Cécile - Theodor Fontane - E-Book + Hörbuch

Cécile E-Book

Theodor Fontane

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Beschreibung

Cécile, die junge Frau des alten Obersten a. D. von St. Arnaud, wird immer wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt und droht daran zu zerbrechen. Wie viele Frauen in den Romanen des 19 Jahrhunderts, ist auch diese "Heldin" hin- und hergerissen zwischen ihren Wünschen und der Moral einer versteinerten Gesellschaft. Die Moderne klopft an, aber Cécile darf ihr nicht öffnen. Der Roman entstand in den Jahren 1884 bis 1886 und bietet ein ausgezeichnetes Gesellschaftsporträt der damaligen Stände und Umstände. Cécile ist eine Frau modernen Typus', eine Frau, die nicht in ihre Zeit passt: Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 280

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Theodor Fontane

Cécile

Theodor Fontane

Cécile

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-954188-53-6

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

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Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

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Erstes Kapitel

»Tha­le. Zwei­ter …«

»Letz­ter Wa­gen, mein Herr.«

Der äl­te­re Herr, ein star­ker Fünf­zi­ger, an den sich die­ser Be­scheid ge­rich­tet hat­te, reich­te sei­ner Dame den Arm und ging in lang­sa­mem Tem­po, wie man eine Re­kon­va­les­zen­tin führt, bis an das Ende des Zu­ges. Rich­tig, »Nach Tha­le« stand hier auf ei­ner aus­ge­häng­ten Ta­fel.

Es war ei­ner von den neu­en Wag­g­ons mit Trep­pen­auf­gang, und der mit be­son­de­rer Adrett­heit ge­klei­de­te Herr: blau­er Über­rock, hel­les Bein­kleid und Koral­len­tuch­na­del, wand­te sich, als er das Wag­gon­trepp­chen hin­auf war, wie­der um, um sei­ner Dame beim Ein­stei­gen behül­f­lich zu sein. Die Com­par­ti­ments1 wa­ren noch leer, und so hat­te man denn die Wahl, aber frei­lich auch die Qual, und mehr als eine Mi­nu­te ver­ging, ehe die schlan­ke, schwarz­ge­klei­de­te Dame sich schlüs­sig ge­macht und einen ihr zu­sa­gen­den Platz ge­fun­den hat­te. Von ähn­li­cher Un­ru­he war der sie be­glei­ten­de Herr, des­sen Auf- und Ab­schrei­ten je­doch, al­lem An­schei­ne nach, mit der Platz­fra­ge nichts zu schaf­fen hat­te, we­nigs­tens sah er, das Fens­ter mehr­fach öff­nend und schlie­ßend, im­mer wie­der den Per­ron hin­un­ter, wie wenn er je­mand er­war­te. Das war denn auch der Fall, und er be­ru­hig­te sich erst, als ein in eine Halb­li­vree ge­klei­de­ter Die­ner ihm die Fahr­bil­lets samt Ge­päck­schein ein­ge­hän­digt und sich bei dem »Herrn Obers­ten« (ein Wort, das er be­stän­dig wie­der­hol­te) we­gen sei­nes lan­gen Aus­blei­bens ent­schul­digt hat­te. »Schon gut«, sag­te der so be­harr­lich als »Herr Oberst« An­ge­re­de­te. »Schon gut. Un­se­re Adres­se weißt du. Hal­te mir die Pfer­de in Stand; je­den Tag eine Stun­de, nicht mehr. Aber nimm dich auf dem As­phalt in acht.«

Dann kam der Schaff­ner, um un­ter re­spekt­vol­ler Ver­beu­gung ge­gen den Fahr­gast, den er so­fort als einen al­ten Mi­li­tär er­kann­te, die Bil­lets zu cou­pie­ren.2

Und nun setz­te sich der Zug in Be­we­gung.

»Gott sei Dank, Cé­ci­le«, sag­te der Oberst, des­sen schar­fer und bei­nah’ ste­chen­der Blick durch einen klei­nen Feh­ler am lin­ken Auge noch ge­stei­gert wur­de. »Gott sei Dank, wir sind al­lein.«

»Um es hof­fent­lich zu blei­ben.«

Da­mit brach das Ge­spräch wie­der ab.

Es hat­te die Nacht vor­her ge­reg­net, und der am Fluß hin ge­le­ge­ne Stadt­teil, den der Zug eben pas­sier­te, lag in ei­nem dün­nen Mor­gen­ne­bel, ge­ra­de dünn ge­nug, um un­se­ren Rei­sen­den einen Ein­blick in die Rück­fron­ten der Häu­ser und ihre meist of­fen­ste­hen­den Schlaf­stu­ben­fens­ter zu gön­nen. Merk­wür­di­ge Din­ge wur­den da sicht­bar, am merk­wür­digs­ten aber wa­ren die hier und da zu Fü­ßen der ho­hen Bahn­bö­gen ge­le­ge­nen Som­mer­gär­ten und Ver­gnü­gungs­lo­ka­le. Zwi­schen rauch­ge­schwärz­ten Sei­ten­flü­geln er­ho­ben sich et­li­che Ku­ge­la­ka­zi­en, sechs oder acht, um die her­um eben­so­viel grün­ge­stri­che­ne Ti­sche samt an­ge­lehn­ten Gar­ten­stüh­len stan­den. Ein Hand­wa­gen, mit ein­ge­schirr­tem Hund, hielt vor ei­nem Kel­ler­hals, und man sah deut­lich, wie Kör­be mit Fla­schen hin­ein- und mit eben­so­viel lee­ren Fla­schen wie­der hin­aus­ge­tra­gen wur­den. In ei­ner Ecke stand ein Kell­ner und gähn­te.

Bald aber war man aus die­ser Stra­ße­nen­ge her­aus, und statt ih­rer er­schie­nen wei­te Bass­ins und Plät­ze, hin­ter de­nen die Sie­ges­säu­le halb ge­spens­tisch auf­rag­te. Die Dame wies kopf­schüt­telnd mit der Schirm­spit­ze dar­auf hin und ließ dann an dem of­fe­nen Fens­ter, wenn auch frei­lich nur zur Hälf­te, das Gar­din­chen her­un­ter.

Ihr Beglei­ter be­gann in­zwi­schen eine mit di­cken Stri­chen ge­zeich­ne­te Kar­te zu stu­die­ren, die die Bahn­li­ni­en in der un­mit­tel­ba­ren Um­ge­bung Ber­lins an­gab. Er kam aber nicht weit mit sei­ner Ori­en­tie­rung, und erst als man die Li­siè­re des Zoo­lo­gi­schen Gar­tens streif­te, schi­en er sich zu­recht­zu­fin­den und sag­te: »Sieh, Cé­ci­le, das sind die Ele­fan­ten­häu­ser.«

»Ah«, sag­te die­se mit ei­nem Ver­such, In­ter­es­se zu zei­gen, blieb aber zu­rück­ge­lehnt in ih­rem Eck­platz und rich­te­te sich erst auf, als der Zug in Pots­dam ein­fuhr. Vie­le Mi­li­tärs schrit­ten hier den Per­ron auf und ab, un­ter ih­nen auch ein al­ter Ge­ne­ral, der, als er Cé­ci­les an­sich­tig wur­de, mit be­sond­rer Ar­tig­keit in das Coupé hin­ein grüß­te, dann aber so­fort ver­mied, aber­mals in die Nähe des­sel­ben zu kom­men. Es ent­ging ihr nicht, eben­so­we­nig dem Obers­ten.

Und nun wur­de das Si­gnal ge­ge­ben, und die Fahrt ging wei­ter über die Ha­vel­brücken hin, erst über die Pots­da­mer, dann über die Wer­der­sche. Nie­mand sprach, und nur die Gar­di­ne mit dem ein­ge­mus­ter­ten M. H. E. flat­ter­te lus­tig im Win­de. Cé­ci­le starr­t’ dar­auf hin, als ob sie den Tief­sinn die­ser Zei­chen er­ra­ten wol­le, ge­wann aber nichts, als daß sich der Mat­tig­keits­aus­druck ih­rer Züge nur noch stei­ger­te.

»Du soll­test dir’s be­quem ma­chen«, sag­te der Oberst, »und dich aus­stre­cken, statt auf­recht in der Ecke zu sit­zen.« Und als sie zu­stim­mend nick­te, nahm er Plai­ds und De­cken und müh­te sich um sie.

»Dan­ke, Pier­re. Dan­ke. Nur noch das Kis­sen.«

Und nun zog sie die Rei­se­de­cke hö­her hin­auf und schloß die Au­gen, wäh­rend der Oberst in ei­nem Rei­sehand­buch zu le­sen be­gann und klei­ne Stri­chel­chen an den Rand mach­te. Nur von Zeit zu Zeit sah er über das Buch fort und be­ob­ach­te­te die nur schein­bar Schla­fen­de mit ei­nem Aus­dru­cke von Auf­merk­sam­keit und Teil­nah­me, der un­be­dingt für ihn ein­ge­nom­men ha­ben wür­de, wenn sich nicht ein Zug von Herb­heit, Trotz und Ei­gen­wil­len mit ein­ge­mischt und die freund­li­che Wir­kung wie­der ge­min­dert hät­te. Täusch­te nicht al­les, so lag eine »Ge­schich­te« zu­rück, und die schö­ne Frau (wor­auf auch der Un­ter­schied der Jah­re hin­deu­te­te) war un­ter al­ler­lei Kämp­fen und Op­fern er­run­gen.

Es ver­ging eine Wei­le, dann öff­ne­te sie die Au­gen wie­der und sah in die Land­schaft hin­aus, die be­stän­dig wech­sel­te: Saa­ten und Obst­gär­ten und dann wie­der wei­te Hei­de­stri­che. Kein Wort wur­de laut, und es schi­en fast, als ob dies apa­thi­sche Träu­men ihr, der eben erst in der Ge­ne­sung Be­grif­fe­nen, am meis­ten zu­sa­ge.

»Du sprichst nicht, Cé­ci­le.«

»Nein.«

»Aber ich darf spre­chen?«

»Ge­wiß. Sprich nur. Ich höre zu.«

»Sahst du Sal­dern?«

»Er grüß­te mich mit be­sond­rer Ar­tig­keit.«

»Ja, mit be­son­de­rer. Und dann ver­mied er dich und mich. Wie we­nig selb­stän­dig doch die­se Her­ren sind.«

»Ich fürch­te, daß du recht hast. Aber nichts da­von; warum uns quä­len und pei­ni­gen? Er­zäh­le mir et­was Hüb­sches, et­was von Glück und Freu­de. Gibt es nicht eine Ge­schich­te: Die Rei­se nach dem Glück? Oder ist es bloß ein Mär­chen?«

»Es wird wohl ein Mär­chen sein.«

Sie nick­te schmerz­lich bei die­sem Wort, und als er nicht ohne auf­rich­ti­ge, wenn auch frei­lich nur flüch­ti­ge Be­we­gung sah, daß ihr Auge sich trüb­te, nahm er ihre Hand und sag­te: »Laß, Cé­ci­le. Vi­el­leicht ist das Glück nä­her, als du denkst, und hängt im Harz an ir­gend­ei­ner Klip­pe. Da hol ich es dir her­un­ter, oder wir pflücken es ge­mein­schaft­lich. Den­ke nur, das Ho­tel, in dem wir woh­nen wer­den, heißt ›Ho­tel Zehn­pfun­d‹. Klingt das nicht wie die gute Zeit? Ich sehe schon die Waa­ge, drauf du ge­wo­gen wirst und dich mit je­dem Tage mehr in die Ge­sund­heit hin­ein­wächst. Denn Zu­neh­men heißt Ge­sund­wer­den. Und dann kut­schie­ren wir um­her und zäh­len die Hir­sche, die der Wer­ni­ge­ro­der Graf in sei­nem Par­ke hat. Er wird doch hof­fent­lich nichts da­ge­gen ha­ben. Und über­all, wo ein Echo ist, laß ich einen Böl­ler­schuß dir zu Ehren ab­feu­ern.«

Es schi­en, daß ihr die Wor­te wohl­ta­ten, im üb­ri­gen aber doch we­nig be­deu­te­ten, und so sag­te sie: »Ich hof­fe, daß wir viel al­lein sind.«

»Wa­rum im­mer al­lein? Und ge­ra­de du. Du brauchst Men­schen.«

»Vi­el­leicht. Nur kei­ne Ta­ble d’hôte. Ver­sprich mir’s.«

»Gern. Aber ich den­ke, du wirst bald and­ren Sin­nes wer­den.«

Und nun stock­te das Ge­spräch wie­der, und in im­mer ra­sche­rem Flu­ge ging es erst an Bran­den­burg und sei­ner Sankt-Go­de­hards-Kir­che, dann an Mag­de­burg und sei­nem Dome vor­über. In Oschers­le­ben schloß sich der Leip­zi­ger Zug an, und mit et­was ge­rin­ge­rer Ge­schwin­dig­keit, weil sich die Stei­gung fühl­bar zu ma­chen be­gann, fuhr man jetzt auf Qued­lin­burg zu, hin­ter des­sen Ab­tei­kir­che der Bro­cken be­reits auf­rag­te. Das Land, das man pas­sier­te, wur­de mehr und mehr ein Gar­ten­land, und wie sonst Korn­strei­fen sich über den Acker­grund zie­hen, zo­gen sich hier Blu­men­bee­te durch die wei­te Ge­mar­kung.

»Sieh, Cé­ci­le«, sag­te der Oberst. »Ein Tep­pich legt sich dir zu Fü­ßen, und der Harz emp­fängt dich à la Prin­ces­se. Was willst du mehr?«

Und sie rich­te­te sich auf und lä­chel­te.

We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter hielt der Zug in Tha­le, wo so­fort ein Schwarm von Kut­schern und Haus­die­nern al­ler Art die Coupés um­dräng­te: »›Hu­ber­tus­ba­d‹! ›Wald­ka­ter‹! ›Zehn­pfun­d‹!«

»Zehn­pfund«, wie­der­hol­te der Oberst, und ei­nem dienst­fer­tig zu­sprin­gen­den Kom­mis­sio­när den Ge­päck­schein ein­hän­di­gend, bot er Cé­ci­le den Arm und schritt auf das un­mit­tel­bar am Bahn­hof ge­le­ge­ne Ho­tel zu.

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Zweites Kapitel

Der große Bal­kon von ›Ho­tel Zehn­pfun­d‹ war am an­dern Mor­gen kaum zur Hälf­te be­setzt, und nur ein Dut­zend Per­so­nen etwa sah auf das vor ih­nen aus­ge­brei­te­te Land­schafts­bild, das durch die Feu­er­es­sen und Rauch­säu­len ei­ner be­nach­bar­ten Fa­brik nicht all­zu­viel an sei­nem Rei­ze ver­lor. Denn die Bri­se, die ging, kam von der Ebe­ne her und trieb den di­cken Qualm am Ge­bir­ge hin. In die Stil­le, die herrsch­te, misch­te sich, au­ßer dem Rau­schen der Bode, nur noch ein fer­nes Stamp­fen und Klap­pern und ganz in der Nähe das Zwit­schern ei­ni­ger Schwal­ben, die, im Zick­zack vor­über­schie­ßend, auf eine vor dem Bal­kon ge­le­ge­ne Park­wie­se zu­flo­gen. Die­se war das Schöns­te der Sze­ne­rie, schö­ner fast als die Berg­wand samt ih­ren phan­tas­ti­schen Za­cken, und wenn schon das saf­ti­ge Grün der Wie­se das Auge lab­te, so mehr noch die Men­ge der Bäu­me, die grup­pen­weis, von er­sicht­lich ge­schick­ter Hand, in dies Grün hin­ein­ge­stellt wa­ren. Ahorn und Pla­ta­nen wech­sel­ten ab, und da­zwi­schen dräng­ten sich al­ler­lei Zier­sträu­cher zu­sam­men, aus de­nen her­vor es bunt­far­big blüh­te: Tul­pen­baum und Gold­re­gen und Schnee­ball und Aka­zie.

Der An­blick muß­te je­den ent­zücken, und so hing denn auch das Auge der schö­nen Frau, die wir am Tage vor­her auf ih­rer Rei­se be­glei­te­ten, an dem ihr zu Fü­ßen lie­gen­den Bil­de, frei­lich, im Ge­gen­sat­ze zu dem Obers­ten, ih­rem Ge­mahl, mit nur ge­teil­tem In­ter­es­se.

Der Tisch, an dem bei­de das Früh­stück nah­men, stand im Schutz ei­ner den Bal­kon nach dem Ge­bir­ge hin ab­schlie­ßen­den Glas­wand und fiel nicht nur durch ein be­son­ders ele­gan­tes Ser­vice, son­dern mehr noch durch ein großes und präch­ti­ges Flie­der­bou­quet auf, das man, viel­leicht in Hul­di­gung ge­gen die durch Rang und Er­schei­nung gleich dis­tin­guier­te Dame, ge­rad auf die­sen Tisch ge­stellt hat­te. Cé­ci­le selbst brach ei­ni­ge von den Blü­ten­zwei­gen ab und sah dann ab­wech­selnd auf Berg und Wie­se, ganz ei­ner träu­me­ri­schen Stim­mung hin­ge­ge­ben, in der sie sich au­gen­schein­lich un­gern ge­stört fühl­te, wenn der Oberst, in wohl­mei­nen­dem Er­klä­rungs­ei­fer, den Ci­ce­ro­ne mach­te.

»Vie­les«, hob er an, »hat sich spe­zi­ell an die­ser Stel­le ge­än­dert, seit ich in mei­nen Fähn­richs­ta­gen hier war. Aber ich fin­de mich doch noch zu­recht. Das Pla­teau dort oben, mit dem großen wür­fel­för­mi­gen Gast­hau­se, muß der He­xen­tanz­platz sein. Ich höre, man kann jetzt be­quem hin­auf­fah­ren.«

»O ge­wiß kann man«, sag­te sie, wäh­rend sie, sicht­lich gleich­gil­tig ge­gen die­se Mit­tei­lung, mit ih­rem Auge den Bal­kon über­flog, auf dem die Ja­lou­sie­rin­ge klap­per­ten und die rot und weiß ge­mus­ter­ten Tisch­de­cken im Win­de weh­ten. Zu­gleich zupf­te sie an ei­ner ih­rer Schlei­fen und wand­te den Kopf so, daß man, von der an­dern Sei­te des Bal­kons her, ihr schö­nes Pro­fil se­hen muß­te.

»He­xen­tanz­platz«, nahm sie nach ei­ner Wei­le das Ge­spräch wie­der auf. »Wahr­schein­lich ein Fel­sen mit ei­ner Sage, nicht wahr? Wir hat­ten auch in Schle­si­en so vie­le; sie sind alle so kin­disch. Im­mer Prin­zes­sin­nen und Rie­sen­spiel­zeug. Ich dach­te, der Fel­sen, den man hier sähe, hie­ße die Roß­trap­pe.«

»Ge­wiß, Cé­ci­le. Das ist der and­re; gleich hier der nächs­te.«

»Müs­sen wir hin­auf?«

»Nein, wir müs­sen nicht. Aber ich dach­te, du wür­dest es wün­schen. Der Blick ist schön, und man sieht mei­len­weit in die Fer­ne.«

»Bis Ber­lin? Aber nein, dar­in irr ich, das ist nicht mög­lich. Ber­lin muß wei­ter sein; fünf­zehn Mei­len oder noch mehr. Ah, sahst du die zwei Schwal­ben? Es war, als hasch­ten sie sich und spiel­ten mit­ein­an­der. Vi­el­leicht sind es Ge­schwis­ter, oder viel­leicht ein Pär­chen.«

»Oder bei­des. Die Schwal­ben neh­men es nicht so ge­nau. Sie sind nicht so dif­fi­zil in die­sen Din­gen.«

Es lag et­was Bit­tres in dem Ton. Aber die­se Bit­ter­keit schi­en sich nicht ge­gen die Dame zu rich­ten, denn ihr Auge blieb ru­hig, und kei­ne Röte stieg in ihr auf. Sie zog nur ein Che­nil­le­tuch, das sie bis zur Hüf­te hat­te fal­len las­sen, wie­der in die Höhe und sag­te: »Mich frös­telt, Pier­re.«

»Weil du nicht Be­we­gung ge­nug hast.«

»Und weil ich schlecht ge­schla­fen habe. Komm, ich will mich nie­der­le­gen und eine hal­be Stun­de ruhn.«

Und bei die­sen Wor­ten er­hob sie sich und ging un­ter leich­tem Gruß, den die Zu­nächst­sit­zen­den eben­so leicht er­wi­der­ten, auf das Ne­ben­zim­mer und den Kor­ri­dor zu. Der Oberst folg­te. Nur ei­ner der Gäs­te, der, über sei­ne Zei­tung fort, von der an­dern Sei­te das Bal­kons her das dis­tin­guier­te Paar schon seit lan­ge be­ob­ach­tet hat­te, stand auf, leg­te die Zei­tung aus der Hand und grüß­te mit be­sond­rer De­vo­ti­on, was sei­nes Ein­drucks auf die schö­ne Frau nicht ver­fehl­te. Wie be­lebt und er­hei­tert nahm die­se plötz­lich ih­res Beglei­ters Arm und sag­te: »Du hast recht, Pier­re. Luft wird mir bes­ser sein als Ruhe. Mich frös­telt nur, weil ich kei­ne Be­we­gung habe. Laß uns in den Park gehn. Wir wol­len sehn, ob wir die Stel­le fin­den, wo die Schwal­ben nis­ten. Ich habe mir den Baum ge­merkt.«

Der jun­ge Mann, der sich von sei­nem Platz er­ho­ben und mit so be­sond­rer Ar­tig­keit ge­grüßt hat­te, rief jetzt den Kell­ner her­an und sag­te: »Ken­nen Sie die Herr­schaf­ten?«

»Ja, Herr von Gor­don.«

»Nun?«

»Oberst a. D. von St. Ar­naud und Frau. Sie ka­men ges­tern mit dem Mit­tags­zug und nah­men ein Di­ner à part. Die Dame scheint krank.«

»Und wer­den ei­ni­ge Tage blei­ben?«

»Ich ver­mu­te.«

Der Kell­ner trat wie­der zu­rück, und der als Herr von Gor­don An­ge­re­de­te wie­der­hol­te jetzt zwei-, drei­mal den Na­men, den er eben ge­hört hat­te. »St. Ar­naud … St. Ar­naud!«

End­lich schi­en er es ge­fun­den zu ha­ben.

»Ja, jetzt ent­sin­ne ich mich. In St. De­nis war Anno 70 viel von ihm die Rede. Ku­gel durch den Hals, zwi­schen Karo­tis und Luft­röh­re. Wah­rer Wun­der­schuß. Und wun­der­bar auch die Hei­lung; in sechs Wo­chen wie­der­her­ge­stellt. Witz­le­ben hat mir aus­führ­lich da­von er­zählt. Kein Zwei­fel, das ist er. Er war da­mals äl­tes­ter Haupt­mann in ei­nem der Gar­de­re­gi­men­ter, bei Franz oder den ›Mai­kä­fern‹, und wur­de noch in Frank­reich Ma­jor. Ich muß ihn im ›Cer­f‹ ge­se­hen ha­ben. Aber warum au­ßer Dienst?«

Der dies Selbst­ge­spräch Füh­ren­de nahm, als er sich, mit Hül­fe sei­nes Ge­dächt­nis­ses, auf die­se Wei­se leid­lich ori­en­tiert hat­te, die Zei­tung wie­der zur Hand und über­flog den Leit­ar­ti­kel, der die letz­ten Fort­schrit­te der Rus­sen in Turk­me­ni­en be­han­del­te, zu­gleich aber, un­ter al­ler­hand Na­mens­ver­wech­se­lun­gen, auch über In­di­en und Per­si­en ora­kel­te. »Der Herr Ver­fas­ser weiß da so gut Be­scheid wie ich auf dem Mond.« Und das Blatt ver­drieß­lich wie­der bei­sei­te schie­bend, sah er lie­ber auf das Ge­bir­ge hin, das er, seit län­ger als ei­ner Wo­che, an je­dem neu­en Mor­gen mit im­mer neu­er Freu­de be­trach­te­te. Zu­letzt ruh­te sein Blick auf dem Vor­der­grund und ver­folg­te hier die Kies­we­ge, die sich, in ab­wech­selnd brei­ten und schma­len Schlän­gel­li­ni­en, durch die Park­wie­se hin­zo­gen. Eins der Bos­quets, das dem Son­nen­brand am meis­ten aus­ge­setzt war, zeig­te viel Gelb, und er sah eben scharf hin, um sich zu ver­ge­wis­sern, ob es gel­be Blü­ten oder nur von der Son­ne ver­brann­te Blät­ter sei­en, als er aus eben die­sem Bos­quet die Ge­stal­ten des St. Ar­naud­schen Paa­res her­vor­tre­ten sah. Sie bo­gen in den Weg ein, der, jen­seits der Park­wie­se, par­al­lel mit dem Ho­tel lief, so daß man, vom Bal­kon her, bei­de ge­nau be­ob­ach­ten konn­te. Die schö­ne Frau schi­en sich un­ter dem Ein­flus­se der Luft rasch ge­kräf­tigt zu ha­ben und ging auf­recht und elas­tisch, trotz­dem sich un­schwer er­ken­nen ließ, daß ihr das Ge­hen im­mer noch Müh und An­stren­gung ver­ur­sach­te.

»Das ist Ba­den-Ba­den«, sag­te der vom Bal­kon aus sie Beo­b­ach­ten­de. »Ba­den-Ba­den oder Brighton oder Bi­ar­ritz, aber nicht Harz und ›Ho­tel Zehn­pfun­d‹.« Und so vor sich hin spre­chend, folg­te sein Auge dem sich bald nä­hern­den, bald ent­fer­nen­den Paa­re mit im­mer ge­stei­ger­tem In­ter­es­se, wäh­rend er zu­gleich in sei­nen Erin­ne­run­gen wei­ter­forsch­te. »St. Ar­naud. Anno 70 war er noch un­ver­hei­ra­tet, sie wäre da­mals auch kaum acht­zehn ge­we­sen.« Und un­ter sol­chem Rech­nen und Er­wä­gen er­ging er sich in im­mer neu­en Mut­ma­ßun­gen dar­über, wel­che Be­wandt­nis es mit die­ser et­was son­der­ba­ren und über­ra­schen­den Ehe ha­ben möge. »Da­hin­ter steckt ein Ro­man. Er ist über zwan­zig Jah­re äl­ter als sie. Nun, das gin­ge schließ­lich, das be­deu­tet un­ter Um­stän­den nicht viel. Aber den Ab­schied ge­nom­men, ein so bril­lan­ter und be­währ­ter Of­fi­zier! Man sieht ihm noch jetzt den Schneid an; Gar­de-Oberst com­me il faut,1 je­der Zoll. Und doch au­ßer Dienst. Soll­te viel­leicht … Aber nein, sie co­quet­tiert nicht, und auch sein Be­neh­men ge­gen sie hält das rich­ti­ge Maß. Er ist ar­tig und ver­bind­lich, aber nicht zu ge­sucht ar­tig, als ob was zu ka­schie­ren sei. Nun, ich will es schon er­fah­ren. Üb­ri­gens wirkt sie ka­tho­lisch, und wenn sie nicht aus Brüs­sel ist, ist sie we­nigs­tens aus Aa­chen. Nein, auch das nicht. Jetzt hab ich es: Po­lin oder we­nigs­tens pol­ni­sches Halb­blut. Und in ei­nem fes­ten Klos­ter er­zo­gen, ›Sa­cré coeur‹ oder ›Zum gu­ten Hir­ten‹.«

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Drittes Kapitel

Herr von Gor­don war auf bes­tem Wege, sei­ne Mut­ma­ßun­gen noch wei­ter aus­zu­spin­nen, als er sich durch ein von rück­wärts her laut wer­den­des, sehr un­ge­nier­tes La­chen un­ter­bro­chen und zwei neue Be­su­cher auf den Bal­kon her­austre­ten sah, statt­li­che Her­ren von etwa drei­ßig, über de­ren spe­zi­el­le Hei­mat, so­wohl ih­rem Auf­tre­ten wie be­son­ders ih­rer Sprech­wei­se nach, kein Zwei­fel sein konn­te. Sie tru­gen grau­brau­ne Som­meran­zü­ge, de­ren Far­be sich nach oben hin bis in die klei­nen Filz­hü­te fort­setz­te, dazu Plai­ds und Rei­se­ta­schen. Al­les paß­te vor­züg­lich zu­sam­men, mit Aus­nah­me zwei­er Aus­rüs­tungs­ge­gen­stän­de, von de­nen der eine, mit Rück­sicht auf eine Harz­rei­se, des Gu­ten zu­we­nig, der an­de­re aber ent­schie­den zu­viel tat. Die­se zwei nicht pas­sen­den Din­ge wa­ren: ein ele­gan­ter Pro­me­na­den­stock mit El­fen­bein­griff und and­rer­seits ein hy­per­so­li­des Schuh­zeug, das sich mit sei­nen Schnürö­sen und di­cken Soh­len aus­nahm, als ob es sich um eine Be­stei­gung des Mat­ter­horn, nicht aber der Roß­trap­pe ge­han­delt hät­te.

»Wo kam­pie­ren wir?« frag­te der äl­te­re, von der Tür­schwel­le her Um­schau hal­tend. Im sel­ben Au­gen­blick aber des ge­schützt ste­hen­den Ti­sches mit dem großen Flie­der­strauß an­sich­tig wer­dend, an dem die St. Ar­nauds eben noch ge­ses­sen hat­ten, schritt er rasch auf die­se be­vor­zug­te, weil wind­ge­schütz­te, Stel­le zu und sag­te: »Wo das blüht, da laß dich ru­hig nie­der, böse Men­schen ha­ben kei­nen Flie­der.« Und im sel­ben Au­gen­bli­cke so­wohl Rei­se­ta­sche wie Plaid über die Stuhl­leh­ne hän­gend, rief er mit cha­rak­te­ris­ti­scher Be­to­nung der letz­ten Sil­be: »Kellnér!«

»Be­feh­len?«

»Zu­vör­derst einen Mok­ka samt Zu­be­hör, oder sa­gen wir kurz: ein Schwei­zer Früh­stück. Je­dem Mann ein Ei, dem tapfren Schwep­per­mann aber zwei.«

Der Kell­ner lä­chel­te schalk­haft vor sich hin und such­te, zu sicht­li­cher Freu­de der bei­den neu­en An­kömm­lin­ge, durch eine hu­mo­ris­ti­sche Hand­be­we­gung aus­zu­drücken, daß er nicht recht wis­se, wer der zu Be­vor­zu­gen­de sein wer­de.

»Ber­li­ner?«

»Zu die­nen.«

»Nun denn, Freund und Lands­mann, Sie wer­den uns nicht ver­ra­ten, wenn Sie hö­ren, daß wir ei­gent­lich bei­de Schwep­per­män­ner sind. Macht vier Eier. Und nun flink. Aber erst hier das alte Schlacht­feld ab­räu­men. Und wie steht es mit Ho­nig?«

»Sehr gut.«

»Nun denn auch Ho­nig. Aber Wa­ben­ho­nig. Al­les frisch vom Faß. Echt, echt!«

Un­ter die­sem Ge­sprä­che hat­te der Kell­ner den Tisch klar­ge­macht und ging nun, um das Früh­stück her­bei­zu­schaf­fen. Es folg­te eine Pau­se, die das Ber­li­ner Paar, weil ihm nichts an­de­res üb­rig­b­lieb, mit Na­tur­be­trach­tun­gen aus­füll­te.

»Das also ist der Harz oder das Harz­ge­bir­ge«, nahm der äl­te­re zum zwei­ten Male das Wort, der­sel­be, der das kur­ze Ge­spräch mit dem Kell­ner ge­habt hat­te. »Merk­wür­dig ähn­lich. Ein biß­chen wie Ti­vo­li, wenn die Kuhn­heim­sche Fa­brik in Gang ist. Sieh nur, Hugo, wie das Ozon da drü­ben am Ge­bir­ge hin­streicht. In den Zei­tun­gen heißt es in ei­ner all­wö­chent­lich wie­der­keh­ren­den An­non­ce: ›Tha­le, kli­ma­ti­scher Ku­r­or­t‹. Und nun die­se Schorn­stei­ne! Na, mei­net­we­gen; Rauch kon­ser­viert, und wenn wir hier vier­zehn Tage lang im Schmok hän­gen, so kom­men wir als Dau­er­schin­ken wie­der her­aus. Ach, Ber­lin! Wenn ich nur we­nigs­tens die Roß­trap­pe se­hen könn­te!«

»Du hast sie ja vor dir«, sag­te der and­re, wäh­rend eben auf ei­nem großen Ta­blett das Früh­stück ge­bracht wur­de. »Nicht wahr, Kell­ner, das röt­li­che Haus da oben, das ist die Roß­trap­pe?«

»Nicht ganz, mein Herr. Die Roß­trap­pe liegt et­was wei­ter zu­rück. Das Haus, das Sie se­hen, ist das ›Ho­tel zur Roß­trap­pe‹.«

»Na, das ist die Roß­trap­pe. Das Ho­tel ent­schei­det. Üb­ri­gens, Pil­se­ner oder Kulm­ba­cher?«

»Bei­des, mei­ne Her­ren. Aber wir brau­en auch selbst.«

»Wohl am Ende da drü­ben, wo der Rauch zieht?«

»Nein, hier mehr links. Die Schorn­stei­ne nach rechts hin sind die Blech­hüt­te.«

»Was?«

»Die Blech­hüt­te. Blech mit Email­le.«

»Wun­der­voll! Mit Email­le! Fehlt bloß noch das Zif­fer­blatt. Und darf man das al­les sehn?«

»O ge­wiß, ge­wiß. Wenn die Her­ren nur ihre Kar­ten ab­ge­ben wol­len …«

Und da­mit brach das Ge­spräch ab, und die bei­den Tou­ris­ten par ex­cel­lence mach­ten sich an ihr Früh­stück mit Ei und Wa­ben­ho­nig.

Eine hal­be Stun­de spä­ter er­ho­ben sie sich und ver­lie­ßen den Bal­kon, wo­bei der Jün­ge­re den Stock mit der El­fen­beinkrücke quer vor den Mund nahm, zu­gleich den Ton ei­ner zum Marsch bla­sen­den Pi­ckel­flö­te nach­ah­mend. Al­les, was noch auf dem Bal­kon ver­blie­ben war, sah ih­nen neu­gie­rig nach, auch Gor­don, der ih­ren Wei­ter­marsch bis ins Bo­de­tal hin­ein ver­folgt ha­ben wür­de, wenn nicht der eben mit neu­en An­kömm­lin­gen ein­ge­trof­fe­ne Früh­zug sein In­ter­es­se nach der ent­ge­gen­ge­setz­ten Sei­te hin ab­ge­zo­gen hät­te. Sän­ger­ver­ei­ne rück­ten vom Bahn­hof her­an und mar­schier­ten auf Tre­se­burg zu, wo sie den Tag zu ver­brin­gen und ihre Sän­ger­wett­kämp­fe zu füh­ren ge­dach­ten. Im Vor­über­zie­hen an dem Ho­tel schwenk­ten sie die Hüte, zahl­lo­se Hochs aus­brin­gend, von de­nen nie­mand recht wuß­te, wem sie gal­ten. An ihre letz­te Sek­ti­on aber schlos­sen sich alle die­je­ni­gen an, die der Zug au­ßer­dem noch ge­bracht hat­te, lau­ter Durch­schnitts­fi­gu­ren, un­ter de­nen nur die di­rekt Ab­schlie­ßen­den ei­ni­ger Auf­merk­sam­keit wert wa­ren.

Es wa­ren ih­rer zwei, bei­de leb­haft plau­dernd, aber doch nur wie Per­so­nen, die sich eben erst ken­nen­ge­lernt ha­ben. Der zur Lin­ken Ge­hen­de, schwarz ge­klei­det in Steh­kra­gen­rock, da­bei von freund­li­chen Zü­gen, war ein al­ter Eme­ri­tus, den Gor­don schon von ver­schie­de­nen Aus­flü­gen und na­ment­lich von der Ta­ble d’hôte her kann­te, wäh­rend der an­de­re durch eine große Häß­lich­keit und bei­nah mehr noch durch die Son­der­bar­keit sei­ner Klei­dung auf­fiel. Er trug näm­lich ziem­lich de­fek­te Ga­ma­schen und eine Man­che­s­ter­wes­te, de­ren Schö­ße län­ger wa­ren als sei­ne Jop­pe, dazu Strip­pen­haar, Klapp­hut und Horn­bril­le. Worauf deu­te­te das al­les hin? Sei­nem un­te­ren Men­schen nach hät­te man ihn ohne wei­te­res für einen Trap­per, sei­nem obe­ren nach eben­so zwei­fel­los für einen Ra­bu­lis­ten und Win­kel­ad­vo­ka­ten hal­ten müs­sen, wenn nicht sein letz­tes und vor­züg­lichs­tes Aus­rüs­tungs­stück: eine Bo­ta­ni­sier­trom­mel, ge­we­sen wäre, ja so­gar eine Bo­ta­ni­sier­trom­mel am ge­stick­ten Ban­de. Die­se be­stän­dig hin und her schie­bend, schritt er an der Sei­te des geist­li­chen Herrn, der üb­ri­gens be­reits Mie­ne zum Ab­schwen­ken mach­te, mit großen Schrit­ten und un­ter be­stän­di­gen Ges­ti­ku­la­tio­nen auf die Park­wie­se zu.

»Bo­ta­ni­ker«, sag­te Gor­don zu dem Wir­te von »Ho­tel Zehn­pfund«, der sich ihm mitt­ler­wei­le ge­sellt hat­te. »Sieht er nicht aus wie Knecht Ru­precht, der den Früh­ling in sei­nen Sack ste­cken will?«

Der jo­via­le Ho­te­lier je­doch, der, wie die meis­ten sei­nes Stan­des, ein Men­schen­ken­ner war, woll­te von der Gor­d­on­schen Dia­gno­se nichts wis­sen und sag­te: »Nein, Herr von Gor­don, die grü­ne Trom­mel, die kenn ich: in neun Fäl­len von zehn ist sie Vor­rats­kam­mer, am ge­stick­ten Ban­de aber ist sie’s im­mer. Nichts von Bo­ta­nik. Ich hal­te den Herrn für einen Ur­nen­budd­ler.«

»Archäo­lo­ge?«

»So drum her­um.«

Und als bei­de so spra­chen, ver­schwand der Ge­gen­stand ih­rer Un­ter­hal­tung jen­seits der Park­wie­se, nach­dem er sich schon vor­her von dem im Ho­tel woh­nen­den Eme­ri­tus ver­ab­schie­det hat­te.

Viertes Kapitel

Zehn Mi­nu­ten vor eins läu­te­te die Tisch­glo­cke durch alle Kor­ri­do­re hin, und wie­wohl die Hau­te-Sai­son noch nicht be­gon­nen hat­te, ver­sam­mel­te sich doch eine statt­li­che Zahl von Gäs­ten im großen Spei­se­saal. Auch die bei­den Ber­li­ner in Grau­braun fehl­ten nicht und hat­ten so­fort am un­tern Ende der Ta­fel eine Ko­ro­na teils be­wun­dern­der, teils lä­cheln­der Zu­hö­rer um sich her, zu wel­chen letz­tren auch der alte Herr im geist­li­chen Rock und der Lang­haa­ri­ge mit der Horn­bril­le zähl­te. Das im Ge­gen­sat­ze zu dem un­ter­wegs von Cé­ci­le ge­äu­ßer­ten Wun­sche heut eben­falls er­schie­ne­ne St. Ar­naud­sche Paar war vom Ober­kell­ner ge­be­ten wor­den, die Mit­tel­plät­ze der Ta­fel ein­zu­neh­men, ge­gen­über von Herrn von Gor­don, der im sel­ben Au­gen­bli­cke, wo die Herr­schaf­ten Platz ge­nom­men hat­ten, auch schon die mit al­ler­hand ro­tem Blatt­werk zwi­schen ihm und Cé­ci­le ste­hen­de Vase zu ver­wün­schen be­gann. Selbst­ver­ständ­lich ließ er sich durch dies Hin­der­nis nicht ab­hal­ten, sich vor­zu­stel­len, wor­auf der Oberst, viel­leicht weil er einen ade­li­gen Na­men ge­hört hat­te, mit be­mer­kens­wer­ter Ar­tig­keit er­wi­der­te: »von St. Ar­naud – mei­ne Frau.« Es schi­en aber bei die­sem Na­mens­aus­tausch blei­ben zu sol­len, denn Mi­nu­ten ver­gin­gen, ohne daß ein wei­te­rer An­nä­he­rungs­ver­such von hü­ben oder drü­ben ge­macht wor­den wäre. Gor­don, trotz­dem ihm die Tage preu­ßi­scher Dis­zi­plin um meh­re­re Jah­re zu­rück­la­gen, glaub­te doch, mit Rück­sicht auf den Rang des Obers­ten, die­sem das ers­te Wort über­las­sen zu müs­sen. Auch Cé­ci­le schwieg und rich­te­te nur dann und wann ein Wort an ih­ren Ge­mahl, wäh­rend sie me­cha­nisch an ei­nem Tür­kis­rin­ge dreh­te.

Seit dem Ra­goût fin en co­quil­le, von dem sie zwei Bröck­chen ge­kos­tet und zwei an­de­re auf der Ga­bel­spit­ze ge­las­sen hat­te, hat­te sie bei je­dem neu prä­sen­tier­ten Gan­ge ge­dankt und lehn­te sich jetzt mit ver­schränk­ten Ar­men in den Stuhl zu­rück, nur dann und wann nach der Saal­uhr bli­ckend, auf de­ren Zif­fer­blatt der Zei­ger lang­sam vor­rück­te. Gor­don, auf blo­ße Beo­b­ach­tung an­ge­wie­sen, be­gann all­mäh­lich die Vase zu seg­nen, die, so hin­der­lich sie war, ihm we­nigs­tens ge­stat­te­te, sei­ne Stu­di­en ei­ni­ger­ma­ßen un­auf­fäl­lig, wenn auch frei­lich nicht un­be­merkt, fort­set­zen zu kön­nen. Er ge­stand sich, sel­ten eine schö­ne­re Frau ge­se­hen zu ha­ben, kaum in Eng­land, kaum in den »Sta­tes«. Ihr Pro­fil war von sel­te­ner Rein­heit, und das Feh­len je­der Spur von Far­be gab ih­rem Kop­fe, dar­in Apa­thie der vor­herr­schen­de Zug war, et­was Mar­mor­nes. Aber die­ser Aus­druck von Apa­thie war nicht Fol­ge be­son­de­rer Nie­der­ge­schla­gen­heit, noch we­ni­ger von schlech­ter Lau­ne, denn ihre Züge, wie Gor­don nicht ent­ging, be­gan­nen sich so­fort zu be­le­ben, als plötz­lich von der un­te­ren Ta­fel her dem Kell­ner in gu­tem Ber­li­nisch zu­ge­ru­fen wur­de: »Kalt stel­len also. Aber nicht zu lan­ge. Denn der Knall bleibt im­mer die Haupt­sa­che« – bei wel­cher The­se der, der sie auf­stell­te, mit sei­nem Zei­ge­fin­ger rasch und ge­schickt un­ter den Mund­win­kel und mit sol­cher Ener­gie wie­der her­aus­fuhr, daß es einen lau­ten Puff gab.

Al­les lach­te. Selbst der Oberst schi­en froh, aus der Ta­fel-Lang­wei­le her­aus zu sein, und sag­te jetzt, wäh­rend er sich über den Tisch hin vor­beug­te: »Nicht wahr, Herr von Gor­don, Sie sind ein Sohn des Ge­ne­rals?«

»Nein, mein Herr Oberst, auch kaum ver­wandt, denn ich bin ei­gent­lich ein Les­lie. Der Name Gor­don ist erst durch Ad­op­ti­on in un­se­re Fa­mi­lie ge­kom­men.«

»Und ste­hen in wel­chem Re­gi­ment?«

»In kei­nem, Herr Oberst. Ich habe den Dienst quit­tiert.«

»Ah«, sag­te der Oberst, und eine Pau­se folg­te, die zum zwei­ten Male ver­häng­nis­voll wer­den zu wol­len schi­en. Aber die Ge­fahr ging glück­lich vor­über, und St. Ar­naud, der sonst we­nig sprach, fuhr mit ei­nem für sei­nen Cha­rak­ter über­ra­schend ar­ti­gen Ent­ge­gen­kom­men fort: »Und Sie sind schon län­ge­re Zeit hier, Herr von Gor­don? Und viel­leicht zur Kur?«

»Seit ei­ner Wo­che, mein Herr Oberst. Aber nicht ei­gent­lich zur Kur. Ich will aus­ru­hen und eine gute Luft at­men und ne­ben­her auch Plät­ze wie­der­se­hen, die mir aus mei­ner Kind­heit her teu­er sind. Ich war, eh ich in die Ar­mee trat, oft im Harz und darf sa­gen, daß ich ihn ken­ne.«

»Da bitt ich, daß wir uns vor­kom­men­den­falls an Ihren gu­ten Rat und Ihre Hül­fe wen­den dür­fen. Wir ge­den­ken näm­lich, so­bald es das Be­fin­den mei­ner Frau zu­läßt, im­mer hö­her in die Ber­ge hin­auf­zu­ge­hen und etwa mit An­dre­as­berg ab­zu­schlie­ßen. Es soll dort die bes­te Luft für Ner­ven­kran­ke sein.«

In die­sem Au­gen­bli­cke prä­sen­tier­te der Kell­ner ein Pa­naché, von des­sen Va­nil­len­sei­te Frau von St. Ar­naud nahm und kos­te­te. »Lie­ber Pier­re«, sag­te sie dann mit sich rasch be­le­ben­der Stim­me, »du bit­test Herrn von Gor­don um sei­nen Bei­stand und ver­scheuchst ihn im sel­ben Au­gen­blick aus un­se­rer Nähe. Denn was ist läs­ti­ger als Rück­sich­ten auf eine kran­ke Frau neh­men? Aber er­schre­cken Sie nicht, Herr von Gor­don, wir wer­den Ihre Güte nicht miß­brau­chen, we­nigs­tens nicht ich. Sie sind zwei­fel­los ein Berg­stei­ger, also en­ra­giert für große Par­ti­en, wäh­rend ich vor­ha­be, mir, noch auf Wo­chen hin, an un­se­rem Bal­kon und der Park­wie­se ge­nü­gen zu las­sen.«

Das Ge­spräch setz­te sich fort und ward erst un­ter­bro­chen, als der an der un­te­ren Ta­fel in­zwi­schen er­schie­ne­ne Cham­pa­gner mit al­lem Ze­re­mo­ni­ell ge­öff­net wur­de. Der Pfrop­fen flog in die Höh, und wäh­rend der jün­ge­re die Glä­ser füll­te, mus­ter­te der äl­te­re die Mar­ke, selbst­ver­ständ­lich nur, um Ge­le­gen­heit zum Vor­tra­ge ei­ni­ger Cham­pa­gner-An­ek­do­ten zu fin­den, die sämt­lich, um sei­nen ei­ge­nen Aus­druck zu ge­brau­chen, auf »Wirt und Ho­tel-Ent­lar­vung auf dem Pfrop­fen­we­ge« hin­aus­lie­fen – al­les üb­ri­gens in bes­ter Lau­ne, die sich nicht bloß sei­ner nächs­ten Um­ge­bung, son­dern so ziem­lich der gan­zen Ta­fel mit­teil­te.

Zehn Mi­nu­ten da­nach er­hob man sich und ver­ließ in Grup­pen den Eß­saal. Auch die Ber­li­ner gin­gen den Kor­ri­dor hin­un­ter, mach­ten aber an ei­nem Fens­ter­tisch­chen halt, auf dem das Frem­den­buch auf­ge­schla­gen lag, und be­gan­nen dar­in zu blät­tern.

»Ah, hier. Das is er: Gor­don-Les­lie, Zi­vi­l­in­ge­nieur.«

»Gor­don-Les­lie!« wie­der­hol­te der an­de­re. »Das ist ja der rei­ne ›Wal­len­steins Tod‹!«

»Wahr­haf­tig, fehlt bloß noch Oberst Butt­ler.«

»Na, höre, der alte …«

»Meinst du?«

»Frei­lich, mein ich. Sieh dir ’n mal an. Wenn der erst an­fängt …«

»Höre, das wär fa­mos; da könnt man am Ende noch was er­le­ben.«

Und da­mit gin­gen sie wei­ter und auf ihr Zim­mer zu, »um sich hier«, wie sich der äl­te­re aus­drück­te, »in­wen­dig ein biß­chen zu be­sehn.«

Fünftes Kapitel

Gleich nach Auf­he­bung der Ta­fel war zwi­schen den St. Ar­nauds und ih­rem neu­en Be­kann­ten und Tisch-vis-à-vis ein Nach­mit­tags­spa­zier­gang auf die Roß­trap­pe hin­auf ver­ab­re­det wor­den, und um vier Uhr traf man sich un­ter der großen Park­pla­ta­ne, wo Gor­don dann so­fort auch, aber doch erst, nach­dem er sei­ne Dis­po­si­tio­nen ge­hor­samst un­ter­brei­tet hat­te, die Füh­rung über­nahm. Die gnä­di­ge Frau, so wa­ren sei­ne Wor­te ge­we­sen, möge nicht er­schre­cken, wenn er, statt des sehr stei­len nächs­ten We­ges, einen Um­weg vor­schla­ge, der sich nicht bloß durch das, was er habe (dar­un­ter die schöns­ten Durch­bli­cke), son­dern viel, viel mehr noch durch das, was er nicht habe, höchst vor­teil­haft aus­zeich­ne. Die sonst üb­li­chen Begleit­stücke har­zi­scher Pro­me­na­den­we­ge: Hüt­ten, Kin­der und auf­ge­häng­te Wä­sche, kämen näm­lich in Weg­fall.

Cé­ci­le gab in gu­ter Lau­ne die Ver­si­che­rung, lan­ge ge­nug ver­hei­ra­tet zu sein, um auch in klei­nen Din­gen Ge­hor­sam und Un­ter­ord­nung zu ken­nen; am we­nigs­ten aber wer­de sie sich ge­gen Herrn von Gor­don auf­leh­nen, der den Ein­druck ma­che, wie zum Füh­rer und Pfad­fin­der ge­bo­ren zu sein.

»Be­dan­ken Sie sich«, lach­te der Oberst. »Re­mi­nis­zenz aus ›Le­der­strumpf‹.«

Gor­don war nicht an­ge­nehm von ei­nem Scher­ze be­rührt, des­sen Spott sich eben­so ge­gen ihn wie ge­gen Cé­ci­le rich­ten konn­te, ver­wand den Ein­druck aber schnell und nahm das Shawl­tuch, das die schö­ne Frau bis da­hin über dem Arm ge­tra­gen hat­te. Dann wies er auf einen ei­ni­ger­ma­ßen schat­ti­gen, am Par­ken­de ge­le­ge­nen Stein­weg hin und führ­te, die­sen ein­schla­gend, das St. Ar­naud­sche Paar, an Bu­den und Som­mer­häu­sern vor­über, auf das be­nach­bar­te Hu­ber­tus­bad zu, von dem aus er den Auf­stieg auf die Roß­trap­pe be­werk­stel­li­gen woll­te. Von bei­den Sei­ten trat das Laub­holz dicht her­an, aber auch freie­re Plät­ze ka­men, auf de­ren ei­nem eine von ei­nem ver­gol­de­ten Draht­git­ter ein­ge­faß­te, mit wil­dem Wein und Efeu dicht über­wach­se­ne Vil­la lag. Nichts reg­te sich in dem Hau­se, nur die Gar­di­nen bausch­ten über­all, wo die Fens­ter auf­stan­den, im Zug­wind hin und her, und man hät­te den Ein­druck ei­ner ab­so­lut un­be­wohn­ten Stät­te ge­habt, wenn nicht ein präch­ti­ger Pfau ge­we­sen wäre, der, von sei­ner ho­hen Stan­ge her­ab, über den meist mit Rit­ter­sporn und Bren­nen­der Lie­be be­pflanz­ten Vor­gar­ten hin, in über­mü­ti­gem und her­aus­for­dern­dem Tone kreisch­te.

Cé­ci­le blieb be­trof­fen ste­hen und wand­te sich dann zu Gor­don, der den gan­zen Um­weg viel­leicht nur um die­ser Stel­le wil­len ge­macht hat­te.

»Wie zau­ber­haft«, sag­te sie. »Das ist ja das ›ver­wun­sche­ne Schloß‹ im Mär­chen. Und so still und lau­schig. Wirkt es nicht, als woh­ne der Frie­de dar­in oder, was das­sel­be sagt: das Glück.«

»Und doch ha­ben bei­de kei­ne Stät­te hier ge­fun­den, und ich gehe täg­lich an die­sem Hau­se vor­über und hole mir eine Pre­digt.«

»Und wel­che?«

»Die, daß man dar­auf ver­zich­ten soll, ein Idyll oder gar ein Glück von au­ßen her auf­bau­en zu wol­len. Der, der dies schuf, hat­te der­glei­chen im Sinn. Aber er ist über die blo­ße Ku­lis­se nicht hin­aus­ge­kom­men, und was da­hin­ter für ihn lau­er­te, war we­der Frie­de noch Glück. Es geht ein fins­te­rer Geist durch die­ses Haus, und sein letz­ter Be­woh­ner er­schoß sich hier, an dem Fens­ter da (das vor­letz­te links), und wenn ich so hin­seh’, ist mir im­mer, als säh’ er noch her­aus und su­che nach dem Glücke, das er nicht fin­den konn­te. Plät­ze, dar­an Blut klebt, er­fül­len mich mit Grau­en.«

Es war, als ob Gor­don auf ein Wort der Zu­stim­mung ge­war­tet hät­te. Dies Wort blieb aber aus, und Cé­ci­le zähl­te nur die Ma­schen des vor ihr aus­ge­spann­ten Draht­git­ters, wäh­rend der Oberst sein Lor­gnon nahm und die Fens­ter mit ei­ner Art ru­hi­ger Neu­gier mus­ter­te.

Dann, ohne daß wei­ter ein Wort ge­spro­chen wor­den wäre, schritt man dem Schlän­gel­we­ge zu, der auf die Roß­trap­pe hin­auf­führ­te.

Sechstes Kapitel