Call me now - Marc Schneid - E-Book

Call me now E-Book

Marc Schneid

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Beschreibung

Patrick Benth schreibt. Er schreibt über sein Leben und er weiß, dass er bald sterben wird. Nach dem Verlust seiner Ersten großen Liebe Jean-Paul verändert sich alles in Patricks Leben. Erst in Michael, Besitzer einer seriösen Escortagentur, glaubt er einen Weg aus seiner Trauer gefunden zu haben, doch er rutscht tiefer in das Milieu, als im lieb ist. Eine Reise nach Frankreich und die Liebe zu Konrad bringen ihm letzendlich die Erfüllung, nach der er sich all die Jahre gesehnt hat. ,,Call me now" ist eine melancholische Liebeserklärung an das Leben. Dramatisch und lustig zugleich erzählt Patrick Benth seine Lebensgeschichte, die sie noch lange beschäftigen wird.

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Über den Autor:

Der Autor Marc Schneid, 1983 in Mannheim geboren und aufgewachsen, hat bereits in seiner Jugend die Leidenschaft für das Schreiben für sich entdeckt. Neben kleineren Veröffentlichungen von Artikeln in regionalen Publikationen erschien mit »Canarian Nights« 2018 sein erster Kurzgeschichtenband. Seine Figuren sind vielschichtig und abwechslungsreich und sind in unterschiedlichen Genres zu Hause.

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil

„Und so hat doch alles seinen Anfang“

Zweiter Teil

„So soll mein Körper Dir gehören“

Dritter Teil

„Franky Boy“

Vierter Teil

„Der Schock“

Fünfter Teil

„Die Reise“

Sechste Teil

„Der Neuanfang“

Siebter Teil

„Der Anfang vom Ende“

Achter Teil

„Ja ich will!“

Neunter Teil

„Ich sehe es kommen“

Zehnter Teil

„Abschied“

ERSTER TEIL

„Und so hat doch alles seinen Anfang“

1

Es gibt Momente im Leben, an denen man sich wünscht auf der Stelle tot umzufallen, und wenn es dann auf einmal so weit kommt, dass sich das Lebenslicht bald selbst ausknipsen wird, dann betrachtet man sein Leben aus einer ganz anderen Perspektive.

Man irrt einsam durch die Straßen und sucht verzweifelt nach einer Antwort. Doch niemand gibt dir diese Antwort und keiner leistet dir bei deinem Gedankenwirrwarr Gesellschaft. Diesen einen letzten Weg muss jeder für sich alleine gehen. Ich gehe gerade meinen letzten Weg und es gibt so vieles, was mir auf dem Herzen liegt, was ich unbedingt loswerden muss, bevor es zu spät ist.

Da wäre zum einen der Tod selbst. Die einen fürchten ihn, die anderen akzeptieren ihn als Teil ihres irdischen Daseins. Wäre doch nur nicht dieses trügerische Gefühl der Hilflosigkeit, das einem unentwegt auf die Pelle rückt. Man wird es genauso wenig los, wie das Gefühl, das du bei deinem ersten Liebeskummer empfindest. Das Grummeln im Bauch, das einfach nicht verschwinden will. Ein panisches Liebesgefühl, wenn Sie so wollen. Man glaubt doch immer, dass einem nichts etwas anhaben kann.

Du gehst täglich deinen gewohnten Gang, und entweder man hat ein enormes Selbstbewusstsein, um das wegzustecken oder man wandelt deprimiert durch die Gegend. Wenn man jedoch die wenigen Worte »Es tut mir leid, aber es ist soweit« zu hören bekommt, sitzt der Schock tiefer, als der Adrenalinstoß, der einem beim Bungee-Jumping durch die Glieder schießt.

Wobei. Mir ist gar nichts mehr irgendwo hin gerutscht. Es hat mir einfach den Boden unter den Füßen weggerissen. Ich stand von heute auf morgen vor einer unbezwingbaren Betonmauer. Ohne Türen, ohne Fenster, die mir eine Flucht hätten ermöglichen können. Ich lache, während ich das schreibe, denn ich finde, man sollte sich nicht mit einer allzu traurigen Miene aus der Affäre ziehen, sondern mit einem Lächeln gehen. Und genau das sind meine Zeilen. Mein Lächeln. Ich möchte nichts Besonderes sein, doch heute veröffentlicht doch wirklich jeder seine Biografie, egal ob er etwas Ruhmreiches geleistet hat oder sich nur ins Rampenlicht stellen will. Dann kann ich das auch.

Aber nun genug um den heißen Brei geredet. Natürlich fang ich nicht da an, wo die meisten anfangen. Mit meiner Zeugung und wie ich als freches Baby meine Mutter oft zur Weißglut getrieben habe und auch erst spät lernte zu Laufen, weil ich eine Fehlstellung der Hüfte hatte. Vielleicht komme ich später darauf zurück. Jetzt möchte ich nur meine Vergangenheit bereinigen und einige schöne und weniger schöne Dinge aus meinem Leben teilen, die mir widerfahren sind.

Bis zu dem Tag, an dem ich gemerkt habe, dass mein bisheriges Leben das reinste Trauerstück gewesen war und ich versuchte, mein Leben endlich in die richtige Bahn zu lenken, war es fast schon zu spät gewesen. Ich hatte bereits mehr von meiner Existenz verloren, als ich hätte zulassen dürfen.

***

Sechszehn ist ein sehr schwieriges Alter! Mitunter das Schwierigste während der Pubertät. Das brauche ich, glaube ich, keinem mehr weis zu machen. Mein erster richtiger Kontakt mit anderen schwulen Männern und vor allem die ersten intimen Erfahrungen mit einem anderen Menschen. Die Hand wird langsam aber sicher zum Auswechselspieler.

Richtige Zuneigung wird zum Star erkoren. Ich war damals von einem sechs Jahre älteren Rumänen so was von angetan, dass ihn jeder meiner Blicke regelrecht in meinen Sumpf der Sehnsüchte verschlang. Ich weiß noch wie er roch, als wäre es gestern gewesen.

Er trug seine braunen Haare immer kurz und immer trug er eine andere Mütze, wenn ich ihn sah. Er konnte unbeschreiblich gut küssen. Selten, dass es so Zungenakrobaten gibt, die ihr Handwerk wirklich beherrschen.

Er war ein richtiger Verführer. Seine umgarnende Art überflutete einen beim bloßen Gedanken an ihn. Wir lernten uns in einer Schwulendisco kennen. Wenn ich zurückdenke würde ich heute, glaube ich, nicht mehr den Mut aufbringen und mutterseelenallein in so einen Schuppen gehen.

Aber ich tat es und diese Überwindung brachte mir eine der schönsten Nächte. Mit ihm erlebte ich mein erstes Mal. Natürlich gab es weitere erotische Nächte, doch das erste Mal einen fremden Köper voll und ganz auf seiner Haut zu spüren, war einfach so unbeschreiblich, dass es mir weh tat, dass ich für ihn nur einer von vielen gewesen war.

Und nicht der Beste, wie er mir immer wieder bei unseren letzten Telefongesprächen unmissverständlich zu verstehen gab. Um ihn mit Gegenworten zu bombardieren, fehlte mir die nötige Schlagfertigkeit und ich hatte mir diese Enttäuschung sehr zu Herzen genommen. Bei unserer letzten Begegnung verpasste ich ihm ein blaues Auge, damit er begriff, wie er mit meinen Gefühlen spielte.

Er hatte sein Fett weg und mir ging es besser. Ich war von dem Zwang befreit, mich von einem anderen Menschen abhängig zu machen. Ganz und gar seinen Vorstellungen zu genügen.

Goran war jetzt aber nicht derjenige, dem ich meine Krankheit zu verdanken habe. So ein Schwein war er nicht. Er hatte mit offenen Karten gespielt, auch wenn wir noch sehr jung waren. Oft wachte ich nachts schweißgebadet auf, weil sein Geruch noch immer in meiner Nase steckte und sein Geruch wie ein Geist durch mein Zimmer flatterte.

Mein Bettzeug verlor einfach seinen Duft nicht. Er wollte einfach nicht aus meiner Nase verschwinden. Und gerade weil es so schön mit ihm war, tat es umso mehr weh, wie er mich abserviert hatte.

Haha, sie denken jetzt sicher, mein Gott, das Bübchen hat sich zum ersten Mal verliebt. Wenn Sie so wollen. Dass es nicht die richtig große Liebe war, wurde mir relativ schnell bewusst. Dafür brauchte ich keinen Magisterabschluss an der Uni in Verhaltensforschung. Soviel stand fest. Ich lernte recht schnell, mich mit der Kehrseite, schwul zu sein zu arrangieren.

Es dauerte zwar einige Jahre, die ich mit sehr viel Naivität füllte und dementsprechend viel Lebenserfahrungen sammelte, doch die muss jeder durchleben, um wirklich später von sich behaupten zu können, niemals Fehler gemacht zu haben. Okay Goran trennte sich von mir nach unserem kurzen Techtelmechtel und ich war eine ganze Weile am Boden zerstört und hob die wenigen Scherben auf die er in mir hinterließ. Ich ging immer seltener in der Schwulenszene aus und traf auch keine Leute mehr.

Ich hing nur noch vor der Flimmerkiste und um die Schule kümmerte ich mich auch kaum noch. Schule? Für was denn? Man lernt doch nichts fürs Leben dort. Die wirklich wichtigen Dinge, die einen prägen, muss man sowieso hautnah durchleben. Sozusagen ins berühmte kalte Wasser springen und das Beste dann daraus machen. Meine Mutter interessierte sich kaum für mich, wollte aber immer, dass ich eine Lehre im Bankwesen abschließe.

Ich bitte Sie. Wer will sich ewig mit Zahlen und Krediten rumplagen? Ich wollte es jedenfalls nicht! Niemals nicht. So trieb es mich immer tiefer zur inneren und äußeren Rebellion mit mir und meinem Umfeld.

Nachdem die Phase Goran ein für alle Mal abgeklungen war, taten sich mir ganz neue Möglichkeiten auf. Ich folgte einfach nicht mehr dem lieben, netten Image des braven Jungen von nebenan, der jeden und alles verstand, sondern kostete von den verbotenen Früchten. Ich ließ mich nicht länger zu einem Objekt der Begierde machen.

Vielmehr drehte ich den Spieß um. Teilweise hatte ich Freundschaften in der Szene geknüpft, wobei es eher Oberflächlichkeit war, die gepflegt wurde. Zum anderen machte ich mich für andere attraktiver und unwiderstehlich. Ich glaube ich konnte früher ein ganz schönes Miststück sein. Ich gehörte einfach dazu. Das war mir einfach wichtig.

Die schwule Welt ist eine ganz eigene. Sie kann emotional härter sein als Kruppstahl, doch wenn man dieser Härte gewachsen ist, kann sie auch ein Trost bedeuten. Du erlebst andere mit genau denselben Problemen. Du erfährst deren Ängste, die die Gesellschaft unweigerlich durch ihre Ignoranz und Ablehnung hervorrufen.

***

Goran vergrub ich tief in meinen letzten Hirnkanälen. Ab und an kamen noch Erinnerungen hoch, doch ich wusste mich gut abzulenken. Dann stand mein siebzehnter Geburtstag vor der Tür, an dem meine Mutter es nicht mal für nötig gehalten hatte, aufzustehen und mir zu gratulieren. Geschweige denn einen kleinen Kuchen oder Ähnliches für mich vorzubereiten.

Sie hatte sich lieber mit ihrem neuen Lover amüsierte und um mich scherte sie sich einen feuchten Dreck. Ich war eh nicht gewollt, das hatte sie mir oft genug unter die Nase gerieben. Mein Tag verlief dementsprechend miserabel. In der Schule hatte ich die meiste Zeit auf meinem Block herumgekritzelt oder schaute aus dem Fenster und beobachtete einen Schwarm Schwalben.

Um kurz nach vier war ich erwartungsvoll nach Hause gerannt und hielt an der letzten Hoffnung fest, dass sich meine Mutter doch noch erbarmt hätte und mir ein Geschenk auf den Küchentisch legte.

Ein Geschenk? Nicht die Bohne! Sie hatte mir lediglich einen ihrer berüchtigten Aufgabenzettel hingelegt und mir schön viel zu tun gegeben. Boden wischen. Geschirr spülen. Beim Supermarkt um die Ecke einkaufen gehen und und und. Ich kochte vor Wut. Sie hatte meinen Geburtstag einfach ignoriert.

Ich wäre am liebsten an die Decke gesprungen. Aber nicht mal das konnte man, wenn man nicht wollte, dass der Putz abbröckelte. Wütend schmiss ich die verdreckten Teller und Tassen vom Tisch herunter und verkroch mich in mein Zimmer.

Als meine Mutter um neun Uhr abends immer noch nicht zu Hause war, sprang ich unter die Dusche und machte mich für einen wilden Abend in den Szeneclubs zurecht. Ich sprühte mich am ganzen Körper mit Davidoff voll und schmierte mir haufenweise Wachs in die Haare. Dann zog ich ein enges, rotes Tank Top an und meine weiße Lieblingsjeans und es konnte losgehen.

Kaum hatte ich das Blacky´s betreten, waren alle Blicke nur auf mich gerichtet. Nein, meine silbern glitzernden Turnschuhe waren nicht der Grund gewesen. Ich sah billig aus und mit meinem zurückgegelten Haaren im Elvis-Look wirkte es noch schlimmer.

Aber das war mir an diesem Abend so was von egal gewesen. Ich wollte einfach nur meinen Spaß haben. Einfach die Sau rauslassen und abwarten, was alles passieren würde.

Zwei Kondome in der Geldbörse hatten ausreichen müssen. Jetzt fragen Sie sich, wie kann ein braver Junge, wie ich es war, so derart schnell absinken. Nun gut. Das war ja erst der Anfang. Ich war einfach verletzt und suchte Geborgenheit. Heute ist mir klar, dass das der falsche Weg gewesen war, um Liebe zu finden, doch erzählen sie das mal einem pubertierenden Siebzehnjährigen.

Ich hatte mich an die Sektbar gesetzt und beobachtete alte und neue Gesichter, die an mir vorbeirauschten. Ein paar Leute kannte ich von Goran, die ebenfalls das Vergnügen hatten, mit ihm ein Bett zu teilen. Kaum bestellte ich mir meinen ersten Wodka Red Bull, scharten sich alle möglichen Jungs um mich herum.

Sie standen jetzt nicht gerade direkt in einer Schlange vor mir, aber es versammelte sich ein kleiner Mob Interessierter auf der Tanzfläche um mich.

Es hatte mir geschmeichelt, dass ich ihnen anscheinend maßlos den Kopf verdrehte, und so ließ ich mich die ganze Nacht von sämtlichen Verehrern einladen. Gegen zwei Uhr morgens war ich dann sturzbetrunken, ohne einen Pfennig dafür bezahlt zu haben. Ich hatte in meinem Alkoholrausch gemerkt, wie mich die Kerle herumgereicht hatten.

Wie sie mich überall an grabschten und mir vorne in den Schritt fassten. Ich hatte sie erschrocken beiseite geschubst und taumelte so schnell ich nur konnte aus dem Blacky´s raus. Ich war kreidebleich, nachdem ich meinen ganzen Mageninhalt zu Hause ins Klo gespuckt hatte. Im Nebenzimmer dem Schlafzimmer meiner Mutter hörte ich lautes Stöhnen. Es hatte so in meinen Ohren gedröhnt, es war kaum zum Aushalten gewesen. Ich warf mich auf mein Bett und zog mir die Bettdecke über den Kopf. Man hatte ich mich da elend gefühlt! Schmutzig. Benutzt.

Ich hatte die Schnauze voll. Es war schwer, danach alle neu geschlossenen Kontakte abzuweisen. Vor allem, wenn alle halbe Stunde das Telefon geklingelt hatte und ein ganzer Haufen an Verehrern anriefen, um Dates mit mir auszumachen.

Meine Mutter hatte sich gewundert und war stink sauer, dass der Hörer immer neben dem Telefon gelegen hatte. Ich hatte sie gebeten, für uns eine neue Nummer zu beantragen, doch sie wollte einfach nicht und schmetterte meine Bitte ab.

Ich entwickelte eine Phobie, unsere Wohnung zu verlassen und weiter ans Telefon zu gehen. Ich igelte mich in meinem Zimmer ein und hing nur noch vor meiner Spielekonsole. Ich versank in einem Messi- ähnlichen Zustand. Ich hatte mich nur noch selten gewaschen und gegessen hatte ich noch seltener.

Das hatte ich solange durchgezogen, bis mich meine Mutter ins Krankenhaus brachte und mich hatte zwangsernähren lassen, weil ich mich geweigert hatte zu essen. Diese Auszeit war nötig gewesen.

Meine monatelange Abstinenz ließ Gras über die Sache wachsen und ein neues Opfer der Begierde was auserkoren worden, das mich glücklicherweise abgelöst hatte. Ich hatte endlich wieder meinen Seelenfrieden und konnte mich wieder frei bewegen. Es hatte sich in der Tat recht schnell gelegt und so verging ein halbes Jahr und ich war passé.

Keine Anrufe mehr und keine zufälligen Treffen auf der Straße. Ich war vergessen. Mir fielen ordentlich Steine vom Herzen. Das beklemmende eingeengte Gefühl in mir machte die Flatter. Auf Nimmerwiedersehen!

2

Mit den ach so tollen Erfahrungen wuchs mein Selbstbewusstsein rapide. Ich hatte schnell kapiert, wie der Hase lief. Worauf es im Leben ankam und wohin mich mein Weg führte, so weit ich das damals einschätzen konnte. Dann trat ein bezaubernder junger Mann in mein Leben. Jean-Paul. Er war ein neuer Mitschüler an meiner Gesamtschule. Er hatte nicht homosexuell gewirkt.

Bis auf seinen übertriebenen Kleidertick, sah man ihm seine Neigung für das männliche Geschlecht nicht im Geringsten an. Er war wunderbar. Sein französischer Charme konnte einen noch Stunden später umgarnen, wenn er schon längst aus dem Raum verschwunden war. Mein Zitronensorbet. Seine Lippen fühlten sich an wie Seide. Mein ganzer Körper vibrierte, wenn er mich berührte.

Er teilte meine Leidenschaft für anspruchsvolle Arthausfilme und auch sonst wusste er, wie er mich glücklich machen konnte. Allein sein Lächeln hatte alle meine bösen Geister vertrieben. Jean-Paul schaffte es, dass ich mich vollkommen geborgen fühlte und ich mich anderen gegenüber wieder völlig öffnen konnte. Anfangs stand für uns beide fest, dass wir nur eine Affäre haben würden, und wir uns auch nur dann trafen, wenn wir Intimkontakt suchten. Uns fielen die unmöglichsten Orte dafür ein. Verlassene Bahngelände, Schwimmbadkabine oder klassisch bei ihm oder bei mir zu Hause.

Wir waren jung und probierfreudig und genossen einfach unsere Zweisamkeit. Tatsächlich kam es anders und wir merkten plötzlich, dass wir mehr für einander empfanden und wir uns in einander verliebt hatten. Unser reines, erotisches Abenteuer wurde mit Gefühlen überflutet.

Ich muss überlegen, zu welchem Zeitpunkt er mir seine Liebe gestanden hatte. Zu viele Jahre sind seitdem vergangen. Un momento. Jetzt fällt es mir wieder ein. Jean-Paul hatte mich spontan von meinem Nebenjob im Supermarkt abgeholt.

Er band mir ein Tuch um die Augen und führte mich, blind wie ich war, in ein romantisches Restaurant unten an der Uferpromenade aus. Ehrlich gesagt, roch ich den Fisch schon von weitem und wusste genau, wohin er mich gebracht hatte. »Josepé« war der Ort unseres allerersten Treffens gewesen.

Aber bevor ich wieder von einer Erzählung zur nächsten springe bleibe ich erst mal bei seinem Liebesgeständnis an mich. Jean-Paul hatte den gleichen Wein und das gleiche Menü bestellt. Ist eigentlich nebensächlich, doch mir imponierte seine Feinheit für Details sehr.

Er nahm die Binde ab und stieß mit mir auf unsere gemeinsame Zeit an. Ich dachte mir nicht viel dabei und blieb kumpelhaft locker. Doch wie er mich an diesem Abend ansah hatte ich ihn noch nie erlebt. So ein reumütiger Hundeblick war mir an ihm noch nie aufgefallen. Ich erwartete das Schlimmste. Jedoch wurden meine Befürchtungen rasch verwischt, als er, während ich einen Happen von meinem Essen nahm, meine rechte Hand zu sich herüberzog und meine Handfläche küsste.

»Patrick«, sagte er und wartete meine Reaktion ab. Ich war perplex. Ich ließ einfach geschehen was geschehen sollte.

»Patrick, du bedeutest mir alles! Du bist der Erste, der mein Herz für sich gewonnen hat!« Oh mein Gott und das mit seinem traumhaften französischen Akzent. Mein Herz schmolz dahin. Mir wurde flau in der Magengegend.

Seine Stimme schallte eingeschüchtert und aufgeregt in den kleinen Raum des Restaurants. Hey, ich war innerlich fast ausgeflippt. Sie können sich ja ungefähr ausmalen, wie wir beide dagesessen hatten.

Er war stumm gewesen. Ich war stumm. Unsere Hände hatten fürchterlich gezittert und geschwitzt. Das hatte sich solange vollzogen bis Josepé, der Restaurantbesitzer, an unseren Tisch kam, uns Wein nachschenkte und damit wieder Bewegung in unsere Schockstarre brachte. Wir brachen alle drei in Gelächter aus und unser romantischer Abend hatte in einem unbeschreiblichen Liebesakt geendet, wie ich ihn selten wieder so intensiv erleben durfte.

Wir waren wirklich füreinander geschaffen. Zumindest hatten wir uns das damals eingeredet. Wir schmiedeten gemeinsam Zukunftspläne. Wir waren in seine Heimat in die Bretagne gereist, wo ich seine Familie kennenlernte.

Wir sind nach Belgien und Spanien gereist. Wir waren in Amsterdam, London und Paris. Wir reisten einfach überall hin, wo es uns hin verschlagen hatte. Trotz unserer engen Verbindung zueinander hatte es für jeden genug Freiraum gegeben.