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Ist Burnout die neue Volkskrankheit? Heutige Arbeitsbedingungen, die vielen das Äußerste an Leistungsbereitschaft, Flexibilität und Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit abverlangen, leisten dem ganz klar Vorschub. Als einer der Ersten hatte Jörg Fengler diese fatale Entwicklung erkannt und in seinem Klassiker Helfen macht müde thematisiert. Weil Burnout heute aber ein Problem in allen Berufsfeldern darstellt, erscheint diese komplett überarbeitete Ausgabe folgerichtig mit diesen aktuellen Schwerpunkten: - Zur Struktur heutiger Arbeitswelten - Möglichkeiten der Selbstfürsorge des Einzelnen - Gesundheitsförderung im Betrieb - Als Herzstück des Buches: das »Salamander-Modell« der Burnout-Prävention. - Schwerpunkt Prophylaxe für Betriebe und Organisationen sehr relevant. Das Salamander-Modell von Jörg Fengler: »Wir können uns also einen Salamander vorstellen, der links sieben ›Stressbeine‹ hat: Person, Privatleben, Zielgruppe, Team, Vorgesetzte, Branche und Gesellschaft. Rechts hat er sieben ›Heilungsprozess-Beine‹ auf den gleichen Ebenen.« Das Buch richtet sich an: Coaches, BeraterInnen PsychotherapeutInnen Personalverantwortliche in Betrieben ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen »... hilfreich für BeraterInnen, Coachs oder TherapeutInnen, denn es bietet eine umfangreiche Sammlung von Instrumenten und Anstößen, die bei der Arbeit mit Burnout-gefährdeten KlientInnen und Organisationen mitgedacht werden sollten.« Trix Angst, punktum, November 2013
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Seitenzahl: 290
Jörg Fengler
Burnout-Präventionim Arbeitsleben
Das Salamander-Modell
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
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Klett-Cotta
© 2013 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Printausgabe: ISBN 978-3-608-89127-0
E-Book: ISBN 978-3-608-10640-4
Dieses Buch widme ichmeinen Eltern Ernst und Ilse Fengler,meinen Geschwistern Ernst, Gerd und Monicaund meinen Kindern Fiona, Filia und Janne
Vorwort
I. Burnout-Prävention: Geschichte, Messung, Perspektiven
Stress, Burnout und Klinische Diagnosen
Schicksale des Burnout-Konzepts
Ferndiagnosen und posthume Diagnosen
Einzelsymptome des Burnout
Messung des Burnout
Verbreitung des Burnout
Fragebogen zum Selbsttest
Selbstverbrenner und Opfer der Umstände
Burnout und Persönlichkeitsmerkmale
Bedingungsgefüge des Burnout
Das Salamander-Modell
Burnout-Prävention als Stufenmodell
Perspektiven für Forschung und Praxis
II. Burnout-Prävention im Salamander-Modell
1. Burnout-Prävention der Person
Lockerung der Stressbiographie
Überprüfung von Idealen
Relativierung von Amt und Arbeit
Dosierung der beruflichen Identifikation
Die sogenannte Arbeitssucht
Kurzkonferenz mit dem Über-Ich
Vom Ehrgeiz zum Anspruch
Die Geschichte vom rechten Winkel
Auskunft unserer Stressorgane
Würdigung von Erkrankungen
Selbstwürdigung
Hilfsbereitschaft mit Augenmaß
Die vier Buchstaben der Selbstfürsorge: N-E-I-N
Sinnbesinnung
Life-Planning
Kunsterfahrung und künstlerische Ausdruck
Introversion und Extraversion
Begegnung mit der Natur
Flow-Erlebnisse
Entspannung, Aktivierung und Harmonisierung
Kurzurlaube
Fachliche Kompetenz
Spiritualität
Brief, Tagebuch, gute Gedanken und Gebet
Hilfen zur Regeneration
Gedankenstopp
Selbstbelohnung
Lektüre
Tages-Resumee
Bewältigungskompetenzen
2. Burnout-Prävention im Privatleben
Liebe und Vertrauen
Selektive Authentizität
Nähe- und Distanzregulierung
Stabilität und Wandel
Balancierte Verantwortung
Zuverlässigkeit im Kleinen
Würdigung der Tätigkeiten
Die 1:5-Regel
Faires Streiten
Risiken beim Aussprechen von Differenzen
Helfende Institutionen bei privaten Problemen
3. Burnout-Prävention in den Zielgruppen-Kontakten
Klärung eigener Empfindlichkeiten
Aneignung geeigneter Bewältigungsstrategien
Bejahte Zielgruppen
Diversifikation der Aufgaben
Lösbare Aufgaben
Differenzierte Rückmeldung
Erfolgserfahrungen
Bejahung von Erholungszeiten
Minipausen
Supervision und Coaching
Arbeitszufriedenheit
4. Burnout-Prävention im Team
Merkmale ausgebrannter Teams
Merkmale guter Teams
Kleinere Arbeitseinheiten
Nähe-Regulierung im Team
Solidaritätserfahrung
Feedback zur Arbeit
Heterogene Team-Zusammensetzung
Stressquellen im Mitarbeiterverhalten
Kommunikation im Team
Lockerung von Subgruppen-Polarisierungen
Guter Ruf des Teams
Messbare Team-Erfolge
Veröffentlichung funktionierender Vernetzungen
Überlastungs-Anzeige
Balancierte Hilfsbereitschaft
Spontanes kollegiales Coaching
Team-Reflexion der Leitungsfunktion
Unterstützungssitzungen im Team
5. Burnout-Prävention durch Vorgesetzte
Belastungs-Selbsttest für Vorgesetzte
Team-Belastungsdiagnostik durch Vorgesetzte
Vorbildfunktion
Gemeinsamer Arbeitsbeginn
Förderung und Forderung in der Probezeit
Anerkennung von Leistungen
Gerechtigkeitsbemühen
Die 1:5-Regel für Vorgesetzte
Monitoring der Gesprächskultur
Rollen-Klärung der Mitarbeiter
Selbstbestimmung im beruflichen Handeln
Verbindliche Arbeitsabläufe
Substrukturen in großen Teams
Wissens-Management im Team
Zielgruppenbezogenes Coaching durch Vorgesetzte
Balance von Konkurrenz und Kooperation
Vorgesetzten-Bindung an jeden Mitarbeiter
Förderung der Team-Kohäsion
Belastungsanalyse
Belastung als Konferenz-Thema
Gratifikationsanalyse
Eigene Standortbestimmung
Zirkuläres Selbstfeedback
Allseitige Loyalität
Mitarbeitergespräch zur Burnout-Prävention
Leitungs-Coaching und Team-Coaching
6. Burnout-Prävention in der Institution
Selbstanalyse in der Institution
Guter Ruf von Institution und Branche
Bejahung und Unterstützung der betrieblichen Mitbestimmung
Mitbestimmung
Organigramm-Analyse
Betriebsklima als Leitungsaufgabe
Soziale Ansprechpartner
Variable Arbeitszeit
Kindergarten- und Kita-Plätze im Unternehmen
Sicherheit der Arbeitsplätze
Betriebsinterne psychosomatische Ambulanz
Klärung von Stress erzeugenden Arbeitsbedingungen
Etablierung einer Burnout-Richtlinie
Räumliche Nähe
Begegnungs-, Sport- und Ruheräume
360°-Feedback
Eigenständige Coaching-Abteilung
Anfängermentorat
Coaching bei internem Stellenwechsel
Einarbeitung von Nachfolgern
Selektive Transparenz bei Prozessen der Umstrukturierung
Gemeinsinn und Hilfsbereitschaft
IT-Hygiene
Förderung von Fortbildung
Teilnahme an Fachkongressen
Realistische Zeitvorgaben
Etablierung von Springerfunktionen
Gewaltprävention
7. Burnout-Prävention in der Gesellschaft
Legislative, Exekutive und Jurisdiktion
Primat der Prävention vor der Krankenbehandlung
Protestbewegungen
Regionale Institutionen
Parameter der gesellschaftlichen Lebensqualität
Schlussbemerkung
Literatur
Es gab für mich mehrere Anlässe, dieses Buch zu schreiben:
Das Thema Burnout-Prävention hat sich mittlerweile weit über die Helfer-Berufe hinaus, in denen es zunächst angesiedelt wurde, auf alle Berufe und auch auf Personen ohne Berufstätigkeit im engeren Sinne ausgedehnt.
Der gesellschaftliche Diskurs über das Thema »Burnout-Prävention« hat an Tempo und Vielfalt gewonnen. Es reizte mich, die verschiedenen aktuellen Theorie-Ansätze, Argumentationslinien und Praxisoptionen zu sichten und zu ordnen.
Ich habe mich entschlossen, dabei außer den vertrauten Ebenen der Burnout-Prävention (Person und Beruf) eine differenzierte Darstellung von Stressquellen und Präventionsebenen ausführlich zu behandeln: Person, Privatleben, Zielgruppenkontakte, Team, Vorgesetztenfunktion, Institution und Gesellschaft.
Daraus ist ein Buch geworden, das ich als Beitrag zur Burnout-präventiven Selbsthilfe wie auch als Beitrag zum betrieblichen Gesundheitsmanagement verstehe. Immer mehr Firmen, Behörden und Verwaltungen befassen sich für den eigenen Arbeitskontext mit dem Thema Burnout-Prävention, um die Qualität von Leistung, Arbeitszufriedenheit und Qualität der Zusammenarbeit sicherzustellen.
In Teil I stelle ich den Stand der Burnout-Forschung einschließlich der wichtigsten Kontroversen dar. Hier stelle ich auch das von mir entwickelte Salamander-Modell der Burnout-Prävention vor. So können Sie sich ein Bild davon machen, wie Sie das Thema Burnout-Prävention nach der Lektüre in Ihr eigenes (Arbeits-)Leben einordnen wollen. Dazu gehören auch ein Selbst-Test sowie weitere praktische Übungen.
Den Hauptteil II habe ich entsprechend den 7 Ebenen des Salamander-Modells in 7 Kapitel untergliedert. Hier geht es um differentielle Belastungsaspekte, an erster Stelle aber um das, was auf jeder der 7 Ebenen praktisch getan werden kann, durch Initiative des Einzelnen wie auch durch institutionelle und politische Entscheidungen, um dem eigenen Burnout-Risiko oder dem anderer Menschen entgegenzuwirken. Dabei können Leserinnen und Leser sich während der Lektüre mobil zwischen den Kapiteln bewegen.
Es ist oft günstig, mit dem Kapitel und mit dem Ausschnitt aus dem eigenen Leben zu beginnen, für den Leidensdruck und Änderungsmotivation am größten sind, und sich dann zu den weiteren Kapiteln gemächlich vorzuarbeiten. Jedes Kapitel enthält zahlreiche Übersichtstabellen und Übungen, anhand derer die Gelegenheit dazu besteht, die eigene spezifische Belastung zu untersuchen und individuelle Burnoutpräventive Maßnahmen zu entwickeln.
Ich habe vielen Menschen zu danken. An erster Stelle haben meine Angehörigen an dem Prozess des Schreibens lebendig teilgenommen und mich immer wieder dabei unterstützt. Viele Gesprächspartner aus Seminaren, Vorträgen und Fortbildungen wie auch aus Psychotherapie- und Coaching-Prozessen haben mir von ihren Erfahrungen mit Burnout-Risiken berichtet. Auf Tagungen und Kongressen hatte ich immer wieder die Gelegenheit, im Diskurs meine Auffassungen vom Thema dem Urteil von Kolleginnen und Kollegen auszusetzen und zu überprüfen. Daniela Wiesmann und Stephanie Natividad haben einzelne Textpassagen geschrieben. Mein Mitarbeiter Oliver Reich hat die Endfassung des Textes erstellt. Frau Dr. Treml vom Verlag Klett-Cotta hat in engem Kontakt mit mir das Projekt begleitet, es dem Verlag gegenüber vertreten und mir wichtige Empfehlungen ausgesprochen. Ihnen allen danke ich für ihre kontinuierliche Zuverlässigkeit und die Qualität ihrer Beiträge.
Ich wünsche Ihnen als Leserinnen und Leser, dass Sie am Ende der Lektüre
über das Thema »Burnout-Prävention« besser informiert sind
ausgewählte Impulse aufgreifen können und
in Ihrem weiteren Leben, was eine Burnout-Gefährdung angeht, gut für sich selbst und andere Menschen sorgen können.
Wenn Sie mit mir Kontakt aufnehmen wollen, mit Beispielen, Erfahrungen und auch zum kollegialen Austausch, so sind Sie herzlich dazu eingeladen: [email protected]
Jörg Fengler, Köln und Bonn, April 2013
In diesem Kapitel werde ich von dem Konzept Burnout-Prävention in seinen Anfängen, Kontroversen, Kuriositäten und aktuellen Entwicklungen berichten. Dieses Kapitel bildet das Fundament für die sich daran anschließende 7 Kapitel umfassende Darstellung der Burnout-Prävention.
Alarm-Phase: Wir erleben schleichend beginnend oder plötzlich auftretend eine starke, lang anhaltende Stress-Belastung, die wir als alarmierend und bedrohend erleben. Die Bedrohung besteht in der Vermutung eines Kontrollverlustes, in der Nähe des bedrohlichen Reizes und in der Unberechenbarkeit der Situation. In diesem Moment lässt bei einem Teil der Menschen die Leistungsfähigkeit stark nach, während andere sofort mit einer erhöhten Aktivierung reagieren.
Aktivierungsphase: In der Stress-Situation aktivieren die meisten Menschen sehr rasch ihre körperlichen und seelischen Ressourcen, um den Stressoren erfolgreich begegnen zu können. Diese erhöhte Aktivität kann häufig über viele Tage, Wochen oder sogar Monate hinweg aufrechterhalten werden, ohne dass eine Schädigung eintritt. Aber schon während dieser Zeit sollte der Mensch sich Gedanken über Abhilfe machen; denn beliebig lange kann diese Phase nicht ausgedehnt werden.
Erschöpfungsphase: Es kommt der Zeitpunkt, zu dem die Leistungsfähigkeit nachlässt und sich subjektiv ein Gefühl der Erschöpfung einstellt. Selbst wenn die Minderleistungen zunächst nur wenig auffallen, wird jetzt der Bedarf nach Korrektur der Arbeitsbedingungen und der inneren Haltung dringender. Denn anderenfalls wird eine Verschlimmerung der Situation wahrscheinlich: Die Zahl der Fehler nimmt zu, die Zufriedenheit nimmt ab, die Erschöpfung tritt deutlicher hervor. Weitere vermehrte Anstrengung erscheint manchen Menschen als sinnlos. Dies sind die ersten Anzeichen dafür, dass ein Burnout-Risiko sich entwickelt. Wenn auch diese Gefahr übersehen wird, so kann sich das Vollbild einer Burnout-Problematik ergeben. Weitergehende Folgen können darin bestehen, dass sich daraus psychische und körperliche Störungen entwickeln, die im ICD-10, Abschnitt F, signiert sind:
Depression,
Angststörung,
Nichtorganische Schlafstörung,
Abhängigkeit,
Neurasthenie,
Anpassungsstörung,
Chronic-Fatigue
-Syndrom,
Narkolepsie,
Psychosomatische Störung,
Somatoforme Störung usw.
Aus diesem Phasenmodell geht hervor, dass frühe Maßnahmen der Burnout-Prävention in Zeiten, in denen die Funktionsfähigkeit noch ganz oder teilweise erhalten ist, in jedem Fall späteren Interventionen vorzuziehen sind.
Sozialwissenschaftliche Begriffe entwickeln leicht ein Eigenleben, wenn sie hinreichend eingängig sind. Sie werden von Diskussion zu Diskussion weitergegeben und verlieren auf diesem Weg immer mehr den Charakter von Versuchen der Annäherung an Erfahrungen. Stattdessen gelten sie am Ende als erwiesene Tatsachen und gewinnen normative Bedeutung.
Ich werde aus diesem Grund von ausgewählten wissenschaftlichen wie auch gesellschaftlichen Episoden berichten, die für das gegenwärtige Verständnis des Burnout von Bedeutung sind. Wo ich Jahreszahlen nenne, beziehe ich mich u. a. auf Burisch (2006, S. 6 ff.), ergänze dessen Ausführungen aber auch durch eigene Beobachtungen. Eine genaue zeitliche Lokalisierung ist nur in einem Teil der Fälle möglich.
Dies ist der gegenwärtige Stand der Dinge. In Abschnitt 15 dieses Kapitels werde ich die Aufgaben nennen, vor denen Forschung und Praxis der Burnout-Prävention nunmehr stehen.
In den 90er-Jahren begann die Presse, Prominente aus Sport und Showgeschäft mit Ferndiagnosen einer Burnout-Erkrankung (!) zu belegen. Sportler mit Minderleistungen; Sängerinnen, die Auftritte abbrachen; Filmschauspieler, die betrunken am Set erschienen, waren willkommene Adressaten solcher journalistischen Enthüllungen.
Ich sammelte zunächst aus Neugier die Namen der so »diagnostizierten« Personen. Als die Liste aber immer länger wurde, wurde mir der Charakter der Grenzüberschreitung und Sensationssuche dieser Spekulationen klar, die gewiss nur wenig oder nichts über die betreffenden Personen aussagten, aber viel über die Journalisten, die mit diesen Meldungen eine große Leserschaft anzusprechen hofften.
Mittlerweile werden auch bereits Verstorbene noch posthum mit der Diagnose Burnout versehen (vgl. Burisch 2006):
Moses, als er sich von der ständigen Rechtsprechung gegenüber dem Volk Israel erschöpft fühlt
Elias, als er nach einer Serie von Erfolgen einige Niederlagen erfährt
Goethe, als er als Staatsminister in Weimar mit sehr vielen Aufgaben betraut und in eine Beziehung mit Frau von Stein verwickelt ist und fluchtartig nach Italien aufbricht
van Gogh, als er sich ein Ohr abschneidet und an eine Prostituierte schickt
Thomas Buddenbrook, als er bei riskanten Geschäften müde und verdrossen wird, Verarmung und Verödung erlebt und seine körperliche Hinfälligkeit verstecken muss.
Ludwig Wittgenstein, als er nach 6-jähriger Arbeit als Dorfschullehrer von den Bewohnern aus seinem Amt vertrieben wird
Albert Einstein, während er mit zahlreichen anderen Wissenschaftlern an der Konstruktion der Atombombe arbeitet
Jürgen Möllemann nach seinem tödlichen Fallschirmsprung.
Diese posthumen Ferndiagnosen sind natürlich mit einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Berufsethik auf keine Weise vereinbar. Ausnahmen sollten nur dann gelten, wenn sie im Kontext einer wissenschaftlichen Fragestellung ausgesprochen werden. Dies gilt übrigens in gleicher Weise, wenn lebende Prominente durch Psychiater und Psychotherapeuten mit Diagnosen belegt werden.
Anders stellt sich die Sache dar, wenn eine Person sich selbst mit einer psychischen Beeinträchtigung oder Störung outet, und auch, wenn Angehörige sich entsprechend äußern, wie dies z.B. nach der Selbsttötung des Hannoveraner Fußball-Torwarts Robert Enke geschah. In solchen Fällen mag durch die Mitteilung eine Diskussion angestoßen werden, die Information vermittelt, Schamschwellen senkt und Präventionsmaßnahmen anregt.
An welchen Erlebens- und Verhaltensweisen das Burnout zu erkennen ist – darüber besteht noch keine Einigkeit unter den Fachleuten. Burisch (2006) stellt eine Liste von Symptomen vor, die er den folgenden sieben Bereichen zuordnet:
Warnsymptome der Anfangsphase, z.B. überhöhter Energieeinsatz, Gefühl der Unentbehrlichkeit, Erschöpfung.
Reduziertes Engagement, z.B. Desillusionierung, Betonung von Fachjargon, Fluchtfantasien, Gefühl mangelnder Anerkennung.
Emotionale Reaktionen, z.B. Selbstmitleid, Bitterkeit, Reizbarkeit.
Abbau, z.B. Desorganisation, Dienst nach Vorschrift, verminderte Flexibilität.
Verflachung des emotionalen, sozialen und geistigen Lebens.
Psychosomatische Reaktionen, z.B. Schlafstörungen, Atembeschwerden, Kopfschmerzen, mehr Alkohol/Kaffee/Tabak/andere Drogen.
Verzweiflung, z.B. Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit, Selbstmordgedanken.
An dieser Liste ist erkennbar: Die Einzelsymptome sind heterogen, hinterlassen aber oft bei dem Betreffenden selbst und auch bei Menschen aus seiner näheren Umgebung den starken Eindruck, dass sich irgendetwas schwer Fassbares im Leben des Betreffenden zum Schlechteren verändert habe und dass eine Hilfestellung von außen notwendig sei, um dem Betreffenden nachhaltig helfen zu können. Dem steht ein Bedenken gegenüber: Alle genannten Einzelmerkmale können auch im Zusammenhang mit anderen Krisensituationen auftreten und weisen nicht linear und zwingend auf ein Burnout hin. Das ist richtig. Es muss uns aber nicht zur Untätigkeit veranlassen oder gar zwingen. Vielmehr ist diese Feststellung eine Einladung dazu, auf vorschnelle Burnout-Etikettierungen zu verzichten, das Risiko einer Burnout-Entwicklung bei dieser Person aber doch im Auge zu behalten. Ein scherzhafter Arztspruch lautet: Man kann auch Läuse und Flöhe haben. Für unsere Erörterung bedeutet dies: Es kann für die Person eine multiple Belastung vorliegen, die sich aus körperlichen, seelischen und sozialen Komponenten zusammenfügt. Dann ist es durchaus in Betracht zu ziehen, dass ein Burnout einen Teil dieser Fehlentwicklung abbildet.
Verschiedene Instrumente zur Messung des Burnout haben vorerst nicht zu einem gemeinsamen Konsens geführt. Einige von ihnen will ich hier in Form einer kurzen Übersichtstabelle nennen (Tab. 1).
Die Skalen liegen zum Teil in unterschiedlichen Übersetzungen und Versionen vor, was die Übersichtlichkeit nicht gerade vergrößert. Ein kleiner Trost vielleicht: Auch viel komplexere Konzepte wie die Intelligenzmessung sind seit mehr als hundert Jahren in Konstrukt-Operationalisierung, Messtheorie und Validität umstritten und im Fluss. So findet sich der Burnout-Diskurs in dieser Hinsicht in guter Gesellschaft.
Über die Zahl der Personen mit einer Burnout-Diagnose in Deutschland existieren keine gesicherten Angaben. Das ist nicht verwunderlich:
Es existiert in der
Scientific Community
kein Konsens darüber, was unter Burnout zu verstehen ist.
Es gibt, wie ich im letzten Abschnitt dargestellt habe, kein valides und reliables Messinstrument, das das Burnout durch überzeugende Konstruktvalidität von anderen psychischen Beeinträchtigungen trennscharf abgrenzt. Als Ausnahme davon kann der Test von Schaarschmidt betrachtet werden, dessen Verwendung ich in allen Bereichen des Arbeitslebens dringend empfehlen kann.
Tab. 1: Messung des Burnout
Testbezeichnung
Skalen
Maslach und Jackson: Burnout Inventory (MBI, 1996)
Emotionale Erschöpfung, Depersonalisation, Leistungsunzufriedenheit
Aronson et al.: Tedium Measure/ Überdruss-Skala (TM, 1983)
Überdruss
Schaarschmidt und Fischer: Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebnismuster (AVEM, 1997)
Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit, beruflicher Ehrgeiz, Verausgabungsbereitschaft, Perfektionsstreben, Distanzierungsfähigkeit, Resignationstendenz bei Misserfolg, offensive Problembewältigung, innere Ruhe und Ausgeglichenheit, Erfolgserleben im Beruf, Lebenszufriedenheit, Erleben sozialer Unterstützung
Hagemann und Geuenich: Burnout-Screening-Skalen (BOSS, 2009)
BOSS I: Beschwerden in den Lebensbereichen Beruf, eigene Person, Familie und Freunde;
BOSS II: Körperliche, kognitive und emotionale Beschwerden
Es existieren bei den unterschiedlichen Instrumenten keine empirisch ausgewiesenen und begründeten Festlegungen darüber, ab welcher Zahl bejahter Items in den Fragebögen die Feststellung eines Burnout auszusprechen wäre.
In Zeitungsmeldungen werden oft Burnout und Depression zusammengefasst, manchmal werden die Begriffe Burnout und psychische Störung sogar als Synonyme verwendet, und in der Schlagzeile taucht dann nur noch das »Burnout« auf. Oder es wird von der dramatischen Zunahme psychischer Störungen im Arbeitsleben berichtet, während faktisch ja nur die Zahl der ärztlicherseits diagnostizierten und als Begründung für die Frühberentung gewählten psychischen Störungen zur Debatte stehen. In den Zeitungsmeldungen heißt es dann, die Zahl der Burnout-Erkrankungen (!) habe sich innerhalb von drei Jahren verdoppelt, 50 % der Deutschen litten unter Burnout, eine »Volkskrankheit« sei entstanden usw.
Ich habe die ältere Maslach-Version des Burnout-Fragebogens für Seminarzwecke geringfügig modifiziert, um Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu verdeutlichen, was im Alltag des Arbeitslebens mit Erschöpfung, gefühlter Leistungsminderung und Entfremdung gemeint ist. Dabei habe ich alle Formulierungen verändert, in denen in einzelnen Items Hinweise auf Helferberufe vorkamen. In Seminaren lade ich manchmal zu einem Selbstversuch ein. Ich weise allerdings darauf hin, dass letztendlich nicht die Zahl der bejahten Items ausschlaggebend für eine Selbsteinschätzung des persönlichen Burnout-Risikos sein sollte, sondern die persönliche Beunruhigung über einzelne Antworten, die der Betreffende selbst an sich wahrnimmt. In diesen Seminaren besteht auch Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Burnout-Konzept, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer letztendlich befähigt, sich ihre eigene Einschätzung von der Bedeutung des Konzepts für sie selbst sowie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bilden, für die sie eine Personalverantwortung haben. (Tab. 2)
Tab. 2: Selbsttest zur Einschätzung der eigenen Burnout-Gefährdung
Burisch (2006) unterscheidet zwei Arten der Burnout-Gefährdung:
Selbstverbrenner: Hier ordnet er Personen zu, die im Wesentlichen aufgrund eigener Merkmale die Überlastung dulden, akzeptieren, aktiv arrangieren, ihr nicht hinreichend deutlich entgegentreten oder durch geringe Resilienz schon bei mittlerer Beanspruchung rasch einen Zustand der Erschöpfung erreichen.
Opfer der Umstände: Diesem Risikobild ordnet er Personen zu, die einer Häufung externer Belastungen ausgesetzt sind, denen sie sich subjektiv oder objektiv nicht entziehen können.
Darüber hinaus müssen wir natürlich mit Mischformen rechnen, in denen sich das eine mit dem anderen zusammenfügt. Im Ergebnis können wir annehmen, dass die sog. Selbstverbrenner in manchen Fällen von einem intensiven Coaching oder einer Psychotherapie profitieren könnten, die Opfer der Umstände hingegen an erster Stelle durch Gespräche innerbetrieblicher Art über die Art und Modifizierbarkeit ihrer Belastung.
Es wird immer wieder die Frage gestellt, welche Persönlichkeitsmerkmale zur Burnout-Entwicklung disponieren. Aber hier kommen wir über Spekulationen und allenfalls Plausibilitäten kaum hinaus (Tab. 3).
Solchen Darlegungen gegenüber müssen allerdings ernsthafte Einwände geltend gemacht werden:
Die gewählten Merkmalsbezeichnungen suggerieren, dass die Persönlichkeit an allererster Stelle durch sie geprägt und in ihrem Erleben und Verhalten determiniert sei. Damit gewinnt das Merkmal aber einen typologisierenden Charakter, der keineswegs dem Stand der Persönlichkeitsforschung entspricht.
Für »Idealisten« und »Pessimisten« existieren keine akzeptablen Messinstrumente.
Eine empirische Untersuchung solcher behaupteter Determinationen müsste (fiktiv) recht aufwendig konzipiert werden:
Versuchsgruppe 20-jähriger Personen ohne Burnout, aber mit hohem Pessimismus
Parallelisierte Kontrollgruppe in Form experimenteller Zwillinge, ohne Burnout, aber mit niedrigem Pessimismus
In den darauf folgenden zwei Jahren in beiden Gruppen vergleichbare Belastungen und vergleichbare Schutzfaktoren
Messwiederholung an beiden Stichproben, nach Möglichkeit ohne Drop-Outs
Erwartetes Ergebnis: Die Versuchsgruppe zeigt im Durchschnitt signifikante Burnout-Werte (nicht nur: Erhöhte Burnout-Werte im Vergleich zur Kontrollgruppe!). Die Kontrollgruppe weist konstant niedrige Burnout-Werte auf.
Das wäre ein schönes Ergebnis, und die Hypothese wäre bestätigt. Aber selbst in diesem Fall bleibt Diskussionsbedarf über die Zwangsläufigkeit einer Kausalitätsannahme. Denn warum hätte der Pessimismus erst zwischen dem 20. und dem 22. Lebensjahr zugeschlagen und nicht bereits zwischen 16 und 18? Oder zwischen 10 und 12? Und
gibt
es Burnout schon bei Kindern und Jugendlichen? Kann man es messen? Und wenn nicht, warum nicht? Und ist diese Frage für Erkenntnisprozess und Gesellschaft von Bedeutung?
Tab. 3: Eventuelle zur Burnout-Entwicklung disponierende Persönlichkeitsmerkmale
Merkmale (Exemplarische Auswahl)
Begründung des Burnout-Risikos
Depression
weil Betroffene sich schon durch kleine Aufgaben überfordert fühlen können
Histrionische Störung
weil Betroffenen nicht täglich spektakuläre Leistungen gelingen
Idealismus
weil Betroffene sich ständig überfordern und ihren Idealen doch nicht vollständig gerecht zu werden vermögen
Narzisstische Störung
weil Betroffenen nie so viel Bewunderung entgegengebracht wird, wie sie meinen, dass diese ihnen zustehe
Pessimismus
weil Betroffene bei allen Aufgaben davon ausgehen, dass es ihnen nicht gelingen wird, sie zufriedenstellend zu erledigen
Schizoide Störung
weil Betroffene sich nach Bindung sehnen, aber gleichzeitig dafür sorgen, dass sie nicht gelingen können
Zwangsstörung
weil Betroffene täglich die Erfahrung machen, dass es die perfekte Lösung für ihre Aufgaben nicht gibt
Trotzdem sind solche Hypothesen wertvoll. Denn in der Einzelfallberatung kann sich durchaus zeigen, dass sich eine bestimmte Haltung oder Eigenschaft wie ein Roter Faden als wiederkehrende Burnout-Risikofalle durch das Leben des Betreffenden zieht.
Als kleinster gemeinsamer Nenner von Untersuchungen, die eine Determiniertheit des Burnout durch Persönlichkeitsmerkmale oder Persönlichkeitsstörungen prüfen, bleibt also festzustellen, dass Letztere durch ihren starren Charakter die Möglichkeiten einer flexiblen Anpassung an unterschiedliche Anforderungen beeinträchtigen und sich so als wahrscheinlich wiederkehrend auftretende und spezifische Stressfaktoren erweisen, die in Verbindung mit anderen Stressoren bei verringerter Resilienz zur Burnout-Entwicklung beitragen können.
Wir können mithin Matthias Burisch, einem der am besten ausgewiesenen Experten auf diesem Gebiet im deutschsprachigen Raum, zustimmen, wenn er sagt, dass niemand genau weiß, was Burnout ist. Ich vertrete dennoch, so wie auch er, die Auffassung, dass es richtig und notwendig ist, sich mit diesem noch unscharfen Konstrukt im Interesse von Verhaltens- und Verhältnis-Prävention wissenschaftlich und gesamtgesellschaftlich zu befassen, und werde in den noch vor uns liegenden Kapiteln immer wieder dazu Stellung nehmen.
Mittlerweile gibt es eine größere Zahl von Annahmen darüber, wie ein Bedingungsgefüge von zwei dichotom konzipierten Merkmalen (hohe versus niedrige Ausprägung) im Zusammenhang mit einer Burnout-Entwicklung entstehen kann. Einige dieser Ansätze sind zu Theorien erklärt worden, manche von ihnen finden bei Burisch (2006) Erwähnung.
Hohe Energieabgabe – Geringe Auswirkung
Hohe Anforderungen – Niedrige Erfolgsrate
Hoch gesteckte Werte – Niedrige Realisierungsmöglichkeiten (Constable et al., 1986)
Hohe Identifikation – Geringe Anerkennung
Hoher Einsatz – Niedrige Gratifikation (Siegrist, 2006)
Hoher Einsatz – Niedrige Distanzierungsfähigkeit (Schaarschmidt und Fischer, 2003)
Hohe Anforderungen – Niedrige Eigenkontrolle über das Ergebnis (Izraeli, 1988)
Intensive Rollenkonflikte – Niedrige Rollenklarheit (Burisch, 2006)
Klarer Belohnungswunsch – Geringe Belohnungserfahrung
Hohes Engagement – Niedrige Möglichkeit zur Belastungsbewältigung
Hohe Rollenerwartung – Niedrige Rollenbestätigung (Pierson-Hzubeny et al., 1985, 1987)
Niedrige Belohnungserwartung – Hohe Bestrafungserwartung
Hohe Bestrafungserwartung – Niedrige Bestrafungskontrollerwartung
Niedrige Belohnungserwartung – Niedrige Belastungskontrollerwartung
Erhöhte Erfolgserwartung – Niedrige Erfolgserfahrung
Fremdbestimmte Ziele – Persönlichkeitsferne Belohnungen
Realistische Ziele – Unrealistische Belohnungserwartung
Hoher Narzissmus – Niedrige Bewunderungsrate
Hoher Einsatz – Niedrige Regeneration
Hoher Einsatz – Hoher Verschleiß
Hoher Ressourcenbedarf – Angst vor Ressourcenverlust (Hobfoll, 2004)
Hoher Ressourceneinsatz – Niedrige Belohnungsrate
Hohe Rate des Gebens – Niedrige Rate des Empfangens
Hoher Einsatz – Niedrige Zielgruppen-Compliance
Starre Zielbindung – Unmöglichkeit der Zielerreichung
Alle diese Merkmalskonstellationen tragen dazu bei, dass in Burnout-Forschung und Praxisberatung bei Burnout-Klienten potentiell einschlägige Parameter einer Gefährdung Berücksichtigung finden.
Ich habe längere Zeit nach einer griffigen, bildhaften Darstellung gesucht, mit deren Hilfe ich meine Vorstellung von der multiplen Bedingtheit der Burnout-Entwicklung in Verbindung mit der multiplen Option zu Burnout-präventiven Maßnahmen darstellen wollte. Dabei bin ich schließlich auf das Bild eines Salamanders gestoßen, den ich anstelle seiner vier Beine, wie er sie in der Natur aufweist, mit je sieben Beinen rechts und links ausgestattet habe. Ein Künstler aus Düsseldorf hat mir freundlicherweise eine entsprechende Darstellung angefertigt (Mark Prouse, Kunstschmiede elements).
Abb. 1: Das Salamander-Modell der Burnout-Prävention
Das Salamander-Modell soll Folgendes zum Ausdruck bringen: Wenn wir uns dem Phänomen Burnout nähern, so nehmen wir als Ausgangspunkt die Erfahrung von Stress. Stress kann sich auf 7 Ebenen einstellen, die durch die 7 Beine auf der linken Seite des Salamanders abgebildet sind.
Stressquelle »Person«: An erster Stelle ist immer die Person selbst gefordert. Sie erfährt den Stress und erzeugt ihn sich selbst. Sie leidet und ist gehalten, selbst die Initiative zu ergreifen.
Stressquelle »Privatleben«: Das Privatleben wird oft als der schützende und stützende Ausgleich für das feindselige Arbeitsleben dargestellt. Aber auch hier können Stressoren der unterschiedlichsten Art in Erscheinung treten, die zu einer Burnout-Gefährdung beizutragen vermögen.
Stressquelle »Zielgruppen«: Jeder Mensch hat mit anderen Personen zwangsläufig zu tun, wenn er seine Handlungs- und Arbeitsabläufe geordnet gestalten will. Manchmal wird der Kontakt mit den Zielgruppen für den zentralen oder sogar für den einzigen Stressor gehalten. Dies ist aber eine Fehleinschätzung. Im Abschnitt Zielgruppen werde ich auch auf weitere Stressquellen in der Arbeitsplatzgestaltung eingehen.
Stressquelle »Team«: Das Team kann eine Stressquelle ganz eigener Art sein und wird deshalb vom Stress durch die Zielgruppen unterschieden. Mit dem Team bestehen die engsten Kontakte in der täglichen Begegnung, denen der Einzelne sich nahezu gar nicht entziehen kann.
Stressquelle »Vorgesetzte«: Vorgesetzte nehmen für die Burnout-Einschätzung des Mitarbeiters eine besondere Position ein. Sie halten sich im Nahbereich auf und haben eine Weisungs- und Kontrollbefugnis wie auch weitere Entscheidungsspielräume, die sich als Burnout-fördernd erweisen können.
Stressquelle »Institution«: Institution, Organisation, Firma, aber auch Branche können zum Stress des einzelnen Mitarbeiters erheblich beitragen, wenn Maßnahmen hinsichtlich günstiger Arbeitsplatzgestaltung und Stressreduktion ausbleiben, das Image der Institution schlecht ist und der geschäftliche Druck zunimmt. Diese Dinge werden rasch an jedem Arbeitsplatz spürbar.
Stressquelle »Gesellschaft«: Auch gesellschaftliche Bewegungen und Verwerfungen, politische Unsicherheiten wie auch politische Entscheidungen und das erlebte politische Klima können den einzelnen Menschen verunsichern und zu seiner Burnout-Gefährdung beitragen.
Nun ist dies nur die linke Seite des Salamanders. Auf der rechten Seite weist er 7 Burnout-Präventionsbeine auf, die die gleichen Bezeichnungen tragen wie die Stressbeine auf der linken Seite:
Burnout-Präventionsfaktor »Person«: Die Person selbst hat als erste die Möglichkeit, auf ihr eigenes Erleben und Verhalten, ihre Interpretation von Ereignissen und den seelischen Selbstschutz Einfluss zu nehmen und auf diese Weise Burnout-präventiv auf das Geschehen einzuwirken.
Burnout-Präventionsfaktor »Privatleben«: Das Privatleben der Person kann sich in der Prävention als starker Faktor erweisen, und zwar sowohl als soziale Unterstützung wie auch über den Einfluss, die die Person selbst auf ihre sozialen Vernetzungen nimmt.
Burnout-Präventionsfaktor »Zielgruppen«: Die Zielgruppen-Kontakte können herausfordernd und bereichernd, bestätigend und qualifizierend ausfallen und auf diese Weise einer Burnout-Entwicklung entgegenwirken.
Burnout-Präventionsfaktor »Team«: Das Team hat die Möglichkeit, über kollegialen Austausch, Expertise und wechselseitige Unterstützung jedem Team-Mitglied die tägliche Erfahrung zu vermitteln, wichtig zu sein, gewürdigt zu werden und in Notsituationen Hilfe zu erfahren.
Burnout-Präventionsfaktor »Vorgesetzte«: Die Vorgesetzten-Funktion nimmt neben der Person eine sehr zentrale Stellung in der Burnout-Prävention ein. Sie kann durch ihre Nähe zu den Arbeitsvorgängen rasch klärend und unterstützend eingreifen, ohne zunächst durch bürokratische Hemmnisse Verzögerungen in Kauf nehmen zu müssen.
Burnout-Präventionsfaktor »Institution«: Auf Institutionsebene besteht in der Kooperation zwischen Firmenleitung, Gewerkschaften, Betriebsärztlichem Dienst und Sozialdienst die Möglichkeit, über Bestimmungen zur Gefahrenabwehr und Gesundheitsförderung verbindliche Schutzmaßnahmen mit einer Langzeitperspektive und -wirkung zu ergreifen.
Burnout-Präventionsfaktor »Gesellschaft«: Auf der Ebene von Gesetzgebungsverfahren, Rechtsprechung, Verwaltung und Kontrolle ist jede Regierung dazu angehalten, zum körperlichen und seelischen Gesundheitsschutz der Bevölkerung, zu dem ja die Burnout-Prävention zählt, beizutragen. Dazu gehört für den Bürger und für juristische Personen auch die Option, bei Verstößen gegen Grundgesetz und gesetzliche Vorschriften den Klageweg zu beschreiten.
Das Modell macht sichtbar, dass Verhaltens- und Verhältnisprävention beim Thema Burnout konvergieren: Der Einzelne arbeitet an sich, aber nimmt auch Einfluss auf die Verhältnisse; und Änderungen in den Verhältnissen wirken sich unmittelbar bis auf jeden Einzelnen aus.
Im Prinzip gilt dabei: Mehr hilft mehr, das heißt, dass Interventionen auf mehreren Ebenen der Stressanalyse und auch mehreren Ebenen der Burnout-Prävention bessere Aussichten aufweisen, zu einem guten Ergebnis zu führen, als ein nur punktuelles Vorgehen an nur einer Stelle. Wir müssen dabei damit rechnen, dass wir manchmal auf einer Ebene nichts erreichen, aber auf einer anderen Ebene eine gute Kompensation zustande bringen.
Die folgenden 7 Kapitel werden die jeweiligen Stressoren auf den 7 Ebenen, vor allem aber die sehr zahlreichen Möglichkeiten zu einer Burnout-Prävention mit deren Vorzügen, Grenzen und Perspektiven behandeln.
Manche Menschen wehren sich, wenn es um sie selbst und ihre Belastung geht, gegen die Wahl des Begriffs »Burnout«. Er erscheint ihnen etikettierend, pathologisierend und diskriminierend. Sie wenden dann ein: »Ich bin doch nicht krank!«, »Ich muss doch nicht auf die Couch!«, »Ich muss doch nicht in die Klapse!« (!)
Solche Einwände müssen wir ernst nehmen, wenn wir im Beratungsgespräch etwas erreichen wollen. Denn sie lassen ja die Furcht vor Isolation und Verstoßung aus der Gemeinschaft der Gesunden erkennen, gegen die sich jeder Mensch verständlicherweise zur Wehr setzt. Aus fachlicher Sicht können wir dem Gesprächspartner entgegenkommen, indem wir ihm das folgende Stufenmodell darstellen (Abb. 2).
Das Modell signalisiert: Einzelsymptome des Burnout werden nicht als Erkrankung bewertet, sondern als Risikosignale, die oft durch entsprechende Umstellungen in der Lebensführung korrigierbar sind. Dabei können Angehörige und Freunde von Anfang an mit in die Überlegungen eingebunden werden. Wenn dies nicht ausreicht, um eine Besserung zu bewirken, so ist fachlicher Rat in Anspruch zu nehmen. Örtliche Beratungsstellen arbeiten in der Regel kostenlos und haben eine tolerable Wartezeit. Viele von ihnen sind mit der Burnout-Problematik vertraut und kennen lokale Adressen für eine vertiefte Beratung und gegebenenfalls Behandlung. Eine Kurzzeittherapie verpflichtet nicht dazu, 25 Sitzungen auszuschöpfen. Sie kann aber bei Bedarf und auf Antrag auf 50 Sitzungen verlängert werden.
Abb. 2: Das Stufenmodell der Burnout-Prävention
Wer trotz mehrmaliger Versuche keinen Psychotherapeuten mit Kassenzulassung gefunden hat, kann mit der Dokumentation der Therapeutennamen und den dort erhaltenen Auskünften bei der eigenen Krankenkasse einen Antrag auf Psychotherapie nach dem Erstattungsverfahren stellen. Dies bedeutet: Wenn die Krankenkasse dem zustimmt und die Kosten für die Psychotherapie übernimmt, ist der Patient berechtigt, sich einen Psychotherapeuten zu wählen, der keinen Kassensitz hat, aber ebenfalls die Approbation als Psychologischer Psychotherapeut besitzt und so die gleiche therapeutische Qualifikation aufweist wie ein Kollege mit einer Kassenzulassung.
Perspektivisch stehen Forschung und Praxis bei dem Thema Burnout-Prävention gegenwärtig vor folgenden Aufgaben:
Theoretische Validierung des Burnout-Konstrukts
Entwicklung valider, reliabler, objektiver, relevanter, ökonomischer und nützlicher Burnout-Messinstrumente
Differenzialdiagnostische Abgrenzung des Burnout: Gegenüber ICD-F-Diagnosen sowie im Vergleich zu anderen Z-Diagnosen
Überprüfung des bisherigen Z-Diagnosen-Status des Burnout
Entwicklung Burnout-spezifischer Präventionsmaßnahmen
Verankerung der Burnout-Prävention im betrieblichen Gesundheitsmanagement
Summative und formative Evaluation von Burnout-Präventionsprogrammen
Öffentlichkeitsarbeit der Wissenschaft mit dem Ziel, den gesellschaftlichen Diskurs über das Burnout-Konzept zu versachlichen
Der nun folgende Hauptteil des Buches behandelt die Burnout-Prävention auf 7 Ebenen. Dabei sind Leserin und Leser eingeladen, den verschiedensten Stimmen ihres Inneren Teams Beachtung zu schenken und Raum zu geben: der Neugierde, der Skepsis, der Selbstfürsorge, der Lebenserfahrung, der Freude, der Hoffnung und der Lust am Handeln.