Carabin & Die Wiener Secession - Kolja Kramer - E-Book

Carabin & Die Wiener Secession E-Book

Kolja Kramer

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Beschreibung

Die Kunst der französischen Moderne erreichte Wien mit großer Verspätung und inmitten der Luegerzeit, die von Spannungen zwischen Tradition und Neuerung geprägt war, aber auch von salonfähigem Antisemitismus und Deutschnationalismus. Wie organisierten die Wiener Secessionisten und ersten Präsidenten der jungen Vereinigung Engelhart, Moll und Bernatzik mit welchem Netzwerk die Ankunft des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde? Wie sah das Beziehungsnetz aus, das sie dafür aufbauten und nutzten? Der Autor zeigt dies nach eingehenden Recherchen und anhand vieler, teilweise bis dahin noch nicht in die Kunstgeschichte aufgenommener Originaldokumente aus jener Zeit und stellt dabei einen wichtigen, bislang von der Kunstgeschichtsschreibung nicht beachteten Mittelsmann in den Vordergrund: François-Rupert Carabin. Seine Rolle als Mitglied und Delegierter der Wiener Secession in Paris bei der Ankunft des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde in Wien um 1900 wird hier erstmals kunsthistorisch umfassend erfasst und gewürdigt.

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Die Rolle des Delegierten im Beziehungsnetz der Wiener Secession bei der Ankunft des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde in Wien um 1900

Wie die Wiener Secessionisten Carabin, Engelhart, Moll und Bernatzik Werke von Bonnard, Degas, Denis, Manet, Monet, Pissarro, Renoir, Signac, Sisley, Morisot, Toulouse-Lautrec, Vallotton, Vuillard etc. für Wien organisierten

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Die Rolle von Engelhart, Moll und Bernatzik im Beziehungsnetz Carabins

Zwischen Tradition und Moderne: Engelhart, Moll und Bernatzik auf dem Weg zu Impressionismus und Secession

Die Rolle Klimts im Beziehungsnetz Carabins

Gegentendenzen zur internationalen Ausrichtung und Nationalismus in der Wiener Secession am Beispiel Alfred Rollers

Delegierte für Wien in Paris: Eine Wiener Künstlerhaus-Tradition in der Wiener Secession

Carabin und die junge Wiener Secession: Ein früher Kontakt

Wer war Francois Rupert Carabin?

Netzwerk und Verbindungen Carabins in die Pariser Avantgarde-Szene

Kunsttheoretischer Hintergrund der praktischen Tätigkeiten Carabins für Wien

Carabins frühe Bemühungen um Kunst von Monet für Wien

Carabin und die erste Präsenz von Pissarro, Renoir und Toulouse-Lautrec in Wien

Carabin und die erste Präsenz von Signac in Wien

Carabin und die erste Präsenz von Degas in Wien

Abwesenheit französischer Moderne in der Wiener Secession unter Roller

Carabin und die Impressionismus-Ausstellung der Wiener Secession von 1903

Unterstützung für Carabin durch Bernatzik in Berlin

Nach der Impressionismus-Ausstellung von 1903: Ausblick und Schlussbemerkung zur Bedeutung Carabins für Wien um 1900

Anhang

Abkürzungen / Archivalien

Gründungsmitglieder der Wiener Secession

Präsidenten und Arbeitsausschussmitglieder der Wiener Secession 1897-1903

Funktionen von Bernatzik, Engelhart, Jettel, Klimt, Moll, Myrbach, Roller während Ausstellungen der Wiener Secession 1897-1903

Mitglieder des Arbeitsausschusses einschließlich Präsidenten der Wiener Secession 1897 und Hinzukommende 1897 bis 1903

Arbeitsausschussmitglieder und Präsidenten der Wiener Secession,

die in Paris gelebt haben

Alle „Correspondirenden“ Mitglieder (CM) der Wiener Secession aus Frankreich zum Zeitpunkt der I. Ausstellung der Wiener Secession (Stand März 1898)

Alle Werke französischer Künstler in den Ausstellungen der Wiener Secession I-XVI 1898-1903

Bearbeitete Korrespondenz Carabins

Ausstellungkataloge der Wiener Secession 1898-1903, KWS I-XVI

Abbildungsverzeichnis und Credits

Auswahlbibliografie

Anmerkungen

Abb. 1 Charles Maurin Porträt von François-Rupert Carabin 1892, Öl auf Leinwand, 45 x 37 cm

Vorwort

Vor etwa zwei Dekaden ist mir im Rahmen meiner Beschäftigung mit der Ankunft des französischen Impressionismus in Wien um 1900 und mit dem Netzwerk, das diese Ankunft ermöglichte, eine Person aufgefallen, die offensichtlich bis dahin in der Forschung zu diesem Thema vergessen worden war: François Rupert Carabin. Im Auftrag der Wiener Secession war dieser französische Künstler als auswärtiges Mitglied und Delegierter der Wiener Secession im damaligen europäischen Zentrum der Moderne Paris für die Beschaffung von Werken für die Wiener Secession um 1900 zuständig.

Nachdem ich bereits 2003 auf dessen Rolle für die Wiener Secession und für die Ankunft des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde in Wien um 1900 verwiesen habe, wurde in der Folgezeit das Thema bis heute nicht aufgegriffen und in die Tiefe gehend behandelt. In der Literatur zum Thema Wien um 1900 fehlte Carabin weiter und in der Carabin-Forschung ging man seiner Funktion und Bedeutung für Wien um 1900 ebenfalls nicht nach. Um diese kunstgeschichtliche Lücke zu füllen, habe ich vorliegende Publikation verfasst und führe damit der Kunstgeschichte einen weiteren Mittelsmann zwischen Paris und Wien zu, der auch beteiligt war, die französische Moderne um 1900 nach Wien zu bringen.

Die folgenden Institutionen und Personen haben wichtige Informationen, Dokumente einsehbar gemacht und Bildmaterial zur Verfügung gestellt und mich in den letzten Jahren unterstützt. Ihnen gilt dafür mein besonderer Dank: Wladimir Aichelburg, ehemals Künstlerhaus, Wien; Österreichische Galerie Belvedere, Wien; Astrid Bonnet, Musée Crozatier, Le Puy-en-Velay; Paul-Louis Durand-Ruel, Durand-Ruel et Cie., Paris; Barbara Gatineau, Musée d'Art Moderne et Contemporain, Straßburg; Stephan Hellms, Alte Nationalgalerie, Berlin; Sarah Herring, National Gallery, London; Thomas Lassen, Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen; Tina Lipsky, Wiener Secession, Wien; Teresa Luger, Wien Museum, Wien; Metropolitan Museum of Art, New York; David Murphy, Clark Art Institute, Williamstown; National Gallery of Art, Washington; Paul Rachler, ehemals Wiener Secession, Wien; Rudi Risatti, Theatermuseum, Wien; Margarete Szeless, ehemals Wiener Secession, Wien; Claudia Thwaites, National Gallery, London; Robert Wein, Stadtmuseum, Berlin.

Für das Lektorat bin ich Ilsabe Dielewicz zu größtem Dank verpflichtet, ohne die die Fertigstellung dieses Buches nicht möglich gewesen wäre. Bei meiner Partnerin bedanke ich mich für das wichtige Erstlektorat, vor allem aber für die guten Gespräche und ihre kontinuierliche Begleitung während dieses Buchprojekts. Darüber hinaus bedanke ich mich bei meinem Vater und meinen Kindern für ihre beständige Unterstützung, Geduld und vielen lieben Worte.

Wien, 15. März 2024

Abb. 2 Unbekannt Ansicht Wiener Secession um 1915, Lichtdruck auf Karton Ansichtskarte Wiener Kunstverlag E. Schreier

Einleitung

Mit vorliegender Publikation wird auf François Rupert Carabin (1862-1932) als Persönlichkeit aufmerksam gemacht, die um 1900 ein wichtiges Bindeglied zwischen Paris und Wien für die Verbreitung des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde war. Carabin war einer der Hauptakteure des Beziehungsnetzes für die Ankunft dieser Kunst in Wien um 1900. Diese Bedeutung Carabins für den Themenkreis Wien um 1900 wurde bislang nicht genügend erfasst und gewürdigt, was den Anlass zu diesem Buch gegeben hat.1

Carabin ist insbesondere wegen seiner erotischen Holzschnitzkunst an Möbelstücken und seiner kuriosen Kunstwerke berühmt geworden und gilt im kunstgeschichtlichen Rückblick als einer der wichtigsten Kunsthandwerker, Möbeldesigner und Bildhauer seiner Zeit. Er lebte und arbeitete in Paris, war aber auch Mitglied der Wiener Secession und hat dort immer wieder ausgestellt, im hier bearbeiteten Zeitraum 1897 bis 1903 in der I., II., VII., VIII. und XVI. Ausstellung der Wiener Secession.2

Diese Publikation ist aber nicht dem Künstler Carabin, sondern dem Delegierten und Kunstmanager gewidmet, der als Mitglied der Wiener Secession damit beauftragt war, in Paris französische Kunstwerke für die Ausstellungen der Wiener Secession zu beschaffen.3

Weil in dieser Publikation nicht vertiefend auf die Kunst und einzelne Werke des Künstlers Carabins eingegangen wird, wurde sie neben den Abbildungen von Werken französischer Impressionisten und Avantgardisten durchgehend mit Abbildungen ausgewählter Arbeiten Carabins ausgestattet, so dass sich die Leserin beim Lesen beiläufig einen sinnlichen Eindruck vom künstlerischen Werk Carabins verschaffen kann.

Im Folgenden wird sich besonders darauf konzentriert, welchen Anteil Carabin daran hatte, dass im Zeitraum von der Gründung der Wiener Secession am 3. April 1897 bis zum Höhepunkt dieser Zuwendung, der großen Impressionismus-Ausstellung, der XVI. Secessionsausstellung Die Entwicklung des Impressionismus in der Malerei und Plastik des Jahres 1903, Werke der „Klassiker“ des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde, der für Wien neuen französischen Moderne, in der Wiener Secession gezeigt wurden. Der Arbeitsausschuss der Wiener Secession bezeichnete im von ihm verfertigten und unterfertigten Vorwort des Katalogs zur Impressionismus-Ausstellung als „Klassiker“ Edgar Degas (1834-1917), Edouard Manet (1832-1883), Claude Monet (1840-1926), Camille Pissarro (1830-1903), Auguste Renoir (1841-1919), Paul Cézanne (1839-1906), die in der Ausstellung alle zusammen in der Abteilung Der Impressionismus gemeinsam mit Berthe Morisot (1841-1895) und Alfred Sisley (1839-1899) vertreten waren, die ebenfalls zu den „Klassikern“ gezählt werden können.4 Alle anderen Künstler seien, so schreibt es der Arbeitsausschuss im Vorwort, von diesen „Klassikern“ beeinflusst: „Nun gelangen wir zu den klassischen Meistern des Impressionismus, welche mit umfangreichen Kollektionen vertreten sind: Manet, Renoir, Claude Monet, Degas, Pizzarro, Cézanne. Sie haben das Sehen, die künstlerische Anschauung der Welt vom Grunde aus revolutioniert, die gesamte Produktion ist mehr oder weniger von ihnen beeinflusst.“5 Neben diesen Klassikern wurden viele Arbeiten anderer herausragender Künstler der französischen Avantgarde, wie Pierre Bonnard (1867-1947), Maurice Denis (1870-1943), Paul Gauguin (1848-1903), Vincent van Gogh (1853-1890), Théodore Roussel (1847-1926), Georges Seurat (1859-1891), Paul Signac (1863-1935), Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901), Édouard Vuillard (1868-1940) und Félix Vallotton (1865-1925), dem Wiener Publikum vorgestellt – in den meisten Fällen zum ersten Mal in Wien.6

Ausstellungskataloge und andere lediglich auf die tatsächliche Präsenz in Wien verweisende Primär- und Sekundärquellen spiegeln nur wider, was im Ergebnis realisiert worden ist. Wünsche, Intentionen und Bemühungen können aus solchen Quellen nicht abgelesen werden. Bereits im Jahre 2000 habe ich im Rahmen meiner wissenschaftlichen Forschungen in der Wiener Secession größtenteils handschriftliche Korrespondenz von Carabin mit der Wiener Secession aus dem Zeitraum 1899 bis 1906 gefunden und abgeschrieben. Diese 29 Dokumente sind in die kunstgeschichtliche Forschung außer meiner Arbeit des Jahres 2003 bis heute noch nicht eingegangen, obgleich sie für die Impressionismus-, Carabin- und Wien um 1900-Forschung wichtig sind.7 Denn aus dieser Korrespondenz Carabins werden neben der längst bekannten tatsächlichen Präsenz von Kunstwerken der französischen Impressionisten und Avantgardisten in der Wiener Secession auch Wünsche, Intentionen und Bemühungen der jungen Künstlervereinigung um Künstler und Kunstwerke sichtbar, welche die Ausstellungskataloge der Wiener Secession und andere Quellen nicht aufzeigen. Die Korrespondenz Carabins an die Wiener Secession gibt uns heute Aufschluss über das innere Wollen der jungen Vereinigung und darüber, dass die Wiener Secession schon früher als die Ausstellungskataloge, andere Dokumente und die Publikationen zum Thema uns heute vermitteln, Kunstwerke der französischen Impressionisten und Avantgardisten dem Wiener Kunstpublikum zeigen wollte und sie sich schon etwas früher und intensiver als bislang angenommen um Werke dieser bemüht hat. So ergab die Bearbeitung der Korrespondenz Carabins beispielsweise, dass Carabin im Auftrag der Wiener Secession unter Josef Engelhart als Präsident bereits im Jahre 1899 für die Wiener Secession versucht hat, Monet für die Entsendung von Kunstwerken in die Ausstellungen der Wiener Secession zu gewinnen. Die Ausstellungsteilnahme Monets im Jahre 1899 scheiterte aber am mangelnden Interesse an Wien als Ausstellungsort des über die gesamte Kunstproduktion von Monet verfügenden Pariser Kunsthändlers Paul Durand-Ruel (1831-1922), der sich von Wien zu wenig Verkäufe versprach. Der Wiener Kunstmarkt erschien ihm im Vergleich zu Paris, Berlin und anderen Orten als unattraktiv.8 Schon diese nach der Beschäftigung mit Carabin und seiner Beziehung zur Wiener Secession rekonstruierbare erste kleine Kunst-Geschichte um Monet, die aus der Carabin-Korrespondenz hervorgeht, zeigt, dass der Kunstgeschichte hinzugestellt werden muss, dass, wenn es allein nach dem Wunsch der Wiener Secession gegangen wäre, man in der Wiener Secession nicht erst 1903, sondern schon um 1899/1900 französischen Impressionismus von Claude Monet hätte sehen können.9 Andere Anekdoten, die sich aus vorliegender Beschäftigung mit Carabin und seiner Beziehung zur Wiener Secession ergeben haben, bestätigen diese frühen Bemühungen innerhalb der Wiener Secession um Werke der bedeutendsten Meister der französischen Moderne.

Abb. 3 François-Rupert Carabin Ballerina ca. 1897-1898, rotes Wachs, 21 x 9 x 13 cm

Die Auseinandersetzung mit Carabin und seiner Arbeit für die Wiener Secession zeigt, dass die Geschichte der bewussten Zuwendung zu den genannten Klassikern gegenüber deren tatsächlicher erster Präsenz in den Ausstellungen der Wiener Secession zurückdatiert werden muss, durch die Carabin-Korrespondenz nachweislich mindestens auf das Jahr 1899.10 Das ändert zwar noch immer nichts an einer sehr späten Zuwendung Österreichs zum französischen Impressionismus und zur französischen Avantgarde. Aber durch die Beschäftigung mit Carabin als Delegiertem der Wiener Secession in Paris wird immerhin klar, dass man sich schon in der Anfangszeit innerhalb der Wiener Secession – gemeinsam mit dem dafür eigens zuständigen Carabin in Paris – um frühere und stärkere Präsenz der französischen Moderne in Wien zumindest bemüht hat als bisher bekannt. Die meiste diesen wichtigen Zusammenhang bestätigende Korrespondenz zwischen Carabin und der Wiener Secession fällt in die Periode der ersten bewussten Zuwendung zu Originalwerken der bedeutendsten französischen Impressionisten und Avantgardisten in Wien überhaupt, der allersten Präsenz von Monet im Wiener Künstlerhaus im Jahre 1898 bis zur großen Impressionismus-Ausstellung in der Wiener Secession im Jahre 1903, in der schließlich Werke aller eingangs erwähnten Klassiker vorläufig zum letzten Mal in der Wiener Secession zu sehen waren, bis erst 1925 wieder französischer Impressionismus und französische Avantgarde im Haus der Wiener Secession gezeigt wurden.11 Die in der Wiener Secession erhalten gebliebene, für diese Publikation vollständig bearbeitete Korrespondenz Carabins an die Wiener Secession wurde von ihm in den Jahren zwischen 1899 und 1906 geschrieben.12 Während in seiner Korrespondenz mit der Wiener Secession viele Namen der genannten Klassiker zu finden sind, enthalten seine wenigen nach der Impressionismus-Ausstellung von 1903 an die Wiener Secession geschickten Briefe diese Namen nicht mehr. Zudem gibt es dann auch keinerlei Anzeichen mehr für eine Bemühung Carabins um diese Künstler für die Wiener Secession. In diesen späteren Schreiben Carabins geht es nur noch um seine eigene Ausstellungspräsenz als ausstellender Künstler mit seinen eigenen Werken in der Wiener Secession. Die fehlende Präsenz der Repräsentanten der französischen Moderne in der Korrespondenz Carabins mit der Wiener Secession nach der Impressionismus-Ausstellung von 1903 deckt sich damit, dass es danach schlagartig in der Wiener Secession keine Präsenz der erwähnten Klassiker der französischen Impressionisten und Avantgardisten mehr gegeben hat – bis zum Jahre 1925. Erst 65 Ausstellungen später wurde mit der 82. Ausstellung Die führenden Meister der französischen Kunst im XIX. Jahrhundert 1925 in der Wiener Secession diese Kunst wieder gezeigt.

Abb. 4 Edgar Degas Tänzerinnen in Rosa zwischen den Kulissen 1884, Öl auf Leinwand, 38 x 44 cm

Schon 1903 hat der Arbeitsausschuss – etwa drei Dekaden nach der Ankunft des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde in Paris mit ihrer ersten großen Gruppenausstellung von 1874 in den Räumlichkeiten des Fotografen Nadar (eigentlich Gaspard-Félix Tournachon, 1820-1910) – in seinem Vorwort zum Katalog der Impressionismus-Ausstellung erkannt: „Heute ist Impressionismus etwas Selbstverständliches – Historisches.“13 Weitere 22 Jahre später muss dann selbst den Wienerinnen diese Kunst wahrhaftig historisch, wenn nicht gar altmodisch vorgekommen sein.14 Die Ausstellung fand zwar noch in den Räumlichkeiten der Wiener Secession statt, veranstaltet wurde sie jedoch nicht mehr von der immer noch bestehenden Wiener Secession selbst, sondern vom Wiener Verein der Museumsfreunde. Praktisch organisiert und umgesetzt haben diese Ausstellung nicht Mitglieder der Wiener Secession, sondern im Wesentlichen der Ausstellungsmacher der Jahrhundertwende Carl Moll (1861-1945), der im Jahre 1925 bereits seit zwanzig Jahren kein Mitglied der Wiener Secession mehr war. 1905 war Moll mit insgesamt 24 Künstlern der Wiener Secession aus der Vereinigung ausgetreten, die heute meist als „Klimtgruppe“ bezeichnet werden und seinerzeit auch von Moll so genannt wurden.15 Neben Klimt war aber ebenso Carl Moll die treibende Kraft hinter dem Austritt dieser Gruppe, weshalb sie Engelhart damals als „Moll-Partei“ bezeichnet hat.16 Nach seinem Austritt aus der Wiener Secession wandte sich Moll dem französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde nicht mehr für die Wiener Secession zu, sondern für die schon seit 1904 von ihm künstlerisch geleitete kommerzielle Galerie Miethke.17

Abb. 5 Pierre-Auguste Renoir Balletttänzerin 1874, Öl auf Leinwand, 94 x 142 cm

Hatte die Wiener Secession Carabin als Delegierten in ihrer Frühzeit bis zur Impressionismus-Ausstellung von 1903 noch beauftragt, Kunstwerke der hervorragendsten Klassiker des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde zu beschaffen, so kamen diese organisatorischen Aktivitäten Carabins für die Wiener Secession einhergehend mit dem offensichtlich generellen Schwinden des Interesses der Wiener Secession an der Kunst dieser Künstler nach der Impressionismus-Ausstellung von 1903 zum Erliegen.

Vorliegende Publikation verschweigt nicht, dass es innerhalb der Wiener Secession neben Zuwendung zu Impressionismus und Avantgarde aus Frankreich auch Gegentendenzen gegeben hat. Nationalismus und Antisemitismus der Luegerzeit in Wien um 1900 waren auch in der Wiener Secession präsent. Das führte dazu, dass es Vorbehalte gab und Kunst von Ausländern nicht immer von allen Wiener Secessionisten gewollt war und deshalb Carabin nicht durchgehend für die Wiener Secession Kunst aus Frankreich beschaffte.

Die Beschäftigung mit Carabin und seiner Beziehung, insbesondere seiner Korrespondenz mit der Wiener Secession in der Zeit bis zur Impressionismus-Ausstellung von 1903, erlaubt uns heute einen wunderbaren Einblick in die Arbeit Carabins für die Wiener Secession. Seine handgeschriebenen Briefe von 1899 bis 1903 zeigen auf sehr persönliche, authentische und nachvollziehbar menschliche Weise, mit welchen Herausforderungen Carabin konfrontiert gewesen ist und welche Erfolge und Misserfolge er bei seinen Tätigkeiten für die Wiener Secession gehabt hat, als er sich in Paris für Wien um die Beschaffung von Werken der in Paris um 1900 längst arrivierten herausragendsten Meister bemühte. Im Ergebnis konnten dank der Unterstützung Carabins viele Werke der gewünschten Künstler in der Wiener Secession gezeigt werden. Dass der Delegierte Carabin bei seinen Bemühungen, für die Wiener Secession die gewünschten französischen Werke zu beschaffen, nicht allein war, liegt auf der Hand. Carabin war weder der einzige noch der wichtigste, aber doch einer der wichtigsten Protagonisten innerhalb des Beziehungsnetzes, das sich um die Beschaffung von Werken für die Präsenz des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde in Wien um 1900 einsetzte.

* * *

Die Rolle von Engelhart, Moll und Bernatzik im Beziehungsnetz Carabins

Im Folgenden wird nicht nur gezeigt, wie wichtig der Delegierte François Rupert Carabin (Abb. 1, 96) in Paris mit seinen Möglichkeiten und Grenzen für die Wiener Secession und die Ankunft des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde in Wien um 1900 war, sondern auch, wer die anderen Hauptakteure waren. Ohne deren Beteiligung und ihr Zusammenspiel wäre die erreichte Anzahl an Werken der französischen Impressionisten und Avantgardisten in der Wiener Secession um 1900 nicht möglich gewesen. Carabin war also Teil eines Beziehungsnetzes, das die Ankunft dieser Kunst in Wien ermöglichte.

In diesem Beziehungsnetz gab es Protagonisten innerhalb und außerhalb der Wiener Secession. Die Hauptpersonen innerhalb der Wiener Secession waren jeweils die Hauptverantwortlichen der jungen Künstlervereinigung, also vor allem Mitglieder des Arbeitsausschusses und der Hängekommission der Wiener Secession, die für das verantwortlich waren, was in der Wiener Secession jeweils gezeigt werden sollte und was schließlich gezeigt wurde.18 Bei diesen Mitgliedern des Arbeitsausschusses und der Hängekommission, die jedes Jahr neu zusammengesetzt wurden, handelte es sich mit Ausnahme des Sekretärs der Wiener Secession um Künstler, die für die Wiener Secession temporär als Künstlerfunktionäre, Kunstmanager und Organisatoren tätig waren und die Geschicke der Wiener Secession leiteten.

Die Hauptpersonen außerhalb der Wiener Secession waren vor allem Künstler, Kunsttheoretiker, Kunsthistoriker, Kunsthändler, Privatbesitzer und Sammler. Im Folgenden werden wir immer wieder von allen lesen, zunächst wenden wir uns aber konkret den Hauptakteuren innerhalb der Wiener Secession zu, die den französischen Impressionismus und die französische Avantgarde in der Wiener Secession sehen wollten, sich für die Beschaffung von Werken dieser Kunst einsetzten und mit denen Carabin zu diesem Zweck in Verbindung stand.

Den Aktivitäten Carabins als Beauftragter der Wiener Secession in Paris musste etwas vorausgegangen sein. Es muss Auftraggeber in der Wiener Secession gegeben haben, die konkret das wollten, was Carabin ihnen beschaffen sollte: hervorragende französische Kunst der Moderne. Ohne diese Personen innerhalb der Wiener Secession wäre Carabin als Organisator dieser Kunst aus Frankreich nicht in Erscheinung getreten, weshalb es hier wichtig ist, auf diese Personen, die Carabins Einsatz für Wien gebraucht haben, etwas näher einzugehen, um seine Tätigkeiten in Paris für Wien und im bestehenden Beziehungsnetz für die französische Moderne besser einordnen zu können.

Abb. 6 Josef Engelhart Loge im Sophiensaal 1903, Öl auf Leinwand, 100 × 95 cm

Wer also waren die Ansprechpersonen für die Beschaffung von französischen Kunstwerken innerhalb der Wiener Secession? Von wem kamen innerhalb der Wiener Secession die Wünsche, die Aufträge, was Carabin in Paris für die Ausstellungen beschaffen sollte? Das mussten zum einen Mitglieder der Wiener Secession sein, die Interesse an französischer Kunst und konkret am französischen Impressionismus und an französischer Avantgarde hatten. Und zum anderen mussten diese Mitglieder innerhalb der jungen Vereinigung mit genügend Macht und Einfluss ausgestattet sein, sodass sie ihre Interessen innerhalb der Vereinigung geltend machen und in Ausstellungen umsetzen konnten.

Dies waren, wie bereits angedeutet, die jeweils im Arbeitsausschuss und in der Hängekommission tätigen Hauptakteure der jungen Vereinigung und allen voran die hochaktiven Gründungsmitglieder, ersten Präsidenten und Vizepräsidenten Josef Engelhart (1864-1941; Abb. 6, 7, 9, 14, 17, 141), Carl Moll (1861-1945, Abb. 8, 16, 22, 23, 24, 29) und Wilhelm Bernatzik (1853-1906; Abb. 19, 20, 21), die bis zur großen Impressionismus-Schau von 1903 die wichtigsten Hauptakteure waren.

Sie waren die aktivsten Kunstmanager und Ausstellungsmacher der jungen Vereinigung, wenn es um französische Kunst für die Wiener Secession ging. Einzig mit diesen dreien korrespondierte Carabin direkt – neben seinen sonstigen Schreiben an Franz Hancke. Dieser war Sekretär der Wiener Secession, wie der Kunsthändler Paul Cassirer (1871-1926) für die Berliner Secession, von dem wir später noch viel hören werden.19 Franz Hancke war im Sekretariat der Wiener Secession erste Anlaufstelle und besonders für den Verkauf von Kunstwerken zuständig, was bereits im Ausstellungskatalog der allerersten Ausstellung der Wiener Secession des Jahres 1898 kommuniziert wurde: „Die Preise sind jederzeit im Secretariat zu erfragen. Der Verkauf der Kunstwerke wird ausschliesslich durch den Secretär der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, Franz Hancke, vermittelt. Ein Drittel des Kaufpreises wird bei Abschluss des Kaufes als Anzahlung, der Rest mit Schluss der Ausstellung erbeten. Die Sendung der verkauften Kunstwerke erfolgt nach Schluss der Ausstellung auf Rechnung und Gefahr des Käufers. Über alle Anfragen betreffs der Vereinigung wird im Secretariat bereitwillig Auskunft erteilt. Der Eingang in das Secretariat, wie in das Zimmer der Zeitschrift `Ver Sacrum´ ist vom Saale X am rechten Flügel.“20 Die Ausstellungen der Wiener Secession waren stets Verkaufsausstellungen. Die Vereinigung erhielt gemäß ihren Statuten vom Verkaufspreis eines jeden verkauften Kunstwerks immer einen Anteil von zehn Prozent.21 Das konnte Carabin bei seiner Akquisition von Kunstwerken potenziellen Einbringern mitteilen, was besonders für Kunsthändler wichtig zu wissen war.

Abb. 7 Josef Engelhart Selbstbildnis ca. 1885, Öl auf Leinwand, 58,7 x 39,6 cm

Seine aus seiner Korrespondenz ersichtlichen Kontaktpersonen innerhalb der Wiener Secession, vor allem Engelhart, Moll, Bernatzik und Hancke, spielten auf der Wiener Seite im Beziehungsnetzwerk für die Ankunft der Klassiker des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde die wesentliche Rolle. Besonders durch deren Engagement, ihre Vorarbeiten, Vorbereitungen und Einflussnahmen wurde schließlich die Präsenz der französischen Impressionisten und Avantgardisten in Wien um 1900 ermöglicht.22 Diese Protagonisten, die mit Ausnahme von Sekretär Hancke selbst als Künstler von der französischen Moderne inspiriert malten, richteten sich in Bezug auf die von ihnen gewünschte französische Kunst, die Carabin für die Wiener Secession beschaffen sollte, ganz nach dem Paragraph zwei der Statuten der Wiener Secession, wenn sie gemäß diesem Paragraph über Carabin den Kontakt mit „hervorragenden fremdländischen Künstlern“ suchten und „die bedeutendsten Kunstleistungen fremder Länder“ heranziehen wollten. Die Statuten der Wiener Secession konnte jeder schon im Katalog zur allerersten Ausstellung nachlesen oder auch im ersten Heft Ver Sacrum, der eigenen Zeitschrift, dem Organ der Wiener Secession: „§1 Die Vereinigung Bildender Künstler hat sich die Förderung rein künstlerischer Interessen, vor allem Hebung des Kunstsinnes in Österreich zur Aufgabe gestellt. §2 Diese will sie dadurch erreichen, dass sie die im In- und Auslande lebenden österreichischen Künstler vereinigt, einen lebhaften Contact mit hervorragenden fremdländischen Künstlern anstrebt, ein vom Marktcharakter freies Ausstellungswesen in Österreich begründet, auf ausländischen Ausstellungen österreichische Kunst zur Geltung bringt und zur Anregung des heimischen Schaffens und zur Aufklärung des heimischen Publicums über den Gang der allgemeinen Kunstentwicklung die bedeutendsten Kunstleistungen fremder Länder heranzieht.“23

Abb. 8 R. Krziwanek Porträt Carl Moll ca. 1880, Foto auf Albuminpapier, 10,7 × 6,5 cm

Zur „Hebung des Kunstsinnes in Österreich“ und zur „Anregung des heimischen Schaffens und zur Aufklärung des heimischen Publikums über den Gang der allgemeinen Kunstentwicklung und die bedeutendsten Kunstleistungen fremder Länder“ haben unter ihrer Präsidentschaft Engelhart, Moll und Bernatzik im Ergebnis schließlich in der Wiener Secession auch dank der Mitwirkung Carabins in Paris tatsächlich derartige Werke der „hervorragenden“ französischen Künstler des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde beschaffen können.

Zur Umsetzung der in den Statuten verankerten hohen Ziele hatte man den in Paris lebenden, gut vernetzten Carabin nicht nur als Mitglied und ausstellenden Künstler, sondern auch als Delegierten der Wiener Secession in Paris gewinnen können, der direkt vor Ort speziell für die Beschaffung französischer Kunstwerke eingesetzt war. Man traf sich auch persönlich, vor allem aber korrespondierte man brieflich miteinander, und Carabin berichtete der Wiener Secession jeweils aus Paris von seinem Vorankommen bei der Beschaffung französischer Kunstwerke von den gewünschten Künstlern für die Ausstellungen der Wiener Secession.

In der Wien-um-1900-Forschung wird gelegentlich auf die wichtige Rolle Engelharts bei der Künstlergewinnung und Kunstwerksbeschaffung im Ausland für die Wiener Secession hingewiesen, zunehmend auch auf die von Carl Moll und seltener auf die von Wilhelm Bernatzik. Die Beschäftigung mit Carabin und seinen Aktivitäten für die Beschaffung von Werken der Hauptvertreter des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde für die Wiener Secession hat aber gezeigt, dass gerade in der überwiegenden Zeit, in der Engelhart, Moll und Bernatzik nicht in Paris waren, der Kontakt zwischen der Wiener Secession und der Pariser Impressionismus- und Avantgardeszene, vor allem zu den dortigen Künstlern, Kunsthändlern und Kunstsammlern, über den Delegierten der Wiener Secession Carabin gelaufen ist.

Fünf der ersten fünfzehn Mitglieder des Arbeitsausschusses der Wiener Secession der ersten Jahre bis 1899 hatten schon vor der Gründung der Wiener Secession in Paris gelebt – teilweise zeitgleich: Franz Hohenberger (1867-1941, in Paris von 1891-1893), Eugen Jettel (1845-1901, in Paris von 1875-1897), Felician Myrbach, Baron von Rheinfeld (1853-1940, in Paris von 1881-1897), Wilhelm Bernatzik (1853-1906, in Paris von 1880-1897) und Joseph Engelhart (1864-1941, in Paris von 1890-1893).24 Für die I. Ausstellung waren als Mitglieder des Arbeitsausschusses Adolf Böhm (1861-1927), Engelhart und Moll in der Hängekommission, für die II. und III. Engelhart, Jettel und Moll, für die IV. Rudolf Bacher (1862-1945), Jettel und Moll, für die V. Bacher, Engelhart und Koloman Moser (1868-1918). Der Anteil der Funktionäre, die Ausrichtung und Ausstellungen in der Frühzeit der Wiener Secession bestimmten und die gleichzeitig französischer Kunst, französischem Impressionismus und französischer Avantgarde positiv gegenüberstanden – darunter die Präsidenten Engelhart (1899/1900), Moll (1900/1901) und Bernatzik (1902/03) – war bedeutungsvoll.25

Neben Bernatzik, der in den Jahren 1880 bis zum Gründungsjahr der Wiener Secession 1897 in Paris gelebt hat und auf den wir im Zusammenhang mit der späteren Impressionismus-Ausstellung von 1903, der XVI. Ausstellung der Wiener Secession, die unter seiner Präsidentschaft stattfinden sollte, zurückkommen werden, hat auch der zweite Präsident der jungen Wiener Secession, Josef Engelhart, in Paris gelebt.26 Engelhart war zum ersten Mal im Jahre 1889 in Paris, nachdem er originale Werke französischer Künstler im Jahr 1888 im Wiener Künstlerhaus gesehen hatte, die ihn so stark beeindruckt hatten, dass er nach Paris reiste und von dieser Reise mit dem festen Vorsatz nach Wien zurückkehrte, in der französischen Kunstmetropole einige Jahre zu leben, was er sich in den Jahren 1890 bis 1893 ermöglichte. Engelhart erinnert sich: „Im Jahre 1888, auf der Internationalen Ausstellung, sah ich zum ersten Male Werke ausländischer Künstler. Außer den damals berühmten Deutschen Leibl, Lenbach, F. A. Kaulbach, Defregger, Knaus, Menzl machten auf mich die spanischen Historienbilder von Pradilla, Casado usw. und vor allem die Franzosen großen Eindruck. Der Geschmack, der sich in allen ihren Bildern auf verschiedene Weise äußerte, zeugte von großer formaler Sicherheit. Da ich in dieser Richtung bei mir selbst instinktiv einen gewissen Mangel verspürte, folgte ich meiner jahrelangen Sehnsucht und unternahm im Jahre 1889 einen Ausflug nach Paris: Ich kehrte mit dem festen Vorsatz zurück, einige Jahre dort zuzubringen.“27

Engelhart kehrte tatsächlich wenig später nach Paris zurück. Gleich im nächsten Jahr war er 1890 wieder in Paris: „Zwei Jahre später (1890) ging Engelhart nach Paris, um die neuesten Entwicklungen in der Malerei kennenzulernen. In der französischen Hauptstadt fand er spontan Aufnahme im deutschen Künstlerkreis. In dieser Runde trafen sich Künstler wie Ribarz, Munkácsy und andere. Mit dem österreichischen Landschaftsmaler Eugen Jettel verband ihn eine innige Freundschaft. Dieser Bohemien-Zirkel traf oft im Hause Jettel zusammen: Man unterhielt sich köstlich, diskutierte lebhaft und teilte seine neuesten Kunsterfahrungen [...]. Engelhart führte mit vielen französischen Künstlern Fachgespräche, um deren Maltechniken, deren Bildaufbau und Themen nachvollziehen zu können. Toulouse-Lautrec lernte er persönlich kennen, vom Oeuvre dieses Künstlers war er tief beeindruckt. Die Entdeckung dieser neuen Themenkreise faszinierte ihn, ja bannte ihn. Hier traf er auf einen Meister in Ausdrucken der nackten Wirklichkeit [...]. Engelhart befand sich im Zentrum der `modernen Malerei´. So lernte er diejenige Sehweise kennen, die die impressionistische Malweise hervorgerufen hatte [...]. Aufgrund des Erlebens der impressionistischen Malweise erschienen Engelhart seine bisher gemalten Bilder grau und farblos. Auf seiner Terrasse über den Dächern von Paris versuchte er, das Pariser Leben in dieser Malweise einzufangen. Im Jahre 1893 kehrte er mit seiner neuen Kunstauffassung nach Wien zurück und präsentierte eine neue, vom Impressionismus geprägte Malweise.“28 In den Jahren danach ist Engelhart immer wieder auf Reisen in Paris gewesen. Engelhart hat auf seinen Akquisitionsreisen besonders in den Jahren 1897 bis 1899 die meisten Künstler als „Correspondirende“ Mitglieder für die neue Wiener Secession gewinnen können, wie er selbst berichtet und Oehring 2009 zusammenfasste: “Zwischen 1897 und 1899 stellt Engelhart seine künstlerische Tätigkeit weitgehend ein und erklärt die künstlerische und wirtschaftliche Entwicklung der Wiener Secession zu seiner `Herzenssache´. Seine Sprachgewandtheit, Weltläufigkeit und vor allem die Kontakte zu internationalen Künstlern prädestinieren ihn für diese Aufgabe. Er bereist Deutschland, Frankreich, England und Belgien, um die ersten Ausstellungen der Wiener Secession vorzubereiten und dafür die vorhandenen Kontakte zu vertiefen und neue herzustellen. […] Im Frühjahr 1899 (bis April 1900) übernimmt Engelhart von Gustav Klimt erstmals die Präsidentschaft der Secession. Seine rege Reisetätigkeit bleibt weiterhin ungebrochen. […] Im Oktober berichtet Engelhart aus Paris dem Arbeitsausschuss der Secession (Ver Sacrum 3 (1900) 1). Er informiert die Kollegen über seine Auswahlkriterien für die fünfte Ausstellung (15. November 1899 – 1. Jänner 1900), die der Grafik gewidmet ist.“29 Engelhart selbst erinnert sich an seine Reisetätigkeit für die Wiener Secession wie folgt: „Als ich von meiner Reise zurückkam, dampfte mir der Kopf. Hatte ich doch 20.000 Bilder anschauen müssen! Aber mit dem Ergebnis konnte ich zufrieden sein. Fast alle Künstler, die ich aufgesucht hatte, waren für die Secession gewonnen.“30

Carl Moll, Vizepräsident unter Klimt 1897/98 und Präsident des Jahres 1901, hat im Unterschied zu den anderen Präsidenten Engelhart und Bernatzik selbst nie in Paris gelebt, war aber im Zuge der vom 15. April 1900 bis 12. November 1900 stattfindenden Pariser Weltausstellung (Abb. 10a, 10b) im Frühjahr 1900 zum ersten Mal in Paris – als vom Wiener Kultusministerium bestimmtes Mitglied des vorbereitenden Komitees der Pariser Weltausstellung, dem auch Josef Engelhart, Edmund von Helmer (1850-1935), Otto Wagner (1841-1918, Abb. 11, 12) und Gustav Klimt (1862-1918) angehörten.31 Nachdem er sich während dieser Zeit immerhin für vier Wochen in Paris aufgehalten hatte, schrieb Moll über diesen Paris-Aufenthalt später in seinen Erinnerungen: „Fünf österreichische Delegierte für den Sektor `Bildende Kunst´ hatten Gelegenheit Paris zum ersten Mal zu sehen, Paris zu erleben. Ich war einer der Glücklichen. Wir hatten vier Wochen Zeit, darunter war kaum eine mit Arbeit ausgefüllt. Da drei der Delegierten mehr zum Studium des Lebens wie zu dem der Kunst disponiert, die uns vom Staat zur Verfügung gestellten Mittel mehr als reichlich sind, kommen wir bald in die Lage, uns über Pariser Restaurants und Vergnügungsstätten ein Urteil zu bilden. Obwohl wir es auch nicht ganz versäumten, auch die Sammlungen des Louvre zu besuchen, war uns zum Schlusse der Unterschied von Moet-Chandon und Mumm etwas extra dry klarer wie der Unterschied von Tintoretto`s Wiener `Susanna´ mit jener des Louvre.“32

Abb. 9 Josef Engelhart Waldsee-Badende ca. 1896-97, Öl auf Leinwand, 70 x 100 cm

Während ihrer Präsidentschaft waren also Engelhart und Moll und später auch Bernaztik in Paris und arbeiteten daran, Künstler aus dem Ausland als sogenannte „Correspondirende“ Mitglieder (CM) für die Wiener Secession und französische Werke für ihre Ausstellungen zu gewinnen.

Der in Paris lebende Carabin war einer der Künstler, die schon zur allerersten Ausstellung der gerade gegründeten Wiener Secession im Jahre 1898 als ausländische „Correspondirende“ Mitglieder und ausstellende Künstler teilnahmen. Er stellte zwei Holzschalen aus, Die Courtisane und Arachne, und Die Serpentinentänzerin aus Bronze.33 Gründungsmitglied war Carabin nicht, da Gründungsmitglieder nur „Ordentliche“, nicht aber „Correspondirende“ Mitglieder aus dem Ausland sein konnten.

Weder die vom Arbeitsausschuss im Vorwort des Katalogs zur XVI. Ausstellung der Wiener Secession erwähnten wichtigen Klassiker der Abteilung Der Impressionismus Manet, Renoir, Monet, Degas, Pissarro, Cezanne noch Sisley oder Morisot waren „Correspondirende“ Mitglieder der Wiener Secession und dies, obwohl die Wiener Secession gemäß ihrer Statuten Paragraph zwei ein großes Interesse an „hervorragenden fremdländischen Künstlern“ und „bedeutendsten Kunstleistungen fremder Länder“ hatte und die von der Wiener

Abb. 10a Unbekannt Pariser Weltausstellung 1900 mit Eiffelturm und Globe Céleste ca. 1900, Foto aus Stereofotografie, 8,5 x 17,5 cm

Abb. 10 b Unbekannt Pariser Weltausstellung 1900 mit Eiffelturm 1900, Foto aus Stereofotografie, ca. 8,5 x 17,5 cm

Abb. 11 Otto Wagner Österreichischer Doppeladler (Entwurf für die Präsentation der Hofgartendirektion auf der Weltausstellung Paris 1900) 1900, Feder auf Transparentpapier 45,2 x 36,5 cm

Abb. 12 Otto Wagner Plan einzelner österreichischer Abteilungen der Pariser Weltausstellung Paris 1900, 1900, Zeichnung auf Papier, o.A.

Secession im Ausstellungskatalog selbst als „Klassiker“ bezeichneten französischen Impressionisten und Avantgardisten in der Wiener Secession zweifelsohne zu diesen „hervorragendsten fremdländischen Künstlern“ gezählt wurden.34

Der Neoimpressionist Signac und die hervorragendsten Vertreter der „Jüngsten Generation“ der französischen Avantgarde waren auch keine „Correspondirenden“ Mitglieder: weder Bonnard, Denis, Roussel noch Toulouse-Lautrec, Vuillard oder Valloton, zudem Gaugin nicht, der kurz nach der Impressionismus-Ausstellung am 8. Mai 1903 verstorben ist. Von den vielen durch Werke vertretenen Künstler der Impressionismus-Ausstellung von 1903 waren lediglich Théo van Rysselberghe (1862-1926), Pierre Puvis de Chavannes (1824-1898) und Auguste Rodin (1840-1917) „Correspondierende“ Mitglieder der Wiener Secession.35

Im Falle der auf der großen Impressionismus-Ausstellung der Wiener Secession 1903 mit Werken vertretenen hervorragenden Künstler wie Renoir (gest. 1919), Degas (gest. 1917), Monet (gest. 1926), Bonnard (gest. 1947), Pissarro (gest. 1903, 13. November), Signac (gest. 1935), Sisley (gest. 1899) und Toulouse-Lautrec (gest. 1901) muss es dafür andere Gründe gegeben haben, als im Falle von Seurat (gest. 1891), Manet (gest. 1883), die schon vor der Gründung der Wiener Secession 1897 gestorben waren und deshalb gar keine „Correspondirenden“ Mitglieder der Wiener Secession mehr werden konnten. Es bleibt bis heute auffallend, dass die meisten der berühmtesten Künstlerpersönlichkeiten des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde nicht „Correspondirende“ Mitglieder der Wiener Secession wurden. Und das, obgleich Engelhart nachweislich persönlich Kontakt aufgenommen oder sie teils sogar persönlich aufgesucht hat, wie im Falle Renoirs (Abb. 13, 109, 110, 140), wovon Engelhart in seinen Erinnerungen schreibt: „Mit Schmerz und Trauer erfüllte mich mein Besuch bei dem großen Renoir, dessen frühe Werke koloristisch und geschmacklich einen hervorragenden Platz in der französischen Kunst einnehmen. Als ich das Atelier betrat, saß der alte Mann an der Staffelei und arbeitete. Seine gekrümmte Gestalt war trotz des Sommerwetters in dicke Decken gehüllt, sein Blick traurig und müde. Seine Hände, von der Gicht ganz verzogen und voll von Beulen, konnten Pinsel und Palette nicht mehr halten. Er ließ sich den Pinsel anbinden und näherte ihn zitternd der Leinwand. Auf der Staffelei hatte er einen jener blühenden Frauenkörper begonnen, die er gegen Ende seines Lebens gern malte.

Abb. 13 Auguste Renoir Badende 1893, Öl auf Leinwand, 92,4 × 74 cm

Sein unbeugsamer Wille zur Arbeit und seine körperliche Ohnmacht wirkten so erschütternd, dass ich fast nicht imstande war, das Wort an ihn zu richten. Für unsere Wiener Ausstellung steuerte Renoir sein entzückendes Meisterwerk `Die Loge´ bei.“36

Die Gründe dafür, dass wir Renoir und die vielen anderen der damals noch lebenden und aus heutiger Sicht zu den allerwichtigsten zählenden Impressionisten und Avantgardisten in den Mitgliederlisten der Wiener Secession vergebens suchen, sind bislang noch nicht bekannt. Dieser Umstand, dass zwar viele andere, aber eben nicht diese Künstler aus dem französischen Ausland Mitglieder der Wiener Secession waren, erscheint uns heute wenig nobilitierend für die Wiener Secession – besonders vor dem Hintergrund, dass Monet, aber auch Degas, Pissarro und Vallotton sehr wohl Mitglieder der etwas jüngeren, am 2. Mai 1898 gegründeten Berliner Secession waren, „Ausserordentliche (Correspondierende)“ Mitglieder, wie die ausländischen Mitglieder der Berliner Secession hießen.37

Da zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern der Wiener Secession nicht das gleiche Nahverhältnis wie zwischen „Ordentlichen“ und „Correspondirenden“ Mitgliedern bestand, war die Beschaffung von Kunstwerken der nicht mit der Wiener Secession durch Mitgliedschaft eng verbundenen französischen Künstler für die Wiener Secession umso schwieriger und die Zusammenarbeit mit Carabin in Paris umso wichtiger, wenn gemäß Wiener Secessions-Statuten Paragraph zwei die „bedeutendsten Kunstleistungen fremder Länder“ von „hervorragenden fremdländischen Künstlern“ aus Paris ganz unabhängig vom Mitgliedschaftsstatus der betreffenden Künstlerinnen beschafft werden sollten.

Bei seinem vierwöchigen Aufenthalt 1900 in Paris hat Moll seinen Secessionskollegen Carabin nachweislich getroffen. Zu dieser Zeit arbeitete Carabin längst eng mit der Wiener Secession für die Beschaffung der französischen Kunstwerke zusammen. Im Brief vom 14. April 1900 berichtet Carabin Sekretär Hancke, dass er Moll in Paris getroffen habe, und zwar, als Moll zur Installation der österreichischen Präsenz auf der Weltausstellung in Paris war: „J`ai vu Mr Moll et Moer à Paris. Ces messieurs s`occupent très activement de l`installation de l`Exposition Universelle.“38 Nachdem Moll seit der Gründung der Wiener Secession bis zum 13. Mai 1899 unter dem Präsidenten Klimt Vizepräsident der Wiener Secession gewesen war, hatte er, als er im April 1900 Carabin in Paris traf, unter Engelhart als Präsident außer seiner einfachen Mitgliedschaft keine offizielle Funktion inne, weder im Arbeitsausschuss noch in der Hängekommission. Im selben Monat, in dem er Carabin in Paris traf, wurde er aber Präsident der Vereinigung (30. April 1900 bis 30. April 1901).39

Der amtierende Präsident Engelhart war zur Zeit der Paris-Reise im April 1900 ebenfalls österreichischer Delegierter der Pariser Weltausstellung, er kannte seinen Secessionskollegen Carabin zu dieser Zeit schon und war persönlich mit ihm bestens verbunden, worauf später noch näher eingegangen wird.40

Nach der Abreise der österreichischen Delegierten aus Paris 1900 verließen sich die für die Ausstellungen der Wiener Secession Hauptverantwortlichen weiter auf Carabin, der in ihrer Abwesenheit die gewünschte Kunst aus Paris für sie zu organisieren hatte. In seiner Korrespondenz hielt Carabin sie über sein Vorankommen informiert, blieb aktiv, beschaffte Werke und koordinierte die nach Wien abgehenden Werke mit dem Transportunternehmen Michell & Kimbel.

* * *

Abb. 14 Josef Engelhart Frau im Garten 1900, Öl auf Leinwand, 120 x 65,5 cm

Zwischen Tradition und Moderne: Engelhart, Moll und Bernatzik auf dem Weg zu Impressionismus und Secession

Warum waren es von den ersten fünf Präsidenten Gustav Klimt (4. April 1897 bis 13. Mai 1899), Josef Engelhart (4. April 1897 bis 13. Mai 1899), Carl Moll (30. April 1900 bis 30. April 1901), Alfred Roller (30. April 1901 bis 30. April 1902), Wilhelm Bernatzik (30. April 1902 bis 30. April 1903) gerade Engelhart, Moll und Bernatzik, die sich als zweiter, dritter und fünfter Präsident schon vor der Präsenz der französischen Impressionisten und Avantgardisten auf der großen Impressionismus-Schau von 1903 für diese Künstler für die Wiener Secession interessiert haben und deshalb mit Carabin in Kontakt standen?

Engelhart, Moll und Bernatzik waren nicht nur die wahrscheinlich engagiertesten Ausstellungsmacher und Präsidenten der frühen Secession, sie hatten zudem ein tieferliegendes Interesse an französischer Kunst und speziell am französischen Impressionismus und an französischer Avantgarde, was in Österreich um 1900 wenig selbstverständlich war und im Folgenden etwas nähergebracht werden soll. Denn das war die wesentliche Ursache und Grundlage dafür, dass Carabin überhaupt Werke von französischen Impressionisten und Avantgardisten für Wien beschaffen sollte und für Wien aktiv wurde. In Österreich dauerte altbekannter Stil (z.B. jener der Münchner oder Düsseldorfer Schule) noch sehr lange an, und in der österreichischen Kunstmetropole Wien herrschte um 1900 noch immer ein starkes Spannungsverhältnis zwischen dem Alt-Etablierten und den neuen französisch-impressionistisch-avantgardistischen Tendenzen.

Es gab schon vor Gründung der Wiener Secession einige ÖsterreicherInnen, die sich direkt in Paris oder indirekt durch Pariser Einfluss moderner französischer Kunst zuwendeten – wie eben auch Engelhart, Moll und Bernatzik – und in deren Werk der neue französische Einfluss schon vor der Gründung der Wiener Secession 1897 unübersehbar ist.41 Und dennoch, selbst bei diesen Künstlern haben sich der Impressionismus und die Avantgarde nie konsequent durchgängig und vollumfänglich durchgesetzt, eher als etwas zögerliche Avantgarde, als gemäßigter Impressionismus und nur teilweise, in Teilbereichen von Bildern oder in einzelnen Bildern, wobei das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Neuerung stets bestehen blieb. Über dieses Spannungsverhältnis zwischen altetablierter Maltradition und französischer Moderne schreibt August Schaffer zu österreichischen Künstlerinnen in dieser Zeit: „Die Zahl dieser Künstler ist schwer zu übersehen, da viele in Paris heimisch geworden, ihren österreichischen Charakter sowie die heimatliche Eigenart aufgaben und dafür französische Ausdrucksformen annahmen. Es sind aber auch viele, deren Individualität stark genug war, dass das Fremdländische sie nur insofern beeinflusste, als es ihnen sympathisch und aufnahmewert erschien, während sie in ihrem innersten Wesen ihrem längst in ihnen zur Reife gelangten Österreichertum treu blieben.“42 Bisanz-Prakken geht sogar noch einen Schritt weiter und schreibt, dass der französische Impressionismus in letzter Konsequenz in Wien nie angenommen worden sei: „Gleichzeitig sollte aber nicht übersehen werden, daß der französische Impressionismus, 1903 schon als historisches Phänomen präsentiert, in letzter Konsequenz in Wien nie angenommen wurde. Es wurden zwar Teilaspekte rezipiert, wie die Leuchtkraft der Farben, das Ausschnitthafte der Kompositionsmethodik oder die Flüchtigkeit im Auftrag von Pinsel oder Kreide; diese Eigenschaften ordneten sich aber immer in die vom Gesamtkunstwerk diktierte Totalität ein. Bezeichnenderweise `griffen´ hier nur jene Formen des Neoimpressionismus, bei denen neben dem System der in endlosen Partikeln gebrochenen Farben das Element der Flächenordnung wirksam war [...].“43

Abb. 15 François-Rupert Carabin La Volupté oder La Luxure oder La Jeunesse 1902, Rotes Wachs auf Holzsockel, 122,7 x 49,5 x 33 cm

Wenngleich auch bei Bernatzik, Engelhart und Moll der Einfluss des französischen Impressionismus und der französischen Avantgarde nicht ihr Schaffen komplett vereinnahmt hat, so waren sie doch von diesen französischen Einflüssen geprägt. Diese Prägungen trugen sie als erste Präsidenten und aktive Arbeitsausschussmitglieder in die von ihnen gegründete neue Vereinigung und waren Teil einer, obgleich etwas verspäteten Entwicklung, die schließlich in Wien erstmalig 1903 zu einem ersten großen Höhepunkt in Bezug auf die Präsenz von französischem Impressionismus und französischer Avantgarde geführt hat.44

Wenngleich französischer Impressionismus und französische Avantgarde von österreichischen Künstlerinnen eher gemäßigt gelebt wurden, so beflügelte doch dieser französische Einfluss erheblich den Austritt von Engelhart, Moll, Bernatzik und den anderen Gründungsmitgliedern der Wiener Secession aus dem für sie viel zu muffigen und wenig modernen Wiener Künstlerhaus und die Gründung ihrer eigenen Vereinigung, der Wiener Secession. Engelhart stand dabei sogar im Zentrum dieser Austrittbewegung der Künstler aus dem Wiener Künstlerhaus und der Gründung einer eigenen Vereinigung. Sein von der lichten Malerei des französischen Impressionismus inspiriertes Werk Die Kirschenpflückerin wurde vom Künstlerhaus für dessen Internationale Ausstellung 1893 nicht angenommen, was zu viel Missmut bei den Künstlern um ihn geführt hat und bei der länger schon bestehenden Unzufriedenheit über Konservativismus und Unaufgeschlossenheit des Wiener Künstlerhauses gegenüber neuen, international-avantgardistischen Tendenzen einen wesentlichen Anlass zu den Austritten aus dem Künstlerhaus und zur Gründung der Wiener Secession gab.45

Abb. 16 Carl Moll Der Naschmarkt in Wien 1894, Öl auf Leinwand, 86 x 119 cm

Der Wunsch nach einer eigenen Vereinigung in Wien, in der wie in Paris, Berlin und anderen Orten endlich französische und französisch geprägte, impressionistische und avantgardistische Kunst, also moderne Kunst, gezeigt werden konnte, wurde mit dem Austritt der Gründungsmitglieder aus dem Wiener Künstlerhaus und der Gründung der Wiener Secession schließlich umgesetzt.46 Die Austrittsschreiben von den Gründungsmitgliedern der Wiener Secession an das Wiener Künstlerhaus kamen teilweise direkt aus Paris, direkt aus dem Zentrum der europäischen Moderne, der Impressionisten- und Avantgardisten-Metropole. Engelhart und Bernatzik übermittelten dem Wiener Künstlerhaus gemeinsam mit Eugen Jettel nach vollzogener Gründung der Wiener Secession am 3. April 1897 ihre Austrittserklärung aus dem Wiener Künstlerhaus am 24. Mai 1897 telegrafisch aus Paris.47

Die Gründung der Wiener Secession war also auf das Engste mit dem Interesse an französischem Impressionismus und französischer Avantgarde verbunden, und in ihrer neuen, eigenen Vereinigung konnten Engelhart und Moll in ihrer Funktion als Präsidenten und einflussreiche Mitglieder des Arbeitsausschusses diesem Interesse endlich frei nachgehen und sich nun auf der Höhe der Zeit bewegen und Modernes, französischen Impressionismus und französische Avantgarde zeigen, was in der Weltkulturmetropole Paris schon seit vielen Jahren selbstverständlich war, in Wien aber immer noch etwas völlig Neues.

Engelhart zeichnete und malte als Künstler schon seit den späten 1880er Jahren naturalistische Freilicht-Studien. Nachdem er nach „jahrelanger Sehnsucht“ wie er schrieb, 1889 zum ersten Mal in Paris gewesen war und besonders in der Zeit, als er zwischen 1890 und 1893 in Paris lebte, wurde der Einfluss des französischen Naturalismus und dann des lichten Impressionismus in seinem Schaffen immer offensichtlicher (Abb. 9, 14, 16, 17, 141).48 Seine Zuneigung zu allem in der Tradition des Naturalistischen Stehenden, wie auch der Impressionismus, sollte sich in der Wiener Secession während seiner Präsidentschaft in der unter ihm stattfindenden V. Secessionsausstellung zeigen, der Internationalen Grafischen Ausstellung vom 15. November 1899 bis 1. Januar 1900, die maßgeblich nach seinen Vorstellungen umgesetzt worden ist und von Engelhart geschätzter, gemäßigter Pleinairmalerei viel Raum gab.49

Wie der zweite Präsident der Wiener Secession Engelhart hat auch deren fünfter Präsident Bernatzik als Künstler neben seinen traditionellen und symbolistischen Tendenzen (Abb. 19) naturalistisch gearbeitet. Schon zehn Jahre vor der Gründung der Wiener Secession hatte man 1887 die Gründung einer eigenen Naturalisten-Vereinigung erwogen.50 Diesbezüglich verstand man sich also bestens. Während seiner Zeit in Paris hat Bernatzik bei Léon Bonnat (1833-1922) studiert, dem damals schon berühmten Society-Porträtisten, Historien- und Genre-Maler und Maler religiöser und orientalischer Bilder. In Paris haben Bernatzik sowie Engelhart später einen Wandel vom Symbolismus, Naturalismus und Stimmungsimpressionismus zum französischen Impressionismus vollzogen, der sich in ihren Arbeiten um etwa 1894/95 immer stärker durchsetzte (Abb. 20, 21). Infolgedessen wählte Bernatzik nicht mehr die Großformate der altbackenen Ringstraßenmaler in Wien, sondern die kleinen, welche die französischen Impressionisten und Avantgardisten so viel verwendeten.51

Der dritte Präsident der Vereinigung, Carl Moll, hatte sich als Künstler schon vor der Paris-Reise mit Engelhart und den anderen Delegierten der Weltausstellung im April 1900 indirekt über seine Tätigkeiten für den Landschaftsmaler Emil Jakob Schindler (1842-1892, Abb. 25, 27, 28), Vater der späteren Alma Mahler-Werfel (1879-1964), und für den Kunsthändler Hugo Othmar Miethke (1834-1911) und im Rahmen einer Ausbildung beim Maler Gotthardt Kuehl (1851-1915) mit naturalistischen Tendenzen und französischem Impressionismus auseinandergesetzt und schon seit 1893/94 französisch-impressionistisch gemalt (Abb. 16, 22, 23, 24, 29). Während seines Aufenthalts 1893 bei Gotthardt Kuehl in Norddeutschland, der zehn Jahre in Paris gelebt hatte und französischimpressionistisch inspirierte malte, hat Moll von Kuehl diese Malweise kennengelernt und erste impressionistische Studien gemalt. Moll kam von der Landschaftsmalerei Schindlers, malte zunächst in der Art der Wiener Stilkunst, in der Elemente der Münchener Schule verarbeitet wurden und arbeitete zudem Symbolistisches ein, was er später beibehielt und mit den Neuen, von den französischen Impressionisten beeinflussten Elementen verband. Spätestens seit seinem Aufenthalt bei Gotthard Kuehl in Norddeutschland wird die Rezeption des französischen Impressionismus mit dessen Lichteffekten in seinen Werken immer offensichtlicher.52 Kuehl stellte im bearbeiteten Zeitraum ab der I. Ausstellung 1897 bis 1903 als deren Mitglied und Professor an der Kunstakademie Dresden regelmäßig in der Wiener Secession aus.53 Nach der Gründung der Wiener Secession 1897 und zur Zeit der ersten Präsenz Monets im Wiener Künstlerhaus im Jahre 1898 sowie bis zur Impressionismus-Ausstellung von 1903 sind viele der Arbeiten Molls offenkundig besonders von Werken Monets beeinflusst.54

Abb. 16a François-Rupert Carabin Tanzendes Paar, Bretonisches Paar tanzend ca. 1901/1902, Rotes Wachs, o.A.

Abb. 17 Josef Engelhart, Ein Ball auf der Hängstatt 1890, Öl auf Leinwand, 100,5 × 150,5 cm