Butlers Djihad - Kevin J. Anderson - E-Book

Butlers Djihad E-Book

Kevin J. Anderson

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Beschreibung

Der Aufstand gegen die Maschinen hat begonnen

Butlers Djihad - ein Ereignis in der fernen Vergangenheit des "Wüstenplaneten": die Rebellion der Menschen gegen die Künstlichen Intelligenzen ermöglichte den Aufstieg der Bene Gesserit, der Mentaten und der Häuser des späteren Imperiums. Doch der Weg dorthin ist mit zahllosen Unabwägbarkeiten und tödlichen Gefahren verknüpft, denn die Maschinen haben die Herrschaft über alle Lebensbereiche an sich gerissen und schrecken auch nicht davor zurück, ganze Planeten zu versklaven. Nur eine junge Frau hat den Mut, sich ihnen entgegenzustellen. Ihr Name ist Serena Butler ...

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Seitenzahl: 1028

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BRIAN HERBERT &

KEVIN J. ANDERSON

 

 

 

BUTLERS

DJIHAD

Ein Roman aus dem Wüstenplanet-Zyklus

 

 

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Titel der Originalausgabe
DUNE: THE BUTLERIAN JIHAD
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen
Überarbeitete NeuausgabeCopyright © 2002 by Herbert Limited PartnershipCopyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlagbild: Frank M. LeweckeUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, MünchenSatz: Thomas Menne ISBN 978-3-641-21018-2V002
www.penguinrandomhouse.de

Das Buch

Mit dem Wüstenplanet-Zyklus hat Frank Herbert eine Zukunftssaga geschaffen, die den größten Teil unserer Galaxis und einen Zeitraum von Tausenden von Jahren umfasst und in ihrer epischen Wucht und ihrem außerordentlichen Detailreichtum nur mit J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe« zu vergleichen ist. Nach dem Tod des Autors 1986 schien diese Saga – zum Bedauern von Millionen von Leserinnen und Lesern rund um die Welt – zu einem Abschluss gekommen zu sein. Doch nun geht das Abenteuer weiter: Gestützt auf den umfangreichen Nachlass seines Vaters und gemeinsam mit dem bekannten Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson erzählt Frank Herberts Sohn Brian Herbert die »Legenden des Wüstenplaneten«, die Vorgeschichte dieses atemberaubenden Epos, und beleuchtet jene Charaktere, Motive und Konflikte, die zu den Ereignissen in »Der Wüstenplanet« führen.

 

So berichtet »Butlers Djihad« von einem sagenumwobenen Ereignis in ferner Vergangenheit, von dem in den »Wüstenplanet«-Romanen immer wieder die Rede ist: die Rebellion der Menschen gegen die Künstlichen Intelligenzen, die den Aufstieg des Bene-Gesserit-Ordens und der Häuser des Imperiums überhaupt erst ermöglichte. Doch der Weg dorthin ist mit zahllosen Unwägbarkeiten verknüpft – und tödlichen Gefahren: Denn die Maschinen haben längst die Herrschaft über sämtliche menschlichen Lebensbereiche an sich gezogen und schrecken auch nicht davor zurück, die Bevölkerung ganzer Planeten zu versklaven. Nur eine junge Frau hat den Mut, sich ihnen entgegenzustellen. Ihr Name ist Serena Butler …

 

 

»Diese neuen Romane sind nicht nur ein faszinierender Teil der großen Wüstenplanet-Erzählung, sondern auch ein erstklassiges Abenteuer, das für sich selbst steht. Frank Herbert wäre auf die Fortführung seiner Vision stolz gewesen.«

Dean Koontz

 

 

 

 

Die Autoren

Brian Herbert, der Sohn des 1986 verstorbenen Wüstenplanet-Schöpfers Frank Herbert, hat selbst SF-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstandenen »Mann zweier Welten«.

 

Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Zuletzt ist von ihm die gefeierte »Saga der Sieben Sonnen« erschienen.

 

Eine chronologische Liste des Wüstenplanet-Zyklus finden Sie am Ende dieses Buches.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

 

 

 

Für unsere Agenten

Robert Gottlieb und Matt Bialer

von der Trident Media Group,

 

die von Anfang an das Potenzial

dieses Projekts erkannten

und mit ihrem Einsatz dazu beitrugen,

es zu einem Erfolg zu machen.

Danksagung

 

Penny Merritt, für ihre Hilfe bei der Verwaltung des literarischen Erbes ihres Vaters Frank Herbert.

Unseren Lektoren Pat LoBrutto und Carolyn Caughey, die detaillierte und wertvolle Vorschläge zu den vielen Entwürfen machten und diese Geschichte bis zur endgültigen Version verfolgten. Tom Doherty, Linda Quinton, Jennifer Marcus und Paul Stevens von Tor Books, die dieses Projekt mit bemerkenswertem Enthusiasmus unterstützten.

Wie immer Catherine Sidor von WordFire Inc., die unermüdlich zahlreiche Mikrokassetten transkribierte und viele hundert Seiten tippte, um mit unserem manischen Arbeitstempo Schritt zu halten. Ihre Unterstützung in allen Stadien dieses Projekts hat uns geholfen, nicht den Verstand zu verlieren. Trotzdem erzählt sie allen Leuten, wir seien sehr organisiert.

Diane E. Jones und Diane Davis Herdt, die als Testleser und Versuchskaninchen dienten, uns ihre ehrliche Meinung sagten und zusätzliche Szenen vorschlugen, die diesem Buch zugute kamen. Rebecca Moesta brachte ihre Phantasie, Zeit und Unterstützung in alle Phasen dieses Buches ein, vom Anfang bis zum Ende.

Der Herbert Limited Partnership, bestehend aus Jan Herbert, Ron Merritt, David Merritt, Byron Merritt, Julie Herbert, Robert Merritt, Kimberly Herbert, Margaux Herbert und Theresa Shackelford, die uns begeistert unterstützten und uns die Fortsetzung der großartigen Vision Frank Herberts anvertrauten.

Beverly Herbert, für nahezu vierzig Jahre der treuen Unterstützung ihres Mannes.

Und am meisten danken wir Frank Herbert, dessen Genie ein solch wundersames Universum schuf, das wir immer tiefer erkunden können.

1

 

Prinzessin Irulan schreibt:

 

Jeder wahre Student muss erkennen, dass die Geschichte keinen Anfang hat. Ganz gleich, wo eine Geschichte beginnt, ihr gehen stets frühere Helden und frühere Tragödien voraus.

Um Muad'dib oder den gegenwärtigen Djihad zu verstehen, der auf den Sturz meines Vaters, des Imperators Shaddam IV., folgte, muss man verstehen, wogegen wir kämpfen. Dazu ist ein Blick in unsere Vergangenheit nötig, die über zehntausend Jahre zurückliegt, mehr als einhundert Jahrhunderte vor der Geburt des Paul Atreides.

Dort sehen wir die Gründung des Imperiums, wie sich ein Imperator aus der Asche der Schlacht von Corrin erhebt, um die verwundeten Reste der Menschheit zu vereinen. Wir werden eintauchen in uralte Aufzeichnungen, in den Kern der Mythen des Wüstenplaneten, in die Zeit der Großen Revolte, besser bekannt als Butlers Djihad.

Der schreckliche Krieg gegen die Denkmaschinen ist der Ursprung unseres politischen und wirtschaftlichen Systems. Hört, wie ich nun die Geschichte der freien Menschen erzähle, die sich gegen die Herrschaft der Roboter, Computer und Cymeks auflehnten. Erkennt den Anlass für den großen Verrat, der die Häuser Atreides und Harkonnen zu Todfeinden machte, für eine Fehde, die bis zum heutigen Tag anhält. Erfahrt von den Wurzeln der Bene-Gesserit-Schwesternschaft, der Raumgilde und ihrer Navigatoren, der Schwertmeister von Ginaz, der Suk-Ärzteschule, der Mentaten. Verfolgt das Leben der unterdrückten Zensunni-Wanderer, die zum Wüstenplaneten Arrakis flohen, wo sie zu unseren größten Soldaten, den Fremen, wurden.

All diese Ereignisse führten schließlich zur Geburt und zum Leben von Muad'dib.

 

Lange vor Muad'dib, in den letzten Tagen des Alten Imperiums, hatte die Menschheit ihre Antriebskraft verloren. Die Zivilisation von Terra hatte sich über die Sterne ausgebreitet und war dann zum Stillstand gekommen. Ohne Ehrgeiz ließen die meisten Menschen zu, dass effiziente Maschinen ihnen die alltäglichen Arbeiten abnahmen. Allmählich hörten die Menschen auf zu denken oder zu träumen … oder wirklich zu leben.

Dann kam ein Mann aus dem fernen Thalim-System, ein Visionär, der sich Tlaloc nannte, nach einem uralten Regengott. Er sprach zu den gelangweilten Massen, versuchte ihre menschliche Antriebskraft wiederzuerwecken, aber seine Reden schienen kaum Wirkung zu zeigen. Nur ein paar Unangepasste hatten Tlalocs Botschaft vernommen.

Diese neuen Denker trafen sich im Geheimen und diskutierten, wie sie das Imperium verändern konnten, wenn es ihnen nur gelänge, die unfähigen Herrscher zu stürzen. Sie legten ihre Geburtsnamen ab und benannten sich nach großen Göttern und Helden. Die Herausragendsten unter ihnen waren General Agamemnon und seine Geliebte Juno, ein taktisches Genie. Gemeinsam rekrutierten sie den geschickten Programmierer Barbarossa, der den Plan entwickelte, die allgegenwärtigen mechanischen Diener des Imperiums in furchtlose Kämpfer zu verwandeln, indem er ihrer KI gewisse menschliche Züge verlieh, darunter auch den Eroberungsdrang. Dann schlossen sich weitere Menschen den ehrgeizigen Rebellen an. Insgesamt waren es zwanzig Köpfe, die den Kern einer revolutionären Bewegung bildeten, die das Alte Imperium stürzte.

Die Sieger nannten sich Titanen, nach dem ältesten griechischen Göttergeschlecht. Angeführt vom Visionär Tlaloc teilten die zwanzig Titanen die Verwaltung der Planeten und Völker unter sich auf und sicherten ihre Herrschaft mit Hilfe von Barbarossas kämpferischen Denkmaschinen. Sie eroberten den größten Teil der bekannten Galaxis.

Einige Widerstandsgruppen sammelten ihre Kräfte in den Randzonen des Alten Imperiums. Sie gründeten eine eigene Konföderation – die Liga der Edlen – und bekämpften die Zwanzig Titanen. Und nach vielen blutigen Schlachten erlangten sie die Freiheit. Sie hielten den Vormarsch der Titanen auf und schlugen sie zurück.

Tlaloc schwor, diese Außenseiter eines Tages zu unterwerfen, doch nach einem knappen Jahrzehnt der Herrschaft kam der visionäre Anführer bei einem tragischen Unfall ums Leben. General Agamemnon nahm Tlalocs Stelle ein, doch der Tod seines Freundes und Mentors war ihm eine dunkle Mahnung an die Sterblichkeit der Titanen.

Da Agamemnon und seine Geliebte Juno über mehrere Jahrhunderte regieren wollten, ließen sie sich auf ein gefährliches Unterfangen ein. Ihre Gehirne wurden chirurgisch entfernt und in Konservierungsbehälter transplantiert, die in die unterschiedlichsten mechanischen Körper eingesetzt werden konnten. Nach und nach wurden sich auch die übrigen Titanen ihres Alters und ihrer Verletzlichkeit bewusst, bis sich schließlich alle in »Cymeks« umwandeln ließen, in Maschinen mit menschlichen Gehirnen.

Die Ära der Titanen währte ein Jahrhundert. Die Usurpatoren beherrschten ihre Planeten und setzten immer komplexere Computer und Roboter ein, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Doch eines schicksalhaften Tages beging der hedonistisch veranlagte Titan Xerxes einen schweren Fehler. Weil er sich mehr Zeit für seine Vergnügungen wünschte, übertrug er seinem alles durchdringenden KI-Netzwerk zu viele Befugnisse.

Der intelligente Computer riss die Herrschaft über einen ganzen Planeten an sich, auf den bald weitere folgten. Der Zusammenbruch breitete sich wie eine Virusinfektion von einer Welt über die nächste aus, und der »Allgeist« des Computers gewann immer mehr Macht und Umfang. Das anpassungsfähige Netzwerk, das sich »Omnius« nannte, eroberte sämtliche Welten der Titanen, bevor die Cymeks die Gelegenheit erhielten, sich gegenseitig vor der Gefahr zu warnen.

Dann machte sich Omnius daran, seine eigene strenge Ordnungsstruktur durchzusetzen, während er die Cymeks seinem Willen unterwarf. Agamemnon und seine Gefährten, die einst die Herren eines Imperiums gewesen waren, wurden zu widerwilligen Sklaven des Allgeistes.

Bis zu Butlers Djihad vergingen eintausend Jahre, in denen Omnius und seine Denkmaschinen die Gesamtheit der »Synchronisierten Welten« im eisernen Griff hielten.

Dennoch gab es in den Randzonen weiterhin Gruppen freier Menschen, die in kleinen Gemeinschaften Schutz suchten und den Denkmaschinen ein Dorn im Auge waren. Die Liga der Edlen konnte sich wirksam gegen jeden Angriff verteidigen.

Doch die Maschinen entwickelten ständig neue Pläne.

2

 

Als die Menschen einen Computer mit der Fähigkeit schufen, Informationen zu sammeln und daraus zu lernen, unterschrieben sie das Todesurteil ihres Geschlechts.

Schwester Becca die Finite

 

 

Salusa Secundus hing wie ein Edelstein in der Wüste des Alls, eine Oase der Bodenschätze und des fruchtbaren Landes, ein friedlicher und angenehmer Anblick für die optischen Sensoren. Doch leider war dieser Planet mit ungezähmten Menschen infiziert.

Die Roboterflotte näherte sich der Hauptwelt der Liga der Edlen. Die gepanzerten Schlachtschiffe waren waffenstarrende Festungen. Der Glanz ihrer Metallhüllen und der Schmuck aus Antennen und Sensoren war von einer unheimlichen Schönheit. Aus den Hecktriebwerken brach pures Feuer, das den Schiffen eine Beschleunigung verlieh, bei der rein biologische Passagiere zerquetscht worden wären. Denkmaschinen benötigten keine Lebenserhaltung und keinen Komfort. Sie waren ganz darauf konzentriert, den Rest eines uralten menschlichen Widerstandszentrums in den wilden Randzonen der Synchronisierten Welten zu zerstören.

In einem der pyramidenförmigen Raumschiffe leitete der Cymek-General Agamemnon den Angriff. Logisch denkende Maschinen interessierten sich nicht für Ruhm oder Rache. Ganz im Gegensatz zu Agamemnon. Sein menschliches Gehirn im Konservierungsbehälter verfolgte aufmerksam den Ablauf der Aktion.

Vor ihm drang die Hauptflotte der Roboterschiffe in das von Menschen infizierte System ein und überraschte die Besatzungen der Wachschiffe wie eine Lawine aus dem Weltraum. Verteidigungseinheiten der Menschen eröffneten das Feuer, und weitere Kräfte wurden zusammengezogen, um die vorrückende Maschinenmacht aufzuhalten. Fünf Wachschiffe der Liga feuerten schwere Salven ab, aber die meisten ihrer Projektile waren viel zu langsam, um die schnelle Angriffsflotte treffen zu können. Eine Hand voll Roboterschiffe wurde beschädigt oder zerstört, doch es waren lediglich Glückstreffer. Genauso viele Menschenschiffe explodierten zu grellen Trümmerwolken – nicht, weil sie eine besondere Bedrohung darstellten, sondern weil sie im Weg waren.

Nur einigen etwas weiter entfernten Kundschaftern gelang es, eine Warnung an Salusa Secundus zu schicken. Die Roboterschiffe atomisierten die verstreuten Streitkräfte des inneren Verteidigungsringes, ohne dass der Vormarsch gegen ihr eigentliches Ziel ins Stocken geriet. Die Kriegsschiffe der Denkmaschinen ächzten unter der extremen Beschleunigung und würden die Hauptwelt unmittelbar nach dem Eintreffen des Warnsignals erreicht haben.

Den Menschen blieb keine Zeit, sich auf den Angriff vorzubereiten.

Diese Flotte war zehnmal größer und mächtiger als alles, was Omnius je gegen die Liga der Edlen ins Feld geführt hatte. Die Menschen hatten sich sicher gefühlt, da sie in den vergangenen hundert Jahren des kalten Krieges keinen bedeutenden Roboterangriff erlebt hatten. Doch Maschinen konnten sehr lange warten, und nun erhielten Agamemnon und seine überlebenden Titanen endlich ihre Chance.

Ein Schwarm aus winzigen mechanischen Spionsonden hatte offenbart, dass die Liga vor kurzem ein unüberwindliches Abwehrsystem gegen Denkmaschinen, die mit Gelschaltkreisen arbeiteten, installiert hatte. Die schwere Roboterflotte würde in sicherer Distanz warten, während Agamemnon und seine kleine Vorhut aus Cymeks auf eine Mission gingen – möglicherweise eine Selbstmordmission –, mit der die Tür geöffnet werden sollte.

Agamemnon genoss die Vorfreude. Die glücklosen Biologischen mussten bereits vom Alarm aufgeschreckt worden sein, sie würden Verteidigungsmaßnahmen treffen … und sich ängstlich niederkauern. Durch das Elektrafluid, das sein körperloses Gehirn durchströmte und am Leben erhielt, übermittelte er einen Befehl an seine Cymek-Stoßtruppen. »Lasst uns das Herz des menschlichen Widerstands zerstören. Los!«

Tausend höllische Jahre lang hatten Agamemnon und seine Titanen dem Allgeist von Omnius dienen müssen. Nun lenkten die besiegten Cymeks ihre Frustration über die lange Knechtschaft gegen die Liga der Edlen. Der General hoffte, sich eines Tages auch gegen Omnius auflehnen zu können, aber bisher hatte es noch keine Gelegenheit dazu gegeben.

Die Liga hatte neue Störschilde um Salusa Secundus errichtet. Diese Felder löschten die Gelschaltkreise sämtlicher KI-Computer aus, doch organische Gehirne konnten den Durchgang überleben. Obwohl Cymeks mit Maschinensystemen und austauschbaren Roboterkörpern ausgestattet waren, besaßen sie nach wie vor menschliche Gehirne.

Also konnten sie die Verteidigungsschilde ungehindert durchdringen.

Wie ein Ziel im Fadenkreuz füllte Salusa Secundus das Blickfeld Agamemnons aus. Aufmerksam für jedes Detail hatte der General die taktischen Simulationen studiert und das militärische Können angewandt, das er sich im Verlauf der Jahrhunderte angeeignet hatte. Außerdem besaß er einen intuitiven Sinn für die Kunst der Eroberung. Diese Fähigkeiten hatten es einst nur zwanzig Rebellen ermöglicht, ein Imperium zu besiegen – bis sie alles an Omnius verloren hatten.

Vor dem Start dieses bedeutenden Angriffs hatte der Computer-Allgeist zahllose Szenarien durchgespielt, um Lösungen für jede Eventualität zu finden. Agamemnon jedoch wusste, dass es sinnlos war, zu präzise zu planen, wenn man es mit widerspenstigen Menschen zu tun hatte.

Während sich nun die gewaltige Roboterflotte mit dem erwarteten Widerstand der Liga-Streitkräfte auseinander setzte, griff Agamemnons Geist über die Begrenzungen seines Gehirntanks hinaus, bis sich sein Führungsschiff wie eine Erweiterung seines vor langer Zeit verlorenen Körpers anfühlte. Die integrierten Waffen wurden ein Teil von ihm. Er sah mit tausend Sensorenaugen, und die leistungsfähigen Triebwerke gaben ihm das Gefühl, wieder kräftige Beine zu besitzen, mit denen er sich zu jedem Ort bewegen konnte.

»Bereitet euch auf den Bodenangriff vor. Wenn unsere Landekapseln die salusanische Verteidigung durchdrungen haben, müssen wir schnell und hart zuschlagen.« Er erinnerte sich daran, dass die Wächteraugen jeden Moment des Kampfes aufzeichneten, sodass der Allgeist sämtliche Vorgänge prüfen konnte, nachdem sie zurückgekehrt waren. Also fügte er hinzu: »Wir werden diesen dreckigen Planeten zum Ruhme Omnius' sterilisieren.« Agamemnon verlangsamte die Annäherung, und die anderen taten es ihm gleich. »Xerxes, du übernimmst die Führung. Wirf deine Neo-Cymeks in die Schlacht. Sie sollen die Verteidigungskräfte beschäftigen und auslöschen.«

Der stets zögerliche Xerxes beklagte sich: »Werde ich deine volle Rückendeckung bekommen? Dies ist der gefährlichste Teil der Mission …«

Agamemnon brachte ihn zum Schweigen. »Sei dankbar für die Gelegenheit, dich profilieren zu können. Jetzt geh! Durch jede Sekunde, die du zögerst, gewinnen die Hrethgir kostbare Zeit.« Das war die abfällige Bezeichnung der intelligenten Maschinen und ihrer Cymek-Lakaien für menschliches Ungeziefer.

Eine andere Stimme war in der rauschenden Komverbindung zu hören, die des Roboter-Operators der Maschinenflotte, die im Orbit von Salusa gegen die menschliche Verteidigung kämpfte. »Wir warten auf Ihr Signal, General Agamemnon. Der menschliche Widerstand wird stärker.«

»Wir sind unterwegs«, sagte Agamemnon. »Xerxes, führe meinen Befehl aus!«

Xerxes, dessen Zaudern sich nie bis zur offenen Verweigerung steigerte, verzichtete auf weitere Kommentare und nahm Verbindung mit drei Neo-Cymeks auf, Maschinen einer neueren Generation mit menschlichem Geist. Die vier Pyramidenschiffe schalteten ihre Nebensysteme ab, und ihre gepanzerten Landekapseln stürzten in die Atmosphäre. In dieser gefährlichen Phase wären sie leichte Ziele, und vielleicht erhielten einige von ihnen Treffer durch Raketen der Luftverteidigung. Doch die stabile Panzerung der Landekapseln würde sie vor der vollen Wucht einer Bombardierung schützen, sodass sie selbst dann intakt blieben, wenn es zu einer unkontrollierten Bruchlandung am Rand der Hauptstadt Zimia kam, wo sich die Türme mit den planetaren Schildgeneratoren befanden.

Bislang hatte die Liga der Edlen die aufsässige Menschheit vor der organisierten Effizienz von Omnius bewahrt, doch die ungezähmten Biologischen hatten eine ineffiziente Regierung und stritten sich häufig über wichtige Entscheidungen. Wenn Salusa Secundus gefallen war, würde Panik ausbrechen und die instabile Allianz des Widerstands zerfallen.

Doch zuerst mussten Agamemnons Cymeks die Störschilde ausschalten. Dann wäre Salusa ohne Schutz und konnte nur noch zitternd darauf warten, dass die Roboterflotte der Welt den tödlichen Schlag versetzte, wie ein riesiger mechanischer Stiefel, der ein Insekt zertrat.

Der Cymek-Anführer brachte seine Landekapsel in Position und machte sich bereit, gemeinsam mit dem Rest der Vernichtungsflotte die zweite Angriffswelle anzuführen. Agamemnon schaltete alle Computersysteme ab und folgte Xerxes nach unten. Sein Gehirn schwebte ohne Verbindung zur Außenwelt im Konservierungsbehälter. Taub und blind spürte der General nichts von der Hitze und den heftigen Vibrationen, als sein gepanzertes Landeschiff auf das ahnungslose Ziel zuraste.

3

 

Die intelligente Maschine ist ein böser Geist aus der Flasche.

Barbarossa, Anatomie einer Rebellion

 

 

Als das Sensorennetzwerk von Salusa die Ankunft der Roboter-Kriegsflotte meldete, schritt Xavier Harkonnen unverzüglich zur Tat. Wieder einmal wollten die Denkmaschinen die Verteidigungskraft der freien Menschheit testen.

Xavier hatte den Rang eines Tercero in der Salusanischen Miliz inne, einer lokalen und autonomen Division der Liga-Armada. Doch die letzten ernsthaften Überfälle auf Welten der Liga hatten lange vor seiner Geburt stattgefunden. Die jüngste größere Schlacht lag fast einhundert Jahre zurück. Nach dieser langen Zeit setzten die aggressiven Maschinen bestimmt darauf, dass die Menschen ihre Verteidigung vernachlässigt hatten, aber Xavier schwor sich, dass sie eine böse Überraschung erleben würden.

»Primero Meach, wir haben eine dringende Warnung und eine Videoübertragung von einem Kundschafter in den Außenzonen empfangen«, sagte er zu seinem Vorgesetzten. »Dann wurde die Sendung unterbrochen.«

»Sehen Sie sich das an!«, kreischte Quinto Wilby, der die Bilder des äußeren Sensorennetzwerks musterte. Der Offizier niederen Rangs stand mit anderen Soldaten an den Instrumentenkonsolen im Innern des kuppelförmigen Gebäudes. »So etwas hat Omnius noch nie zuvor in Marsch gesetzt.«

Vannibal Meach, der Primero der Salusanischen Miliz, der sich durch geringe Körpergröße, aber eine laute Stimme auszeichnete, stand im Kontrollzentrum der planetaren Verteidigung und nahm gelassen die neuen Informationen auf. »Die letzte Meldung von den Außenbereichen ist aufgrund der Signalverzögerung einige Stunden alt. Inzwischen haben sie unsere Vorposten angegriffen, und sie werden noch näher heranrücken. Natürlich werden sie niemals durchbrechen.« Obwohl die erste Warnung vor der drohenden Invasion vor wenigen Augenblicken hereingekommen war, hatte er reagiert, als hätte er jeden Tag mit der Ankunft der Maschinen gerechnet.

In der Beleuchtung des Kontrollzentrums schimmerten zimtrote Reflexe auf Xaviers dunkelbraunem Haar. Er war ein ernster junger Mann, der sich stets um Aufrichtigkeit bemühte und dazu neigte, die Dinge in Schwarz und Weiß einzuteilen. Als Mitglied der dritten militärischen Befehlsebene war Tercero Harkonnen Meachs Stellvertreter als Außenverteidigungskommandant. Xavier hatte die Bewunderung seiner Vorgesetzten gewonnen und war sehr schnell befördert worden. Genauso wurde er von seinen Soldaten respektiert. Sie vertrauten ihm und würden für ihn bereitwillig in den Kampf ziehen.

Trotz der überwältigenden Größe und Feuerkraft der Roboterflotte zwang er sich, ruhig zu bleiben. Dann rief er die Meldungen der nächsten Vorposten ab und ordnete die höchste Alarmstufe für die Raumverteidigung im niederen Orbit an. Die Kommandanten der Kriegsschiffe waren sofort auf volle Gefechtsbereitschaft gegangen, als sie die verzweifelten Meldungen der inzwischen zerstörten Kundschaftereinheiten empfangen hatten.

Rund um Xavier war das betriebsame Summen der automatischen Systeme des Kontrollzentrums zu hören. Er lauschte auf das Oszillieren der Sirenen, das Stimmengewirr aus Befehlen und Berichten, während er langsam einatmete und seine Prioritäten setzte. »Wir können sie aufhalten«, sagte er. »Wir werden sie aufhalten.« Seine Stimme hatten einen festen autoritären Klang, als wäre er bereits viel älter und erfahrener und würde jeden Tag gegen Omnius kämpfen. In Wirklichkeit war es jedoch seine allererste Konfrontation mit den Denkmaschinen.

Vor Jahren waren seine Eltern und sein älterer Bruder bei einem Cymek-Angriff getötet worden, als sie zur Inspektion eines Familienanwesens auf Hagal unterwegs waren. Die seelenlosen Maschinen waren eine ständige Bedrohung für die Liga-Welten, aber zwischen Omnius und den Menschen hatte jahrzehntelang ein brüchiger Friede geherrscht.

Ein großer Wandschirm zeigte eine Darstellung des Systems Gamma Waiping mit den Bahnpositionen von Salusa Secundus und sechs weiteren Planeten sowie die Verteilung von sechzehn Patrouillenkontingenten und den Wachschiffen, die über das System verstreut waren. Cuarto Steff Young war hektisch damit beschäftigt, die taktische Projektion auf dem neuesten Stand zu halten, und bemühte sich, die Position der anrückenden Roboterstreitmacht zu extrapolieren.

»Nehmen Sie Verbindung mit Segundo Lauderdale auf, und lassen Sie alle Kriegsschiffe sammeln. Sie sollen jeden Feind, dem sie begegnen, aufbringen und zerstören«, sagte Primero Meach und seufzte. »Bei maximaler Beschleunigung benötigen wir einen halben Tag, um die schweren Kampfeinheiten von den Außenbereichen abzuziehen, aber die Maschinen könnten trotzdem versuchen, sich an ihnen vorbeizuschieben. Es dürfte ein großer Tag für unsere Jungs werden.« Cuarto Young führte den Befehl unverzüglich aus und schickte eine Nachricht ab, die erst nach Stunden den Rand des Planetensystems erreicht haben würde.

Meach nickte gedankenverloren und ging noch einmal den immer wieder geübten Ablauf durch. Da sie ständig mit der Drohung eines Maschinenangriffs lebten, hatte die Salusanische Miliz regelmäßig für jede Eventualität trainiert, genauso wie die Armada-Flotten jedes größeren Systems der Liga. »Aktivieren Sie die Holtzman-Störschilde um den Planeten und geben sie Warnungen an den kommerziellen Luft- und Raumverkehr aus. Die Schildgeneratoren der Stadt sollten in zehn Minuten mit Höchstleistung arbeiten.«

»Das dürfte genügen, um die Gelschaltkreise jeder Denkmaschine zu braten«, sagte Xavier mit erzwungener Zuversicht. »Wir alle haben die Tests miterlebt.« Das hier ist allerdings kein Test.

Wenn der Feind auf die Verteidigungsschilde der Salusaner stieß, hoffte er, dass die Maschinen ihre Verluste als zu hoch betrachteten und sich zurückzogen. Denkmaschinen gingen nur ungern größere Risiken ein.

Er starrte auf einen Bildschirm. Aber es sind so viele!

Dann richtete er sich von seiner Konsole auf und hatte schlechte Neuigkeiten zu vermelden. »Primero Meach, wenn unsere Geschwindigkeitsdaten für die Maschinenflotte korrekt sind, bewegt sie sich selbst bei einem Verzögerungsmanöver fast genauso schnell wie die Warnsignale, die wir von den Kundschaftern empfangen haben.«

»Dann müssten Sie bereits hier sein!«, rief Quinto Wilby.

Meach reagierte sofort und ordnete den höchsten Notalarm an. »Befehl zur Evakuierung! Öffnen Sie die unterirdischen Bunker.«

»Evakuierung wurde eingeleitet«, meldete Cuarto Young kurz darauf, während ihre Finger unablässig die Kontrollen der taktischen Projektion bedienten. Die ehrgeizige junge Frau berührte einen Kommunikationsdraht an ihrer Schläfe. »Wir schicken Viceroy Butler sämtliche Daten, die wir besitzen.«

Serena befindet sich mit ihm im Parlament, wurde Xavier klar, als er an die neunzehn Jahre alte Tochter des Viceroys dachte. Sein Herz zog sich vor Sorge um ihre Sicherheit zusammen, doch er wagte es nicht, seinen Kollegen zu offenbaren, was ihn beunruhigte. Alles zu seiner Zeit.

Im Geist sah er die vielen Fäden, die er miteinander verweben musste, seinen Anteil am Ganzen, während Primero Meach die Gesamtheit der Verteidigung organisierte. »Cuarto Chiry, stellen Sie ein Kommando ab, das Viceroy Butler, seine Tochter und die Repräsentanten der Liga in die unterirdischen Schutzräume eskortiert.«

»Sie dürften bereits auf dem Weg dorthin sein«, erwiderte der Offizier.

Xavier antwortete mit einem gezwungenen Lächeln. »Glauben Sie wirklich, dass Politiker in der Lage sind, schnelle und vernünftige Entscheidungen zu treffen?« Der Cuarto eilte davon, um den Befehl auszuführen.

4

 

Die Geschichte wird in der Regel von den Siegern geschrieben, aber die Aufzeichnungen der Verlierer – sofern sie überlebt haben – sind häufig wesentlich interessanter.

Iblis Ginjo,

Die Topographie der Menschheit

 

 

Salusa Secundus war eine grüne Welt mit gemäßigtem Klima, die Heimat mehrerer hundert Millionen freier Menschen in der Liga der Edlen. Durch die offenen Aquädukte strömte Wasser im Überfluss. Rund um das kulturelle und politische Zentrum von Zimia waren die Hügel mit Weingärten und Olivenhainen bedeckt.

Wenige Augenblicke vor dem Angriff der Maschinen trat Serena Butler an das Rednerpult im großen Parlamentssaal. Aufgrund ihres aufopferungsvollen Dienstes für die Öffentlichkeit und infolge besonderer Vorkehrungen, die ihr Vater getroffen hatte, war es ihr ermöglicht worden, vor den Repräsentanten zu sprechen.

Viceroy Manion Butler hatte ihr den Rat erteilt, unaufdringlich zu bleiben und ihr Anliegen so einfach wie möglich darzustellen. »Einen Schritt nach dem anderen, meine Liebe. Das Einzige, was unsere Liga zusammenhält, ist die Bedrohung durch einen gemeinsamen Feind. Alle anderen Werte und Überzeugungen sind zu unterschiedlich. Übe keine Kritik am Lebensstil der Adligen.«

Dies war die dritte Ansprache in ihrer kurzen politischen Karriere. Zu Anfang war sie viel zu ungestüm gewesen, da sie noch nichts vom Ballett der Politik verstanden hatte, und man hatte mit gelangweiltem Gähnen oder Belustigung auf ihre naiven Ideen reagiert. Sie wollte ein Verbot der Sklaverei erreichen, die sich auf vereinzelten Welten der Liga ausgebreitet hatte. Sie wollte, dass alle Menschen gleich behandelt wurden, damit niemand hungern oder leiden musste.

»Vielleicht ist die Wahrheit zu schmerzhaft. Ich habe versucht, ihre Schuldgefühle zu wecken.«

»Du hast nur erreicht, dass sie sich gegenüber deinen Worten taub stellen.«

Serena hatte seine Ratschläge berücksichtigt und ihre Rede überarbeitet, ohne von ihren Prinzipien abzuweichen. Einen Schritt nach dem anderen. Und sie selbst würde mit jedem einzelnen Schritt dazulernen. Auf den Rat ihres Vaters hatte sie außerdem unter vier Augen mit einigen Repräsentanten gesprochen, die ihren Standpunkt unterstützten, um bereits im Vorfeld Verbündete zu gewinnen.

Sie hob das Kinn und gab ihrem Gesicht einen selbstbewussten Ausdruck, als sie in das Akustikfeld trat, das das Pult wie eine Kuppel umgab. Sie füllte ihr Herz mit all den guten Dingen, die sie erreichen wollte. Sie spürte ein warmes Licht, als der Projektionsmechanismus ihr überdimensionales Abbild nach draußen übermittelte.

Ein kleiner Bildschirm auf dem Pult ermöglichte ihr, sich genauso zu sehen wie das Publikum. Ein zartes Gesicht von klassischer Schönheit, hypnotische lavendelblaue Augen und gelbbraunes Haar, das mit natürlichen goldenen Strähnen durchsetzt war. Am rechten Aufschlag trug sie eine weiße Rose aus ihrem eigenen sorgsam gepflegten Garten. Der Projektor ließ Serena noch schöner aussehen, nachdem die Adligen den Mechanismus so justiert hatten, dass sie am besten zur Geltung kamen.

Von der vergoldeten Loge in der ersten Publikumsreihe lächelte ihr das runde Gesicht Viceroy Butlers entgegen. Er trug seine besten Gewänder in Gold und Schwarz und war sichtlich stolz auf seine Tochter. Das Siegel der Liga der Edlen schmückte sein Revers – der goldene Umriss einer offenen menschlichen Hand, die die Freiheit symbolisierte.

Er hatte Verständnis für Serenas Optimismus, da er sich noch gut erinnerte, einst ähnliche Ambitionen verfolgt zu haben. Er hatte ihre Kreuzzüge stets geduldet und sie unterstützt, wenn sie Hilfe für die Opfer von Angriffen der Maschinen organisierte. Er hatte sie zu fernen Planeten reisen lassen, damit sie sich um Verletzte kümmern oder beim Wiederaufbau zerstörter Gebäude mitwirken konnte. Serena hatte nie davor zurückgeschreckt, sich die Hände schmutzig zu machen.

»Der enge Geist errichtet feste Barrieren«, hatte ihre Mutter einmal zu ihr gesagt. »Doch die wirksamsten Waffen gegen diese Barrieren sind Worte.«

Die Würdenträger im großen Saal unterhielten sich leise. Mehrere nippten von Getränken oder verspeisten einen Imbiss, den man zu ihren Sitzen gebracht hatte. Alltag im Parlament. In der Bequemlichkeit ihrer Villen und Anwesen würden sie mit Bedenken auf jede Veränderung reagieren. Aber Serena konnte keine Rücksicht auf solche Empfindlichkeiten nehmen. Sie musste sagen, was gesagt werden musste.

Sie aktivierte das akustische Projektionssystem. »Viele von Ihnen glauben, ich hätte verrückte Ideen, weil ich jung bin, aber vielleicht besitzen jüngere Menschen eine bessere Sehkraft, während die Alten allmählich erblinden. Bin ich verrückt und naiv – oder haben sich manche von Ihnen in verhätschelter Selbstzufriedenheit von der Menschheit entfernt? Wo stehen Sie im Spektrum von Richtig bis Falsch?«

Sie bemerkte, dass die Versammlung mit Unruhe oder gar Ablehnung reagierte. Viceroy Butler warf ihr einen strengen Blick der Missbilligung zu, doch gleichzeitig rief er den Saal zur Ruhe. Er bat um respektvolle Aufmerksamkeit, wie sie jedem Sprecher zustand.

Serena tat, als würde sie nichts von allem bemerken. Konnten Sie denn nicht die größeren Zusammenhänge erkennen? »Wir müssen über unseren individuellen Horizont hinausschauen, wenn wir als Spezies überleben wollen. Jetzt ist der falsche Augenblick für persönliche Interessen. Seit Jahrhunderten haben wir unsere Verteidigung auf eine Hand voll wichtiger Planeten konzentriert. Obwohl Omnius seit Jahrzehnten keinen größeren Angriff mehr lanciert hat, leben wir unter dem ständigen Schatten der Maschinengefahr.«

Serena drückte eine Taste auf dem Podium und rief eine Projektion der näheren stellaren Umgebung auf. Die Darstellung schwebte wie ein Schwarm Edelsteine unter der hohen Decke. Mit einem Lichtstab zeigte sie auf die freien Welten der Liga und Synchronisierten Welten, die von den Denkmaschinen beherrscht wurden. Dann richtete sie den Zeiger auf größere Bereiche der Galaxis, die weder die Menschen noch die Maschinen unter ihren Einfluss gebracht hatten.

»Schauen Sie sich diese bedauernswerten Unverbündeten Planeten an, verstreute Welten wie Harmonthep, Tlulax, Arrakis, IV Anbus oder Caladan. Weil diese kleinen menschlichen Kolonien keine Mitglieder unserer Liga sind, haben diese isolierten Welten kein Recht auf unseren militärischen Beistand, sollten sie jemals bedroht werden – sei es durch Maschinen oder Menschen.« Serena machte eine kurze Pause, damit das Publikum ihre Worte verarbeiten konnte. »Es ist eine Schande, dass viele unserer Mitglieder diese Planeten ausbeuten und überfallen, um Sklaven zu rauben, die auf Welten der Liga verschleppt werden.«

Sie fing den Blick des Vertreters von Poritrin auf. Er runzelte die Stirn, weil er wusste, dass sie über ihn sprach, und fiel ihr ins Wort. »Die Sklaverei ist in der Liga eine akzeptierte Praxis. Da wir keine komplexen Maschinen besitzen, bleibt uns keine andere Wahl, wenn wir unsere Arbeitskapazitäten erweitern wollen.« Er lächelte selbstgefällig. »Außerdem hält Salusa Secundus seit beinahe zwei Jahrhunderten das Volk der Zensunni als Sklaven.«

»Wir werden dieser Praxis ein Ende setzen«, erwiderte Serena mit Nachdruck. »Für diese Veränderung ist viel Phantasie und Bereitschaft nötig, aber …«

Da ein Tumult drohte, erhob sich der Viceroy. »Jeder Planet der Liga regelt autonom seine Gesetze, einheimischen Traditionen und den Umgang mit Technologie. In den Denkmaschinen haben wir bereits einen erbitterten Feind, sodass wir keinen Bürgerkrieg zwischen unseren Welten beginnen müssen.« Seine Stimme klang autoritär, aber es schwang nur ein sehr leiser Tadel mit, der ihr sagte, dass sie wieder auf den Punkt kommen sollte.

Serena seufzte, ohne sich geschlagen zu geben, und veränderte die Projektion, sodass nun die Unverbündeten Planeten aufleuchteten. »Trotzdem dürfen wir diese an Ressourcen reichen Welten nicht vernachlässigen. Es sind reife Früchte, die nur darauf warten, von Omnius gepflückt zu werden.«

Der Protokolldiener, der an der Seite auf einem hohen Stuhl saß, stieß mit seinem Stab auf den Boden. »Zeit!« Er verfolgte nur selten den Inhalt einer Rede und war schnell gelangweilt.

Serena beeilte sich, mit ihrer Ansprache zum Ende zu kommen, ohne schrill zu werden. »Wir wissen, dass die Denkmaschinen die Galaxis beherrschen wollen, auch wenn sie sich seit nahezu einhundert Jahren im Großen und Ganzen ruhig verhalten haben. Sie haben systematisch jede Welt in den Synchronisierten Systemen übernommen. Lassen Sie sich nicht durch ihren scheinbaren Mangel an Interesse gegenüber unserer Liga täuschen. Wir wissen, dass sie wieder zuschlagen werden. Aber wie? Und wo? Sollten wir nicht lieber in Aktion treten, bevor Omnius es tut?«

»Was wollen Sie konkret unternehmen, Madame Butler?«, erkundigte sich einer der Würdenträger ungeduldig. Er hatte die Stimme, aber nicht sich selbst erhoben, wie es eigentlich Usus war. »Schlagen Sie so etwas wie einen Präventivschlag gegen die Denkmaschinen vor?«

»Wir müssen uns bemühen, die Unverbündeten Planeten in die Liga aufzunehmen, statt sie von Sklaventreibern plündern zu lassen«, erklärte sie hitzig und stieß den Leuchtstab in die Projektion über ihren Köpfen. »Wir wollen sie unter unsere Fittiche nehmen, um sie zu schützen und selbst an Stärke zu gewinnen. Alle würden davon profitieren! Ich schlage vor, dass wir Botschafter und Kulturattachés aussenden, die so schnell wie möglich neue militärische und politische Bündnisse schmieden sollen. So viele wie möglich.«

»Und wer soll dieses Diplomatenkorps bezahlen?«

»Zeit!«, mahnte der Protokolldiener erneut.

»Ihr stehen drei weitere Minuten für eine Erwiderung zu, da der Repräsentant von Hagal eine Frage gestellt hat«, sagte Viceroy Butler in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.

Serena wurde wütend. Wie konnte sich dieser Vertreter mit kleinlichen Finanzierungsfragen aufhalten, wenn die drohenden Kosten um ein Vielfaches höher waren? »Wenn wir nichts unternehmen, werden wir alle bezahlen – in Blut. Wir müssen die Liga und die menschliche Spezies stärken.«

Einige der Aristokraten klatschten – die wenigen Verbündeten, mit denen sie bereits im Vorfeld gesprochen hatte. Plötzlich hallten schrille Alarmsirenen durch das Gebäude und die Straßen. Das Heulen war ein auf unheimliche Weise vertrautes Geräusch – das normalerweise nur zu Übungen ertönte. Sämtliche Reservisten der Salusanischen Miliz sollten sich auf ihre Posten begeben.

»Die Denkmaschinen sind ins Salusa-System eingedrungen«, verkündete eine Stimme über die Lautsprecher des Saals. Ähnliche Bekanntmachungen würden jetzt überall in Zimia zu hören sein. »Die Kundschafter in den Außenzonen des Systems und die Wachflotten haben Alarm gegeben.«

Serena, die neben ihrem Vater stand, las mit, als man dem Viceroy einen Bericht mit näheren Einzelheiten in die Hand drückte. »Wir hatten es noch nie mit einer so großen Roboterflotte zu tun«, sagte er. »Wie lange ist es her, dass die ersten Kundschafter die Warnung ausgegeben haben? Wie viel Zeit haben wir noch?«

»Wir werden angegriffen!«, rief jemand. Die Delegierten sprangen auf und irrten wie aufgescheuchte Ameisen umher.

»Machen Sie sich bereit, das Parlamentsgebäude zu evakuieren.« Der Protokolldiener entfaltete plötzlich eine verblüffende Aktivität. »Alle Schutzräume sind geöffnet. Die Repräsentanten mögen sich in den ihnen zugewiesenen Bereichen sammeln.«

Viceroy Butler versuchte das Chaos zu übertönen und Zuversicht zu verbreiten. »Die Holtzman-Schilde werden uns schützen!« Serena jedoch erkannte die Besorgnis ihres Vaters, auch wenn er sich gut in der Gewalt hatte.

Unter hektischem und panischem Geschrei hasteten die Vertreter der Liga zu den Ausgängen. Die gnadenlosen Feinde der Menschheit waren eingetroffen.

5

 

Wer nach mehr Autorität verlangt, hat sie nicht verdient.

Tercero Xavier Harkonnen,

aus einer Ansprache an die Salusanische Miliz

 

 

»Soeben hat die Roboterflotte unsere Raumverteidigung in ein schweres Gefecht verwickelt«, rief Xavier Harkonnen von seiner Station.

»Primero Meach!«, brüllte Cuarto Steff Young von den Kontrollen des taktischen Schirms. Xavier nahm den bittersalzigen Geruch ihres Angstschweißes wahr. »Eine kleine Formation von Maschinenschiffen hat sich von der Hauptflotte im Orbit gelöst. Konfiguration unbekannt, aber sie bereiten sich darauf vor, in die Atmosphäre vorzudringen.« Sie zeigte auf den Bildschirm, der eine Gruppe von antriebslosen Gefährten als blinkende Punkte darstellte.

Xavier überprüfte die Daten der Fernsensoren, die in Echtzeit von den Verteidigungssatelliten hoch über dem von Tio Holtzman entwickelten Störfeld hereinkamen. Bei höchster Auflösung erkannte er ein Angriffsgeschwader aus pyramidenförmigen Schiffen, die sich in die Atmosphäre stürzten und sich furchtlos dem Abwehrschild näherten.

»Sie werden eine unangenehme Überraschung erleben«, sagte Young mit verbissenem Lächeln. »Das kann keine Denkmaschine überstehen.«

»Unsere größte Sorge wird sein, nicht von den Trümmern ihrer abstürzenden Schiffe getroffen zu werden«, sagte Primero Meach. »Behalten Sie die Staffel im Auge.«

Doch die Landekapseln durchstießen den Störschild – und flogen ungehindert weiter. Sie wiesen überhaupt keine elektronischen Signaturen auf, als sie die Grenze überwunden hatten.

»Wie sind sie durchgekommen?« Quinto Wilby wischte sich über die Stirn und strich eine Haarsträhne aus den Augen.

»Dazu wäre kein Computer in der Lage.« Blitzartig begriff Xavier, was geschah. »Es sind blinde Landekapseln!«

Young blickte von ihren Instrumenten auf und atmete schwer. »Aufprall in weniger als einer Minute, Primero. Eine zweite Welle folgt ihnen. Ich zählte achtundzwanzig Einheiten.« Sie schüttelte den Kopf. »Bei keinem der Schiffe lassen sich Computer-Signaturen feststellen.«

Xavier war längst einen Schritt weiter und rief: »Rico, Powder, alarmieren Sie die medizinischen Hilfsteams und Abwehrtruppen. Alle sollen sich sofort bereitmachen! Kommt schon, Leute, das haben wir hundertmal geübt! Sämtliche Fahrzeuge und Rettungsausrüstungen sollen mobilisiert und in der Luft sein, damit sie eingreifen können, bevor das erste Schiff den Boden erreicht.«

»Verteidigungskräfte abziehen und gegen die Invasoren einsetzen!« Primero Meach senkte die Stimme und sah seine Kollegen der Reihe nach mit steinernem Blick an. »Tercero Harkonnen, besorgen Sie sich eine tragbare Komstation und gehen Sie nach draußen. Sie werden meine Augen und Ohren sein. Ich schätze, dass etwas sehr Unangenehmes aus den Landekapseln schlüpfen wird.«

 

Unter einem wolkigen Himmel herrschte das Chaos auf den Straßen der Stadt. Xavier stürmte mitten ins Getümmel und hörte das Kreischen der verbrannten Atmosphäre, als die antriebslosen Projektile wie Geschosse aus dem Weltraum dem Boden entgegenrasten.

Ein Meteoritenschwarm aus pyramidenförmigen Landekapseln schlug in die Planetenoberfläche ein. Mit ohrenbetäubendem Lärm krachten die ersten vier in Gebäude und planierten ganze Häuserblocks, als sich ihre kinetische Energie mit explosiver Wucht entlud. Doch die tödliche Fracht, die sie transportierten, wurde durch ausgeklügelte Systeme geschützt, die die Erschütterungen ausglichen.

Xavier rannte die Straße entlang. Seine Uniform war zerknittert, sein schweißgetränktes Haar klebte am Kopf. Er hielt vor dem riesigen Parlamentsgebäude an. Obwohl er der zweithöchste Befehlshaber der Verteidigungskräfte von Salusa war, befand er sich hier in einer ungesicherten Situation und musste bereit sein, vor Ort Befehle zu erteilen. Nicht gerade das, was er auf der Armada-Akademie gelernt hatte. Aber Primero Meach verließ sich auf sein Urteilsvermögen, seine Referenzen und seine Fähigkeit, unabhängig handeln zu können.

Er berührte den Komdraht an seinem Kinn. »Ich bin auf Position, Primero.«

Fünf weitere Projektile schlugen in den Außenbezirken der Stadt ein und hinterließen rauchende Krater. Explosionen, Feuerbälle, Trümmerwolken.

An den Einschlagstellen brachen die gepanzerten Kapseln auf und legten riesige Objekte frei, die sich darin rührten. Die aktivierte Mechanik entfernte die verkohlten Reste der Schutzpanzerung. Erschrocken erkannte Xavier, was er zu sehen bekommen würde, und er verstand, wie es den feindlichen Maschinen gelungen war, die Störschilde zu überwinden. Es waren gar keine Computer …

Cymeks.

Furchterregende mechanische Monstrositäten erhoben sich aus den abgestürzten Pyramiden, von chirurgisch isolierten menschlichen Gehirnen gesteuert. Die Mobilitätssysteme wurden hochgefahren, gelenkige Beine und überdimensionale Waffen richteten sich aus.

Die Cymeks sprangen aus den rauchenden Kratern – Gladiatoren, die sich wie riesige Krebse bewegten und halb so groß wie die zerstörten Gebäude waren. Ihre Beine waren so dick wie schwere Metallträger, und sie waren mit Flammenwerfern, Giftgaskanonen und Artilleriegeschützen bestückt.

Xavier schrie in den Kom. »Cymek-Kampfeinheiten, Primero Meach! Sie haben eine Möglichkeit gefunden, unsere Orbitalabwehr zu überwinden!«

Auf ganz Salusa, vom Zentrum der Hauptstadt bis zum fernsten Kontinent, wurde die planetare Miliz in Bereitschaft versetzt. Kindjals, tief fliegende Kampfjäger, waren längst gestartet, um die Bodenverteidigung zu unterstützen. Ihre Magazine waren mit Waffen bestückt, die sogar starke Panzerungen durchschlagen konnten.

Die Menschen auf den Straßen flohen in panischem Entsetzen. Andere standen bewegungslos da und starrten auf das Geschehen. Xavier berichtete unablässig, was er sah. Dann hörte er, wie Vannibal Meach sagte: »Cuarto Young, geben Sie den Befehl an alle Stationen weiter, dass Atemgeräte an die Bevölkerung verteilt werden. Jede Person, die sich nicht im Innern eines Bunkers aufhält, muss einen Atemschutz tragen.«

Die Gesichtsmasken würden niemanden vor den Flammenwerfern oder Hochenergiegeschossen der Cymeks schützen, aber zumindest waren sie vor den Giftgaswolken sicher. Als Xavier sein Atemgerät angelegte, machte er sich zunehmend Sorgen, dass sich alle sorgsam geplanten Vorkehrungen der Miliz möglicherweise als ungeeignet erwiesen.

Die Cymek-Kämpfer ließen die zerstörten Hüllen ihrer Landekapseln zurück und stapften auf monströsen Beinen los. Sie feuerten Explosivgeschosse ab und setzten Gebäude und fliehende Menschenmassen in Brand. Flammenspeere schossen aus Düsen in ihren oberen Gliedmaßen und legten die Stadt Zimia in Schutt und Asche.

Weitere Kapseln stürzten dröhnend aus dem Himmel und öffneten sich unmittelbar nach der Bruchlandung. Insgesamt waren es achtundzwanzig.

Mit heulendem Lärm, der seine Ohren betäubte, sah der junge Tercero eine Säule aus Flammen und Rauch aufsteigen. Sie schoss so schnell empor, dass seine Netzhäute in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Landekapsel schlug in die militärische Anlage einen halben Kilometer hinter ihm und löschte das Kontrollzentrum und das Hauptquartier der planetaren Miliz aus. Die Schockwelle warf Xavier auf die Knie und ließ in Dutzenden von Häuserblocks die Fensterscheiben zerbersten.

»Primero!«, schrie Xavier in den Kom. »Primero Meach! Kommandozentrum, melden Sie sich!«

Doch beim Anblick der Ruinen erkannte er, dass er keine Antwort mehr von seinem Vorgesetzten oder irgendeinem der Kameraden erhalten würde, die sich im Komplex aufgehalten hatten.

Die Cymeks stapften durch die Straßen und versprühten einen grünlich schwarzen Nebel, der sich als giftiger Film auf den Boden und alle Gebäude legte. Dann traf die erste Schwadron Kindjal-Bomber im Tiefflug ein. Weitere Explosionen zerrissen das Gelände rund um die Maschinenkrieger.

Xavier keuchte unter der Atemmaske, da er nicht glauben wollte, was er gerade gesehen hatte. Er rief erneut nach seinem Kommandanten, erhielt aber wieder keine Antwort. Schließlich klinkten sich die taktischen Substationen am Rand der Stadt ein und wollten wissen, was geschehen war und wer er war.

»Hier spricht Tercero Xavier Harkonnen«, sagte er. Dann begriff er plötzlich die Konsequenzen der neuen Situation. Er bemühte sich, seinen Mut zu sammeln und seine Stimme sicher klingen zu lassen. »Ich bin … ich bin gegenwärtig der Kommandant der Salusanischen Miliz.«

Er lief auf die Feuersbrunst zu und in den dichten öligen Rauch. Überall fielen Zivilisten auf die Knie und husteten und würgten im giftigen Nebel. Er blickte zu den Luftstreitkräften auf und wünschte sich, er hätte einen direkteren Zugriff auf die Einheiten. »Die Cymeks können zerstört werden«, übermittelte er einem der Kindjal-Piloten. Dann hustete er. Die Maske funktionierte nicht richtig. Seine Kehle und Lungen brannten, als hätte er Säure eingeatmet, aber er rief weiterhin seine Befehle.

Während der Angriff fortgesetzt wurde, überflogen salusanische Katastrophenschutzflugzeuge das Schlachtfeld und warfen Kanister ab, in denen sich Pulver oder Schaum zur Brandbekämpfung befanden. Am Boden rückten unerschrocken Rettungsteams mit Atemmasken an.

Die Cymeks ließen sich nicht im Geringsten durch die unbedeutenden Abwehrmaßnahmen beeindrucken und marschierten weiter. Sie bewegten sich nicht wie eine Armee, sondern individuell – mechanische Amokläufer, die Tod und Verwüstung verbreiteten. Ein Kämpfer erhob sich auf den Krebsbeinen und schoss zwei Rettungsflieger ab, dann setzte er mit unheimlicher Anmut seinen Vormarsch fort.

Die salusanischen Bomber warfen ihre explosive Ladung genau über einem der ersten Cymeks ab. Zwei Geschosse trafen den gepanzerten Körper, und ein drittes schlug in ein Gebäude in unmittelbarer Nähe ein. Es stürzte in sich zusammen und begrub den mechanischen Eindringling unter einem Trümmerberg.

Doch als sich der Rauch ein wenig verzogen hatte, zeigte sich, dass der Cymek nach wie vor einsatzbereit war. Die tödliche Maschine schüttelte die Trümmer ab, dann ging sie zum Gegenangriff auf die Kindjals über.

Von seinem entfernten Posten aus verfolgte Xavier ihre Bewegungen auf einem tragbaren Schirm. Er musste hinter den übergreifenden Plan der Denkmaschinen kommen. Die Cymeks schienen ein bestimmtes Ziel zu verfolgen.

Er durfte sich kein Zögern erlauben oder seine Zeit damit verschwenden, um seine gefallenen Kameraden zu trauern. Er konnte Primero Meach nicht mehr fragen, was er getan hätte. Stattdessen musste er einen klaren Kopf behalten und schnelle Entscheidungen treffen. Wenn er nur wüsste, welche Intention die Angreifer hatten …

Im Orbit feuerte die Roboterflotte weiter auf die salusanische Raumwache, auch wenn der Feind keine Chance gegen die Holtzman-Schilde hatte. Vielleicht gelang es ihnen, die Verteidigungskräfte zu besiegen und die Hauptwelt der Liga zu belagern … doch Primero Meach hatte bereits Verstärkung angefordert, und bald würden die Roboterschiffe der Übermacht der gesamten Liga-Armada gegenüberstehen.

Auf dem Bildschirm sah Xavier, dass die Roboterflotte ihre Position hielt … als würde sie auf ein bestimmtes Signal der Cymek-Stoßtruppen warten. Seine Gedanken rasten. Was wurde hier gespielt?

Drei mechanische Gladiatoren feuerten auf den Westflügel des Parlamentsgebäudes. Die kunstvoll verzierte Fassade rutschte wie eine Mure auf die Straße. Die Außenwand löste sich auf und legte die Räume der evakuierten Verwaltungsbüros frei.

Xavier hustete im Rauch und konnte durch die verschmierte Sichtscheibe kaum noch etwas erkennen. Trotzdem blickte er in die Augen eines weiß gekleideten Sanitäters, der ihn packte und ihm eine neue Atemmaske aufsetzte. Jetzt brannte es noch heftiger in seinen Lungen, als wären sie mit Benzin getränkt und entzündet worden.

»Es wird schon wieder gehen«, versprach der Sanitäter in wenig überzeugendem Tonfall, als er ihm eine Injektion in den Hals verpasste.

»Das will ich hoffen.« Der Tercero hustete und sah schwarze Punkte vor den Augen. »Ich habe jetzt keine Zeit, um zu einem Opfer dieses Krieges zu werden.«

Xavier dachte über sich hinaus und empfand tiefe Sorge um Serena. Vor weniger als einer Stunde hatte sie vor den Repräsentanten der Liga sprechen sollen. Er betete, dass sie sich rechtzeitig hatte in Sicherheit bringen können.

Er rappelte sich auf und verscheuchte den Sanitäter, als die Injektion ihre Wirkung entfaltete. Mit seinem tragbaren Schirm rief er eine taktische Übersicht auf, wie sie sich einem in großer Höhe fliegenden Kindjal bieten würde. Er musterte die schwarzen Verwüstungsspuren der Cymeks. Wohin sind sie unterwegs?

Im Geiste stellte er sich die Verteilung der Einschlagkrater rund um die Ruinen der Militärzentrale und die Wege vor, auf denen die mechanischen Monster vorrückten.

Dann begriff er, was er von Anfang an hätte erkennen müssen, und stieß einen unterdrückten Fluch aus.

Omnius wusste, dass die Holtzman-Schilde die Gelschaltkreise jeder Denkmaschine zerstören würden; aus diesem Grund blieb das Gros der Roboterflotte im Orbit um Salusa. Wenn die Cymeks jedoch die Schildgeneratoren ausschalten konnten, gäbe es nichts mehr, das den Planeten vor einer totalen Invasion bewahrte.

Xavier stand vor einer kritischen Entscheidung, aber letztlich blieb ihm gar keine Wahl. Er hatte jetzt den Oberbefehl, ob es ihm gefiel oder nicht. Durch die Auslöschung des Kommandostabs der Miliz hatten die Cymeks ihm die Verantwortung übertragen. Und er wusste genau, was zu tun war.

Er befahl der Salusanischen Miliz, sich zurückzuziehen und die Verteidigung um das Hauptangriffsziel zu konzentrieren, während der Rest von Zimia ungeschützt den Cymeks überlassen wurde, die sich weiter durch die Stadt sprengten und brannten. Auch wenn er einen Teil dieser bedeutenden Stadt opfern musste, war es wichtiger, dass die Maschinen daran gehindert wurden, ihr Ziel zu erreichen.

Um jeden Preis.

6

 

Von wem geht der größere Einfluss aus: vom Objekt oder vom Betrachter?

Erasmus, aus ungeordneten Labordateien

 

 

Auf Corrin, einer der bedeutendsten Synchronisierten Welten, spazierte der Roboter Erasmus über den gepflasterten Platz vor seiner feudalen Villa. Er bewegte sich mit wohlgeübter Eleganz, die er nach Jahrhunderten der Beobachtung menschlicher Bewegungsarten zu imitieren gelernt hatte. Sein Gesicht aus Flussmetall war ein glattes Oval, wie ein polierter Spiegel bar jeglichen Ausdrucks. Doch er konnte dem Polymerfilm verschiedene nachgeahmte Emotionen verleihen, ähnlich einer antiken Theatermaske.

Durch optische Fasern, die in seine Gesichtsmembran implantiert waren, bewunderte er die schillernden Springbrunnen, die ihn umgaben und sich so nett mit dem Mauerwerk der Villa, den Edelsteinstatuen, den kunstvollen Wandteppichen und lasergravierten Alabastersäulen ergänzten. Alles war üppig und prächtig und von ihm selbst entworfen. Nach gründlichen Studien und Analysen hatte er einen Sinn für die Prinzipien klassischer Schönheit entwickelt und war stolz auf seinen Geschmack.

Seine menschlichen Sklaven waren emsig mit Haushaltsarbeiten beschäftigt. Unter dem Nachmittagslicht der roten Riesensonne polierten sie Trophäen und Kunstobjekte, staubten Möbel ab, pflanzten Blumen und schnitten Sträucher in Form. Jeder Sklave verbeugte sich zitternd und respektvoll, wenn Erasmus vorbeikam. Er nahm es zur Kenntnis, machte sich aber nicht die Mühe, sie individuell zu identifizieren, auch wenn er jedes Detail speicherte. Man wusste nie, wann eine noch so unscheinbare Beobachtung für eine grundlegende Erkenntnis bedeutsam werden konnte.

Erasmus besaß eine Haut aus organisch-plastischen Materialien, die mit Neurelektronik durchwebt waren. Er behauptete, dass ihm das komplexe Sensorennetzwerk die Wahrnehmung tatsächlicher körperlicher Empfindungen ermöglichte. Unter der Glut der riesigen Sonne Corrins registrierte er Licht und Wärme auf seiner Haut, mutmaßlich genauso wie ein organischer Körper. Er trug ein schweres goldbesetztes Gewand aus karminrotem Stoff. Mit dieser vornehmen individuellen Garderobe setzte er sich von den geringeren Robotern Omnius' ab. Eitelkeit war eine weitere Eigenschaft, die Erasmus von den Menschen gelernt hatte, und sie gefiel ihm sehr.

Die meisten Roboter waren nicht so unabhängig wie Erasmus. Sie stellten kaum mehr als mobile denkfähige Kästen dar, Untereinheiten des Allgeistes. Erasmus unterstand genauso dem Befehl von Omnius, aber er besaß größere Interpretationsfreiheiten. Im Laufe der Jahrhunderte hatte er eine eigene Identität und so etwas wie ein Ichbewusstsein entwickelt. Omnius betrachtete ihn eher als Kuriosum.

Während der Roboter mit vollkommener Anmut weiterspazierte, bemerkte er ein summendes Geräusch. Seine optischen Fasern entdeckten eine kleine fliegende Kugel, eins der vielen mobilen Wächteraugen von Omnius. Immer wenn Erasmus sich von den allgegenwärtigen Schirmen entfernte, die sich in jedem Gebäude befanden, verfolgten ihn die informationsdurstigen Wächteraugen und zeichneten jede seiner Bewegungen auf. Dieses Verhalten des Allgeistes sprach entweder für eine tief verwurzelte Neugier … oder eine ungewöhnlich menschliche Paranoia.

Vor langer Zeit, als der Rebell Barbarossa mit den Künstlichen Intelligenzen des Alten Imperiums hantiert hatte, war es ihm gelungen, sie mit synthetischen Persönlichkeitszügen auszustatten. Die Konsequenz war, dass die Maschinen sich aus eigener Kraft weiterentwickelt hatten und zu einem großen elektronischen Geist verschmolzen waren, der einige dieser menschlichen Eigenschaften und Triebe übernommen hatte.

Omnius war der Überzeugung, dass weder die Biologischen noch die Cymek-Bastarde zu einer Epochen umfassenden Perspektive fähig waren, die die Gelschaltkreise eines Maschinengeistes mühelos überblicken konnte. Wenn Omnius das Universum der Möglichkeiten betrachtete, sah er alles gleichzeitig wie auf einem großen Bildschirm. Der Sieg konnte auf viele unterschiedliche Weisen errungen werden, und er behielt ständig alle Möglichkeiten im Auge.

Omnius' Grundprogrammierung war auf alle von den Maschinen eroberten Planeten kopiert worden, und regelmäßige Updates sorgten für die Synchronisierung. Überall gab es gesichtslose, nahezu identische Kopien von Omnius, die über das interstellare Netz kommunizierten und indirekt in zahllosen Wächteraugen, Gerätschaften und Kontaktbildschirmen präsent waren.

Nun hatte der weit verteilte Computergeist offenbar nichts Besseres zu tun, als herumzuschnüffeln. »Wohin gehst du, Erasmus?«, fragte Omnius über einen winzigen Lautsprecher im Wächterauge. »Warum läufst du so schnell?«

»Auch du könntest laufen, wenn du es wünschst. Warum verschaffst du dir nicht für eine Weile einen künstlichen Körper mit Beinen, nur um zu sehen, wie es ist?« Erasmus' Polymergesicht bildete ein Lächeln. »Wir könnten gemeinsam einen Spaziergang unternehmen.«

Das Wächterauge flog summend neben Erasmus. Corrin hatte lange Jahreszeiten, weil der Planet die Riesensonne in weitem Abstand umkreiste. Die Winter und Sommer dauerten jeweils mehrere tausend Tage. In der zerklüfteten Landschaft gab es keine natürlichen Wälder oder sonstige Vegetationszonen, nur eine Hand voll uralter Obstgärten und landwirtschaftlicher Felder, die seit der Übernahme durch die Maschinen ins Kraut geschossen waren.

Viele menschliche Sklaven waren in der intensiven Sonnenstrahlung blind geworden. Infolgedessen stattete Erasmus seine Arbeiter, die im Freien tätig waren, mit Augenschutzmasken aus. Er war ein wohltätiger Herr, der seinen Besitz sorgsam instand hielt.

Als er das Eingangstor seiner Villa erreichte, justierte der Roboter das neue Modul zur sensorischen Intensivierung nach, das durch neurelektronische Ports an seinen Maschinenkörper angeschlossen und unter seinem Gewand verborgen war. Dieses Gerät, das Erasmus selbst entwickelt hatte, erlaubte ihm, die sinnlichen Wahrnehmungen der Menschen zu simulieren, wenn auch mit gewissen unvermeidbaren Einschränkungen. Er wollte mehr wissen, als das Modul leistete, er wollte mehr spüren. In dieser Hinsicht hatten die Cymeks vielleicht einen Vorteil gegenüber Erasmus, aber dessen konnte er sich niemals sicher sein.

Cymeks und insbesondere die ursprünglichen Titanen waren ein engstirniger, brutaler Haufen ohne Sinn für die feineren Wahrnehmungen und Empfindungen, an deren Erlangung Erasmus so lange gearbeitet hatte. Die Brutalität besaß natürlich auch ihren Wert, aber der kultivierte Roboter betrachtete sie lediglich als einen von vielen Verhaltensaspekten, die einer gründlichen Analyse würdig waren, sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht. Gewalt war freilich etwas Faszinierendes, zumal ihre Anwendung häufig mit angenehmen Empfindungen verbunden war …

Erasmus war extrem neugierig darauf, was erkenntnisfähigen biologischen Lebensformen Menschlichkeit verlieh. Er besaß ebenfalls Intelligenz und Ichbewusstsein, aber er wollte genauso die Emotionen, Empfindsamkeiten und Motivationen der Menschen verstehen – die wesentlichen Details, die sich von den Maschinen noch nie besonders gut reproduzieren ließen.

Während seines jahrhundertelangen Studiums hatte Erasmus alles über menschliche Kunst, Musik, Philosophie und Literatur gelernt. Sein Ziel war es, das Wesen der Menschlichkeit in Erfahrung zu bringen, den magischen Funken zu erkennen, der diese Geschöpfe, diese Schöpfer, zu etwas Einzigartigem machte – das, was ihnen eine … eine Seele verlieh.

Er betrat seinen Bankettsaal, und das fliegende Auge schwebte zur Decke empor, wo es alles im Überblick behalten konnte. An den Wänden schimmerten sechs Omnius-Schirme in milchigem Grau.

Seine Villa war nach dem Vorbild der opulenten griechisch-römischen Anwesen gestaltet, in denen die Zwanzig Titanen gewohnt hatten, bevor sie ihre Körper aufgegeben hatten. Ähnliche Villen besaß Erasmus auf fünf Planeten, einschließlich Corrin und der Erde. Darüber hinaus unterhielt er weitere Einrichtungen – Gefängniszellen, Räume zur Vivisektion, medizinische Laboratorien sowie Gewächshäuser, Kunstgalerien, Skulpturen und Springbrunnen. All das ermöglichte ihm das Studium des Verhaltens und der Physiologie der Menschen.

Erasmus ließ seinen Körper am Kopfende eines langen Tisches Platz nehmen, auf dem silberne Kelche und Kerzenhalter standen, aber nur ein Gedeck. Für ihn. Der antike Holzstuhl hatte einst einem menschlichen Aristokraten gehört, Nivny O'Mura, einem der Gründer der Liga der Edlen. Erasmus hatte studiert, wie die rebellierenden Menschen sich organisiert und Festungen gegen die frühen Angriffe durch Cymeks und Maschinen errichtet hatten. Die listenreichen Hrethgir hatten immer wieder Mittel und Wege gefunden, um ihre Feinde auf verblüffende Weise zu verwirren. Faszinierend.

Unvermittelt ertönte die Stimme des Allgeistes von allen Seiten. Sie hatte einen gelangweilten Unterton. »Wann wird dein Experiment endlich abgeschlossen sein, Erasmus? Du kommst Tag für Tag hierher und tust genau dasselbe. Ich will Resultate sehen.«

»Es gibt so viele interessante Fragen. Warum essen wohlhabende Menschen mit solchem Aufwand? Warum betrachten sie bestimmte Nahrungsmittel und Getränke als wertvoller, obwohl sie den gleichen Nährwert wie andere haben, die geringer geschätzt werden?« Die Stimme des Roboters nahm einen gelehrteren Tonfall an. »Die Antwort, Omnius, hat etwas mit ihrem grausam kurzen Leben zu tun. Sie kompensieren es mit effizienten sensorischen Mechanismen, die in der Lage sind, intensive Gefühle zu vermitteln. Menschen besitzen fünf Hauptsinne, die zahllose Abstufungen ermöglichen. Der Geschmack von Yondair-Bier im Vergleich zu dem von Ularda-Wein, um ein Beispiel zu nennen. Oder das Gefühl von Ecaz-Sackleinen im Vergleich zu dem von Paraseide, oder die Musik von Brahms …«

»Ich vermute, all das ist auf irgendeine esoterische Weise sehr interessant.«

»Natürlich, Omnius. Schließlich studierst du mich, während ich die Menschen studiere.« Erasmus gab den Sklaven ein Zeichen, die nervös durch ein Guckloch in der Tür zur Küche der Villa lugten. Eine Sonde schlängelte sich aus einem Modul an Erasmus' Hüfte und kam unter seinem Gewand hervor. Die feinen neurelektronischen Sensorfasern wanden sich wie lauernde Kobras.

»Ich toleriere deine Forschungen, weil ich erwarte, dass du schließlich ein brauchbares Modell erstellen kannst, mit dem sich menschliches Verhalten vorhersagen lässt. Ich muss wissen, wie ich diese Geschöpfe nützlich machen kann.«

Weißgekleidete Sklaven trugen Tabletts aus der Küche herein – mit Corrin-Jagdhuhn, Walgis-Rindfleisch Almondine und sogar seltenem Platinfluss-Lachs, der auf Parmentier gefangen wurde. Erasmus tauchte die faserigen Enden der Sonde in jedes Gericht und »kostete« sie. Gelegentlich benutzte er ein Schneidinstrument, um eine Probe des Safts aus dem Innern der Fleischstücke zu nehmen. Er dokumentierte jede Geschmacksvariante und fügte sie seinem wachsenden Repertoire hinzu.

Währenddessen setzte er den Dialog mit Omnius fort. Der Allgeist schien ihm kleine Datenbrocken vorzuwerfen, um zu sehen, wie Erasmus darauf reagierte. »Ich habe meine militärischen Kapazitäten ausgebaut. Nach vielen Jahren ist es an der Zeit, wieder in Aktion zu treten.«

»Tatsächlich? Oder drängen dich die Titanen zu aggressiveren Maßnahmen? Agamemnon wirft dir seit Jahrhunderten deinen Mangel an Ehrgeiz vor.« Erasmus interessierte sich viel mehr für die Bitterbeeren-Torte auf der Tafel. Als er die Bestandteile analysierte, stellte er zu seinem Erstaunen fest, dass sich größere Spuren von menschlichem Speichel darin befanden. Gehörte diese Zutat zum Originalrezept, oder hatte ein Sklave mutwillig hineingespuckt?

»Ich treffe meine eigenen Entscheidungen«, sagte der Allgeist. »Es erschien mir angemessen, zu diesem Zeitpunkt eine neue Offensive zu starten.«

Der Küchenchef schob einen Wagen an den Tisch und benutzte ein Tranchiermesser, um ein Stück vom Filet Salusa abzuschneiden. Der unterwürfige kleine Mann, der zum Stottern neigte, legte die tropfende Scheibe auf einen sauberen Teller, goss etwas braune Soße darüber und stellte das Ganze vor Erasmus auf den Tisch. Unbeholfen stieß der Küchenchef mit dem Messer gegen den Servierwagen, sodass es ihm aus der Hand fiel – und auf einen Fuß des Roboters, wo es eine Kerbe und einen Fleck hinterließ.

Erschrocken bückte sich der Mann, um das Messer aufzuheben, doch Erasmus' mechanische Hand war schneller. Sie schloss sich um den Griff, während sich der Roboter weiter mit Omnius unterhielt. »Eine neue Offensive? Ist es bloßer Zufall, dass der Titan Barbarossa genau das als Belohnung forderte, als er deine Kampfmaschine in der Gladiatorenarena besiegte?«

»Das ist irrelevant.«

Der Küchenchef starrte auf das Messer und stammelte: »Ich werde es p-p-persönlich p-polieren, bis Euer Fuß wieder so gut wie n-neu ist, Lord Erasmus.«

»Menschen sind so dumm, Erasmus«, sagte Omnius über die Lautsprecher an der Wand.

»Einige von ihnen«, pflichtete Erasmus ihm bei und vollführte eine Reihe eleganter Bewegungen mit dem Messer. Der kleine Küchenchef stieß ein stummes Gebet aus und war nicht in der Lage, sich von der Stelle zu rühren. »Ich frage mich, was ich tun sollte.« Erasmus wischte das Messer am Kittel des zitternden Mannes sauber, dann betrachtete er die verzerrte Reflexion des Menschen auf der Metallklinge.

»Der Tod eines Menschen ist etwas anderes als der Tod einer Maschine«, sagte Omnius leidenschaftslos. »Eine Maschine lässt sich duplizieren, durch eine Kopie ersetzen. Wenn Menschen sterben, sind sie für immer verloren.«

Erasmus simulierte schallendes Gelächter. »Omnius, du betonst zwar ständig die Überlegenheit der Maschinen, aber dir ist bisher entgangen, worin Menschen besser sind als wir.«

»Erspare mir eine weitere deiner Aufzählungen«, sagte der Allgeist. »Ich erinnere mich an jedes Detail unserer letzten Diskussion über dieses Thema.«

»Die Überlegenheit liegt im Auge des Betrachters und führt unweigerlich zur Ausblendung von Details, die nicht der vorgefassten Meinung entsprechen.« Mit seinen sensorischen Detektoren, die wie Insektenfühler schwankten, nahm Erasmus den Schweißgeruch des Küchenchefs wahr.

»Wirst du diesen Menschen töten?«, fragte Omnius.

Erasmus legte das Messer auf den Tisch und hörte, wie der kleine Mann einen Seufzer ausstieß. »Als Individuen sind Menschen leicht zu töten. Als Spezies jedoch sind sie wesentlich überlebensfähiger. Wenn sie bedroht werden, rotten sie sich zusammen und werden viel mächtiger und gefährlicher. Manchmal ist es am besten, sie zu überraschen.«

Er griff blitzschnell nach dem Messer und stieß es dem Küchenchef in die Brust – mit genügend Kraft, dass es durch das Brustbein ins Herz drang. »Zum Beispiel so.« Blut lief über die weiße Uniform, auf den Tisch und den Teller des Roboters.

Der Mensch glitt röchelnd von der Klinge. Mit dem blutigen Messer in der Hand überlegte er, ob er den fassungslosen Gesichtsausdruck seines Opfers mit seiner anpassungsfähigen Maske kopieren sollte, doch dann beschloss er, sich diese Mühe zu ersparen. Sein Robotergesicht blieb ein spiegelglattes Oval. Erasmus würde ohnehin nie in die Verlegenheit kommen, einen solchen Gesichtsausdruck zeigen zu müssen.

Er warf das Messer fort, das klappernd zu Boden fiel, dann tauchte er die empfindlichen Sondenfasern in das Blut auf seinem Teller. Es hatte einen recht interessanten und komplexen Geschmack. Er fragte sich, ob das Blut verschiedener Menschen sich geschmacklich unterschied. Das sollte er gelegentlich untersuchen.

Roboterwachen brachten die Leiche des Küchenchefs fort, während sich die anderen Sklaven furchtsam im Hintergrund drängten, da es eigentlich ihre Aufgabe war, die Bescherung aufzuräumen. Erasmus studierte ihre Angst.

»Ich möchte dir jetzt von einer wichtigen Entscheidung erzählen, die ich getroffen habe«, sagte Omnius. »Mein Angriffsplan wurde bereits in die Tat umgesetzt.«

Erasmus heuchelte Interesse, wie er es häufig tat. Er aktivierte einen Reinigungsmechanismus, der seine Sonde sterilisierte, die sich daraufhin in ihr Versteck unter seinem Gewand zurückzog. »Ich beuge mich deinem Urteil, Omnius. Mir fehlt die nötige Erfahrung in militärischen Angelegenheiten.«

»Aus genau diesem Grund solltest du meinen Worten Beachtung schenken. Du betonst stets, dass du lernen willst. Als Barbarossa meinen Gladiatorroboter im Schaukampf besiegte, forderte er einen Schlag gegen die Welten der Liga. Die ehemaligen Titanen sind überzeugt, dass das Universum ohne die Hrethgir wesentlich unproblematischer und geordneter wäre.«

»Wie mittelalterlich!«, sagte Erasmus. »Der große Omnius folgt dem militärischen Rat eines Cymek?«

»Barbarossa hat mich amüsiert, und es besteht durchaus die Möglichkeit, dass einige der Titanen zu Tode kommen. Das ist nicht unbedingt ein negativer Aspekt.«

»Natürlich nicht«, sagte Erasmus, »da deine Grundprogrammierung dir verbietet, deinen Schöpfern direkten Schaden zuzufügen.«