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Die Autorin Jenna Summers zieht für die Recherche ihres neuen Romans auf die kleine Insel Fair. Eigentlich sollte sie dort in aller Ruhe an ihrem neuen Liebesroman arbeiten. Doch nachdem ihr Verlobter sie kurz vor der Hochzeit mit ihrer Freundin betrogen hat, ist ihr die Lust auf Liebesromane vergangen. Sie beschließt, ihr nächstes Projekt dem Beweis zu widmen, dass alle Männer gleich sind. Egal, ob sie nun in der Großstadt oder auf einer winzigen Insel weit ab der Zivilisation leben. Dieser Entschluss festigt sich noch, als sie auf ihren Gastgeber Kieran McDougal trifft und dieser sich schon an ihrem ersten Abend auf Sumburgh Castle von seiner schlechtesten Seite zeigt. Doch da hat sie nicht mit dem Schotten und Schlossherren gerechnet, der ihr für die Zeit ihrer Recherche Unterkunft bietet. Kieran McDougal ist eben doch ganz anders als andere Männer. Während ihrer Recherche trifft sie auf eine unglückliche Liebe und eine Tradition, der nicht nur sie selbst zum Opfer fällt, sondern auch ein Paar aus einer längst vergangenen Zeit. Und Kieran McDougal ist es, der sie wissentlich zum Opfer dieser Tradition macht. Hinweis: Zuvor erschienen unter dem Titel Buchverliebt.
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Vorwort
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Epilog
Rezept für Hodge Podge
1.Auflage September 2013 unter dem Titel „Buchverliebt“
Copyright 2013 by Elena MacKenzie
Dr.-Karl-Gelbke-Str. 16
08529 Plauen
Kontakt: [email protected]
Coverfoto: Canva
Coverdesign: Elena MacKenzie
Alle Rechte vorbehalten, einschließlich das
des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks
in jeder Form.
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten zu realen Personen sind rein zufällig.
Liebe LeserInnen,
dieses Buch spielt auf der kleinen Insel Fair. Diese Insel gibt es wirklich. Sie fasst nur etwa 70 Einwohner und liegt zwischen den Orkney und Shetland Inseln. Vieles, was Sie in diesem Buch über Fair lesen werden, entspricht der Wahrheit. Einiges habe ich selbst erfunden, denn dieses Buch ist eine fiktive Geschichte und dafür habe ich mir einige Freiheiten herausgenommen. Sie werden auf Fair also kein Sumburgh Castle finden, kein Skroo Lighthouse und schon gar keinen Kieran McDougal. Aber wenn Sie genauer schauen, finden Sie vielleicht einen anderen attraktiven Highlander im Kilt. Auch die tragische Geschichte um Isobel ist reine Erfindung, genau wie die Heiratstradition. Aber wenn Sie Fair und Mull Heat mal besuchen, können Sie den Inselbewohnern diese Tradition ja vielleicht schmackhaft machen. Trotz meiner kleinen Flunkereien wünsche ich Ihnen viel Spaß mit diesem Buch und einem ganz besonderen Highlander.
Liebe Grüße Elena MacKenzie
Hinweis: Ursprünglich erschien dieses Buch unter dem Titel Buchverliebt.
Fassungslos starre ich auf das Display meines Handys. Aber auch nach endlosen Minuten ändert sich nichts an dem, was das Foto zeigt. Es ist ein Selfie. Man sollte meinen, so ein Selfie hat keine Bedeutung. Aber das gilt nicht für dieses. Dieses hat mein Leben in der Sekunde verändert, in der ich die Nachricht von meinem Verlobten aufgerufen habe. Selfies sollten keine Leben verändern, sie sollten etwas Spaßiges sein.
Meine Lektorin sagt etwas zu mir, aber ich höre ihre Worte nur wie durch eine dicke Wand. Weil meine Gedanken noch immer damit beschäftigt sind, das Unfassbare dieses Fotos zu verarbeiten. Ich runzle die Stirn und betrachte das Gesicht meines Verlobten. Seine Augen strahlen in die Kamera, seine Mundwinkel umspielt ein spöttisches Lächeln. Sein hellbraunes Haar ist verwuschelt. Ich mag es, wenn sein Haar so aussieht, weil es bedeutet, dass wir eben Sex hatten und ich meine Hände hineingeschoben und darin gewühlt habe. Nur hatten wir gerade keinen Sex, denn ich sitze hier in London vor dem Schreibtisch meiner Lektorin und er ist in Dover auf einer Tagung für Orthopäden. Ich lege den Kopf schief, runzle die Stirn noch stärker und betrachte das andere Gesicht auf dem Bild. Es gehört seiner Kollegin Bianca. Sie teilen sich eine Praxis schon seit mehr als drei Jahren. Seit der Zeit sind wir auch Freundinnen. Wir teilen all unsere Geheimnisse. Nein, nicht alle. Von diesem hatte ich keine Ahnung.
»Hörst du mir überhaupt zu?« Cassandra tritt um ihren Schreibtisch herum und bleibt verärgert neben mir stehen. Sie schielt auf mein Handy und keucht laut auf, dann reißt sie es mir aus der Hand. »Ich fasse es nicht! So ein verficktes Arschloch!«
Langsam sehe ich zu ihr auf, was mich einiges an Anstrengung kostet, denn Cassy ist die größte Frau, die ich jemals gesehen habe. Sie misst satte 1,98 Meter und ist dabei schlank wie ein Supermodel. Die Natur kann schon ungerecht sein. Sie hat endlos lange Beine, einen Körper, der eigentlich auf das Cover des Playboy gehört und dazu auch noch eine kupferrote Lockenmähne, die bis weit über ihre Schultern reicht. Und ich wandel mit knappen 1,65 Metern, Minititten und einem Arsch wie Kim Kardashian herum. Ihr glaubt jetzt wahrscheinlich, dass so ein Arsch doch voll im Trend liegt. Das tut er auch, aber nicht, wenn er an so einen Winzkörper wie meinem hängt. (Winz von Winzling, nicht Winzer.) Okay, mit meinen Haaren bin ich dann doch ganz zufrieden: glänzend schwarz, wellig und voll reichen sie mir bis über die Schulterblätter. Aber so wie es auf dem Foto auf meinem Handy aussieht, steht mein Verlobter seit Neuestem auf Blondinen ohne Kardashian-Arsch. Dafür mit Dolly Buster-Vorbau.
Cassy wedelt wütend mit den Armen, dann lässt sie das Handy angewidert zurück in meinen Schoß fallen. Ich nehme es und betrachte von neuem das Foto, das meinen Verlobten - vielleicht sollte ich ihn lieber Exverlobten nennen - mit meiner Freundin im Bett zeigt. Er hält sie im Arm, und ich bin mir sicher, sie hat keine Ahnung von diesem Foto, denn sie schläft auf seiner nackten Brust.
»Das ist wohl seine Art, mir zu sagen, dass wir nicht heiraten werden«, sage ich monoton. Ich sehe zu Cassy auf, die wütend neben mir auf- und abgeht und Bill nach allen Regeln der Kunst mit Beleidigungen bedenkt. In meiner Brust zieht sich etwas schmerzhaft zusammen. Ich bin nicht traurig, was mich wundert, denn ich habe angenommen, dass ich Bill liebe. Ich bin wütend und enttäuscht. Aber ich trauere ihm nicht nach. Wahrscheinlich muss ich den Schock erst verarbeiten, denn noch vergangene Woche haben wir beide in unserem Wohnzimmer gesessen und Reisekataloge für unsere Flitterwochen gewälzt. Flitterwochen, die jetzt auch nicht mehr stattfinden werden. Aber das macht mich auch nicht traurig. Ich versuche den Gründen dafür nachzuspüren, aber ich finde sie nicht. Ich kann nur gelähmt dabei zusehen, wie Cassy die Wut auslebt, die eigentlich ich empfinden sollte.
»Zumindest musst du ihn jetzt nicht mehr um Erlaubnis fragen.«
»Weswegen?«, hake ich abwesend nach.
»Fair Isle! Wir haben doch darüber gesprochen!«
»Oh, ja. Haben wir. Aber ich habe noch nicht ja gesagt.«
Cassy setzt sich wieder in den schmalen weißen Bürostuhl hinter ihrem gläsernen Schreibtisch. »Uns gefallen deine Pläne, eine Liebesgeschichte in einem malerischen Hinterlanddorf weit ab von menschlicher Zivilisation spielen zu lassen. Und es wäre doch gut, wenn du als Stadtbewohnerin erst einmal einen Blick auf das Landleben wirfst.«
»Ich weiß nicht«, winde ich mich. »Ich muss die Hochzeit absagen, die Blumen abbestellen …«, sage ich und habe plötzlich doch einen Kloß im Hals. Es laut auszusprechen, macht es wohl real. Und wenn es real wird, tut es auch weh. Ich schlucke heftig.
»Vergiss es. Du wirst keinen Finger krümmen! Du verschwindest von hier und lässt das diesen Idioten machen. Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich ihn noch nie leiden konnte?«
»Ja, hast du«, gebe ich widerwillig zu. »So ungefähr jedes Mal, wenn er mich mit allem allein gelassen hat, um auf irgendwelche Tagungen zu fahren.« Ich stocke und sehe Cassy mit weit aufgerissenen Augen an. »Glaubst du, das waren gar keine Tagungen?«
Cassy blinzelt verwirrt. Sie ist wohl genauso erschrocken wie ich. Als sie bemerkt, dass mir Tränen in den Augen schwimmen, winkt sie kopfschüttelnd ab. »So ein Arschloch ist er nun auch wieder nicht.« Aber die Unsicherheit in ihrem Gesicht kann der lässige Plaudertonfall nicht überspielen.
»Okay, du hast recht«, sage ich umso entschlossener. Denn plötzlich ist es mir ein Bedürfnis, Bill mit allem allein zu lassen. Soll er doch unsere Gäste ausladen, das Brautkleid zurückgeben und …
»Die Wohnung gehört ihm! Was mach ich nur mit meinen Sachen?«
Cassy winkt schon wieder ab und wirft grinsend einen Blick auf ihre weinrot lackierten Fingernägel. »Die meisten Möbel hat er ausgesucht. Und seien wir doch mal kurz ehrlich zueinander: sein Geschmack diesbezüglich ist genau wie sein Frauengeschmack.« Cassy zeigt auf mein Handy. »Anwesende ausgeschlossen.« Ich erinnere sie nicht daran, dass die Dame auf dem Foto meine Freundin ist, denn im Moment bin ich mir deswegen selbst nicht mehr sicher.
»Du fährst jetzt ein paar Wochen weg und danach suchst du dir was Neues und dann gehen wir groß Shoppen. Und in der Zwischenzeit, werfen wir deine Klamotten und was du sonst noch so besitzt und ihm wegnehmen möchtest einfach auf meinen Dachboden. Und ich werde bei meinem Cousin Kieran anrufen und einen kleinen Gefallen einfordern. Der Kerl schuldet mir noch was.«
Warum eigentlich nicht, denke ich mir und nicke zufrieden. Wann habe ich mir das letzte Mal eine Auszeit gegönnt? Und eigentlich wollte ich schon immer Mal irgendwo in die Einöde und vollkommen zurückgezogen in der Arbeit an einem Buch versinken. Warum nicht jetzt sofort? »Also gut. Ich hoffe nur, dass dein Cousin nicht auch so ein Arschloch ist.«
»Ist er nicht. Er ist ganz harmlos und schon viel zu alt, um noch ein Arschloch zu sein. Du wirst ihn kaum zu Gesicht bekommen. Sumburgh Castle ist groß genug, um euch für Wochen aus dem Weg zu gehen.«
* * *
Fair Isle ist genau 4,8 Kilometer lang und 2,4 Kilometer breit. Es gehört zu den Shetland Inseln und liegt einsam auf halbem Weg zu den Orkney Inseln. Derzeit wird es von nur 69 Menschen bewohnt. Erreichen kann man die Insel drei Mal in der Woche mit einer Fähre und vier Mal mit einem kleinen Charterflugzeug. Natürlich immer wetterabhängig. Ich befinde mich gerade auf der Fähre und wäre dankbar gewesen, wenn man heute beschlossen hätte, die Fähre nicht fahren zu lassen. Denn der starke Wind und heftige Wellen rütteln an dem Gefährt und treiben mir die Übelkeit in sämtliche Regionen meines Körpers. Krampfhaft kämpfe ich darum, mein Mittagessen im Magen zu behalten und bete das Ende dieser Folter herbei. Und jede Minute, die diese Folter andauert, verfluche ich Cassy, die mich hierauf nicht vorbereitet hat. Sie hat nur von der wundervollen Landschaft, den Vögeln und den steilen Klippen gesprochen. Dass man seetauglich sein muss, war ihr wohl entfallen.
Meine Sachen haben wir innerhalb eines Tages aus Bills Wohnung geholt. Wir hatten sogar die tatkräftige Unterstützung meines Stiefvaters, der für seine siebenundfünfzig Jahre noch immer sehr gut anpacken kann. Im Übrigen hat meine Mutter mir bei jeder Kiste, die wir gemeinsam eingepackt haben, gesagt, dass sie es ja schon immer gesagt hatte. Und das hatte sie tatsächlich. Die Idee, das, was Bill am allermeisten liebt, auch noch mitzunehmen, hatte auch Cassy. Jetzt steht der 55 Zoll-Fernseher erstmal bei ihr im Wohnzimmer. Eigentlich komme ich ja nie zum Fernsehen, aber als Cassy mir sagte, dass ich ihn unbedingt bräuchte, da konnte ich nicht nein sagen.
Ich stehe hinter der Glasscheibe und starre auf das dunkelgraue Meer. Die Trennung von Bill ist jetzt fast drei Wochen her und Trauer hat sich noch immer nicht eingestellt. Die Wellen schaukeln die Fähre kräftig umher. In Gedanken sage ich mir immer und immer wieder: langsam einatmen, langsam ausatmen. Gleich ist es vorbei. Direkt voraus erhebt sich doch schon eine steile Felswand. Dort willst du hin. Nur noch wenige Minuten. Langsam einatmen …
»Sie sehen recht blass aus«, spricht mich eine ältere Dame an. Sie trägt ein rot-grünes Plaid um ihre Schultern. In ihr Gesicht haben sich schon tiefe Falten gegraben und ihr lockig graues Haar steckt unter einer Plastiktüte. Sie bemerkt meinen Blick und lächelt. »Es regnet heute.«
»Ich habe einen Schirm mit«, erwähne ich pflichtbewusst. Sie schüttelt lächelnd den Kopf.
»Bei dem Wind wird der Ihnen nichts bringen. Was wollen Sie sich denn ansehen bei uns?«
Sie ist einen Kopf kleiner als ich. Ich muss nicht oft nach unten schauen, um jemanden ins Gesicht zu sehen. »Das weiß ich noch nicht. Ich habe mich noch gar nicht informiert, was es auf der Insel alles gibt. Ich bin hier mehr oder weniger reingestolpert. Meine Freundin hat einen Cousin hier.« Ich vermeide mit Absicht das Wort Lektorin. Es führt fast immer zu der erstaunten Frage, was ich denn beruflich mache. Damit habe ich auch meist kein Problem. Es ist ja auch nicht allzu schlimm zu sagen: Ich bin Autorin. Doch darauf folgt immer die nächste Frage: Was schreiben Sie denn? Und einer Dame in den Siebzigern zu sagen: Ich schreibe erotische Literatur, kommt nicht immer gut an.
»Wer ist denn dieser Cousin?«
Natürlich wird sie ihn kennen. Bei weniger als siebzig Einwohnern kennt jeder jeden. Und da Cassy meinen Aufenthalt für ganze sechs Monate eingeplant hat, damit ich mich auch richtig in das Leben hier einfühlen kann, wird sie es wohl bald allein herausfinden. »Kieran McDougal.«
»Kieran!«, sagt sie gedehnt. »Er lebt völlig zurückgezogen. Dass er sich überhaupt Gäste in sein Haus holt. Aber vielleicht quartiert er sie ja auch im Leuchtturm ein.«
»Leuchtturm?«
»Skroo Lighthouse. Gehört auch ihm. Gar nicht so hässlich, wie sich das vielleicht anhört«, sagt sie bestimmt.
Die alte Dame hat mich gut abgelenkt, denn als ich jetzt wieder nach draußen sehe, laufen wir schon in den kleinen Hafen ein, der in einer Bucht liegt. Ich folge ihr von der Fähre. Mit uns verlassen nur etwa sieben weitere Personen die Fähre. Ich bleibe am Anleger stehen und sehe mich um. Alle verlassen geschäftig den kleinen Hafen und wenige Minuten später bin ich die einzige, die im Regen steht und nicht weiß, was sie tun soll. Ich laufe los und sehe mich nach einem Taxistand, einer Bushaltestelle oder Ähnlichem um. Aber da ist nichts. Ein Mann steht an ein kleines Boot gelehnt und mustert mich neugierig. Ich winke ihm und trete langsam näher. Er muss um die Fünfzig sein, trägt einen Hut, der tief in die Stirn gerückt ist, und einen langen schwarzen Gummimantel. Ich muss zugeben, er wirkt wie der Mörder aus dem Slasher Movie Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast, aber im Moment bin ich dazu bereit, das Risiko einzugehen.
»Entschuldigen Sie, ich möchte zum Sumburgh Castle. Gibt es hier ein Taxi, das ich rufen könnte?«
Der Mann lacht. Seine Schultern zucken unter dem Gummimantel. Der Wind trägt den Geruch von fauligen Algen zu uns. »Ein Taxi? Hier? Hier kann man alles zu Fuß erreichen. Hin und wieder fährt der alte McLean mit seinem Transporter Touristen. Aber bei dem Wetter kriegen Sie den nicht vor die Tür.«
Ich seufze. Meine Kleidung ist durchnässt und mir ist kalt. Meine Zähne schlagen aufeinander. Ich muss mir in Erinnerung rufen, dass das hier Cassys Idee gewesen ist. Sie war der Meinung, Fair im Herbst zu bereisen wäre das Richtige für mich. Okay, die Alternative hätte geheißen, mich mit Bill herumzuschlagen. Dann ist eine Lungenentzündung doch kein so schlechter Plan. »Wie lange läuft man denn bis zum Castle?«
»Etwa 30 Minuten die Straße runter, dann kommen Sie direkt darauf zu.«
Ich bedanke mich, schnappe mir meine zwei Rollkoffer und laufe los. Die Straße ist nicht lange eine Straße und verändert sich bald in festgefahrenen Schotter, der sich bei diesem Regen mit Matsch vermischt hat. Meine Koffer rattern und hüpfen hinter mir her und ich verfluche diesen Kieran, weil er mich nicht vom Hafen abgeholt hat. Aber, entschuldige ich ihn auch gleich wieder bei mir, vielleicht hat er ja wirklich wichtige Dinge zu tun. Was eben auf einer Burg so anfällt: Moos von den Steinen kratzen, Löcher zwischen Steinen stopfen, Rüstungen abstauben … Ich zähle die Arbeiten auf, die mir einfallen und bin mir sicher, dass er dafür Angestellte hat. Und weil ich mir da so sicher bin, frage ich mich jetzt, warum nicht einer von ihnen mich abgeholt hat? Und mit jedem vor Kälte bibbernden Schritt, den ich hinter mich gebracht habe, werde ich noch zorniger und wünsche diesem Kieran McDougal, dass er einen guten Grund hat, mich nicht abgeholt zu haben.
Es wird dunkel und als ich nach zwanzig Minuten noch immer kein Castle in der Ferne sehen kann, wird mir mulmig zumute. Es gibt hier nämlich weit und breit auch keine Straßenbeleuchtung. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Nacht hier deutlich schneller hereinbricht. Ich laufe weiter und sehe mich nach irgendeinem Licht um. Egal welches ich jetzt entdecke, ich werde darauf zuhalten. Vor zehn Schritten kam mir das Rattern der Koffer noch nicht so beängstigend vor. Doch jetzt hallt es bedrohlich in der hereinbrechenden Dunkelheit. Ich bleibe stehen, sehe mich um und es gibt noch immer kein Licht. Nur die Sterne direkt über mir, die hin und wieder ein Loch in der Wolkendecke finden. Ich krame mein Handy heraus. Ich muss Cassy anrufen, denn in mir macht sich langsam der Verdacht breit, dass ich mich verlaufen habe. Aber wie hätte ich mich verlaufen können? Ich bin der Straße gefolgt. Ich wähle mit klammen Fingern Cassys Nummer und warte auf das Klingeln. Es kommt nicht. Weil ich mich auf einer winzigen Insel im Nordatlantik befinde, auf der es noch nicht einmal Busse und Taxis gibt. Wie hätte es dann hier ein Handynetz geben sollen?
Den Tränen nahe stecke ich das Handy weg und laufe weiter. Die Straße nimmt eine Biegung um einen Hügel herum. Ich überlege, ob ich nicht umkehren soll, wer weiß, ob hier draußen überhaupt noch was kommt. Aber dann fällt mir ein, dass die Insel ja nicht groß ist und eigentlich müsste ich sie fast einmal durchlaufen haben. Wenn ich ein Haus finde, dann bestimmt in Küstennähe. Also laufe ich um den Hügel herum und stehe vor dem, was ich auf den ersten Blick für ein Castle halten würde. Meine Schultern sacken erleichtert nach unten. Selbst wenn das hier nicht Sumburgh Castle ist, hier scheint jemand zu wohnen, denn es brennt Licht in einem der unteren Fenster. Groß wirkt die Silhouette nicht, die sich vor dem Nachthimmel abhebt. Aber ich habe auch kein großes Castle auf einer so kleinen Insel erwartet. Ich gehe auf das Licht zu. Ein paar niedrige Bäume kann ich wahrnehmen und das Meer höre ich in der Nähe rauschen.
An der Tür suche ich nach einer Klingel, kann aber keine finden. Da ist nur ein eiserner Ring. Ich nehme ihn und hämmere damit gegen das schwere Holz. Eine Windböe erwischt mich und lässt mich erzittern. Ich reibe meine Hände gegeneinander. Die Tür wird aufgerissen und ich blinzele gegen das Licht an, das mich plötzlich trifft. Ein groß gewachsener Mann mit breiten Schultern und unzufriedenem Gesichtsausdruck starrt mich an.
»Sind Sie Kieran McDougal?«, möchte ich ungeduldig wissen.
»Und Sie sind?«
»Jenna Summers, Cassandra hat mich angemeldet«, sage ich und spüre, wie sich langsam Zorn in mir breit macht, weil ich noch immer in der Kälte stehe.
»Ach die Autorin auf dem Selbstfindungstrip.«
»Dem was?« Mein Mund klappt auf.
»Cassandra meinte, Sie bräuchten etwas Zeit für sich, um nachzudenken.«
»Das hat sie gesagt?«
»Nicht genau das, aber es kommt in etwa hin.«
Ich ignoriere, was er gesagt hat. Jede weitere Diskussion würde nur dazu führen, dass ich noch länger in der Kälte stehen muss. »Könnte ich jetzt? Mir ist kalt. Es hat ja niemand für nötig gehalten, mich abzuholen.«
»Ich soll Sie hier wohnen lassen, von mehr war nicht die Rede. Und ich mach das nur, weil ich Cassandra etwas schulde.«
»Vielleicht beruhigt es Sie ja, dass Cassy wohl jetzt mir etwas schuldet. Immerhin musste ich bei diesem Wetter die ganze Insel überqueren. Wenn sie mir gesagt hätte, dass ich auf einen Neandertaler ohne Anstand treffe, hätte ich mich besser vorbereitet.« Jetzt bin ich wirklich zornig. Dieser Hinterwäldler von einem Mann sieht scheinbar nicht einmal ein, mir den Weg in sein Haus freizugeben.
»Frauen wie Sie sind der Grund, warum ich lieber allein lebe«, knurrt er, macht mir nun aber doch endlich Platz. Ich greife mit erfrorenen Fingern nach meinen Koffern und ziehe sie hinter mir her in eine große Halle von der zwei Türen abführen und sich eine breite Treppe zum Obergeschoss windet.
»Sie sollen ja nicht mit mir leben. Ich bin sicher, es gibt hier genug Räumlichkeiten, um uns für die Zeit meines Aufenthalts aus dem Weg zu gehen. Sie werden mich nicht bemerken und ich werde Sie nicht ertragen müssen«, werfe ich bibbernd ein und grinse in mich hinein, als ich die Pfütze zu meinen Schlammfüßen sehe. »Das tut mir leid. Das müssten Sie jetzt wohl nicht sauber machen, wenn Sie mich vom Hafen abgeholt hätten.«
»Das macht nichts. Amanda kann das morgen wegmachen, wenn sie zur Arbeit kommt.«
Ich mustere den Mann genauer. Er hat einen scharf geschnittenen sehr markanten Unterkiefer, ein breites Kinn, volle Lippen und eine gerade Nase. Nicht nur sein schwarzes Haar lässt ihn düster wirken. Alles an ihm wirkt rau und auf eine wilde Art attraktiv. Er trägt ein dünnes dunkelblaues Shirt mit einem verwaschenen Aufdruck, das jeden einzelnen Muskel seines Oberkörpers umschmeichelt. Er grinst mich selbstzufrieden an, als er meine Musterung bemerkt. Ich ziehe provokant die Augenbrauen hoch.
»Ich stelle gerade fest, körperlich sind Sie in der Lage, meine Koffer in mein Zimmer zu tragen.« Ich lasse die Griffe los und wende mich der Treppe zu. »Wo ist mein Zimmer? Ich brauche dringend eine heiße Dusche.« Ich bin eine freundliche Person, aber wenn man mir gegenüber ein solches Verhalten an den Tag legt, dann vergesse ich meine gute Erziehung. Außerdem hat meine Mutter schon immer gesagt: Was ein Mann dir antut, tu ihm auch an. Männer haben es nicht anders verdient. Bis vor Kurzem hätte ich ihr da widersprochen, aber seit Bill mir auf so nette Weise das Ende unserer Verlobung erklärt hat, habe ich meine Meinung geändert. Ich muss gestehen, was Männer betrifft, hat meine Mutter recht. Ich frage mich nur, warum sie dann ein zweites Mal vor den Altar getreten ist?
Mein breitschultriger, groß gewachsener Gastgeber nimmt sich knurrend meine Koffer und geht vor mir die Stufen nach oben. Ich werfe einen bewundernden Blick auf die knackige Rundung seines Hinterns in der lässig tief sitzenden Jeans. Mir gefällt, was ich sehe, aber natürlich gestehe ich es mir nicht ein, sondern ermahne mich in Gedanken, diesen Hintern absolut verachtenswert zu finden.
»Ihre Vorfahren sind Kelten?«, frage ich beiläufig, während wir oben ankommen und uns nach rechts wenden. Ich nicke anerkennend, als ich die kleinen dunklen Beistelltischchen sehe auf denen alte Vasen, Bilderrahmen und anderer Nippes stehen. An einer Wand entdecke ich das Gemälde einer rothaarigen jungen Schönheit mit moosgrünen Augen.
Er wirft mir aus silbernen Augen einen fragenden Blick über die Schulter zu. Dieser starke Kontrast zum dunklen Haar, bemerkenswert, denke ich. »Wie kommen Sie darauf?«
»Um ehrlich zu sein, war das eine rhetorische Frage und eigentlich wollte ich damit nur darauf anspielen, dass Sie nicht nur groß, dunkelhaarig und eben keltisch wirken. Sie knurren noch dazu wie ein Wilder von Vorgestern.«
Er bleibt stehen, dreht sich mit gerunzelter Stirn zu mir um und sieht mich bedrohlich an. Ich bin sicher, er hätte fast schon wieder geknurrt, hat es aber runtergeschluckt. Ich kichere zufrieden in mich hinein und sehe mit großen Augen unschuldig zu ihm auf. Er macht einen Schritt auf mich zu und sieht von oben auf mich herab.
»Und Sie sind mit Sicherheit eine verwöhnte Göre aus gutem englischen Haus, der ihre Mutter gelehrt hat, dass es eine gute Idee ist, Männer zur Weißglut zu treiben.«
Ich tu so, als müsste ich darüber nachdenken, dann schüttle ich den Kopf. »Das stimmt nicht ganz. Männer haben mich gelehrt, dass es eine gute Idee ist …«
Er hebt die Hand und winkt ab. »Ich sehe schon, wir verstehen uns. Ich habe kein Interesse an Frauen und Sie keins an Männern. Das macht dieses erzwungene Zusammenleben hier ertragbar.«
»Oh nein«, werfe ich ein. »Sie verstehen das falsch. Ich bin nicht lesbisch. Nur vorerst absolut nicht an Arschlöchern interessiert. Davon hatte ich genug.«
Sein Blick gleitet über meinen Körper, verharrt kurz auf meinen Brüsten, von denen er nicht viel sehen dürfte, denn sie verstecken sich unter einem schwarzen Wollmantel. »Das meinte ich. Frauen, die an Männern interessiert sind, rennen nicht herum wie zugeschnürte Pakete.« Er nickt mit dem Kopf nach rechts. »Ihr Zimmer, Madam.« Damit lässt er mich stehen.
Ich gebe zu, ich habe mich zu sehr hinreißen lassen, aber dieser Mann hat etwas an sich, das mich mit den Zähnen knirschen lässt. Vielleicht liegt das nur an meinem körperlichen Zustand, vielleicht aber auch einfach an ihm selbst. Im Moment bin ich zu müde, das genauer zu ergründen. Ich greife nach meinen Koffern und betrete mein Zimmer auf Zeit.
Mein Zimmer ist nicht besonders groß, aber sehr gemütlich eingerichtet. Es erinnert mich ein wenig an alte Filme. An Vom Winde verweht und … Ja, auch an Jane Austen. Dunkles Holz, geblümte Tapeten und eine geblümte Tagesdecke. Weiße Spitze auf dem Toilettentisch und ein vom Alter erblindeter Spiegel. Das Gemälde einer Dame in der Mode des 19. Jahrhunderts an der Wand über dem Bett. Vor dem Fenster Gardinen, wie ich sie noch aus meiner Kindheit kenne, lange bevor es musterlose glatte Schals und bedruckte Gardinen gab. Ich trete an das Fenster, aber die Dunkelheit verschlingt, was auf der anderen Seite wartet. Müde sehe ich mich nach einer weiteren Tür um und muss feststellen, dass es keine gibt. Das Bad liegt irgendwo außerhalb meines Zimmers. Mir bleibt also nur, meinen Gastgeber zu suchen und ihn mit meiner Anwesenheit ein weiteres Mal zu belästigen oder mich selbst auf die Suche nach dem Bad zu machen. Ich packe meine Koffer aus, räume alles in den großen Kleiderschrank und klemme mir das unter die Arme, was ich für eine ausgiebige Dusche brauche.
Der Korridor hat ganz genau sieben Türen und jede einzelne sieht gleich aus. Ich sehe nach rechts und nach links und überlege, dass es vielleicht doch besser wäre, meinen Gastgeber zu fragen, hinter welcher sich das Bad befindet. Andererseits müsste ich ihn dazu auch erst einmal finden. So oder so, ich muss mich auf die Suche begeben und vielleicht habe ich ja Glück und finde das Bad, bevor ich ihn finde. Auf die Dusche habe ich gerade wirklich Lust. Auf ihn kein bisschen. Ich wende mich nach rechts und öffne die erste Tür. Sie führt in ein Büro. Es ist nicht groß. Bietet gerade einmal Platz für einen Schreibtisch und ein paar Regale. Auch hier sind die Möbel dunkel gehalten. Ich schließe die Tür wieder und öffne die nächste. Ein Schlafzimmer. Ich finde noch ein weiteres Schlafzimmer, dann muss ich den Gang zurückgehen und auf der anderen Seite der Treppe weitersuchen.
Ich öffne die erste Tür und entdecke, wie soll es anders sein, ein Schlafzimmer. Mein Gastgeber steht mitten im Raum, den Rücken zu mir. Er hält sein Shirt in den Händen. Er dreht sich zu mir um und mein Blick wird ungewollt von seiner breiten Brust angezogen. Er trägt ein Tattoo, das sich spiralförmig um seine rechte Brust windet und sich dann über die Schulter seinen Arm hinunter ausbreitet. Ich schlucke bei dem Anblick seines nackten Oberkörpers. Bisher habe ich nicht gewusst, dass ich auf Tattoos, Muskelberge und Waschbrettbauch stehe. Aber dieser Anblick gefällt mir nicht nur, er lässt meinen Mund trocken werden und meinen Puls schneller schlagen.
»Sie schnüffeln herum? Irgendetwas Interessantes entdeckt?«
Ja, deinen Körper aber davon abgesehen … »Um ehrlich zu sein, nein. Aber ich wäre Ihnen äußerst dankbar, wenn Sie mir sagen würden, wo ich das Bad finde.« Ich halte mein Duschtuch hoch, um meinem Gastgeber zu zeigen, dass ich keinesfalls geschnüffelt habe. »Und hätten Sie Ihre Pflichten als Gastgeber ernster genommen, dann müsste ich nicht danach schnüffeln.«
Er knüllt das Shirt zusammen und wirft es auf sein Bett, dann geht er mit großen Schritten an mir vorbei. Er bleibt mit zusammengekniffenen Lippen vor der nächsten Tür stehen und zeigt auf ein kleines goldenes Schild auf dem in verblassten Buchstaben WC steht.
Ich trete mit erhobenem Kinn an ihm vorbei und öffne die Tür. »Danke. Übrigens, schöne Blümchenvorhänge an ihrem Bett«, sage ich grinsend. Er kneift die Lider ein Stück zusammen. Gleich wird er wieder knurren. Ich warte schon lächelnd darauf, aber er tut es nicht.
»Die sind von meiner Frau.«
Das war unerwartet. Ich schlucke erstaunt, weil Cassy offensichtlich vergessen hat, das zu erwähnen. Aber ich bin auch überrascht, dass ein Neandertaler wie Kieran McDougal verheiratet ist. »Bestellen Sie Ihrer Frau, dass sie einen zwar kitschigen, aber interessanten Geschmack hat. Wo ist sie überhaupt? Ich hatte noch nicht die Ehre.« Ich bin nur neugierig. Das darf ich ja wohl.
»Nicht hier«, gibt er düster zurück und lässt mich schon wieder einfach stehen.
»Sind Sie deswegen nicht an Frauen interessiert? Weil Sie verheiratet sind? Dann würde ich das natürlich verstehen.«
Er bleibt stehen und wendet sich zu mir um. Ich stehe im Türrahmen zum Bad, das eine kleine Oase mit Eckbadewanne, Dusche und marmornen Fliesen ist, und mich mit dem Versprechen einer extrem entspannenden Dusche lockt. Aber das musste ich Kieran noch an den Kopf knallen. Er bringt mich einfach dazu, nicht ich zu sein. Und der Anblick seines fantastischen nackten Oberkörpers verursacht ein unanständiges und absolut ungewolltes aber sehr erotisches Kribbeln in mir.
»Genau das ist der Grund.«
Fair Isle ist wirklich nicht groß. Es gibt eine Schule, zwei kleine Läden, Schafe - mehr als Einwohner - und eins der bekanntesten Vogelobservatorien auf diesem Planeten. Die Vögel sind es, die die Insel berühmt machen, weil sie auf ihren Flügen von Nord nach Süd und umgekehrt hier vorbeikommen, hat mir ein mürrischer Schäfer erklärt. Die Menschen hier leben vorwiegend von der Herstellung von Wolle. Es gibt sogar eine Pullover-Manufaktur, wo nach alter Tradition Strickkleidung hergestellt wird.
Als ich heute Morgen aufgewacht bin, war ich allein. Mein Gastgeber hat mir ein Frühstück auf dem großen Tisch in der altmodischen Küche hinterlassen, das aus Müsli und Kaffee bestand. Das Müsli war mir zu … gesund. Also habe ich nur den Kaffee getrunken. Ich habe den Vormittag damit verbracht, mich auf der Insel umzusehen. Hatte ein nettes Gespräch mit einer älteren Dame, ein nicht ganz so nettes mit einem alten Hirten und habe eine Schulklasse gesehen, die Vogelfedern an den Klippen gesammelt hat. Ich habe mir Notizen gemacht, mir meine Schuhe mit Vogelhinterlassenschaften versaut und mich dann eine Weile an eine der Steilklippen gesetzt und die Wellen beobachtet. Aber all das Rauschen und Vogelgeschrei hat mir nicht dabei geholfen, etwas zu finden, das auch nur annähernd eine Idee für mein nächstes Buch liefert. Trotzdem muss ich sagen, dass Fair der Vorstellung von einem Paradies sehr nahe kommt. Es ist so abgeschieden, dass mein Handy nicht klingelt und Facebook es nicht erreicht. Und es kann stolz auf seine malerisch romantische Landschaft sein - inklusive kleinem Castle und Leuchtturm. Und absoluter Einsamkeit, sieht man mal von den gelegentlichen Begegnungen mit Einwohnern und vogelinteressierten Touristen ab.
Klar ist, mein Buch soll ein Liebesroman werden. Die Kulisse ist perfekt für Romantik. Aber wie schreibt man einen Liebesroman, wenn die Liebe einen erst kürzlich in den Hintern getreten hat? Alles was mir einfällt, ist der Wunsch, im nächsten Buch mit den Männern abzurechnen. Im Moment habe ich den Glauben an Männer verloren. Die, die in der Stadt leben, sind fremdgehende Arschlöcher. Und die abseits der Zivilisation sind Hinterwäldler. Obwohl das Frühstück heute Morgen schon mehr war, als ich erwartet hatte, nach meinem gestrigen Zusammentreffen mit Kieran McDougal.
Ich stehe auf und beschließe, mich im Archiv im Gemeindehaus umzusehen. Die alte Dame vorhin hatte erwähnt, dass auf Sumburgh Castle eins der bekanntesten schottischen Gespenster sein Unwesen treibt. Ich bin zuerst nicht weiter darauf eingegangen, denn man kennt das ja als Bewohner der britischen Inseln. Hier spukt es ja angeblich überall. Ich für meinen Teil habe aber noch keinen Geist gesehen. Sie etwa? Aber ehe ich gar nichts tue, schaue ich mal, was es über diese junge Dame in Weiß so herauszufinden gibt. Irgendwoher muss ich mir Inspiration holen. Nicht nur, um überhaupt etwas für mein Buch zu haben, sondern auch, weil mich die Langeweile auf dieser Insel sonst in den Wahnsinn treiben wird.
Etwa eine Stunde später sitze ich am einzigen Tisch im kleinen Gemeindearchiv und habe gefunden, wonach ich gesucht habe. Eine Liebesgeschichte, wie sie tragischer nicht sein könnte. Kein Wunder, dass Isobel McDougal zu einer Spukgestalt geworden ist. Isobel war die siebzehnjährige Tochter des damaligen Herren von Sumburgh Castle. Nach dem Stammbaum der McDougals, die Schwester von Kierans Urgroßvater. Sie hat sich in einen jungen Schäfer verliebt. Doch ihr Vater hatte etwas gegen die Beziehung. Warum steht nicht in dem Zeitungsbericht von damals. Aber ich vermute, weil der Hirte nicht standesgemäß war.
Zur damaligen Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts, nicht selten, auch in unseren Breitengraden. Das arme Mädchen wurde kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag am Fuße einer Klippe gefunden. Man ging damals von Selbstmord aus. Ich sehe mir das Foto an, das Isobel auf den Steinen liegend zeigt. Sie trägt ein weißes Kleid. Ich nehme die Lupe, die mir die Angestellte zur Verfügung gestellt hat, und sehe mir Isobels Gesicht an. Es gibt leider nur das Bild ihrer Leiche. Trotzdem erkenne ich sie sofort wieder. Ich habe sie schon gesehen. Und mir fällt auch sofort ein wo. Auf Sumburgh Castle hängt ein Porträtgemälde von ihr. Ich kneife die Lippen zusammen, weil ich Mitleid mit dem armen Mädchen empfinde. Auch sie ist ein Opfer der Liebe geworden. Ich betrachte sie weiter durch die Lupe. In ihrer Hand hält sie etwas. Ich bewege die Lupe hin und her. Es ist eine Taschenuhr. Ein junges Mädchen mit einer Herrenuhr in der Hand? Warum sollte sie sich mit dieser Uhr die Klippen hinuntergestürzt haben?
»Das ergibt doch keinen Sinn«, flüstere ich.
»Was ergibt keinen Sinn?«, möchte die Archivarin verwundert von mir wissen. Ich winke sie heran und zeige auf das Foto. Die Dame muss die Sechzig schon überschritten haben. Wahrscheinlich arbeitet sie nur noch hier, weil sie sonst nichts anderes zu tun hat auf dieser Insel. Sie beugt sich über den Zeitungsausschnitt und schaut durch die Lupe. Ihre grauen Locken kitzeln mich an der Wange. »Ich kann nichts Ungewöhnliches sehen.«
»Sie hat eine Taschenuhr in der Hand. Warum sollte sie die haben?«
»Vielleicht gehörte sie ihrem Vater?«
Ich runzle die Stirn. »Das denke ich nicht. Er hat versucht, sie von ihrem Liebsten fernzuhalten. Warum sollte sie dann mit seiner Uhr in der Hand springen?«
»Dann gehörte sie ihrem Liebsten.«
»Nein, nein«, sage ich ungeduldig. »Er war Hirte. So was konnte er sich bestimmt nicht leisten.« Ich klopfe mit dem Ende meines Kulis auf meinen Notizblock und grübele nach. »Sie ist nicht gesprungen. Sie wurde gestoßen.«
»Mord? Hier auf der Insel? Undenkbar.«
Ich werfe der Dame einen zweifelnden Blick zu und schiele auf ihr Namensschild, das sie wohl nur für die Touristen trägt. »Mrs Sheffield. Die Inselbewohner hier sind auch nur Menschen. Und Menschen sind nicht unfehlbar. Egal, wo sie leben. Ich bin sicher, dieses Mädchen wurde getötet. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass man damals nicht auch auf den gleichen Gedanken gekommen ist«, behaare ich.
Sie schüttelt abwehrend den Kopf. »Das ist eine alte Geschichte. Heute nicht mehr wert als ein Touristenspaß. Sie sollten nicht zu viel hinein interpretieren.«
Ich mustere die leicht untersetzte Dame. Sie rückt ihre Brille zurecht und wirkt ein wenig nervös. Ist es meine Neugier, meine Anwesenheit überhaupt oder meine Unterstellung, dass auf dieser ruhigen Insel ein grauenvolles Verbrechen begangen wurde? Ihre Reaktion zumindest macht mich sehr stutzig. »Gibt es noch mehr Materialien über den Vorfall?«
»Nein, das ist alles«, sagt sie bestimmt. Diese Antwort versetzt mir einen traurigen Stich. Aber meine Neugier ist auf jeden Fall geweckt und ich beschließe für mich, dass Isobel es verdient hat, dass man erfährt, wer ihr Leben so früh beendet hat. Und Rätsel habe ich schon immer geliebt. Sie wecken etwas in mir. Bringen mich dazu, nach ihrer Lösung zu graben, bis ich sie gefunden habe. Und ein bisschen ist es auch die Liebesgeschichte dahinter, die mich nicht loslässt.
»Das ist schade. Aber vielleicht könnten Sie mir eine Kopie von diesem Artikel machen. Ich denke, ich werde der Sache auf den Grund gehen.«
Sie schluckt und sieht mich aus blitzenden Augen an. Vielleicht ist es auch die Angst davor, einen Touristenmagnet weniger vorweisen zu können, wenn Isobel erst einmal nicht mehr auf Fair Isle spukt. Ein Mädchen, das aus Liebe den Freitod gewählt hat, ist eine bessere Spukgeschichte, als ein Mädchen, das ermordet wurde. Wie auch immer, ich werde mich dieses Rätsels annehmen, es gibt hier ja auch sonst nicht viel zu tun. Und ein McDougal-Familiengeheimnis aufzudecken, ist ein noch größerer Ansporn für mich, dieser Liebesgeschichte ein Ende zu verpassen. Ich verabschiede mich von Mrs Sheffield und mache mich auf den Rückweg zum Castle.
Als ich an dem kleinen Shop vorbeikomme, treffe ich die Dame von der Fähre wieder. In London hätte ich das einen Glücksfall genannt. Hier auf Fair Isle ist es vorprogrammiert, dass man sich immer und immer wieder über den Weg läuft. Weder die Wege, die man hier nutzen kann, sind zahlreich noch die Einkaufsmöglichkeiten. So oder so, ein Glücksfall ist es in diesem Moment wohl doch. Die Dame war schon auf der Fähre sehr redselig, vielleicht ist sie das noch immer.
»Mrs Bender, schön Sie wiederzusehen«, begrüße ich sie gespielt freudig und laufe lächelnd auf sie zu.
»Oh, die junge Frau, die auf Sumburgh Castle abgestiegen ist.« Sie lässt den Trolli los, den sie hinter sich hergezogen hat, und reicht mir die Hand. »Sie haben sich auf unserer Insel umgesehen?«
»Ja, ein wenig«, bestätige ich und sehe ihr dabei aufrichtig in die Augen. Sie soll das Gefühl bekommen, dass wir ein harmloses Gespräch führen und ich nichts zu verbergen habe. Ich seufze vernehmlich und streiche mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht, die der Wind immer wieder aus meinem lockeren Zopf reißt. »Ich hab mir die Manufaktur angesehen, war an der Nordklippe und auch im Observatorium.«
»Da haben Sie an Ihrem ersten Tag schon fast alles gesehen.«
»Ich habe sogar schon die erste Spukgeschichte aufgeschnappt«, sage ich und lasse sie dabei nicht aus den Augen. Sie zieht die Brauen hoch und sieht mich erstaunt an.
»Sie interessieren sich für Spukgeschichten?«
Ich nicke lachend. »Ich interessiere mich für alle Geschichten. Ich bin Autorin.« Dieses Mal spiele ich die Karte doch aus. Auch wenn Erotikromane immer ein Nasenkräuseln hervorrufen. Autoren, die Hilfe für eine Recherche brauchen, können fast immer mit dieser rechnen, weil die meisten Menschen so das Gefühl bekommen, an einem Buch mitgewirkt zu haben.
Sie beugt sich näher zu mir. »Und glauben Sie auch daran?«
»Wenn Sie wissen wollen, ob ich Isobel schon begegnet bin, nur ihrem Portrait. Aber da es ein Gemälde von ihr gibt, glaube ich auch, dass ihrer Spukgeschichte etwas Wahres zugrunde liegt.«
»Uns Frauen liegt allen eine gewisse Neugier zugrunde«, kontert sie. »Aber Sie haben recht. Eine tragische Geschichte.«
»Wissen Sie etwas darüber?«, hake ich nach. »Liebesgeschichten haben ihre ganz eigene Melodie und ich bin mir sicher, Isobels Melodie ist sehr düster und traurig.« Ich biete ihr an, uns einen Kaffee aus dem Laden zu holen, aber sie lehnt ab.
»Isobel ist ja schon einige Zeit tot. Eigentlich weiß ich kaum mehr als alle, die hier wohnen. Sie hatte sich in einen jungen Hirten verliebt, aber ihr Vater wollte, dass sie einen wohlhabenden Adligen heiratet. Zur damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches. Wenn es nach meinem Vater gegangen wäre, hätte ich auch einen anderen Mann geheiratet. Meiner ist Ornithologe.«
»Also wissen Sie nicht, wie sie gestorben ist?«
»Doch, doch. Sie ist gesprungen. Hat man Ihnen das nicht erzählt?«
Innerlich stöhne ich fast auf, aber dann bemerke ich ein kleines unsicheres Flackern in den Augen der alten Dame. »Ist das das einzige Gerücht, oder wird insgeheim ein anderes Ende geflüstert unter den Einwohnern der Insel?«
Sie tritt einen Schritt zurück und mustert mich schockiert. »Wie kommen Sie darauf? Nein, es gibt kein anderes Ende.«
»Entschuldigen Sie, manchmal geht meine Fantasie mit mir durch. Ich bin eben doch mit Leib und Seele Geschichtenerzählerin.« Ich lächle sie wieder offen an und Mrs Bender ringt sich auch ein unsicheres Lächeln ab. Ich habe das Gefühl, dass sie und Mrs Sheffield beide recht angespannt auf meine Frage nach der wirklichen Todesursache von Isobel reagiert haben. »Ich überlege, Isobels Geschichte aufzuschreiben. Als Buch, wissen Sie. Natürlich mit einem romantischeren Ende«, füge ich besänftigend hinzu. Ich gebe mir Mühe, meine bisher einzige Recherchequelle auf dieser Insel nicht erzürnt zurückzulassen. Wer weiß, vielleicht kann ich mir ihr Vertrauen doch noch erschleichen. »Ich bin hergekommen, um eine Liebesgeschichte zu schreiben. Was halten Sie davon? Ein Buch, das auf Ihrer wundervollen Insel spielt?«, locke ich weiter.
»Ein Buch, das auf Fair spielt, fände ich gut. Viel zu wenige Menschen kennen Fair Isle und wissen, wie schwer und wie schön zugleich unser Leben hier ist. Aber Sie sollten Isobel ruhen lassen. Vielleicht fällt Ihnen eine andere Liebesgeschichte ein.«
Ich grinse geheimnisvoll und zwinkere Mrs Bender zu. »Wollen Sie mir Ihre erzählen? Vielleicht demnächst bei einem Kaffee?«
»Meine?«, keucht sie erstaunt und drückt eine Hand auf ihr Herz. »So wundervoll der Gedanke ist, meine eigene Liebesgeschichte in einem Buch zu lesen, aber ich befürchte, sie ist nicht interessant genug«, sagt sie ausweichend.
»Das war auch nur ein Spaß«, sage ich und tätschle beruhigend ihre Hand. »Ich hoffe, wir haben noch einige Male die Möglichkeit, uns so nett zu unterhalten.« Ich verabschiede mich von ihr, mit dem Gefühl, dass ich sie davon überzeugt habe, Isobels Liebesgeschichte längst vergessen zu haben. Aber ihre Nervosität wegen des tragischen Endes des jungen Mädchens bestätigt meine Annahme, dass es ein Geheimnis gibt, das nirgends geschrieben steht.
Als ich dieses Mal vor dem Castle stehe, ist es noch hell und ich nehme mir einen Augenblick, das historische Gebäude zu bewundern. Ich liebe alles, was historisch ist und so ein Castle ist very historisch. Dieses hier ist klein und besteht nur aus zwei Gebäudeteilen; einem kastenförmigen Haupthaus mit nur zwei Etagen. Das ist der Teil, in dem ich derzeit wohne. Und einem viereckigen Turm mit Zinnen, der etwas höher ist als das Hauptgebäude und an dem Efeu sich nach oben rankt. Wenn man genau hinhört, dann kann man die Wellen gegen die Klippen branden hören.
Ich betrete das Castle und reibe mir die kalten Wangen. Der Wind ist heute noch eisiger als gestern. Eine breite Tür steht im Eingangsbereich offen. Ich hänge meinen Mantel an die Garderobe und stoße die Tür weiter auf, bereit Kieran McDougal die richtige Antwort an den Kopf zu knallen, falls er wieder Lust darauf haben sollte, den Neandertaler raushängen zu lassen. Aber er ist nicht im Raum. Dafür eine Herzklopfen auslösende unzählbare Menge an Büchern, die sich über drei deckenhohe Regale ausbreiten. Dieser Verlockung kann ich unmöglich widerstehen. Ich betrete die Bibliothek, sauge den Geruch alter Bücher tief in meine Lungen und stöhne wohlig. Von so einer Bibliothek im eigenen Haus habe ich schon immer geträumt. Wer nicht? Ich strecke eine Hand aus und lasse sie über die verschiedenen Buchrücken gleiten. Da sind alte in Leder eingebundene Werke und neue Taschenbücher. Ein paar Buchrücken erkenne ich sofort: Thriller von Brown, Horror von King. Nicht ganz mein Geschmack. Ich mag es lieber romantisch. Wobei mir die Lust darauf in letzter Zeit irgendwie vergangen ist. Vielleicht sollte ich es doch mal mit Thrillern probieren. Vorzugsweise einen, in dem ein betrügerischer Exverlobter ermordet wird.
Ich ziehe einen besonders großen Lederband heraus und keuche erstaunt über das Gewicht auf. Weder auf dem Buchrücken noch auf dem Deckel steht ein Titel. Ich trage das schwere Buch zu dem großen Schreibtisch vor dem Rundbogenfenster und knipse die Leselampe an, weil das dunkelgelbe Deckenlicht, das jemand wohl vergessen hat auszuschalten, nicht hell genug ist, um zu lesen. Vorsichtig klappe ich das Buch auf und seufze leise, als ich den wunderschönen, detailreichen Baum sehe. Auf seinen Ästen sitzen kleine Kästchen mit Namen und Daten. Das älteste Datum ist vom 17. Juni 1746. Der Name darüber ist der von einem Mann: Duncan McDougal. Auf dem Ast neben seinem Kästchen steht der Name: Kayla McDonald, geb.: 23. Januar 1752.
Auf einem der unteren Äste steht der Name Isobel. Neben ihr der ihrer Schwester Kendra und ihres Bruders Cedric. Danach folgen keine Kinder mehr. Man hatte aufgehört, diesen Stammbaum fortzusetzen. Ich bin mir sicher, dass Isobels Tod der Grund dafür war. Ich blättere zur nächsten Seite, die ein gemaltes Porträt von Duncan McDougal zeigt. Darauf folgt ein Porträt von seiner Frau. Dann handgeschriebene Worte in einer alten Schrift, die ich nicht lesen kann. Nur einzelne Buchstaben oder Wortfetzen kann ich zusammenfügen, aber die nächsten Seiten erzählen wohl die Geschichte von Duncan und seiner Frau. Das Buch ist eine Familienchronik. Jetzt verstehe ich noch mehr, warum man sie nach Isobels Tod nicht weitergeführt hat. Auch wenn die Autorin und Geschichtsfanatikerin in mir ein wenig wehmütig gestimmt ist, bei dem Gedanken, welches Wissen über die vergangenen Generationen dadurch vielleicht für immer verloren ist.
»Ich sehe, Sie schnüffeln schon wieder.« Kieran lehnt mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen. Sein Blick verrät, dass er nicht begeistert ist, mich hier vorzufinden. Ich straffe die Schultern, obwohl mir eher nach Flucht zumute ist, und sehe ihn so selbstsicher ich kann an. Ich schlucke und ignoriere das Flattern in meinem Magen, das sein Auftauchen ausgelöst hat.
»Ich schnüffel nicht, ich recherchiere«, sage ich, als würde das ungeschehen machen, dass ich in der Vergangenheit von Kierans Familie herumstöbere. Innerlich winde ich mich, weil er mich erwischt hat und ich mich schuldig fühle. Verdammte Neugier aber auch. »Im Übrigen fehlen hier Namen und Einträge«, werfe ich ihm vor, als hätte er es versäumt, die Chronik fortzusetzen.
»Das weiß ich. Und es interessiert mich nicht.«
Ich klappe das Buch zu und schiebe es in die Mitte der Schreibtischplatte, dann setze ich mich auf den Schreibtisch und schlage lässig die Beine übereinander. »Heißt das, Sie interessieren sich nicht für Ihre Familie? Oder wissen Sie nur nichts über Ihren Vater und Großvater?«
Er kommt näher und bleibt vor mir stehen. »Wussten Sie, dass Neugier gefährlich sein kann«, sagt er bedrohlich.
»Bedrohen Sie mich schon wieder? Dann muss ich Ihnen sagen, ich fürchte mich noch immer nicht vor Ihnen. Cassy hat mich vorgewarnt. Sie sagte: Er sieht groß und gefährlich aus, aber er ist sanft wie ein Teddybär.«
»Das hat sie nicht gesagt?«
»Sie knurren schon wieder«, sage ich im lockeren Plauderton und sehe unverwandt in seine silbergrauen Augen, die mich wütend anfunkeln. Vielleicht sollte ich Angst haben, aber ihn zu reizen, macht mir mehr Spaß, als es sollte. Ich finde es aufregend, wie er bedrohlich über mir aufragt und mich versucht, nur mit seinen Blicken einzuschüchtern. Das lässt mein Herz schneller schlagen. Ich wundere mich über mich selbst. Eigentlich bin ich niemand, der auf Gefahr steht, aber diese Gefahr stößt etwas in mir an, das ich nicht kenne. Und weil ich nun mal so neugierig bin, möchte ich dieses neue Gefühl ergründen. Also muss ich fortfahren, ihn zu reizen, damit er fortfährt, mich so anzusehen. Damit dieses Kribbeln in mir nicht erlischt sondern wächst und ich es besser analysieren kann.
»Und Sie spielen ein Spiel, das Sie nicht gewinnen können.«
»Ich spiele kein Spiel«, sage ich und sehe unschuldig zu ihm auf. »Wie Sie schon treffend sagten, ich bin neugierig. Wussten Sie, dass es in diesem Castle spukt?«
Er blinzelt verwirrt. »Ich hielt Sie für eine gebildete Frau. Jetzt sagen Sie bloß nicht, Sie glauben an diesen Mist?« Er tritt einen Schritt zurück und ich kann gleich besser atmen. Die Luft um mich herum ist trotzdem noch von seinem würzig männlichen Geruch erfüllt. Und von dem Duft eines wilden, natürlichen Aftershave, das gut zu ihm passt.
»Ich halte mich auch für eine gebildete Frau. Natürlich glaube ich nicht daran, dass Ihre Vorfahrin hier herumgeistert. Zumindest nicht als Spukgespenst. Aber ihr Geist scheint nicht nur das Castle zu umgeben, sondern die ganze Insel. Und da ich, wie Sie nun mal festgestellt haben, sehr neugierig bin, will ich mehr über sie erfahren.«
Kieran schüttelt lachend den Kopf. »Tut mir leid, aber ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen.«
»Dann haben Sie vor, das Geheimnis genauso für sich zu behalten, wie alle anderen auf dieser Insel?«
Er geht auf eines der Regale zu und zieht ein paar der Buchrücken auf. Ich schlucke erstaunt, als ich erkenne, dass diese Buchrücken keine Buchrücken sind, sondern die Tür zu einem versteckten Fach. »Ein Geheimfach!«, flöte ich.
»Kein Geheimfach, ich hab es Ihnen doch eben gezeigt. Wenn es geheim wäre, hätte ich es nicht geöffnet, solange Sie im Raum sind. Nur das Versteck für eine Flasche Whisky und ein paar Gläser. Möchten Sie auch?«
»Ich trinke eigentlich so gut wie nie, aber warum nicht. Wenn ich Sie mir dadurch erträglicher trinken kann.«
»Das war auch mein Plan.«
»Sie können sich selbst nicht ertragen?«
Er sieht mich an, während er die Flasche aufschraubt. »Ich kann neugierige Frauen nicht ertragen. Aber da Sie wohl keine Ruhe geben werden, dachte ich, ich erzähl Ihnen, was ich weiß, damit wir schnellst möglich wieder dazu übergehen können, uns gegenseitig Beleidigungen an den Kopf zu werfen.«
»Oh«, mache ich gekünstelt, nehme das Glas mit Whisky, das er mir reicht, und proste ihm zu. »Ich mag Sie auch nicht, also kein Problem.«
Er stellt die Flasche wieder zurück in das Fach, geht um den Schreibtisch herum und setzt sich in den dunkelbraunen Ledersessel dahinter. Sein Blick gleitet über meinen Körper, bleibt an meinen Lippen hängen und verschmilzt dann mit meinem Blick. Und mit verschmelzen meine ich verschmelzen, denn sein Blick ist so heiß, dass er sich in meinen brennt. Er ist gut fünf, vielleicht mehr, Jahre älter als ich. Zumindest hat er die dreißig schon überschritten. Und er wirkt sehr männlich. Wisst ihr, was ich meine? Diese Art von Mann, bei der man das Gefühl hat, sie wären gerade aus der Wildnis gekommen: rau, dunkel, erotisch und geheimnisvoll. Ich muss ein Seufzen unterdrücken.
»Also, ich kann Ihnen nicht sagen, warum die Chronik nicht weitergeführt wurde. Ich kann Ihnen gar nichts sagen. Auf dieser Insel bin ich genauso fremd wie Sie.«
Ich runzle ungläubig die Stirn. »Aber Sie sind doch hier geboren und Sie haben dieses Anwesen geerbt, oder nicht?« Ich nippe an dem Whisky und kämpfe den Husten herunter, der sich beim ersten Schluck ankündigt.
»Ja, das stimmt. Aber ich bin in Glasgow bei meiner Mutter aufgewachsen. Meine Eltern waren geschieden.«
»Dann wissen Sie gar nichts über Isobel und wie sie gestorben ist?«
Er schüttelt zufrieden den Kopf. Der Ausdruck in seinem Gesicht sagt mir, dass er glücklich damit ist, meine Neugier enttäuschen zu können. Ich kneife verärgert die Lippen zusammen. »Nicht mehr, als jeder Tourist hier auch. Und ich bezweifle, dass es da viel mehr gibt.«
Ich trete an den Schreibtisch heran und ziehe die Kopie des Artikels aus der Tasche meiner Jeans. Ich falte sie auseinander und lege sie vor Kieran auf den Tisch. Dann tippe ich mit dem Finger auf die Taschenuhr. »Sehen Sie das?«
Er beugt sich über das Bild, ich nehme eine Lupe aus einem Becher mit allerlei Stiften und Scheren und halte sie ihm hin. »Das ist eine Herrenuhr«, sage ich ernst. »Und sagen Sie jetzt nicht auch noch, dass sie ihrem Liebsten gehört hat. Der hätte sich so eine Uhr nicht leisten können.«
»Sie glauben also, sie ist gestoßen worden.« Er sieht zu mir auf und ich erkenne sofort, dass ich sein Interesse habe. Er ist genauso neugierig wie ich.
»Ich bin mir sogar sicher.