Cantz schön clever - Guido Cantz - E-Book

Cantz schön clever E-Book

Cantz Guido

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Beschreibung

Die Welt wird immer schneller, das Wissen wächst rasant und wir stolpern hinter den Nachrichtenmeldungen her wie ein Murmeltier mit drei Beinen. Umso besser, wenn jemand den Überblick und die gute Laune bewahrt: Guido Cantz nimmt uns mit in die kunterbunte Welt des Wissens und öffnet uns die Augen für schlicht und einfach alles: bislang übersehene Sensationen, Kapriolen der Natur und lexikalische Lieblingsfakten. Er beantwortet unter anderem die Frage, wie man mit einer Banane eine Flasche Bier öffnet, zeigt, wo sich der einzige Unterwasserfriedhof der Welt befindet, und verrät sogar den Vornamen von Gott. Neugierig?! Lesen!

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Seitenzahl: 295

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GUIDOCANTZ

mit Paulus Vennebusch

CANTZ SCHÖN CLEVER

GuidosgesammeltesWeltwissen

Lübbe Digital

Für Paul

Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen.

Vollständige E-Book Ausgabe

des in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG erschienenen Werkes

Lübbe Digital in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG

Originalausgabe

Copyright © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln

Textredaktion: Matthias Auer

Illustrationen im Innenteil: Harald Oehlerking

Umschlaggestaltung: Sandra Taufer unter Verwendung von Motiven von © Stephan Pick, Köln; shutterstock und istockPhoto

Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-8387-1600-8

Sie finden uns im Internet unter

www.luebbe.de

Bitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

Inhalt

Grußwort von Hugo Egon Balder

Wie alles mit einer Banane begann

Wer kürzer schreibt, hat mehr vom Leben

Das Beste von Gott

Käfer, Enten und andere Traumwagen

Von griechischem Wein und ein bisschen Frieden

Reisende soll man nicht aufhalten

Krempel, Kunst und Katzenberger

Was kostet die Welt?

Sag mir deinen Namen und ich sag dir, wie du heißt

Unsern täglichen Strom gib uns heute

Ein Streifzug durch die Keramikabteilung

Die letzten Dinge

Danksagung

Grußwort von Hugo Egon Balder

Verehrte Leserinnen, verehrte Leser,

Guido hat angerufen. »Ich hab mit unserem Kumpel Paulus ein Buch geschrieben. Könntest du einen Kommentar für den Klappentext schreiben?«

Ich zuckte. Erst zusammen, dann mit den Schultern. »Ich kenn das Buch doch gar nicht.«

»Ich schicke es dir. Lies es und dann schreib«, war seine Antwort.

»Guido!«, sagte ich. »Bist du irre? Du kennst doch unsere Branche. Alles Haie! Das spricht sich doch rum! Sofort!! LEUTE, DER BALDER HAT EIN BUCH GELESEN!!! ICH HAU MICH WEG!! Dieses Image werde ich nie wieder los! Danke, hat sich erledigt. Sorry.«

Das hat Guido verstanden. Wir haben uns bei mir zu Hause verabredet, ich lag aufm Sofa, bereit einzuschlafen, wann immer es ging, und er hat mir sein Buch vorgelesen.

Eingeschlafen bin ich nicht, und ich muss zugeben: Seitdem gehe ich anders durchs Leben. Ich fühle mich fast allwissend, allen anderen überlegen. Dass Griechenland pleite ist und Wulff einen Präsidenten spielt, ist mittlerweile bekannt. Aber wer weiß schon, wer Herbert Anton Hilger ist? Und das sollte man wissen! Damit kann man wahnsinnig gut in der Kneipe angeben, vom Eindruck, den es auf das andere Geschlecht macht, ganz zu schweigen!

Liebe Leute, ich wünsche euch viel Vergnügen bei dieser herrlichen Lektüre, genießt dieses Buch. Und wenn ihr zum Lesen zu faul seid, ruft Guido an, vielleicht kommt er ja vorbei und liest vor!

EuerHugo Egon Balder

Wie alles mit einer Banane begann

Vor einiger Zeit erzählte mir ein Freund, dass er in der Lage sei, mit einer Banane eine Bierflasche zu öffnen. Wie das funktioniert, hat er mir allerdings nicht verraten. Da ich aber ein neugieriger Mensch bin, setzte ich mich an den Computer und begann zu recherchieren.

Jeder, der schon einmal im Internet oder in einer Enzyklopädie etwas Bestimmtes gesucht hat, kennt das: Bevor man die Antwort auf seine Frage findet, ergeben sich unzählige neue Fragen. So ging es mir auch: Ich gab zwar die Begriffe »Banane« und »Bierflasche« in die Suchmaschine ein, doch dann schweifte ich ein paar Clicks ab – und sah mich schon bald mit einer Überfülle von interessanten Antworten auf ganz andere Fragen konfrontiert.

Ich stieß in fremde Wissenswelten vor und stöberte in Fachforen, die ich im Zuge eines »normalen« Suchvorgangs niemals gefunden hätte. Seitdem weiß ich, was ein Metronym ist, warum sich falsche Blondinen Ketchup in die Haare schmieren und wie Gott mit Vornamen heißt. Ich kann Ihnen verraten, dass Kühe 480-mal älter werden können als Stubenfliegen, dass es in Finnland ein Museum für Außenbordmotoren gibt und wie man bei einem romantischen Abendessen 4,83 kWh Strom sparen kann. Außerdem stolperte ich über die Anzahl der Koffer, die jährlich auf Flughäfen verschwinden, über das teuerste Klo der Welt und über das Alleinstellungsmerkmal der ehemaligen Bürgermeisterin der Stadt Bünde, Anett Kleine-Döpke-Güse.

Einmal neugierig geworden, konnte ich nicht mehr aufhören nachzuforschen: Ich las in Büchern, auf Websites und in Magazinen. Ich konsultierte Fachleute, fragte schlaue Köpfe und plünderte den Erfahrungsschatz meines eigenen Lebens. Dann schrieb ich mein neu erworbenes Wissen auf – zusammen mit den Geschichten, die damit zusammenhängen.

Diesen Fundus an bedeutenden und unbedeutenden Fakten, an völlig Nebensächlichem und tatsächlich Wichtigem, an kleinen Details und großen Zusammenhängen möchte ich Ihnen in diesem Buch präsentieren und zur Verfügung stellen. Eine wertende Systematik gibt es nicht. Für mich als wissbegierigen Menschen war einfach alles interessant: Ich habe Schlager-Papst Ralph Siegel die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt wie Jahrhundertkünstler Pablo Picasso. Die Entdeckung Amerikas nimmt ebenso viel Platz ein wie die Urlaubsfahrt meiner Familie nach England, und den Petersdom habe ich genauso exakt vermessen wie einen Butterkeks.

Wir lernen unser Leben lang. Und zwar ohne Ausnahme. Ich bin sicher, dass kaum jemand von Ihnen jede der folgenden fünf Fragen beantworten kann, ohne nachzuschlagen:

Was kostet die Welt?

Welcher Sänger verbirgt sich hinter dem Namen Herbert Anton Hilger?

Wie teuer ist es, in Bulgarien über eine rote Ampel zu fahren?

Was stand in der ersten

SMS

?

Was hat Pablo Picasso mit dem Raub der

Mona Lisa

zu tun?

Das Schöne ist: Wenn Sie Cantz schön clever gelesen haben, dann können Sie diese fünf Fragen beantworten. Und noch viele mehr. Außerdem werden Sie vielleicht endlich in der Lage sein, mit einer Banane eine Bierflasche zu öffnen.

Viel Spaß also beim Lesen und Lernen! (Und Öffnen …)

Wer kürzer schreibt, hat mehr vom Leben

I.h.n.i.L.g.d.i.m.e.K.ü.A.s.w.

Bevor Sie das jetzt vergeblich googeln, verrate ich Ihnen, was es bedeutet: »Ich hätte niemals im Leben gedacht, dass ich mal ein Kapitel über Abkürzungen schreiben würde.«

In Zeiten von SMS und Twitter wundert sich niemand mehr über derart abstruse Abkürzungen. Aber noch vor ein paar Jahren hätte man einen solchen Buchstabensalat im Nachlass des Vaters aller Wortspiele, Alfred Mosher Butts, vermutet – frei nach dem Motto: »Was vom Scrabble übrig blieb.«

GUT ZU WISSEN

Der US-Ingenieur Alfred Mosher Butts entwickelte 1931 die erste Version des beliebten Brettspiels Scrabble. Bis 1948 wurde die Idee weiterentwickelt, verfeinert und schließlich zum Patent angemeldet. Seitdem verkaufte sich der Spiele-Klassiker über 100 Millionen Mal in mehr als 30 Sprachen. Auf den 102 Steinen der deutschen Scrabble-Ausgabe (100 Buchstaben- und 2 Blanko-Steine) kommen 10 Buchstaben jeweils nur einmal vor: Ä, Ö, P, Q, Ü, V, W, X, Y und Z. Damit sind folgende Wörter beim deutschen Scrabble unmöglich zu legen:

»Krähenmännchen«

»Möhrengröße«

»Papierpuppen«

»Südflügel«

»Aktivvermögen«

»Wildwechsel«

und natürlich türkische Lehnwörter wie »Blütgrüppe«, »Ründflüg« oder »Füßgüngür-Ünterführüng«.

Warum das Thema »Abk.« (das ist die Abkürzung für »Abkürzung«) wichtig ist, liegt auf der Hand: Unser Leben wird so oft von Buchstabenkürzeln durcheinandergebracht, dass eine Reise durch die Welt der Abbreviaturen (so die lateinische Bezeichnung) unvermeidlich ist. Am Ende werden Sie jedoch sehen: Eine Welt ohne Abkürzungen ist eine bessere Welt!

Glaubt man meiner Mutter, haben Abkürzungen schon sehr früh eine große Faszination auf mich ausgeübt: Nachdem ich im zarten Alter von elf Monaten mein erstes Wort gesprochen hatte, erzählte sie es überall in der Nachbarschaft herum. Auf die Frage, was genau ich denn gesagt habe, meinte meine Mutter voller Stolz: »Ob Sie es glauben oder nicht – mein Junge hat tatsächlich ›Auswärtiges Amt‹ gesagt!« Das war ihre Deutung. Ich hatte »AA« gesagt. Obwohl ich mich nicht mehr exakt an die Einzelheiten erinnern kann, bin ich mir relativ sicher, dass ich nicht »Auswärtiges Amt« gemeint hatte, genauso wenig wie »Assistenzarzt«, »American Airlines« oder »Anonyme Alkoholiker«, die auch alle mit dem Doppel-A abgekürzt werden. Zum Glück habe ich damals nicht »DSV« gebrabbelt, sonst hätte meine Mama noch mehr Deutungsmöglichkeiten gehabt: Deutscher Skiverband, Deutsche Saatveredelung, Deutsche Spiritistische Vereinigung, ganz zu schweigen vom Deutschen Sporthund Verband, dem Deutschen Schwimmverband und dem Düsseldorfer Segler-Verein.

So praktisch, platz- und zeitsparend Abkürzungen auch sein mögen, sie bergen immer auch die Gefahr in sich, missverstanden zu werden. Als Kind studierte ich einmal fasziniert eine Einladung zu einem Silvesterball, die an meine Eltern gerichtet war. Ich rätselte, was das abschließende geheimnisvolle Kürzel »u.A.w.g.« wohl heißen könnte. Bald war ich von folgender Bedeutung fest überzeugt: »Um Angehörige wird gebeten.« Hurra! Mein Bruder und ich durften mitkommen! Zu meinem Leidwesen klärten meine Eltern mich dann auf, dass sich dahinter das spröde »um Antwort wird gebeten« verbarg. Mein Bruder und ich mussten zu Hause bleiben und feierten Silvester mit unseren Großeltern, allerdings mit allem Drum und Dran: Wir schauten im Fernsehen Dinner for one, gossen Blei, aßen Würstchen mit Kartoffelsalat, durften ausnahmsweise sogar Cola trinken und taten auch sonst alles, um bis Mitternacht wach zu bleiben. Um 23.47 Uhr schliefen wir tief und fest. Alle vier.

Überhaupt waren die Einladungskarten meiner Kindheit ideale Lehrstücke zum Thema »Abkürzungen und was sie bedeuten«. Wir lebten im Kölner Stadtteil Porz-Lind und wurden deshalb hin und wieder zu Veranstaltungen der Gruppe LuLiNa eingeladen, hinter der sich die Karnevalsgesellschaft »Lustige Linder Nachbarn« verbarg. Gut, das mag provinziell klingen, ist aber immer noch besser als ein Abend bei LaLeLu (»Langweilige Leverkusener Luftpumpen«). Einmal bekamen wir eine Geburtstagseinladung eines Gründungsmitglieds von LuLiNa. Unter dieser Einladung stand: GDP. Damit waren die fröhlichen Rätselstunden für meinen Bruder und mich eröffnet: GDP? Was wollte uns der Autor damit sagen? Unsere Vorschläge waren vielfältig und reichten von »Gewerkschaft der Polizei« über »Grüß den Papst« bis hin zu »Getränke deutlich preisreduziert«. Aber alle drei Ansätze waren falsch – das behauptet zumindest bis heute der damalige Jubilar, Giovanni De Pasca.

Weiteren Kürzeln meiner Kindheit begegnete ich immer dann, wenn meine Mutter mit mir in die Stadt fuhr. Wer jemals mit dem ÖPNVM&M kauend zu C&A gefahren ist, weiß, was ich meine. Heute ist das für die Kids kein Thema mehr, für sie sind Abkürzungen eher der Normalfall als die Ausnahme. Für Jugendliche ist es vollkommen normal, auf dem PC einen MP3-Download von R.E.M. zu hören. Wobei ich sicher bin, dass längst nicht jeder moderne Computer-Nutzer weiß, was eigentlich hinter den vielen Abkürzungen steckt, mit denen er tagtäglich um sich wirft.

GUT ZU WISSEN

Abkürzungen aus der Computerwelt und was sie bedeuten:

USB: Universal Serial Bus (nicht zu verwechseln mit den Bussen des Reiseveranstalters Univers. Sie erinnern sich: Costa Brava und zurück für 99 Mark.)

DSL: Digital Subscriber Line (rückwärts gelesen in Deutschland übrigens verboten)

JPEG: Joint Photographic Experts Group (oder wie wir Laien sagen: »Computerbildchen«)

LAN: Local Area Network (lokales Netzwerk zum Datenaustausch; früher nannte man so etwas »Stammtisch«)

RAM: Random Access Memory (nicht zu verwechseln mit ROM: Hauptstadt von Italien)

Aber nicht nur die Computerbranche hat eine eigene, aus Abkürzungen bestehende Sprache. In einigen besonders abkürzungslastigen Fachgebieten fühle ich mich trotz des Buchstabentohuwabohus durchaus zu Hause, zum Beispiel in der Autowelt. Wer mir also einen GTI mit ABS und ESP als KFZ anbietet, der spricht meine Sprache. Bei anderen Fachjargons verstehe ich hingegen kein Wort. Heikel sind auch Kontaktanzeigen-Kürzel. Ihre sichere Beherrschung ist von Vorteil, wenn man sich nicht unversehens an den Füßen aufgehängt in einem mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Domina-Keller wiederfinden möchte, nur weil man dachte, SM-Liebhaber seien – wie man selbst – begeistert vom Kleinstaat San Marino.

Manchmal reicht schon der Blick in eine ganz normale Wohnungsanzeige, um eine Ahnung davon zu bekommen, was Abkürzungen so alles anrichten können. Als wir uns vor ein paar Jahren nach einem neuen Haus umschauten, blätterte meine Frau den Kleinanzeigenteil der Tageszeitung durch und rief: »Hör mal, Guido – das klingt doch prima: EFH, 5 ZKDB, EBK im EG, FBH, WG, DB im DG, und die KM ist auch OK!« Mein erster Gedanke: Wir werden vom Geheimdienst abgehört, meine Frau hat gerade noch rechtzeitig Wind davon bekommen, und jetzt redet sie in einer codierten, nur für uns beide bestimmten Geheimsprache, die fast vollständig auf Vokale verzichtet. Also flüsterte ich zurück: »‘ch h‘b‘ d‘ch v‘rst‘nd‘n, m‘‘n Sch‘tz. D‘r BND h‘t ‚ns‘r‘ W‘hn‘ng m‘t M‘kr‘ph‘n‘n v‘rw‘nzt. W‘r w‘rd‘n ’bg‘h‘rt, st‘mmts?« Jetzt war es meine Frau, die ratlos guckte: »Guido, hast du den Verstand verloren? Oder warum sprichst du plötzlich Tschechisch!?« Es dauerte eine Weile, bis wir unser Missverständnis aufgeklärt hatten. Als wir uns endlich wieder normal unterhalten konnten und uns auf die Anzeige meldeten, war das schöne Einfamilienhaus mit 5 Zimmern, Küche, Diele, Bad, mit Einbauküche im Erdgeschoss, Fußbodenheizung, Wintergarten, Duschbad im Dachgeschoss und einer Kaltmiete, die völlig okay war, leider schon anderweitig vergeben.

GUT ZU WISSEN

Mit dem Song MfG hat die Stuttgarter Hip-Hop-Band Die Fantastischen Vier dem Abkürzungswahn ein immerwährendes Denkmal gesetzt. Insgesamt zählte sie in 3 Minuten und 33 Sekunden unglaubliche 86 verschiedene Abkürzungen auf. Merken Sie sich das, falls Sie mal bei Günther Jauch sitzen und ausgerechnet danach gefragt werden, wenn es um die Million geht.

Ein paar wenige Ausnahmen im Abkürzungsuniversum sind Klassiker und werden als solche selbst von mir akzeptiert. Ich trinke zum Beispiel gerne O-Saft, schalte jeden Abend die ARD an und zahle folgerichtig regelmäßig Gebühren bei der GEZ. Wo Wortverstümmelungen den Alltag erleichtern, sind sie mir herzlich willkommen. Wo sie Chaos verursachen, allerdings nicht. Vielleicht liegt das an den traumatischen Erfahrungen mit Abkürzungen, die ich als Kind gemacht habe: Jedes Mal, wenn wir am ersten Tag der Weihnachtsferien mit dem Auto nach Österreich aufbrachen, sagte mein Vater kurz hinter Köln: »Kinder, wir sind gleich da. Ich kenne eine tolle Abkürzung.« Wir brauchten natürlich immer länger als ohne Abkürzung. Zweimal kamen wir sogar erst zu Dreikönig an. Und einmal gar nicht.

Seitdem versuche ich, jede Abkürzung im Zusammenhang mit Reisen zu umgehen. Aber das ist einfacher gesagt als getan. Erst recht, wenn man mit dem Flugzeug unterwegs ist, wie ich kürzlich erfahren musste. Dabei hatte ich mich so auf unsere erste richtige Fernreise als kleine Familie gefreut. Das Reiseziel hieß Mauritius. Zumindest, was uns drei betraf. Unser Gepäck hatte anscheinend eigene Pläne.

DAS GEHT JA GAR NICHT!

Jedes Jahr verschwinden weltweit auf den Flughäfen bis zu 50 Millionen Koffer. Damit liegen sie auf Platz 3 der Liste der am häufigsten verschwundenen Dinge, direkt hinter einzelnen Herrensocken und Hotelhandtüchern.

Als wir wohlbehalten auf Mauritius gelandet waren, warteten wir so lange am Kofferband, bis alle anderen Mitreisenden samt Gepäck den Flughafen verlassen hatten und wir mutterseelenallein in der Halle standen. Dann hörte ich, wie ich über Lautsprecher ausgerufen wurde.

»Schatz«, sagte ich, einer düsteren Ahnung folgend, »wir haben doch sicher alles wirklich Wichtige für die nächsten Tage im Handgepäck, oder?«

Die Augen meiner Frau begannen sich mit Tränen zu füllen, und als ich einen Blick auf unser einziges Stück Handgepäck warf, verstand ich, warum: Es war nur ein kleiner Rucksack.

DAS GEHT JA GAR NICHT!

Inhalt des Handgepäcks der Familie Cantz, Mauritius 2011:

1 Kinderbuch Tiere auf dem Bauernhof

1 (!) Babywindel

1 Paar Oropax

2 Taschenbücher Die Säulen der Erde von Ken Follett (hätten wir uns mal besser abgesprochen)

4 Reiseführer (Mauritius auf Schleichwegen, Mauritius erleben, Mauritius: Reisen mit Insider-Tipps, Richtig Reisen: Mauritius)

1 Sonderheft der Zeitschrift Eltern: Reisen mit Kindern– was unbedingt ins Handgepäck gehört

sowie keine Zahnbürste, kein Deo, keine Unterwäsche und kein Netzteil für unsere Mobiltelefone.

Die liebenswürdige Airline-Angestellte, die sich unseres Problems annahm, konnte Gott sei Dank fließend Deutsch. Dennoch schien die Dame mit fremder Zunge zu sprechen, als sie zum Kern des Problems vordrang: »Mr. Cantz, Ihre Koffer sind versehentlich nicht in MRU, sondern mit einem Zwischenstopp in LHR über DUB in BOM angekommen. Wir werden aber versuchen, Ihre Habseligkeiten binnen 48 Stunden über CMB mit Umladung in TNR hier nach MRU zu transportieren.«

Ich reagierte so, wie es sich für einen erfahrenen Kosmopoliten gehört: Ich suchte nach der versteckten Kamera, in deren Richtung ich lachend winken konnte. Denn ich war mir sicher: Dahinter steckten garantiert die Kollegen von Verstehen Sie Spaß?! Dabei benutzte sie nur IATA-Codes für die Flughäfen, die unser Gepäck besuchte (die Abkürzung IATA steht für »International Air Transport Association«). »Alles klar«, sagte ich schließlich und zuckte gottergeben mit den Schultern. »Sollten die Gepäckstücke überhaupt nicht mehr auftauchen, dann machen wir eben FKK in MRU!«

GUT ZU WISSEN

IATA-Codes internationaler Flughäfen und wie man sie sich merken kann:

DUS – Düsseldorf, Deutschland

Eselsbrücke: Man will’s vermeiden bis zum Schluss/doch manchmal geht’s nur über DUS.

AMS – Amsterdam Schiphol, Niederlande

Eselsbrücke: Wenn’s Haschisch knapp wird, bucht das Sams/’nen Erste-Klasse-Flug nach AMS.

FCO – Rom, Italien

Eselsbrücke: Am FCO macht Berlusconi/Bunga Bunga mit der Moni.

VCE – Venedig, Italien

Eselsbrücke: Dein Flugzeug stürzt in hohe See?/Dann bist du hier: in VCE!

ZRH – Zürich, Schweiz

Eselsbrücke: Man selbst fliegt weg, das Geld bleibt da/auf Wiedersehen, ZRH!

SVO – Moskau Sheremetyevo, Russland

Eselsbrücke: Herr Putin raucht im SVO/Zigarre auf dem Herrenklo.

Zwei Tage später tauchten unsere Koffer wieder auf, und es wurde noch ein richtig toller Urlaub. Das Wetter war herrlich, der Indische Ozean ein Traum, und außerdem hatten wir einen supernetten Reiseleiter. Als wir ihm die Sache mit unseren Koffern erzählten, lachte er nur und sagte: »Wenn ich schon überall gewesen wäre, wo mein Koffer gelandet ist, dann wäre ich schon lange HON.« Ich grinste überlegen, denn nach dem Debakel am Flughafen hatte ich alle IATA-Kürzel auswendig gelernt. Trotzdem, irgendwas kam mir merkwürdig vor: Was in aller Welt hatte Honduras damit zu tun?

GUT ZU WISSEN

HON ist die internationale Abkürzung für Honduras, ein Land in Mittelamerika. Es hat knapp acht Millionen Einwohner, grenzt im Südosten an Nicaragua, im Südwesten an El Salvador und im Nordwesten an Guatemala. Es ist zu 46% mit Wald be…

Moment mal! Unser Reiseleiter konnte sich ja wohl kaum als mittelamerikanische Bananenrepublik begreifen. Also recherchierte ich weiter.

GUT ZU WISSEN

HON bezeichnet die höchste Stufe der Glückseligkeit, zumindest, was das Vielfliegerprogramm der größten deutschen Fluggesellschaft betrifft. Diese Gesellschaft unterscheidet zwischen vier verschiedenen Vielfliegerstufen:

STANDARD: ab 1 Statusmeile. Vorteile: keine. Man reist also, wie bisher, eingekeilt auf dem Mittelsitz zwischen den beiden dicksten Mitreisenden, kann wählen zwischen Tomatensaft, Tomatensaft und Tomatensaft und wartet mindestens sieben Stunden auf seinen – selbstverständlich beschädigten – Koffer, der maximal 20 Kilo wiegen darf.

FREQUENTTRAVELLER: ab 35 000 Statusmeilen. Vorteile: u.a. Wartelistenpriorität, Freigepäckmenge 40 Kilo. Schon besser. 40 Kilo entsprechen vier proppenvollen Reisetaschen, acht Trolleys oder dem Schminkköfferchen von Lady Gaga.

SENATOR: ab 130 000 Statusmeilen. Der Senator-Status ermöglicht zwar nicht den Eintritt in den amerikanischen Kongress, wohl aber den Aufenthalt in den komfortablen Senator Lounges internationaler Flughäfen. Außerdem genießt man als Senator u. a. hohe Wartelistenpriorität und kann 60 Kilo Freigepäck mitnehmen, also beispielsweise den Reiseproviant von Reiner Calmund.

HONCIRCLEMEMBER: ab 600 000 HON-Circle-Meilen. Der Himmel auf Erden. Und auch der Himmel im Himmel: höchste Wartelistenpriorität, Limousinen-Service von und zum Flugzeug, Zugang zu den First-Class-Lounges, Buchungsgarantie bis 24 Stunden vor Abflug. Toll. Und wenn der eigene Koffer verloren geht, darf man sich wahrscheinlich einfach irgendeinen anderen vom Band nehmen. HON ist definitiv der privilegierteste Status von allen – wobei mir rätselhaft bleibt, wie man 600 000 Meilen zurücklegen kann, ohne in einem Airbus zu wohnen.

Sollte Ihnen auf dem Flughafen also jemand »HONDA« zurufen, dann kann es zwar sein, dass er Ihnen einfach nur sein neues Motorrad zeigen will. Wahrscheinlicher ist es aber, dass er Sie auf einen dieser privilegierten Überflieger aufmerksam machen möchte, der 50 Meter weiter ohne Bodenkontakt über den eigens für ihn ausgerollten roten Teppich schwebt. Ganz ehrlich: Ich beneide die HONs nicht. Sie müssen zwar nur mit ihrer schwarzen HON Circle Member Card wedeln, und alle Türen stehen ihnen offen. Aber wer braucht schon offene Türen – in 10 000 Metern Reiseflughöhe?

Während meine Frau und mein Sohn dann fröhlich in den warmen Wellen vor Mauritius plantschten, kümmerte ich mich um die Post für die Lieben daheim. Warum auch nicht? Ist ja einfach geworden. Ich erinnere mich noch an andere Zeiten: Früher setzte man sich am Urlaubsort in ein Café, breitete ungefähr 45 jungfräuliche Ansichtskarten vor sich aus, hatte aber leider keine Idee, was man schreiben sollte. Dann dachte man drei Stunden und elf Latte Macchiato lang fieberhaft über originelle und individuelle Grußbotschaften nach und schrieb dann 45-mal: »Wetter schön, viele Grüße.« Heute geht das viel flotter, denn die gute alte Postkarte ist längst von der guten alten SMS verdrängt worden. Das Schöne daran: Man darf nicht mehr als 160 Zeichen verwenden. Die Folge: Man muss wieder einmal Abkürzungen benutzen, und die Oma daheim versteht kein Wort.

GUT ZU WISSEN

Die erste SMS der Welt wurde am 3. Dezember 1992 vom US-Ingenieur Neil Papworth verschickt. Der Text lautete: »Merry Christmas« und war an einen Kollegen gerichtet, der sich gerade auf einer Weihnachtsfeier befand.

Vier Jahre später, 1996, wurden in Deutschland bereits 100 Millionen SMS pro Jahr verschickt. 2011 waren es 46 Milliarden. Allein die Hälfte davon dürfte Lothar Matthäus versendet haben – an verschiedene Nummern, aber immer mit dem gleichen Text: »Willst du mich heiraten?«

Für die Generation der Kids, die mit mobilen Handtelefonen aufgewachsen ist, sind Kürzel kein Problem. Im Gegenteil: Die jungen Leute können sich fast nur noch per SMS verständigen. Ein Riesengeschäft für die Anbieter, und das, obwohl sich die Schreiber so kurz wie möglich halten. Denn sie wissen: Ein einzelner Buchstabe kann teuer werden. 161 Zeichen kosten nämlich tatsächlich doppelt so viel wie 160 Zeichen. Darum heißt es längst nicht mehr »Zeit ist Geld«, sondern »Zeichen ist Geld«. Von meinem schwäbischen Vater habe ich gelernt, dass es löblich ist, seine Kohle beisammen zu halten, andererseits frage ich mich: Was bringt die ganze Sparerei, wenn einen niemand mehr versteht?

WIE GEIL IST DAS DENN?

»My smmr hols wr CWOT. B4, we used 2go2 NY 2C my bro, his GF & thr 3 :- FTF. ILNY, it‘s a gr8 plc.«

Diese 97 kryptischen Zeichen, die eine 13-jährige Schülerin aus England ihrer Lehrerin schickte, lösten bei der Empfängerin pure Ratlosigkeit aus: Die Pädagogin verstand rein gar nichts. Der komplette, insgesamt 199 teure Zeichen umfassende Text hätte gelautet: »My summer holidays were a complete waste of time. Before, we used to go to New York to see my brother, his girlfriend and their three screaming kids face to face. I love New York, it‘s a great place.« (»Meine Sommerferien waren die reinste Zeitverschwendung. Früher sind wir nach New York gefahren, um meinen Bruder, seine Freundin und deren drei schreiende Kinder zu besuchen. Ich liebe New York, es ist ein großartiger Ort.«)

Ich persönlich komme mit der aktuellen Kurzsprache nicht so gut klar. Als ich das erste Mal unter einer dringenden SMS-Anfrage meines Managements die Formel »Antwort ASAP« las, dachte ich noch: »Da hat jemand vergessen, die Tastensperre zu aktivieren, und sich dann auf sein Handy gesetzt.« Als ich ein halbes Jahr später meine Neugierde stillen wollte, wurde ich ausgelacht: ASAP bedeutet natürlich »as soon as possible« (so schnell wie möglich). Tja, schade eigentlich. Hätte ich das vorher gewusst, würde ich jetzt Wetten dass…? moderieren.

Damit mir so etwas nicht noch einmal passiert, habe ich die wichtigsten SMS-Akronyme auswendig gelernt. Beim Business-Kurztalk bin ich inzwischen auf einem guten Weg, jedoch weit davon entfernt, den Abkürzungfundus der Jugend zu verstehen, die auf dem besten Weg ist, sich sprachlich auf eine Stufe mit Pantoffeltierchen zu stellen.

GUT ZU WISSEN

SMS-Abkürzungen, die noch nicht jeder kennt:

SMS – Schreib mir schnell

FIB – Flugzeuge im Bauch

BIDUNOWA – Bist du noch wach?

HASE – Habe Sehnsucht

DUWIPA – Du wirst Papa!

WIDUMIHEI – Willst du mich heiraten?

FANTA – Fahre noch tanken

FKK – Fahre Kaugummis kaufen

HUND – Habe unten nichts drunter

KAMASUTRA – Knackiger, attraktiver Mann sucht Traumfrau

UNIMOG – Unglaublich nettes, intelligentes Mädchen ohnegleichen

Ohne SMS geht nix mehr. Vor allem, wenn man unangenehme Nachrichten übermitteln möchte, ist sie oft erste Wahl. So soll der ehemalige Verteidigungsminister Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg Bundeskanzlerin Angela Merkel per SMS von seinem Rücktritt informiert haben. Da die Kurzmitteilung von seinem Privathandy aus verschickt wurde, bleibt zu hoffen, dass er wenigstens die selbst geschrieben hat. Und auch in Liebesdingen kann eine Kurzmitteilung Brücken einreißen: Die wunderbare Liaison zwischen der begabten Schmuck-Designerin Sandy Meyer-Wölden und dem Teilzeit-Mercedes-Händler Boris Becker soll von ihr aus mit einer schlichten Kurzmitteilung beendet worden sein. Oder vielleicht hat Boris da auch nur etwas falsch verstanden. Wie auch immer. Den Inhalt – »Schluss mit Sandy!« – kürzte sie vermutlich mit »SMS!« ab.

Natürlich wurde aber auch schon zu meiner Schulzeit abgekürzt. Und damit meine ich nicht, dass einige Klassenkameraden ihre Schulzeit abkürzten, indem sie entweder eine Klasse übersprangen oder aber sich nach drei Ehrenrunden frühzeitig ins wahre Leben verabschiedeten. Ich meine die Abkürzungen, die mir im Religionsunterricht begegneten: Die Bibel ist eines der dicksten Bücher der Welt, und das, obwohl es darin von deutlich abgekürzten Worten nur so wimmelt.

Das wohl berühmteste Akronym der Bibel ist die Inschrift am Kreuze Jesu Christi: INRI. Dabei handelt es sich bekanntlich um die Anfangsbuchstaben der lateinischen Bezeichnung »Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum«, also: »Jesus von Nazareth, König der Juden«. Die Inschrift nannte den Betrachtern den Grund für die Bestrafung (causa poena) und sollte sie so davon abhalten, sich ein Vorbild an der bestraften Person zu nehmen. Bisweilen ist die Inschrift jedoch missverstanden worden als Vorname. So etwa von dem Typen, den ich einmal auf einem Kölner Flohmarkt beobachtete: Er interessierte sich für ein zum Verkauf angebotenes Kruzifix und fragte den Händler in breitestem Kölsch: »Hürens, Sportsfreund – watt kütt dä Inri?« (Hör mal, Sportsfreund: Was kostet der INRI?)

Eine weitere religiös motivierte Aneinanderreihung von Großbuchstaben brachte meinen Freund Ralf in Schwierigkeiten. Er war erst kurz zuvor aus dem recht säkularen Berlin nach Köln gezogen. Eines Tages rief er aufgeregt bei mir an: »Guido, ich muss hier wieder ausziehen! Das ist ein totales Asi-Viertel! Gestern Abend klingelte es bei mir an der Haustür. Da standen drei Jugendliche in merkwürdigen Klamotten und wollten Kohle von mir. Als die drei Figuren dann endlich wieder abzogen, schmierten die mir auch noch Graffitis über die Haustür! Ich glaub, es hackt!«

»Was hat die Gang denn über die Tür geschrieben?«, fragte ich.

Er schaute kurz nach und berichtete mir dann: »C+M+B und die Jahreszahl!«

»Ralf, nächstes Mal behandelst du die Sternsinger aber bitte etwas respektvoller.«

GUT ZU WISSEN

Die Sternsinger sind meist jugendliche Vertreter der örtlichen Pfarrgemeinden, die zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar, als die Heiligen Drei Könige verkleidet, von Haus zu Haus ziehen, um Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln. Dabei schreiben sie mit Kreide die Buchstabenkombination C+M+B sowie die jeweilige Jahreszahl an die Haustüren.

Die weitverbreitete Ansicht, die drei Buchstaben stünden für die Namen der Heiligen Drei Könige – also Caspar, Melchior und Balthasar – ist allerdings falsch. Tatsächlich bedeuten sie: »Christus Mansionem Benedicat«, also »Christus möge dieses Haus segnen«. Steht an einer Tür hingegen B+A+R, bedeutet das: »Hier gibt es was zu trinken, und vielleicht tanzen sogar nackte Frauen.«

Den größten religiösen Abkürzungssalat meiner Schulzeit verdanke ich dem Apostel Paulus. Er schrieb laut Bibel vierzehn Briefe an allerlei Adressaten: an die Römer, an die Philipper, an die Korinther und an viele andere. Man hat fast das Gefühl, jeder hätte einen Brief von Paulus erhalten. Heute nennt man das Spam. Unsere Aufgabe in der Schule war es nun, die Abfolge der Paulus-Briefe auswendig zu lernen. Zu diesem Zweck bastelten wir uns aus den offiziellen Kürzeln der Briefe einen rhythmischen Merkspruch. Der Spruch war so eingängig, dass ich ihn heute noch fehlerfrei aufsagen kann:

RÖ-KOR-KOR-GAL-EPH-PHIL-KOL

THESS-THESS-TIM-TIM-TIT-PHIL-HEB.

Vierzehn Silben für die Ewigkeit – meine persönliche Ausbeute aus vielen Jahren Religionsunterricht.

WIE GEIL IST DAS DENN?

Einige Paulus-Briefe und was heute drin stände:

RÖ – Brief an die Römer: »Überraschungs-Transfer! Miro Klose wechselt zu Lazio!«

GAL – Brief an die Galater: »Liebe Gala, wann bringt ihr wieder mal Caroline von Monaco auf dem Titel?«

PHIL – Brief an die Philipper: »Überraschung, Freunde: Nach euch wird eine TV-Serie mit einem Delfin benannt!«

TIM – Brief an Timotheus: »Sag mal, Timotheus: Ist dein Hund Struppius in der Nähe?«

KOR – Brief an die Korinther: »Müsli alle – schickt Rosinen!«

Von den vierzehn Briefen ist laut Bibelforschung übrigens höchstens die Hälfte von Paulus selbst verfasst worden. Immerhin ein größerer Eigenanteil als bei einer durchschnittlichen Doktorarbeit.

Apropos Doktorarbeit: Obwohl ich in Köln BWL … Entschuldigung, ich meinte Betriebswirtschaftslehre, studierte, habe ich weit vor einer möglichen Dissertation das Handtuch geworfen. Denn bei BWL musste ich mich permanent mit BGB, HGB, OHG, KG und GbR auseinandersetzen, so dass ich irgendwann meine Sachen packte und zum Abschied sagte: LMAA. Eine einzige Erkenntnis fürs Leben habe ich in sechs Semestern BWL gewonnen: GmbH bedeutet »Gesellschaft mit beschränkter Haftung« – und nicht »Geh mal Bier holen«.

Den absoluten Abkürzungs-GAU meines Lebens habe ich aber in der Zeit vom 1. Juli 1990 bis zum 30. Juni 1991 durchlebt: zwölf Monate Dienst am Vaterland. Und die ersten drei Monate davon in der General-Delius-Kaserne zu Mayen-Kürrenberg. Dort hatte ich mit neuen Herausforderungen wie der AGA (Allgemeine Grundausbildung) in der FmAkp3 (Fernmeldeausbildungskompanie Nummer drei – eine der wenigen Bezeichnungen, die selbst ich abgekürzt hätte!) zu tun. Und als wäre die Sprachverwirrung noch nicht groß genug gewesen, sollten wir angehenden Funker auch noch das NATO-Alphabet lernen. Ich dachte nur: »NATO-Alphabet? Wozu? Seit wann können Unteroffiziere schreiben?« Dummerweise hatte ich laut gedacht: Mein Vorgesetzter bekam alles mit. Das nächste Wochenende durfte ich dann allein in der Eifel-Kaserne verbringen, mit jeder Menge Zeit, intensiv über das NATO-Alphabet nachzudenken. Hier das Ergebnis:

GUT ZU WISSEN

Das NATO-Alphabet und die Interpretation des Gefreiten Cantz:

A – Alpha

italienischer Sportwagen, hätte ich damals lieber gefahren als meinen 81er Escort

B – Bravo

hat nichts mit der Bundeswehr zu tun – hier wurden andere Gazetten bevorzugt

C – Charlie

Neffe von Charlies Tante

D – Delta

Nichte von Deltas Tante

E – Echo

hörte ich oft im Innenohr, wenn mein Vorgesetzter mich anschrie

F – Foxtrot

getanzt wurde eher wenig

G – Golf

wir haben zwar Löcher gegraben, aber nicht auf dem Golfplatz, sondern im Wald – als Alarmstellung

H – Hotel

das Gegenteil von Kaserne

I – India

die ersten drei Silben von »Indianerreservat«

J – Juliett

Freundin von Romeo

K – Kilo

habe ich bei der Bundeswehr einige verloren

L – Lima

gefühlt sind wir öfter bis Peru marschiert

M – Mike

mein Stubennachbar

N – November

Zeit, sich über Weihnachtsgeschenke Gedanken zu machen

O – Oscar

mein anderer Stubennachbar

P – Papa

war so sehr Schwabe – der hat sich sogar den Wehrdienst gespart

Q – Quebec

Wort mit Q

R – Romeo

Juliets Stubennachbar

S – Sierra

brachte unsere Fahrgemeinschaft am Wochenende nach Hause

T – Tango

siehe Foxtrot

U – Uniform

findet man im Zivil-Leben unter K wie Klamotten

V – Victor

mein dritter Stubennachbar

W – Whiskey

im Spind, oberes Fach, ganz hinten rechts

X – X-Ray

strahlt wie ein Soldat bei der Entlassung

Y – Yankee

weit weg

Z – Zulu

noch weiter weg

Ganz ohne Hilfe des NATO-Alphabets wurde übrigens meine Bundeswehrzeit abgekürzt. Angetreten war ich noch zu fünfzehn Monaten Wehrdienst. Dann kam die deutsche Einheit, und mir wurden rückwirkend drei Monate geschenkt. Das war übrigens das letzte Mal, dass ich vom Staat etwas geschenkt bekam.

Schon nach zwölf Monaten war für mich die Zeit des Uniformtragens also vorbei, aber trotzdem habe ich das ganze Jahr lang auf eine ganz bestimmte Abkürzung gewartet. Leider habe ich sie nie hören dürfen. Sie lautet: »KZH bis DZE«. Für alle Zivilisten: »Krank zu Hause bis Dienstzeitende.«

Am Anfang des Kapitels sagte ich, dass ich mir nie hätte vorstellen können, ein Kapitel über Abkürzungen zu schreiben. Jetzt sind es fast 20 Seiten geworden. Immerhin bin ich meiner Chronistenpflicht nachgekommen: Sie wissen jetzt, wie viel Verwirrung durch Abkürzungen ausgelöst werden kann. Ich für meinen Teil werde in Zukunft, wenn es eben geht, auf Abkürzungen verzichten. Ich frage Sie, liebe Leser: Werden Sie es genauso machen?

u.A.w.g.

Das Beste von Gott

Ich war ein sehr gläubiges Kind. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mein Morgen- oder Abendgebet an IHN zu versäumen. Ich verehrte IHN mit Haut und Haar. Jedes Wochenende traf ich mich mit anderen Jüngern, um IHM zu huldigen. Ich kritzelte SEINEN Namen in meine Schulhefte, SEINE Bildnisse hingen an den Wänden meines Zimmers, sogar meine Bettwäsche erinnerte an IHN. Und heute? Heute sehe ich das Ganze ein wenig nüchterner. Das liegt zum einen daran, dass ich älter und reifer geworden bin. Hinzu kommt, dass ich IHN mittlerweile persönlich kennengelernt habe, und ich muss sagen: Hansi Müller ist total normal geblieben.

GUT ZU WISSEN

Das große Fußball-Idol meiner Kindheit und Jugend, Europameister Hansi Müller vom VfB Stuttgart, spielte von 1982 bis 1984 bei Inter Mailand. Während dieser Zeit veröffentlichte er gemeinsam mit dem Orchestra Spettacolo Raoul Casadei die italienische Single Calcio di rigore (Elfmeter). Hätte ich diese Scheibe bereits 1982 gehört, hätte ich mich vermutlich damals schon von meiner VfB-Stuttgart-Bettwäsche getrennt.

Als Deutschland 1980 mit Hansi Müller Europameister wurde, war ich acht Jahre, neun Monate und drei Tage alt (bis zum Teenager-Alter spielen exakte Altersangaben noch eine Rolle. Später verliert sich das. Normalerweise. Ich habe vor ein paar Jahren mal in einer Vormittagstalkshow eine ältere Frau gesehen, die der Überzeugung war, jünger auszusehen, als sie war. Nachdem sie sich lange zierte, verriet sie dem Publikum endlich stolz ihr wahres Alter: »Ich bin achtundfünfzigeinhalb!« Damit war sie der wahrscheinlich älteste gefühlte Teenie der Welt). Die Aufstellung der Mannschaft, die im Finale von Rom die Elf aus Belgien mit 2:1 bezwang, kann ich heute noch auswendig aufsagen: Hansi Müller natürlich, dann Toni Schumacher im Tor, Horst Hrubesch hat die beiden Buden gemacht, dann noch … äh … Kaltz und … noch sieben andere. Manche Götter verblassen mit der Zeit dann doch.

Und trotzdem war es für mich etwas sehr Besonderes, Hansi Müller 25 Jahre später persönlich zu treffen. Wie gesagt, der Hansi ist ein prima Kerl, und er ist Gott sei Dank (früher hätte ich gesagt »Hansi sei Dank«) mit beiden Beinen fest im Hier und Jetzt verankert. Wir haben sogar schon gegeneinander gekickt. Ein unvergessliches Erlebnis. Noch Wochen später dachte ich jeden Morgen beim Aufstehen zuerst an meine sportliche Begegnung mit Hansi Müller – und das lag nicht nur an der Adduktoren-Zerrung, die ich mir dabei zugezogen hatte.

Ich schaue immer noch gern Fußball und nehme immer noch lebhaft am Schicksal des VfB Stuttgart Anteil. Ich bin sogar Vereinsmitglied Nummer 33663, aber ich weiß mittlerweile zwischen dem Herrn Müller und dem Herrgott zu unterscheiden. Aber beides, Fußball und Religion, fasziniert mich gleichermaßen. Schon seit meiner Kindheit. Ob als VfB-Fan oder als Messdiener, ich fand beides toll – Hauptsache, ich konnte diese todschicken rot-weißen Vereinsklamotten anziehen. Und auch sonst habe ich viele Gemeinsamkeiten zwischen Fußballspielen und Gottesdiensten entdeckt: die gemeinsame Hoffnung, die verbindenden Gesänge, der in den Himmel gereckte Pokal. Es gibt natürlich auch Unterschiede: So riecht der Rauch in der Kirche nicht nach Feuerwerkskörpern, sondern nach Myrrhe. Außerdem gibt es keinen Abpfiff, sondern ein »Gehet hin in Frieden«. Und es werden Wein und Wasser statt Bier und Bratwurst gereicht.