Cathys Traum - Maeve Binchy - E-Book

Cathys Traum E-Book

Maeve Binchy

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Beschreibung

Cathy hat einen Traum: Sie möchte mit ihrem Geschäftspartner Tom den erfolgreichsten Catering-Service in Dublin aufziehen. Doch bis dahin ist es ein steiniger Weg – und Tom und Cathy stehen immer wieder vor neuen Herausforderungen, die ihr Berufs- und Liebesleben gründlich durcheinanderwirbeln …

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Maeve Binchy

Cathys Traum

Roman

Aus dem Englischen vonGabriela Schönberger

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

WidmungSilvesterJanuarFebruarMärzAprilMaiJuniJuliAugustSeptemberOktoberNovemberDezember

Für Gordon, mit all meiner Liebe

[home]

Silvester

Im Radio lief eine Sendung, in der die Leute befragt wurden, wie sie am liebsten Silvester verbringen würden. Das Ergebnis war nicht sonderlich überraschend. Diejenigen, die zu Hause waren und nichts zu tun hatten, wollten ausgehen und feiern, während diejenigen, die gestresst waren und vor Arbeit nicht aus noch ein wussten, lieber mit einer Tasse Tee ins Bett gehen wollten und sich wünschten, noch vor Mitternacht tief und fest zu schlafen.

Cathy Scarlet lächelte grimmig, als sie den Lieferwagen mit Tabletts voller Essen belud. Es gab wohl niemanden in ganz Irland, der auf die Frage geantwortet hätte, er wünsche sich von ganzem Herzen nichts sehnlicher, als an dem Abend der eigenen Schwiegermutter eine Silvesterparty auszurichten. Das war nämlich die Prüfung, die ihr heute Abend bevorstand: Hannah Mitchells Gäste in Oaklands mit Speisen und Getränken zu versorgen. Aber wieso machte sie es dann? Zum Teil, um mehr Routine zu bekommen, doch selbstverständlich auch, weil es eine gute Gelegenheit war, potenzielle Kunden kennen zu lernen. Jock und Hannah Mitchell kannten genau die Art von Leuten, die sich einen Partyservice leisten konnten. Aber hauptsächlich tat sie es, um Hannah Mitchell zu beweisen, wozu sie fähig war. Sie wollte ihr zeigen, dass sie, Cathy – Tochter der armen Lizzy Scarlet, der früheren Zugehfrau der Oaklands –, die Neil, den einzigen Sohn des Hauses, geheiratet hatte, sehr wohl ihr eigenes Geschäft zu führen wusste und diesen Menschen ebenbürtig war.

 

Neil Mitchell war im Auto unterwegs, als er das Radioprogramm hörte. Er ärgerte sich ziemlich darüber. Keinem, der zufälligerweise aus einem der anderen Autos zu ihm herübergeschaut hätte, wäre die Empörung entgangen, die sich auf seinem kantigen, gut geschnittenen Gesicht ausbreitete. Die Leute glaubten oft, ihn von irgendwoher wieder zu erkennen, und sie kannten ihn tatsächlich aus dem Fernsehen, nur dass er kein Schauspieler war. Als engagierter Anwalt und Sprecher sozial benachteiligter und schwächerer Mitmenschen war er regelmäßiger Gast auf dem Bildschirm, wo er sich mit leidenschaftlicher Geste die Haare aus dem Gesicht strich und kämpferische Blicke in die Runde warf. Die Art, wie hier in dieser Radiosendung gejammert und gestöhnt wurde, machte ihn wirklich verrückt. Menschen, die alles hatten – ein Heim, Arbeit, eine Familie –, riefen bei einem Radiosender an, um sich darüber zu beschweren, wie schrecklich das Leben war. Dabei ging es ihnen allen gut, sie waren nur zu selbstsüchtig, um es zu erkennen – ganz im Gegensatz zu dem Mann, zu dem Neil im Moment unterwegs war. Dieser Mann, ein Nigerianer, hätte alles gegeben, um die Probleme dieser Narren aus dem Radio zu haben. Aus Schlamperei und Unachtsamkeit waren seine Papiere nicht vollständig, und es bestand die große Gefahr, dass er Irland innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden würde verlassen müssen. Neil gehörte einer Gruppe von Anwälten an, die sich zusammengetan hatten, um die Interessen von Flüchtlingen effektiver vertreten zu können. Aus diesem Grund hatte man ihn zu einem Treffen gebeten, bei dem das weitere Vorgehen besprochen werden sollte. Das konnte Stunden dauern. Seine Mutter hatte ihn gewarnt, nicht zu spät in Oaklands zu erscheinen, es sei schließlich eine wichtige Party.

»Ich hoffe wirklich, dass es die arme Cathy schaffen wird«, hatte sie zu Neil gesagt.

»Wenn du willst, dass deine Gäste etwas zu essen bekommen, dann lass sie ja nicht hören, dass du sie ›arme Cathy‹ nennst«, hatte er lachend erwidert.

Dieser unsinnige Hickhack zwischen seiner Mutter und seiner Frau war wirklich idiotisch. Er und sein Vater hielten sich strikt aus allem raus. Es war doch klar, dass Cathy gewonnen hatte, wozu dann der ständige Ärger?

 

Tom Feather überflog bereits zum zweiten Mal den Immobilienteil der Zeitung. Ein angestrengtes Stirnrunzeln lag auf seinem Gesicht. Er hatte sich quer über das kleine Sofa drapiert, anders brachte er seine langen Arme und Beine nicht auf dem Möbelstück unter. Wenn er dann noch einen Stuhl für seine Füße ans Ende stellte, war es sogar relativ bequem; aber eines Tages würde er in einem Haus mit einem Sofa leben, das groß genug für ihn war. Es war zwar schön und gut, den breitschultrigen Körperbau eines Rugbyspielers zu haben, aber nicht unbedingt dann, wenn man sich auf einem unbequemen Sitzmöbel niederlassen musste, um die Immobilienangebote für Gewerberäume zu studieren. Er schüttelte die Zeitung. Bestimmt hatte er etwas übersehen, irgendwelche alten Werkstätten oder Ähnliches, die Platz genug boten, um eine Küche für ihren Heimservice einbauen zu lassen. Cathy Scarlet und er hatten wirklich hart gearbeitet, um ihre Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Seit dem ersten Jahr ihrer Ausbildung an der Fachschule für Gastronomie hatten sie es sich in den Kopf gesetzt, einmal Dublins besten Catering-Service zu betreiben. Die Vorstellung, ihren Kunden zu vernünftigen Preisen ausgezeichnete Küche anbieten zu können, hatte beide zu Höchstleistungen angespornt. Sie hatten hart gearbeitet, die entsprechenden Kontakte geknüpft und das Startkapital aufgetrieben, und jetzt brauchten sie nur noch ein Hauptquartier, von dem aus sie operieren konnten. Cathys und Neils kleines Reihenhaus in Waterview war zwar sehr elegant, bot aber zu wenig Platz, um in Frage zu kommen, und die Wohnung in Stoneyfield, in der er mit Marcella lebte, war noch winziger. Sie mussten unbedingt bald etwas finden. Mit halbem Ohr lauschte er dem Programm im Radio. Wie er diesen Silvesterabend am liebsten verbringen würde? Am liebsten würde er erst die perfekten Räume für ihre Firma finden und sich dann zu Hause einen schönen Abend mit Marcella machen. Er würde sich mit ihr vor den Kamin setzen, über ihr wunderschönes Haar streichen und Pläne für die Zukunft schmieden. Aber so würde es bestimmt nicht kommen.

 

Marcella Malone arbeitete im Schönheitssalon bei Hayward’s. Wahrscheinlich war sie die schönste Maniküre, die ihre Kunden je zu Gesicht bekommen hatten. Sie war gertenschlank und geschmeidig, und so auszusehen wie sie – ovales Gesicht mit olivenfarbener Haut und einer Wolke aus üppigem, dunklem Haar –, davon träumte bestimmt jedes Schulmädchen. Dabei verfügte sie über eine ruhige, unaufdringliche Art, die ihr trotz ihrer Schönheit sogar die Sympathien älterer, hässlicherer und dickerer Mitmenschen sicherte. Ihre Kunden hatten bei ihr immer das vage Gefühl, als könnte ihr gutes Aussehen irgendwie auf sie abfärben, und Marcellas Interesse an dem, was sie zu erzählen hatten, schien immer echt zu sein.

Auch im Schönheitssalon lief das Radio, und man unterhielt sich über die Sendung. Selbst die eine oder andere Kundin beteiligte sich an der Diskussion, dass offensichtlich niemand das zu bekommen schien, was er sich von Silvester erwartete. Marcella sagte die ganze Zeit über nichts. Sie beugte ihr schönes Gesicht nur noch tiefer über die Nägel, an denen sie gerade feilte, und dachte, wie glücklich sie doch war. Sie hatte alles, was sie wollte. Sie hatte Tom Feather, den attraktivsten und liebenswertesten Mann, den eine Frau sich nur wünschen konnte. Außerdem war sie erst kürzlich bei zwei erstklassigen Veranstaltungen fotografiert worden, einmal bei einer Strickwarenpräsentation, und ein anderes Mal bei einer Modenschau, wo Amateurmodels für einen guten Zweck Kleider vorgeführt hatten. Es sah so aus, als könnte sich im kommenden Jahr alles zu ihren Gunsten entwickeln. Mittlerweile hatte sie eine recht passable Setcard mit guten Fotos, und Ricky, der Fotograf, der sie aufgenommen hatte, würde heute Abend eine schicke Party geben, zu der auch sie und Tom eingeladen waren und zu der jede Menge Medientypen kommen würden. Wenn alles gut lief, dann hätte sie im nächsten Jahr um diese Zeit bereits einen Agenten und einen richtigen Modelvertrag und würde nicht länger als Maniküre bei Hayward’s arbeiten.

 

Es wäre schön für Cathy gewesen, wenn Tom mit ihr nach Oaklands hätte kommen können. Sie hätte in der Küche, die so viele schlechte Erinnerungen für sie barg, ein wenig moralischen Beistand und Unterstützung gut brauchen können, außerdem wäre es dann nur die Hälfte Arbeit für sie gewesen. Aber Tom musste Marcella irgendwohin begleiten, was selbstverständlich völlig in Ordnung war, da es ihr bei ihrer Karriere helfen würde. Marcella war so schön, dass die Leute auf offener Straße stehen blieben und dieses gertenschlanke, geschmeidige Wesen mit einem Lächeln, das selbst die dunkelste Nacht erhellen konnte, hemmungslos anstarrten. Kein Wunder, dass sie unbedingt als Model arbeiten wollte, und eigentlich war es erstaunlich, dass es nicht schon längst geklappt hatte. Aber dann hatte sich Neil als Hilfe angeboten, und sie hatten zusätzlich noch Walter, Neils Cousin, als Barkeeper verpflichtet. Außerdem hatte sie das Menü so schlicht wie möglich gehalten, ohne jeden Schnickschnack; Tom und sie hatten den ganzen Vormittag geschuftet.

»Es ist nicht fair, dass du das alles machst«, sagte Cathy. »Sie wird uns keinen Penny dafür zahlen, das weißt du doch.«

»Das ist eine gute Investition … Vielleicht bleiben ja jede Menge Folgeaufträge hängen«, erwiderte er gutmütig.

»Es ist doch wirklich nichts dabei, das sich einem der Gäste auf den Magen schlagen könnte, oder?«, erkundigte sich Cathy besorgt.

Sie sah Hannah Mitchells Gäste schon vor sich, wie sie im Haus herumliefen und sich als Folge einer entsetzlichen Lebensmittelvergiftung stöhnend die Bäuche hielten. Tom hatte nur kopfschüttelnd gemeint, sie würde von Stunde zu Stunde alberner werden. Er müsse verrückt sein, mit einer Partnerin zusammenzuarbeiten, die so leicht zu verunsichern war wie sie. Kein Mensch hätte ihnen Geld geliehen, wäre klar gewesen, dass die nach außen hin so cool wirkende Cathy Scarlet in Wirklichkeit ein schlotterndes Nervenbündel war.

»Mit den anderen Leuten komme ich schon klar«, versicherte Cathy ihm. »Es ist nur Hannah.«

»Lass dir einfach genügend Zeit, fahr rechtzeitig hin, hör dir im Auto ruhige Musik an, die gut für deine Nerven ist, und ruf mich morgen sofort an«, versuchte er sie zu beruhigen.

»Gern, wenn ich dann noch lebe. Viel Spaß heute Abend.«

»Na ja, bin schon gespannt auf diese Veranstaltung in Rickys Studio«, sagte er.

»Also, ein gutes neues Jahr, und grüß Marcella von mir.«

»Nächstes Jahr um diese Zeit – stell dir das mal vor …«, sinnierte er.

»Ich weiß, wir werden einen Riesenerfolg haben«, antwortete Cathy viel munterer, als ihr eigentlich zumute war.

Das war ihre übliche Art. War einer von beiden niedergeschlagen oder zweifelte er, stellte der andere übertriebenen Optimismus oder Fröhlichkeit zur Schau. Mittlerweile war der Lieferwagen fertig beladen. Neil war doch noch nicht zu Hause, da er zu einer Besprechung gefahren war. Er war nun mal kein normaler Anwalt, dachte sie stolz, er hatte keine festen Bürozeiten und verlangte auch keine teuren Honorare. Wenn jemand in Not war, war er da. So einfach war das. Und das war der Grund, weshalb sie ihn liebte.

Eigentlich hatten sie sich bereits als Kinder gekannt, nur begegnet waren sie sich selten. In all den Jahren, in denen Cathys Mutter in Oaklands gearbeitet hatte, war Neil im Internat gewesen und auch später, während seiner Zeit an der Universität, nur selten nach Hause gekommen. Danach, nach seiner Zulassung als Anwalt, hatte er sich eine kleine Wohnung genommen. Es war also ein großer Zufall gewesen, dass sie ihn ausgerechnet in Griechenland wieder traf. Wenn er in eine der anderen Villen gefahren wäre oder sie in diesem Monat auf einer anderen Insel gekocht hätte, hätten sie sich nie kennen gelernt und ineinander verliebt. Und Hannah Mitchell wäre heute glücklicher, nicht wahr? Cathy bemühte sich, diese Gedanken beiseite zu schieben. Es war noch viel zu früh, um nach Oaklands zu fahren, Hannah würde sich nur fürchterlich aufplustern und ihr im Weg herumstehen. Deshalb würde sie noch auf einen Sprung bei ihren Eltern vorbeischauen. Das würde sie beruhigen.

 

Muttance und Elizabeth Scarlet, die bei allen nur als Muttie und Lizzie bekannt waren, wohnten in der Innenstadt von Dublin in einer Straße mit alten, zweistöckigen Steinhäusern, genauer gesagt im St. Jarlath’s Crescent, der nach dem irischen Heiligen benannt war. Früher hatten hier nur Fabrikarbeiter gelebt, die jeden Morgen von der Werkssirene aus den Betten geworfen wurden. Vor jedem Haus befand sich ein winziger Garten, der keine drei Meter lang war und eine Herausforderung an jeden Hobbygärtner darstellte, hier etwas halbwegs Sinnvolles zu pflanzen.

In diesem Haus war Cathys Mutter zur Welt gekommen, und in dieses Haus hatte Muttie eingeheiratet. Es lag zwar nur zwanzig Minuten Fahrzeit von Cathys und Neils Reihenhaus entfernt, aber es hätten ebenso gut tausend Meilen sein können oder gar eine Million, wenn man dieses Viertel mit der exklusiven Welt von Oaklands verglich, wo sie heute Abend hinfuhr.

Ihre Eltern freuten sich sehr, als sie Cathy unerwartet in ihrem weißen Lieferwagen auftauchen sahen. Wie sie Silvester verbringen würden, erkundigte sich Cathy. Sie würden in ein Pub um die Ecke gehen und sich dort mit ein paar von Mutties Partnern treffen. Die Männer, die Muttie als seine Partner bezeichnete, waren in Wirklichkeit die Stammgäste, die er tagtäglich in Sandy Keanes Wettbüro traf. Aber da es keinen unter ihnen gab, der seine dortigen Aktivitäten nicht todernst nahm, hütete Cathy sich davor, Witze über sie zu machen.

»Bekommt ihr dort auch was zu essen?«, fragte Cathy.

»Um Mitternacht gibt’s Brathähnchen.« Muttie Scarlet war sichtlich zufrieden mit der Großzügigkeit des Wirts.

Cathy betrachtete ihre Eltern.

Ihr Vater war klein und rund, mit wirr abstehendem Haar; sein Gesicht schien ständig zu lächeln. Er war fünfzig, und sie hatte ihn noch keinen Tag arbeiten sehen. Er hatte einen lädierten Rücken, der ihn daran hinderte, einen Job zu finden. Doch so schlimm, dass er nicht täglich zu Sandy Keane hätte gehen und dort einen todsicheren Tipp für das Rennen um Viertel nach drei hätte abgeben können, war sein Rücken nun auch wieder nicht.

Lizzie Scarlet sah aus wie immer – klein, zäh, drahtig. Ihren Kopf schmückte eine kompakte Dauerwelle, die sie sich viermal im Jahr im Frisiersalon ihrer Cousine machen ließ.

»Das ist so zuverlässig wie Lizzies Dauerwelle«, hatte Hannah Mitchell einmal gesagt. Cathy hatte sich fürchterlich darüber aufgeregt. Sie hatte es nicht ertragen, dass Hannah Mitchell, die sich einmal in der Woche für teures Geld bei Hayward’s die Haare richten ließ, während Lizzie Scarlet auf den Knien lag und Oaklands schrubbte, sich über die Frisur ihrer Mutter mokierte. Aber es hatte keinen Sinn, sich jetzt deswegen Gedanken zu machen.

»Freust du dich auf heute Abend, Mam?«, fragte sie stattdessen.

»Und wie, die veranstalten sogar ein Quiz mit allen möglichen Preisen«, schwärmte Lizzie. Cathy spürte eine Welle der Zuneigung zu ihren genügsamen Eltern, die mit so wenig zufrieden waren, in sich aufsteigen.

Ganz im Gegensatz zu Neils Mutter in Oaklands. Deren Mund würde sich heute Abend um Mitternacht zu einer dünnen Linie verhärten, und sie würde an allem, was Cathy tat, etwas auszusetzen haben.

»Und haben die aus Chicago sich schon gemeldet?«, fragte sie.

Cathy war die Jüngste von fünf Geschwistern und das einzige Kind von Muttie und Lizzie, das noch in Dublin lebte. Ihre beiden Brüder und ihre beiden Schwestern waren alle ausgewandert.

»Alle haben sie angerufen«, sagte Lizzie stolz. »Mit unseren Kindern hatten wir schon immer Glück.«

Cathy wusste, dass ihre Geschwister ihrer Mutter auch ein paar Dollar hatten zukommen lassen, weil die Umschläge mit dem Geld immer an sie und nicht an ihre Eltern gingen. Schließlich hatte keiner was davon, ihren Vater unnötig in Versuchung zu führen und mit dem amerikanischen Geld vor seiner Nase herumzuwedeln, wo doch jeder wusste, dass er nur darauf wartete, das Geld auf angeblich todsichere Sieger bei Sandy Keane zu verwetten.

»Also, am liebsten wäre ich heute Abend ja bei euch«, gestand Cathy. »Aber stattdessen werde ich es Hannah Mitchell bestimmt hinten und vorn wieder nicht recht machen können, ganz gleich, was ich ihren Gästen auftische.«

»Du hast das selbst so gewollt«, bemerkte Muttie.

»Sei bitte höflich zu ihr, Cathy. Im Laufe dieser ganzen Jahre habe ich festgestellt, dass es besser ist, sie bei Laune zu halten.«

»Und das hast du auch getan, Mam, du hast sie immer bei Laune gehalten«, erwiderte Cathy grimmig.

»Du wirst doch hoffentlich heute Abend keine Grundsatzdiskussion vom Zaun brechen, oder?«

»Nein, Mam. Du kannst ganz beruhigt sein. Ich habe zugesagt, und ich werde meine Arbeit gut und mit einem Lächeln auf den Lippen erledigen – und wenn es mich umbringt.«

»Ich wünschte, Tom Feather würde dich begleiten, er hätte dich schon gebändigt«, warf Lizzie ein.

»Dafür ist Neil da, Mam, der passt auf mich auf.« Cathy gab den beiden zum Abschied einen Kuss und übte im Wagen schon mal ihr Lächeln, während sie nach Oaklands hinausfuhr.

 

Jetzt, da es keine arme Lizzie mehr zum Terrorisieren gab, hatte Hannah Mitchell auch keine fest angestellte Zugehfrau mehr. Zweimal in der Woche kamen vier Frauen ins Haus, die sich von niemandem mehr dumm anreden ließen. Sie putzten, staubsaugten, bügelten und brachten sogar ihre eigene Ausrüstung in einem kleinen Lieferwagen mit.

An einem Tag wie Silvester berechneten sie den eineinhalbfachen Preis. Hannah hatte schärfstens dagegen protestiert.

»Wie Sie meinen, Mrs. Mitchell«, hatten sie nur fröhlich und in dem Wissen erwidert, dass an einem solchen Tag jede Menge Leute nur allzu froh wären, wenn ihnen jemand ihr Haus sauber machte. Hannahs Widerstand währte nicht lange. Heutzutage war wirklich nichts mehr wie früher. Aber es hatte sich bezahlt gemacht, das Haus sah prächtig aus, und im weiteren Verlauf des Abends würde sie auch keinen Finger rühren müssen. Das heißt, falls die gute Cathy tatsächlich in der Lage war, ein anständiges Essen auf den Tisch zu bringen. Bald würde sie in diesem großen Lieferwagen auftauchen, der wirklich in einem beklagenswerten Zustand war: Sogar die Frauen, die zweimal in der Woche kamen, um das Haus sauber zu machen, fuhren einen anständigeren Wagen. Schnaufend und keuchend würde sie in die Küche kommen und sich dort breit machen. Die Tochter der armen Lizzie tat doch tatsächlich so, als gehörte das Haus ihr. Was wahrscheinlich eines Tages auch so sein würde. Aber noch war es nicht so weit, dachte Hannah mit verkniffenem Mund.

Hannah Mitchells Mann Jock hielt auf dem Nachhauseweg unterwegs kurz auf einen Drink an. Er brauchte dringend einen, eh er es mit Hannah aufnehmen konnte. Vor einer Party war sie zwar immer nervös und angespannt, aber dieses Mal war ihr Zustand noch um vieles schlimmer, so sehr ging es ihr gegen den Strich, dass Neils Frau Cathy die Bewirtung der Gäste übernommen hatte. Bisher hatte sie sich strikt geweigert, anzuerkennen, dass das Paar glücklich miteinander war, dass es den beiden gut ging und es höchst unwahrscheinlich war, dass sie sich trennen würden. Da mochte sie ihnen noch so viele Steine in den Weg legen. Cathy würde für sie immer die Tochter der armen Lizzie und eine intrigante Schlange bleiben, die es irgendwie geschafft hatte, in Griechenland ihren Sohn zu verführen. Sie war der festen Überzeugung gewesen, dass die junge Frau sich bestimmt mit Absicht hatte schwängern lassen, um ihn zu ködern. Als es sich schließlich herausgestellt hatte, dass dies gar nicht der Fall war, war sie vor Überraschung aus allen Wolken gefallen.

Jock Mitchell trank nachdenklich seinen schottischen Whisky und wünschte sich, sich zu allem anderen nicht auch noch darüber Gedanken machen zu müssen. Er hatte heute mit seinem Neffen Walter ein Gespräch geführt, das ihn zutiefst beunruhigt hatte. Walter, ein arbeitsscheuer Möchtegern-Playboy und ältester Sohn seines Bruders Kenneth, hatte ihm eröffnet, dass es mit The Beeches, dem Anwesen der Familie, nicht zum Besten stünde. Ganz im Gegenteil. Walter erzählte, dass sein Vater kurz vor Weihnachten nach England verschwunden sei und keinerlei Hinweis auf seinen Aufenthaltsort hinterlassen habe. Walters Mutter, die nicht gerade für ihre Charakterstärke bekannt war, hatte sich daraufhin in heftigen Wodkakonsum geflüchtet. Das Problem waren nun die neunjährigen Zwillinge des Paares, Simon und Maud. Was sollte aus ihnen werden? Walter hatte nur die Schultern gezuckt; er hatte keine Ahnung. Irgendwie würden sie sich schon durchschlagen, meinte er. Jock Mitchell stieß erneut einen Seufzer aus.

 

Als sie in Oaklands ankam, hörte Cathy ihr Handy klingeln. Sie hielt an und meldete sich.

»Schatz, ich werde nicht kommen und dir beim Ausladen helfen können«, entschuldigte er sich.

»Neil, das macht doch nichts, ich wusste ja, dass es länger dauern würde.«

»Die Angelegenheit ist komplizierter, als wir dachten. Aber bitte doch meinen Vater, dir bei den vielen Kisten zu helfen. Schlepp die Sachen nicht selbst, nur um meiner Mutter zu beweisen, wie toll du bist.«

»Aber das weiß sie doch«, knurrte Cathy.

»Walter sollte schon längst da sein …«

»Wenn ich mit dem Ausladen und Aufbauen so lange warte, bis Walter kommt, ist die Party schon halb vorbei … Hör auf, dir Sorgen zu machen, und kümmere dich lieber um deine eigene Arbeit.«

Keine sechs Stunden würde dieses Jahr mehr dauern, nur noch sechs Stunden, in denen sie nett zu Hannah sein musste, redete Cathy sich immer wieder ein. Was war eigentlich das Schlimmste, das passieren konnte? Das Schlimmste war, dass ihr Büfett nicht schmecken und es keiner essen würde, aber das war völlig ausgeschlossen, da das Essen köstlich war. Fast ebenso schlimm wäre es, wenn es nicht ausreichen würde, aber in ihrem Lieferwagen war genügend, um halb Dublin satt zu bekommen.

»Es gibt also keine Probleme«, sagte Cathy laut, als sie die von Bäumen gesäumte Auffahrt zu dem Haus hinunterblickte, in dem Neil geboren worden war. Das Anwesen eines Gentlemans, hundertfünfzig Jahre alt, von imposanter und beruhigender Ausstrahlung mit seinen vier Schlafzimmern über der großen Eingangstür und den Erkerfenstern rechts und links davon. Die Wände waren mit Efeu und wildem Wein bewachsen und auf dem großen, runden, mit Kies bedeckten Platz vor dem Haus würden heute Abend mindestens zwanzig teure Wagen stehen. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht zwischen diesem Haus und St. Jarlath’s Crescent.

 

Shona Burke saß oft noch spät an ihrem Schreibtisch bei Hayward’s; sie hatte ihren eigenen Schlüssel und ihr eigenes Codewort, um in die Büroetage zu gelangen, wann immer es ihr beliebte. Auch sie hatte das Programm im Radio gehört und sich gefragt, ob sie tatsächlich so etwas wie eine Wahl hatte, zu entscheiden, wie sie den Silvesterabend verbringen wollte. Vor langer, langer Zeit, in einem glücklicheren Leben, hätte es ein Fest gegeben, aber das war in den letzten paar Jahren nicht mehr vorgekommen. Sie hatte keine Ahnung, was ihre Geschwister unternehmen und ob sie ins Krankenhaus gehen würden. Shona würde selbstverständlich im Krankenhaus vorbeischauen, das war schließlich ihre Pflicht, auch wenn es sinnlos war, da man sie weder erkennen noch ihr Bemühen anerkennen würde.

Hinterher würde sie zu Rickys Party in seinem Studio gehen. Jeder mochte Ricky. Er war Fotograf, angenehm und locker. Er lud einfach einen Haufen Leute ein und feierte mit ihnen ein rauschendes Fest. Selbstverständlich würde es dort auch von Angebern und hohlköpfigen Typen wimmeln, die alles dafür tun würden, ihren Namen in den Klatschspalten zu lesen … Es war höchst unwahrscheinlich, dass sie dort die Liebe ihres Lebens oder auch nur einen Seelenverwandten kennen lernen würde. Trotzdem würde sie sich schick machen und hingehen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sie nicht der Typ Frau war, die sich allein in ihrer kleinen Wohnung in Glenstar vergrub.

Die Frage ließ sie aber nicht mehr los. Was würde sie heute Abend wirklich gerne machen? Eine Antwort fiel ihr schwer, da sich so vieles verändert hatte. Die guten Zeiten waren vorbei, und es war ihr unmöglich, sich etwas vorzustellen, das sie wirklich glücklich gemacht hätte. In Ermangelung anderer Möglichkeiten war das Fest bei Ricky eine annehmbare Alternative.

 

Marcella lackierte ihre Zehennägel. Sie hatte sich neue Abendsandalen in einem Secondhandshop gekauft. Stolz zeigte sie sie Tom. Sie waren kaum getragen; bestimmt hatte jemand erst zu Hause festgestellt, dass sie nicht passten.

»Die müssen neu ein kleines Vermögen gekostet haben«, sagte sie und betrachtete sie glücklich.

»Freust du dich?«, wollte Tom wissen.

»Sehr«, antwortete sie. »Und du?«

»Oh, sehr sogar«, entgegnete er lachend. Stimmte das? Er wollte eigentlich gar nicht zu dieser Party gehen. Aber allein Marcellas Anblick versetzte ihn in frohe Stimmung. Er konnte es nicht fassen, dass eine so schöne Frau, die jeden hätte haben können, den sie wollte, sich wirklich mit ihm zufrieden gab. Tom hatte keine Ahnung, was für ein attraktiver Mann er war; er hielt sich für zu groß und ungelenk. Er glaubte allen Ernstes, dass all die bewundernden Blicke, die das Paar auf sich zog, einzig und allein Marcella galten …

»Ich habe heute eine Sendung im Radio gehört. Irgendwie kam dabei rüber, dass die Leute nie richtig glücklich sind«, begann sie.

»Ich weiß, ich habe sie auch gehört«, unterbrach Tom sie.

»Und dabei habe ich gedacht, wie glücklich wir beide doch sind. Die arme Cathy und Neil können heute Abend nicht machen, was sie wollen.« Marcella, die außer einem Stringtanga noch nichts anhatte, griff nach einem winzigen roten Kleidungsstück, das über dem Stuhl hing.

»Tja, Cathy wird jetzt schon im Haus ihrer Schwiegermutter sein und die Tische decken. Ich hoffe nur, sie verliert nicht die Nerven.«

»Das wird sie sich nicht leisten können, sie ist schließlich ein Profi. Und arbeiten müssen wir alle«, bemerkte Marcella, die sich in ihrem Leben schon über viele herrische Hände gebeugt hatte und sich jetzt endlich einen Platz an der Sonne wünschte, ein Leben als Model auf dem Laufsteg.

»Neil ist schließlich auch noch da, außerdem sein kleiner Cousin, da dürfte eigentlich nichts mehr schief gehen.« Tom klang trotzdem nicht sehr überzeugt.

Marcella war in das rote Etwas geschlüpft, ein kurzes Kleid, das eng an ihrem Körper klebte und wirklich nichts der Fantasie überließ.

»Willst du das wirklich heute Abend auf der Party tragen, Marcella?«

»Gefällt es dir nicht?« Schlagartig verdüsterte sich ihr Gesicht.

»Natürlich gefällt es mir. Du siehst wunderschön darin aus. Mir wäre es nur irgendwie lieber, du würdest es nur hier tragen, für uns, es muss dich ja nicht jeder darin sehen.«

»Aber Tom, das ist ein Cocktailkleid«, rief sie beleidigt.

Er nahm sich sofort wieder zusammen.

»Da hast du natürlich Recht. Du wirst die Königin des Abends sein.«

»Was hast du dann damit gemeint …?«

»Was ich damit gemeint habe? Nichts Bestimmtes. Ich wollte damit nur sagen, du siehst so atemberaubend aus, dass ich dich am liebsten mit niemandem teilen würde … Aber vergiss es. So ernst habe ich es auch wieder nicht gemeint.«

»Und ich dachte, du bist stolz auf mich«, sagte sie leise.

»Ich bin doch stolz auf dich, du hast ja keine Ahnung, wie sehr«, versicherte er ihr. Und sie war wirklich eine Schönheit. Er verstand seine eigene Reaktion nicht.

 

Hannah Mitchell trug ein marineblaues Wollkleid. Nach ihrem feiertäglichen Besuch in Hayward’s Schönheitssalon starrte ihre Frisur von Haarspray und war steif wie ein Brett. Sie kleidete sich immer, als sei sie mit ein paar Damen zum Mittagessen verabredet. Cathy konnte sich nicht erinnern, sie jemals mit einer Schürze oder in einem alten Rock gesehen zu haben. Aber wenn man keine Hausarbeit machen musste, wozu sollte man dann solche Sachen tragen?

Hannah sah Cathy zu, wie sie jede Kiste und jeden Karton einzeln ins Haus trug. Natürlich stand sie ihr dabei nur im Weg. Sie kam gar nicht auf die Idee, ihr beim Tragen zu helfen. Stattdessen bangte sie um ihre Tapeten, auf denen die Kisten hoffentlich ja keine Spuren hinterlassen würden, und fragte sich, wo Cathy wohl ihren Lieferwagen parken würde, damit er aus dem Weg wäre, wenn die Gäste kamen. Mit grimmiger Miene marschierte Cathy zwischen Küche und Wagen hin und her. Sie schaltete die Herde ein, hängte ihre Geschirrtücher über die Stühle, legte ihren Beutel mit Eis in den Gefrierschrank und fing an, die Lebensmittel zu sortieren. Es würde nichts nützen, Hannah zu bitten, sie allein zu lassen, nach oben zu gehen und sich hinzulegen. Sie würde bleiben und ihre nervigen Kommentare abgeben, bis die ersten Gäste kamen.

»Wird Mr. Mitchell bald nach Hause kommen?« Cathy dachte daran, ihn vielleicht zu fragen, ob er ihr nicht beim Auspacken der Gläser helfen könnte.

»Ich weiß es nicht, Cathy. Es ist auch nicht meine Aufgabe, Mr. Mitchell Anweisungen zu geben, wann er nach Hause zu kommen hat.« Cathy spürte, wie sich ihr vor Wut die Nackenhaare sträubten. Wie konnte es diese Frau nur wagen, immer so unverschämt und herablassend zu sein. Aber sie wusste, dass sie mit ihrem Ärger allein dastand. Neil würde nur die Achseln zucken, wenn sie es ihm erzählte. Ihre Mutter würde sie anflehen, Mrs. Mitchell nicht weiter zu reizen. Und sogar ihre Tante Geraldine, auf deren moralischen Zuspruch und Ermutigung normalerweise immer Verlass war, würde nur sagen: Kind, was regst du dich auf. Ihr Verhalten bewies doch nur, dass Hannah Mitchell ein völlig unsicherer Mensch war, für den seine Zeit zu verschwenden sich nicht lohnte. Cathy machte sich daran, die Alufolie von den vorbereiteten Speisen zu nehmen.

»Ist das Fisch? Den isst aber wirklich nicht jeder, das solltest du doch wissen.« Hannah hatte mittlerweile ein Gesicht aufgesetzt, aus dem ernste Sorge sprach.

»Ich weiß, Mrs. Mitchell, manche Leute mögen keinen Fisch, deswegen gibt es auch verschiedene Hauptgerichte.«

»Aber woher sollen die Leute das wissen?«

»Das werden sie schon erfahren. Ich werde es ihnen sagen.«

»Aber hast du nicht gesagt, das soll ein Büfett werden?«

»Ja, aber ich werde dahinter stehen und servieren und die Gäste darauf aufmerksam machen.«

»Sie auf was aufmerksam machen?« Hannah Mitchell verstand die Welt nicht mehr.

Cathy fragte sich, ob ihre Schwiegermutter vielleicht tatsächlich geistig etwas unterbelichtet war.

»Ich frage sie zum Beispiel, ob sie Fisch in Meeresfrüchtesauce oder Hühnchen mit Kräutern oder doch lieber das vegetarische Gulasch haben möchten«, erklärte sie geduldig.

Mrs. Mitchell konnte an dieser Aussage nichts auszusetzen finden, sosehr sie sich auch anstrengte.

»Tja, dann«, sagte sie schließlich.

»Also, dann mache ich jetzt einfach mit meiner Arbeit weiter, ja?«, fragte Cathy.

»Cathy, meine Liebe, ich wüsste nicht, wer dich aufhalten sollte!«, bemerkte Hannah mit versteinerter Miene. Es war unverzeihlich, welche Dreistigkeit sich die Tochter der armen Lizzie Scarlet ihr gegenüber herausnahm.

 

Neil schaute auf seine Uhr. Jeder Einzelne hier im Raum hatte an diesem Silvesterabend etwas vor, nur der Student nicht, zu dessen Unterstützung sie sich alle hier versammelt hatten. Bald wären sie mit ihrer Besprechung zu Ende, aber sie durften es sich nicht einfallen lassen, dann sofort fluchtartig den Raum zu verlassen. Es wäre schrecklich für diesen Mann, dessen Zukunft auf dem Spiel stand, wenn er denken müsste, dass die Bürgerrecht-Aktivisten, die Sozialarbeiter und die Anwälte mehr Interesse an einem vergnüglichen Abend als an seiner Zwangslage hatten. Neil versuchte alles, dem jungen Nigerianer zu versichern, dass er in Irland willkommen wäre und hier auch Gerechtigkeit fände. Er würde es deshalb nicht zulassen, dass Jonathan den letzten Abend dieses Jahres allein verbrachte.

»Wenn wir hier fertig sind, kommen Sie mit zu meinen Eltern nach Hause«, sagte er. Er war schon viel zu spät dran, aber das konnte er jetzt nicht mehr ändern.

Die großen Augen sahen ihn traurig an. »Das müssen Sie aber nicht machen.«

»Ich weiß, dass ich es nicht muss, und es wird auch nicht sehr lustig werden, aber meine Frau sorgt für die Verpflegung, so dass wenigstens das Essen gut sein wird. Die Freunde meiner Eltern sind ein wenig … ja, wie soll ich mich ausdrücken … ein wenig festgefahren.«

»Ich komme schon klar, Neil, ehrlich. Sie haben schon so viel für mich getan, und diese Besprechung hier hat Sie auch noch aufgehalten …«

»Ich würde sagen, wir gehen die Angelegenheit ein letztes Mal durch«, schlug Neil den anderen Teilnehmern vor, »und dann werden Jonathan und ich losfahren.« Er bemerkte, dass sie ihn bewundernd ansahen. Für Neil Mitchell gab es wirklich keine halben Sachen. Deshalb fühlte er sich auch schuldig, weil er nicht da war, um Cathy zu helfen, wie er versprochen hatte, aber das hier war wichtiger – sie würde es verstehen. Cathy würde schon zurechtkommen. Bestimmt waren mittlerweile auch sein Vater und Walter da, um ihr unter die Arme zu greifen … Alles würde klappen.

 

Hannah ließ sich nicht vertreiben, was bedeutete, dass Cathy sich mit ihr unterhalten, ihre dummen Fragen beantworten, unnötige Ängste zerstreuen und sogar noch Konversation machen musste, um nur ja nicht als launisch zu gelten.

»Es ist schon fast halb acht, Walter wird jede Minute kommen«, meinte Cathy verzweifelt. Hätte sie nicht dem prüfenden Blick der kritischen Augen der ganzen westlichen Hemisphäre standhalten müssen, wäre ihr die Arbeit viel flotter von der Hand gegangen. Sie hätte öfter die Finger benutzen und manche Dinge einfach irgendwohin legen können, statt sie elegant platzieren zu müssen.

»Ach, Walter! Er wird sicher zu spät kommen, wie die meisten jungen Leute.« Aus Hannahs Stimme klang Missbilligung und Resignation.

»Das glaube ich nicht, Mrs. Mitchell, nicht heute Abend. Er bekommt schließlich Geld für seine Arbeit und wird von halb acht bis halb eins bezahlt. Das sind fünf Stunden. Ich bin überzeugt, dass er uns nicht im Stich lässt.«

Cathy war sich dessen jedoch nicht sicher; es gab keinerlei Beweis, dass Walter zuverlässig war. Aber zumindest wüssten die anderen jetzt, zu welchen Bedingungen er für sie arbeitete. Und wenn er nicht auftauchte, dann wäre er vor der eigenen Verwandtschaft bloßgestellt. Sie hörte draußen jemanden kommen.

»Ah, das ist bestimmt Walter«, sagte sie. »Ich wusste doch, dass er pünktlich ist.«

Aber es war Jock Mitchell, der händereibend in die Küche kam.

»Das sieht ja alles großartig aus, Cathy. Ist das nicht eine verwirrende Auswahl, Hannah?«

»Ja«, erwiderte seine Frau.

»Schön, dass Sie zu Hause sind, Mr. Mitchell. Ich dachte, es sei Walter. Eigentlich soll er heute Abend für mich arbeiten«, erklärte Cathy. »Wissen Sie vielleicht, ob er mit Ihnen zusammen aus dem Büro weg ist?«

»Der ist schon viel früher gegangen«, antwortete ihr Schwiegervater. »Der Junge hat offenbar seine eigene Zeiteinteilung. Ich musste mir von seinen Vorgesetzten deswegen schon einiges anhören.«

Hannah Mitchell mochte es gar nicht, wenn familiäre Angelegenheiten in Cathys Gegenwart besprochen wurden.

»Wieso gehst du nicht nach oben und duschst dich rasch, mein Lieber? Unsere Gäste werden in einer halben Stunde hier sein«, meinte sie steif.

»Schon gut, in Ordnung. Kannst du noch Hilfe gebrauchen, Cathy?«

»Nein, nicht nötig. Wie ich schon sagte, mein Kellner muss jeden Moment hier sein«, erwiderte Cathy.

»Und Neil?«, fragte Jock.

»Der hat eine Besprechung. Er kommt, sobald er kann.«

Endlich war sie allein in der Küche. Bisher hatte sie es überlebt, aber es war erst Viertel vor acht, und es lagen noch endlose Stunden vor ihr.

 

Rickys Party ging erst um neun Uhr los. Sie würden erst später hingehen, und deswegen blieb Tom Feather noch viel Zeit, seine Eltern zu besuchen und ihnen ein gutes neues Jahr zu wünschen. Er nahm den Bus, der vor ihrer Wohnung in Stoneyfield hielt und der ihn direkt nach »Fatima« brachte, in das Haus seines Vaters und seiner Mutter, das wegen der vielen Statuen und Heiligenbilder eine bedrückende Atmosphäre ausstrahlte. Er hätte so gerne Cathy angerufen und sie gefragt, wie es lief, aber sie hatte ihm erklärt, dass es besser sei, ihr Handy nicht mit ins Haus zu bringen. Es schien Hannah Mitchell über alle Maßen aufzuregen, weshalb sie es im Lieferwagen lassen wollte. Cathy würde es auch nicht gutheißen, wenn er im Haus anrief und sie an den Apparat von Oaklands gehen müsste, also würde er es lieber lassen.

Toms Herz war schwer, als er im Bus saß. Es war so dumm, sich wegen des knappen Kleidchens aufzuregen, das Marcella tragen wollte. Sie machte sich schließlich seinetwegen schick; er war es, den sie liebte. Er war so schlechter Laune, dass er sich sogar über die Stunde Zeit aufregte, die es ihn kostete, zu seinen Eltern zu fahren und einen Moment in ihrem voll gestopften Wohnzimmer mit ihnen zu verbringen. Aber die beiden waren immer so pessimistisch, immer gleich bereit, nur die negativen Seiten zu sehen, während er genau das Gegenteil davon war. Er war dumm, sich Sorgen zu machen, da sie bisher noch nicht die geeigneten Räume für die neue Firma gefunden hatten. Irgendwann würde es schon klappen. Wie hieß es so schön? Alles brauchte seine Zeit, und wenn es so weit wäre, dann würden sie auch das Richtige finden.

Toms Mutter beklagte sich, dass sie nichts von seinem Bruder Joe gehört habe, nicht einmal an Weihnachten. Es gebe schließlich auch in London Telefon, und er bräuchte doch nur den Hörer abzunehmen. Toms Vater erzählte von einem Zeitungsartikel, in dem stand, dass es mit dem Baugewerbe wieder aufwärts ginge, während er, Tom Feather, irgendwelchen Seifenblasen hinterherjage und versuche, eine Catering-Firma aufzuziehen, statt sich bei ihm ins Büro zu setzen. Tom blieb die ganze Zeit über fröhlich und gelassen und redete, bis ihm der Kiefer wehtat. Schließlich umarmte er seine Eltern und sagte, dass er nun wirklich zurückmüsse.

»Ich nehme mal nicht an, dass du im neuen Jahr eine anständige Frau aus Marcella machen wirst. Das könntest du dir doch als guten Vorsatz nehmen, oder?«, fragte seine Mutter.

»Mam, ich wollte Marcella bereits heiraten, da kannte ich sie noch keine halbe Stunde. Ich habe sie bestimmt schon hundertmal gefragt …« In einer hilflosen Geste breitete er die Arme aus. Sie wussten, dass er die Wahrheit sagte.

 

Walter Mitchell sah auf die Uhr. Er war in einem Pub und nahm gerade mit einer Gruppe von Freunden einen kleinen Silvesterumtrunk zu sich.

»Scheiße, es ist schon acht Uhr«, stöhnte er.

Cathy würde fuchsteufelswild auf ihn sein, aber Onkel Jock und Tante Hannah würden ihm schon helfen. Das war das Schöne daran, wenn man zur Familie gehörte.

 

Von Walter war immer noch nichts zu sehen, also packte Cathy selbst die Gläser aus, gab in dreißig davon ein Stück Würfelzucker, kippte je einen Teelöffel voll Brandy darüber und stellte sie auf ein Tablett. Wenn die Gäste dann da wären, würde sie die Gläser mit Champagner auffüllen. Eigentlich hätte der Junge das machen sollen, während sie die Tabletts mit den Kanapees fertig machte. Cathy erblickte sich plötzlich in dem Spiegel in der Halle – sie wirkte verschwitzt und gestresst. Ein paar Strähnen hatten sich aus dem Band gelöst, das ihre Haare zusammenhielt.

Sie ging in die Garderobe im Parterre, trug beigefarbenes Make-up auf Gesicht und Hals auf, glättete ihr Haar und band es wieder etwas ansehnlicher zusammen. Jetzt hätte sie Marcella gebraucht, die bestimmt irgendetwas Tolles für die Augen dabeigehabt hätte. Cathy durchwühlte ihre Handtasche. Sie fand einen kurzen braunen Stift und schminkte sich mit ein paar zaghaften Strichen. Schließlich zog sie eine saubere weiße Bluse an und schlüpfte in ihren scharlachroten Rock. Jetzt sah sie wenigstens ein bisschen besser aus, dachte sie. Wie schön wäre es doch, wenn sie von dieser Party jede Menge Aufträge mit nach Hause nehmen könnte! Aber Cathy wusste, dass sie vorsichtig sein musste. Jedes Anzeichen, sie könnte auf Aufträge aus sein, indem sie Visitenkarten verteilte, würde von Seiten ihrer Schwiegermutter nur mit einem kritischen Stirnrunzeln quittiert werden. Der Abend musste unbedingt ein Erfolg werden, sonst hätte sie tagelang umsonst geschuftet und Geld investiert, das sie eigentlich nicht hatte.

 

Rickys Studio, das aus drei ineinander übergehenden Räumen bestand, lag im Kellergeschoss. In dem einen Raum gab es etwas zu essen, in dem anderen etwas zu trinken, und im dritten wurde getanzt. Man kam aber nicht irgendwie durch die Tür, sondern hatte einen richtigen Auftritt, indem man eine breite, hell erleuchtete Treppe hinunterschritt.

Tom und Marcella hatten ihre Mäntel im Erdgeschoss abgelegt, und Tom meinte, die Augen aller Anwesenden im Raum auf Marcella in ihrem knappen roten Kleid ruhen zu sehen, als sie anmutig vor ihm die Treppe hinunterging und ihre wunderbaren langen Beine und die goldenen Abendsandalen, auf die sie so stolz war, präsentierte. Kein Wunder, dass alle sie ansahen. Im Vergleich zu ihr schien jede andere Frau plötzlich grau und langweilig zu sein.

Marcella aß oder trank nie etwas bei solchen Anlässen, höchstens mal ein Gläschen Champagner. Sie habe wirklich keinen Hunger, erklärte sie mit solcher Ernsthaftigkeit, dass die Leute es ihr gerne glaubten. Ganz im Gegensatz zu Tom, der es kaum erwarten konnte, das Büfett zu sehen, um es mit dem zu vergleichen, das er und Cathy angeboten hätten. Bei einer solchen Party hätten sie zwei warme Gerichte mit reichlich Pitta-Brot zur Auswahl gestellt, vielleicht das Hühnchen in Kräutern und das vegetarische Gericht, das Cathy momentan im Haus ihrer Schwiegereltern servierte. Dem Partyservice, der Ricky mit Essen beliefert hatte, schien nichts weiter eingefallen zu sein, als endlose Tabletts mit trockenen und langweiligen Häppchen zu beladen. Der Räucherlachs welkte bereits auf dem Weißbrot dahin, und daneben lagen unappetitlich aussehende Brötchen, die mit einer undefinierbaren Pastete bestrichen waren. Erkaltete Cocktailwürstchen versanken in ihrem eigenen Fett, das langsam erstarrte. Bissen um Bissen kostete Tom hier und probierte dort, identifizierte hier eine Industriepastete und stieß dort auf aus Fertigteig hergestellte Brötchen. Er hätte für sein Leben gern gewusst, was die Firma pro Kopf berechnet hatte. Natürlich könnte er Ricky danach fragen, aber nicht heute Abend.

»Tom, hör auf, diese armseligen Häppchen gnadenlos in der Luft zu zerreißen«, meinte Marcella kichernd.

»Schau dir doch nur dieses Käsegebäck an – matschig, viel zu viel Salz …«

»Komm, tanz lieber mit mir.«

»Gleich. Ich muss erst wissen, was hier sonst noch für Scheußlichkeiten angeboten werden«, sagte er und griff mit spitzen Fingern nach den Partyhäppchen.

»Würden Sie vielleicht mit mir tanzen?« Ein neunzehnjähriger Junge starrte Marcella ungläubig an.

»Tom?«

»Nur zu. Ich komme in einer Minute nach und erlöse dich«, meinte Tom grinsend.

Natürlich dauerte es viel länger als eine Minute, und nach drei Gläsern eines mittelmäßigen Weines fand er endlich seinen Weg auf die kleine Tanzfläche. Marcella tanzte mit einem Mann mit einem breiten roten Gesicht und großen Händen. Die Hände dieses Mannes klebten fest auf Marcellas Hinterteil. Tom ging zu ihnen hinüber.

»Jetzt bin ich da, um dich zu erlösen«, sagte er.

»He«, mischte sich der Mann ein, »was soll das? Suchen Sie sich Ihr eigenes Mädchen.«

»Aber das ist mein Mädchen«, erwiderte Tom laut.

»Na, dann zeigen Sie wenigstens ein wenig Manieren und lassen uns diesen Tanz beenden.«

»Wenn Sie nichts dagegen haben …«, setzte Tom an.

»Ich würde wirklich gern erst zu Ende tanzen«, mischte Marcella sich ein. »Und dann werde ich mit dir tanzen, Tom, ich warte nämlich schon die ganze Zeit auf dich.«

Verärgert ging er weg. Plötzlich war es seine Schuld, dass dieser Flegel Marcella von oben bis unten betatschte. In dem Moment sah er Shona Burke, ein hübsches Mädchen, das er von Hayward’s kannte. Sie war eine der vielen Leute in Dublin, die er gebeten hatte, sich wegen der Räume für ihre Catering-Firma umzusehen.

»Soll ich dir ein Glas rote Tinte und eine Scheibe Pappendeckel mit einem Hauch Fleischpastete bringen?«, erbot er sich.

Shona lachte. »Es wird dir nichts bringen, schlecht über die Konkurrenz zu reden«, sagte sie.

»Nein, aber so etwas macht mich wirklich wütend. Das ist so billig, und es steckt nichts dahinter«, erwiderte Tom. Sein Blick kehrte zu Marcella zurück, die immer noch mit dem schrecklichen Kerl tanzte und sich mit ihm unterhielt.

»Ist schon gut, Tom, sie hat doch nur Augen für dich.«

Tom schämte sich, dass er so leicht zu durchschauen war. »Ich habe eigentlich das Essen gemeint. Es ist eine Unverschämtheit, Ricky dafür auch noch Geld abzuknüpfen. Da ist jeder Penny zu viel.«

»Natürlich hast du das Essen gemeint«, antwortete Shona.

»Möchtest du tanzen?«, fragte er.

»Nein, Tom, ich werde mich da nicht einmischen. Geh und hol Marcella.«

Aber als er zu ihr kam, hatte sie bereits ein anderer Mann zum Tanzen aufgefordert, und der Kerl mit dem breiten Gesicht und den großen Händen musterte sie anerkennend vom Rand der Tanzfläche aus. Tom verzog sich, um sich ein weiteres Glas von dem unsäglichen Wein zu holen.

 

Walter kam um halb neun, als sich bereits zehn Gäste im Wohnzimmer von Oaklands niedergelassen hatten. Beschwingt betrat er das Zimmer und küsste seine Tante fröhlich auf beide Wangen.

»Jetzt bin ich da, um dir helfen, Tante Hannah«, sagte er mit einem breiten Lächeln.

»Ist das nicht ein netter Junge?«, bemerkte Mrs. Ryan zu Cathy.

»Und ob er das ist«, war alles, was Cathy herausbrachte.

Mrs. Ryan und ihr Mann waren die ersten Gäste gewesen. Sie war das genaue Gegenteil von Hannah Mitchell, eine bescheidene Frau und voller Bewunderung für die Kanapees. Freundlich richtete sie das Wort an Cathy.

»Meinem Mann wird es gar nicht recht sein, dass wir die Ersten sind«, vertraute sie ihr an.

»Irgendjemand muss den Anfang machen. Ich finde es immer schön, wenn man unter den ersten Gästen ist.«

Cathy war nicht bei der Sache. Ihr Blick ruhte auf Walter, der schmal und gut aussehend wie alle Mitchells war. Sie musste sich sehr anstrengen, nicht die Beherrschung zu verlieren. Dafür, dass er eine ganze Stunde zu spät kam, lobten ihn Leute wie ihre Schwiegermutter und ein paar dumme Gäste in den Himmel. Cathy hörte kaum zu, als Mrs. Ryan beinahe entschuldigend erklärte, was für eine lausige Köchin sie doch sei.

»Sie haben sich Apfelstrudel gewünscht, und ich weiß einfach nicht, wie ich den herzaubern soll.«

Cathy riss sich zusammen. Die Frau sollte in der kommenden Woche ein paar Geschäftsfreunde ihres Mannes mit Kaffee und Kuchen bewirten. Ob es Cathy wohl möglich wäre, ihr etwas ins Haus zu liefern, sie bräuchte auch nicht zum Servieren zu bleiben.

Cathy achtete sorgfältig darauf, dass ihre Schwiegermutter das Zimmer verlassen hatte, ehe sie sich Mrs. Ryans Telefonnummer notierte …

»Das wird unser kleines Geheimnis bleiben«, versprach sie ihr.

Ihr erster Auftrag. Noch nicht einmal neun Uhr, und sie hatte bereits einen Auftrag.

 

»Hast du eigentlich die Absicht, die ganze Nacht mit Wildfremden zu tanzen?«, wollte Tom von Marcella wissen.

»Tom. Endlich«, sagte sie und wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln von einem Mann mit schwarzer Lederjacke und Sonnenbrille ab.

»Aber vielleicht bin ich auch nicht genug für dich als Tänzer«, fuhr er fort.

»Sei doch kein Idiot. Nimm mich doch einfach in den Arm«, erwiderte sie.

»Sagst du das auch zu den anderen Männern?«, blaffte er.

»Wieso bist du so?« Sie war verletzt und durcheinander. »Was habe ich dir getan?«

»Du bist halb nackt mit halb Dublin herumgehopst«, antwortete er böse.

»Das ist nicht fair.« Marcella war wie betäubt.

»Wieso, das bist du doch, oder?«

»Wir sind hier auf einer Party, da fordert man Leute zum Tanzen auf, das ist alles.«

»Oh, schön.«

»Was ist los mit dir, Tom?«, fragte sie, ohne dabei jedoch die Tanzfläche aus den Augen zu lassen.

»Ich weiß es nicht.«

»Sag es mir.«

»Ich weiß es nicht, Marcella. Mir ist klar, dass ich ein Spielverderber bin, aber würdest du bitte mit mir nach Hause kommen?«

»Nach Hause gehen?«, fragte sie verblüfft. »Wir sind doch gerade erst gekommen.«

»Ja, natürlich. Natürlich.«

»Und wir wollen doch ein paar Leute kennen lernen und gesehen werden.«

»Ja, ich weiß«, erwiderte er düster.

»Fühlst du dich nicht gut?«, fragte sie.

»Nein. Ich habe zu schnell viel zu billigen Wein in mich hineingeschüttet und fünf merkwürdige Teilchen gegessen, die wie Pappe geschmeckt haben.«

»Na, dann setz dich doch einen Moment hin, bis es dir wieder besser geht.« Marcella hatte nicht die geringste Absicht, schon zu gehen. Sie hatte sich auf diesen Abend gefreut und sich extra schick gemacht.

»Vielleicht gehe ich dann ein bisschen früher als du«, fügte er hinzu.

»Bitte nicht. Bleib hier und stoß mit unseren Freunden auf das neue Jahr an«, bat sie ihn.

»Das sind doch gar nicht unsere Freunde, das sind doch alles Fremde«, antwortete Tom Feather traurig.

»Tom, iss lieber noch ein Pappendeckelsandwich und mach ein fröhliches Gesicht«, riet sie ihm lachend.

 

Cathy versuchte Walter zu zeigen, wie man die Champagnercocktails zubereitete. Er hörte kaum zu.

»Klar doch, ich weiß schon«, antwortete er zerstreut.

»Und sobald die Gäste zum warmen Essen und zum Wein übergegangen sind, kannst du die Champagnerkelche einsammeln und in die Küche bringen. Die müssen noch mal gespült werden, weil es um Mitternacht wieder Champagner gibt.«

»Wer spült sie?«, wollte er wissen.

»Das machst du, Walter. Ich werde das warme Essen servieren … Ich habe hier die Tabletts hingestellt, die du …«

»Ich werde dafür bezahlt, beim Servieren auszuhelfen, nicht zum Spülen«, sagte er.

»Du wirst dafür bezahlt, mir vier Stunden zu helfen und das zu tun, was ich von dir verlange.« Cathy hörte das Zittern in ihrer Stimme.

»Fünf Stunden«, erwiderte er.

»Vier«, widersprach sie ihm und sah ihm fest in die Augen. »Du bist eine Stunde zu spät gekommen.«

»Ich denke, du wirst …«

»Ich denke, wenn Neil kommt, werden wir die Sache mit ihm besprechen. Bis dahin sei so nett und trag dieses Tablett hinaus zu den Gästen deines Onkels.«

Cathy nahm die Tabletts voller Essen vom Herd. Irgendwann würde auch dieser Abend zu Ende gehen.

 

Shona Burke sah Tom Feather mit düsterer Miene in einer Ecke stehen. Sie wusste, dass sie nicht die einzige Frau im Raum war, die ihn beobachtete. Aber sie und die anderen hätten ebenso gut unsichtbar sein können, so wenig beachtete er sie.

»Ich glaube, ich gehe nach Hause«, sagte er laut. Ja, genau, das würde er tun.

»Würdest du Marcella bitte ausrichten, dass ich nach Hause gegangen bin, falls sie mich vermisst?«, bat er Ricky.

»Bitte an Silvester nur keinen Streit unter Liebenden.« Ricky sprach gern ein bisschen geziert. Das gehörte zu seinem Image. Heute Abend störte es Tom gewaltig.

»Nein, das hat damit gar nichts zu tun. Ich habe nur von diesen Partyhäppchen gegessen, die mir nicht bekommen sind«, erklärte Tom.

»Welche hast du denn gegessen?«, wollte Ricky wissen.

»Keine Ahnung, Ricky, irgendwelche Sandwiches.«

Ricky beschloss, nicht beleidigt zu sein. »Wie soll Marcella denn nach Hause kommen?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht fährt Shona sie heim – das heißt, falls der Typ mit den beiden Schaufelhänden, die überall an ihr herumtatschen, sie nicht mitnimmt.«

»Tom, jetzt bleib doch noch. In einer Stunde ist Mitternacht.«

»Ich bin heute nicht in Stimmung, Ricky. Ich verderbe den anderen nur die Laune. Bei meinem Anblick bleibt wahrscheinlich sogar die Uhr stehen.«

»Gut, ich werde mich darum kümmern, dass Marcella sicher nach Hause kommt«, versprach Ricky.

»Dank dir, Kumpel.« Und weg war er, draußen auf den nassen, windigen Straßen von Dublin, wo Nachtschwärmer von Pub zu Pub zogen oder vergebens nach einem Taxi Ausschau hielten. Hinter geschlossenen Vorhängen blitzte ab und zu ein Licht auf und ließ die Feste erahnen, die dort stattfanden. Hin und wieder blieb Tom stehen und überlegte, ob es nicht doch dumm von ihm gewesen war, aber jetzt konnte er nicht mehr zurück. Alles an der Party hatte ihn aufgeregt; seine Unsicherheit und das Gefühl, nicht gut genug für Marcella zu sein, würden dort nur immer wieder neue Nahrung erhalten. Nein: Er musste einfach so lange weiterlaufen, bis er wieder klar im Kopf war.

 

Endlich konnte Neil sich von seiner Besprechung losreißen. Er fuhr mit Jonathan durch die festlich geschmückten Straßen von Dublin und bog dann in die mit Laub bedeckte Straße ein, wo Oaklands lag. Das Anwesen war grell beleuchtet wie ein Weihnachtsbaum. Er sah, dass Cathy ihren großen weißen Lieferwagen so weit wie möglich außer Sicht abgestellt hatte. Er parkte seinen Volvo und trat durch die Hintertür ins Haus. Cathy stand vor einem Berg aus Tellern und Gläsern. Wie konnte man sich mit dieser Arbeit nur seinen Lebensunterhalt verdienen, ohne verrückt zu werden …

»Cathy, es tut mir Leid, dass es länger gedauert hat. Das ist Jonathan. Jonathan, das ist Cathy.«

Sie gab dem hoch gewachsenen Nigerianer mit dem müden Gesicht und dem höflichen Lächeln die Hand.

»Ich hoffe, ich schaffe Ihnen durch mein Kommen nicht noch zusätzliche Probleme«, sagte er.

»Nein, um Himmels willen, Jonathan«, protestierte Cathy und fragte sich gleichzeitig, wie ihre Schwiegermutter wohl auf den späten Gast reagieren würde. »Sie sind uns sehr willkommen, und ich hoffe, dass Sie einen netten Abend verbringen werden. Ich freue mich, dass ihr beide noch gekommen seid. Ich dachte schon, ich müsste ganz allein Auld Lang Syne singen.«

»Ein gutes neues Jahr, mein Schatz.« Neil legte seine Arme um sie.

Plötzlich war sie sehr müde. »Meinst du, dass wir es schaffen werden, Neil? Sag es mir.«

»Natürlich werden wir das. Wir haben alles Menschenmögliche getan, da wird sich an Silvester nicht mehr viel ändern, nicht wahr, Jonathan?«

»Ich hoffe nicht. Sie haben so viel Zeit geopfert.« Der junge Mann lächelte dankbar.

Cathy wurde in dem Moment klar, dass Neil dachte, sie habe von der drohenden Ausweisung gesprochen. Aber das machte nichts, Hauptsache, er war da.

»Läuft da drinnen alles nach Plan?« Neil zeigte mit dem Kopf in Richtung der vorderen Räume.

»Es läuft, denke ich, aber das ist schwer zu sagen. Walter war übrigens eine Stunde zu spät dran.«

»Dann bekommt er auch eine Stunde weniger bezahlt.« Für Neil war die Sache einfach. »Ist er dir überhaupt eine Hilfe?«

»Eigentlich nicht. Neil, geh ruhig rein und misch dich mit Jonathan unter die Leute.«

»Vielleicht könnte ich Ihnen ja helfen«, bot Jonathan sich an.

»Gott, nein. Wenn irgendjemand feiern muss, dann sind Sie das. Nach allem, was Sie durchgemacht haben«, erwiderte Cathy. »Jetzt geh schon rein, Neil, deine Mutter kann es gar nicht mehr erwarten, mit dir anzugeben.«

»Aber kann ich nicht irgendetwas tun für dich …«

»Geh und lenk deine Mutter ab. Halte sie von der Küche fern«, bat sie ihn.

Sie hörte freudige Rufe, als die Gäste den Sohn und Erben von Oaklands willkommen hießen. Viele hatten ihn bereits als kleinen Jungen gekannt. Neil bewegte sich ungezwungen, begrüßte hier jemanden, hielt dort einen kleinen Plausch und verteilte Küsschen rechts und links. Dann entdeckte er Walter, der neben dem Klavier stand und sich mit einer Frau unterhielt, die ungefähr zwanzig Jahre jünger als der Durchschnitt war.

»Ich denke, du wirst in der Küche gebraucht, Walter«, sagte er schroff.

»Das kann ich mir kaum vorstellen«, lautete die Antwort.

»Doch, und zwar jetzt«, bemerkte Neil und setzte an seiner Stelle das Gespräch mit der ziemlich hohl aussehenden Blondine fort.

 

Tom Feather kehrte nicht auf direktem Weg in die Wohnung in Stoneyfield zurück. Stattdessen wanderte er ziellos durch kleine Straßen, Wege, Gassen und sogar Hinterhöfe, wo er noch nie zuvor gewesen war. Irgendwo in dieser Stadt mit ihrer Million Einwohner musste es doch einen Ort geben, wo er und Cathy mit ihrem Catering-Service loslegen konnten. Es musste sich nur einer die Zeit nehmen und sich auf die Suche machen. Und heute Nacht hat er alle Zeit der Welt.

 

In der Halle von Oaklands klingelte das Telefon.

Hannah Mitchell ergriff die Gelegenheit und eilte hinaus; sie brauchte dringend etwas Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Sie war ziemlich durcheinander: Neil hatte ohne ihr Wissen diesen Afrikaner mit zu ihrem Fest gebracht. Sie hatte selbstverständlich nichts gegen diesen Mann. Weshalb sollte sie auch? Aber es war ihr lästig, von allen Seiten darauf angesprochen zu werden, wer er war, und keine Antwort geben zu können. Einer von Neils Mandanten, sagte sie dann, und dass Neil ja so engagiert sei. Aber sie spürte, dass man sie merkwürdig von der Seite ansah. Es war eine Erleichterung, dem allen zu entkommen.

»Das ist bestimmt Amanda, die aus Kanada anruft, um uns ein gutes neues Jahr zu wünschen«, flötete sie. Aber von ihrem Gesicht war abzulesen, dass das nicht ihre Tochter war.

»Ja, sicher, das ist alles sehr verstörend, aber was meint ihr, dass ich … Ja, ich weiß … Natürlich, da weiß man gar nicht so recht, was man tun soll, aber momentan ist ein schlechter Zeitpunkt. Am besten sprecht ihr mit eurem Bruder. Oh, ich verstehe. Gut, dann mit eurem Onkel … Jock, komm doch bitte einen Moment her.«

Cathy war auf dem Weg ins Wohnzimmer und wurde Zeugin des Gesprächs.

»Es sind die Kinder von Kenneth. Sie sind offensichtlich allein zu Hause. Sprich du mit ihnen. Ich habe ihnen zwar gesagt, dass Walter hier ist, aber sie glauben wohl nicht, dass er ihnen viel helfen kann.«

»Damit haben sie leider Recht«, knurrte Jock Mitchell.

»Na, dann erzähl mir mal, wo der Schuh drückt«, sagt er müde in den Hörer.

Cathy mischte sich unter die Gäste und verteilte die kleinen Teller mit dem Dessert. Sie ersparte den Gästen, die ohnehin beides wollten, die Qual der Wahl, und servierte gleich beides: ein Stück Schokoladenkuchen mit einem Löffel Obstsalat.

Sie bemerkte, dass Jonathan allein und ziemlich verloren am Fenster stand, während Neil sich mit den Freunden seiner Eltern unterhielt. Sie wechselte ein paar Worte mit ihm, sooft sie konnte, ohne den Eindruck zu erwecken, sie mache es aus Höflichkeit.

»Ich könnte in der Küche mitarbeiten, ich kann das ganz gut«, sagte er bittend.

»Davon bin ich überzeugt, und es würde vielleicht auch mehr Spaß machen, aber das kommt überhaupt nicht in Frage – meinetwegen. Ich werde mir von Neils Mutter doch nicht nachsagen lassen, ich würde nicht allein damit fertig. Ich stehe sozusagen unter Beweisdruck – verstehen Sie?«

»Ja, ich verstehe, dass Sie sich selbst beweisen müssen«, antwortete er.

Cathy ging wieder in die Küche zurück und hörte auf dem Weg dorthin, was Jock am Telefon sagte.

»Gut, Kinder, dann machen wir das so. Ich werde jetzt Walter holen, und morgen komme ich selbst vorbei. Und jetzt seid brav, Kinder.«

Neil hatte es gerade geschafft, Walter ein wenig auf Trab zu bringen, als Jock ihn wieder aus dem Verkehr zog. Cathy hörte mit an, wie der Junge mit seinem Bruder und seiner Schwester sprach, die über zehn Jahre jünger waren als er.

»Jetzt hört doch mal zu. Ich werde ja nach Hause kommen, ich weiß nur noch nicht, wann. Ich muss hinterher noch wohin, aber irgendwann komme ich bestimmt, deshalb will ich jetzt auch nichts mehr von euch hören. Geht jetzt bitte ins Bett. Vater hat sich seit ewigen Zeiten nicht mehr blicken lassen, und Mutter verlässt ihr Zimmer nie, also was ist heute Abend anders als sonst?«

Er drehte sich um und sah, dass Cathy ihn beobachtete.

»Wie du ja mittlerweile wohl verstanden haben dürftest, gibt es zu Hause ein Problem. Ich fürchte also, dass ich meinen Einsatz beenden muss.«

»Ja, das habe ich mitbekommen.«

»Na, dann nehme ich jetzt mit, was mir zusteht …«

»Ich werde Neil bitten, dir dein Geld auszuzahlen«, sagte sie.

»Ich dachte immer, du seist so stolz darauf, dass das deine Firma ist, oder?« Er war wirklich unverschämt.

»Das ist sie auch, aber Neil ist dein Cousin, er wird wissen, was dir zusteht. Gehen wir und fragen ihn.«

»Vier Stunden sollten genügen«, meinte er widerwillig.

»Du bist nicht einmal drei Stunden hier gewesen«, erwiderte sie.

»Es ist doch nicht meine Schuld, dass ich …«

»Du gehst doch gar nicht direkt nach Hause, du gehst zuvor noch auf eine andere Party. Deswegen habe ich keine Lust, mit dir herumzustreiten. Fragen wir Neil.«

»Gut, dann drei Stunden, Geizhals.«

»Nein, das bin ich mit Sicherheit nicht. Komm, nicht hier vor den Gästen, gehen wir in die Küche.«

Fast verließ sie ihr Mut, als sie die Berge an schmutzigem Geschirr sah, ganz zu schweigen von den Champagnergläsern, die sie um Mitternacht noch einmal benötigen würde.

»Gute Nacht, Walter.«

»Gute Nacht, Geizhals«, sagte er und lief aus dem Haus.

 

Tom stand am Kanal und sah den beiden Schwänen zu, die unter ihm vorbeiglitten.

»Sie bleiben ein Leben lang zusammen, wussten Sie das?«, sagte er zu einer jungen Frau, die gerade vorbeikam.

»Tatsächlich? Die Glücklichen«, meinte sie. Sie war schmal und hager, wie ihm auffiel, eine drogensüchtige Prostituierte mit einem verängstigten Gesicht.

»Sie hätten nicht zufälligerweise Interesse, sich ein wenig mit mir zusammenzutun?«, fragte sie hoffnungsvoll.

»Nein, nein, tut mir Leid«, antwortete Tom. Ziemlich schroff, wie ihm schien, deshalb fügte er rasch hinzu: »Nicht heute Nacht«, als wollte er damit sagen, dass er normalerweise ganz gern mitgegangen wäre. Sie schenkte ihm ein müdes Lächeln.

»Trotzdem ein gutes neues Jahr«, wünschte sie ihm.

»Ihnen auch«, erwiderte er hilflos.

 

In Oaklands klingelte es an der Tür.

Hannah schwankte auf ihren hohen Absätzen hinaus. Sie fragte sich, wer so spät noch kommen mochte. Cathy lehnte am Ende der Halle an einem Tisch, um ihre müden Beine zu entlasten. Auch sie war gespannt, was es jetzt wieder für neue Überraschungen gäbe. Ein später Gast vielleicht, der noch Appetit auf was Warmes hatte?

Es stellte sich heraus, dass es zwei Kinder waren, die in einem Taxi vorfuhren, das sie nicht bezahlten konnten. Cathy seufzte. Fast hätte Hannah ihr Leid getan. Erst ein Student aus Nigeria und nun zwei heimatlose Kinder – was die Nacht wohl sonst noch bringen mochte?

»Hol sofort Mr. Mitchell, Cathy«, befahl Hannah.

»Ist das das Dienstmädchen?«, fragte der kleine Junge. Er mochte so acht, neun Jahre alt sein, war blass und hatte glattes, aschblondes Haar wie seine Schwester – und überhaupt sah alles an ihm irgendwie beige aus: sein Pullover, seine Haare, sein Gesicht und der kleine Leinenbeutel, den er in der Hand trug.

»Dienstmädchen sagt man nicht«, zischte ihm seine Schwester zu. Sie machte ein erschrockenes Gesicht und hatte dunkle Ringe unter den Augen.