Die Ankunft des französischen Impressionismus in Wien um 1900 - Kolja Kramer - E-Book

Die Ankunft des französischen Impressionismus in Wien um 1900 E-Book

Kolja Kramer

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Beschreibung

Das Buch beschreibt die erste Präsenz des französischen Impressionismus in Wien um 1900 im Wiener Künstlerhaus und der Wiener Secession, den dort wichtigsten Kunstinstitutionen jener Zeit. Dabei spielte besonders das internationale Beziehungsnetz dieser Wiener Vereinigungen eine wichtige Rolle, auf das der Autor den besonderen Fokus legt. Es wird deutlich, dass bei diesen Beziehungen besonders der Kunsthandel eine herausragende Rolle spielte. Erst durch die Verbindungen zu Kunsthändlern wie Paul Durand-Ruel in Paris oder Paul Cassirer in Berlin war es möglich, dass der französische Impressionismus nach Wien kam und hier Künstler wie Gustav Klimt beeinflusste.

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INHALT

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

EINLEITUNG

DAS WIENER KÜNSTLERHAUS

Manets Grafiken aus der Sammlung Berggruen (1877)

Die Präsenz Manets im Wiener Salon (1868–1877)

Die Kooperation mit Oskar Berggruen und dem internationalen Kunsthandel

Ein Gemälde Sisleys in Wien (1894)

Ausnahmeerscheinung: französischer Impressionismus neben Salonkunst (1877–1894)

Delegierte für französische Kunst in Paris

2.1. Der `Arrangeur´ der französischen Abteilung: Georges Petit

2.2. Netzwerke französischer Maler für das Künstlerhaus: Emile Auguste Carolus-Duran und Léon Bonnat

2.3. Ein frankophiler Österreicher in Paris: Der Maler Baron Myrbach

2.4. Zentraler Versand der französischen Werke: Der Kunsthändler Hugo Othmar Miethke

Die `Spediteure des französischen Impressionismus´: Michell & Kimbel

Monets Gemälde vom Einlieferer Durand-Ruel (1898)

Auszeichnung für Monet

Der Besitzer der Werke: Der Kunsthändler Paul Durand-Ruel

Ehrenvolle Aufgaben für Michell & Kimbel: Künstlerkontakt durch Medaillenübergaben

Ein Pastell Sisleys von Bernheim-Jeune (1899)

Letzte vereinzelte Präsenz des französischen Impressionismus im Künstlerhaus (1894–1899)

DIE WIENER SECESSION

Grundlagen für die Präsenz des französischen Impressionismus und des Kunsthandels (1898–1900)

Vorraussetzungen in den Statuten

Marktplatz Wiener Secession

Internationalität und französische Kunst auf den ersten Ausstellungen (1898–1899)

Frühe Zuwendung der ersten Präsidenten der Wiener Secession zum französischen Impressionismus (1899/1900)

4.1. Erste Reflexionen des französischen Impressionismus im Werk Gustav Klimts (1899/1900)

4.2. Carl Molls Zuwendung zum französischen Impressionismus (1900)

4.2.1. Aufenthalt in Paris

4.2.2. Kontaktaufnahme mit Julius Meier-Graefe

4.3. Josef Engelharts Begeisterung für französische Kunst

Bemühungen um den französischen Impressionismus und ihre Erfolge

Bemühungen um Monet: der Delegierte François Carabin in Paris

Druckgrafiken von Pissarro und Renoir aus der Sammlung Kleinmann

2.1. Isolation der Grafiken im Umfeld der `Secessions-Kunst´

2.2. Die Grafiken und ihre Einlieferung durch Edouard Kleinmann

Bemühungen um Degas und das Beziehungsnetz Wien – Berlin – Paris

3.1 Bemühungen bei Cassirer in Berlin

3.1.1. Exkurs: Cassirer und die Konkurrent

3.1.2. Cassirers Beziehung zu Durand-Ruel

3.1.3. Die Beziehung der Wiener Secession zu Cassirer

3.2. Bemühungen um Degas

Rosenbergs Kollektion: eine verpasste Gelegenheit

Vereinzelte Arbeiten von Degas

Die Impressionismus-Ausstellung (1903)

Die Ausstellungen im Vorfeld der Impressionismus-Ausstellung (1900–1903)

Die Impressionismus-Austellung: Resultat der Zusammenarbeit zwischen Kunsthandel und Kunsttheorie

Abkürzungen

Textdokumente

Listen

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anmerkungen

VORWORT

VORWORT

Hauptaufgabe dieser Arbeit ist es, die Gründe und Voraussetzungen für die Präsenz von Werken des französischen Impressionismus in Wiener Ausstellungen zu erforschen und darzustellen. Dafür werden die Aktivitäten der beiden damals wichtigsten Künstlervereinigungen Wiens – das Wiener Künstlerhaus und die Wiener Secession – herausgegriffen und untersucht.

Ausgehend von einer Dokumentation aller Werke von Edgar Degas, Edouard Manet, Claude Monet, Camille Pissarro, Auguste Renoir und Alfred Sisley, die seit der Gründung des Künstlerhauses und der Secession (18611 bzw. 18972) bis einschliesslich zur Impressionismus-Ausstellung der Wiener Secession 19033 in beiden Vereinigungen als erstmalige Präsenz der heute so berühmten Klassiker der französischen Impressionisten in Wien zu sehen waren, wird ein internationales Beziehungsnetz rekonstruiert, das die Präsenz dieser Werke auf all den Ausstellungen ermöglicht hat.

Der internationale Kunsthandel spielte für die Verbreitung des französischen Impressionismus in Frankreich, Deutschland und den USA eine bedeutende Rolle.4 Dass ihm auch für die Verbreitung des Impressionismus nach Österreich eine Hauptrolle zukam, ist eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit. Mit Ausnahme von fünf Grafiken Manets, die über Oskar Berggruen, einen privaten Sammler, 1877 ins Künstlerhaus kamen,5 wurden im untersuchten Zeitraum bis 1903 alle Arbeiten von Degas, Monet, Pissarro, Renoir und Sisley für die Ausstellungen im Wiener Künstlerhaus und in der Wiener Secession von Kunsthändlern eingeliefert.

Am Beispiel des Wiener Künstlerhauses und der Wiener Secession versuche ich deutlich zu machen, wie sich die beiden Vereinigungen mit dem Kunsthandel zusammengeschlossen haben. Dabei wende ich mich auch anderen Personengruppen wie Delegierten der Vereinigungen, Transportunternehmen, Kunstschriftstellern und privaten Sammlern zu, die bei der Organisation der Werke aus Frankreich eine Rolle spielten. Das geschieht einerseits, um die wichtigsten Protagonisten des Beziehungsnetzes für den französischen Impressionismus in Österreich vorzustellen, andererseits, um sichtbar zu machen, welchen Anteil der Kunsthandel an der Ankunft und Präsenz von Werken der Maler Degas, Manet, Monet, Pissarro, Renoir und Sisley in Wien hatte.

Mit dieser Arbeit wird also ein Beitrag zur Erforschung des Künstlerhauses und der Secession in `Wien um 1900´6 vorgelegt, der ein vertieftes Verständnis des französischen Impressionismus in Wien ermöglicht und zeigt, wer sich zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen der (damals im deutschen Sprachraum noch neuen7) Bewegung des französischen Impressionismus zuwandte. Diese Untersuchung verdeutlicht darüber hinaus die Relevanz des internationalen Kunsthandels, der sich in den vergangenen zwanzig Jahren zunehmender wissenschaftlicher Beachtung erfreute.8

Die vorliegende Arbeit handelt nicht von österreichischer Malerei. Dass sich Teilaspekte der impressionistischen Malerei auch in der Malerei Österreichs widerspiegeln, ist bereits bekannt.9 Die Einschränkung auf die beiden damals wichtigsten Ausstellungshäuser Wiens – Secession und Künstlerhaus – hat in erster Linie praktische Gründe. Eine zusätzliche Berücksichtigung der französischen Impressionisten in Wiener Privatsammlungen und regionalen Kunsthandlungen hätte den Rahmen dieser Publikation überschritten.10

Die Arbeit gliedert sich wie folgt: Die einzelnen Kapitel des ersten Bandes bauen, ausgehend von den jeweiligen Werken, das Beziehungsgeflecht der beiden grossen Künstlervereinigungen in Bezug auf den französischen Impressionismus Stück um Stück auf. Dafür wird in chronologischer Ordnung – einleitend mit frühen Grafiken Manets im Wiener Künstlerhaus 1877 – mit dem ersten Auftritt einer Arbeit der jungen Generation der klassischen französischen Impressionisten im Wiener Künstlerhaus 1894 begonnen und mit dem vorerst letzten Auftritt von französischen Impressonisten in der Wiener Secession, nämlich auf der Impressionismus-Ausstellung von 1903, geendet. Die Zweiteilung der Arbeit in einen Abschnitt über das Künstlerhaus und einen zweiten über die Wiener Secession rechtfertigt sich dadurch, dass es nicht zu zeitlichen Überschneidungen der Ausstellung von Arbeiten der französischen Impressionisten im Künstlerhaus und in der Secession gekommen ist. Im Künstlerhaus konnte man die letzten Werke aus der Gruppe der genannten französischen Impressionisten 1899 sehen, in der Secession waren die ersten zum Jahreswechsel 1900 ausgestellt.

In dieser Arbeit wurde vielfach mit Korrespondenzmaterial gearbeitet. Daran lässt sich ablesen, dass der Briefverkehr für die Pflege der internationalen Beziehungen eine wichtige Rolle spielte. Besonders das Archiv der Wiener Secession, sowie jenes des Wiener Künstlerhauses mussten deshalb gründlich bearbeitet und die für unseren Zusammenhang wichtigen Dokumente herausgefiltert werden. Viele dieser Dokumente und wichtigen Primärquellen werden hier erstmals vorgestellt.

Diese Arbeit wurde von mir bereits 2003, im 100-jährigen Jubiläumsjahr der grossen Impressionismus-Ausstellung der Wiener Secession von 1903, fertiggestellt, die nun für vorliegende Publikation – bis auf wenige Zeilen hier im Vorwort – eins zu eins übernommen wurde.11 Die seit 2003 neu entstandenen Forschungsarbeiten und Publikationen zum bearbeiteten Themenbereich sind deshalb nicht in dieser Arbeit erfasst. Anlass für die Veröffentlichung der lange zurückliegenden Forschungsarbeit war, dass die Durchsichten so mancher nach 2003 entstandenen Arbeiten zum Thema immer wieder gezeigt haben, dass manche wichtigen Grundlagen und Details der Ankunft und Präsenz des französischen Impressionismus in Wien um 1900 nicht einbezogen wurden bzw. nicht bekannt zu sein scheinen. Ich hoffe, dass durch diese Publikation diese wichtigen Grundlagen und Details der Forschungsgemeinschaft fortan einfacher zugänglich sein werden.

Das seinerzeitige Werk entstand neben der Arbeit in öffentlichen Bibliotheken, Museen und anderen Institutionen besonders aus langer Archivarbeit, die nur möglich war, weil ich grosszügige Unterstützung von den damaligen Archivaren des Wiener Künstlerhauses und der Wiener Secession, Wladimir Aichelburg und Paul Rachler, erhalten habe, die mir bereitwillig alle relevanten Archivalien für diese Arbeit zur Verfügung gestellt haben. Weiters hat die Kunsthistorikerin Margarethe Szeless meine Arbeit im Archiv der Wiener Secession sehr unterstützt. Wichtige Anregungen haben daneben die Kunsthistoriker Stephan Koja und Christian Huemer gegeben, denen ich zu grossem Dank verpflichtet bin.

Die Forschung in Wien wurde durch zahlreiche Forschungsaufenthalte ergänzt. Besonders wichtig waren dabei jene in Paris und Berlin. Ich danke besonders Madame Durand-Ruel vom Archiv Durand-Ruel in Paris für die Bereitstellung wertvoller Informationen sowie der französischen Kunsthistorikerin Dr. Laure Stasi in Paris für Übersetzungen und regen Informationsaustausch. Dem Kunsthistoriker und Kunsthändler Dr. Jonathan Pratt, London, bin ich für die kontinuierliche Unterstützung besonders verbunden, sowie Professor Dr. Oskar Bätschmann von der Universität Bern.

* * *

EINLEITUNG

EINLEITUNG

Ausgangspunkt der Recherchen für die vorliegende Arbeit war die Ausstellung der Wiener Secession `Entwicklung des Impressionismus in Malerei und Plastik´ von 1903 (Abb. 1) sowie die Künstler, welche auf dieser Ausstellung in der Abteilung `Der Impressionismus – Malerei´ vertreten waren: Paul Cézanne, Edgar Degas, Edouard Manet, Claude Monet, Berthe Morisot, Camille Pissarro, August Renoir und Alfred Sisley.12 (Abb. 2 und Abb. 3)

Im Vorwort des Ausstellungskatalogs heisst es über diese Abteilung: „Nun gelangen wir zu den klassischen Meistern des Impressionismus, welche mit umfangreichen Kollektionen vertreten sind: Manet, Renoir, Claude Monet, Degas, Pissarro, Cézanne. Sie haben das Sehen, die künstlerische Anschauung der Welt vom Grunde aus revolutioniert, die gesamte Produktion ist mehr oder weniger von ihnen beeinflusst. “13 Alle weiteren Künstler der Ausstellung sollten den „ [...] Einfluss der Impressionisten auf die Epigonen erläutern “14 und wurden in anderen Abteilungen untergebracht. Georges Seurat beispielsweise wurde in die Abteilung `Der Ausbau des Impressionismus´ eingereiht,15 und Arbeiten von Pierre Bonnard, Maurice Denis, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Odilon Redon, Charles Roussel, Henri de Toulouse-Lautrec, Felix Vallotton, Edouard Valtat und Edouard Vuillard befanden sich in der Abteilung `Übergänge zum Stil´.16

Der Aufbau der Wiener Impressionismus-Ausstellung von 1903 wurde massgeblich vom Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe (Abb. 4) beeinflusst17, und auch das Vorwort im Ausstellungskatalog ist von ihm verfasst worden.18 Der Kunsthistoriker hatte über die zentrale Rolle der Künstler, die in der Abteilung `Der Impressionismus´ als `klassische Meister des Impressionismus´ zusammengefasst waren und deren grosser Einfluss in anderen Abteilungen der Ausstellung gezeigt wurde, schon 1902 geschrieben: „Die berühmte Gruppe der Impressionisten wird scheinbar nur durch wenige grosse Namen repräsentiert, deren Träger den Jahren nach längst der vergangenen Generation angehören.“19 Die `grossen Namen´ waren nach Meier-Graefe Degas, Manet, Monet, Pissarro, Puvis de Chavannes, Renoir und Sisley.20

Für die vorliegende Arbeit wurde recherchiert, welche der genannten `grossen Namen´ aus der Abteilung `Der Impressionismus – Malerei´ bereits vor 1903 im Wiener Künstlerhaus oder in der Wiener Secession ausgestellt hatten.21 Im Folgenden werden ihre Grafiken und Gemälde, die seit der Gründung dieser Institutionen dort gezeigt worden sind, vollständig und in chronologischer Reihenfolge aufgelistet. Am Anfang stehen die fünf Grafiken von Manet, die 1877 im Wiener Künstlerhaus zu sehen waren22; den Schluss der Zusammenstellung bilden die Arbeiten der genannten Künstler in der Abteilung `Der Impressionismus – Malerei´ auf der Impressionismus-Ausstellung der Wiener Secession 1903.23

Während der Kern der Gruppe der französischen Impressionisten mit Degas, Monet, Pissarro, Renoir und Sisley24 zuzüglich deren Vorläufer Manet im genannten Zeitraum bereits vor 1903 im Künstlerhaus oder in der Secession vertreten gewesen war, wurden vor 1903 Arbeiten von Cézanne und Morisot in keiner der beiden Künstlervereinigungen ausgestellt.25

An dieser Stelle sei eine kurze Erklärung eingeschoben, warum Manet in unsere Untersuchungen aufgenommen wurde. Im Vorwort des Ausstellungskatalogs wurde er 1903 zu den `klassischen´ Impressionisten hinzugezählt, und Meier-Graefe hatte ihn auch schon 1902, wie wir gesehen haben, unter jene wenigen `grossen Namen´ eingereiht, die den Impressionismus vertraten.26 Im Widerspruch dazu hatte er Manet im selbigem Aufsatz von 1902 allerdings auch als `Vorläufer´ des Impressionismus bezeichnet.27

Dieser zuletzt genannten Meinung wollen wir uns anschliessen. Eine vertiefende Diskussion dieser Auffassung sowie die Behandlung der Problematik, die sich aus dem Versuch einer Zuordnung der Künstler zu verschiedenen Stilrichtungen ergibt, liegt jedoch nicht in meiner Absicht und scheint mir im Zusammenhang mit dem Thema der vorliegenden Arbeit auch nicht sinnvoll. Hier steht die Rekonstruktion der Beziehungen im Vordergrund, welche die Impressionismus-Ausstellung von 1903 in der Wiener Secession und insbesondere die Abteilung `Der Impressionismus – Malerei´ ermöglicht haben. Manet gehörte dieser Abteilung an und wurde deshalb in unsere Untersuchungen miteinbezogen. Die eng an eine stilbegriffliche Auseinandersetzung angelehnte Untersuchung, ob Manet Vorläufer des Impressionismus oder ein `grosser Name´ der Impressionisten war, wird daher ausgeschlossen – zumal der Stilbegriff `Impressionismus´ grundsätzlich problematisch ist und in der vorliegenden Arbeit generell nicht zur Abgrenzung von Epochen, die immer durch grosse Pluralität gekennzeichnet sind, verwendet wird.28

Ein Beitrag dieser Arbeit zur Rekonstruktion jener Zeitspanne, in der sich die Hinwendung zum Impressionismus vollzog, um in der Ausstellung von 1903 ihren vollen Ausdruck zu finden, ist die bereits erwähnte Auflistung aller Werke Manets und der genannten französischen Impressionisten, die 1877 bis 1903 in Wien in den beiden Institutionen zu sehen waren. Eine solche Auflistung mit dem Versuch einer Identifizierung der ausgestellten Werke in den jeweiligen catalogues raisonnés zu den genannten Künstlern existiert bisher nicht. Schmidt (1951) stellte zwar für jedes Jahr alle Ausstellungen des Wiener Künstlerhauses zusammen, allerdings nur mit den wichtigsten teilnehmenden Künstlern,29 und Aichelburg konzentrierte sich auf die Geschichte und das Leben des Wiener Künstlerhauses.30 In der Literatur zur Wiener Secession werden zwar französische Impressionisten genannt, deren Werke aber ebenfalls nicht vollständig aufgezählt oder in den Werkverzeichnissen nachgewiesen.31

Gleiches gilt auch für die Werkverzeichnisse zu Degas, Manet, Monet, Pissarro, Renoir und Sisley,32 aus denen ebenfalls nicht oder nicht vollständig entnommen werden kann, welcher Künstler wann in Wien welche Arbeiten gezeigt hatte.33

In der vorliegenden Untersuchung werden alle im Wiener Künstlerhaus und der Wiener Secession vor 1903 ausgestellten Werke Manets und der erwähnten französischen Impressionisten genannt, wenn möglich identifiziert und im zweiten Band mit einer Abbildung gezeigt.34 Die hier enthaltene Auflistung der Präsenz der Werke französischer Impressionisten wird zudem begleitet von einer Betrachtung ihres materiellen Kontextes auf den Ausstellungen (quantitative Verhältnisse und qualitative Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede). Dabei wird deutlich, dass die naturalistische Plein-Air-Malerei bis zur Impressionismus-Ausstellung 1903 nur vereinzelt, scheinbar zusammenhangslos und eher zufällig neben anderen künstlerischen Richtungen wie Historismus, Realismus, Symbolismus oder jener der so genannten `Stilkünstler´ (die besonders in der Secession ausgestellt waren) gezeigt wurde. Diese `salonfähigen´ Richtungen beherrschten zunächst das Bild: in beiden Vereinigungen hatte es auf Ausstellungen vor 1903 nie mehr als drei Arbeiten französischer Impressionisten zugleich gegeben, obgleich auf einer Ausstellung insgesamt oft mehrere hundert Exponate zu sehen gewesen waren.

Erst mit der Impressionismus-Ausstellung von 1903 in der Wiener Secession fand eine plötzliche Veränderung in quantitativer und qualitativer Hinsicht statt: gezeigt wurden, vereint in der Hauptabteilung `Der Impressionismus´, insgesamt 51 französisch-impressionistische Werke. Die weiteren 208 Arbeiten in den anderen Abteilungen `Anfänge und Entwicklung´ (Abb. 5), `Der Ausbau des Impressionismus´ (Abb. 6) und `Übergänge zum Stil´ dienten dazu, den Impressionismus in einen Entwicklungszusammenhang zu stellen. In diesem Punkt war diese Ausstellung neu und bis dahin einzigartig.

Meier-Graefe, der für diesen Aufbau der Ausstellung verantwortlich war, gab mit dieser Sichtweise der Entwicklung auch den `Startschuss´ für die Darstellung der Kunst des 19. Jahrhunderts, welche den Impressionismus als Wertmassstab behandelte und damit die `definitive Verdunkelung Muthers´ einläutete.35 Beides geschah spätestens seit der 1904 erschienenen Publikation Meier-Graefes, `Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst´36, die sich in ihrer Fokussierung auf den Impressionismus wenig von der Impressionismus-Ausstellung der Wiener Secession unterschied.37 Hüttinger schreibt dazu: „Wertmassstab bildet der Impressionismus. Von ihm aus beurteilt Meier-Graefe die älteren Epochen als `Prähistorie´, und deshalb verweilt er bloss näher bei einer Ahnenreihe, für welche die Gestaltung der Farbe die Essenz fixiert. Von Delacroix über den Impressionismus bis zum Postimpressionismus regiere eine Entelechie, die sich nicht als ein, sondern als der entscheidende Strang im Gefüge der Kunst des 19. Jahrhunderts bekunde, und zwar im Element der Farbe, der `peinture´. Die Diktatur der Akademien habe überall die `Führung mit der lebendigen Natur´ beeinträchtigt und eine `Interesselosigkeit gegenüber den Problemen der Erscheinung´ verursacht.“38 Diese Worte treffen sowohl auf die `Entwicklungsgeschichte´ Meier-Graefes als auch auf die Impressionismus-Ausstellung der Wiener Secession zu. Dass Meier-Graefe den Impressionismus als Wertmassstab für die Kunst des 19. Jahrhunderts nicht erst 1904 in der `Entwicklungsgeschichte´ vorstellte, sondern diese Sichtweise bereits in der Impressionismus-Ausstellung 1903 präsent war, zeigt das Vorwort des Ausstellungskatalogs. In diesem ist zu lesen, dass der Impressionismus die künstlerische Anschauung der Welt vom Grunde aus revolutioniert habe und dass die gesamte Produktion von den Impressionisten beeinflusst worden sei.39

Verständlich ist, dass auf einer Impressionismus-Ausstellung „Gedankenkunst, Salonmalerei, Idealismus und Historismus, durch Muther noch organisch und kritisch mitberücksichtigt [...]“40 fehlen kann. Dass letztgenannte Richtungen aber „ [...] seit Meier-Graefe als peinliche Fehlleistungen abqualifiziert wurden“41 und ein ganzes Jahrhundert auf zwei Hauptströmungen, Realismus und Impressionismus,42 noch bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts43 reduziert wurde, bleibt ein faszinierendes Phänomen der `modernen´ Kunstgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu dieser im Einfluss Meier-Graefes stehenden `modernen´ Kunstauffassung vom 19. Jahrhundert stehen dem gegenüber die `prämodernen´ grossen Künstlerhaus-Ausstellungen, in denen im untersuchten Zeitraum das `Insgesamt des Jahrhunderts´44 viel stärker widergespiegelt wurde. Gerechtigkeit kann heute nicht nur Muther und dem 19. Jahrhundert45, sondern auch dem Wiener Künstlerhaus widerfahren, indem man Mannigfaltigkeit und die verschiedenen Stilrichtungen in der Kunst ebenso akzeptiert wie Einheit und Konzentration auf wenige Tendenzen.

Speziell die Wiener Secession in der Zeit um 1900 betrachtend, können wir Bisanz-Prakken beipflichten, die 1999 in Bezug auf die geringe Präsenz der Impressionisten in Wien um 1900 formuliert hatte: Es sei „ [...] zu bedenken, dass [...] die `Moderne´ in Wien [...] in Opposition gegen eine erstarrte Form des Naturalismus auf der einen und gegen das als überholt empfundene Wertesystem des Historismus auf der anderen Seite [stand]. `Stimmungskunst´ und `Seelenkunst´ waren die Schlüsselworte im Prozess der Entdeckung hinter der Wirklichkeit verborgener Phänomene und metaphysischer Wahrheiten. Dementsprechend war das Rezeptionsklima vor 1900 vor allem auf jene internationalen Künstler ausgerichtet, bei denen diese Werte im Vordergrund standen. Dabei wandte man sich nicht den französischen Impressionisten zu, sondern einer grossen Anzahl von überwiegend realistischen Künstlern, bei denen der Impressionismus auf unterschiedlichste Weise als Stimmungsfaktor zur Geltung kam; [...] Die Impressionisten, die Nabis, die Schule von Pont-Aven, Vincent van Gogh und andere zu den Begründern der klassischen Moderne zählende Künstler wurden erst 1903 im Rahmen eines umfassenden Überblicks gezeigt. In der frühen Ausstellungsgeschichte der Secession war diese Schau ein strahlender Höhepunkt, sie blieb aber ein isoliertes Phänomen .“46

Die Zuwendung zu den in Wien scheinbar zusammenhangslos und im Hintergrund stehenden französischen Impressionisten und zu der von Bisanz-Prakken als `isoliertes Phänomen´ bezeichneten Impressionismus-Ausstellung von 1903 stellt nur den Ausgangspunkt und die Grundlage für die eigentliche Hauptaufgabe dieser Arbeit dar: die Rekonstruktion des internationalen Beziehungsgefüges, welches zur Präsenz dieser Werke im Wiener Künstlerhaus und in der Wiener Secession führte, wodurch auch neue Zusammenhänge zwischen beiden Kunstinstitutionen sichtbar werden. Gemäss den Statuten und Zielsetzungen war Internationalität eines ihrer wichtigsten Ziele.47 Dementsprechend pflegten beide Künstlervereinigungen rege personelle, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen ins europäische Ausland.

Das internationale Beziehungsnetz beider Künstlervereinigungen bestand in Kontakten zu Kunstinteressierten, Kunstkaufleuten, Kunstschriftstellern, Kunstzeitschriften, Künstlern, Künstlervereinigungen, Museen, Sammlern, Transportunternehmen, Verlegern, Werbeinstituten und weiteren Institutionen und Personen. Den für unseren Zusammenhang wichtigsten dieser Beziehungen habe ich mich in der vorliegenden Arbeit zugewandt. Neben jenen zum internationalen Kunsthandel waren dies besonders die Beziehungen zu den Künstlern, die im Auftrag der Wiener Vereinigungen im Ausland die französischen Arbeiten organisierten. Des Weiteren sind die Kontakte zu Sammlern, Kunstschriftstellern und Transportunternehmen bedeutend, die beiden Künstlervereinigungen bei der Beschaffung der impressionistischen Werke aus Frankreich sehr hilfreich waren. Die für die Wiener Secession bei der Beschaffung französischer Kunst so wichtige Zusammenarbeit mit dem internationalen Kunsthandel hatte im Wiener Künstlerhaus bereits eine lange Tradition.48

In beiden Wiener Ausstellungshäusern gab es für die Beschaffung der französischen Arbeiten der Impressionisten vergleichbare interne Organisationsformen und Ämter. So wurden zum Beispiel von beiden Künstlervereinigungen Delegierte direkt in Frankreich eingesetzt, die vor Ort, im Auftrage der Wiener Institutionen, Kunstwerke organisierten.

In manchen Fällen pflegten Wiener Künstlerhaus und Secession bei ihrer Organisation der französischen Arbeiten für die Wiener Ausstellungen sogar Beziehungen zu denselben Personen bzw. Institutionen: so kamen kamen 1898 über Durand-Ruel Arbeiten von Monet ins Wiener Künstlerhaus und 1903 in die Wiener Secession. 1899 lieferte Bernheim-Jeune dem Wiener Künstlerhaus ein Werk von Sisley und 1900 der Wiener Secession Arbeiten von Degas.49

Durch die Beschäftigung mit der Präsenz und dem Beziehungsnetz des französischen Impressionismus in Wien wurden neben den institutionellorganisatorischen auch zeitliche Zusammenhänge deutlich. Die Impressionisten-Schau von 1903 steht zwar als (um mit Bisanz-Prakken zu sprechen) `strahlender Höhepunkt´ auch im Zentrum dieser Arbeit. Zu diesem Höhepunkt hat es aber auch eine Vorlaufzeit gegeben, in der man sich bereits französischen Impressionisten und den Distributoren ihrer Kunst zugewandt hat. Das zu wissen ist wichtig, weil gerade die Aktivitäten in dieser Vorlaufzeit den Höhepunkt von 1903 erst ermöglichten. Sie wird besonders ab dem Zeitpunkt interessant, an dem sich die Wiener Secession erstmals gezielt dem französischen Impressionismus zuwandte. Das geschah 1899/1900, als nicht nur in der Wiener Secession zum ersten Mal Arbeiten von französischen Impressionisten gezeigt wurden – Grafiken von Pissarro und Renoir50 – , sondern auch das Interesse der Secession am französischen Impressionismus spürbar wurde51 und sich auf die Bild-Akquisitionen auswirkte. Vor 1899/1900 hatte man sich zwar in beiden Häusern immer schon für internationale und auch französische Werke eingesetzt, was nicht nur die Satzungen und Zielsetzungen beider Vereinigungen versprachen, sondern auch zahlreiche internationale Ausstellungen zeigen. Die Erkenntnis jedoch, dass der französische Impressionismus auch für Wiener Ausstellungen besonders wichtig und zeigenswert sein könnte und eine damit verbundene gezielte Bemühung um Werke der französischen Impressionisten, konnte im Künstlerhaus im untersuchten Zeitraum bis 1903 und in der Wiener Secession vor 1899/1900 nicht nachgewiesen werden. In Dokumenten der Wiener Secession ab der Jahrhundertwende häufen sich dann jedoch Beweise, die eine solche gezielte Bemühung um den französischen Impressionismus bestätigen und die belegen, dass wichtige Beziehungen, bereits einige Jahre vorher aufgebaut worden sind – darunter jene zum Kunsthistoriker Meier-Graefe, der so entscheidend für das theoretische Gerüst der Ausstellung war, und jene zum Kunsthändler Paul Cassirer, der die Umsetzung der Pläne Meier-Graefes durch die Beschickung der Ausstellung mit Kunstwerken gewährleistete.52

Die Recherche brachte schliesslich auch das Ergebnis, dass man in der Wiener Secession bereits vor 1903 mehr Werke französischer Impressionisten hatte zeigen wollen, diese aber nicht hatte bekommen können. Dies geschah zu einer Zeit, als im deutschen Sprachraum der Impressionismus zwar noch nicht von einem breiten Publikum als Höhepunkt und Wertmassstab, aber bereits von einigen einflussreichen Kennern als wichtige künstlerische Strömung angesehen und propagiert wurde.53 Die Wiener Secession bemühte sich schon 1899 um Werke von Monet, 1900 um Arbeiten von Degas und im selben Jahr auch um eine grosse Anzahl klassischer französischimpressionistischer Werke aus der Privatsammlung des in Paris lebenden Österreichers M. Rosenberg. Nur durch Absagen Monets, der Kunsthändler Cassirer (Abb. 7) und Durand-Ruel (Abb. 8) und des Sammlers Rosenberg kam es, dass nicht mehr als die im Folgenden aufgelisteten Werke in der Wiener Secession gezeigt werden konnten.54 Durch diese neuen Hinweise, die belegen, dass man sich schon vor 1903 dem französischen Impressionismus zugewandt hatte, wird das für den französischen Impressionismus zahlenmässig `schlechte´ Ergebnis der in Wiener Künstlerhaus und Secession präsenten Arbeiten in ein neues Licht gerückt. Der Eindruck von isoliert, beziehungslos und zufällig nebeneinander stehenden französisch-impressionistischen Einzelwerken wird dadurch ein wenig gemindert, und neue Zusammenhänge und Zuwendungen werden sichtbar.

DAS WIENER KÜNSTLERHAUS

A DAS WIENER KÜNSTLERHAUS

I. Manets Grafiken aus der Sammlung Berggruen (1877)

1. Die Präsenz Manets im Wiener Salon (1868–1877)

Im Jahre 1877 wurden im Wiener Künstlerhaus zum ersten Mal Arbeiten eines jener Künstler gezeigt, der in der Impressionismus-Ausstellung von 1903 in der Wiener Secession in der Abteilung `Der Impressionismus – Malerei´ vertreten war55: fünf Grafiken von Edouard Manet. Die ersten drei waren auf der VIII. Grossen Jahres-Ausstellung vom 24. März bis 10. Juni 1877, zwei weitere auf der permanenten Kunst-Ausstellung im November desselben Jahres im Künstlerhaus zu sehen.56 Auf der Jahres-Ausstellung waren die Radierungen `Les petits cavaliers´57 (1860–61; Abb. 9), `Le Gamin´58 (1862; Abb. 10) und `El Torero´59 (1864; Abb. 11) ausgestellt. `Le Gamin´ und `El Torero´ waren grafische Reproduktionen nach eigenen Gemälden von Manet.60 Für die Radierung `Les petits cavaliers´ nahm Manet ein Gemälde im Louvre zur Vorlage, das damals Velázquez zugeschrieben wurde.61

Diese drei reproduzierenden Grafiken Manets wurden auf der Ausstellung zusammen mit zwanzig `Arbeiten moderner französischer Aquafortisten´ als geschlossene Sammlung im Repräsentations-Saal des Künstlerhauses gezeigt.62 Neben den Radierungen Manets enthielt sie Druckgrafiken der französischen Künstler Alfred Briend63, Louis Monziès64, Paul Adolphe Rajon65, Charles Waltner66 und Gustave Greux67. Auch diese Künstler waren Grafiker und reproduzierend tätig.

Etwa viereinhalb Monate nach der VIII. Grossen Jahres-Ausstellung wurde im Wiener Künstlerhaus wiederum eine Sammlung französischer Grafiken gezeigt. Am 31. Oktober 1877 wurden ein zweites Mal `Arbeiten moderner französischer Aquafortisten´ eingebracht und im November 1877 ausgestellt. Darunter befanden sich zwei weitere Grafiken von Edouard Manet68: die Radierung `Lola de Valence´69 (1862; Abb. 12), die nach einem seiner Gemälde entstanden ist, und die Originalradierung `La toilette´70 (1862; Abb. 13).

Neben diesen zwei Radierungen beinhaltete die Sammlung der `Aquafortisten´ noch drei Grafiken von Koepping71, eine von Flameng72 sowie insgesamt vierzehn weitere Grafiken der zuvor genannten Künstler Rajon, Monziès, Waltner und Greux.73

Im Unterschied zur Impressionismus-Ausstellung von 1903, in der die Werke Manets in eine `Entwicklung des Impressionismus´ eingereiht und neben Impressionisten aus Frankreich zu sehen waren, ist eine gewisse Beziehungslosigkeit seiner Arbeiten in den zwei Ausstellungen des Wiener Künstlerhauses 1877 nicht zu übersehen. Betrachtet man die gesamte Ausstellung vom November 1877, so zeigt sich, dass die Grafiken Manets in eine Sammlung hauptsächlich `offizieller´ österreichischer und deutscher `Salon-Kunst´ eingebettet waren.74 Auf den Ausstellungen im Wiener Künstlerhaus 1877 kam – wenn auch nur in geringer Zahl – ein kleiner Teil der Ausstellungsstücke aus Frankreich: von insgesamt 201 Katalognummern stammten neben den erwähnten zwanzig Grafiken der `Aquafortisten´ nur weitere zwei Nummern aus Paris. Somit waren knapp elf Prozent der Werke französischer Herkunft.

Neben österreichischen, deutschen und den wenigen französischen Arbeiten gab es nur zwei Werke aus Rom und eines aus Pest. Die Ausstellung 1877 bezog die Arbeiten Manets innerhalb der Sammlung der `Aquafortisten´ weder in einen internationalen noch in einen französischen Kontext ein, noch wurden sie mit dem französischen Impressionismus in Beziehung gesetzt. Ähnlich war die Situation auf der vorangegangenen VIII. Grossen Jahres-Ausstellung, wo die meisten Einlieferer ebenfalls österreichische und deutsche Künstler waren.75 Der Anteil internationaler Kunst betrug hier knapp zehn Prozent (von insgesamt 1000 Nummern im Katalog stammten 91 nicht aus Deutschland oder Österreich).76

Ein französischer Herkunftsort wurde bei zwölf von 1000 Katalognummern gefunden. Weitere 45 Werke stammten zwar ursprünglich aus Frankreich, gelangten jedoch über österreichische Privatsammlungen in die Ausstellung.77 Aus Frankreich kam also etwa ein Prozent der Arbeiten; wenn man die Wiener Sammlungen hinzurechnet, knapp sechs Prozent.78

Wenn man sich alle Ausstellungen des Künstlerhauses aus dem Jahr 1877 ansieht, so stellt man fest, dass der Anteil an französischer Kunst im Verhältnis zu Werken aus dem deutschsprachigen Raum in diesem Jahr generell gering ist. Die Anzahl französischer Werke beträgt nie mehr als 22, während Ausstellungen im Wiener Künstlerhaus meist aus mehreren hundert Werken bestanden.79

Wenn es im Künstlerhaus auch immer wieder Ausstellungen gegeben hatte, bei denen keine oder nur wenige Werke aus Frankreich vorhanden waren, so gab es im Zeitraum von 1868 bis 1877 jedoch immer wieder Ausstellungen mit über zwanzig80, dreissig81, vierzig82 oder sechzig83 Arbeiten aus Frankreich. Französische Kunst im Künstlerhaus war also an sich nicht aussergewöhnlich, sondern immer schon präsent und Teil des Ausstellungsrepertoires.

So wie im Künstlerhaus immer schon Kunst aus verschiedenen Ländern vereint war, so waren auch stets Künstler aus vielen unterschiedlichen künstlerischen Richtungen vertreten. Darunter gab es ein vielfältiges Repertoire an `offizieller´ Kunst der Akademien und Salons: Arbeiten von Tissot konnte man im Wiener Künstlerhaus ebenso sehen84 wie solche von Couture, Decamps, Gérôme, Guillemin, Isabey, Jongkind, Raffet, Troyon oder Vernet.85 Es waren im Wiener Künstlerhaus in der Zeit bis 1877 aber auch schon jene Künstler vertreten, welche von Meier-Graefe 1903 bzw. 1904 in die Entwicklungslinie des Impressionismus gestellt wurden: Delacroix ebenso wie Corot86, Courbet87, Daubigny, Diaz, Millet oder Rousseau.88

Wenn man eine Charakteristik der Ausstellungen des Künstlerhauses bis zum Jahr 1877 versucht, kann man festhalten, dass diese `prämodern´ in zweifacher Hinsicht waren – wobei das Wort `modern´ hier im Sinne der `modernen´ Zeit verstanden werden muss, in der seit Meier-Graefe bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts die Bewertung der Kunst des 19. Jahrhunderts stark am französischen Impressionismus orientiert war.89 Im Gegensatz dazu wurden in den Künstlerhaus-Ausstellungen zum einen nicht bestimmte, nach einem verbindenden, übergeordneten Prinzip zusammengestellte Gruppen gezeigt, wie es bei der Impressionismus-Ausstellung der Wiener Secession 1903 der Fall war, und zum anderen sah man hier mehrheitlich `offizielle´ und von den öffentlichen Institutionen anerkannte Kunst, die beispielsweise – im Falle der französischen Arbeiten – besonders durch die Ausstellungen in den `Salons´ der `Société des Artistes Français´ oder der `Société Nationale des Beaux-Arts´ in Paris ihre Bestätigung erfahren hatte. Es gab also kaum Voraussetzungen für eine Präsenz des französischen Impressionismus im Wiener Künstlerhaus90, und dementsprechend fehlten auch Werke der `grossen Namen´ der französischen Impressionisten (Degas, Monet, Pissarro, Renoir und Sisley) auf den Ausstellungen bis zum Ölgemälde Alfred Sisleys 1894. Damit kam erstmals zwanzig Jahre nach der ersten Pariser Gemeinschafts-Ausstellung der Impressionisten im Jahre 1874 in Paris91 eine vereinzelte Arbeit aus dieser Gruppe ins Wiener Künstlerhaus.

2. Die Kooperation mit Oskar Berggruen und dem internationalen Kunsthandel

Bereits seit den ersten Jahren seines Bestehens arbeitete das Wiener Künstlerhaus mit internationalen öffentlichen und privaten Institutionen und Personen, zu denen neben Sammlern und Kunsttheoretikern auch die Vertreter des Kunstmarktes gehörten. Die ständige und rege Kooperation des Wiener Künstlerhauses mit dem internationalen Kunsthandel wird durch Mitgliedschaften der Kunsthändler im Künstlerhaus sowie durch zahlreiche Nennungen in Ausstellungskatalogen und Einträgen in den Werk-Eingangsbüchern des Künstlerhauses belegt. Bereits in der ersten Dekade nach Gründung der Genossenschaft bestanden enge Beziehungen zu den Wiener Kunstkaufleuten Franz Peter Kaeser92, Georg Plach93, Carl Josef Wawra94, Hugo Othmar Miethke95 und Charles Sedelmeyer, der bei Georg Plach in Wien gelernt hatte und seit 1866 in Paris arbeitete.96 Diese Kunsthändler waren bis auf Sedelmeyer alle seit 1868 bzw. 1869 Mitglieder der Wiener Künstlergenossenschaft und hatten ab diesem Zeitpunkt auch stets Arbeiten ins Künstlerhaus eingebracht.

In dieser frühen Phase profitierte das Künstlerhaus bereits von dem breiten über Europa gespannten Netz des internationalen Kunsthandels. Seit 1868 waren Kataloge der Ausstellungen des Wiener Künstlerhauses in vielen internationalen Kunsthandlungen zu beziehen – eine hervorragende Möglichkeit, die Ausstellungen, Künstler und Exponate des Künstlerhauses im In- und Ausland zu bewerben. Die Kunsthandlungen, über welche man die Ausstellungskataloge bekommen konnte, waren folgende: in Wien Kaeser, Artaria, Plach und Bergmann, in Hamburg Becker, in Leipzig del Vecchio, in Frankfurt Kohlbacher, in Düsseldorf Schulte, in München Wimmer, in Dresden Arnold und in Berlin Lepke, Sachse & Cie. sowie Amsler & Ruthardt. In London waren es Gambart & Co. und Wallis, in Manchester Agnew. In Brüssel H.V. van Gogh, Leroy und Hollaender, in Den Haag Goupil & Cie. und in Rotterdam Lamme. In Paris hatten Petit und Goupil & Cie. die Wiener Kataloge, in St. Petersburg Beggrow.97

Neben Kaeser, Plach, Wawra, Miethke und Sedelmeyer hatten aus dieser Liste auch Carl August und Dominik Artaria aus Wien98 sowie die Kunstkaufleute Ernst Arnold99 und Adolf Gutbier100 aus Dresden und Edouard Schulte aus Düsseldorf101 vielfach Arbeiten zu Ausstellungen ins Künstlerhaus geliefert. Darüber hinaus hatten auch die Galerie Heinemann in München102 sowie die Pariser Kunsthandlungen Georges Petit und Bernheim-Jeune Arbeiten ins Künstlerhaus gebracht.103

Interessant in unserem Zusammenhang ist, dass eine grosse Anzahl der französischen Arbeiten in frühen Ausstellungen des Künstlerhauses nicht über letztgenannte französische Kunsthändler in die Genossenschaft kamen, sondern über die Wiener Kunsthändler Franz Peter Kaeser104 und Georg Plach105, welche Arbeiten aus ihren Beständen oder die aus anderen Privatsammlungen einlieferten. Daneben sandte dem Künstlerhaus auch der in Paris lebende Kunsthändler Charles Sedelmeyer besonders häufig französische Kunst zu.106 Handelte es sich bei all diesen Einlieferungen noch nicht um französische Impressionisten, so wurde dennoch schon eine Vielzahl anderer grosser französischer Meister über diese Kunsthändler in Wien zugänglich gemacht: so beispielsweise auch die von Meier-Graefe als `Vorläufer´ der Impressionisten bezeichneten Künstler der Schule von Barbizon.107

Die Einlieferung aller Arbeiten der jungen Generation der klassischen französischen Impressionisten ins Wiener Künstlerhaus und in die Secession war eng mit den Aktivitäten der Kunsthändler verbunden. Die Präsenz der Arbeiten von Manet im Wiener Künstlerhaus 1877 war nicht auf die Zusammenarbeit mit dem Kunsthandel zurückzuführen sondern auf den international tätigen Kunstsammler Oskar Berggruen.108 Er hatte die Arbeiten direkt von den französischen Künstlern bezogen und seine Sammlung dann – ohne das Zutun von Kunsthändlern wie Kaeser oder Plach – selbst in die Ausstellung der Künstlergenossenschaft eingeliefert.109 Berggruen lebte am Schottenring 23 in der Wiener Innenstadt – etwa fünfzehn Gehminuten vom Künstlerhaus entfernt.110 Er war Advokat, Schriftsteller und Redakteur und schrieb für das `Wiener Tagblatt´ und die `Wiener Zeitung´, publizierte kunsthistorische Aufsätze und hatte daher auch beruflich mit der Kunst zu tun. Schon während seines Studiums hatte er Ägypten, den Orient, die Vereinigten Staaten von Amerika und viele andere Länder bereist. Zu Frankreich aber hatte er eine ganz besondere Beziehung, denn er war Mitarbeiter der Pariser Zeitschriften `L`Art´ und `Gazette des Beaux Arts´111, also jener Zeitschriften, für die auch die Künstler seiner Sammlung (Flameng, Koepping, Greux und Waltner) gearbeitet hatten.112 Es waren die Werke seiner Berufsgenossen, die er 1877 dem Wiener Künstlerhaus überliess.

Berggruen unterstützte die Ausstellung, nahm aber als Kunstschriftsteller keinen Einfluss auf ihre Gestaltung (wie es Meier-Graefe 1903 für die Wiener Secession tat). Bei der Kontaktaufnahme wird aber für das Wiener Künstlerhaus vereinfachend der Umstand hinzugekommen sein, dass Berggruen Kunstschriftsteller war: als internationaler Publizist und Fachmann der Wiener und Pariser Kunstwelt hatte er ein schon berufsbedingtes Interesse am Künstlerhaus – der damals ja immerhin wichtigsten öffentlichen Institution dieser Art in Wien –, zumal in diesen Ausstellungsräumen ja auch die Art von Kunst präsentiert wurde, welche er selbst sammelte.113 Nach der Ausstellung kehrten die Grafiken Manets, die – frei von pekuniären Interessen – unverkäufliche Leihgaben aus Berggruens Sammlung waren, in seine Kollektion zurück.114

II. Ein Gemälde Sisleys in Wien (1894)

1. Ausnahmeerscheinung: französischer Impressionismus neben Salonkunst (1877–1894)

Es mussten siebzehn Jahre verstreichen, bis nach den fünf Grafiken von Manet ein Werk von einem Künstler der jungen Generation französischer Impressionisten im Wiener Künstlerhaus gezeigt wurde.115 Auf der III. Internationalen Ausstellung (6. März–3. Juni 1894) war eine Arbeit von Alfred Sisley zu sehen, über die aufgrund der schlechten Quellenlage nur herausgefunden werden konnte, dass es sich um ein Landschaftsgemälde handelte, dessen Eigentümer der Künstler selbst war.116 Eine genaue Identifizierung des Bildes ist derzeit nicht möglich.117

Sisleys `Landschaft´ war eingebettet in einen grossen internationalen Kontext: insgesamt nahmen 974 Künstler verschiedener Nationalitäten mit 1404 Werken an der Ausstellung teil. Was die Herkunft der Künstler betrifft, so lag Frankreich mit 124 – nach Österreich mit 237 und Deutschland mit 200 – Künstlern an dritter Stelle.118 Was die 1404 Werke betrifft, so kamen die meisten (270) aus Deutschland. Danach folgten Österreich mit 253 und England mit 168 Arbeiten. Frankreich lag mit 148 Einlieferungen zahlenmässig an vierter Position.

Die Anzahl von 148 französischen Werken auf einer Ausstellung ist für das Wiener Künstlerhaus relativ hoch und kann vor dem Hintergrund des Bemühens der Institution gesehen werden, Internationalität als Ziel und Programm zu verfolgen119 und Wien zu einem internationalen Kunstzentrum zu machen. Dieses Ziel wurde freilich nicht immer mit der gleichen Konsequenz verfolgt, und auch die Zuwendung zu Frankreich als dem wichtigsten ausländischen Kunstzentrum unterlag Schwankungen. Auf der Internationalen Ausstellung von 1869 hatte es 32 französische Werke gegeben120, auf der II. Internationalen Jubiläums-Ausstellung von 1888 hingegen nur fünf (neben vielen anderen ausländischen Werken).121