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Ein sokratischer Dialog in dem Schelling versucht die Grundgedanken seiner Identitätsphilosophie darzustellen. Schelling war der Hauptbegründer der spekulativen Naturphilosophie, die von etwa 1800 bis 1830 in Deutschland fast alle Gebiete der damaligen Naturwissenschaften prägte.
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Seitenzahl: 193
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Ein Gespräch
ANSELMO. Willst du uns wiederholen, o Lucian, was du gestern, als wir von der Einrichtung der Mysterien sprachen, über die Wahrheit und Schönheit behauptet?
LUCIAN. Meine Meinung war, daß in vielen Werken die höchste Wahrheit sein könne, ohne daß ihnen darum auch der Preis der Schönheit zuerkannt werden dürfte.
ANSELMO. Du aber, Alexander, erklärtest dagegen, daß die Wahrheit allein alle Forderungen der Kunst erfülle, und daß einzig durch diese ein Werk wahrhaft schön werde.
ALEXANDER. So behauptete ich.
ANSELMO. Gefällt es euch, daß wir diese Rede wieder aufnehmen und den Streit jetzt entscheiden, der unentschieden blieb, als die Zeit Trennung gebot? Denn glücklich hat uns, nicht offenbare Verabredung zwar, doch geheime Übereinstimmung wieder hier vereinigt.
LUCIAN. Willkommen jede Welle des Gesprächs, die in den Strom der Rede uns zurückführt.
ALEXANDER. Immer tiefer in den Kern der Sache dringt gemeinsamer Rede Wetteifer) die leise beginnend, langsam fortschreitend, zuletzt tief anschwillt, die Teilnehmer fortreißt, alle mit Lust erfüllt.
ANSELMO. Lag nicht der Ursprung des Streites in dem, was von uns über die Mysterien und die Mythologie, sowie über das Verhältnis der Philosophen und Dichter festgesetzt worden war?
LUCIAN. So war es.
ANSELMO. Dünkt es euch nicht gut, daß, indem wir diesen Streit beilegen, die Rede zugleich in ihren Ursprung zurückkehre, damit wir nachher ungestört auf den gelegten sichern Grund weiter bauen?
ALEXANDER. Vortrefflich.
ANSELMO. Du also, Lucian, indem es dir möglich dünkt, daß ein Werk, ohne schön zu sein, der höchsten Wahrheit Vollendung haben könne, scheinst etwas Wahrheit zu nennen, dem wir Philosophen vielleicht auch diesen Namen nicht zugestehn würden. Du aber, Alexander, indem du ein Werk nur durch seine Wahrheit schön sein lassest, bezweifelst, daß es einen Punkt geben könne, wo beide, gleich unbedingt, keine von der andern abhängig oder ihr untergeordnet, jede für sich das Höchste, so schlechthin eins und dasselbe sind, daß eine an die Stelle der andern gesetzt, und das Werk, welches jenen Punkt ausgedrückt hat, auf völlig gleiche Weise unter beiden Eigenschaften betrachtet werden kann. Haltet ihr es also nicht für nötig, daß wir vor allem übereinzukommen suchen, was Wahrheit, dann auch was Schönheit zu nennen sei, damit wir nicht entweder irgend etwas, was nur untergeordneterweise dafür gehalten wird, der Schönheit gleichstellen, oder, indem wir diese Wahrheit, die es nicht an sich ist, als unvergleichbar mit der Schönheit setzen, das, was allein wahrhaft Wahrheit ist, zugleich mit aus den Augen verlieren?
LUCIAN. Ein würdiger Stoff und Gegenstand der Unterredung.
ANSELMO. Bist du es aber zufrieden, o Vortrefflicher, der du der Wahrheit vor der Schönheit den Preis zuerkannt hast, unbekümmert, daß sie wenige zählt, die ihr strenges Antlitz ertragen oder den Anblick der Ägide, so wende ich mich an dich.
ALEXANDER. Sehr gern folg' ich dir, o Freund, mich über die Idee der Wahrheit zu verständigen.
ANSELMO. Die Wahrheit also über alles und selbst über die Schönheit setzend, o Freund, wirst du um so weniger anstehn können, ihr auch ferner die höchsten Eigenschaften beizulegen, und diesen ehrwürdigen Namen nicht so wie es kommt auf alles anwenden lassen, was man insgemein darunter begreift.
ALEXANDER. Gewiß.
ANSELMO. Du wirst demnach die Eigenschaft der Wahrheit keiner Erkenntnis zugestehn, welche nur eine gegenwärtige oder überhaupt vergängliche Gewißheit mit sich führt.
ALEXANDER. Keineswegs werde ich.
ANSELMO. Du wirst aus diesem Grunde niemals einer solchen Erkenntnis, welche nur durch die unmittelbaren Affektionen des Leibes vermittelt ist, oder sich unmittelbar nur auf sie bezieht, Wahrheit zuschreiben.
ALEXANDER. Unmöglich, da ich weiß, daß diese, zusamt dem Gegenstande, der sie erleidet, den Bedingungen der Zeit unterworfen sind.
ANSELMO. Aus demselben Grunde wirst du keiner Erkenntnis Wahrheit zugestehn, die verworren, undeutlich, unangemessen der Sache, wie sie an sich, ist.
ALEXANDER. Keine, denn eine jede ist bloß sinnlicher Art und durch Affektionen vermittelt.
ANSELMO. Würdest du aber ferner, was überhaupt zwar eine bleibende, aber doch insofern nur untergeordnete Gewißheit hat, daß es nur für die menschliche oder irgend eine andere Betrachtungsweise, welche nicht die höchste ist, Gültigkeit hätte, mit dem erhabenen Namen der Wahrheit bezeichnen?
ALEXANDER. Auch dieses nicht, wenn es eine solche gebe.
ANSELMO. Du zweifelst, ob es eine solche gebe. Laß demnach sehn, was du jener von uns vergänglich genannten entgegenstellest, oder worein du die unvergängliche Gewißheit setzest.
ALEXANDER. Notwendig in diejenige Wahrheit, die nicht nur von einzelnen Dingen, sondern von allen, und nicht nur für eine bestimmte Zeit, sondern für alle Zeit gilt.
ANSELMO. Solltest du wirklich die unvergängliche Gewißheit in das setzen, was zwar für alle Zeit, aber doch überhaupt in Beziehung auf Zeit Gültigkeit hat? Ist es nicht offenbar, daß die Wahrheit, die überhaupt für die Zeit und Dinge in der Zeit gilt, unvergänglich ist nur in bezug auf das, was selbst nicht ewig ist, also nicht schlechthin und an sich betrachtet? Es ist aber undenkbar, daß, was überhaupt nur vom Endlichen, obgleich es allgemein davon gilt, einen höheren Wert habe als dieses selbst, und daß wir ihm eine mehr als relative Wahrheit zugestehn können, da es mit dem Endlichen zugleich steht und fällt. Denn wer der Menschen wird leugnen, daß einer jeden Wirkung ihre Ursache vorausgehe, und daß diese Gewißheit, ohne an den Gegenständen geprüft zu werden, unmittelbar durch die bloße Beziehung des endlichen Erkennens auf den Begriff des Erkennens, unzweifelhaft sei? Wenn aber derselbe Satz außer der Beziehung auf das an sich Endliche keine Bedeutung hat, so ist es auch unmöglich, daß ihm Wahrheit zukomme. Denn bist du nicht mit mir übereingekommen, daß, was nur für eine untergeordnete Betrachtungsweise Gewißheit hat, nicht im echten Sinne für wahr gehalten werden könne?
ALEXANDER. Freilich.
ANSELMO. Du wirst aber ferner nicht in Abrede sein können, daß die Erkenntnis des Endlichen und Zeitlichen, als solche, selbst nur im endlichen Erkennen, nicht aber im absoluten, statthabe. Würdest du dich aber mit einer Wahrheit begnügen, welche bloß für das Erkennen endlicher Wesen, und nicht schlechthin und auch in Ansehung Gottes und des höchsten Erkennens Wahrheit ist, oder geht nicht alles unser Bestreben darauf, die Dinge so zu erkennen, wie sie auch in jenem urbildlichen Verstande vorgebildet sind, von dem wir in dem unsrigen die bloßen Abbilder erblicken?
ALEXANDER. Es ist schwer zu leugnen.
ANSELMO. Dieses höchste Erkennen aber, kannst du es überhaupt unter Zeitbedingungen denken?
ALEXANDER. Unmöglich.
ANSELMO. Oder auch nur als bestimmt durch Begriffe, die, obgleich an sie allgemein und unendlich, dennoch sich nur auf die Zeit und das Endliche beziehen?
ALEXANDER. Als bestimmt durch solche Begriffe zwar nicht, aber wohl als bestimmend diese Begriffe.
ANSELMO. Dies gilt uns hier gleichviel; denn wir im endlichen Erkennen erscheinen uns nicht als bestimmend jene Begriffe, sondern als durch sie bestimmt, und wenn als bestimmend, offenbar durch ein höheres Erkennen. Wir müssen daher auf jeden Fall es als einen ausgemachten Satz annehmen, daß derjenigen Erkenntnis, die sich überhaupt auf die Zeit oder das zeitliche Dasein der Dinge bezieht, gesetzt auch, daß sie nicht selbst zeitlich entstehe und für die unendliche Zeit so wie für alle Dinge in der Zeit gelte, dennoch keine absolute Wahrheit zukomme, denn sie setzt ein höheres Erkennen voraus, welches von der Art ist, unabhängig von aller Zeit, und ohne allen Bezug auf die Zeit, an sich selbst, demnach schlechthin ewig zu sein.
ALEXANDER. Diese Folge ist unvermeidlich nach den ersten Voraussetzungen.
ANSELMO. Wir werden also erst dann auf dem Gipfel der Wahrheit selbst angekommen sein, und die Dinge sowohl mit Wahrheit erkennen als darstellen, nachdem wir mit unsern Gedanken zu dem unzeitlichen Dasein der Dinge und den ewigen Begriffen derselben gelangt sind.
ALEXANDER. Ich kann es nicht leugnen, obgleich du noch nicht gezeigt hast, wie wir dazu gelangen können.
ANSELMO. Auch geht uns diese Frage hier nicht an, da wir uns bloß um die Idee der Wahrheit bekümmern, die wir darum tiefer zu stellen, oder von ihrer Höhe herabzusetzen, damit sie den meisten leichter zu erreichen sei, für unwürdig halten. – Aber ist es dir gefällig, daß wir auf diese Weise in unsern Untersuchungen fortgehen?
ALEXANDER. Allerdings.
ANSELMO. So laß uns weiter den Unterschied des ewigen und zeitlichen Erkennens betrachten. Hältst du es also für möglich, daß, was wir irrig, verkehrt, unvollkommen usw. nennen, alles dies wirklich an sich, oder daß es solches vielmehr nur in Ansehung unserer Betrachtungsweise sei?
ALEXANDER. Ich kann mir nicht denken, daß z.B. die Unvollkommenheit irgend eines menschlichen Werks nicht wirklich in Ansehung dieses Werkes stattfinde, noch, daß, was wir uns notwendig als irrig denken, nicht auch wirklich falsch sei.