Bronkis Herbst I - Anonym - E-Book

Bronkis Herbst I E-Book

Anonym

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Beschreibung

Bronski verkraftet die Scheidung von seiner Frau Sabine nicht. Er beginnt zu saufen und stürzt sich in homosexuelle und heterosexuelle Abendteuer. Auch seine Halbschwester Kim lässt er nicht aus... -

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Anonym

Bronkis Herbst I

SAGA Egmont

Bronkis Herbst I

Copyright © 1996, 2018 Anonym und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711717349

1. Ebook-Auflage, 2018

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

Der kalte Strahl des Wassers traf genau die Stelle am Hinterkopf, die sich langsam zu lichten begann. Das Wasser verteilte sich, rann an den Ohren vorbei, hinunter zur Kinnspitze, um als dünnes Rinnsal ins Waschbecken abzutropfen.

Leise stöhnend schob Paul Bronski seinen dröhnenden Schädel tiefer ins Becken, ließ das Wasser über seinen heißen Nacken laufen. Minuten verharrte er so, brachte nicht die Kraft auf. sich aufzurichten. Schlaff ruhten die Unterarme auf dem Beckenrand. Dann, ganz allmählich, um sich ja keiner Verletzungsgefahr auszusetzen, richtete er sich auf. Wirr und klatschnaß klebte ihm das Haar am Kopf.

Bronski warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Der Anblick, der sich ihm bot, trug nicht gerade dazu bei, seine Stimmung zu heben. Der Farbton seiner Haut kam fast dem Grau seiner Augen gleich. Die Linien unter den Augen und um die Nase schienen tiefer als sonst. Sogar die Stoppeln des Bartes wirkten fahl. Mit den Fingern kämmte sich Bronski sein blondes, feuchtes Haar aus Gesicht und Stirn.

Aus der Küche vernahm er das zischende Geräusch der Kaffeemaschine. Der Kaffee war fertig. Den aromatischen Duft nahm Bronski gar nicht wahr.

Er griff sich seine große, rote Tasse, die am oberen Rand einen Sprung aufwies. Diese Tasse hatte er einmal aus einer Laune heraus auf einem Flohmarkt erstanden. Ein kleines Mädchen hatte sie ihm entgegengehalten, mit ernster Miene eine Mark dafür verlangt. Mit ebenso ernster Miene und einer leichten Verbeugung hatte Bronski ihr ein Zwei-Mark-Stück in das schmutzige Händchen gedrückt und die Tasse in Empfang genommen. Freudestrahlend und triumphierend hatte die Kleine ihrer Mutter das Geldstück gezeigt.

Damals war Sabine noch an seiner Seite gewesen. Sie hatten beide herzlich lachen müssen.

Auf dem roten Untergrund der Tasse sah man einen gelben, grimmig blickenden Kater, der einem davonfliegenden, schimpfenden Vogel nachsah.

Bronski ließ zwei Stück Zucker in den Kaffeebecher fallen, goß die schwarze Brühe darüber. Er schlurfte ins Wohnzimmer, ließ sich in seinen abgeschabten Ledersessel fallen, rührte seinen Kaffee um.

Die zwei Schmerztabletten, die er gleich nach dem Aufstehen genommen hatte, zeigten noch immer keine Wirkung. Der stechende Schmerz im Kopf blieb, löste sich ab mit einem hämmernden Pochen, um dann gleichmäßig und penetrant wiederzukehren.

„Verdammte Sauferei“, murmelte Bronski, schlürfte den heißen Kaffee, verbrannte sich prompt die Zunge. Mit einem Fluch stellte er die Tasse auf die zerschrammte Tischplatte.

So schlimm wie gestern war es schon lange nicht mehr gewesen. Gut, er trank, war sogar Gewohnheitstrinker. Jedoch hatte er sich stets unter Kontrolle. Er schob seinen Zustand auf den Arbeitsstreß, die zunehmende Anspannung. Doch war es wirklich nur das?

Wieso hatte es gestern überhaupt soweit kommen können? Er fuhr sich mit der Hand übers Kinn, sah an sich hinunter. Ein undefinierbarer Geruch stieg ihm in die Nase: kalter Schweiß, muffiger Kneipengestank und süßliches Parfüm. Hemd und Hose wirkten genauso zerknittert wie Gesicht und Gewissen. Sogar zum Ausziehen war er zu voll gewesen. Seine Lederjacke lag auf dem Boden, seine Schuhe waren irgendwo im Flur.

Suchend sah er sich nach seinen Zigaretten um, versuchte, sich die gestrige Nacht in Erinnerung zu bringen.

Geh duschen, Bronski, dann kommt dein Gedächtnis auch wieder in Schwung. Er schüttelte den Kopf. Nein, zuerst mußte er eine rauchen und den Kaffee trinken. Das würde seine Lebensgeister wecken, ihm neue Energie geben.

Vorsichtig schlürfte er das heiße Naß. Pappig schmeckte es. Bronskis Blick fiel auf die Flasche Bourbon, die am anderen Ende des Tisches stand. Ein kleiner Schluck konnte nicht schaden. Als Medizin sozusagen. Bronski blinzelte. Das helle Etikett stach ihm in die Augen, ermunterte ihn. Er nahm die Flasche, goß einen kräftigen Schuß in den Kaffee, rührte um. Köstlich, diese Duftmischung aus Whisky und Kaffee. Wie Öl rann ihm das Gebräu die Kehle hinab, explodierte im Magen, schien durch die Adern zu rollen, schoß ins Gehirn, erweckte die grauen Zellen zu neuem Leben.

Bronski atmete durch, griff sich die am Boden liegende Jacke, durchwühlte die Taschen nach Zigaretten. Seine suchenden Finger stießen auf ein Stück Papier, daneben die Schachtel. Er nahm beides heraus, schob sich eine Chesterfield zwischen die Lippen, zündete sie an. Tief sog er den Rauch ein.

Bronski strich den zerknitterten Zettel glatt, konnte sich dessen Anwesenheit nicht erklären. Dann las er. „Hallo, Quarkarsch, solltest Du wieder einmal Lust auf internationale Völkerverständigung verspüren, melde Dich. Niggerschwanz.“

Darunter stand in großen Ziffern eine Telefonnummer.

Bronski hielt den Zettel in der Hand, wartete auf einen Lichtblick. Eine Ahnung stieg in ihm auf, wurde zur Gewißheit. Er rieb sich die Augen. Richtig, so war es gewesen.

Aus dem Nebel der Erinnerung tauchte das nackte Negerpärchen auf. Er sah das Weiß ihrer Augen, die blitzenden Zähne, sah das Wippen voller Brüste, Brüste, rund und prall, wie überreife Melonen. Er sah den steifen Penis, der gleich einem starken, dunklen Pfahl aus gebeiztem Mahagoniholz steil nach oben ragte.

Er hörte den leisen, dumpfen Klang afrikanischer Trommeln, sah die schwarzen, glänzenden Körper, die ausgestreckten Arme, als sie langsam auf ihn zukamen.

Bronski schüttelte den Kopf, fuhr sich mit der Hand über seine kräftige Nase, sein rundes festes Kinn, wollte auch die restlichen Nebel aus seinem Schädel vertreiben. Er leerte die Tasse, steckte sich eine neue Zigarette an.

Was für ein Paar! Sie hatten ihn ganz in ihren Bann geschlagen. Bronski lächelte schwach. Er stand auf, mixte eine neue Mischung, merkte nicht, daß der Anteil des Whiskys höher als der des Kaffees geriet. Der Schleier der Erinnerung hob sich langsam.

Wieder sah er die aufreizenden Bewegungen der beiden Schwarzen, sah sich nach dem Penis des Afrikaners greifen, sah die sexuelle Gier in dessen Augen. Blanke, geile Gier. Riesengroß erschien ihm der Schwanz des Mannes, als er vor ihm stand und sein lachendes Gesicht ihn aufforderte zuzugreifen.

Und die Afrikanerin! Zuckend bewegte sich ihr Unterleib zum harten Klang der Trommeln. Wilde Lebensfreude strahlte aus ihren glänzenden Augen. Ihre Hände glitten über die schwarze Haut ihres Bauches.

Was war geschehen?

Bronski legte den Zettel auf den Tisch, hob seine Tasse, starrte in die dunkle Flüssigkeit.

Dunkel wie deine Seele. Am besten, du ertränkst sie. Das Telefon klingelte, riß Bronski aus seinen Gedanken. – „Ja?“

„Paul, was ist mit dir? Wo warst du gestern? Michael mußte die Aufnahmen alleine machen.“

Leiser Vorwurf klang aus Franks Stimme. Zu Recht, fand Bronski. Er hätte sich wenigstens melden können.

„Er hat es doch sicher gepackt. Schließlich ist er schon lange genug dabei.“

„Natürlich, aber ich hatte mit dir gerechnet.“

„Tut mir leid, aber ich bin versackt.“

„Häuft sich in den letzten Monaten, nicht wahr? Deine Leber möchte ich auch nicht sein, muß ständig quietschen. Heute liegt nichts mehr an. Aber nächste Woche die Außenaufnahmen mußt du unbedingt machen. Du weißt, dieser Auftrag ist wichtig für uns. Okay? Kommst du am Wochenende vorbei? Marlene und die Kinder würden sich freuen.“

„Ich weiß noch nicht. Falls ja, rufe ich vorher an.“

„In Ordnung, bis dann.“

Bronski legte auf.

Verdammter Spießer, knurrte er, wußte jedoch, daß er Frank unrecht tat. Sicher war es auch Sorge, die seinen Freund und Partner so reden ließ. Bronski fragte sich allerdings, ob die Sorge ihm, dem Menschen Paul Bronski, galt oder seiner Arbeitskraft, seinem Können als Fotograf.

Seit acht Jahren arbeiteten sie nun schon zusammen, doch bis heute konnte Bronski sich diese Frage nicht mit absoluter Sicherheit beantworten. Frank war ein kühl rechnender, umsichtiger Geschäftsmann mit ausgeprägtem Gespür für Menschen und Situationen, die ihm nützlich sein konnten.

Es war seinerzeit Franks Idee gewesen, sich zusammenzuschließen und die Agentur zu gründen. Frank mit seinem kaufmännischen Geschick und Bronski mit seinem künstlerischen Fotografenauge erwiesen sich als ein gutes Gespann. Manchmal jedoch kamen Bronski Zweifel an der Richtigkeit seines damaligen Entschlusses.

Frank hatte es verstanden, die Agentur auszubauen, den Kundenkreis Jahr für Jahr zu erweitern. Gleichzeitig festigte Bronski seinen Ruf als wirklich guter Fotograf.

Mode, Autos, Werbung überhaupt – Bronski fotografierte alles mit der ihm eigenen Intensität.

Es hatte Jahre bedurft, Blick und Gefühl dafür zu entwickeln, zu schärfen.

Bronski erhob sich, ging in die Küche. Noch immer fühlte er sich matt und zerschlagen. Lustlos schmierte er sich ein Wurstsandwich, holte ein kühles Bier aus dem Kühlschrank.

Wieder wuchtete er seine hageren 1,80 Meter in den Sessel. Während er abwechselnd abbiß und Bier trank, ließ er den gestrigen Tag Revue passieren.

Er hatte sich seine Post geholt. Unter den üblichen Werbesendungen fand er eine Karte. Viel Himmel, viel Sonne, viel Strand – seine kleine Schwester schickte ihm diesen Urlaubsgruß von den Kanaren. Klein ist gut, murmelte Bronski, sie mußte mittlerweile auch schon Mitte Zwanzig sein. Sie lebte in Berlin. Er hatte sie das letzte Mal vor drei Jahren gesehen. Eine reizende junge Frau. Ergebnis eines Seitensprungs seines alten Herrn mit einer Japanerin. War schon ein Schlawiner gewesen, sein Erzeuger. Mutter hatte es ihm nie verziehen. Seit zwei Jahren ruhte er nun in kühler Erde.

Der einzige Brief war blau, sah amtlich aus. Bronski hielt die schriftliche Bestätigung in den Händen, geschieden zu sein. Nun war es endgültig und unwiderruflich. Es gab kein Zurück, keine Hoffnung auf Versöhnung. Das Gesetz hatte sein gewichtiges Siegel daruntergesetzt – der Fall war abgeschlossen. Ein Kapitel seines Lebens fand ein Ende. Doch hatte er es wirklich anders gewollt? Bronski zuckte die Achseln. Wohl kaum. Ein bitterer Geschmack blieb trotzdem. Auch Sabine würde dieses Schreiben jetzt in Händen halten, würde froh sein, demnächst wieder heiraten zu können. Seit einem halben Jahr lebte sie mit ihrem neuen Freund in Süddeutschland.

Bronski seufzte. Dieser Schrieb ging ihm doch näher, als er sich eingestehen wollte. Er schenkte sich einen doppelten Bourbon ein und hob das Glas.

„Auf dein Wohl, Sabine, mögest du mit deinem Jonas glücklich werden.“

In einem Zug leerte er es, schenkte nach. Er gab einen Eiswürfel in den Whisky, sah, wie er in der goldenen Flüssigkeit versank.

Eine Episode fiel ihm ein. Eine Episode, die einer gewissen Pikanterie nicht entbehrte, die bezeichnend war für Sabines Temperament.

Nach einem ausgedehnten Spaziergang hatten sie großen Appetit auf Kuchen mit Sahne verspürt.

Sie fanden ein altes Café mit dicken Vorhängen an den Fenstern und schweren, plüschigen Möbeln. Auf dem zerkratzten Steinfußboden lagen alte, zerschlissene Teppiche. Es roch nach fünfziger Jahren, strahlte aber Gemütlichkeit aus.

Der Raum war mäßig besetzt. Sie suchten sich einen Platz in einer Nische, gaben bei einer ältlichen, verhärmten Serviererin ihre Bestellung auf.

Likör, zwei Kännchen Kaffee, Kuchen mit viel Sahne.

„Prost!“

Sabine hob ihr Glas, lächelte ihn an.

Sie leerten ihre Gläser, machten sich dann heißhungrig über ihre Obsttorten mit Sahne her. Es schmeckte einfach köstlich. Sabine vertilgte auch den letzten Krümel, wischte sich mit einer Serviette über den Mund.

Sie schob den Teller in die Mitte des Tisches, lehnte sich seufzend zurück.

Mit einem schelmischen Gesichtsausdruck sah sie ihn an.

„Und jetzt werde ich mir ein Dessert besonderer Art genehmigen. Bestell bitte noch eine Portion Sahne und zwei Gläser Likör.“

Leicht erstaunt blickte er in ihre lachenden Augen, tat jedoch wie ihm geheißen.

Nachdem das Gewünschte auf dem Tisch stand, kippte Sabine ihren Likör hinunter und nahm das Schüsselchen mit der Sahne.

„Bleib ganz ruhig sitzen, ich hol mir jetzt mein Dessert.“

Damit tauchte sie unter den Tisch. Die lang herunterhängende weiße Decke schützte sie vor den Blicken Neugieriger.

Sie kicherte, als sie seinen Schwanz aus der Hose zog. Um es ihr leichter zu machen, rückte Bronski näher an die Stuhlkante. Unter ihren massierenden Fingern schwoll sein Penis langsam an. Er stützte die Ellbogen auf die Tischplatte, steckte sich eine Zigarette an und versuchte, ein möglichst unbeteiligtes Gesicht zu machen.

Derweil bestrich Sabine seinen Schwanz mit Sahne. Genüßlich schob sie ihn in den Mund, kraulte mit einer Hand seine Hoden. Dieses Spiel wiederholte sie, bis die Sahne aufgebraucht war. Bronski zuckte, als ihre Lippen sich fester um seine Eichel legten. Er sah sich um. Niemand schien etwas zu bemerken.

Zwei Tische weiter unterhielten sich drei ältere Damen angeregt über ihren letzten Theaterbesuch.

Tiefer nahm Sabine seinen Penis in sich auf, schneller stieß ihre Zunge gegen seine heiße Haut. Er drückte seine Hände auf die Tischplatte, seine Finger krümmten sich.

In seine Augen trat ein abwesender Blick; sein Unterleib zuckte, als er sich in ihrem Mund entlud. Sabine saugte, schnurrte wie eine zufriedende Katze. Wieder warf er einen Blick in die Runde, meinte, ein jeder müßte seinen Zustand mitbekommen haben. Doch nichts hatte sich verändert. Die Kellnerin klapperte mit ihrem Geschirr, die alten Damen plauderten lebhaft weiter, vier neue Gäste betraten das Café. Mit hochrotem Kopf und verschmitztem Lächeln tauchte Sabine wieder auf. Sie kam zu ihm, drückte ihre sinnlichen Lippen auf seinen Mund, steckte ihre Zunge zwischen seine Zähne.

„Schmeckst du es auch? Das Dessert war wunderbar.“

O ja, sie konnte einen Mann schon verrückt machen. Bronski lächelte. Es versetzte ihm heute mitunter noch einen Stich, dachte er daran zurück. Doch im letzten Jahr wurden die Spannungen in ihrer Ehe zunehmends unerträglicher. Es war müßig, nach einem Schuldigen zu suchen. Wahrscheinlich gab es in solchen Situationen überhaupt keinen Schuldigen und keine Schuld.

Bronski schüttelte den Kopf. Er mochte dieses Wort nicht. Es hörte sich nach Urteil an, hatte einen unangenehmen Beigeschmack. Wer maß sich an, über die Beziehung zweier Menschen zu urteilen. Schuldzuweisungen waren hier vollkommen fehl am Platz.

Da waren zu viele Dinge zwischen zwei Menschen, Dinge, die sich nicht in Worte fassen, sich höchstens erfühlen ließen.

Scheiß Gefühle! Bronski grunzte. Traurigkeit stieg in ihm auf. Obwohl er erst 46 war, fühlte er sich plötzlich sehr alt. Gottverdammter Mist, du mußt hier raus, sonst überkommt dich noch das heulende Elend.

Er kippte den Whisky hinunter, knöpfte sich das Hemd zu, zog die Lederjacke an, spürte das leichte Gewicht der silbernen Taschenflasche.

Vielleicht sollte er sich ins Auto setzen und eine Spritztour machen. Autofahren beruhigte ihn manchmal. Nein, da war ein Whisky zuviel. Aber ins Kino konnte er gehen. Das würde ihn ablenken.

Er fuhr in die Innenstadt, suchte nach einem Film mit möglichst viel Getöse.

Zwei Stunden später war ihm klar, daß Gedanken an eine einmal geliebte Ehefrau sich nicht mit kreischenderAction bekämpfen ließen.

Es war früher Abend, Passanten strömten durch die Straßen, bummelten an Schaufenstern vorbei, saßen vor Gaststätten, genossen ihren Feierabend und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne.

Bronski verspürte Durst. Er steuerte eine kleine Kneipe an, vor deren Tür vier Tische auf dem Bürgersteig standen.

Obwohl an einem der Tische noch zwei freie Stühle standen, betrat er die Kneipe, setzte sich an die Theke.

Er orderte einen eiskalten doppelten Aquavit, ein großes Bier sowie ein Schinkenbrot mit Spiegeleiern. Dann zündete er sich eine Chesterfield an.

„Man kriegt ja kaum noch sein Glas an den Mund.“ Der Bursche neben Bronski wand sich, um an Raum zu gewinnen, stieß ihm in die Seite.

„Entschuldigung.“

„Macht nichts, es ist wirklich voll geworden.“

Bronski umklammerte sein Glas, so daß es nicht umgestoßen werden konnte. Die Kühle des fortgeschrittenen Abends trieb die Leute in Qualm und Wärme des engen Raumes.

Sein Nachbar, ein kleiner, quirliger Mann mittleren Alters, sah Bronski mit pfiffigen Augen an. Scheinbar fühlte er sich wohl in diesem Gedränge, suchte das Gespräch.

„Ich habe Sie hier noch nie gesehen. Ich bin fast jeden Abend hier. Arbeite um die Ecke im Kaufhaus, in der Gardinenabteilung.“

Neugierig musterte er Bronski, versuchte ihn einzustufen.

Amüsiert betrachtete Bronski den Mann. Wohl ein kleiner Wichtigtuer, der gern ein Schwätzchen hielt. Nun, warum nicht, vielleicht konnte der ihn etwas aufheitern, seine lästigen Gedanken vertreiben.

„Sie sind nicht von hier?“

„Doch schon, ich wohne und arbeite nur in einem anderen Stadtteil.“

Bronski sagte es mit einem Unterton, der keine weiteren Fragen mehr zuließ. Der andere verstand, räusperte sich.

„Trinken Sie einen mit?“

„Gern. Bourbon.“

Der Mann gab die Bestellung auf, wandte sich dann wieder an Bronski.

„Ich will heute abend noch auf eine Party.“

Er sprach leise, fast im Flüsterton, sah Bronski geheimnisvoll an.

„Na, hoffentlich bringt’s Spaß.“

Bronski tat, als bemerkte er das seltsame Verhalten seines Nebenmannes nicht, wollte ihn aus der Reserve locken.

Sollte er doch sein kleines Vergnügen haben.

„O ja, das wird es. Ist ja schließlich keine Allerweltsparty.“

Wieder dieser geheimnisvolle Blick.

„Nun machen Sie mich aber neugierig.“

Bronski grinste. Er nahm sein Glas, stieß mit dem Kleinen an.

„Ich könnte es Ihnen ja erzählen, aber noch besser wär’s, Sie kämen mit.“

Erwartungsvoll sah er Bronski an, ermunterte ihn mit einem Lächeln.

„Sind Sie sicher, daß der Gastgeber keine Einwände haben wird?“

„Ganz bestimmt nicht.“

Mit dem Brustton absoluter Überzeugung kamen diese Worte aus seinem Mund.

„Nun gut, dann lassen wir uns mal überraschen.“ Sichtlich erfreut über die Zusage reichte ihm sein Nachbar die Hand.

„Schlag ein. Ich heiße Dieter.“

„Paul.“

Bronski drückte ihm kurz die Hand, eine warme, feuchte Hand.

„Du wirst sehen, wir werden unseren Spaß haben. Bevor wir starten, sollten wir aber noch einen trinken.“

Mit einem zweideutigen Blick betrachtete er Bronski von der Seite. Doch dieser bemerkte es nicht. Abwesend starrte Bronski in sein Glas. Wieder kroch diese eigenartige Stimmung in ihm hoch, umklammerte ihn wie eine Schlange ihr Opfer. Ein Gefühl der Sinnlosigkeit und Verlorenheit breitete sich in ihm aus, um allmählich überzugehen in ein Gefühl innerer Leere.

„Woran denkst du?“

Dieter nahm die Anspannung in Bronskis Gesicht wahr, befürchtete, sein neuer Freund könnte es sich wieder anders überlegt haben. Er zupfte an Bronskis Ärmel, holte ihn in die Wirklichkeit zurück.

„Nichts Bestimmtes.“

Bronski hob sein Glas, leerte es in einem Zug.

*

Der Taxifahrer hielt in einer kleinen Nebenstraße. Dieter lotste Bronski durch einen Torbogen über einen Innenhof. Viel konnte Bronski nicht erkennen. Es war fast Mitternacht, und die meisten Lichter hinter den Fenstern waren erloschen.

Laute Musikfetzen drangen schon im Treppenhaus an ihre Ohren.

Sie stiegen über knarrende Stufen in den dritten Stock. Dieter drückte auf den Klingelknopf. Bronski wurde schon ungeduldig, als endlich die Tür geöffnet wurde. Höllenlärm ließ ihn einen Schritt zurücktreten.

„Oh, Dieter!“ Die Figur sprach den Namen französisch aus: Dietäär! „Daß du doch noch kommst, und deinen Ritter hast du gleich mitgebracht?“

Ungeniert musterte er Bronski, spitzte die Lippen und rieb sich wie in stiller Vorfreude die Hände.

„Paul, das ist Lilian, ein alter Freund.“

„So, so, ein alter Freund.“

Bronski grinste. Lilian trug schwarze Netzstrümpfe, schwarzes Netzhemd und grüne Pumps. Um die Hüften wand sich ein Mini aus bunten Federn. Durch sein weißgefärbtes Igelhaar zog sich ein lila Streifen. Auch die starke Schminke im Gesicht verbarg nicht, daß seine besten Jahre der Vergangenheit angehörten.

Bronski spürte ehrliche Herzlichkeit hinter diesem Clownsgesicht.

„Du wirst dich hoffentlich bei uns wohlfühlen. Stramme Kämpen sind uns immer willkommen.“

Sie traten ein, Lilian schloß die Tür. Er warf Bronski einen vielsagenden Blick zu.

„Zieht euch um, wenn ihr Lust habt. Dieter, du weißt ja, wo alles hängt. Wir sehen uns nachher.“

Damit verschwand er im Getümmel.

„Was meint er damit? Umziehen?“

„Na ja, umziehen eben. Lockerer, lustiger, luftiger. Da vorn im Zimmer ist ein Schrank, da kannst du dir die passende Kluft aussuchen. Lack, Leder, Netz, Dessous, was das lüsterne Herz begehrt. Ich sagte dir doch, das ist keine Allerweltsparty.“

In geiler Vorfreude tippelte er Richtung Umkleideraum davon. Nachdem sich Bronskis Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, sah er sich um. Er befand sich hier in einer riesigen Altbauwohnung. Girlanden zogen sich durch die Räume. Schnüre waren gespannt, an denen Lampions und bunte Birnen hingen. Es roch nach Qualm, vergossenem Alkohol und billigem Parfüm.

Aus jedem Zimmer dröhnte andere Musik, übertönte das Stimmengewirr der feiernden Leute. Es herrschte eine Stimmung wie in einem Festzelt.

Silvester und Tuntenball in einem. Zu feiern verstanden die Brüder ja, das mußte man ihnen lassen, Lebensfreude wurde groß geschrieben. Bronski mußte lächeln. Wollen mal sehen, ob es hier was zu trinken gibt.

Helles Licht fiel aus der zweiten Tür links. Bronski vermutete dort die Küche. Auf dem Weg dorthin stolperte er über am Boden liegende Paare, die sich keuchend und küssend aneinander rieben. Vertieft in ihre Aktionen, konnte sie nichts stören. Auch in der Küche saß auf dem einzig vorhandenen Stuhl eng umschlungen ein knutschendes Pärchen in rotem Lack und kniehohen schwarzen Stiefeln.

Bronski warf einen Blick in die Runde, erspähte in der Ecke neben dem Kühlschrank einen Karton mit Weinflaschen.

Er angelte sich eine heraus, öffnete sie mit einem auf dem Tisch liegenden Korkenzieher. Glas oder Becher waren nirgends zu entdecken.

Soll mir auch recht sein, brummte er und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche.

„Bist du versorgt?“

Bronski sah über die Schulter. In der Tür stand Dieter. Sein kleiner, rundlicher Körper steckte in schwarzem Ledergeschirr, das sich über der Brust kreuzte und mit Nieten beschlagen war. An seinen Füßen trug er Riemchensandalen, ähnlich denen von römischen Gladiatoren. In der linken Hand hielt er eine kurze Peitsche.

„Siehst ja gewaltig aus, Dieter. Was so’n bißchen Leder doch aus einem Kerl machen kann.“

Mit ernster Miene nickte Bronski anerkennend.

„Find ich auch. Ist schon ’ne dolle Sache. Wird Oskar sicher gefallen.“

Dieter reckte das Kinn, strich sich über die Brust.

„Wer ist Oskar? Dein Liebster?“

Bronski klemmte sich eine Chesterfield zwischen die Lippen, bot Dieter eine an.

„Ich rauche nicht.“ Dankend wehrte er ab.

„Oskar gehört die Wohnung. Er hat heute Geburtstag. Ist 60 geworden. Deshalb die Riesenfete. Du wirst ihn später sicher noch kennenlernen. Er wird gerade gestöpselt. Seine letzten drei Lover sind bei ihm. Süße Bengelchen. Oskar ist wirklich zu beneiden.“

Dieters Gesichtsausdruck verklärte sich. Entrückt verdrehte er die Augen.

„Ich wünschte, ich wäre an seiner Stelle.“

„Kann ja alles noch kommen. Vielleicht leiht er sie dir nachher.“

Bronski rülpste. Sein angetrunkener Zustand ließ ihn etwas die Kontrolle verlieren.

„Ich möchte ja zu gerne mal wieder mit Oskar vögeln. Es ist schon so lange her. Früher haben wir uns gut verstanden. Und jetzt? Je älter er wird, um so jünger werden seine Knaben. Dieser Lustmolch! Manchmal möchte ich ihm die Eier abbeißen.“

Abrupt drehte er sich um, zwängte sich in die Menge. Hinter sich hörte Bronski keuchendes Atmen. Die beiden auf dem Stuhl wurden immer hektischer. Mit hastigen Bewegungen zerrte einer die enganliegenden Lackhosen des anderen herunter. Der befreite Penis schnellte in die Höhe. Gierig griff der erste nach diesem prallen Stück, schob es sich in den Mund. Mit einem zufriedenen Seufzer lehnte sich der zweite zurück. Es erregte Bronski, den beiden zuzusehen, das geile Schmatzen und Stöhnen zu hören.

Die Gäste auf dem Flur scherzten und lachten. Kaum einer warf einen Blick in die Küche. Warum auch? Schließlich verlief alles normal.

Bronski wußte nicht, sollte ihn diese Art Selbstverständlichkeit abstoßen oder erregen. Gleichgültig ließ sie ihn jedenfalls nicht.

Nach einem letzten Blick auf das sich verlustierende Pärchen bahnte er sich einen Weg Richtung Wohnzimmer. Auch hier in diesem großen Raum spannten sich Girlanden und Schnüre mit buntbemalten Glühbirnen von Wand zu Wand. Eine halbgeöffnete Schiebetür führte ins angrenzende Eßzimmer. Im riesigen Wohnraum standen teure Antiquitäten auf hellem Parkettboden. Die Bilder an den Wänden entsprachen zwar nicht Bronskis Geschmack, hatten aber bestimmt ihren Preis.

„Na ja, wer’s abstrakt und knallig liebt“, brummte Bronski und lehnte sich an die Wand neben der Tür. Tanzende Pärchen bewegten sich zur Musik der fünfziger und sechziger Jahre. Nicht jeder der hier Anwesenden hatte sich in Oskars Kleiderkammer bedient. Neben Bronski standen zwei Yuppie-Typen, die in ihren weißen Hemden und den dezenten Krawatten gerade der Börse entsprungen schienen. Auf einer breiten Ledercouch saßen vier Männer in Anzügen, vertieft in ein Gespräch. Einer hatte nachlässig seinen Arm um einen halbnackten Jüngling gelegt, der ihm allem Anschein nach eine neue Bügelfalte verpassen wollte, so eifrig ließ er seine Hand über den Oberschenkel des Herrn gleiten.

Wer keinen Stuhl ergattert hatte, saß auf einem der herumliegenden Kissen.

An der gegenüberliegenden Wand entdeckte Bronski Dieter. Er schien sich sichtlich wohlzufühlen in den Armen eines jungen Mannes mit Irokesenschnitt und Sonnenbrille. Dieters eine Hand war hinter dem Bund der gelben Pluderhose seines Partners verschwunden.

„Richtig gute Stimmung hier, nicht wahr?“