Catch and Kiss - Jennifer Schreiner - E-Book

Catch and Kiss E-Book

Jennifer Schreiner

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Beschreibung

Teil 1 von "Vertraue niemandem" aus der "Catch & Kiss"-Reihe Nachdem ihre Mutter spurlos verschwunden ist, muss die achtzehnjährige Jeany mit ihren zwei Geschwistern allein klarkommen. Um nicht voneinander getrennt zu werden, verheimlichen die drei ihre Situation, müssen aber rasch für ihren Lebensunterhalt sorgen. Da kommt ein Untermieter für ihr Gartenhaus gerade recht! Aber hat wirklich ein glücklicher Zufall ausgerechnet den undurchschaubaren Dany zu ihnen geschickt oder steckt etwas anderes hinter seiner Anwesenheit? Als Dany sich immer mehr in die Herzen ihrer Geschwister schleicht, muss Jeany mit Erschrecken feststellen, dass ihr geheimnisvoller Untermieter Polizist ist – und anscheinend mehr über das Verschwinden ihrer Mutter weiß, als gut für alle Beteiligten ist.

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Seitenzahl: 186

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Katinka Uhlenbrock & Jennifer Schreiner

Catch & Kiss

Vertraue niemandem

Teil 1

Katinka Uhlenbrock

Jahrgang 1990, studierte Katinka Uhlenbrock Anglistik und vergleichende Religionswissenschaften – in den USA, wo sie seit ihrem 20ten Lebensjahr lebt. Nach einigen englischsprachigen Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften erschien 2014 ihr erstes Buch »Männerbacken« bei Elysion-Books.

2016 werden »Mehr Lust auf Höhepunkte« und »Porn Noir« erscheinen.

Jennifer Schreiner

Jennifer Schreiner gründete Elysion-Books 2010 und betreut dort zurzeit 38 Autoren, 85 fertiggestellte Projekte und die Planung für die kommenden drei Jahre.

Die Romane »Zwillingsblut« und »Honigblut« sind in überarbeiteter Auflage bei Elysion-Books erschienen, ebenso der Abschluss der Vampirtrilogie »Venusblut«.

Weiter sind von ihr erhältlich: »Satanskuss« (Erotic Fantasy), »ErosÄrger« (Urban Fantasy) und die Novelle »Catch and Kiss – Trau dich zu fliehen«. Schreiner schreibt an den Serien »Office Escort« und »Catch and Kiss« mit.

2016 ist im Pro-Talk-Verlag ihr erster Chick-lit erschienen: »Ich bin dann mal ganz anders«.

Für 2016 ist ein erotischer Roman »Fick mich – wenn du kannst« bei Elysion-Books geplant.

Catch & Kiss ist eine Reihe, an der verschiedene Autor/innen schreiben und die verschiedene Varianten von »Der Widerspenstigen Zähmung« aufwirft. Diese Zähmungen variieren von hart zu zart und sind nur bedingt politisch und moralisch korrekt; -)

Match-Books

Print; 1. Auflage: Juni 2016

eBook; 1. Auflage: Juni 2016

VOLLSTÄNDIGE AUSGABE

ORIGINALAUSGABE

© 2016 BY MATCH-BOOKS GMBH, LEIPZIG

ALL RIGHTS RESERVED

UMSCHLAGGESTALTUNG: Ulrike Kleinert

www.dreamaddiction.de

FOTO: © Bigstockphoto / Viorel Sima und Gromovataya

LAYOUT & WERKSATZ: Hanspeter Ludwig

www.imaginary-world.de

LEKTORAT: Inka-Gabriela Schmidt

www.inwisch.de

ISBN ebook 978-3-96000-013-6

Prolog

Sie lag im Sterben und er sah ihr dabei zu, ruhig wie der Tod.

Aus leicht geöffneten Augen betrachtete sie den attraktiven Mann, der am Fußende ihres Bettes stand und versuchte in ihm nicht den Feind zu sehen. In all den Stunden hatte sie keinen einzigen Ton von sich gegeben, keine seiner Fragen beantwortet und voller Genugtuung beobachtet, dass er aus nichts, was sie bei sich trug, einen Hinweis auf ihre Familie hatte finden können.

Sie war eine Jane Doe und würde es für ihn auch weiterhin bleiben. Beinahe andächtig strich sie mit ihren verätzten Fingerspitzen über das weiße Laken des Krankenhausbettes und dachte daran, wie seltsam es war, dabei kaum etwas zu empfinden. Ihre ganze Kraft war einzig darauf fokussiert, ihrem Gegenüber keinen Anhaltspunkt zu geben. Auch, wenn ihre Selbstsicherheit unter seinem Schweigen langsam aber sicher erste Risse bekam. Er war unheimlich. Sein Schweigen furchteinflößend. Noch nie war ihr jemand untergekommen, der so still stehen konnte. Wie ein Jäger, der auf einen einzigen Fehler seiner Beute lauerte.

Selbst diese Erkenntnis kostete sie beinahe mehr Kraft, als ihr noch verblieben war und sie konnte förmlich spüren, wie das Blut in ihrem Körper langsamer floss. Doch die schönen Gedanken wollten einfach nicht kommen, die Erinnerung an ihre Kinder und die tollen Jahre, die ihnen vergönnt gewesen waren. Stattdessen blieb die Furcht vor dem Dunkelhaarigen und die Angst um ihre Familie allgegenwärtig und allumfassend.

Dann war er da, der langanhaltende, durchgehende Ton des medizinischen Überwachungsgerätes und er durchdrang jedes andere Empfinden. Wie von Außen sah sie die Krankenschwestern und den Arzt in den Raum strömen, doch auch ihr Wie-von-Außen-Blick war auf den Mann fixiert. Nur am Rande nahm sie wahr, dass auf Maßnahmen zur Lebenserhaltung verzichtet wurde. Der Krebs hatte gesiegt. Sie hatte gesiegt!

1 – Allein

Jeany starrte auf die Uhr und ihre Laune sank im selben Maße, in dem sie ihr Pokerface verlor.

In den letzten zwei Jahren hatte sie sich einen Panzer der Unnahbarkeit gehüllt und die Rolle der Erwachsenen nach außen hin perfekt verkörpert. Aber ihre Unschuld hatte sie erst in den letzten drei Monaten hinter sich gelassen und dem Gesetz zufolge war sie noch fast 8400 Stunden davon entfernt, einundzwanzig und damit volljährig zu sein. Etwas, was sie nicht daran gehindert hatte, die letzten zwei Jahre die Verantwortung für ihre Familie zu übernehmen und in den letzten drei Monaten die komplette Position als Familienoberhaupt zu beanspruchen. In derselben Geschwindigkeit, in der ihre Mutter zerfiel und Opfer ihrer Krankheit wurde, hatte Jeany gelernt, älter zu wirken, mit Finanzen zu jonglieren und eine Scheinwelt für sich und ihre Geschwister aufzubauen. Natürlich hatte sie ab und zu überlegt, den Bundesstaat zu wechseln, um ihrer Verantwortung auch offiziell gerecht werden zu können, aber der Papierkram war gigantisch und eine Garantie, dass alles wie geplant klappte, gab es nicht. Außerdem konnte sie es sich schlichtweg nicht leisten.

Sie seufzte, als sie im Geiste die Bundesstaaten durchging, in denen sie bereits jetzt mündig wäre. Aus den meisten von ihnen hatte ihre Mutter in den letzten Monaten angerufen. So auch an diesem Morgen. Nur dieses Mal war alles anders gewesen.

Jeany überlegt, wie sie die schlechten Nachrichten überbringen sollte. Aber der Anruf war von dem Wegwerfhandy für den letzten Tag gekommen, daran gab es nichts schönzureden. Genauso wenig wie an dem Haufen Schrott, der ihr letztes Geburtstagsgeschenk gewesen war und nun nur noch rudimentär an ein Handy erinnerte. Ebenfalls nicht zurückverfolgbar. Trotzdem hob Jeany mit zittrigen Fingern alles auf, was auch nur entfernt an Elektronik erinnerte, und ließ es in ihr Wasserglas fallen. Sicher war sicher.

Noch während sie zusah, wie alles auf den Boden sank, sickerte die Erkenntnis in ihr Bewusstsein: Es ging zu Ende!

Nein, sie schüttelte den Kopf. Es war bereits zu Ende. Schon seit Monaten. Sie hatte es nur nicht wahrhaben wollen. Sie unterdrückte die Tränen. Selbst jetzt, nach dem Anruf, konnte und wollte sie es nicht glauben. Erst wenn sie sie sah … Sie schluckte und versuchte den Kloß in ihrem Hals zu ignorieren und den Gedanken zu verdrängen. Wenn sie den Gedanken nicht verdrängen würde, würde es auch für sie zu spät sein – und für ihre Geschwister.

Jeany konnte den Blick ihrer Schwester Mandy spüren und lächelte ihr aufmunternd zu, während die Sechzehnjährige näher kam.

»Meinst du immer noch, dass es klappt?«, erkundigte sie sich und setzte sich neben Jeany.

»Es muss!« Entschlossen ballte diese die Hände zu Fäusten, als könne sie sich so gegen das Schicksal auflehnen. Aber es musste einfach funktionieren! Es war alles, was ihr blieb. Nur noch elf Monate, dann konnten sie einer Jane Doe aus New York einen Namen geben und ihr eine würdevolle Beerdigung zukommen zu lassen. Bei dem Gedanken daran, dass ihre tapfere Mutter eingefroren werden würde, schüttelte Jeany den Kopf. Sie würde einfach nur eine namenlose Tote unter vielen sein und zwölf Monate im Leichenschauhaus aufgebahrt liegen, bevor sie den Weg in ein trauriges Grab fand. Ob es irgendwo eine Extraparzelle gab für all die Jane Does oder John Does dieser Welt?

Jeany wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und hoffte, dass Mandy den kurzen Moment der Schwäche nicht mitbekommen hatte. Schwäche konnte sie sich nicht leisten. In den nächsten Monaten würde sie stark sein müssen für die Familie, für ihre kleinen Geschwister. In elf Monaten – ja, in elf Monaten, da konnte sie dann auch endlich trauern.

Mandy lehnte sich vertrauensvoll an ihre Schulter. Gerade als Robert in ihr Sichtfeld trat. Er sah abgearbeitet und müde aus – und viel älter als er es mit seinen zwölf Jahren sollte. Trotzdem schwenkte er fröhlich einige Geldscheine, die er sich beim Rasenmähen in den Gärten der Nachbarn verdient hatte.

»Bob hat gesagt, ich kann bei ihm auch einmal die Woche putzen«, rief er den beiden schon von Weitem zu. »Und Frau Vierse wollte ihre Cousine fragen, ob ich dort auch Rasenmähen kann.«

Jeany schenkte ihrem Bruder ein aufmunterndes Lächeln und ein »Thumbs up«, obwohl sie sich nach allem fühlte, aber nicht nach Fröhlichkeit und guten Nachrichten. Denn so richtig gut waren diese trotz allem nicht. Denn selbst wenn sie diese zwei neuen Jobs mit einrechnete und die Extrastunden, die Mandy gestern in der Frittenbude herausgeschlagen hatte … dazu die psychologischen Fachartikel, die sie selbst neben der Uni schrieb, würde es knapp werden.

Jeany seufzte, weil sie wusste, dass sie sich etwas vormachte. Es würde nicht knapp werden, es war unmöglich. Zumindest, wenn sie weiterhin essen wollten.

Sie drehte sich zum Haus um und betrachtete die abbröckelnde Farbe, die welken Blumen und die verschobenen Dielen, die den Weg zur Tür zu einer wackeligen Angelegenheit machten. Die guten Zeiten waren schlichtweg vorbei. Waren es schon seit der ersten Diagnose.

Es war unfair, so zu denken, sie wusste, wie gerne Ma ihnen Geld dagelassen hätte. ..

Aber sie hatte wegen der Krankheit ihren Job verloren und keine Chance mehr gehabt, etwas Neues zu finden. Die Ersparnisse waren für die Therapie draufgegangen und zum Schluss – also zurzeit – lebten sie von der Hand in den Mund.

»Wir könnten das Gartenhaus vermieten«, schlug Mandy vor, die den Blick ihrer großen Schwester richtig interpretiert hatte und deutete Robert, sich ebenfalls zu ihnen auf die Treppe zu setzen.

»Klar, wie in dem Film mit dem Mentalisten«, meinte Jeany und verdrehte die Augen. »Wie heißt der Schauspieler aus der Serie doch gleich?«

»Sehe ich aus wie ein Filmlexikon?«, konterte Mandy, überlegte aber einen Moment und fragte: »Ist er in dem Film nicht auch ein Serienkiller?«

»Keine Ahnung, aber es war ein Krimi«, meinte Jeany. »Es ist eine Ewigkeit her, seit wir den Film mit Mom gesehen haben und ich weiß nur noch, dass der Typ heiß war.«

»Gegen so einen Untermieter hätte ich nichts einzuwenden!«, seufzte Mandy und Jeany war froh über die Ablenkung.

»Ich auch nicht!«, gab sie deswegen zu. »Aber wie verzweifelt müsste man sein, um bei uns zur Miete zu wohnen?«

Ihr Blick schweifte zu der Gartenhütte. Als Dad noch bei ihnen gewesen war, war sie schick gewesen, jetzt diente sie als großer Abstellraum. Unbrauchbar war die Toilette, ungenutzt der Kamin und die Kochnische, die Dad extra für Gartenpartys gebaut hatte, – Partys, die es seit seinem Verschwinden nicht mehr gegeben hatte – war längst eine Heimat für unzählige Spinnen. Allein der Gedanke an die Atelierwohnung mit der Schlafnische unter dem Dach erinnerte sie an den Streit am Vorabend von Dads Verschwinden.

Trotzdem war es eine Alternative und die Hütte hatte früher oft als Gästewohnung hergehalten, überlegte sie.

»Wenn das Dach noch dicht ist, könnte ich mir das gut vorstellen!«, gab Jeany zu und fügte geistig hinzu: Und wenn es im Inneren ordentlich und aufgeräumt wäre, könnte es sogar dreihundert Dollar im Monat bringen.

»Man könnte sogar ein Stück von unserem Garten abtrennen, damit der Mieter ein eigenes kleines Reich hat«, schlug Mandy vor und ihr Lächeln verriet Jeany, woran ihre kleine Schwester dachte: An den Mentalisten und wie er oben ohne im Garten schuftete.

»Simon Baker«, meinte Robert und riss die beiden Mädchen aus dem Tagtraum und zurück in die Trauer, die sich innerhalb von Sekunden bleischwer über die kleine Gruppe legte. Auch ohne Erklärung ahnte Robert, was das zerstörte Handy zu bedeuten hatte, und auch Julian, dessen Ankunft durch das Knatschen der Dielenbretter verraten wurde, schien die Stimmung innerhalb von Sekunden richtig zu deuten. Er umarmte Jeany von hinten und klammerte sich so fest an sie, dass es beinahe schmerzhaft war.

»Hei, Kleiner!«, begrüßte sie das Familien-Nesthäkchen und zog ihn ein wenig zur Seite, um seinen Griff zu lockern.

»Ich vermisse sie«, murmelte Julian in Jeanys Schulter.

»Ich vermisse sie auch!«, meinte die Älteste und Mandy und Robert nickten stumm und ließen zu, dass Jeany auch sie umarmte.

Der Sonnenuntergang ist beinahe zu schön, um nicht kitschig zu sein, dachte sie und konzentrierte sich auf die Farben, um das Handy verdrängen zu können – und alles, was damit zusammenhing.

Es klappte nicht.

Entschlossen, weiterhin der Familienfels in der Brandung zu sein, löste sich Jeany von den anderen und stand auf, um ins Haus zu gehen. Dabei fiel ihr Blick auf ihren kleinsten Bruder.

»Wo ist das denn her?« Die Frage war ihr entschlüpft, bevor sie den Tonfall und ihren Gesichtsausdruck unter Kontrolle hatte bringen können. Aber das blaue Auge und der dicke Kratzer auf Julians Oberarm waren zu prägnant, als dass ihr erster Gedanke den Umweg übers Gehirn hatte nehmen können. Sie musterte ihn besorgt und ihr Blick blieb an seinen Schuhen hängen – oder besser dort, wo seine Schuhe sein sollten. »Was ist passiert?«

»Justin ist passiert«, gab Julian zurück.

»Schon wieder?« Jeany war entsetzt, hatte sie doch allein in den letzten zwei Wochen bereits dreimal wegen ähnlicher Vorfälle mit Justins Mutter telefoniert.

»Tut mir leid«, meinte Julian so zerknirscht, als sei es seine Schuld, dass der ältere Junge ihn nach der Schule abgezogen hatte.

»Es reicht!« Jeany stampfte entschlossen los. Sie war genau in der richtigen Stimmung, um einmal persönlich bei Justin und seinen Eltern aufzutauchen. Die Ablenkung kam ihr gerade recht!

Als sie vor der dem Haus der anderen Familie stand, war sich Jeany nicht mehr sicher, ob sie wirklich eine gute Idee gehabt hatte. Im Gegensatz zu den anderen Häusern in der Straße wirkte dieses hier ungepflegt und irgendwie … anders. Dazu kam die heruntergekommene Hundehütte in der Auffahrt und ein bellender Köter, der zum Glück angekettet war und sich nur auf kleinem Radius bewegen konnte.

»So fangen immer die ganzen blöden Horrorfilme an«, murmelte sie leise und dachte daran, wie oft sie irgendeiner doofen Tussi im Kino den Tod gewünscht hatte, nur weil diese nicht auf ihre innere Stimme gehört hatte.

Jeany schüttelte den Kopf, atmete kurz durch und dachte daran, dass Justin nur ein kleiner, ungezogener Junge war und seine Familie einfach nur ein wenig … überfordert, bevor sie entschlossen auf die Türklingel drückte.

Danach dachte sie nur noch daran, wie unfair das Leben sein konnte und wie wütend sie darüber war, dass sie hier stehen musste und nicht ihre Mutter diesen Job übernehmen konnte.

»Ja?« Die Tür wurde aufgerissen und ein Mann in einem Feinrippunterhemd und einer Boxershorts stand vor ihr. Fehlte nur noch eine Bierdose in seiner Hand, aber auf die hatte das Schicksal glücklicherweise verzichtet. Trotzdem wirkte er ungehalten und so als habe sie ihn eben aus dem Schlaf gerissen – immerhin war der Hund bei seinem Auftritt verstummt und hatte sich in seine Hütte verzogen. »Wir kaufen nix an der Tür!«

»Das ist gut, denn ich verkaufe auch nichts«, meinte Jeany und versuchte sich an einem höflichen Lächeln. »Mein Name ist Jeany Schreiber, ich bin die Schwester von Julian.«

»Soso …« Der Blick des Mannes wurde noch abschätziger und er musterte sie von oben bis unten, als habe sie sich zu einer Landplage entwickelt.

»Sie haben hier schon mal angerufen?!«, meinte er, machte aber eine Frage aus seinen Worten.

»Ihr Sohn hat meinem Bruder heute die Schuhe geklaut, so dass Julian barfuß nach Hause laufen musste«, erklärte Jeany, ohne auf die Frage ihres Gegenübers einzugehen.

»Passen ohnehin nicht«, entgegnete der Feinrippträger ungehalten und so, als interessiere ihn dieses Gespräch und Jeanys Verärgerung nicht wirklich – oder sein Sohn.

»Bitte?« Jeany trat einen Schritt zurück und wusste nicht, ob sie ihren Ohren trauen konnte oder ob ihr ihre Fantasie einen Streich gespielt hatte.

»Wir müssen eben sparen«, erklärte Justins Vater.

»Ah, und das ist ein Grund, um zu klauen?«, hakte Jeany nach.

»’nen besseren gibt es nicht!« Justins Vater zuckte mit den Schultern und lächelte kalt, bis Jeany den Blick abwandte. Verwirrt blinzelte sie und versuchte die Antworten des Vaters in einen Zusammenhang zu ihrem Wunschgespräch zu bringen. Aber alle Worte, die sie sich zurecht gelegt hatte, ergaben angesichts seiner Unverfrorenheit einfach keinen Sinn mehr. Sie versuchte auf sichereres Terrain zurück zu rudern.

»Passen Sie auf, bis jetzt habe ich darauf verzichtet, Anzeige zu erstatten, weil Ihr Sohn noch ein Kind ist. Aber Dank dieses Gesprächs sehe ich mich nun gezwungen, die Polizei zu rufen«, erklärte sie so würdevoll wie es ihr überhaupt möglich war.

»Da sind Sie zu spät, Herzchen!« Er trat einen Schritt aus der Tür heraus und erst jetzt, wo er beinahe frontal vor ihr stand, fiel Jeany auf, wie groß er war – und wie bedrohlich.

»Das habe ich schon gemacht!« Er trat einen Schritt vor und drängte Jeany allein durch sein Näherkommen zurück und in die Ecke der Veranda. »Aber wenn du jetzt brav bist, werde ich den Polizisten erzählen, es sei nur ein Missverständnis gewesen.«

Vollkommen überrumpelt starrte Jeany ihr Gegenüber an und registrierte den Klang von Polizeisirenen in der Ferne. Keine Frage, sie kamen näher.

»Und es würde mich erheblich milder stimmen, wenn du mir einen bläst!«, meinte der Mann, der Jeanys Verwirrung als Angst deutete und kam noch einen Schritt näher.

Ohne nachzudenken stieß Jeany den Mann mit beiden Händen zurück und versuchte instinktiv aus der Ecke zu kommen. Eine Flucht, die ihr fast gelang.

Im nächsten Moment traf sie der Schlag und ließ sie zu Boden gehen. Einige Sekunden lang versuchte sie zu begreifen, was geschehen war und wie sie von der Veranda auf den Rasen gefallen war, aber der Schmerz in ihrer linken Gesichtshälfte war zu intensiv, als dass sie einen klaren Gedanken fassen konnte.

Erst nach einigen Atemzügen gelang es ihr, den Schmerz zuzuordnen und zu realisieren, was geschehen war. Beinahe im selben Augenblick wurde sie von hinten gepackt und auf die Beine gerissen. Benommen wankte sie und wäre wieder zu Boden gegangen, wenn die fremden Hände sie nicht aufrecht gehalten hätten.

Sie konnte hören, dass derjenige, der sie hielt, sprach, aber die Worte ergaben keinen Sinn und klangen sowieso wie durch Watte gesprochen. Dafür nahm sie umso genauer wahr, dass ein Kind weinte. Justin!

Jeany drehte sich um und sah, dass im Türrahmen des Hauses eine Frau stand, vermutlich die Frau des Unholds, der sie geohrfeigt hatte und die ihre Arme schützend um ihren Sohn gelegt hatte. Beide versteckten sich scheinbar verängstigt hinter dem Vater und Justin jammerte und klagte, was das Zeug hielt, und zeigte beim Schauspielern deutlich mehr Talent denn als Dieb. Unterstützt wurde sein Auftritt von einem Veilchen und einer blutenden Lippe.

Jeany blieb der Mund offen stehen, aber sie war nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu verfolgen oder einen Ton von sich zu geben.

Richtig zu Sinnen kam Jeany erst, als sie im Polizeiauto saß. Allerdings hatte sie keine Ahnung, wie lange sie bereits auf der Rückbank saß und nach draußen starrte. Hinaus zu dem Mann, der in wenigen Minuten ihr Weltbild und ihr Selbstbewusstsein erschüttert hatte und dafür verantwortlich war, dass sie wie eine Schwerverbrecherin behandelt wurde. Trotzdem war sie unglaublich froh darüber, dass die Polizei sie aus der Situation gerettet hatte. Etwas, was sie auch sagte, sobald die zwei Polizisten wieder im Auto saßen und losfuhren.

»Sie müssen jetzt noch keine Aussage machen, warten Sie, bis wir auf dem Revier sind«, meinte der Fahrer und starrte danach so konzentriert auf die Straße, als mache er sie für das blaue Auge des Jungen verantwortlich.

»Aber ich habe überhaupt nichts gemacht!«, protestierte Jeany. »Ich habe weder das Kind angerührt, noch den Vater. Ich wollte nur mit einem Erziehungsberechtigten von diesem Justin reden, da er die Schuhe meines Bruders geklaut hat.«

Der Polizist sah in den Rückspiegel, musterte sie und langsam verschwanden die Wut und die Abscheu aus seinem Blick. »Hören Sie, ich möchte Ihnen wirklich glauben, aber die Sachlage scheint doch sehr eindeutig zu sein!« Er schwieg einen Moment. »Wir haben drei Zeugen und alle drei sagen dasselbe.«

»Lass gut sein, Hank!«, unterbrach der Beifahrer, der sich bislang damit begnügt hatte, zuzuhören und drehte sich zu ihm. »Es ist ja nicht so, als sei der Vater ein Unbekannter und der Junge hat auch schon dreimal Ärger wegen Diebstählen bekommen und ist von seiner letzten Schule geflogen.«

»Aber. ..«, protestierte der Jüngere, wurde jedoch von dem anderen unterbrochen.

»Findest du es nicht auffallend, dass sie sofort Name und Adresse der Angreiferin zur Hand hatten?« Er lachte leise. »Oder dass nagelneue Schuhe bei der Hundehütte lagen – als Kauspielzeug?«

Er drehte sich nach hinten und sah Jeany direkt an. »Also? Was ist wirklich passiert?«

Jeany starrte ihn einen Moment lang an, dann begann sie zu erzählen. Auch von den Tagen zuvor, Julians Lederjacke und der Erpressung, für Justin die Hausaufgaben zu machen. Als sie endete, meinte sie nur, ihre Wut kaum noch unterdrückend: »Ich hatte schon mehrfach mit der Mutter gesprochen.«

Der Polizist nickte und selbst der Fahrer wirkte nun, als glaube er ihr. »Sie sah nicht so aus, als habe die viel zu melden!«

Jeany kämpfte gegen die Tränen an und wusste selbst nicht, ob es Tränen der Wut waren, welche aus verletztem Selbstvertrauen entstanden oder weil sie wirklich traurig über ihre Situation war.

»Passen Sie auf, Kindchen!« Der Beifahrer seufzte. »Ich glaube Ihnen.« Er sah zu Hank. »Wir schreiben in den Bericht: Häuslicher Unfriede geklärt und lassen alles andere verschwinden.«

»Wirklich?«, meinten Jeany und Hank beinahe zeitgleich. Doch während Jeany erleichtert wirkte, schien die Sache Hank nicht zu gefallen, denn er wiederholte: »Wirklich, George?«

»Wirklich!«, meinte der Angesprochene, drehte sich um und zwinkerte ihr aufmunternd zu. »Allerdings bringen wir Sie nach Hause. Sind Ihre Eltern da?«

»Mein Vater ist vor Jahren mit der Haushälterin davongelaufen und meine Mutter ist arbeiten«, erklärte Jeany und log nur bei der zweiten Hälfte der Erklärung. Mit gemischten Gefühlen sah sie zu, wie sie in die Straße einbogen, die sie auf dem Hinweg zu Justin gegangen war und sich ihrem Haus näherten.

»Deswegen haben Sie die Retterin für Ihren kleinen Bruder gespielt?«, erkundigte sich der nette Beifahrer.

»Habe ich zumindest probiert«, meinte Jeany und musste sich keine Mühe geben, um geknickt zu wirken. Es reichte ihr vollkommen, dass ihr Bruder die Ankunft des Polizeiautos vor ihrem Haus aus dem Fenster beobachtete. Selbst auf die Entfernung konnte sie sehen, wie er erschrak, als der Fahrer die hintere Tür öffnete und sie aussteigen hieß.

Auch George stieg aus. »Nächstes Mal warten Sie besser auf Ihre Mutter!«, riet er und sah sie direkt an. »Oder rufen mich an, bevor Sie eine Heldennummer abziehen!«

Er kramte in seiner Tasche und zog schließlich eine Visitenkarte hervor, danach einen Stift. »Das ist meine Handynummer«, erklärte er, während er schrieb. Dann reichte er ihr die Karte mit einem Lächeln. »Ich hatte auch mal einen kleinen Bruder, für den ich der Held sein wollte!«

»Danke!«, meinte Jeany und versuchte sich ebenfalls an einem Lächeln. Es wollte ihr nur halbherzig gelingen, weil sie immer noch schockiert war, aber ihr Gegenüber schien es ihr nicht übel zu nehmen, sondern deutete noch einmal auf die Karte, bevor er einstieg.

Erst als das Polizeiauto aus ihrem Blickfeld verschwunden war, traute sich Jeany die Realität zu akzeptieren und auf die Karte zu sehen: Sie hatte versagt!

Immer noch war sie so wütend und so aufgekratzt, dass sie förmlich spürte, wie Adrenalin durch ihre Adern pochte. So ein Arschloch!

»Rose?«, rief sie, kaum, dass sie das Vorzimmer der Professorin betreten hatte. »Ich bin da!«