14,99 €
Von fünf Hindernissen zu fünf heilsamen Qualitäten Fünf Hindernisse, so lehrte Buddha, gilt es auf dem Weg zu einem glücklichen Leben zu überwinden: Zweifel, Unruhe, Trägheit, Gier und Widerwillen. Wie wir diese Hindernisse zu Herausforderungen machen, zeigt der Bestseller der bekannten Meditationslehrerin Marie Mannschatz. Buddhistische Psychologie wird hier ganz konkret auf den Alltag angewandt und mit vielen Beispielen und Übungen nachvollziehbar gemacht. Es geht darum, Vertrauen zu entwickeln, zur Ruhe zu finden und unsere Trägheit durch Begeisterung zu ersetzen. Statt uns von unserer Gier und dem bestimmen zu lassen, was wir meinen, unbedingt haben zu müssen, werden wir angeregt, es mit Großzügigkeit anderen gegenüber zu probieren und uns selbst auf Wesentliches zu besinnen. Schließlich geht es auch darum, die unveränderliche Dinge so akzeptieren wie sie sind, statt unsere Kräfte in sinnlosem Widerstand zu vergeuden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 182
Seit dem Erscheinen der ersten Ausgabe dieses Buches habe ich zu meiner großen Freude unzählige begeisterte Briefe von Leserinnen und Lesern erhalten, in denen mir berichtet wurde, welche überraschenden und beglückenden Veränderungen »Buddhas Anleitung zum Glücklichsein« in ihrem Leben bewirkt hat. Viele der darin beschriebenen Übungen haben sie inspiriert, ihre alltäglichen Herausforderungen aus einem ganz neuen Blickwinkel zu betrachten. Da ich auch immer wieder nach geführten Meditationen gefragt wurde, haben wir die vorliegende, rundum überarbeitete Neuausgabe des Buches durch eine CD ergänzt. Auf diese Weise bekommen Sie noch mehr Unterstützung beim Üben und können gleich damit starten. Die Fünf Hindernisse, die hier beschrieben werden – Zweifel, Unruhe, Trägheit, unersättliches Verlangen und Widerwillen – begegnen jedem von uns in unzähligen Varianten. Ob wir die Chance ergreifen und die Triebkräfte, die sich in den Hindernissen verbergen, als Herausforderung annehmen und nutzen, ist eine Frage der inneren Entschiedenheit und der Beharrlichkeit. Von heute auf morgen lassen sich keine alten Gewohnheiten aus der Welt schaffen, doch von jetzt auf gleich kann Achtsamkeit unsere Lebensqualität vollkommen verwandeln. Sie öffnet uns die Augen. Sie zeigt uns den Weg in ein unbeschwerteres Leben, in dem Mitgefühl und Herzenswärme ihren festen Platz haben.
Ich wünsche Ihnen viel Freude und gutes Gelingen beim Lesen, Hören und Üben.
Ihre
Wir alle haben mehr oder weniger stark ausgeprägte Gewohnheiten, die uns daran hindern, das Beste aus unserem Leben zu machen: Zweifel, Unruhe, Trägheit, Verlangen und Widerwille. Buddha nennt diese Gewohnheiten die »Fünf Hindernisse«. Er zeigt uns, wie diese Hindernisse im Alltag auf uns einwirken und wie wir sie auflösen können. Das wichtigste Instrument, um die Fünf Hindernisse zu erkennen, ist Achtsamkeit.
Vor mehr als zweitausend Jahren ließ ein Königssohn Familie und Palast hinter sich, um als Wandermönch die Geheimnisse des Lebens zu ergründen. Er wollte den Menschen zeigen, was zu allen Zeiten und in allen Kulturen Glück und Unglück bedingt. Über fünfzig Jahre lang lehrte er als Wanderprediger. Den Namen Buddha (= der Erwachte) erhielt der Prinz erst, nachdem die Antworten, die er fand, von Tausenden von Zuhörern diskutiert und überprüft worden waren. Auch in der heutigen Zeit hat seine Lehre nichts von ihrer Aktualität verloren. Dank Buddhas Anregungen können wir lernen, unsere Aufmerksamkeit so zu schulen, dass sie Herz und Geist durchdringt. Dadurch wird es uns möglich, unsere persönliche Lebens- und Leidensgeschichte zu verstehen und loszulassen. Wenn wir uns mit Buddha auf den Weg machen, werden wir freier und zufriedener leben.
Buddha beschreibt fünf geistige Gewohnheiten, die Fünf Hindernisse, die unsere Wahrnehmung trüben. Diese Fünf Hindernisse heißen: Zweifel, Unruhe, Trägheit, Verlangen und Widerwille. Sie verschleiern Herz und Geist so sehr, dass wir unter ihrem Einfluss nur eingeschränkt denken und handeln können. Die fünf Gewohnheiten, die unser Denken und Fühlen trüben, lassen sich gut mit dem Wetter vergleichen, das uns daran hindert, eine Aufgabe zu erledigen, die wir uns vorgenommen haben.
Der Zweifel ist wechselhaft wie das Aprilwetter. Wir fühlen uns hin und hergerissen und verharren schließlich, wo wir sind.
Die Unruhe entspricht Winden aus wechselnden Richtungen. Wir finden keinen Ort zum ruhigen Verweilen.
Die Trägheit legt sich wie dichter Nebel auf uns, der den Antrieb hemmt.
Widerwille (auch Aversion) braust auf wie ein Gewittersturm, der sich allem entgegenstellt.
Das Verlangen ist wie ein himmlischer Sommertag, dem wir uns einfach nur hingeben möchten.
Manchmal tauchen gleich mehrere Hindernisse auf einmal auf, manchmal ist nur eines vorhanden. Natürlich wird jede Beschreibung der Hindernisse immer etwas idealtypisch erscheinen. In Wirklichkeit lassen sie sich nicht klar voneinander abgrenzen, sie vermischen sich und beeinflussen sich gegenseitig. Die meisten von uns nehmen sie gar nicht wahr, denn sie legen sich unterschwellig und unbemerkt über alle unsere Wahrnehmungen. Erst wenn wir uns mit Buddhas Lehren auseinandersetzen, erkennen wir, wie die Hindernisse auf unseren Geist wirken. Warum ist das wichtig? Buddha lehrt, wir sollten unser Leben selbst in die Hand nehmen und die Verantwortung für unser Handeln übernehmen. Doch genauso wenig wie der Baum verantwortlich ist für den Wind, der ihn schüttelt, sind wir auch nicht verantwortlich für das Hindernis, von dem unser Geist geplagt wird. Unsere Verantwortung besteht vielmehr darin, wie wir mit dem Hindernis umgehen. Widerwillle und Verlangen begleiten uns durch unser ganzes Leben. Ob wir uns aber diesen Triebkräften unbedacht ausliefern oder nicht, das können wir selbst bestimmen. Unser Lebensglück liegt in unseren eigenen Händen, denn wir können ergründen, welches Verhalten uns glücklich stimmt und welche Erfahrungen uns unglücklich machen. Daraus ergeben sich Prioritäten für unser alltägliches Handeln. Dieses Buch möchte Sie darin unterstützen, eine klare Ausrichtung in Ihrem Leben zu entwickeln. Sie werden die Fünf Hindernisse zunächst kennenlernen und dann üben, wie Sie die Hindernisse durch gesunde Gegengewichte ausgleichen und mehr und mehr loslassen können.
Um zu bestimmen, was in unserem Leben Vorrang haben soll, brauchen wir Klarheit und Achtsamkeit. Buddha lehrt, dass Aufmerksamkeit der Stoff ist, aus dem unser Geist besteht. Und dieser Stoff hat ganz spezielle Eigenschaften: Er kann sich selbst ernähren und vermehren, und er kann sich auch selbst erkennen. Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich selbst mit eigenen Augen sehen. Das entspricht der Möglichkeit, dass Aufmerksamkeit sich selbst mit Aufmerksamkeit betrachtet – Ihre Aufmerksamkeit erkennt, dass Sie tatsächlich aufmerksam sind. Diese erhöhte Form von Aufmerksamkeit wird als Achtsamkeit bezeichnet. Achtsamkeit ist somit eine Aufmerksamkeit, die weiß, dass sie jetzt gerade aufmerksam ist und was sie gerade in diesem Moment mit Aufmerksamkeit erkennt. Ein Beispiel: Ich lese diese Zeilen. Ich weiß, dass ich lese und dabei im Sofa versinke, Kaffeeduft zieht mir in die Nase, ich komme darüber ins Sinnieren und schweife ab. Das bemerke ich und kehre aufmerksam zum Text zurück. Ich freue mich, weil es mir gelungen ist, nicht länger als zwei Minuten abzuschweifen. Nun überlege ich, welche enormen Kräfte in unserem Geist freigesetzt werden würden, wenn wir alle immer hundertprozentig achtsam wären. Und ich stelle fest, dass ich schon wieder mechanisch über die Buchstabenreihen schweife, anstatt mich auf das zu konzentrieren, was direkt vor mir liegt. So kommt und geht achtsames Wahrnehmen, verdichtet sich und verliert sich wieder. Es ist ein beständiger Impuls nötig, hier und jetzt mit allen Sinnen anwesend zu sein.
Mir entfährt noch heute ein lauter Stoßseufzer, wenn ich mich an eine Unachtsamkeit erinnere, die schon zwanzig Jahre zurückliegt. Andrew, ein Freund aus New York, war bei mir zu Besuch. Er ist Reiseschriftsteller und tippte gerade eifrig auf einem der ersten Laptops, das ich je gesehen hatte, während ich eine Bügelaktion vorbereitete. Um das Bügeleisen aufzuheizen, zog ich den Stecker seines Laptops raus. Im gleichen Augenblick stieß Andrew einen lauten Schrei aus! Mit der von mir ausgelösten Stromunterbrechung hatten sich seine Texte in Luft aufgelöst. »Warum hast du mich nicht vorher gefragt?«, stöhnte Andrew. Es war mir so peinlich! Ich hatte einfach nicht nachgedacht. Achtsamkeit schrieb ich damals noch mit kleineren Buchstaben. Doch diese Episode ist mir so sehr in die Glieder gefahren, dass sie ab und zu an völlig unvermuteter Stelle auftaucht und mich daran erinnert, mich täglich neu in Achtsamkeit zu üben. Denn nur wenn wir uns kontinuierlich darum bemühen, kann die Achtsamkeit wachsen – ähnlich wie ein Muskel, den wir regelmäßig trainieren. Deshalb ist es wichtig, dass Sie sich feste, ungestörte Zeiten – vielleicht eine halbe oder eine Stunde am Tag – für die Beschäftigung mit diesem Buch und den darin enthaltenen Übungsaufgaben reservieren.
Ich empfehle Ihnen, sich ein Übungsheft anzuschaffen, in dem Sie sich regelmäßig Notizen machen: zu den Übungen, den Meditationen und den Vorschlägen, die Sie jeweils am Ende der einzelnen Kapitel finden. Kaufen Sie ein hübsches Heft, dick genug, um all Ihren Reflexionen zu den Übungen Platz zu geben. Das Aufschreiben hilft Ihnen, innere Prozesse zu erfassen. Sobald Sie Erfahrungen in Worten ausdrücken können, stehen sie Ihnen unmittelbarer zur Verfügung. Sie lernen dadurch schneller und intensiver und können Fortschritte auf Ihrem Weg erkennen. Durch Ihre persönliche Veränderung werden auch Ihre Beziehungen positiv beeinflusst. Ihr ganzes Leben gewinnt an Farbigkeit und Lebendigkeit, wenn Sie kontinuierlich und mit persönlichem Einsatz Buddhas Anleitungen in Ihrem Alltag umsetzen. Da Achtsamkeit die entscheidende Fähigkeit auf Ihrem Weg hin zu Veränderungen ist, stelle ich Ihnen nun die erste Übung vor, die Ihre Achtsamkeit schult. Sie lässt sich überall und jederzeit durchführen.
Versuchen Sie, drei Minuten am Morgen, drei Minuten am Abend und – für den Anfang – dreimal eine Minute am Tag ganz achtsam zu sein.
Bevor Sie morgens aus dem Bett steigen, bleiben Sie einige Minuten ganz ruhig mit offenen Augen liegen und rufen Sie sich ins Bewusstsein: »Ich bin wach, ich liege noch, spüre meinen Körper, nehme mir vor, mich heute immer wieder daran zu erinnern, allen Erfahrungen mit Achtsamkeit zu begegnen.«
Oder Sie setzen sich auf die Bettkante, spüren die aufrechte Haltung Ihres Körpers und lassen die ersten Gedanken heraufziehen. Gedanken an den neuen Tag, vielleicht auch Nachklänge von Träumen der vergangenen Nacht. Was empfinden Sie, welche Gefühle herrschen vor? Nehmen Sie alles nur zur Kenntnis, ohne etwas ändern zu wollen. Stellen Sie mit liebevoller Akzeptanz fest: So ist es jetzt.
Halten Sie im Lauf des Tages von Zeit zu Zeit inne und nehmen Sie den gegenwärtigen Moment bewusst wahr, Versuchen Sie, Ihre Erfahrung innerlich in Worte zu fassen. Mit jeder Erfahrung, die Sie machen, verbindet sich ein Gefühl, eine Empfindung im Körper. Sie steigen Treppen hoch und empfinden eine Last auf Ihren Schultern. Sie öffnen eine Tür, und Ihr Herz hüpft vor Freude. Je genauer Sie diese Eindrücke registrieren, umso besser können Sie künftig mit Ihren Gefühlen umgehen.
Vor dem Einschlafen rufen Sie sich den vergangenen Tag ins Bewusstsein: In welchem Moment wären Sie gerne achtsamer gewesen und wo waren Sie wirklich einverstanden mit Ihrem eigenen Verhalten? Wie waren die Körperempfindungen, die Gefühle und Gedanken in diesem Moment? Dieses bewusste Nachspüren steigert Ihre Achtsamkeit.
Bald werden Sie herausfinden: Achtsamkeit ist eine faszinierende Kraft. Mit ihrer Hilfe wird es Ihnen immer öfter gelingen, aus Erfahrungen, die Sie im Laufe Ihres Lebens machen, bewusste Schlüsse zu ziehen, und es wird Ihnen nach und nach immer leichter fallen, ungünstiges Verhalten abzulegen. Denn aus Achtsamkeit entsteht die Kraft für Veränderung. Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie oft Sie gegen Ihre eigenen Interessen handeln, wenn Sie sich nach zu wenig Schlaf mühsam durch den Tag schleppen? Wie oft haben Sie sich schon geschworen, beim nächsten Mal lieber früher nach Hause zu gehen? Wenn zwei Bedürfnisse in uns miteinander ringen, sollten wir uns ausmalen, mit welchen Konsequenzen wir im einen oder anderen Fall rechnen müssen. Das heißt nicht, dass es prinzipiell schlecht ist, abends spät ins Bett zu gehen. Aber wir sollten, da wir die Konsequenzen kennen, eine bewusste Entscheidung dafür oder dagegen treffen. Auch im Gespräch mit anderen ist Aufmerksamkeit notwendig. Wenn ich zum Beispiel jemanden mit meinen Worten verletze und hinterher gar nicht mehr genau weiß, was ich eigentlich gesagt habe, ist es schwierig, die Situation zu klären.
Und nicht zuletzt: Wenn wir etwas in unserem Leben verbessern wollen, ist die Achtsamkeit eine kluge Begleiterin, denn Gewohnheiten prägen unser Leben, und es kostet viel Kraft, sie zu verändern.
»Wenn du das Geheimnis des Buddhismus
wissen möchtest, hier ist es:
Alle Dinge sind im Herzen.«
RYOKAN | JAPANISCHER ZEN-MEISTER (18. JAHRHUNDERT)
Wer sich vornimmt, sich anders zu ernähren, mehr Sport zu treiben oder nicht jeden Abend vor dem Fernsehapparat zu sitzen, weiß, von welchen Anstrengungen ich rede. Je aufmerksamer wir solche eingeschliffenen Verhaltensmuster im Alltag ergründen, desto deutlicher erkennen wir, welche Macht sie über uns haben. Deshalb lehrt der Buddhismus, den Wunsch nach Veränderung auf zwei Säulen zu gründen: tiefes Verstehen und achtsames Wahrnehmen. Wirkliches Verständnis erlangen wir nur dadurch, dass wir mit Achtsamkeit aus unseren eigenen Erfahrungen lernen.
Buddha sagt, unser ganzes Leben ist die Schöpfung unseres Geistes. Alles, was wir erleben, wissen und tun, entspringt der Geistestätigkeit. Auch wenn Geist und Körper nicht ohne einander existieren können, so hat der Geist doch die lenkende Funktion. Er verarbeitet die Eindrücke, die durch die Sinne auf der körperlichen Ebene gewonnen werden, und formt daraus Merkmale, die wir wiedererkennen und mit bestimmten Vorstellungen verknüpfen. So wissen Sie etwa dank der Hilfe des Geistes, wenn Sie ein bestimmtes Geräusch hören: »Das ist die Stimme meines Bruders Max.« Der Geist interpretiert aufgrund des Klangs seiner Stimme seine Gesichtszüge: Max ist jetzt glücklich. Auch Jahre nach seinem Tod können Sie ihn noch vor dem inneren Auge sehen und von ihm träumen.
Obwohl wir den Geist nicht sehen, nicht anfassen und nicht räumlich zuordnen können, haben wir die Möglichkeit, ihn zu erfahren und zu beschreiben. Das Auge nimmt beispielsweise Lichtreize auf, und der Geist vereint diese zu einem vollständigen Bild. Egal, ob es sich um die Tätigkeit unseres Gehirns oder des Nervensystems, um Wissen und Wahrnehmung, um Gefühle, Erinnerungen oder Gedanken handelt – unser gesamtes nicht stoffliches Erleben geschieht im geistigen Raum. Viele Menschen betrachten ihren Geist daher auch als »Ich«. Doch in der buddhistischen Psychologie ist die Ich-Vorstellung nur ein Bruchteil der Vorgänge, die im Geist in ungeheurer Geschwindigkeit und Dichte ablaufen. Je genauer wir das erkennen, umso mehr wird deutlich: Es gibt keine abgegrenzte Ich-Einheit, mit der wir uns identifizieren können und die es zu verteidigen gilt. Das Ich ist eine Konstruktion des Denkens – in vielen Situationen hilfreich und nötig, aber nichts, das überlebt, wenn Körper und Geist zerfallen.
Im Buddhismus heißt es, dass unsere geistige Verfassung unser Dasein bestimmt. Ein glücklicher Geist bewirkt glückliche Lebenserfahrungen, ein unglücklicher Geist bewirkt unglückliche. Ganz gleich, wie die tatsächlichen Lebensumstände sind, es ist eine Frage unserer Interpretation, wie wir sie erleben. Leuchtet im Geist Licht, erscheint die Welt hell; ist der Geist verdunkelt, sieht auch das Leben düster aus. Oft sind wir uns unserer eigenen Geistesverfassung jedoch gar nicht bewusst.
Alle körperlichen Empfindungen existieren nur in der Gegenwart, alle Regungen im Geist ebenso. Im Voraus zu fühlen ist uns nicht möglich, auch nicht im Nachhinein. Sie spüren nur jetzt, in diesem Moment, in Ihrem Körper, dass Sie am Leben sind. Das sprudelnde Leben gibt es nur im Hier und Jetzt, nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Und Achtsamkeit ist der Schlüssel zum Hier und Jetzt.
In der Achtsamkeitsübung auf > habe ich schon erwähnt, dass Sie tagsüber immer wieder auf sich selbst zurückkommen sollten. Die große Aufgabe bei der Achtsamkeitsübung besteht darin, sich immer und immer wieder ins Gedächtnis zu rufen: »Du wolltest doch achtsam sein!« Achtsamkeit ermöglicht es, alle Erfahrungen, Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen erst einmal nur zu registrieren, ganz bewusst, jedoch ohne diese zu bewerten. Ihr Leben gewinnt an Intensität dadurch, dass Sie in jedem Augenblick ganz gegenwärtig sind. Unachtsames Leben dagegen findet in unbewussten Reaktionsketten statt, wirkt unbeweglich und unflexibel und kann verärgern. Da ist beispielsweise die Verkäuferin, die in Gedanken ganz woanders weilt und den Kohlkopf auf die Weintrauben in Ihrer Einkaufstüte legt, oder der Nachbar, der bei jeder Gelegenheit denselben abschätzigen Spruch über berufstätige Rabenmütter klopft und gar nicht merkt, wie unglücklich seine Gattin mit ihrer Rolle als Hausfrau ist.
Räumen Sie achtsamer Wahrnehmung Priorität in Ihrem Alltag ein und versuchen Sie, so oft wie möglich in Körper, Herz und Geist hineinzuspüren. Die folgenden Tipps helfen Ihnen dabei:
Definieren Sie ein wiederkehrendes Ereignis im Tagesablauf als »Achtsamkeitswecker«. Das kann das Klingeln des Telefons oder die rote Ampel sein, Ihr Bildschirmschoner oder ein Zettel mit einem aufmunternden Zitat oder Spruch, den Sie innen an der Wohnungstür anbringen. Ein solches Zeichen erinnert Sie immer wieder daran, dass Sie achtsam sein wollten.
Nehmen Sie Veränderungen in der Körperhaltung bewusst wahr: »Ich liege, ich sitze, ich stehe, ich gehe – und ich bin mir dessen bewusst.«
Machen Sie sich wiederholt klar, welche Sinneseindrücke Sie im gegenwärtigen Moment erleben: »Jetzt sehe, höre, rieche ich …«
Achten Sie darauf, ob und wie Sie Ihre Erfahrungen bewerten. »Das finde ich richtig« – »Das kann ich nicht leiden« – »Zum Glück hat das jetzt keiner gesehen« und so weiter.
Genießen Sie Aufgaben, bei denen Sie Ihre Achtsamkeit üben können, wie etwa alle Arbeiten in Haus und Garten, bei denen Sie das Tempo bestimmen und Ihre Hände und Füße intensiv spüren können.
Ihr Bemühen um Achtsamkeit wird spürbar gestärkt, wenn Sie möglichst viel Umgang mit achtsamen Menschen suchen.
Wenn Sie achtsam sind, nehmen Sie all Ihr Erleben erst einmal wohlwollend wahr. Sie akzeptieren die Dinge mehr und mehr, so wie sie sind. Sie spüren, wie Regungen im Körper und Gefühle gleichzeitig auftreten. Ohne sogleich darauf zu reagieren, stellen Sie in einer für Sie brenzligen Situation fest: »In meinem Körper spüre ich eine Spannung im Solarplexus-Bereich. Mein Herz scheint ein wenig schneller zu schlagen. Ich habe einen leichten Schweißausbruch und denke mir: ›Jetzt muss ich aber gut aufpassen.‹«
Achtsamkeit erlaubt Ihnen, anerkennend Raum um das Erlebte zu lassen. Sie nehmen alles, was Sie erfahren, einfach nur zur Kenntnis und lassen sich Zeit, die inneren Stimmen miteinander in Einklang zu bringen. Eine Stimme sagt vielleicht: »Du hast Angst, das ist doch nicht schlimm.« Eine andere Stimme sagt: »Stell dich nicht so an, was sollen die anderen Leute von dir denken.« Eine dritte Stimme meint: »Schäm dich, in solchen Situationen noch Angst zu haben – in deinem Alter.« Es kann gut sein, dass Sie es am Anfang als unangenehm empfinden, diese verschiedenen Stimmen zu hören. Versuchen Sie deshalb, Ihre inneren Dialoge wie ein Theaterstück wahrzunehmen, mit dem Sie sich nicht zu identifizieren brauchen, das Sie auch nicht beurteilen. Keine dieser inneren Stimmen ist falsch oder richtig. Jede entspringt verschiedenen Aspekten Ihres Selbst, die noch nicht in Übereinstimmung sind. Deshalb tut es gut, alles in Ruhe zur Kenntnis zu nehmen.
»Achtsamkeit strebt nichts an. Sie sieht einfach,
was bereits da ist.«
MAHATHERA GUNARATANA | MEDITATIONSLEHRER AUS SRI LANKA
Achtsamkeit hilft Ihnen, Ihre gegenwärtige Erfahrung zu akzeptieren, ohne sie gleich abweisen oder festhalten zu wollen. Diese Art des Annehmens umschreibe ich häufig mit »Raum geben«. In den folgenden Kapiteln weise ich Sie immer wieder darauf hin.
Anfangs mag Ihnen das schwierig, ja unerreichbar erscheinen. Doch je mehr Sie sich auf die Achtsamkeitsübung einlassen, so wie auf den > und > beschrieben, umso offensichtlicher werden Ihre Fortschritte sein. Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn Sie in der ersten Zeit hauptsächlich sehen, was alles nicht klappt. Sie finden sich selbst und Ihr Umfeld vielleicht schrecklich unaufmerksam? Gut so! Diese Beobachtung ist schon Ausdruck Ihrer gesteigerten Achtsamkeit. Sie würden ja die Unaufmerksamkeit gar nicht wahrnehmen, wenn Sie nicht genauer hinschauen würden.
In unserem Alltag rennen wir von einem Ereignis zum nächsten. Unsere Gedanken schwirren dabei immer woanders herum und sind nicht dort, wo wir gerade sind. Wir fahren gedankenverloren Auto und erinnern uns nicht einmal mehr, wie wir von A nach B gekommen sind. So ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Unfälle wohl aus Geistesabwesenheit passieren. Eine Schweizer Versicherung hat einmal Zitate aus Unfallberichten gesammelt. Da heißt es zum Beispiel: »Beim Heimkommen fuhr ich versehentlich in eine falsche Grundstücksauffahrt und rammte einen Baum, der bei mir dort nicht steht.« Oder: »Da sich der Fußgänger nicht entscheiden konnte, nach welcher Seite er rennen sollte, fuhr ich obendrüber.«
Wie oft fragen wir uns mit einem Stoßseufzer: »Wo soll ich nur anfangen, um alles zu schaffen, was ich mir vorgenommen habe?« Die Wohnung putzen, bügeln, kochen, Anrufe erledigen, für die Kinder sorgen, zum Arzt gehen und so fort. Dabei sind wir von tausend Gedanken erfüllt und von Gefühlen geplagt, die in schnellem Wechsel durch uns hindurchziehen. Aus Freude wird Langeweile, daraus Ärger, dann wieder Hoffnung, Sehnsucht, sogar Furcht. Die Aufgabe, jeden Moment achtsam zu erleben und innerlich zu benennen, was in Körper und Geist an Sinneserfahrungen abläuft, kann uns helfen, den Wirrwarr im Alltag zu entknoten und Prioritäten zu setzen. Wenn wir unseren Geist auf den gegenwärtigen Moment ausrichten, lernen wir, uns zu konzentrieren.
Schauen wir uns den achtsamen Wahrnehmungsprozess noch genauer an. In der buddhistischen Psychologie spricht man von sechs Sinnen. Neben den uns bekannten fünf Sinnen wird auch der Geist als ein Sinnesorgan angesehen. Die Sinnesorgane sind unsere Tore zur Welt. Unser gesamtes Leben setzt sich zusammen aus Eindrücken, die wir über die Sinnesorgane wahrnehmen. Es gibt keine Erfahrung, die nicht durch unsere Sinnesorgane geprägt ist. Alle Empfindungen, die über die Sinnesorgane erzeugt werden, lassen sich einordnen auf einer Skala zwischen zwei gegensätzlichen Polen. Wir können nur wissen, was heiß ist, weil wir die Erfahrung von kalt kennen. Wir können nur hell sehen, weil wir wissen, was dunkel ist. Leicht und schwer, süß und sauer, spitz und stumpf, dick und dünn – unser Nervensystem und unsere Wahrnehmung werden bestimmt durch die Erfahrung von Gegensätzen.
Im Moment der Empfindung unterscheiden wir spontan zwischen angenehm oder unangenehm. Nur äußerst wenige Reize kommen so bei uns an, dass wir sie weder als angenehm noch als unangenehm, also als neutral empfinden (siehe auch >).
Ob wir eine Erfahrung festhalten oder ablehnen, heranziehen oder wegdrängen, hängt davon ab, was wir im allerersten Moment ihres Auftretens empfinden. Die buddhistische Lehre sagt: Lange bevor der Sinnesreiz überhaupt in unser Bewusstsein tritt, hat sich bereits auf der biologischen Reizskala entschieden, ob wir ihn angenehm oder unangenehm finden. Diese Form von spontanem, unbewusstem Empfinden, das sich angezogen oder abgestoßen fühlt, bestimmt unseren Lebensverlauf, denn in den Tiefen unseres Unterbewusstseins mischt sich diese trennende Unterscheidung zwischen dem Angenehmen und Unangenehmen in alles ein, was wir erleben.