Brumbauer oder die Grenzen der Justiz - Toni Wutz - E-Book

Brumbauer oder die Grenzen der Justiz E-Book

Toni Wutz

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Beschreibung

Staatsanwältin Claudia Robler grübelt über ihrem neuen Fall. Ein bekannter Manager aus der Medienbranche soll einen Richter bestochen haben. Hauptzeuge der Geldübergabe ist der Immobilienmakler und Kunstsammler Josef Brumbauer, der das Geld im Auftrag des Richters entgegengenommen haben will und dafür auch weitere Zeugen anbietet. Schnell kommen Robler und Kriminalhauptkommissar Florian Feilner Zweifel an der Glaubwürdigkeit Josef Brumbauers, der mehrere Personen aus seinem Umfeld mit dubiosen Zivilprozessen überzogen hat und zum Beweis für seine Forderungen im wesentlichen dieselben Zeugen wie für die Geldübergabe benennt. Die Ermittler wollen Josef Brumbauer bei einer Vernehmung auf den Zahn fühlen, doch da geschieht Unvorhergesehenes.

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Beim Ausräumen ihres Dienstzimmers anlässlich ihrer bevorstehenden Pensionierung im Jahr 2015 stößt die Vizepräsidentin des Amtsgerichts München, Claudia Robler, auf Unterlagen über ein Verfahren aus ihrer Zeit als Staatsanwältin. Die Zentralfigur des Verfahrens aus dem Jahr 1994 ist der Immobilienhändler und Kunstsammler Josef Brumbauer, der 1994 für einen erheblichen Betrag an die Firma MediaStar AG eine Geschichte aus dem Jahr 1991 verkauft. Er behauptet, im Juli 1991 von dem Vorstandsvorsitzenden der Firma SearchTV AG, die in einem erbitterten Konkurrenzkampf mit der Firma MediaStar AG steht, in dem Hotel Laurin in Bozen ein für einen Münchner Richter bestimmtes Bestechungsgeld entgegengenommen und an Kuchler weitergeleitet zu haben. Die Ermittler stoßen zunächst auf ein bereits im Haus anhängiges Verfahren gegen Josef Brumbauer. Ihm wird dort vorgeworfen, mit falschen Zeugenaussagen und gefälschten Dokumenten Personen aus seinem Umfeld mit Zivilprozessen überzogen zu haben. Gespannt sehen die Ermittler der Vernehmung Brumbauers entgegen.

Der Autor (Toni Wutz ist ein Pseudonym) ist 1948 in München geboren und lebt dort. Nach Abschluss des juristischen Studiums war er bis zu seiner Pensionierung als Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München in verschiedenen Funktionen bei der Münchner Justiz tätig, darunter etliche Jahre als Staatsanwalt.

Es ist das Anliegen des Autors, mit diesem, einem tatsächlichen Geschehen nachempfundenen Roman aufzuzeigen, wie schwer es für Richter und Ermittler ist, Zeugenaussagen zutreffend zu bewerten, aber auch, wie leicht es ist, ein Gedächtnis zu manipulieren. Vor allem Zivilrichter, denen keine polizeilichen Ermittlungen und Spurenberichte zur Verfügung stehen, haben große Probleme, geschickt eingefädelte Prozessbetrügereien aufzudecken.

Inhaltsverzeichnis

PROLOG: Oktober 2018

1994

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

KAPITEL 35

KAPITEL 36

KAPITEL 37

KAPITEL 38

KAPITEL 39

KAPITEL 40

EPILOG 1: OKTOBER 2018

EPILOG 2: JUNI 1995

NACHWORT

PROLOG

Oktober 2018

Claudia Robler stand in ihrem Dienstzimmer im Gebäude des Amtsgerichts München vor dem großen Einbauschrank, der sich über die ganze Westseite des großen Zimmers erstreckte. Nach sechs Jahren als Vizepräsidentin dieses Gerichts näherte sich nun der Tag ihrer Pensionierung. Sie ließ ihren Blick über die zahlreichen Fächer und Regale des Schrankes wandern und erschrak zum wiederholten Male über die Fülle des Materials, das sich dort angesammelt hatte. Während der ebenfalls große Einbauschrank an der Nordseite ausschließlich Akten, Broschüren und Bücher enthielt, die ihr Nachfolger übernehmen würde, war in dem Schrank an der Westseite alles Mögliche gelagert, das nun gesichtet und größtenteils entsorgt werden musste. Neben juristischen Büchern und Zeitschriften, die sich Robler selbst angeschafft hatte, befanden sich in den Fächern Dinge wie Kaffeetassen, Weingläser, Kuchenteller, ein alter Wasserkocher und vor allem eine Vielzahl von Ordnern und Umschlägen mit Schriftstücken, welche aus ihren verschiedenen Tätigkeiten bei der Justiz stammten. Außer mehreren Stapeln von gerichtlichen Entscheidungen, die im Rahmen ihrer Arbeit von Bedeutung gewesen waren, gab es Ablichtungen von Schreiben, Protokollen oder Aktenbestandteilen, die Robler für interessant oder für witzig gehalten hatte.

Sie war sich bewusst, dass der Großteil des Schrankinhalts in den Müll wandern müsste. Bei den Ablichtungen der gerichtlichen Entscheidungen fiel die Entscheidung leicht. Kein Mensch hatte Interesse an alten Entscheidungen, die meist längst überholt waren und heutzutage problemlos über das Internet abgerufen werden konnten. Robler wusste zwar um ihre nicht besonders ausgeprägte Fähigkeit, sich von Dingen zu trennen, die einmal wichtig gewesen waren. Beim Betrachten des Schrankinhalts fragte sie sich jedoch schon, welcher Teufel sie geritten hatte, eine solche Menge an Papier anzusammeln und dann auch noch bei ihren verschiedenen Umzügen innerhalb der Justiz mitzuschleppen. Wahllos zog sie aus einem der Stapel mit Urteilsablichtungen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1990 hervor. Kopfschüttelnd las sie die Überschrift der Entscheidung, die eine Rechtsfrage betraf, die längst obsolet geworden war, da es den betreffenden Paragraphen schlichtweg nicht mehr gab. Robler hatte nicht mehr die geringste Ahnung, warum und für welches Verfahren sie sich damals diese Ablichtung gemacht hatte. Sie langte sich an den Kopf und warf das Schriftstück in den Papierkorb. Seufzend holte sie sich einen der blauen Müllsäcke, die sie von zuhause mitgebracht hatte. Finster entschlossen, an alte Entscheidungen keine Gedanken mehr zu verschwenden, ließ sie einen Stapel nach dem anderen ungeprüft in dem Sack verschwinden. Als ihr klar wurde, dass der Sack nicht nur nicht ausreichen, sondern für einen Transport zu schwer werden würde, holte sie zwei weitere Säcke. Leise vor sich hin schimpfend packte sie einen Teil der Schriftstücke aus dem ersten Sack in den nächsten um. Nach Befüllen des dritten Sackes betrachtete Robler zufrieden die durch diese Aktion geleerten Schrankfächer.

Das Läuten ihres Telefons unterbrach ihre Gedankengänge. Dankbar für die Ablenkung setzte sie sich an ihren Schreibtisch und nahm den Hörer ab. Nach Beendigung des Gesprächs richtete sie ihren Blick widerwillig erneut auf den Schrank und überlegte, welche Geheimnisse er noch bergen würde. Sie wusste, dass einer der Ordner prall gefüllt war mit Ablichtungen von Schreiben, die sie von Querulanten erhalten und besonders amüsant gefunden hatte. Diese Sammlung durchzusehen, würde sicher Spaß machen. Andere Ordner oder Mappen enthielten Ablichtungen von Verfügungen oder Urteilen aus ihrer Feder. Da die Namen der Verfahrensbeteiligten geschwärzt werden mussten, wenn sie Schriftstücke nach Hause mitnehmen wollte, würde dies einen erheblichen Arbeitsaufwand erfordern. Dazu hatte sie weder Zeit noch Lust. Robler seufzte bei dem Gedanken, Vorgänge in den Papierkorb werfen zu müssen, in die sie besonders viel Arbeit investiert hatte.

Das Nachdenken über den Schrankinhalt führte dazu, dass sie die Stationen ihres Berufslebens vor ihrem geistigen Auge vorbeiziehen ließ. Begonnen hatte alles bei der Staatsanwaltschaft München I. Nach insgesamt vier Jahren war sie zur Richterin am Amtsgericht München ernannt worden, wo sie einige Jahre teils in der Abteilung für allgemeine streitige Zivilsachen und beim Jugendgericht verbracht hatte. Anschließend hatte man sie als Staatsanwältin als Gruppenleiterin erneut zur Staatsanwaltschaft München I berufen. Nach ihrer Beförderung zum Oberlandesgericht

München hatte sie dort in zwei verschiedenen Zivilsenaten gearbeitet, bis sie schließlich nach erneuter Beförderung Vizepräsidentin des Amtsgerichts München geworden war.

Durch ein Klopfen an der Türe wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Es war ihre Vorzimmerdame Helga Durst, die ihr die Unterschriftsmappe brachte. Mit einem amüsierten Blick auf die Müllsäcke und den offenstehenden Schrank fragte sie Robler, ob sie Hilfe gebrauchen könne. Robler hatte gerade nicht die geringste Lust auf einen Schwatz, verneinte in einem unwirschen Ton die Frage und wendete sich demonstrativ der Unterschriftenmappe zu. Als sie darin einen Vorgang erblickte, der Zeit in Anspruch nehmen würde, war sie richtiggehend erleichtert. Der mit der Erledigung dieses Vorgangs verbundene Zeitaufwand würde es ihr verbieten, sich heute noch mit dem Schrank und seinem Inhalt zu beschäftigen.

Als sie am nächsten Tag in ihr Büro kam, würdigte sie zunächst den Schrank keines Blickes und widmete sich konzentriert der Tagesarbeit. Nach dem Mittagessen sah sie, dass keine neuen Vorgänge auf ihrem Schreibtisch lagen. Sie wusste, dass der Amtsgerichtspräsident dem Vorzimmer den Auftrag gegeben hatte, ihr nur mehr die notwendigsten Dinge vorzulegen, um seiner Vizepräsidentin Gelegenheit zu geben, ihre Aufräumarbeiten voranzubringen. Mit einem finsteren Blick musterte sie den Schrank und war sich im Moment nicht im Klaren, ob sie dieses Entgegenkommen des Präsidenten gut finden solle. Mit einem leisen Fluch gab sie sich einen Ruck, erhob sich aus ihrem Schreibtischsessel, ging auf den Schrank zu und riss die Türen auf. Sie war sich unschlüssig, wie sie vorgehen sollte. Schließlich fasste sie sich ein Herz und griff sich einen Ordner, der mit dem Namen „Wildfang“ bezeichnet war. Sie erinnerte sich, dass der Fall „Wildfang“ einen Wirtschaftsbetrüger dieses Namens betraf. Lange hatte sie darauf hingearbeitet, bis sie ein Ermittlungsergebnis erzielt hatte, das zu einer Anklageschrift ausreichte. Sie öffnete den Ordner und blätterte lustlos in den vielen Seiten. Schnell war sie sich darüber im Klaren, dass dieser Fall und die ihn betreffenden Unterlagen für sie heute ohne jedes Interesse sein würden. Ohne jedes Bedauern warf sie den gesamten Ordner in einen der bereitgestellten Müllsäcke. Der nächste Ordner war unbeschriftet. Als Robler ihn aufschlug, wusste sie zunächst überhaupt nicht, was dessen Inhalt mit ihr zu tun hatte. Erst nach längerer Durchsicht dämmerte ihr, welches Verfahren er betraf. Sie schüttelte ärgerlich den Kopf und stellte sich die Frage, weshalb sie diese Unterlagen überhaupt aufgehoben hatte. Auch dieser Ordner wanderte in den Müllsack.

Als nächstes fiel ihr Auge auf zwei vielseitige, geheftete Konvolute. Neugierig nahm sie die beiden Bände in die Hand. Als sie auf die Beschriftung des ersten Bandes sah, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Auf der ersten Seite prangte in Großbuchstaben in ihrer Handschrift ein Wort: „Brumbauer“. Das gleiche stand auf dem zweiten Band. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, sie hatte nicht mehr gewusst, dass sie Unterlagen über dieses Verfahren, das sie in ihrer Zeit als Staatsanwältin als Gruppenleiterin so gefesselt hatte wie kein anderes, tatsächlich aufgehoben hatte. Die im Laufe ihrer langwierigen Ermittlungen gewonnenen Erfahrungen und Kenntnisse waren für ihre weitere Berufslaufbahn sehr hilfreich gewesen Fasziniert ging sie mit den Ordnern zu ihrem Schreibtisch, ließ sich in ihren Sessel fallen und begann zu lesen. Claudia Robler versank förmlich in die Geschehnisse der Jahre 1994/1995.

1994

KAPITEL 1

Josef Brumbauer saß im Arbeitszimmer seines Hauses am Schreibtisch und blickte aus dem großen, gekippten Fenster. Das Zimmer lag im zweiten Stock und man hatte durch eine Lücke im südlich des Hauses gelegenen Wald einen kleinen Durchblick bis zu den Alpen. Die Luft war klar, es herrschte Fön. Die noch schneebedeckten Gipfel der Berge glänzten in der Frühlingssonne. Es hatte an Ostern nicht unerheblich geschneit und in den höheren Gebieten liefen noch einige Skilifte. Auch der Blick in den Garten war nicht zu verachten, wenn man sorgfältig und etwas steril angelegte Gärten mochte, denen man die Hand des professionellen Gärtners unschwer ansehen konnte. Hier war der Frühling bereits eingezogen. Der gepflegte Rasen glänzte in einem satten Grün; die Ränder zu den Beeten wiesen exakte Schnittkanten auf. Die Pflanzung bestand aus verschiedenen Büschen. Hartriegel, Rhododendron und Hortensien waren vertreten, dazwischen standen jeweils korrekt in Kreisen gepflanzte Tulpen, von denen einige bereits voll erblüht waren und dem etwas düsteren Erscheinungsbild des Gartens einen freundlichen Anstrich gaben. Brumbauers Frau hatte auf der Pflanzung der Tulpen und auch von wenigen Rosenstöcken bestanden. Es gab ferner ein Beet für Nutzpflanzen, um das sich seine Frau selbst kümmerte. Sie pflanzte dort Tomaten, Gurken und Auberginen, sowie jedes Jahr eine neue Pflanzensorte, von ihr selbst ausgesucht.

Er selbst schenkte dem Garten kaum Aufmerksamkeit. Brumbauer legte nur Wert darauf, dass er möglichst wenig arbeitsintensiv bepflanzt wurde. Jede Form der Gartenarbeit war ihm verhasst, allein der Gedanke an Rasenmähen verursachte ihm Kreuzschmerzen. Er hatte auch nicht sehr viel Freude daran, sich auf einem der bequemen Liegestühle niederzulassen, welche seine Frau sowohl auf der großen, sonnigen Terrasse als auch in einem schattigen Eck aufgestellt hatte. Brumbauer beschlich immer das Gefühl, etwas zu versäumen, wenn er sich tatsächlich einmal von seiner Frau überreden ließ, sich in einen Liegestuhl zu legen.

Das Interesse Brumbauers galt indessen weder dem Garten noch den fernen Bergen. Er war in Gedanken versunken und dachte intensiv über sein neues Projekt nach. Er war sich nicht sicher, ob er sich damit nicht übernehmen würde. Bisher hatte er es bei seinen Unternehmungen vermieden, Personen einzubeziehen, die nicht aus seinem Umfeld stammten und die er daher nicht zuverlässig einschätzen konnte. Den Vorsitzenden Richter am Landgericht München I Leo Kuchler kannte er persönlich, zudem hatte er sich über ihn sehr eingehend informiert. Marco Firnmüller, der Mann aus der Medienbranche, gehörte indes nicht zu diesem Personenkreis. Nach seinen persönlichen Erfahrungen mit Leo Kuchler war dieser ein ungemein eitler Mensch, skrupellos und mit einer erheblichen Bauernschläue ausgestattet. Alles was er über ihn gelesen und gehört hatte, beeindruckte eine Person wie Josef Brumbauer, der sich nach eigener Einschätzung vor niemand verstecken musste, nicht sonderlich. Brumbauer glaubte, Parallelen zwischen seiner Vita und der von Kuchler entdeckt zu haben. Beide entstammten kleinen Verhältnissen und hatten nunmehr eine beeindruckende Erfolgsbilanz aufzuweisen. Dass Kuchler in vergleichsweisen jungen Jahren zum Vorsitzenden Richter am Landgericht befördert worden war und gleichzeitig Karriere als Richter in einer bekannten Fernsehserie mit einem breiten Publikum gemacht hatte, störte Brumbauer bei seinem Vergleich wenig.

Die Selbsteinschätzung Brumbauers beruhte vielmehr auf der Erkenntnis, dass er selbst es trotz seiner ärmlichen Herkunft zu einem durchaus beträchtlichen Vermögen gebracht hatte, das allerdings hauptsächlich aus dem Anwesen in dem kleinen Ort mit dem seltsamen Namen Wenigmünchen in der Nähe von Dachau bei München und einer Wohnung in Neumarkt in Südtirol sowie Antiquitäten und Gemälden bestand. Soweit er diese nicht in seinem Haus in Wenigmünchen oder der Wohnung in Südtirol aufbewahrt hatte, waren sie in einem unscheinbaren, jedoch gut gesicherten Schuppen in der Nähe von Neumarkt gelagert, der einem Freund gehörte. Dass es mit seiner Liquidität immer wieder mal nicht zum Besten stand, empfand Josef Brumbauer zwar als durchaus lästig, jedoch weder als besonders unangenehm noch gar als wirklich bedrohlich. Bisher war ihm noch immer etwas eingefallen, um größere Beträge zu vereinnahmen, die nicht nur den Lebensunterhalt, sondern auch weitere geschäftliche Aktivitäten sicherten.

Derzeit benötigte er allerdings sehr dringend einen größeren Geldzufluss, sonst würde er doch noch gezwungen sein, einen seiner Kunstschätze zu verkaufen – eine Vorstellung, die bei Brumbauer nicht nur Unbehagen, sondern nacktes Entsetzen auslöste. Die Grundstückgeschäfte der letzten zwei Jahre hatten bei weitem nicht das eingebracht, was er sich vorgestellt hatte. Erstmals war es ihm nicht gelungen, die erworbenen Grundstücke wirklich gewinnbringend weiter zu veräußern. Er musste sich eingestehen, dass er sich in einer Weise verkalkuliert hatte, wie er es nicht für möglich gehalten hatte. Auch traute Brumbauer seiner Gesundheit nicht über den Weg. Er hatte seit geraumer Zeit mit immer wieder auftretenden Herzbeschwerden zu kämpfen und befand sich deswegen in steter ärztlicher Behandlung. Vor Jahren hatte er einen Herzinfarkt erlitten. An die Zeit im Krankenhaus und der Reha dachte er nur mit Grausen zurück. Sein Arzt Dr. Wunschel hielt ihm immer wieder vor, dass er sich schonen müsse. Da die Beschwerden in jüngster Zeit abgenommen hatten, hatte er weitgehend alle Warnungen in den Wind geschlagen.

Die Antiquitäten, die er in letzter Zeit verkauft hatte, waren ausschließlich solche gewesen, die bereits mit Verkaufsabsicht gekauft worden waren; auch da waren allerdings die Gewinne nicht so gewesen, wie er sich das vorgestellt hatte. Es war ihm immer noch ein Rätsel, dass insbesondere ein Gemälde des englischen Malers Turner, in dessen Weiterverkauf er große Erwartungen gesetzt hatte, nur einen Bruchteil des als sicher angenommenen Gewinns gebracht hatte. Brumbauer wusste sehr wohl, dass er mit dem Verkauf eines oder mehrerer Bilder aus seiner Sammlung seinen Liquiditätsengpass auf einen Schlag beseitigen konnte. Dies war ihm bereits früher mehrfach gelungen. Den Gedanken an weitere Verkäufe wies Brumbauer allerdings gedanklich als absurd zurück. Von noch mehr Gemälden würde er sich keinesfalls trennen können.

Bei seinen Überlegungen war ihm weiter klar geworden, dass auch aus seinen laufenden Rechtsstreitigkeiten in absehbarer Zeit kein Geld zu erwarten sein würde. Die von ihm angestrengten Zivilprozesse zogen sich länger hin, als er gedacht hatte. Zudem musste er sich widerwillig eingestehen, keineswegs sicher sein zu können, aus den noch anhängigen Rechtsstreitigkeiten als Sieger hervorzugehen. Die Masche Brumbauers bestand darin, ihm bekannte Personen mit Klagen auf Rückzahlung von Darlehen oder Zahlung von Kaufpreisforderungen zu überziehen, obwohl weder tatsächlich existierende Darlehens– oder Kaufverträge zugrunde lagen. In der Regel trat er die nichtexistierende Forderung an einen Strohmann ab, der letztlich als Kläger auftrat. So konnte er selbst als Zeuge aussagen. In dieser Rolle fand er sich großartig. Seine Strategie, mit gefälschten Urkunden und von ihm präparierten Zeugen zu arbeiten, die seine eigene Version jeweils bestätigten, hielt er für eigentlich totsicher.

Die nicht ernsthaft einkalkulierte Niederlage in der zweiten Instanz im Prozess gegen Kurt Meierhofer gab ihm jedoch zu denken, zumal den schriftlichen Urteilsgründen des Oberlandesgerichts sehr deutlich zu entnehmen war, dass das Gericht seinen Aussagen nicht sonderlich viel Glauben geschenkt hatte. Auch an der Glaubwürdigkeit der von Brumbauer benannten Zeugen hatte der Senat nicht unerhebliche Zweifel angemeldet. Jedenfalls war das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Existenz der eingeklagten Forderung nicht nachgewiesen sei. Wenn sich das bei den anderen Senaten des Oberlandesgerichts und den Kammern der Landgerichte herumsprach, würde er wohl auch in den dort anhängigen Prozessen Probleme bekommen. Seine Prozessgegner und deren Anwälte schätzte er allgemein als nicht sonderlich gefährlich ein, Kurt Meierhofer hatte sich allerdings als unerwartet harter Gegner erwiesen. Er war sich zudem nicht sicher, ob Meierhofer nach dem Prozessgewinn Ruhe geben würde. Inzwischen traute er ihm durchaus zu, dass er so einiges unternehmen würde, um ihm zu schaden. Der hasserfüllte Blick, mit dem Meierhofer ihn bei Verlassen des Gerichtssaals bedacht hatte, hatte ihn erschreckt und ihm zu denken gegeben. Brumbauer gestand sich ein, dass er Meierhofer vielleicht doch zu hart angegangen hatte und einer Fehleinschätzung seiner Person erlegen war. Er hatte den Bauernsohn eher für ein Weichei gehalten, das er locker über den Tisch ziehen würde. Weder hatte er mit der Hartnäckigkeit Meierhofers noch mit dem Geschick von dessen Anwalt gerechnet, dem es gelungen war, Brumbauer als Zeuge in Widersprüche zu verwickeln.

Brumbauer seufzte, er konnte es drehen wie er wollte, die Geschichte mit Leo Kuchler und dem Medienmenschen Firnmüller musste er einfach durchziehen. Mit dem Verkauf dieser Geschichte an die MediaStar AG war er schon zu weit gegangen, um nun so ohne weiteres einen Rückzieher machen zu können. Schließlich hatte er von den vereinbarten 500.000 DM bereits die Hälfte kassiert und die Leute von der MediaStar machten zunehmend Druck. Dass diese eine schriftliche Version seiner Story verlangt hatten, fand er gar nicht gut. Er wusste, dass die schriftliche Darstellung nicht unbedingt seine Stärke war. Die Überlegung, Rechtsanwalt Altmeier, der ihn in allen bisherigen Zivilprozessen vertreten hatte, einzuschalten, damit dieser den Text überarbeite, hatte er wieder verworfen. Brumbauer brauchte Altmeier noch unbedingt für die laufenden Prozesse; der Anwalt hatte ihm aber unmissverständlich klargemacht, dass seine Loyalität Grenzen hätte und er nicht bereit sei, seine Zulassung aufs Spiel zu setzen. Obwohl Altmeier ihm noch nie Vorhaltungen gemacht hatte, nahm er an, dass dieser sehr wohl der Meinung war, dass die Prozesse, die er für Brumbauer führte, zumindest teilweise reine Prozessbetrügereien waren. Leute wie Kuchler und Firnmüller würde Altmeier sich nie zu Feinden machen, dafür war er viel zu vorsichtig. Brumbauer kam noch zu keinem Ergebnis. Er würde den Bericht jedenfalls jetzt fertig schreiben und danach eine endgültige Entscheidung fällen.

Brumbauer warf noch einen Blick auf seine Frau, die mittlerweile den Garten betreten hatte und vor den Tulpen stand. Abrupt schaltete er seinen PC ein. Ungeduldig wartete er, bis sich das Gerät hochgefahren hatte und er die Datei mit dem Titel „Kuchler und Firnmüller“ öffnen konnte. Er las die geschriebenen Zeilen zum wiederholten Male durch und fand zu seiner Ruhe und Zuversicht zurück: Die Geschichte musste sich einfach vermarkten lassen!

KAPITEL 2

Claudia Robler saß in ihrem Dienstzimmer im 7. Stock der Staatsanwaltschaft München I, Südseite, direkt unter dem Flachdach. Es war Mitte Mai und eine für diese Jahreszeit völlig ungewöhnliche Hitzewelle hielt die Stadt bereits seit zehn Tagen fest im Griff. Obwohl sie alle Fenster geöffnet hatte, war es unerträglich heiß in diesem Zimmer. Claudia Robler mochte eigentlich die Wärme und vertrug auch höhere Temperaturen normalerweise sehr gut. Aber diese Hitze war auch ihr zu viel. Es war 10 Uhr morgens und es war zu befürchten, dass es heute genauso heiß werden würde wie gestern. Victor Fuchs, ihr Mann von der Geschäftsstelle, der sie jeden Tag mit Akten versorgte, besaß einen Thermometer. Gestern hatte das Gerät nachmittags um 15 Uhr 33,8 Grad angezeigt. Fuchs war ein großer, immer leger und modern gekleideter junger Mann, der sehr viel Wert auf sein äußeres Erscheinungsbild legte. Am gestrigen Tag jedoch hatte er einen recht derangierten Eindruck gemacht. Der Schweiß war ihm auf der Stirn gestanden, die ebenfalls vom Schweiß herrührenden Flecken auf seinem leuchtend blauen Polohemd waren unübersehbar. Robler selbst hatte ein leichtes olivgrünes Leinenkleid ohne Ärmel an, das ihre sonnengebräunten, wohlgeformten Arme bestens zur Geltung brachte. Dass diese legere Bekleidung bei dem stockkonservativen Behördenleiter, den sie noch nie ohne Sakko und Krawatte gesehen hatte, auf Missbilligung stoßen würde, war ihr durchaus bewusst, aber auch völlig egal. Der verklemmte Typ, der kurz vor der Pensionierung stand, würde sich bestimmt nicht trauen, eine Kollegin auf ihre Kleidung anzusprechen.

Claudia Robler führte den Titel Staatsanwältin als Gruppenleiterin, den sie hasste. Das Amt war eine Art Vorstufe vor der Beförderung von der Besoldungsgruppe R 1 in die Besoldungsgruppe R 2, die Gruppenleiter bei der Staatsanwaltschaft erhielten eine nicht sonderlich ins Gewicht fallende Zulage zu ihrer R 1 Besoldung. Irgendwann in den siebziger Jahren war jemand im Justizministerium auf den Gedanken verfallen, die althergebrachten Titel zu ändern. Aus dem Amtsgerichtsrat und dem Landgerichtsrat war der Richter am Amtsgericht bzw. am Landgericht, aus dem Landgerichtsdirektor der Vorsitzende Richter am Landgericht und aus dem Senatspräsidenten am Oberlandesgericht der schlichte Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht geworden. Der frühere „Erste Staatsanwalt“ führte nunmehr den schnöden Titel „Staatsanwalt als Gruppenleiter“, die schöne Abkürzung „ESta“ war nunmehr zum „Grulei“ verkommen. Wenn Claudia Robler an ihre Gruppe dachte, die sie ja ihrem Titel entsprechend zu leiten hatte, konnte sie nur hohnlachen. Diese bestand nämlich zur Hälfte aus der Kollegin Wollschmidt im Nebenzimmer, die andere Hälfte gehörte dem Staatsanwalt als Gruppenleiter Wiesmüller, der das Referat für Auslandsangelegenheiten innehatte.

Die Staatsanwaltschaft München I ist eine riesige Behörde mit vielen Abteilungen. Staatsanwältin als Gruppenleiterin Robler gehörte der Abteilung 1b an, die ein Sammelsurium an Zuständigkeiten in sich vereinigte; zu ihr gehörten unter anderem die Referenten für Kapitaldelikte wie Mord und Totschlag, sowie die für Beamtendelikte zuständigen Staatsanwälte. Wie bei der bayerischen Justiz weitgehend üblich, hatte sie ihre Justiztätigkeit bei der Staatsanwaltschaft begonnen. Nach vier Jahren war sie zum Amtsgericht gewechselt, bevor sie zur Staatsanwältin als Gruppenleiterin befördert worden war.

Die Zuständigkeit ihres Referats war in der Geschäftsverteilung nicht fest umschrieben. In der Geschäftsverteilung hieß es schlicht für das Referat 131: „Verfahren nach Zuteilung durch den Abteilungsleiter oder den Behördenleiter“. In der Praxis bedeutete dies, dass ihr Verfahren von besonderer Bedeutung zugeteilt wurden, zudem Verfahren von überlasteten Referenten aus ihrer eigenen Abteilung und aus anderen Abteilungen im Hause.

Derzeit hatte sie sich unter anderem mit zwei Verfahren aus dem Bereich der Beamtendelikte herumzuschlagen, die ihr sehr unangenehm waren. In dem einen Verfahren bestand der Verdacht, dass Polizeibeamte am mittleren Ring in München bei Geschwindigkeitskontrollen in die eigene Tasche abkassiert hatten. Die Anklage war von dem Vorgänger ihrer Kollegin Wollschmidt erhoben worden und hatte zu einer Verurteilung der beiden Polizisten geführt. Nunmehr stand die Berufungsverhandlung an, in die sie als Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft eingeteilt war. In dem anderen Verfahren ging es ebenfalls um zwei Polizeibeamte. Drei Obdachlose hatten unabhängig voneinander Anzeigen erstattet, sie seien misshandelt worden und die Beamten hätten ihnen ihr Geld abgenommen.

Robler gehörte seit drei Jahren der Behörde als Staatsanwältin als Gruppenleiterin an, sie hoffte, in etwa einem Jahr befördert zu werden. Dann würde sie zweiundvierzig Jahre alt sein und wahrscheinlich ein Richteramt übernehmen können. Die staatsanwaltliche Tätigkeit gefiel ihr zwar recht gut, aber die extrem hohe Arbeitsbelastung ging ihr langsam an die Substanz. Außerdem dachte sie oft mit Wehmut an ihre frühere Tätigkeit als Richterin am Amtsgericht zurück. Die Unabhängigkeit dort hatte sie ungemein genossen.

Während Robler noch überlegte, wie sie die beiden Polizistenverfahren angehen sollte, klopfte es an der Türe ihres Dienstzimmers und herein kam ihr Abteilungsleiter Gerhard Krenzbichler.

Krenzbichler wurde von Claudia Robler außerordentlich geschätzt. Sie war nicht nur von seinem enormen Fachwissen beeindruckt, sondern vor allem von seiner Art und Weise, mit Leuten umzugehen. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die immer den richtigen Ton trafen, war mit viel, allerdings manchmal etwas schrägem Humor gesegnet und gab den Referenten seiner Abteilung uneingeschränkt Rückendeckung, sowohl bei Problemen mit der Polizei als auch mit der Öffentlichkeit. Außerdem besaß Krenzbichler das Vertrauen des durchaus nicht einfachen Behördenleiters, so dass er für seine Abteilung Freiheiten aushandeln konnte, die nicht jede Abteilung im Hause genoss. Am meisten beeindruckte Robler aber die Standfestigkeit und das Rückgrat Krenzbichlers bei Auseinandersetzungen mit der Generalstaatsanwaltschaft und dem Justizministerium. Der Generalstaatsanwalt, dem in wichtigen Verfahren stets zu berichten war, neigte dazu, sich in Verfahren, die vor allem politisch brisant waren, allzu sehr einzumischen. Robler hatte nicht nur einmal erlebt, wie Krenzbichler dagegengehalten und ihr die Freiheiten verschafft hatte, so zu ermitteln, wie sie sich das vorstellte.

Als sie Krenzbichlers Miene sah, mit der er ihr Zimmer betrat, war ihr sofort klar, dass irgendetwas Besonderes anstand. Der kleine, drahtige Mann war wie immer bestens gekleidet und unterschied sich damit in ihren kritischen Augen sehr wohltuend von den grauen Mäusen, die zum Teil bei der Justiz herumliefen. Der graue Anzug mit der faden Krawatte war dort jedenfalls bei den älteren Semestern immer noch nicht gänzlich ausgestorben. Wie meistens trug Krenzbichler einen seiner ersichtlich teuren Anzüge, dessen Hosen allerdings nach Roblers Geschmack einen Hauch zu kurz waren. Die grau/blau/rot gemusterte Krawatte, der man ansah, dass sie in einem gediegenen Geschäft für viel Geld erworben war, passte perfekt dazu.

Gespannt sah Robler ihn nach der Erwiderung seines Grußes an.

Krenzbichler zog einen Stuhl heran und setzte sich an die ihr gegenüberliegende Seite des Schreibtisches.

„Ich nehme an, die Namen Leo Kuchler und Marco Firnmüller sagen Ihnen was“, begann er das Gespräch.

Natürlich wusste die Staatsanwältin, wer Leo Kuchler war, nämlich der Vorsitzende der 13. Strafkammer beim Landgericht München I. Leo Kuchler galt als schillernde Figur, karrieresüchtig und außerordentlich gut vernetzt. Er war mit 40 Jahren vom Staatsanwalt als Gruppenleiter erstaunlich früh zum Vorsitzenden Richter am Landgericht befördert worden und hatte bereits nach zwei Jahren den Vorsitz einer großen Strafkammer übernehmen können. Neben allgemeinen Strafsachen war seine 13. Strafkammer auch für Wirtschaftsstrafverfahren zuständig. Robler wusste natürlich um die Fernsehkarriere Kuchlers, auch wenn sie nie eine Folge aus seiner Serie gesehen hatte. Claudia Robler hasste Justiz – Reality – Shows im Fernsehen. Von Kollegen hatte sie gehört, dass Kuchler diesen Job allerdings wohl ziemlich gut machte. Er hatte ein gewinnendes Äußeres und verstand es blendend, sich zu verkaufen. Jedenfalls in Justizkreisen galt er als Frauenheld, es wurde ihm sogar eine Affäre mit einer früheren Staatssekretärin im Justizministerium nachgesagt. Böse Zungen behaupteten, dass darin die Ursache für seine schnelle Karriere zu sehen sei.

Claudia Robler mochte Kuchler nicht. Sie war zweimal bei seiner Kammer als Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, jeweils in einem Betrugsverfahren, eingeteilt gewesen und seine zynische, arrogante Art hatte sie abgestoßen. Zudem teilte sie die Meinung etlicher Kollegen, dass die Urteile seiner Kammer keine einheitliche Linie aufwiesen. Während in allgemeinen Strafsachen mit großer Härte geurteilt wurde, konnten Wirtschaftsstraftäter eher mit Nachsicht rechnen. Allgemein hieß es, dass Kuchler äußerst dominant sei und seinen zwei Beisitzern wenig Spielraum ließ. Von den privaten Verhältnissen Kuchlers wusste Robler nichts, hatte jedoch gehört, dass Kuchler offensichtlich vermögend war, jedenfalls auf großem Fuß lebte.

Auch der Name Firnmüller sagte Claudia Robler durchaus etwas. Der Mann hatte sich einen Namen als Medienunternehmer gemacht. Derzeit war er Vorstandsvorsitzender der Search AG, deren Tätigkeitsgebiet sich hauptsächlich auf den ihr gehörenden Pay-TV Sender SearchTV erstreckte, zu der aber auch mehrere größere und kleinere Firmen gehörten, die vor allem im Ausland, vorwiegend in Italien ihren Sitz hatten. Insgesamt galt das Firmenimperium ebenso als völlig undurchschaubar wie die Vermögensverhältnisse von Firnmüller selbst. Allgemein hieß es, dass er zu den reichsten Leuten in Deutschland zu zählen sei. In letzter Zeit waren häufiger Zeitungsberichte über den harten Konkurrenzkampf insbesondere mit dem Medienunternehmen MediaStar AG erschienen, die Claudia Robler allerdings nur am Rande verfolgt hatte.

Wesentlich besser war ihr Firnmüller als Angeklagter in einem großen Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung bekannt geworden, das vor einigen Jahren bei der 13. Strafkammer des Landgerichts München I unter dem Vorsitz von Leo Kuchler verhandelt worden war und zur allgemeinen Verwunderung von Insidern mit einer Bewährungsstrafe für Firnmüller geendet hatte. In der Presse hatte das Urteil viel Staub aufgewirbelt. Auch justizintern war es heftig und weitgehend mit Unverständnis diskutiert worden. Eine Revision der Staatsanwaltschaft war allerdings von der Bundesanwaltschaft überraschend nicht befürwortet und deshalb zurückgenommen worden. Firnmüller zahlte seine Geldbuße gemäß der Bewährungsauflage und nahm nach einer Anstandsfrist von einem Jahr seinen Vorstandsposten wieder auf, den er seit Prozessbeginn hatte ruhen lassen.

Der breiten Öffentlichkeit war Firnmüller allerdings aus dem Fernsehen bekannt. Auch er hatte vor seiner Verurteilung seine eigene und sehr beliebte Fernsehshow als Quizmaster moderiert. Seine Fernsehkarriere war zwar mit dem Strafverfahren vor fünf Jahren beendet, aber dennoch wurde er heute noch häufig zu Talkshows eingeladen. Wie Kuchler gehörte er somit durchaus zur Fernsehprominenz hierzulande.

Ihr Wissen um die beiden Personen reichte der Staatsanwältin aus, um alle Warnlampen in ihrem Gehirn aufleuchten zu lassen. Wenn Krenzbichler am frühen Morgen plötzlich hereinschneite und das Gespräch ohne Umschweife mit einer Frage nach Leo Kuchler und Firnmüller begann, so roch das nach einem neuen, heiklen und arbeitsintensiven Verfahren.

Sie nickte somit auf die Frage Krenzbichlers und musterte den Oberstaatsanwalt erwartungsvoll. Krenzbichler hatte einen leicht tückischen Blick in seinem Gesicht, der ihre Befürchtungen nur verstärkte. Gespannt wartete Robler auf weitere Eröffnungen.

Seine nächste Bemerkung überraschte sie. Mit einem hintergründigen Lächeln stellte er eine weitere Frage: „Sie kennen doch den Rechtsanwalt Friedrich Maibaum? Ist der nicht in Ihrem Tennisverein?“ Claudia Robler sah ihn verblüfft an. Sie konnte einen leichten Ärger nur schwer unterdrücken. Natürlich kannte sie Maibaum und Krenzbichler wusste dies auch. Maibaum war ein mit allen Wassern gewaschener Strafverteidiger, obendrein ein ausgezeichneter Tennisspieler; sie waren im selben Tennisverein und gut befreundet. Robler hatte schon mehrfach mit und gegen ihn im Mixed gespielt, unter anderem bei einem jährlich von der Justiz veranstalteten Tennisturnier, an dem neben Justizangehörigen auch Rechtsanwälte mitspielten.

Vor zwei Jahren hatte sie mit Maibaum die Mixed – Konkurrenz gewonnen, Krenzbichler war im Finale als Zuschauer dabei gewesen. Vorher hatte er in der Einzelkonkurrenz bereits in der Vorrunde gegen den deutlich jüngeren Maibaum sang- und klanglos verloren, was ihn ziemlich gewurmt hatte. Gegen Maibaum war allerdings auch schwer zu spielen, da er einen höchst unorthodoxen Spielstil pflegte. Er war topfit, äußerst laufstark und brachte nahezu jeden Ball zurück, meist mit einem Schnitt, der schon so manchen Gegner an den Rand der Verzweiflung getrieben hatte. Diese Spieleigenschaften hatten ihm den Spitznamen „Der Würger“ eingebracht. Claudia Robler war auch durchaus zu Ohren gekommen, dass sowohl im Tennisverein als auch bei der Justiz sich hartnäckig das Gerücht hielt, dass sie und der gutaussehende verheiratete Maibaum sich nähergekommen seien. Dieses Gerücht ärgerte sie gewaltig, da es jeder Grundlage entbehrte. Sie verstand sich mit dem charmanten und unkomplizierten Maibaum bestens, aber ihre Beziehung war über eine freundschaftliche nie hinausgekommen. Außerdem war Maibaums Frau Beate ebenfalls Mitglied in ihrem Tennisverein, die beiden Damen hatten sich angefreundet und spielten öfters miteinander Tennis. Auch teilten die beiden Damen eine durchaus ausgeprägte Vorliebe für gute Weine, der sie gerne gemeinsam frönten.

Weshalb Krenzbichler das Gespräch mit einer in ihren Augen solch überflüssigen Frage begonnen hatte, war für Claudia Robler ein Rätsel, auch wenn sie um seinen manchmal schwer zu durchschauenden Humor wusste, der vor allem Leute verunsicherte, die Krenzbichler gar nicht oder nicht gut genug kannten. In etwas unwirschem Ton sagte sie: „Natürlich kenne ich Maibaum, der hat Sie doch bei dem Turnier vor zwei Jahren so vernichtend geschlagen, wenn ich mich recht erinnere. Aber was hat der mit Leo Kuchler zu tun?“

Krenzbichler akzeptierte die Ohrfeige, ohne mit der Wimper zu zucken. Er kam nun zur Sache: „Herr Maibaum wird Sie morgen aufsuchen und Ihnen ein von einem gewissen Herrn Josef Brumbauer verfasstes Schriftstück übergeben. In diesem Schriftstück wird in allen Details dargelegt sein, dass und wo und wie unser Richterkollege Leo Kuchler von Herrn Firnmüller mit 2,5 Millionen DM bestochen worden sein soll. Angeblich soll das Geld dafür gewesen sein, dass Firnmüller nicht in den Knast gehen musste.“

Claudia Robler schluckte und fragte nach: „Von wem haben Sie denn die Information, hat Maibaum Sie angerufen? Und wer ist dieser Herr Brumbauer?“

„Wer Herr Brumbauer ist, weiß ich auch noch nicht. Bei mir hat ein Herr Gaulier angerufen, der Vorstandsvorsitzende der MediaStar AG, die Ihnen sicher auch etwas sagt. Dieser Herr Brumbauer hat offensichtlich die Story der MediaStar angeboten, und die hat wohl sofort zugegriffen. An Details wurde mir von Herr Gaulier nur mitgeteilt, dass Brumbauer in irgendeiner Form in die Geldübergabe eingebunden war. Die Firma MediaStar hat Brumbauer und dessen Glaubwürdigkeit überprüft und nach angeblich reiflicher Überlegung beschlossen, den Deal zu machen. Offensichtlich hat die Firma einen ganz erklecklichen Betrag für die Story an Herrn Brumbauer gezahlt. Gaulier wollte von mir wissen, wer bei uns dafür zuständig ist. Nach meiner Rücksprache mit unserem Herrn Behördenleiter sind Sie das.“

Krenzbichler konnte dabei ein süffisantes Lächeln nicht unterdrücken, fügte aber hinzu: „Wir waren beide der Meinung, dass ein solches Verfahren bei Ihnen am besten aufgehoben ist. Schauen Sie sich das Zeug mal an, das Herr Maibaum morgen vorbeibringt. Bevor wir voll einsteigen, wird man sicher diesen Herrn Brumbauer überprüfen müssen. Dass über dieses Verfahren dem Herrn Generalstaatsanwalt zu berichten ist, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen. Ich habe den Herrn Generalstaatsanwalt auch schon vorab informiert. Ansonsten wünsche ich natürlich einen schönen Tag!“

Claudia Robler lehnte sich zurück, nachdem Krenzbichler das Zimmer verlassen hatte und dachte über das Gespräch nach. Sie war weit entfernt davon, in Panik zu verfallen ob des anvisierten Verfahrens. An Selbstbewusstsein mangelte es ihr nicht. Nach ihrer Selbsteinschätzung war sie eine erfahrene und ziemlich ausgebuffte Staatsanwältin, die schon so einige wichtige und vor allem heikle Verfahren zu einem zufriedenstellenden Ende geführt hatte. Personen aus dem öffentlichen Leben zu vernehmen, fand sie ausgesprochen spannend. Sie besaß erhebliches Geschick, Zeugen und Beschuldigte zu vernehmen und machte dies auch sehr gerne. Insoweit hatte sie in ihrer beruflichen Laufbahn Glück gehabt, weil sie sich Kenntnisse in einem Umfang hatte aneignen können, wie es nur wenigen ihrer Kolleginnen und Kollegen vergönnt war. Zum einen war sie als Richterin über zwei Jahre lang mit Jugendschutzverfahren befasst gewesen, zum anderen hatte sie in einem extrem schwierigen und langwierigen Verfahren mit einem Polizisten zusammengearbeitet, der gleichzeitig bei der Münchner Polizei als Ausbildungsleiter für Vernehmungstechnik fungierte. Dabei hatte sie dessen Vorgehen bei etlichen Vernehmungen studieren und eine Menge lernen können. Von diesem Polizeibeamten, mit dem sie sich sehr gut verstanden hatte, waren ihr oft wertvolle Tipps gegeben worden, wenn sie nach einem Rollentausch eine Vernehmung selbst durchführte, während der Polizeibeamte zuhörte.

Die Jugendschutzverfahren hatte sie zwar gehasst. Der Verfahrensgegenstand machte es jedoch erforderlich, mit Sachverständigen aus dem Bereich der Aussagepsychologie zu arbeiten, die Gutachten zur Glaubwürdigkeit von jugendlichen oder gar kindlichen Belastungszeugen erstatteten. Die besonderen Kenntnisse Roblers waren in der Behörde bekannt. Junge Staatsanwältinnen und Staatsanwälte aus ihrer Abteilung nahmen sehr gerne die Gelegenheit wahr, bei von ihr geführten Vernehmungen zuzuhören.

Nachdem sie kurz über das Gespräch und darüber, was sie über die Herren Kuchler und Firnmüller wusste, nachgedacht hatte, beschlich sie doch das mulmige Gefühl, dass dieses Verfahren noch sehr unangenehm werden könnte. Sie hatte zwar schon häufig gegen Kolleginnen oder Kollegen ermittelt, aber da hatte es sich um Anzeigen von Querulanten mit zum Teil völlig an den Haaren herbeigezogenen Tatvorwürfen gehandelt, so dass die Ermittlungsverfahren völlig problemlos eingestellt werden konnten. Ein Verfahren, in dem ein derartig schwerer Vorwurf gegen einen Richter unter Benennung mehrerer Zeugen erhoben worden war, hatte sie noch nicht auf dem Schreibtisch gehabt. Nach ihrem Wissen war ein derartiges Verfahren in der Behörde bisher nie anhängig gewesen. Ihr graute jetzt schon vor dem Moment, in dem sie den Kollegen Kuchler mit dem Vorwurf konfrontieren musste. Ihr war auch völlig klar, dass Kuchler jedenfalls seinen Job beim Fernsehen verlieren würde, wenn seine Unschuld nicht sehr schnell und zweifelsfrei erwiesen werden konnte. Mit erheblichem Unbehagen dachte sie auch daran, wie die Boulevardpresse diesen Fall ausschlachten würde. Die reißerische Aufmachung konnte sie sich jetzt schon vorstellen.

Sie seufzte, rief sich zur Ordnung und kam, wie schon oft, zu dem Schluss, dass nichts so heiß gegessen wie gekocht wird.

KAPITEL 3

Am nächsten Morgen saß Claudia Robler wie immer bereits kurz vor 8 Uhr an ihrem Schreibtisch. Sie war eine notorische Frühaufsteherin und arbeitete in den Morgenstunden effektiver als den Rest des Tages. Bis gegen 9 Uhr 30 wurde sie meist nicht gestört. Außerdem hasste sie es, wie viele Kolleginnen und Kollegen bis in die späten Abendstunden zu arbeiten. Zu ihrem großen Leidwesen ließ sich das allerdings oft nicht vermeiden, auch wenn sie eine außergewöhnlich schnelle Arbeiterin war. Robler legte vor allem im Sommer großen Wert darauf, so rechtzeitig aus dem Büro wegzukommen, dass sie mit dem restlichen Tag noch etwas anfangen konnte. Meistens widmete sie sich irgendeiner sportlichen Aktivität wie Tennisspielen oder einer kurzen Spritztour mit dem Rennrad.

Während sie über einer Akte brütete und überlegte, welche Ermittlungsaufträge sie der Polizei erteilen sollte, klingelte das Telefon. Zu ihrer Überraschung war Rechtsanwalt Maibaum am anderen Ende der Leitung, mit dem sie zu so früher Stunde nicht gerechnet hatte. Er begrüßte sie mit den Worten: „Hallo Claudia, Traum meiner schlaflosen Nächte, hier Friedrich, ich nehme an, du weißt, weshalb ich anrufe?“ Robler musste lächeln und meinte: „Sei mir gegrüßt, mein Lieber. Natürlich habe ich heute deines Anrufs geharrt. Wie immer bin ich höchst erfreut, deine Stimme zu hören, auch wenn du mir wohl Arbeit bringen wirst. Aber so früh habe ich nun wirklich nicht mit dir gerechnet, das ist nur mit Altersbettflucht zu erklären!“

Maibaum seufzte: „Du hast ja in allem Recht. Erstens habe ich Arbeit für dich, zweitens merke ich, dass ich alt werde. Allerdings bin ich nur so früh dran, weil ich nachher noch zum Schwurgericht muss und unbedingt vorher bei dir vorbeikommen wollte. Geht das, ich bin unten am Eingang?“

„Wenn du mir noch Zeit gibst, mich für dich schön zu machen, kannst du kommen“, flachste Robler und legte auf.

Keine fünf Minuten später klopfte es und Maibaum kam herein. Er war wie immer außerordentlich gut gekleidet. Sacco, Hose und Krawatte waren perfekt aufeinander abgestimmt. Für so etwas hatte Claudia Robler einfach einen Blick. Die beiden begrüßten sich mit einer kurzen Umarmung und setzten sich an den Besuchertisch in Roblers Zimmer. „Also, was hast du denn Schönes für mich?“ begann die Staatsanwältin.

„Ich fürchte, was Schönes habe ich dir nicht zu bieten“, sagte Maibaum und reichte ihr eine schmale braune Aktentasche, die auf der Oberseite mit einem langen Reißverschluss verschlossen war und in einer Plastikhülle steckte. „Und was ist das?“, fragte sie überrascht, als sie die Tasche entgegennahm.

„Wie du sicher schon gehört hast, geht es um die Herren Kuchler und Firnmüller“, holte Maibaum aus. „In der Tasche ist ein Bericht eines Herrn Josef Brumbauer aus Wenigmünchen, das ist ein kleiner Ort in der Nähe von Sulzemoos. Er will im Hotel Laurin in Bozen diese Aktentasche von Marco Firnmüller im Auftrag von Leo Kuchler entgegengenommen haben. Der Inhalt sollen 2,5 Millionen DM Bestechungsgeld gewesen sein.“

Leicht irritiert fragte Robler nach: „Ein bisschen mehr musst du mir schon erzählen: was hast du damit zu tun, von wem bist du denn überhaupt mandatiert?“

Maibaum lehnte sich in dem unbequemen Sessel zurück und begann zu erzählen: „Ich kann nicht sehr viel beitragen. Vor ungefähr einer Woche bin ich von einem Herrn Gaulier von der Firma MediaStar AG angerufen worden, der mir sagte, ich sei ihm von einem Kollegen aus Berlin empfohlen worden. Er würde mich gerne aufsuchen, er wolle eine sehr heikle Angelegenheit mit mir besprechen. Wir haben uns für den nächsten Tag in meiner Kanzlei verabredet. Er kam pünktlich und erzählte, dass sich ein gewisser Herr Josef Brumbauer an die MediaStar gewandt habe, er hätte Informationen über Marco Firnmüller, die für die MediaStar mit Sicherheit von Interesse seien. Man habe die Angelegenheit intern besprochen und beschlossen, sich diesen Herrn Brumbauer mal anzuhören. Es habe ein Treffen in München stattgefunden, an dem außer ihm und Brumbauer auch sein Kollege Dietrich teilgenommen habe. Brumbauer habe von der angeblichen Bestechung erzählt und behauptet, dass es für die Geldübergabe außer ihm selbst noch weitere Zeugen gebe.

Sowohl er als auch Dietrich seien von Brumbauer beeindruckt gewesen. Insbesondere sei die Motivlage für die Bestechung nachvollziehbar gewesen. Zudem habe Brumbauer ein Urteil des Landgerichts München II vorgelegt, in dem ihm und auch den Zeugen der Geldübergabe in einem Rechtsstreit gegen Leo Kuchler auf Rückzahlung eines Darlehens Glaubwürdigkeit bescheinigt worden sei.“

Maibaum hielt kurz inne, strich sich über den Kopf und fuhr mit seiner Schilderung fort: „Dieser Herr Brumbauer sei ohne Umschweife zur Sache gekommen. Er habe für die Überlassung der vollständigen Informationen und Nennung der Beweismittel 500.000 DM verlangt. Man habe sich Bedenkzeit erbeten und nach interner Beratung Brumbauer mitgeteilt, dass man sich auf den Deal einlasse. Man habe von Brumbauer eine genaue schriftliche Darstellung, versehen mit einer eidesstattlichen Versicherung, verlangt, zunächst den verlangten Vorschuss von 250.000 DM und nach Erhalt des Berichts und dieser Aktentasche den Rest bezahlt. Auf meine Rückfrage, was ich denn eigentlich bei der Sache tun solle, sagte er mir, ich solle ein Begleitschreiben an die Staatsanwaltschaft verfassen, in dem auf jeden Fall zu vermeiden sei, dass die MediaStar AG als Anzeigeerstatterin auftrete. Ich solle sinngemäß schreiben, dass die MediaStar AG lediglich als eine Art Botin agiere und der Staatsanwaltschaft den Bericht zur Kenntnis gebe. Dieses Schreiben habe ich verfasst, es ist auch in der Aktentasche, ebenso das erwähnte Urteil des Landgerichts. Wie du das behandelst, ist deine Sache. So, das war´s dann, ansonsten kann ich dir keine weiteren Informationen geben, ich habe einfach keine. Ich wünsche viel Vergnügen!“

Robler, die ihm aufmerksam zugehört hatte, fragte nach: „Wenn ich das recht verstehe, hast du diesen Josef Brumbauer nicht selbst gesprochen. Hast du sonst über den Herrn irgendwelche Erkenntnisse?“

Maibaum antwortete: „Das siehst du völlig richtig, ich habe den Herrn weder gesprochen noch gesehen. Ich habe auch sonst keinerlei weitere Erkenntnisse. Seinen Bericht habe ich allerdings durchgelesen. Er klingt verdammt gut.“ Nach kurzem Zögern fuhr Maibaum fort: „Wie ich dich kenne, wirst du wahrscheinlich sagen: Etwas zu gut! Jedenfalls beneide ich dich um das Verfahren nicht, aber du wirst das schon hinkriegen!“

Mit einem schnellen Blick auf seine Uhr verabschiedete sich Maibaum: „Tut mir leid, dass ich nicht mehr Zeit habe, aber das Schwurgericht lasse ich ungern warten. Wir sehen uns eh morgen Abend im Tennisverein, aber da blenden wir diesen Mist besser aus.“ Er nahm seine Robe und seine Aktentasche, umarmte Claudia Robler noch kurz und stürmte aus dem Zimmer.

Die Staatsanwältin sah ihm nachdenklich hinterher. Dann wandte sie sich dem Inhalt der übergebenen Aktentasche zu. Die flache Tasche wies deutliche Gebrauchsspuren auf, das Leder war leicht rau und von sehr guter Qualität. Sie hatte keine Ahnung, ob solche Taschen heute überhaupt noch hergestellt wurden, wusste aber, dass sie früher unter dem Namen Kollegmappen sehr verbreitet gewesen waren. Auch ihr Vater hatte ein derartiges Modell besessen und sie nahm an, dass ihr Bruder die Tasche nach dem Tod des Vaters aufbewahrt hatte. Ihr Bruder war nämlich unfähig, Dinge wegzuwerfen, mit denen er irgendeine Erinnerung verband.

Robler betrachtete die Tasche näher. Wegen der Struktur des Leders hielt sie es für höchst unwahrscheinlich, dass sich noch Fingerabdrücke nachweisen ließen, aber einen Versuch würde man sicher machen müssen. Zudem war davon auszugehen, dass die Tasche von Brumbauer, von Leuten der MediaStar und auch von Maibaum angefasst worden war, der ja seinen Schriftsatz hineingelegt hatte. Claudia Robler nahm sich vor, diese Sorglosigkeit Maibaum genüsslich vorzuhalten, wenn er mal wieder über Schlampereien bei der Polizei wetterte. Schließlich griff sie vorsichtig in die nicht verschlossene Plastikhülle, öffnete den Reißverschluss der Tasche und zog drei Dokumente hervor. Sie überlegte kurz, welches Schreiben sie zuerst lesen sollte; sie entschied sich für den Schriftsatz von Maibaum, überflog ihn allerdings nur kurz.

Wie Maibaum ihr schon berichtet hatte, enthielt er eine kurze Darstellung, dass ein Herr Josef Brumbauer der MediaStar AG von einer angeblichen Bestechung von Herrn Kuchler durch Herrn Firnmüller berichtet hatte. Als die Staatsanwältin den Schlussabsatz las, schlich sich ein tückisches Grinsen in ihr Gesicht. Wie von Maibaum angekündigt, legte die MediaStar AG angeblich kein Interesse an den Tag, als Anzeigeerstatterin angesehen zu werden. Maibaum hatte formuliert: „Die Firma MediaStar AG möchte ausdrücklich betonen, dass sie kein irgendwie geartetes Eigeninteresse an der Strafverfolgung der Herren Firnmüller und Kuchler hat. Der von Herrn Brumbauer zur Kenntnis gebrachte Sachverhalt enthält jedoch Hinweise auf derartig schwere und die Öffentlichkeit interessierende Straftaten, dass die Verantwortlichen der Firma MediaStar AG keine andere Möglichkeit gesehen haben, als der zuständigen Staatsanwaltschaft Gelegenheit zu geben, gegebenenfalls gegen die Herren Kuchler und Firnmüller zu ermitteln und den Sachverhalt aufzuklären. Nach reiflicher Überlegung sind wir daher auch zu dem Ergebnis gekommen, den finanziellen Forderungen des Herrn Brumbauer nachzugeben. Die Erstattung einer Strafanzeige ist mit dieser Mitteilung des Sachverhalts nicht verbunden.“

„Das ist doch der Gipfel der Scheinheiligkeit“, schoss es ihr durch den Kopf. Da kommt einer mit Informationen, die geeignet erscheinen, einem Konkurrenten erheblich zu schaden oder ihn sogar zu erledigen, man zahlt dem Informanten die ja nun nicht ganz unbedeutende Summe von 500.000 DM und dann behauptet man, es gäbe kein Eigeninteresse am Einschreiten der Ermittlungsbehörden!“ Die Staatsanwältin beschloss sofort, bei Registrierung des Vorgangs in der Behörde die MediaStar AG sehr wohl als Anzeigeerstatterin eintragen zu lassen.

Sie legte den Schriftsatz von Maibaum beiseite und wandte sich dem Bericht des Herrn Brumbauer zu. Äußerst gespannt begann sie zu lesen:

„Mein Name ist Josef Brumbauer, geb. am 13.10.1947 in Wien. Ich bin deutscher Staatsangehöriger und wohne in 82281 Wenigmünchen, Kreilerstr. 7. Ich beschäftige mich mit der Vermittlung von Grundstücksverkäufen und handele mit Kunstgegenständen. Im Rahmen meiner Grundstücksgeschäfte lernte ich vor ca. 10 Jahren Herrn Kuchler kennen, der unter meiner Vermittlung ein Hausgrundstück in Hadorf in der Nähe von Starnberg erworben hat. Er wohnt dort noch heute. Bei einer unserer Begegnungen erzählte ich ihm von meiner Leidenschaft für Kunstgegenstände und sicherte ihm zu, dass ich ihm bei dem Erwerb insbesondere von Gemälden durchaus behilflich sein könne. Herr Kuchler zeigte sich sehr interessiert, meinte aber, dass er nach dem Hauskauf derzeit nicht flüssig sei, sich aber gegebenenfalls bei mir melden würde. Etwa ein Jahr später trafen wir uns zufällig bei einer Veranstaltung und kamen ins Gespräch. Er äußerte den Wunsch, sich einmal anzuschauen, was ich derzeit an Gemälden anzubieten habe. Auch wollte er sich meine Gemäldesammlung ansehen.

Bereits etwa zwei Wochen später kam es zu einem Termin. Ich holte ihn absprachegemäß mit dem Auto ab und wir fuhren in mein Haus in Wenigmünchen, das recht großzügig gestaltet ist. Ich zeigte ihm die dort ausgestellten Kunstgegenstände. Er war sehr beeindruckt. Weiter zeigte ich ihm ein Fotoalbum mit Kunstgegenständen, welche ich in meiner Wohnung in Südtirol verwahrte. Meine Frau hatte eine Brotzeit vorbereitet und wir setzten uns auf die Terrasse. Herr Kuchler sagte mir, dass er von Gemälden begeistert sei, davon aber nicht allzu viel verstehe, außerdem sei er derzeit immer noch etwas knapp bei Kasse. Aufgrund seines Lebensstils habe er recht hohe Aufwendungen und sein Richtergehalt sei doch eher bescheiden. Ohne die Nebeneinkünfte aus seiner Fernsehsendung käme er kaum aus. Da ich annahm, mit Herrn Kuchler noch gute Geschäfte tätigen zu können und außerdem hoffte, dass seine Beziehungen irgendwann für mich nützlich sein könnten, wiederholte ich mein Angebot, ihn bei einem Bilderkauf zu beraten. Ich sicherte ihm ferner hinzu, dass ich hinsichtlich eines Kaufpreises großzügige Rabatte oder Stundungen gewähren könne. Herr Kuchler zeigte sich sehr erfreut und wollte zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurückkommen.

In der Folgezeit entwickelte sich ein durchaus reger Kontakt, der auch zu gegenseitigen Einladungen führte. Herr Kuchler hatte offensichtlich zu mir Vertrauen gefasst, denn er erzählte mir auch Interna aus seiner Richtertätigkeit. Insbesondere zog er gerne über Kolleginnen und Kollegen her. Als im Raum stand, dass er Vorsitzender Richter am Landgericht werden könnte, klagte er mir sein Leid, dass ein Kollege namens Wenninger wohl bessere Karten habe. Er meinte, es wäre schön, wenn man irgendetwas finden würde, das geeignet sei, Herrn Wenninger in Misskredit zu bringen. Nach mehreren Gesprächen fragte er mich, ob ich mir nicht etwas einfallen lassen könne. Ich schlug ihm vor, ein paar anonyme Briefe über die sexuellen Aktivitäten des Herrn Wenninger an das Justizministerium zu schreiben. Dies erschien mir erfolgversprechend, da Herr Wenninger, wie mir Herr Kuchler erzählt hatte, für seine Vorliebe für das weibliche Geschlecht bekannt war. Ich nahm an, dass schon irgendetwas hängen bleiben werde. Herr Kuchler zeigte sich hocherfreut. Ich schrieb zeitnah zu diesem Gespräch einige Briefe, die auch an die Presse gelangten. Jedenfalls bekam Herr Kuchler den angestrebten Posten. Ob meine Briefe dazu beigetragen haben, kann ich nicht beurteilen.

In der Folgezeit wurde der Kontakt noch enger. Herr Kuchler klagte immer wieder über finanzielle Engpässe. Schließlich gewährte ich ihm ein Darlehen über 25.000 DM, das Gegenstand eines landgerichtlichen Rechtsstreits gewesen ist. Vor fünf Jahren habe ich ihm auch ein Bild des ungarischen Malers Gulyas verkauft, den Kaufpreis von 32.000 DM habe ich ihm gestundet und bis heute nicht erhalten. Auch dieser Betrag ist Gegenstand des genannten Rechtsstreits, der nun in der Berufungsinstanz anhängig ist. Vor vier Jahren suchte er mich auf und teilte mir mit, dass er einen größeren Geldbetrag von Herrn Marco Firnmüller erwarte, dann werde er seine Schulden bei mir begleichen. Das Geld - wieviel es sei, erwähnte er nicht – würde jedoch „etwas außer der Reihe fließen“, sodass er meine Hilfe bräuchte. Ich habe nicht nachgefragt, wofür oder weshalb Herr Firnmüller an ihn Geld zahlen wolle, versprach jedoch, ihm zu helfen.

Allerdings habe ich mich in der Folgezeit an den Strafprozess gegen Herrn Firnmüller erinnert, der ja eingehend durch die Presse gegangen war, sowie daran, dass Herr Kuchler diesen geleitet hatte. Ich vermutete daher, dass die avisierte Zahlung das Entgelt für die nach den Presseberichten unerwartete Strafaussetzung zur Bewährung sein könnte.

Eine Woche später kam Herr Kuchler nach Wenigmünchen. Er erklärte mir, dass ich am 26.07.1991 um 14 Uhr in das Hotel Laurin in Bozen in Südtirol gehen und mich dort im Park auf eine Holzbank setzen solle, die sich in unmittelbarer Nähe zu einer Skulptur befände, die vier aufeinander stehende Elefanten zeige. Ich solle meine auffällig karierte Weste tragen und eine Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 22.07.1991 so in meinen Händen halten, dass Herr Firnmüller die Überschrift lesen könne. Herr Firnmüller, den ich ja aus dem Fernsehen und aus Presseberichten sicher kenne, würde mich fragen, ob der Platz neben mir noch frei sei, worauf ich zu antworten hätte „Ja, aber vorsichtig, die Bank ist nicht ganz stabil“. Herr Firnmüller würde sich daraufhin kurz neben mich setzen und eine braune schmale Aktentasche unauffällig neben der Bank stehen lassen. Nachdem Herr Firnmüller wieder weggegangen sei, solle ich die Aktentasche nehmen und auch das Hotel verlassen. Die Aktentasche solle ich mit nach München nehmen und ihm in den nächsten Tagen aushändigen.

Die Geldübergabe lief genau nach diesem Plan ab. In meinem Auto öffnete ich allerdings die Tasche und stellte fest, dass sie ein Kuvert voller 100-, 200- und 500- DM Scheine enthielt. Ich habe das Geld gezählt, es waren 2,5 Millionen DM. Dieses Kuvert mit Inhalt habe ich einige Tage später Herrn Kuchler bei mir im Haus ausgehändigt, ohne ihm zu sagen, dass ich es geöffnet hatte. Wofür das Geld tatsächlich geflossen ist, kann ich nicht sagen. Herr Kuchler hat es mir nicht mitgeteilt.

Da ich mir aber – wie gesagt - schon vorher gedacht hatte, dass möglicherweise ein illegales oder zumindest anrüchiges Geschäft dahinterstehen könnte, ich mich für alle Fälle absichern wollte und ferner die vage Vorstellung hatte, dass mein Wissen um diese Geldübergabe für mich noch von Vorteil sein könnte, habe ich mir bekannte Personen zum Zeitpunkt der Geldübergabe als Zeugen in das Hotel Laurin bestellt. Ich habe sie im Garten des Hotels Laurin so platziert, dass sie alles, was an der Sitzbank geschehen würde, bestens beobachten konnten.

Es handelt sich um folgende Zeugen:

Mein Sohn Herbert Brumbauer, wohnhaft in 1070 Wien, Raulgasse 23/11

Meine Frau Brigitte Brumbauer, wohnhaft bei mir.

Herr Dieter Tolkmann, wohnhaft in 81241 München, Flussmannstr. 43, ein Freund der Familie.

Diese Personen können meine Angaben bestätigen. Da Herr Tolkmann in seinem eigenen Auto zurückgefahren ist, hat er allerdings das Geld nicht gesehen.

Die Übergabe des Geldes an Herrn Kuchler kann ebenfalls meine Frau bezeugen. Ferner war eine Freundin meiner Frau anwesend. Es handelt sich um Frau Monika Laufer, wohnhaft in 80636 München, Faulsteinerstr. 16

Ich verweise ferner auf zwei weitere Zeugen, die allerdings zum direkten Geschehen keine Angaben machen können. Es handelt sich zum einen um Herrn Walter Schmied, wohnhaft in 82275 Emmering, Südendstr. 105.

Herr Schmied ist Direktor der Casa-Bank Starnberg, bei der Herr Kuchler seine Konten hat und zu der ich auch Geschäftsbeziehungen unterhalte. Er hat mich in nahem zeitlichem Zusammenhang zu der Geldübergabe mehrfach irritiert und neugierig angesprochen, ob ich eine Erklärung für die offensichtliche Verbesserung der Vermögenslage bei Herrn Kuchler habe. Dieser habe ihn nämlich bereits zweimal darauf angesprochen, ob er – Schmied – Beziehungen zu Schweizer Banken habe, da er beabsichtige, dort Geld anzulegen und auch eventuell ein Haus zu kaufen. Das habe ihn als Kenner der Vermögensverhältnisse von Herrn Kuchler doch sehr verwundert, zumal dieser auf Nachfragen nur ausweichend reagiert habe. Auch Herr Schmied wird diese meine Angaben bestätigen können.

Die zweite Person ist mein Steuerberater Manfred Sommer, wohnhaft in 82256 Fürstenfeldbruck, Landauer Str. 51

Herrn Sommer habe ich von dem Ansinnen des Herrn Kuchler ungefähr um den 20.Juli 1991 erzählt. Er hat mich noch gewarnt, ich solle mich nicht auf so etwas einlassen. Kurz nach der Geldübergabe hat er mich gefragt, wie es gelaufen sei. Ich habe ihm den Hergang geschildert und auch mitgeteilt, dass in der übergebenen Tasche 2,5 Millionen DM gewesen seien, die ich Herrn Kuchler übergeben hätte.

Diese meine Darstellung entspricht der Wahrheit, ich bin jederzeit bereit, das vor Gericht zu bezeugen.“

Wenigmünchen, den 25.April 1994

Es folgte eine ziemlich krakelige Unterschrift.

Claudia Robler lehnte sich irritiert zurück. Sie hatte derart detaillierte Angaben nicht erwartet. Aus irgendeinem Grund war sie nach dem Gespräch mit ihrem Abteilungsleiter nicht davon ausgegangen, dass tatsächlich etwas Vernünftiges geliefert werden würde. Sie las den Bericht von Josef Brumbauer noch einmal langsam durch und wieder beschlich sie das Gefühl, dass da etwas nicht sauber sei. Es erschien ihr kaum nachvollziehbar, dass sich ein versierter Geschäftsmann wie Marco Firnmüller und ein erfahrener Richter wie Leo Kuchler derart in die Hände eines Herrn Brumbauer begeben würden, der Firnmüller anscheinend nicht einmal persönlich bekannt gewesen war. Andererseits war nicht zu verkennen, dass die Strafaussetzung zur Bewährung für Firnmüller von vielen Kollegen als unvertretbar angesehen worden war und Leo Kuchler als Vorsitzender Richter sicher die bestimmende Figur in diesem Prozess gewesen sein dürfte. Claudia Robler war klar, dass sie sich über die mögliche Motivlage noch deutlich mehr Kenntnisse verschaffen musste. Jedenfalls ließ sich ein für die Einleitung von Ermittlungen notwendiger Anfangsverdacht nicht verneinen.

Robler überlegte, wie sie wohl vorzugehen hatte. Der Gang der Ermittlungen bot sich ziemlich deutlich an: Bevor sie sich mit etwaigen Durchsuchungen oder gar Verhaftungen befassen konnte, würde man zumindest diesen Josef Brumbauer eingehend vernehmen müssen, und wohl auch die von ihm benannten Zeugen. Sie seufzte, als ihr bewusst wurde, dass sie zweifelsohne die Polizei in das Verfahren einbeziehen musste. Im Rahmen ihres vielfältigen Zuständigkeitsbereichs arbeitete sie mit keinem bestimmten Kommissariat beim Polizeipräsidium München zusammen. Für ein Ermittlungsverfahren wegen Bestechung würden die Beamten des zuständigen Fachkommissariats im Polizeipräsidium München zuständig sein, die zwar in der Regel gute Arbeit leisteten, mit denen sie jedoch ihre persönlichen Schwierigkeiten hatte, insbesondere mit dem

Kommissariatsleiter Staffelhuber. Der Mann hatte ihr mehr oder minder deutlich klargemacht, dass er von Frauen bei der Staatsanwaltschaft und von ihr insbesondere nicht sehr viel hielt. Mit ihm, der sich in ihren Augen für den Größten hielt, in einem derartig heiklen Verfahren zusammenzuarbeiten, erschien ihr daher als nicht besonders verlockend.

Robler kannte sich selbst ganz gut und war sich ihrer Neigung bewusst, auf von ihr als arrogant empfundenes Verhalten manchmal heftiger als notwendig zu reagieren. Gerade Staffelhuber besaß das Talent, sie mit seinem spöttischen, ein Überlegenheitsgefühl ausdrückenden Lächeln bis zur Weißglut zu reizen. Sein Verhalten hatte sich nach ihrer Meinung auf die anderen Mitglieder des Kommissariats übertragen, so dass sie sich nur schwer vorstellen konnte, mit einem von ihnen so eng zusammen zu arbeiten, wie es ein derartiges Verfahren erfordern würde. Nichts hasste sie bei von ihr selbst geführten Vernehmungen so sehr, wie die Einmischung eines anwesenden Kollegen oder Polizeibeamten. Vernehmungstechnik und Vernehmungstaktik sah sie als ihr Revier an, was allerdings von eigens darin geschulten polizeilichen Ermittlern kaum zu akzeptieren war.

Robler kam zu einem Entschluss: Sie musste ihren Abteilungsleiter Krenzbichler bitten, sich darum zu kümmern, dass das Verfahren dem Landeskriminalamt übertragen werde. Vielleicht ließ es sich ja vertreten, den Fall in den Bereich der organisierten Kriminalität einzuordnen und der dafür zuständigen Abteilung zu geben, mit der sie nur gute Erfahrungen gesammelt hatte. Als sie aufstand, um zu Krenzbichler zu gehen, fiel ihr ein, dass sie das beigelegte Urteil noch gar nicht gelesen hatte. Nicht vollständig vorbereitet zu Krenzbichler zu gehen, kam nicht in Frage. Auf sein Hochziehen der linken Augenbraue, das zu seinen Eigenheiten gehörte, wenn er bei einem seiner Mitarbeiter eine ungenügende Vorbereitung bemerkt hatte, legte sie nun wirklich keinen Wert.

Sie setzte sich wieder und vertiefte sich in das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts München II. Dem Tatbestand des Urteils entnahm sie, dass Josef Brumbauer seine Klage auf folgende Behauptungen gestützt hatte: Den Darlehensbetrag über 25.000 DM habe er Leo Kuchler am 25.10.1991 in einem Umschlag in bar in der Gaststätte Schweizer Hof in München überreicht. Bei dieser Übergabe seien seine Frau Brigitte und der Steuerberater Sommer anwesend gewesen. Die Übergabe des Bildes sei 1990 in seinem Haus in München in Gegenwart seiner Frau und der Zeugin Laufer erfolgt. Diese könnten auch Angaben über die Stundungsabrede machen. In der Folgezeit habe er Kuchler mehrfach sowohl auf die Bezahlung des Bildes als auch auf die Rückzahlung des Darlehens angesprochen. Dies könnten sowohl die Zeugin Laufer als auch die Zeugen Schmied und Tolkmann bestätigen.

Die Namen der Richter, die Leo Kuchler zur Zahlung von 57.000 DM verurteilt hatten, waren ihr gänzlich unbekannt. Robler interessierte insbesondere die Beweiswürdigung. Die Urteilsgründe ließen erkennen, dass sich die Richter mit der Entscheidung schwergetan hatten, wem sie glauben sollten, zumal der Beklagte ein Kollege war. Nach der Lektüre der Urteilsgründe konnte sie die Verurteilung Kuchlers nachvollziehen: Die Zeugen Sommer, Schmied, Laufer, Tolkmann und Brigitte Brumbauer hatten letztlich die Behauptungen von Josef Brumbauer zu den mit Kuchler getätigten Geschäften in allen Punkten bestätigt. Das Urteil enthielt auch Ausführungen zum Kläger Josef Brumbauer und zum Beklagten Leo Kuchler, die beide von der Kammer als Parteien angehört worden waren. Sie kamen alle zwei nicht besonders gut weg. Während Brumbauer eine erkennbare Schlitzohrigkeit und ein herrisches Wesen attestiert wurde, führten die Richter in Bezug auf Leo Kuchler aus, dass dieser wenig überzeugend aufgetreten sei und offensichtlich bei den Nachfragen zu seiner Beziehung zu Josef Brumbauer dem Gericht einige Dinge vorenthalten habe.

Zwischen den Zeilen war ferner zu lesen, dass Leo Kuchler den zwei Kollegen und der Kollegin vom Landgericht München II nicht sonderlich sympathisch gewesen war, was Claudia Robler nicht im Geringsten verwunderte. Hinsichtlich der Zeugen bemerkten die Richter, dass alle wohl ihre Verbindungen zu Brumbauer herunterspielten. Die Kammer sah nach den von Claudia Robler als sehr sorgfältig empfundenen Urteilsgründen in der Gesamtschau allerdings keinen Anlass, an den Angaben der Zeugen ernsthafte Zweifel zu hegen.

Nach der Lektüre des Urteils begannen in Claudia Robler der Eindruck und die damit verbundene Vorfreude zu reifen, dass ihr ein spannendes und abwechslungsreiches Verfahren bevorstand. Sie nahm die von Maibaum übergebenen Unterlagen vom Schreibtisch auf und machte sich auf den Weg zu ihrem Abteilungsleiter.

KAPITEL 4