Bruthitze - Tessy Haslauer - E-Book

Bruthitze E-Book

Tessy Haslauer

4,8

  • Herausgeber: Prolibris
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Corinna Moosberger, Mitarbeiterin eines Hotels in Drachselsried, wird tot im Wald aufgefunden. Nun muss das Team um den Straubinger Kommissar Zinnari ausnahmsweise einen Mordfall lösen. Sehr erfahren sind sie darin nicht, der sehr bemühte Polizeianwärter Richard ist keine große Hilfe und der Fall kompliziert. Das Opfer war nicht nur jung und hübsch, sie wird auch von allen Befragten als sehr liebenswürdig beschrieben. Wen könnte sie zu solch einer Grausamkeit provoziert haben? Da es keinen Verdächtigen gibt, gerät jeder ins Visier: Der Hotelbesitzer, der etwas zu verbergen sucht; ein ehemaliger Geliebter der sich fürsorglich um seine psychisch labile Frau kümmert; ein heißblütiger Freund, dessen Klein-Zirkus auf dem Bauernhof von Corinnas Vater Unterkunft findet ...

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Seitenzahl: 307

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Tessy Haslauer

Bruthitze

Straubing Krimi

Prolibris Verlag

Alle Figuren dieses Romans sind von der Autorin frei erfunden. Jegliche auch nur entfernte Ähnlichkeit mit realen Personen – lebenden oder toten – und Ereignissen wäre reiner Zufall.

Auch wenn die fiktive Handlung an tatsächlich existierenden Schauplätzen spielt, so hat sich die Autorin doch die Freiheit genommen, in wenigen Fällen von der Realität abzuweichen, wenn es die Geschichte erforderte. So ist der Ort Rundlberg eine Erfindung der Autorin. Am Schluss des Buches wird der Leser wissen, warum.

Manchmal sprechen die Figuren in diesem Buch Dialekt. Aber nur gerade so viel, dass auch Zugereiste alles verstehen und man merkt: Mia san in Niederbayern.

Gewidmet meinen Eltern,

die so viel für mich getan haben.

Das Leben ist Schlaf, dessen Traum die Liebe ist.

Du wirst gelebt haben, wenn du geliebt haben wirst.

(Alfred de Musset)

1.

»So, jetzt geht’s los, Schorschi.« Isabel Weingartner trug ein rotes Top zu ihren kurzen Shorts, ihren Pullover hatte sie lose um die Schultern gehängt, doch dann entschied sie sich, ihn zu Hause zu lassen. Halb sechs morgens und es war bereits relativ warm. Es würde ein weiterer heißer Sommertag werden. Von denen hatte es in diesem Jahr schon viele gegeben, die braune Farbe ihrer langen Beine bewies das.

Schorschi schlich lustlos an ihr vorbei und wedelte zaghaft. »Na, komm schon, du Lauser, stell dich nicht so an, Morgenstund‘ hat Gold im Mund!« Im Hinausgehen griff sie automatisch noch einmal mit beiden Händen zu dem Gummiband, mit dem sie ihre langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, und zog es fester an den Hinterkopf. Sie pfiff Schorschi herbei und marschierte die Hofeinfahrt hinunter Richtung Straße. Dort nahm sie ihren Golden Retriever an die Leine. »Ich weiß, dass du das nicht magst, ist ja auch nur ein kurzes Stück, dann darfst wieder lossausen.«

Der blonde Schorschi mit den braunen Augen trottete ergeben neben ihr her zum Dorf hinaus. Sie blieb erst stehen, nachdem sie in einen Feldweg eingebogen war. Schorschi machte brav Sitz, damit Isabel ihn ableinen konnte. »Na lauf!« Schon schoss er davon, quer über die Wiese, im Zickzack zurück, um am Wegrand entlangzuschnobern.

Die Sonne war gerade erst hinter den Bergen aufgetaucht, und die Luft war erfüllt vom Duft feuchten Heus. Morgendunst waberte über dem Grund. Dort, wo noch nicht gemäht worden war, hingen an den hohen Grashalmen Tautropfen, in denen sich die frühen Sonnenstrahlen spiegelten. Vögel zwitscherten über ihr, und selbst der Anblick erster Mückenschwärme konnte ihr die Laune nicht verderben. Welch ein Genuss, dachte Isabel zufrieden und ließ dabei ihre Arme kreisen, um den Nacken zu entspannen. Es kam nicht oft vor, dass sie sich morgens die Zeit nahm, mit ihrem Hund nach draußen zu gehen. Aber es war Juli – Urlaubszeit – und der Patientenansturm in ihrer Praxis hatte sich ein wenig gelegt. Auch ein Heilpraktiker brauchte hin und wieder eine Auszeit – und sei es nur für eine schnelle Stunde am sehr frühen Dienstagmorgen.

Sie atmete tief die reine Morgenluft ein und wanderte den Feldweg zwischen den Wiesen weiter hügelaufwärts. Oben am Waldrand hatte jemand gefällte Baumstämme aufgestapelt, weiter rechts waren über den gesamten Hang meterhohe Rundballen mit Gras in Silagefolien verteilt.

Schorschi hatte den Weg wieder verlassen und schnüffelte nun an dem großen Holzstapel herum. Isabel beobachtete ihn und ließ dann ihren Blick weiterschweifen. Es war noch nicht einmal sechs Uhr morgens, und die Chance bestand, dass sich einige Rehe in der Nähe aufhielten. Schorschi interessierten sie nicht, er war ein Apportierhund, und alles, was mit Jagen oder Rennen zu tun hatte, widerstrebte ihm ungemein. Deshalb machte Isabel sich auch keine Sorgen, als er zwischen den Bäumen verschwand, sie wusste, er würde bald von selbst zu ihr zurückkommen.

Die blonde schlanke Frau blieb nun stehen und sah zu dem im leichten Dunst liegenden Dorf hinunter. Ein paar Häuser, einige Bauernhöfe, eine Kirche – Rundlberg war wie die Filmkulisse eines kitschigen Heimatfilmes. Vor fünf Jahren hatte es sie hierher verschlagen, als sie in Bogen bei Straubing ihre Heilpraktiker-Praxis eröffnet hatte und auf der Suche nach einer günstigen Wohnstätte gewesen war. Das kleine Häuschen hatte wohl früher als Austragshaus für ein altes Bauernehepaar gedient. Viele Monate harter Arbeit hatte sie hineingesteckt, doch es hatte sich gelohnt. Es besaß Charme – und einen Garten.

»Da wohnen, wo andere Urlaub machen«, murmelte sie mit einem liebevollen Unterton, und ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf ihr hübsches Gesicht.

Hinter ihr knackten Zweige, und trockenes Laub raschelte unter Schorschis Pfoten. Plötzlich begann ihr Hund, heftig zu bellen. Isabel fuhr herum. Sie vermutete im ersten Moment, dass er nun doch ein Reh oder einen Hasen aufs Korn genommen hatte.

Aber so war es nicht. Schorschi stand etwa drei Meter im Wald zwischen niedrigen Büschen, den Blick unverwandt auf eine Bodenmulde gerichtet, die durch Baumstämme vor Isabels Blick geschützt wurde.

»Schorschi, aus – sei still!« Doch Schorschi war nicht willens, seinem Frauchen zu gehorchen. Er sprang ein paar Schritte in ihre Richtung, gleich darauf wieder zurück und bellte erneut. Seufzend nahm Isabel die Leine von der Schulter und ging auf ihren Hund zu.

»Na, komm schon, mach hier keinen Radau, du Halbstarker!« Energisch griff sie nach seinem Halsband und folgte dabei unwillkürlich seinem Blick. Was sie sah, ließ sie mitten in der Bewegung einfrieren –von einer Sekunde zur anderen wurde sie innerlich eiskalt. Sekundenlang stand sie reglos da, gebeugt, mit der Hand am Hals ihres Hundes, der weiter vorlaufen wollte – bis er sie fast umgerissen hätte.

Taumelnd richtete sich Isabel auf und wich einige Schritte zurück. Doch war sie nicht in der Lage, den Blick abzuwenden. Ein nacktes Bein in Riemchensandale, ein geblümtes Sommerkleid, gebräunte Arme und das Gesicht einer jungen Frau, Spuren von getrocknetem Blut klebten an Kopf und Haaren. Die Haut schimmerte weiß bis gelblich. Als Isabel sich etwas streckte, konnte sie die ganze schlanke Gestalt erkennen, die sich deutlich vom dunklen Waldboden abhob. Ihre Augen waren geschlossen, doch Isabel hatte das bestimmte Gefühl, dass sie nicht schlief. Das Mädchen war tot, zweifellos.

»Scheiße.« Fast erschrak sie über ihre eigene Stimme, die rau und fremd klang. »Scheiße, Scheiße, Scheiße.« Als ob ordinäre Ausdrücke das schreckliche Bild vor ihr in Luft auflösen könnten.

Sie zerrte Schorschi mit sich fort bis zum Waldrand und holte mit zitternden Fingern ihr Handy aus der Hosentasche. »Mann, verdammt, jetzt gib halt Ruh, du Köter!«, fluchte sie undamenhaft.

Links hielt sie die Leine und den unruhigen Schorschi im Zaum, mit der Rechten tippte sie 110. Und während sie darauf wartete, dass sich jemand meldete, ging sie mit wackligen Knien langsam den Weg zur Straße hinunter. Die Kirchenglocken unten im Dorf begannen zu läuten. Das Angelusläuten pünktlich morgens um sechs, das Isabel sonst gerne als Zeichen eines neuen glücklichen Tages voller Lebensfreude wertete, verursachte ihr Gänsehaut. Dieser Tag würde wohl nicht zu ihren freudigsten zählen, dachte Isabel schaudernd und versuchte, das Grauen zu unterdrücken, das ihr den Magen umdrehte und sie zittern ließ wie Götterspeise in der Achterbahn.

2.

»Die Frühtemperaturen an diesem herrlichen Tag betragen bundesweit schon zwischen fünfzehn und achtzehn Grad, wir dürfen uns wieder auf strahlenden Sonnenschein von morgens bis abends freuen. Lediglich über den Mittelgebirgen im Westen Bayerns und Baden-Württembergs ziehen während des Tages Gewitterwolken auf …«

Die gekünstelt fröhliche Stimme des Wetteronkels im Frühstücksfernsehen riss Kommissar Mike Zinnari aus dem Schlaf. Grunzend drehte er sich noch im Dämmerzustand auf die andere Seite und sein rechter Arm knallte dabei auf den gekachelten Wohnzimmertisch.

Mit einem leisen Schmerzensschrei öffnete er die Augen und richtete sich ein wenig auf, doch gleich sank er stöhnend wieder zurück auf die Couchkissen. Er hatte schon wieder mal vor dem Fernseher gepennt, es lief noch immer das Programm, das er gestern Abend eingestellt hatte. Die Augen wieder geschlossen, rieb er sich die schmerzende Stelle am Handrücken. Er wollte nicht aufstehen. Er wollte einfach hier auf der Couch bleiben, nichts hören, niemanden sehen, an nichts denken.

Schuld an seiner augenblicklichen Verfassung war – was Wunder – eine Frau. Genauer genommen – seine Frau. Und noch genauer genommen – seine getrennt lebende Frau. Marion war vor drei Monaten ausgezogen, ihren gemeinsamen Sohn Lukas hatte sie mitgenommen. Seither fiel es Zinnari schwer, abends hinauf ins Schlafzimmer zu gehen, sich in das viel zu breite, viel zu leere Ehebett zu legen. Das Schlafen auf der Couch war ihm schon beinahe zur Gewohnheit geworden. Und das spürte er mehr und mehr in den Knochen. Das Kreuz tat ihm weh, das Genick tat ihm weh, seine Laune wurde fast täglich schlechter. Fünf übereinander aufgeschichtete schaumstoffgefüllte Sofakissen unter Kopf und Nacken waren eben einem erholsamen Schlaf nicht gerade zuträglich.

Mühsam rappelte er sich hoch und schwang die Beine über die Kante. Durch die große Terrassentür fiel das rötliche Licht der aufgehenden Sonne in schmalen Streifen auf die Wände und den Wohnzimmerschrank. Mike hatte die Tür gekippt, doch die Nachtluft hatte sich nicht wirklich so weit abgekühlt, dass sie erfrischend gewirkt hätte. Also hieß es duschen, bevor er zur Arbeit ging. Er sah auf die Uhr. Es war kurz nach sechs.

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