir fehlten die Worte. Langsam drehte ich mich im Kreis, nahm das Zimmer um mich herum wahr und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Weiße Wände und Kommoden, ein mokkafarbener Teppich und ein Kingsize-Bett, welches den Großteil des Zimmers einnahm, schmückten den Raum. Vor den zwei Fenstern hingen dunkle braune Vorhänge, deren warmer Ton im Einklang mit den hellen Farben der Möbel stand und genau auf den Teppich abgestimmt war. Ich fühlte mich sofort wohl. Das angrenzende Bad war ebenfalls sehr geschmackvoll gestaltet mit seinen großen cremefarbenen Fliesen und den kleinen Mosaikfliesen in verschiedenen Brauntönen als Highlights dazwischen. Es gab einen Whirlpool und eine ebenerdige Dusche, in der gefühlt zehn Personen gleichzeitig Platz finden könnten. Bambuspflanzen rundeten das Gesamtbild ab.

Wow! Ich kam mir vor wie in einer Wohlfühloase und wollte nur noch eins: mich endlich entspannen und die Kälte aus meinem Körper vertreiben. Eilig zog ich meine nassen Klamotten aus und stieg unter die Dusche. Das heiße Wasser umhüllte mich vollständig und brannte gleichzeitig auf meinen Verletzungen. Trotz dieses Umstandes schloss ich genießerisch die Augen. Das war der schönste Augenblick seit Jahren, wenn ich den Moment außer Acht ließ, in dem dieser große muskulöse Mann mit der sexy Stimme in mein Leben getreten war und mich einfach auf der Landstraße aufgegabelt hatte - auch wenn er mich nach wie vor einschüchterte, allerdings nicht auf eine schlechte Art. Sofort ärgerte ich mich über diesen Gedanken, denn schließlich wollte ich mit Männern nichts mehr zu tun haben. Niemals wieder! Die Schutzmauern meines Herzens waren unüberwindbar, und dabei würde es auch bleiben.

Jemand klopfte an die Tür, und da erst bemerkte ich, dass ich mir viel zu viel Zeit gelassen hatte. Sofort stellte ich das Wasser ab und hüllte mich in eines der samtweichen braunen Duschtücher, das natürlich perfekt zu diesem Badezimmer passte. Hier hatte sich jemand sehr viel Mühe mit der Einrichtung gegeben und alles aufeinander abgestimmt.

Bens tiefe, sanfte Stimme drang durch die Tür. »Das Essen ist fertig, Jules. Ich wollte dir nur kurz Bescheid geben.«

»Ich bin gleich so weit.«

Im Schlafzimmer stellte ich fest, dass meine Sachen in der Tasche ebenfalls komplett durchnässt waren.

»Mist! Was mache ich denn jetzt? Ich kann doch schlecht nur mit einem Handtuch bekleidet durchs Haus spazieren.«

»Musst du auch nicht.«

Erschrocken machte ich einen Sprung zur Seite und stieß einen spitzen Schrei aus. Ich war so in meine Gedanken versunken ins Schlafzimmer gegangen, dass ich nicht bemerkt hatte, dass ich nicht allein war.

»Auch wenn dies wahrlich ein schöner Anblick wäre.«

Ben grinste mich vom Türrahmen aus augenzwinkernd an und kam langsam auf mich zu.

»Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Hier. Ich habe mir schon gedacht, dass du das hier gebrauchen könntest.«

Ben reichte mir ein paar Kleidungsstücke und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. Oh verdammt! Sein Blick blieb an meinen Armen hängen, die seinen Blicken dank der spärlichen Bekleidung schutzlos ausgeliefert waren. Verflucht! Er starrte auf meine blauen Flecken, bei denen ich keine Chance mehr hatte, sie vor ihm zu verbergen. Jetzt, wo er mich im Licht sah und ich kein Make-up mehr trug, nahm er auch mein blaues Auge wahr. Bens Musterung verunsicherte mich komplett und ich wich seinem Blick aus. Ich wollte die Verurteilung darin gar nicht sehen und schämte mich.

Doch fast sofort lag seine Hand unter meinem Kinn und er hob es sanft, aber bestimmt an, während sein forscher Blick weiterhin auf mir lag. Er wollte etwas sagen, schloss seinen Mund jedoch gleich wieder. Ich sah, wie er seine Kiefer aufeinanderpresste. In seinen Augen blitzte Mitleid auf, aber ich erkannte noch etwas anderes: Wut. Pure unterdrückte Wut. Ich war mir nicht sicher, was er dachte, aber ich erkannte in seinem Blick, dass er sich ungefähr vorstellen konnte, was mit mir passiert war.

Vorsichtig hob er seine Hand an meine Wange und streichelte zärtlich, fast ehrfürchtig über meine geschundene Gesichtshälfte mit dem blauen Auge. Ich lehnte mich ihm instinktiv entgegen. Doch viel zu schnell fasste er sich wieder und trat zurück. Der innige Moment war augenblicklich vorbei, als er seine Hand wieder sinken ließ. Schüchtern nahm ich ihm die Kleidung ab und wartete, bis er wieder ging. Sobald er sich in meiner Nähe befand, war ich keines Wortes mehr fähig. Keine Silbe kam über meine Lippen, was mich wirklich nervte. Mir lagen so viele Wörter auf der Zunge, aber gleichzeitig fürchtete ich mich vor Ben und seiner Reaktion, weshalb ich sie dann doch für mich behielt.

»Ich komme gleich runter, danke!«

Er nickte, drehte sich um und schloss die Tür hinter sich. Schnell zog ich mich an und schlüpfte in die Kleidungsstücke, die eindeutig Ben selbst gehörten. Natürlich war mir alles viel zu groß, was bei meiner Größe von knapp einem Meter sechzig nicht verwunderlich war, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich schnürte die Hose mit dem Zugband so gut es ging um meine Hüften fest. Das Shirt war mir viel zu groß, sodass es mir fast bis zu meinen Knien reichte und eher wie ein unförmiges Kleid aussah. Gott sei Dank besaß es lange Ärmel, weswegen die Spuren der Misshandlungen nicht weiter zu sehen waren, auch wenn Ben sie unglücklicherweise bereits entdeckt hatte. Dennoch fühlte ich mich wohler, wenn ich sie unter der Kleidung verbergen konnte.

Mein blaues Auge konnte ich mit dem bisschen Make-up, das ich noch besaß, kaschieren, bevor ich das Zimmer verließ.

Es war wirklich ein sehr imposantes Haus, wie ich beim erneuten Entlanggehen des Flurs feststellen musste. Obwohl ich noch lange nicht alles gesehen hatte, überwältigte es mich. Auf der rechten Seite sah ich eine Tür, die einen Spalt offen war, und da ich von Natur aus ein neugieriger Mensch war, blieb ich stehen. Ich wusste, ich sollte einfach weitergehen, schließlich ging es mich nichts an, was sich hinter der Tür befand, aber irgendetwas daran zog mich in den Bann. Vorsichtig näherte ich mich der Versuchung. Bevor ich mich traute, die Tür weiter zu öffnen, blickte ich noch einmal über meine Schulter, um sicherzugehen, dass mich niemand sah. Erst dann stieß ich sie auf, erstarrte jedoch sogleich und presste meine Hand auf den Mund, um nicht erschrocken aufzuschreien. Die Einrichtung war gleichzeitig schockierend, aber auch erregend, und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, dass ich so empfand. Ein riesiges Bett nahm die Mitte des Raumes ein. Links davon an der Wand befand sich ein Andreaskreuz. Überall hingen Peitschen, Ketten und andere Dinge an den Wänden, mit denen man jemandem Lust und Schmerz bereiten konnte. Weitere Möbel, deren Benutzung sich mir nicht ganz erschloss, standen im Raum verteilt. Dunkle Kommoden füllten die rechte Seite und …

Plötzlich spürte ich eine schwere Hand auf meiner Schulter und erschrak.

»Wer bist du und was hast du hier zu suchen?«

Stocksteif drehte ich mich um und blickte in die stechend grünen Augen eines Mannes. Es waren allerdings nicht die von Ben, obwohl es eine gewisse Ähnlichkeit gab.

Der Fremde sah mich schockiert an. In seinen Augen flackerte eine Ungläubigkeit auf, die ich nicht deuten konnte. Dann zog er plötzlich seine Hand von meiner Schulter, als ob er sich verbrannt hätte. Er fasste sich wieder und sein überraschter Ausdruck wechselte zu Misstrauen.

»Ich habe dir eine Frage gestellt.« Knurrend hob er seine rechte Augenbraue hoch.

»Genau genommen hast du zwei Fragen gestellt.«

Ups! Woher kam das denn jetzt? Sofort bereute ich, überhaupt etwas gesagt zu haben, da seine Augen sich drohend zusammenzogen und sein Gesichtsausdruck immer grimmiger wurde. Nun wurde ich doch unsicher, und ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Wo war das Loch im Boden, wenn man es brauchte?

Schritte näherten sich und Ben tauchte hinter dem Mann auf. Sein Erscheinen ließ mich aufatmen und erleichterte mich ein wenig, da die Anwesenheit von diesem unbekannten Kerl mir doch zusetzte.

»Hey, du hast unseren Gast schon kennengelernt.« Ben wandte sich sogleich dem fremden Mann zu.

»Na ja, kennengelernt ist zu viel gesagt. Sie hat hier rumgeschnüffelt, und ich habe sie zur Rede gestellt, aber bisher noch keine zufriedenstellende Antwort erhalten.«

Bei seinen Worten ließ er mich nicht einen Moment aus den Augen. Ben trat neben mich, umfasste meine Schulter, und sofort versteifte ich mich wieder, was ihm nicht verborgen blieb.

»Ganz ruhig, Kleines. Er tut dir nichts. Auch wenn der große böse Kerl vor dir so aussieht, als ob er Nägel zum Frühstück verspeisen würde. Glaub mir, er ist ganz harmlos und beißt nicht. Jedenfalls nicht, solange du das nicht willst.«

Zwinkernd stellte Ben mir den Riesen vor. »Das ist David, mein Bruder.«

»Dein Bruder? Ähm … freut … freut mich, dich kennenzulernen.« Stotternd blickte ich den Hünen an. Dass er Bens Bruder war, erklärte die Ähnlichkeit.

»Und du bist?«

Ungeduldig wiederholte David seine Frage, die er mir zuvor schon gestellt hatte, und endlich war ich in der Lage, ihm auch darauf zu antworten.

»Jules.«

Ben sah auf mich herunter. »Ja, das ist Jules Bennett. Und da wir das nun geklärt und uns gegenseitig vorgestellt haben, können wir ja endlich essen.«

Ben drückte mich leicht an seine Seite, und auch wenn ich ihn kaum kannte, war ich ihm dankbar für die Geste.

»Na komm, Kleines. Jetzt gibt es erst einmal eine Stärkung, die wird dir guttun. Du musst doch schon halb verhungert sein.« Erneut sah Ben seinen Bruder an, dieses Mal jedoch warnend. »Vielleicht solltest du die Tür abschließen, bevor du noch jemanden verschreckst. Danach kannst du auch mitkommen, wenn du willst. Ich habe Suppe gemacht.«

Kapitel 2

Ben

Ich war von Anfang an von ihr verzaubert. Jules erinnerte mich sehr stark an jemanden, den ich früher mal gekannt hatte. Vielleicht lag es daran?

Als ich nach einem späten Geschäftstermin auf dem Weg nach Hause gewesen bin und sie da draußen in Kälte und Regen habe laufen sehen, wollte ich meinen Augen nicht trauen. Diese Ähnlichkeit war verblüffend, aber was noch viel wichtiger war: Was machte sie um diese Uhrzeit allein auf einer verlassenen Landstraße? Wusste sie nicht, wie gefährlich das sein konnte? Sofort nachdem ich angehalten und sie angesprochen hatte, spürte ich, dass sie in irgendwelchen Schwierigkeiten steckte. Ich hatte schon immer ein besonderes Gespür für Gefahren und konnte Situationen schnell einschätzen. Eine Eigenschaft, die mir auch während meiner Vergangenheit in einer Sondereinheit des Militärs sehr geholfen hatte. Aber ich hatte meine Offizierslaufbahn schon vor einiger Zeit aufgegeben und widmete mich nun einem ruhigeren Leben als Anwalt. In gewisser Weise kämpfte ich immer noch für Menschen, nur eben auf eine entspanntere Art. Nichtsdestotrotz kam mir mein Gespür für manche Dinge sicherlich in gewissen Situationen immer noch zugute.

Als ich sie im Schloss das erste Mal im Hellen gesehen hatte, wurde mir die Ähnlichkeit erst gänzlich bewusst. Ich hatte versucht, mir meinen Schock über diese Erkenntnis nicht anmerken zu lassen. Zu schwer wog der Schmerz, den diese Erinnerung wachgerufen hatte. David war es natürlich auch aufgefallen, denn ich hatte seine Fragen und die Ungläubigkeit in seinem Blick genau erkennen können.

Jetzt saß Jules mir in unserer Küche am Tisch gegenüber. Nachdem sie frisch geduscht war und trockene Sachen trug, sah sie wieder aus wie ein Mensch. Und ich musste sagen, ich war nach wie vor hin- und hergerissen, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Das war etwas, was ich mir noch nicht erklären konnte. Doch ich spürte von Anfang an eine gewisse Verbindung zwischen uns. Ich war mir jedoch nicht sicher, ob ich das positiv bewerten sollte und inwieweit diese Ähnlichkeit mich beeinflusste. Schon lange hatte ich mich nicht mehr auf eine Frau eingelassen. Oder einlassen können. Seit dem fatalen Schicksalsschlag waren meine Gefühle eingefroren, und ich hatte auch nicht vorgehabt, daran etwas zu ändern. Ich ließ niemanden außer meine Familie in die Nähe meines Herzens. Auf eine harte Art hatte ich erfahren müssen, wie schmerzhaft der Verlust eines geliebten Menschen sein konnte und welche Leere er hinterließ. In meinem Fall war es ein tiefes Loch gewesen, das sich in mein Herz gebohrt hatte und nie wieder zugewachsen war. Ich hatte mir damals geschworen, niemals mehr jemanden so tief in mein Herz zu lassen, dass ich Gefahr lief, diesen Schmerz noch einmal erleben zu müssen, und daran hatte ich mich gehalten … bis heute.

Jules hatte ihr langes blondes, noch feuchtes Haar zu einem unordentlichen Dutt gebunden. Eine kleine Stupsnase und hohe Wangenknochen betonten ihre zarten Gesichtszüge. Ihre Augen waren so blau wie der Ozean und wahnsinnig faszinierend, sodass ich nicht anders konnte, als sie ständig anzuschauen und in den Tiefen ihrer Iriden zu versinken.

Doch Jules verbarg etwas und natürlich waren mir die Spuren ihrer Misshandlung nicht entgangen. Welcher Dreckskerl ihr das auch immer angetan hatte, er sollte in der Hölle schmoren. Wie konnte man jemandem so etwas antun? Insbesondere einem so kleinen zarten Vögelchen wie ihr?

Ich ballte meine Hände zu Fäusten allein bei dem Gedanken daran, was ihr widerfahren war. Sie war so verschüchtert, dass sie sich kaum traute, mich anzusehen, und nur selten antwortete, wenn ich mit ihr sprach. Vermutlich hatte sie wahnsinnige Angst vor mir. Über einen Meter neunzig groß und kräftig gebaut, wie ich war, konnte ich diese Reaktion nachvollziehen. Ich trainierte fast täglich mit den Jungs. Jules schätzte ich auf höchstens eins sechzig, es war also kein Wunder, dass ich sie einschüchterte. Vielleicht war es aber auch die Entdeckung im ersten Stock, die sie eigentlich gar nicht hätte machen dürfen, die sie so zurückhaltend sein ließ.

Warum hatte David nur vergessen, diese verdammte Tür abzuschließen? Seit wir in dieses Schloss gezogen waren, achteten wir alle darauf, dass die Tür geschlossen blieb. Da wir hier in unserer Villa auch gleichzeitig unsere Firmensitze hatten, mussten wir auf Diskretion achten. Zusammen mit einem unserer besten Freunde, Philipp Bentleys, führte ich eine Anwaltskanzlei, und mein drei Jahre älterer Bruder David und unsere anderen beiden besten Freunde, Finn Masterson und Ian McAdams, hatten eine Detektei.

Als Jules nicht nach unten gekommen war, wollte ich nochmals nach ihr sehen und fand sie zusammen mit David in unserem Spielzimmer vor. Ihr Blick hatte ihre Ängstlichkeit offenbart, aber gleichzeitig auch Neugierde und Lust, was mich überrascht hatte.

Wir fünf Männer waren alle dominant und praktizierten schon lange BDSM. Als wir uns mit unseren Büros zusammengeschlossen hatten, suchten wir nach einem geeigneten Grundstück, auf dem man das Geschäftliche mit dem Privaten verbinden konnte. Wir waren alle Arbeitstiere, und da wir oft bis in den Abend hinein beziehungsweise oft auch die ganze Nacht durcharbeiteten, wollten wir nicht noch viel Zeit darauf verschwenden, zwischen Arbeit und Wohnung hin und her pendeln zu müssen. Und so hatten wir schließlich dieses Grundstück gefunden.

Es gab mehr als genug Platz für jeden und praktischerweise noch mehrere Gästezimmer. Im Erdgeschoss waren im vorderen linken Teil des Schlosses ein Wohnzimmer, dahinter unsere Büros mit angrenzendem Besprechungszimmer und im rechten Teil die Küche sowie ein Esszimmer untergebracht. In den oberen Etagen befanden sich unsere Privaträume. Außerdem hatten wir uns noch einen großen Trainingsraum für unsere sportlichen Aktivitäten eingerichtet, welcher sich ebenfalls im Erdgeschoss befand. Das Haus war also so groß, dass wir uns ohne Probleme auch mal aus dem Weg gehen konnten, sollten wir Zeit für uns benötigen.

Ich stellte Jules und mir gerade jeweils einen Teller mit Suppe hin, als David die Küche betrat.

»Guten Appetit! Die wird dich wieder aufwärmen.«

Jules schaute mich immer noch nicht an und flüsterte nur ein leises »Danke!«.

David setzte sich neben sie und nahm sich ebenfalls einen Teller Suppe. Ich bemerkte, wie sie unbehaglich auf ihrem Stuhl herumrutschte und ihr Körper sich anspannte. Ich wechselte einen Blick mit meinem Bruder und wusste, dass er ihre Reaktion ebenfalls bemerkt hatte. Wir verstanden uns blind. Schon als kleine Kinder hatten wir keine Verständigungsprobleme gehabt. Zum einen, weil wir blutsverwandt, zum anderen aber auch, weil wir Doms waren. Ein Blick reichte und wir wussten, was der andere dachte.

Wir aßen ein paar Minuten lang still, bevor David sich Jules zuwandte und sie fragte, was ihr zugestoßen sei und wie sie zu uns gefunden habe. Wie immer redete er nicht um den heißen Brei herum.

»Ich … ähm … habe kein Hotel gefunden.«

David wartete darauf, dass sie noch mehr erzählte, aber sie blieb stumm. Erneut schaute er mich an und hob eine Augenbraue.

»Willst du uns erzählen, was passiert ist?« Ich musste gar nicht mehr sagen, damit sie wusste, dass ich auf ihre blauen Flecken hinauswollte.

Jules schüttelte nur ihren Kopf und starrte stumm auf ihren Teller. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und fasste nach ihrem Kinn, sodass sie mich ansehen musste. Als ich sie berührte, zuckte sie zusammen, fing sich jedoch schnell wieder. Sie versuchte, überall hinzublicken, nur nicht in meine Augen.

»Sieh mich an.«

Mein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. Bestimmend hielt ich weiterhin ihr Kinn fest, bis sie schließlich meinen Blick erwiderte. Ich konnte sehen, dass ihre Augen gerötet waren, so, als ob sie geweint hätte.

»Hey, ich habe dir doch gesagt, du kannst mir vertrauen. Du kannst UNS vertrauen. Niemand tut dir was. Und egal, was du da oben in dem Zimmer gesehen hast und was dich vielleicht erschreckt hat, mach dir darüber keine Gedanken. Ich möchte dir gern helfen, mehr nicht. Aber das kann ich nur, wenn du mir erzählst, was dir auf dem Herzen liegt.« Eindringlich sah ich ihr tief in die Augen und hielt ihren Blick fest. »Hör mal, ich bin Anwalt und David ist Privatermittler. Wir betreiben hier gemeinsam mit unseren besten Freunden, die auch hier wohnen, unsere Büros. Du kannst uns also vertrauen, wenn wir sagen, dass du hier in Sicherheit bist.«

Als ich sie genauer betrachtete, konnte ich noch immer einen Schatten des blauen Auges erkennen, das sie zu überschminken versucht hatte. Die Hämatome auf ihren Armen wurden durch das langärmlige Shirt verdeckt, sodass David diese nicht sehen konnte, aber ich wusste, dass sie da waren. Ich war mir nicht sicher, ob David das Veilchen auch schon entdeckt hatte, aber da ich ihn kannte, würde es mich nicht wundern, wenn es so wäre. Ihm entging für gewöhnlich so gut wie nichts. Ich drehte Jules’ Kopf etwas mehr ins Licht, während ich jeden Zentimeter genauestens unter die Lupe nahm.

»Was ist mit dir passiert? Sprich mit uns. Bitte!«

Ich ließ ihr Kinn los, sobald ich sicher war, dass sie keine weiteren Verletzungen vor mir versteckte, und sofort musterte sie wieder den Teller. Sie aß nicht weiter, sondern rührte stattdessen nur mit dem Löffel in der Suppe. Mir war klar, dass David spürte, dass Jules sich nicht wohlfühlte, und genau das bestätigte sich nur Augenblicke später.

»Ich lass euch mal allein. Wenn ihr mich braucht, sagt einfach Bescheid. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend! Ben, wir sehen uns morgen. Gute Nacht, Jules!«

Kurz zuckte ihr Kopf hoch, und sie sah ihm nach, als er die Küche verließ. »Nacht.«

Ich beobachtete, wie sehr sie mit sich rang, ob sie meine Frage beantworten sollte, jetzt, wo wir allein waren. Aber ich konnte und wollte sie nicht dazu zwingen, sich mir anzuvertrauen. Das hieß, ich konnte schon, denn ich hatte gewisse Methoden, um jedes Wort aus ihr herauszukitzeln, aber dafür war sie definitiv noch nicht bereit, und es würde auch das wenige Vertrauen, das sie zu mir aufgebaut hatte, sofort wieder zerstören. Als sie noch immer nichts erwiderte, wandte ich mich dem Suppentopf zu und nahm mir einen Nachschlag. Überrascht blickte ich auf, als sie anfing zu reden.

»Ich habe meinen Job verloren und wollte hier neu anfangen.«

Sie stockte, musste sich sichtlich zusammenreißen, um den Mut nicht zu verlieren fortzufahren. Ich fasste nach Jules’ Hand, die neben dem Teller auf dem Tisch lag, um ihr ein Gefühl der Sicherheit zu geben, und sie akzeptierte diese Geste wortlos.

»Ich hatte hier eigentlich auch schon eine Wohnung angemietet, aber …« Jules hob den Blick, sah mir in die Augen und ich nickte ihr beruhigend zu. »Der … der Vermieter hatte die Wohnung schon anderweitig vergeben, als ich heute dort ankam. Er sagte, er hätte es sich anders überlegt. Das wäre meine Chance gewesen, neu anzufangen. Aber jetzt … ich habe nichts … einfach gar nichts. Und ich sitze auf der Straße. Ich kann nicht mehr zurück.«

Traurig blickte sie auf meine Hand, die ihre vollständig bedeckte. Tränen liefen ihre Wangen hinab, und ich versuchte, sie zu trösten. Ihr Mut zuzusprechen.

»Hey … hey, Kopf hoch, Kleines. Das ist nicht das Ende der Welt. Wir finden eine Lösung, und ich helfe dir dabei, wenn du mich lässt. Du kannst mir vertrauen.«

Unsere Blicke trafen sich, und zum ersten Mal sah ich keine Angst in ihren Augen, sondern einen leichten Hoffnungsschimmer. Wir zogen uns regelrecht beide in einen Bann, je länger wir einander ansahen, und ich spürte, dass da mehr war. Ich konnte es nur nicht in Worte fassen. Irgendetwas passierte hier. Ob ich bereit dafür war oder nicht.

Nur mühsam kam ich wieder zurück auf unser Gespräch. »Was hast du beruflich gemacht?«

»Ich war Kauffrau für Bürokommunikation.«

»Und darf ich fragen, warum du deinen Job verloren hast? Bist du gekündigt worden? Oder ist die Firma pleite gegangen?«

Meine Neugier wurde immer größer und ich konnte sie nur schwer zurückhalten. Doch ich musste behutsam vorgehen und durfte sie nicht zu sehr drängen. Sonst würde sie sich gleich wieder verschließen.

»Ich bin … gekündigt worden.« Ein paar Tränen wegwischend, sah sie mich schüchtern an. »Stellenabbau«, ergänzte sie, doch ich erkannte, dass da noch mehr war, was sie mir nicht erzählen wollte. In ihren Augen sammelten sich immer mehr Tränen, die ungehindert ihre Wangen hinabliefen.

Sie schien so verzweifelt zu sein. Aber der Verlust des Arbeitsplatzes war doch keine Schande, es musste mehr dahinterstecken. Sie verheimlichte irgendetwas, das wusste ich. Da war noch viel mehr als nur der Job- und Wohnungsverlust. Noch mehr als die blauen Flecken. Sie war eindeutig misshandelt worden. Das konnte sie nicht vor mir verstecken und schon gar nicht leugnen.

Jedoch durfte ich sie nicht drängen. Jules musste von sich aus erzählen, was ihr zugestoßen war, wenn sie sich selbst bereit dazu fühlte. Und ich schwor mir, ihr zu helfen, wo ich nur konnte. Sie hatte etwas an sich, das mich regelrecht verzauberte. Eine Erklärung dafür hatte ich nicht. Doch ich durfte sie keinesfalls zu nah an mich heranlassen. Ich würde ihr helfen und für sie da sein, mehr aber auch nicht. Dafür musste sie nur noch meine Hilfe annehmen und mir vertrauen.

Vielleicht hätte ich bezüglich zwei ihrer Probleme schon eine Lösung; ich musste dies jedoch mit den Jungs abklären, denn ich konnte nicht einfach über ihre Köpfe hinweg entscheiden.

Eines wusste ich aber mit Sicherheit: Ich wollte ihr unbedingt helfen. Diese Frau zog mich auf eine merkwürdige Art und Weise in ihren Bann. Sie wirkte zwar sehr verschüchtert, besaß gleichzeitig jedoch ein Feuer, das ich deutlich in ihren Augen erkennen konnte. Ein Feuer, das mich reizte, es zum Lodern zu bringen. Und wer weiß, vielleicht gelang es mir ja irgendwie, ihre Schutzmauern, die sie um sich herum aufgerichtet hatte, einzureißen und ihr Leben wieder zu dem zu machen, was es mal gewesen war.

Zunächst musste ich dafür jedoch mehr über sie herausfinden. Denn irgendetwas in mir verriet mir, dass das bei Weitem noch nicht alles war und sie noch viel mehr verbarg, als ich jetzt auch nur erahnte.

»Wir finden eine Lösung, okay? Aber jetzt solltest du dich erst mal hinlegen und schlafen. Es war ein langer Tag für dich. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus.«

Ich nahm sie behutsam in den Arm, nachdem ich sie von ihrem Stuhl hochgezogen hatte, woraufhin sie sich direkt verkrampfte. Aber ich ließ nicht los, denn sie stieß mich nicht weg, und nach ein paar Sekunden entspannten sich ihre Muskeln wieder.

Zusammen gingen wir nach oben und ich verabschiedete mich an der Tür zum Gästezimmer von ihr, wo ich ihr noch eine gute Nacht wünschte, bevor ich in mein eigenes Reich ging.

Kapitel 3

Olivia

Ich lag noch lange wach, denn meine Gedanken wollten nicht zur Ruhe kommen. Wo war ich da nur hineingeraten? Ich konnte Ben nicht alles über mich erzählen, weswegen ich ihm eine Lüge oder zumindest eine Halbwahrheit hatte erzählen müssen. Wenigstens das mit der Wohnung war nicht gelogen gewesen.

Aber ich kannte Ben erst ein paar Stunden. Er war der erste Mensch, den ich in den letzten Jahren kennenlernte und der mir Beachtung schenkte, gerade deshalb durfte ich ihn nicht gleich zu nah an mich heranlassen, sondern musste vorsichtig sein. Das merkwürdige Gefühl der Verbundenheit und Geborgenheit zwischen uns konnte ich jedoch nicht verleugnen. Meine Gedanken fuhren Achterbahn. Konnte ich ihm vertrauen? Nein, das durfte ich nicht. Schon einmal hatte mich mein Gefühl getäuscht und ich war in der Hölle gelandet. Natürlich wollte ich Ben gern vertrauen, aber meine Ängste waren größer. Außerdem wollte ich ihn nicht einer etwaigen Gefahr aussetzen, sollte mein Mann mich suchen und, Gott bewahre, finden.

Ich konnte immer noch nicht begreifen, wie ich in so ein Leben hatte hineingeraten können. Wie naiv ich gewesen war. Selbst meine Eltern waren auf ihn hereingefallen, bis sie sich schließlich von mir abgewendet hatten. Jedenfalls vermutete ich das, nach allem, was mein Mann mir erzählt hatte. Ich hatte niemanden mehr, nicht einmal meine Freunde sind mir geblieben, nur eine einzige Freundin hatte sich nicht von ihm vertreiben lassen.

Ich begriff selbst noch nicht richtig, wie ich das alles mit mir hatte machen lassen können. Wie naiv und blind ich gewesen war. Deswegen fiel es mir jetzt auch so schwer, irgendjemanden näher an mich heranzulassen, und umso mehr schockierte es mich gleichzeitig, dass ich dabei war, Ben so schnell zu vertrauen.

Mein Gott! Ich war ihm erst vor ein paar Stunden das erste Mal begegnet. Trotzdem war seit dem ersten Augenblick eine Verbindung zwischen uns, die alle meine inneren Mauern niederreißen könnte, wenn ich nicht aufpasste. Er strahlte eine unglaubliche Ruhe aus und ich fühlte mich von Anfang an unheimlich geborgen bei ihm. Auch wenn ich gleichzeitig noch misstrauisch war oder es zumindest sein sollte, nach allem, was ich erlebt hatte. Es war unbeschreiblich, welche Anziehungskraft zwischen uns herrschte, doch ich musste trotzdem vorsichtig sein. Das Karussell in meinem Kopf hörte einfach nicht auf, sich zu drehen. Und doch fiel mir nur eine Lösung ein: Ich musste hier so schnell wie möglich wieder weg, weil ich ihn nicht näher an mich heranlassen durfte und damit ich mir doch noch ein neues Leben aufbauen konnte. Bis ich nicht wusste, wohin und was aus meinem Leben werden sollte, konnte ich niemandem vertrauen, so gern ich auch jemanden haben wollte, bei dem das der Fall war. Es ging einfach nicht. Die letzten fünf Jahre hatten mich das gelehrt, und genau deshalb war ich jetzt Ben gegenüber so skeptisch und distanziert.

Noch dazu wohnte er hier nicht allein, was bei einem so großen Haus nicht gerade verwunderlich war, aber das war es gar nicht, was mich die ganze Zeit beschäftigte. Nein, es war Ben, um den meine Gedanken ein ums andere Mal kreisten. Wie er mich immer wieder ansah und berührte. Diese Berührungen versetzten alle Nervenenden in meinem Körper in eine Spannung, ganz so, als ob ich ein Elektrizitätswerk wäre. Unglaublich! Und seine Augen … WOW! Ich musste aufpassen, mich nicht in ihnen zu verlieren. Jedes Mal, wenn sich unsere Blicke begegneten, hatte ich den Eindruck, als ob sie bis auf den Grund meiner Seele blicken könnten. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals schon einmal so etwas gefühlt zu haben. Selbst bei meinem Mann war dieses Empfinden einer solchen Verbundenheit nie so intensiv gewesen. Noch nicht einmal am Anfang unserer Ehe. Ich konnte mir einfach nicht erklären, was Ben mit mir anstellte.

Aber ich durfte nie wieder einen Mann so nah an mich heranlassen, das stand für mich fest. Ich hatte schließlich noch nie Glück mit Männern gehabt, und das würde sich wahrscheinlich in Zukunft auch nicht ändern. Unter hundert Männern fand ich immer das einzige Arschloch und verliebte mich in den Mistkerl. Ganz toll! Vielleicht hatte ich doch einen Magneten an mir, der solche Typen anzog. Aber was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Ich hatte den Männern abgeschworen.

Vielleicht sollte ich einfach nur darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte. Hier konnte und wollte ich auf keinen Fall bleiben. Ich benötigte eine neue Wohnung und vor allem einen neuen Job, denn lange würden meine Geldreserven nicht reichen.

Nachdem ich nun stundenlang an die weiße Decke gestarrt hatte, drehte ich mich vorsichtig auf die Seite. Nach wie vor tat mir alles weh. Vermutlich hatte ich sogar den ein oder anderen Rippenbruch, wenn ich die Schmerzen richtig deutete.

Ich fühlte mich jedoch generell nicht gut. Mein Kopf tat weh, und ich fror, obwohl ich mich schon unter die warme Decke gekuschelt hatte. Vielleicht hatte ich mir im Regen etwas eingefangen. Das würde mir gerade noch fehlen. Als ob ich nicht schon genug Pech gehabt hätte. So viele Gedanken schossen mir durch den Kopf und immer wieder blitzte der Entschluss auf, dass ich hier wegmusste.

Ein ungutes Gefühl breitete sich in meinem Inneren aus. Ich sollte mich einfach davonschleichen. Ich kannte die Männer nicht, die mich aufgenommen hatten. Wer waren sie? Kannten sie meinen Ex? Immerhin war er kein Niemand und sollte auch vielen Leuten hier durch die Medien bekannt sein. Ich wusste es nicht, und meine Gedanken wurden immer verwirrender. Es war nur noch ein einziges Chaos in meinem Kopf, und je mehr ich darüber nachdachte, desto schwieriger wurde es, diesem Herr zu werden.

Ich versuchte, das einzig Richtige zu tun. Mir fiel plötzlich ein, dass ich mein Handy noch gar nicht aus meiner Tasche geholt hatte, und genau das holte ich jetzt nach. Hoffentlich hatte sich die einzige Freundin, die ich noch besaß und mir geholfen hatte, noch nicht gemeldet. Sie würde sich Sorgen machen, wenn sie mich nicht erreichen konnte. Doch als ich auf das Display sah, gefror mir das Blut in den Adern. Das durfte nicht wahr sein. Nein! Nein! Nein! Tränen stiegen mir in die Augen. Ich musste hier weg! Sofort!

Im Haus war es still, und ein Blick auf die Uhr auf dem Nachtschrank verriet mir, dass es halb fünf am Morgen war. Leise kramte ich meine Sachen zusammen. Meine Klamotten waren zwar noch feucht, aber das spielte keine Rolle. Ich wollte niemandem etwas schuldig sein, also zog ich meine nassen Klamotten wieder an, faltete Bens Kleidung ordentlich zusammen und legte sie auf das Bett. Vorsichtig öffnete ich die Tür, konnte jedoch niemanden sehen oder hören. Sogar der Regen hatte aufgehört, auf die Erde zu prasseln. Ich schlich mich leise nach unten, alles war dunkel. Gerade als ich an der Küchentür vorbeikam, ging Licht an und ich schreckte überrascht zusammen.

»Wo willst du denn hin?«

David stand im Türrahmen der Küche. Mit vor der Brust verschränkten Armen schaute er mich an und wartete darauf, dass ich auf seine Frage antwortete. In Sachen Größe stand er Ben in nichts nach. Ich schätzte auch ihn auf über einen Meter neunzig. Seine Augen funkelten, als er langsam auf mich zukam. Ich brachte keinen Ton hervor, Panik stieg in mir auf. Plötzlich hörte ich Schritte auf der Treppe und musste gar nicht erst hinsehen, um zu wissen, wer es war.

»Was macht ihr denn hier? Ist was passiert?« Ben starrte zwischen David und mir hin und her.