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"Überdies haben die Einheimischen auch tödliche Furcht vor den Ziegenmelkern, die ihren Ruf an lauen Abenden hören lassen." H.P. Lovecraft: Das Grauen von Dunwich. Der junge Ornithologe Lino Troll findet bei einem Forschungsaufenthalt in Philadelphia durch Zufall zwei Kisten mit Tonbandaufnahmen im Keller der Academy of Natural Sciences. Er vermutet, dass diese von dem renommierten Vogelkundler James Bond stammen. Während Troll tagsüber in einem Naturkundemuseum seiner Arbeit als Präparator nachgeht, widmet er sich nachts dem mysteriösen Vogelstimmenarchiv, von dem außer ihm niemand weiß. Eines Tages wird er beauftragt, einen Ziegenmelker, Caprimulgus europaeus, zu präparieren und sieht darin einen unheilvollen Zusammenhang mit Bonds Vermächtnis. Die passionierte Tierbiologin Zelda, die ebenfalls im Museum arbeitet, hat ein ambivalentes Verhältnis zu ausgestopften Vögeln und kommt Troll unfreiwillig in die Quere. Und im Hintergrund treibt Dr. Fahrtmann, der Chef der beiden, sein zwielichtiges Spiel. Alle stehen plötzlich im Bann des unheimlichen Vogels, dessen seltsam mechanischer Ruf ihnen in den Ohren schnarrt. Sein Kreischen – so ein alter Aberglaube – ist zu hören, wenn er die Seelen der Sterbenden jagt. Patty Plain lebt und arbeitet in der Oberpfalz. Ihr Schreiben ist von Naturphänomenen jeglicher Spielart inspiriert. Die Erzählung "Caprimulgus" ist ihre erste literarische Veröffentlichung.
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Seitenzahl: 54
Copyright © Yellow King Productions 2022 Mario Weiß Neuöd - Gewerbepark 12a 92278 Illschwang E-Mail: [email protected] Web: www.yellow-king-productions.de
Autorin: Patty Plain Lektorat: Mario Weiß Cover: Axel Weiß, unter Verwendung des Aquarells „Caprimulgus europaeus“ von Johann Friedrich Naumann (1780-1857), Original im Naumann-Museum, Köthen, bei dem wir uns für die Abdruckgenehmigung herzlich bedanken. Foto Kapitel „Der Auftrag“: Fotograf: Hannes Grobe: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Telefunken_tonband_hg.jpg Foto Kapitel „Ausgewildert“: Fotografin: Jenny Th.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ziegenmelker#/media/Datei:Caprimulgus_europaeus_1200x855.jpg Fotos Kapitel „Präparate“ und „Epilog“ © Patty Plain Abbildungen Kapitel „Johann Friedrich Naumann“: Porträt Johann Friedrich Naumann: Kreidelithographie von Albert Waldow sen. © Naumann-Museum Köthen Johann Friedrich Naumann: „Caprimulgus europaeus“ Kupferstich, © Naumann-Museum Köthen E-Book: Axel Weiß
Die sogenannten Ziegenmelker, welche einer größeren Amsel ähnlich sind, stehlen bei Nacht, denn am Tage können sie nicht sehen. Sie dringen in die Ställe der Hirten und fliegen nach den Eutern der Ziegen, um die Milch zu saugen. Durch diese Gewalttätigkeit stirbt das Euter ab, und die so gemolkenen Ziegen werden blind.
Gaius Plinius Secundus: Naturalis historia Liber X 26 lvi 115
Überdies haben die Einheimischen auch tödliche Furcht vor den Ziegenmelkern, die ihren Ruf an lauen Abenden hören lassen.
H.P. Lovecraft: Das Grauen von Dunwich
Und, schlimmer noch, ich bin sentimental. Ich rede mit Vögeln. Ein Großteil meines Zeit- und Ortsgefühls ist für mich mit besonders merkwürdigen Momenten und Fragmenten aus der nichtmenschlichen Welt verbunden. Ich trinke ein Gläschen auf die erste Schwalbe, ich habe irgendwo ein Tonband mit einer Nachtigall, die ich bei dichtem Nebel aufgenommen habe, um sie einer fernen Freundin am Telefon vorzuspielen.
Richard Mabey: Die Heilkraft der Natur
Ist Schreiben nicht immer ein Temperaturwechsel, Schock des Unerwarteten? Man öffnet eine Tür, tastet sich in ein dunkles Zimmer und dreht die Heizung auf. Oder eine Schnapptür fällt zu, Nebel umgibt einen, aus dem Nebel steigt Panik. Ist das der Kühlraum?
Ursula Krechel: Geisterbahn
Glasbausteine hatten mich schon als Kind fasziniert. Stundenlang konnte ich im Reihenhaus meiner Großeltern auf dem Fußboden sitzen und das Spiel der Lichtstrahlen beobachten, die von außen durch die Glasfront in das Treppenhaus eindrangen und sich in der gewellten Oberfläche brachen. Ich dachte mir Geschichten aus, die in der Unendlichkeit schwarzer Galaxien spielten. In der Dunkelheit war ich der Held mit dem Lichtschwert. Ich rettete Tiere, die zu wissenschaftlichen Zwecken mit Sonden in den Weltraum geschossen und ausgesetzt worden waren. Mein besonderes Augenmerk galt schon damals den Vögeln. Denn für sie endeten die Ausflüge in den Weltraum besonders tragisch. Wenn sich die Klappen der Raumsonden öffneten wie die von Taubenschlägen, schwangen sie sich übermütig in die Lüfte, nicht ahnend, dass die Schwerkraftverhältnisse hier andere waren und der starke Sog der Magnetfelder für sie tödlich. Einzig der Strahl meines Lichtschwerts konnte die tödliche magnetische Wirkung neutralisieren.
Keine Sekunde hatte ich gezögert, als mir der alte Stoschenowsky diese notdürftig zur Wohnung umgebaute, ehemalige Werkstatt angeboten hatte. Eine breite Front von teils schon blinden Glasbausteinen trennt den Loft-ähnlichen Raum vom Hinterhof. Nicht gerade eine ästhetische Offenbarung. Die Siebziger lassen grüßen. Aber sehr großzügig geschnitten, offener Wohn-Ess-Kochbereich, ähnlich wie in den schicken Neubauwohnungen, nur improvisierter, mit einer Nirosta-Küchenzeile und einem langen, mit Resopal beschichteten Esstisch. Die Miete ist selbst für hiesige Kleinstadtverhältnisse lächerlich gering und Stoschenowsky einfach froh, dass jemand den Flachbau bewohnt und regelmäßig heizt und lüftet. Er ist Fernseh- und Radiomechaniker, Meister seines Fachs und konkurrenzlos, seit im Ort die ersten Schwarzweiß-Röhrengeräte in jedem Haushalt angeschafft wurden. Diese Zeiten sind natürlich längst vorbei und Stoschenowsky schon im Rentenalter. Hie und da nimmt er noch kleine Aufträge an. Ein paar alte Geräte stehen immer noch in einem zur ehemaligen Werkstatt gehörenden Abstellraum, einige mit geöffneten Rückseiten, die den Blick auf ein Innenleben mit Bildröhren, Drähten und Leiterplatten freigeben.
Ich bin froh hier einen Rückzugsort gefunden zu haben, der abseits der kleinbürgerlichen Wohnidyllen liegt. Ich habe überhaupt keine Lust, am Abend oder am Wochenende Kollegen aus dem Institut über den Weg zu laufen. Geschweige denn Fahrtmann. Der hat unglücklicherweise einen Narren an mir gefressen und ist ganz versessen darauf, mich für seine dubiosen wissenschaftlichen Projekte einzuspannen.
Meine Sammlung ist hier jedenfalls bestens aufgehoben. Niemand weiß, dass ich im Besitz des Vogelstimmenarchivs von James Bond bin. Nein, nicht von 007, sondern dem des Ornithologen James Bond, dem der Spion seinen Namen verdankt.
Vor etlichen Jahren war ich in Philadelphia, wo Bond sein gesamtes Leben verbracht und als Vogelkundler gewirkt hatte, auf zwei Kartons mit Magnettonbändern gestoßen, als ich dort im Naturkundemuseum ein paar Wochen lang für meine Doktorarbeit forschte. Im Kellerdepot konnte ich vollkommen unbeaufsichtigt die unterschiedlichsten Vogelpräparate untersuchen, sowohl ausgestopfte Exemplare als auch in absinthgrün gefärbtem Spiritus konservierte Vogelgehirne und -innereien. Es ging dort nicht sehr streng zu, was die konservatorischen Standards anbelangte, und auch der Umgang mit forschenden Besuchern war eher lässig. Man musste sich nicht einmal in ein Besucherbuch eintragen und auch keinen Nachweis dafür erbringen, an welchem Institut man studierte. Da es noch dazu sehr beengt war in diesen an Katakomben erinnernden Kellerräumen, stieß ich ständig gegen Kisten, die in den schmalen Gängen gelagert waren. In einem Anflug von Neugierde öffnete ich schließlich eine davon. Sie enthielt rund dreißig Tonbänder, die allesamt beschriftet waren. Beim Überfliegen dieser Beschriftungen ahnte ich schon, dass ich auf einen ornithologischen Schatz gestoßen war. Es gab nur leider weit und breit kein Abspielgerät. Und ich fand beim besten Willen, meine Erkenntnis zu teilen, niemanden, den ich auf den Fund ansprechen konnte. Alle Museumsmitarbeiter, denen ich davon erzählen wollte, wimmelten mich schroff ab. Der Aufbau einer neuen Ausstellung mit aus Südamerika angelieferten Exponaten dauerte länger als geplant, daher lagen die Nerven blank. Der Eröffnungstermin stand kurz bevor, die gesamte wissenschaftliche und politische Prominenz war eingeladen und eine Blamage konnte man sich nicht leisten, sonst würden keine Forschungsgelder mehr fließen.
Ich sah es jedoch als meine wissenschaftliche Pflicht an, diese wertvollen Bänder der Vergessenheit zu entreißen und vor dem Verfall zu schützen. Und so schmuggelte ich schließlich Abend für Abend immer einige davon in meinem Rucksack aus dem Institut und hortete sie in meinem Studentenappartement. Ich rechtfertigte diesen faktischen Diebstahl vor mir selbst, indem ich mir einredete, dass mein Appartement auf jeden Fall klimatisch geeigneter sei als das feuchte Kellerdepot des Museums. So wuchs sich mein Schmuggel mit jedem weiteren Tonband in meinem Kopf zu einer geheimen Mission aus.