César Birotteau - Honore de Balzac - E-Book

César Birotteau E-Book

Honore de Balzac

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Beschreibung

Monumental Wirkungsvoller Roman vom Aufstieg und Niedergang des ehrbaren und kaufmännisch sauberen Parfümhändlers und -fabrikaten, stellvertretenden Bürgermeisters im 2. Pariser Bezirk und Ritters der Ehrenlegion: Birotteau, der ehemals mittellose Bauernjunge, der als Waise in die Hauptstadt gekommen ist, ist besessenen im Kampf um gesellschaftlichen Aufstieg. Er fällt verbrecherischen Spekulanten zum Opfer und scheitert an der Korruption der Pariser Hochfinanz. Nach seinem Konkurs will er seine Ehre wiederherzustellen.

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Honoré de Balzac

Cäsar Birotteau

Übersetzt von Hedwig Lachmann

1

Während der Winternächte wird es in der Rue Saint-Honoré nur auf Augenblicke ruhig. Den Lärm, den die aus dem Theater oder vom Balle zurückrollenden Kutschen verursachen, setzen die Wagen der Gemüsehändler fort, die nach der Markthalle fahren. Mitten in diesem Orgelgebraus, das in der gewaltigen Symphonie des Pariser Straßenlebens gegen ein Uhr morgens ertönt, fuhr die Ehefrau des Parfümhändlers Cäsar Birotteau – er wohnte in der Nähe der Place Vendôme – aus dem Schlafe auf. Ein fürchterlicher Traum hatte sie erschreckt.

Frau Konstanze Birotteau hatte eine Doppelgängerin von sich gesehen: in zerlumpter Kleidung, einen Stock in der harten, schwieligen Hand, stand sie auf der Schwelle ihres eigenen Ladens; zugleich aber saß sie auch in dem Schreibsessel ihres Kontors. Sie bat sich selbst um ein Almosen und hörte sich zugleich an der Tür und im Kontor reden. Als sie nach ihrem Manne, dessen Lager neben dem ihren war, greifen wollte, fanden ihre Hände seinen Platz leer. Da vermehrte sich ihre Angst dermaßen, daß sie ihren Kopf nicht zu bewegen vermochte. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, sie konnte keinen Laut von sich geben, sie riß die Augen weit auf, es sauste ihr in den Ohren, ihr Herz schlug heftig. In Schweiß gebadet richtete sie sich endlich entsetzt im Bette auf. Das Ehepaar schlief in einem Alkoven, dessen Flügeltür weit offen stand.

Die Furcht ist ein halb krankhaftes Gefühl, das, wenn es in die menschliche Maschinerie eingreift, deren Kräfte plötzlich entweder zu ihrer größten Leistungsfähigkeit treibt oder gänzlich versagen läßt. Die Physiologen haben lange Zeit vor dieser seltsamen Erscheinung verblüfft dagestanden, weil sie ihre Theorien umstürzt und ihre Folgerungen über den Haufen wirft. Indessen ist die Angst im Grunde nichts weiter als ein im Innern des Menschen niedergehender Blitzschlag, der, wie alle elektrischen Vorgänge, eigenwillig und unberechenbar ist. Diese Erklärung wird dereinst allgemein anerkannt werden, wenn die Gelehrten die ungeheure Wirkung erkannt haben, die die Elektrizität auf die Nerven und das Gehirn der Menschen ausübt.

Frau Birotteau empfand in diesem Augenblicke jenen gewissermaßen lichtvollen Schmerz, der durch die starke Entladung des durch einen unerforschten mechanischen Vorgang zerstreuten oder konzentrierten Willens entsteht. Während eines kurzen, scheinbar aber nicht endenwollenden Zeitraumes hatte die arme Frau die wunderbare Macht, mehr Gedanken zu produzieren und sich mehr Erinnerungen zu vergegenwärtigen, als ihr das im gewöhnlichen Zustande innerhalb eines ganzen Tages möglich gewesen wäre. Das Gesamtergebnis dieses Vorgangs äußerte sich in einigen wirren, sich widersprechenden sinnlosen Worten.

Birotteau hat doch nicht ohne Grund das Bett verlassen! Vielleicht ist ihm das Essen schlecht bekommen. Aber wenn er krank wäre, hätte er mich doch geweckt. In den neunzehn Jahren, die wir nebeneinander schlafen, hat er kein einziges Mal seinen Platz verlassen, ohne es mir vorher zu sagen. Der liebe treue Kerl! Wenn er mal aufgestanden ist, so geschah es nur, um nach einem gewissen Örtchen zu pilgern! Ist er denn überhaupt gestern mit mir zu Bett gegangen? Freilich! Du lieber Gott! Ich bin wie vor den Kopf geschlagen!

Sie übersah das Bett und erblickte die Nachtmütze ihres Mannes, die noch die fast kegelförmige Form seines Kopfes zeigte.

Sollte er Selbstmord begangen haben? Aber warum? Seit den zwei Jahren, die er Stadtverordneter ist, kommt er mir wie verdreht vor. Man sollte so einem Manne weiß Gott kein öffentliches Amt geben! Sein Geschäft geht vorzüglich. Er hat mir erst neulich einen teuren Schal geschenkt. Vielleicht geht es aber doch schlecht? I wo! Da müßte ich's doch wissen! Aber weiß man denn immer, was ein Mann im Kopfe hat! Unsinn! Haben wir doch heute für fünftausend Francs Umsatz gehabt. Übrigens kann ein Stadtverordneter überhaupt nicht Selbstmord begehen. Er ist viel zu sehr auf die Ordnung im Staate bedacht. Aber wo mag er nur stecken?

Sie war nicht imstande, ihre Hand nach der Klingelschnur auszustrecken, womit sie die Köchin, drei Kommis und den Lehrling in Bewegung gesetzt hätte. Obwohl sie völlig wach war, drückte sie der Alp. Es kam ihr nicht einmal in den Sinn, daß ihre Tochter im anstoßenden Zimmer schlief.

Sie bildete sich ein, laut »Mann!« gerufen zu haben, aber sie vernahm natürlich keine Antwort.

Sollte er eine Geliebte haben? dachte sie weiter. Nein, dazu ist er zu dumm! Übrigens liebt er mich viel zu sehr. Hat er nicht zu Frau Roguin gesagt, er sei mir noch nie, auch nur in Gedanken, untreu gewesen. Mein Mann ist die verkörperte Rechtschaffenheit. Wenn irgend jemand in den Himmel kommt, so verdient er's sicherlich, Sogar im Beichtstuhl hat er nichts vorzubringen als Nichtigkeiten. Obgleich er Royalist ist – warum, das weiß er selber nicht! – protzt er doch – um dies eine herauszugreifen – ganz und gar nicht mit seiner kirchlichen Gesinnung. Frühmorgens um acht geht er ganz still für sich zur Messe. Er fürchtet Gott wirklich aus Frömmigkeit, nicht aus Angst vor dem Teufel. Wie sollte er da eine Geliebte haben! Er hängt mir vielmehr derartig am Rockzipfel, daß es langweilig ist. Er kann ohne mich nicht leben und würde sich für mich aufhängen lassen. Neunzehn Jahre lang hat er keine Heimlichkeiten vor mir gehabt. Er sagt mir alles. Seine Tochter kommt erst nach mir!.. Daß mir das erst jetzt einfällt: sie ist ja nebenan...

»Cäsarine! Cäsarine!«

Konstanze wandte den Kopf mühsam und sah sich ängstlich im Räume um, immer noch im Banne des wunderlichen, unbeschreiblichen nächtlichen Erlebnisses.

Plötzlich glaubte sie im Nebenzimmer ein helles Licht wahrzunehmen und meinte, es brenne im Haus. Als sie dann aber ein rotseidenes Tuch liegen sah, kam ihr das wieder wie eine Blutlache vor. Sofort dachte sie an Diebe. Und mit einemmal wähnte sie an der Art, wie die Stühle und Tische standen, die Spuren eines Kampfes zu erkennen. Sie erinnerte sich an das Geld in der Kasse, und diese neue Furcht verjagte ihre frühere Hilflosigkeit. Völlig außer sich stürzte sie im Hemd durch die Tür, um ihrem Manne beizustehen, den sie im Handgemenge mit Dieben glaubte: »Cäsar! Cäsar!« rief sie nunmehr laut und voller Angst.

Sie fand den Parfümhändler in der Mitte des Nebenzimmers, eine Elle in der Hand, mit der er messende Bewegungen machte. Sein grünseidener Schlafrock bedeckte ihn so notdürftig, daß er vor Kälte rote Beine bekommen hatte; er merkte es gar nicht, so vertieft war er. Als er sich endlich umwandte und zu seiner Frau sagte: »Na, Konstanze, was willst du ?« machte er wie alle in Berechnungen versunkenen Leute ein so albernes Gesicht, daß seine Frau zu lachen anfing.

»Du lieber Gott, wie komisch du aussiehst, Cäsar! Warum läßt du mich allein, ohne mir vorher ein Wort zu sagen? Ich bin vor Angst beinahe gestorben. Ich habe mir die dümmsten Gedanken gemacht. Aber was turnst du denn da halbnackt herum ? Du wirst dir einen tollen Schnupfen holen! Hörst du?«

»Ich komme ja schon, liebe Frau!« antwortete Birotteau und ging in das Schlafzimmer.

»Schnell, komm, wärm dich! Und sage mir bloß, was dir im Kopfe rumgeht!«

Frau Birotteau machte sich am Kamin zu schaffen und bemühte sich, das Feuer wieder anzufachen. »Ich bin eiskalt. So dumm von mir, im Hemd aufzustehen! Aber ich dachte wirklich, man ermordet dich.«

Der Kaufmann setzte seinen Leuchter auf den Kamin, hüllte sich ordentlich in seinen Schlafrock und holte seiner Frau ganz mechanisch einen wollenen Unterrock.

»Aber Kind, zieh dich doch an!« sagte er. »Zweiundzwanzig lang und achtzehn breit!« fuhr er dann in seinem vorigen Selbstgespräch fort; »wir bekommen einen Prachtsalon!«

»Cäsar, du wirst wohl noch gänzlich überschnappen. Träumst du?«

»Nein, liebe Frau, ich rechne aus.«

»Mit solchen Dummheiten hättest du auch bis morgen früh warten können!« sagte sie, indem sie ihren Unterrock unter der Nachtjacke zuband. Dann öffnete sie die zum Schlafzimmer ihrer Tochter führende Tür. »Cäsarine schläft, sie wird uns nicht hören. Sag mal, Cäsar, was hast du denn eigentlich?«

»Wir können einen Ball geben.«

»Einen Ball? Wir? Zum Kuckuck, du träumst wahrhaftig!«

»Ich träume nicht, mein liebes Puttchen! Du weißt, man muß sich stets nach den Umständen richten, in denen man sich befindet. Die Regierung hat mich an die Öffentlichkeit gezogen. Ich bin jetzt ein Mann der Regierung. Als solcher muß ich im Geiste der Regierung wirken. Herr de la Billardière, unser Herr Oberbürgermeister, erwartet, daß jeder Vertreter der Bürgerschaft von Paris in seinem Kreise und nach seinen Kräften die in diesen Tagen erfolgende Räumung des französischen Bodens durch die fremden Okkupationstruppen festlich begeht. Ich werde zeigen, daß ich ein echter Patriot bin, vor dem sich die sogenannten Liberalen, diese Malefizkerle, schämen müssen. Ich will ihnen, meinen Feinden, zeigen, daß Frankreich lieben den König lieben heißt!«

»Du bildest dir also ein, Feinde zu haben, du Ärmster ?«

»Na freilich haben wir Feinde, liebe Frau! Und die Hälfte, unserer Freunde im Stadtviertel sind auch unsere Feinde. Sie sagen alle: ,Birotteau kommt fabelhaft vorwärts! Er hat mit nichts angefangen, jetzt ist er Stadtverordneter! Ihm gelingt alles.' Ich sage dir, sie werden Maul und Nase aufsperren! Ich teile dir hierdurch mit, daß ich Ritter der Ehrenlegion geworden bin! Du bist die erste, die es erfährt. Majestät hat gestern die Kabinettsorder unterschrieben.«

»Dann müssen wir freilich einen Ball geben«, versetzte Frau Birotteau ganz gerührt; »aber sag mir mal, was hast du bloß Großes vollbracht, um den Orden zu kriegen?«

»Als mich Herr de la Billardière, unser Oberbürgermeister, gestern davon benachrichtigte«, erwiderte Birotteau ein wenig verlegen, »habe ich mich genau wie du gefragt, wie ich wohl zu dieser allerhöchsten Auszeichnung käme. Auf dem Heimwege aber habe ich die Berechtigung doch erkannt und Majestät beigestimmt. Erstens einmal bin ich Royalist und im Vendémiaire auf den Stufen von Saint-Roch verwundet worden! Ist das etwa nichts, damals für die gute Sache gekämpft zu haben? Ferner habe ich, wie mir die angesehensten Kaufherren versichert haben, mein Amt als Handelsrichter zur allgemeinen Zufriedenheit geführt. Endlich bin ich Stadtverordneter. Der König hat der Stadtverwaltung von Paris vier Orden zur Verfügung gestellt. Nach reiflicher Überlegung, wer dekoriert werden könnte, hat unser Herr Oberbürgermeister meinen Namen als ersten auf die Liste gesetzt. Übrigens muß mich Majestät kennen. Ich liefere nämlich den einzigen Puder, den Majestät mag. Die Firma Birotteau, Ragons Nachfolger, besitzt einzig und allein das Puderrezept der hochseligen Königin. Unser Herr Oberbürgermeister hat sich sehr für mich ins Zeug gelegt. Siehst du, Konstanze, da mir Majestät sozusagen aus freien Stücken den Orden verleiht, so wäre es einfach unanständig, wenn ich ihn ausschlüge. War es mit meiner Stadtverordnetenwürde nicht genau so? Ich mußte sie annehmen! Da es uns also mordsmäßig gut geht – wie dein Onkel Pillerault zu sagen pflegt, wenn er gute Laune hat –, so habe ich die Absicht, alles bei uns zu Hause unsern glücklichen Erfolgen gemäß zuzuschneiden. Wenn ich nun schon etwas geworden bin, so habe ich das Gottvertrauen, auch noch mehr zu werden, sogar Stadtrat, wenn das Schicksal es will. Du bist kolossal im Irrtum, liebe Frau, wenn du dir einbildest, ein Bürger erfülle seine Pflichten gegen das Vaterland, wenn er zwanzig Jahre lang Parfümerien an die verkauft, die solches Zeug lieben. Nimmt der Staat unsern Verstand in Anspruch, so müssen wir ihm den zur Verfügung stellen, und zwar ganz ebenso prompt, wie wir ihm unsere Steuern zahlen. Hast du denn Lust, ewig in deinem Kontor zu hocken? Du steckst leider Gottes schon viel zu lange darin. Der Ball soll einmal ein Fest für uns werden. Schluß mit dem Detailverkauf – für dich nämlich! Ich stecke unser altes Ladenschild ,Zur Rosenkönigin‘ in den Ofen, lasse unsere Firma ,Cäsar Birotteau, Ragons Nachfolger, Parfümhändler‘ überstreichen und dafür kurz und bündig in dicken Riesenbuchstaben draufmalen: PARFÜMERIEN. Ich verlege das Kontor, die Kasse und ein hübsches Zimmerchen für dich in den Zwischenstock. Das Hinterstübchen, das jetzige Eßzimmer und die Küche werden Lagerräume. Ich miete den ersten Stock des Nachbarhauses dazu, breche eine Tür durch die Mauer und lasse unsere Treppe nach hinten verlegen, so daß wir unmittelbar von einem Hause ins andere gehen können. Dadurch bekommen wir ein großes Zimmer, das wir neu ausstatten. Ich richte dir auch dein Zimmer neu vor. Du bekommst einen kleinen Salon für dich, und Cäsarine erhält ebenfalls ein hübsches Stübchen. Die Buchhalterin, die wir nunmehr engagieren, der erste Kommis und dein Kammermädchen – ja, ja, liebe Frau, du sollst eins haben! – werden im zweiten Stock wohnen. In den dritten kommen die Küche und die Kammern für Köchin und Lehrling. In dem vierten wollen wir unser Flaschen-, Kristall- und Porzellanhauptlager unterbringen, und in den Giebel kommt unsere Werkstatt. Die Leute können dann nicht mehr von der Straße zusehen, wie die Etiketten aufgeklebt, die Fläschchen ausgesucht, die Tüten gedreht und die Phiolen zugepfropft werden. In der Rue Saint-Denis mag das allenfalls gehen, in der Rue Saint-Honoré aber macht das einen miserablen Eindruck. Unser Geschäft muß wie ein Schmuckkästchen aussehen. Sag mal, sind wir denn die einzigen zu Ansehen gekommenen Geschäftsinhaber? Gibt es nicht Kaufleute und Fabrikanten genug, die Offiziere der Bürgergarde sind und bei Hofe verkehren? Ahmen wir ihnen nach! Vergrößern wir unser Geschäft! Wir werden damit auch in der Gesellschaft vorwärtskommen!« »Weißt du, Mann, was ich denke, wenn ich dich so anhöre? Du kommst mir vor wie einer, mit dem es nicht mehr ganz richtig ist! Besinn dich einmal auf das, was ich dir gesagt habe, als das Gerücht ging, du wolltest Stadtverordneter werden! ,Verliere vor allen Dingen deinen Kopf nicht! Du paßt dazu‘, sagte ich dir, ,wie der Esel zum Tanzen! Das Hochhinauswollen ist dein Untergang!‘ Du hast damals nicht auf mich gehört. Nun haben wir die Bescherung! Was? Du willst das Ladenschild, das uns sechshundert Francs gekostet hat, in den Ofen stecken und den guten alten Namen ,Zur Rosenkömgin‘ verschwinden lassen, der uns wirklich berühmt gemacht hat! Laß doch die andern ehrgeizig sein! Wozu sollst du denn die Kastanien aus dem Feuer holen ? Die Politik ist heutzutage so 'ne Sache. Willst du dein Vermögen vermehren, so mach es wie im Jahre 1793! Die Staatsrenten stehen jetzt zweiundsiebzig. Kaufe welche! Du kannst für zehntausend Francs kaufen, ohne daß uns diese Summe im Geschäft fehlt. Benutze die guten Zeiten, um unsere Tochter zu verheiraten! Verkaufe das Geschäft und laß uns in deine Heimat ziehen! Seit fünfzehn Jahren sprichst du schon davon, Schatzhausen zu kaufen, das hübsche kleine Gut bei Chinon, das Teiche, Wiesen, Wäldchen, Weinberge und zwei Meiereien hat. Es wirft im Jahre tausend Taler ab. Es gefällt uns beiden und wir können es billig für sechzigtausend Francs bekommen. Der jetzige Besitzer will in Regierungsdienste treten. Überleg dir mal: was sind wir als Parfümhändler? Wenn dir vor sechzehn Jahren, ehe du unsere famose Sultaninnen-Creme und das Venus-Wasser erfandst, jemand gesagt hätte, du würdest einmal das nötige Geld haben, um Schatzhausen zu kaufen, da wärst du vor Vergnügen an die Decke gesprungen. Jetzt kannst du das Gut kaufen, nach dem du dich immer so gesehnt hast, daß du oft von nichts anderm sprachst, und nun faselst du davon, das Geld, das wir im Schweiße unseres Angesichts erworben haben, für Albereien zu vergeuden. Jawohl: unseres Angesichts! Denn ich habe vor dem Kontorpult gesessen wie ein Hund vor seiner Hütte. Wir werden genug von dem Stadttrubel haben, wenn wir nur noch ein Absteigequartier bei deiner Tochter haben, nachdem sie die Frau eines Notars hier in Paris geworden ist. Acht Monate im Jahre können wir auf dem Lande leben. Das wird besser sein, als wenn wir hier die Taler in Groschen und die Groschen in Pfennige wechseln lassen. Die Staatspapiere werden schon steigen. Du kannst deiner Tochter achttausend Francs Rente mitgeben. Wir behalten zweitausend, und das Gut bezahlen wir von dem, was wir für unser Geschäft bekommen. Auf dem Lande, lieber Mann, werden wir eine große Rolle spielen, wie das hier in der Stadt nur Millionäre können.«

»Davon wollte ich ja gerade, reden, mein Liebchen«, entgegnete Birotteau. »Wenn du mich auch für sehr dumm hältst, so dumm bin ich doch nicht, daß ich nicht an all das auch schon gedacht hätte. Alexander Crottat, der Bureauchef von meinem Freunde, dem Notar Roguin, paßt für uns wie geschaffen zum Schwiegersohn. Gewiß. Er wird Roguins Praxis übernehmen. Aber glaubst du denn, daß er sich mit hunderttausend Francs Mitgift begnügen wird? Das hieße: wir geben unserem Kinde unser ganzes bares Vermögen mit. Ich will ja gern den Rest meines Lebens trocken Brot essen, wenn ich sie nur glücklich sehe, meinetwegen, wie du sagst, als die Frau des Notars Crottat. Zehntausend oder gar bloß achttausend Francs Rente genügen aber nicht, um ihm Roguins Notariat zu kaufen. Dieser kleine Alex, wie wir ihn nennen, hält uns, wie so mancher andere, für viel reicher, als wir wirklich sind. Wenn sein Vater, der dicke Pächter, der alte Geizkragen, nicht für hunderttausend Francs Land verkauft, kann Alex nicht Notar werden, denn Roguins Notariat kostet vier- bis fünfhunderttausend Francs. Crottat bekommt es nicht, wenn er nicht mindestens die Hälfte bar anzahlt. Cäsarine muß erst ihre Zweihunderttausend Francs Mitgift haben, dann ziehen wir uns gemütlich mit fünfzehntausend Francs Rente aufs Land zurück. Jawohl, wenn ich dir das begreiflich mache, dürftest du nichts dagegen einzuwenden haben!«

»Du tust ja gerade, als ob du eine Goldgrube entdeckt hättest!«

»Jawohl, mein Puttchen, das habe ich auch, jawohl!« sagte er, indem er seine Frau umfaßte und ihr vor Freuden eins hintendrauf gab. »Ich wollte von dieser Sache nicht eher mit dir reden, als bis sie perfekt wäre. Morgen werden wir wohl zum Abschluß kommen. Denke dir, Roguin hat mir eine sichere Spekulation vorgeschlagen, die er mit Ragon, deinem Onkel Pillerault und zwei andern seiner Klienten unternimmt. Wir wollen nämlich in der Umgebung der Madeleine-Kirche Grundstücke kaufen, die wir nach Roguins Berechnung für ein Viertel dessen bekommen, was sie heute in drei Jahren wert sein werden. Wenn die Mietkontrakte abgelaufen sind, können wir damit machen, was wir wollen. Wir teilen uns alle sechs in die Geschichte. Ich beteilige mich mit dreihunderttausend Francs und bekomme drei Achtel Anteil, Roguin ist indirekt Teilhaber. Sein Strohmann ist ein gewisser Charles Claparon. Dir das Weitere im einzelnen auseinanderzusetzen, wäre zu weitläufig. Wenn sich die Sache rentiert, besitzen wir in drei Jahren eine Million. Dann ist Cäsarine zwanzig Jahre alt. Wir verkaufen unser Geschäft und sind mit Gottes Gnade gemachte Leute.«

»Woher willst du denn aber deine dreihunderttausend Francs nehmen ?«

»Liebes Kindchen, von Geschäften verstehst du nichts! Ich werde die hunderttausend Francs nehmen, die mir Roguin verwaltet. Vierzigtausend nehme ich hypothekarisch auf unser Fabrikgebäude und Grundstück in der Vorstadt du Temple auf. Zwanzigtausend Francs besitzen wir bar. Macht zusammen hundertsechzigtausend. Die fehlenden hundertvierzigtausend Francs werde ich von dem Bankier Charles Claparon gegen Wechsel bekommen. Damit haben wir die nötigen hunderttausend Taler. Die Wechsel werden immer wieder prolongiert, bis wir sie von unserm Gewinne bezahlen können. Unter Umständen würde mir auch Roguin Geld zur Deckung etwa fehlender Beträge gegen eine fünfprozentige Verschreibung auf meinen Anteil verschaffen. Aber das wird gar nicht nötig sein, denn ich habe ein neues Haarpflegemittel erfunden, ein großartiges Haaröl, dessen Hauptbestandteil ich aus Nüssen mittels einer neuen hydraulischen Presse herstellen werde. Nach meiner Berechnung werde ich binnen Jahresfrist mindestens hunderttausend Francs damit verdient haben. Ich will ein Plakat drucken lassen, das mit den Worten beginnen soll: ,Weg mit den Perücken!' Das wird einen Bombenerfolg haben. Du hast meine schlaflosen Nächte gar nicht bemerkt. Bereits ein Vierteljahr lang raubt mir der Erfolg der Konkurrenz mit ihrem Macassar-Öl den Schlaf. Das Macassar-Öl will ich vom Markte verdrängen.«

»Das also sind die schönen Projekte, die dir seit acht Wochen den Kopf verdrehen, ohne daß du mir ein Wort davon sagst! Ich habe eben vorhin geträumt, ich stände an unserer eignen Ladentür als Bettlerin. Das ist eine Warnung des Himmels! Es wird nicht: mehr lange dauern, so haben wir keinen roten Heller mehr. So lange ich lebe, wird nichts aus der Sache! Verstehst du mich, Cäsar? An der Sache ist etwas faul, ohne daß du's merkst. Du bist zu ehrlich und rechtschaffen, um anderen Leuten Gaunereien zuzutrauen. Glaubst du, man böte dir zum Spaß Millionen an? Du beraubst dich aller deiner Barmittel. Du spekulierst über deine Verhältnisse hinaus. Und wenn dein Haaröl keinen Erfolg hat? Wenn du Geld brauchst und die Sache mit den Grundstücken schief geht, womit willst du dann deine Wechsel bezahlen ? Etwa mit deinen Haarölflaschen ? Um nach etwas mehr auszusehen, willst da auf deiner Firma deinen Namen nicht mehr führen, die ›Rosenkönigin‹ in den Ofen stecken, anderseits aber Plakate und Reklamen in die Welt setzen, die den Namen Cäsar Birotteau an jeder Straßenecke und an jeder Neubauplanke ausschreien?«

»Du begreifst die Geschichte noch nicht so richtig! Ich werde in irgendeinem Hause in der Nähe der Rue des Lombards eine Filiale unter der Firma Popinot & Co. errichten und den kleinen Anselm hinsetzen. Auf die Weise zeige ich mich auch Herrn und Frau Ragon dankbar; ich etabliere ihren Neffen, damit er sein Glück machen kann. Es will mir scheinen, als habe es den armen Ragons seit einiger Zeit tüchtig in die Petersilie gehagelt!« »Ach was, die Leute wollen bloß dein Geld!« »Welche Leute denn nur, mein Liebchen? Etwa dein Onkel Pillerault, der uns zärtlich liebt und alle Sonntage unser Tischgast ist? Oder etwa der biedere alte Ragon, von dem wir unser Geschäft übernommen haben, der seit vierzig Jahren als Muster der Rechtlichkeit gilt, mit dem wir unsern Doppelkopf spielen? Oder gar Roguin, der seine siebenundfünfzig Jahre alt und seit fünfundzwanzig Jahren Notar ist? Im Notfalle würden mir diese meine Kompagnons helfen. Wo soll denn da was faul sein, mein Herz ? Ich muß dir überhaupt mal die Leviten lesen. Du bist von jeher schrecklich mißtrauisch. Und wenn auch nur ein Dreier in der Kasse lag, hast du immer gedacht, er würde uns von unsern Kunden gemaust. Man muß dich erst himmelhoch bitten, wenn man dich reich machen will. Du hast so gar nicht den Ehrgeiz der Pariserin. Ohne dein ewiges Gejammere wäre ich der glücklichste Mensch auf der Welt! Hätte ich auf dich gehört, so hätte ich nie die Sultaninnen-Creme und nie das Venus-Wasser erfunden. Unser Geschäft hatte uns bis dahin den Lebensunterhalt verschafft, aber erst durch diese beiden Erfindungen und durch unsere Seifen haben wir die hundertsechzigtausend Francs verdient, die wir alles in allem besitzen. Ohne mein Genie – und ich bin ein Parfümeurgenie! – wären wir Kleinkrämer geblieben, würden mit knapper Not unser Dasein fristen, und ich wäre alles andere denn ein angesehener Kaufmann, den man zum Handelsrichter und Stadtverordneten wählt. Weißt du, was ich dann wäre ? Ein Spießer und Budikenbesitzer, wie es, ohne ihn beleidigen zu wollen, der alte Ragon war. Alle Achtung vor den kleinen Kaufleuten! Wir sind selber welche gewesen und wären beinahe welche geblieben! Dann hätten wir vierzig Jahre lang Parfüm verkauft und hätten. – ganz wie Ragon – dreitausend Francs Rente zusammengeschuftet, mit der wir notdürftig auskämen. Hätte ich dir gefolgt, dir und deiner Zaghaftigkeit, dir, die du dich ewig fragst, ob du auch morgen noch hast, was du heute besitzest – dann hätte ich heute kein Ansehen, keinen Orden und wäre nicht dabei, eine politische Größe zu werden. Jawohl, schüttle nur den Kopf! Wenn unsere Sache reüssiert, kann ich noch Abgeordneter werden. Ich heiße nicht umsonst Cäsar. Mir glückt alles! Es ist unglaublich.: außer dem Hause gelte ich bei jedermann für einen gescheiten und schlauen Kerl, hier aber hält mich gerade die, der zuliebe ich mich totschinde und die ich glücklich machen will, für ein Kamel!«

»Ach was, Cäsar, wenn du mich liebst, so laß mich doch nach meiner Fasson glücklich werden! Wir haben beide keine besondere Erziehung genossen. Wir können weder große Worte noch Bücklinge machen. Wie sollen wir da im öffentlichen Leben glücklich werden? Ich für meinen Teil würde es viel lieber in Schatzhausen. Ich habe immer die Tiere im Hause und im Freien geliebt. Ich würde für mein Leben gern Landwirtin. Wir wollen unser Geschäft verkaufen und Cäsarine verheiraten! Folge deiner treuen Gattin! Wir verbringen die Winter bei unserm Schwiegersohn in Paris. Wir werden glücklich sein, und weder Politik noch Handel werden unser friedliches Leben stören. Wozu andere ruinieren? Genügt uns unser jetziger Besitz nicht? Kannst du vielleicht als Millionär zweimal zu Mittag essen? Oder zwei Frauen brauchen ? Nimm dir Onkel Pillerault zum Muster! Er hat sich klugerweise mit kleiner Habe begnügt und führt ein kreuzfideles Dasein. Wozu braucht man schöne Möbel? Ich bin überzeugt, du hast mir eine neue Einrichtung bestellt. Ich habe Braschon im Hause gesehen und er war sicher nicht da, um Parfüm zu kaufen.«

»Ganz recht, meine Liebe. Die Möbel sind bestellt. Der Umbau beginnt morgen und wird von einem Künstler geleitet, den man mir empfohlen hat.«

»Ach du meine Güte!«

»Du bist wohl nicht recht gescheit, Herz! Willst du wirklich im Alter von siebenunddreißig Jahren – frisch und hübsch wie du bist – auf dem Lande versauern ? Ich bin ja auch erst neununddreißig! Der Zufall eröffnet mir eine sichere Laufbahn. Ich betrete sie. Mach ich meine Sache gut, dann kann ich eine angesehene Rolle unter den Pariser Bürgern spielen. Ich wäre nicht der erste, dem das glückte. Ich kann das Haus Birotteau gründen, genau so gut wie die Keller, die Nucingen, die Roguin, die Lebas, die Popinot, die Matifat in ihren Stadtvierteln berühmt geworden sind. Also los! Unser Unternehmen ist todsicher.«

»Todsicher?«

»Todsicher! Aber freilich! Schon seit acht Wochen rechne ich mir die Geschichte aus. Ohne daß ich mir's anmerken lasse, ziehe ich bei der Behörde, bei Baumeistern und Unternehmern Erkundigungen über das Bauen ein. Grindot, der junge Architekt, der unser Haus umbauen soll, ist in Verzweiflung, daß er kein Geld hat, um auch an der Spekulation teilzunehmen.«

»Was? Du willst Häuser bauen! Man will euch mit diesen Spekulationen nur hineinlegen.«

»Kann man Leute wie Pillerault, Claparon, Roguin hineinlegen? Der Gewinn ist so sicher wie bei unserer Sultaninnen-Creme, das kannst du glauben!«

»Sag mal, mein lieber Freund, warum will Roguin spekulieren, wo man ihm sein Notariat abkaufen will und er dann sein Schäfchen im Trocknen hat? Hm! Das gibt einem zu denken! Ich habe ihn schon ein paarmal sorgenvoller als einen Staatsminister vorübergehen sehen, mit niedergeschlagenem Blick, wie ich ihn gar nicht leiden kann. Seit fünf Jahren sieht er mir gar nicht vertrauenerweckend aus. Er muß heimliche Sorgen haben. Wer garantiert dir, daß er sich nicht aus dem Staube macht, sobald er euer Geld in den Klauen hat? Kennen wir ihn denn wirklich ? Und wenn er auch seit fünfzehn Jahren bei uns verkehrt, so möchte ich doch meine Hand nicht für ihn ins Feuer legen. Weißt du, er hat einen schlechten Ruf und lebt mit seiner Frau in Unfrieden. Sicherlich hat er Weiber, die ihn ruinieren. Manchmal, wenn ich mich früh anziehe, blicke ich durch die Jalousien und sehe, wie er im Morgengrauen wer weiß woher gerade erst drüben in sein Haus hineingeht. Er kommt mir vor wie einer, der irgendwo noch ein zweites Leben führt. Mann wie Frau machen beide, was sie wollen! Ist das eines Notars würdig? Sein Busenfreund ist du Tillet, der Gauner, unser ehemaliger Kommis. Aus dieser Freundschaft sehe ich auch nichts Gutes kommen. Wenn er ihn richtig kennt, dann begreife ich nicht, warum er so dicke Freundschaft mit ihm hält. Merkt er aber nicht, was an du Tillet ist, dann ist er geradezu mit Blindheit geschlagen. Du wirst mir vorhalten, seine Frau habe eine Liebelei mit du Tillet. Na ja! Ich halte von einem Manne nicht viel, der auf die Ehre seiner Frau nicht ebensoviel hält wie auf seine eigene. Schließlich müssen auch die jetzigen Besitzer eurer Grundstücke tüchtige Esel sein, wenn sie für einen Taler etwas weggeben, was dreißig wert ist. Wenn dir ein Kind begegnet, das nicht weiß, was ein Zwanzigfrancsstück wert ist, dann belehrst du es doch. Kurz und gut: euer Geschäft kommt mir nicht sauber vor. Das ist meine Ansicht. Ich sage dir das, ohne dich beleidigen zu wollen.«

»Mein Gott, die Weiber sind doch zuweilen zu närrisch. Sie werfen alles durcheinander. Nähme Roguin nicht an dem Geschäfte teil, würdest du zu mir sagen: ,Hör mal, Cäsar, du läßt dich da in eine Sache ein, an der sich Roguin nicht beteiligt; sie wird also nicht viel wert sein!' Nun ist er gleichsam eine Bürgschaft für uns. Und du sagst mir ...«

»Aber du hast mir doch erzählt, er beteilige sich nur unter dem Namen Claparon ?«

»Natürlich! Ein Notar darf sich offiziell doch nicht an einer Spekulation beteiligen!«

»Warum tut er's denn überhaupt, wenn es ihm das Gesetz verbietet? Was kannst du darauf antworten, du, der du am Buchstaben der Gesetze hängst?«

»Laß mich doch nur ausreden! Roguin nimmt also an der Sache teil. Erst hast du gesagt, das Geschäft tauge nichts. Ist das vernünftig? Und jetzt sagst du, er handle gegen das Gesetz. Wo es erforderlich ist, wird er schon ans Licht treten. Dann sagst du, er sei reich. Kann man das nicht auch von mir sagen? Wären Ragon und Pillerault wohl zu mir gekommen und hätten mir gesagt: ,Warum beteiligen Sie sich denn an der Sache, da Sie doch reich sind wie ein Schweinehändler?'«

»Bei Kaufleuten ist das was anderes als bei Notaren.«

»Na, kurz und gut: mein Gewissen ist rein. Die Leute, die ihre Grundstücke verkaufen, geben sie nur aus Not her. Wir bestehlen sie nicht mehr als die, denen wir Renten zu fünfundsiebzig abkaufen. Heute kaufen wir die Grundstücke zu ihrem heutigen Wert, in zwei Jahren wird er ein anderer sein, ganz wie bei den Renten. Weißt du, liebe Konstanze, daß man Cäsar Birotteau niemals auf einer Tat ertappen wird, die im geringsten gegen die strengste Rechtlichkeit, gegen das Gesetz, gegen das gute Gewissen, gegen die nötige Rücksichtnahme verstößt. Wie kann man einen Mann, der seit achtzehn Jahren Kaufmann ist, in seinem eigenen Hause verdächtigen?«

»Na, beruhige dich nur, Cäsar! Eine Frau, die genau diese achtzehn Jahre mit dir zusammenlebt, die kennt dich gründlich! Übrigens bist du der Herr im Hause. Unser Vermögen hast allein du erworben. Nicht wahr? Es gehört also dir; du kannst es auch wieder verjuxen! Und selbst wenn wir ins äußerste Elend gerieten, würde weder ich noch deine Tochter dir jemals auch nur den leisesten Vorwurf machen. Aber das sage ich dir: als du deine Sultaninnen-Creme und das Venus-Wasser erfandest, was riskiertest du dabei? Fünf- bis sechshundert Francs! Jetzt aber setzt du dein ganzes Vermögen, auf eine Karte! Du spielst nicht allein und du weißt nicht, ob deine Mitspieler nicht gerissener sind als du. Gib meinetwegen deinen Ball, laß dein Haus umbauen, gib zehntausend Francs dafür aus! Das schadet nichts, das ruiniert uns nicht. Aber deine Grundstücksspekulationen mißbillige ich ganz entschieden. Du bist Parfümhändler, bleibe das und werde kein Grundstücksmakler. Wir Frauen haben einen Instinkt, der uns nicht betrügt. Ich habe dich gewarnt. Jetzt handle nach deinem Gutdünken! Du bist Handelsrichter gewesen, also kennst du die Gesetze! Du hast deine Sache bisher gut gemacht. Ich füge mich. Aber zittern werde ich, bis ich unser Vermögen wieder gesichert und Cäsarine verheiratet sehe. Gebe Gott, daß sich mein Traum nicht erfüllt!«

Diese Nachgiebigkeit ging Birotteau gegen den Strich. Er nahm seine Zuflucht zu einer harmlosen kleinen List, wie er das bei ähnlichen Gelegenheiten immer machte.

»Weißt du, Konstanze, ich habe mich noch nicht endgültig verpflichtet, wenn auch alles so gut wie abgemacht ist.«

»Es ist schon gut, Cäsar! Reden wir nicht mehr davon! Ehre vor Reichtum! Komm, leg dich wieder schlafen, mein Lieber! Das Feuer geht aus, und es ist kein Holz mehr da. Übrigens schwatzt sich's immer besser im Bett, wenn du weiterreden willst... Ach, der häßliche Traum! Mein Gott, sich doppelt zu sehen, schrecklich! Ich werde mit Cäsarine alle Tage für den glücklichen Verlauf deines Grundstückhandels beten.«

»Gottes Hilfe kann ja nichts schaden«, sagte Birotteau ernst, »aber meine Nußessenz ist auch nicht ohne! Genau wie früher die Sultaninnen-Creme habe ich sie durch Zufall entdeckt. Damals war es ein Buch, das mir in die Hände geriet. Diesmal ein Kupferstich: Hero und Leander. Eine Frau, die Öl auf das Haupt ihres Geliebten gießt. Ist das nicht allerliebst? Die sichersten Spekulationen, sind die, die sich auf die Eitelkeit, die Eigenliebe und die Großmannssucht richten. Diese Gefühle sterben niemals aus.«

»Sehr richtig!«

»In einem gewissen Alter laufen sich die Leute die Beine ab, um Haare zu bekommen, wenn sie keine mehr haben. Die Friseure haben mir schon lange gesagt, daß nicht allein das Macassar-Öl gut geht, sondern überhaupt alle Haarfärbemittel und Tinkturen, die angeblich das Wachsen des Haares fördern sollen. Seitdem Frieden im Lande herrscht, haben die Männer mehr Zeit für die Frauen übrig, und die lieben die Kahlköpfe nicht. Nicht wahr, Liebchen? Die Nachfrage nach diesen Artikeln erklärt sich also aus der politischen Lage. Ein Haarkonservierungsmittel würde also wie warme Semmeln abgehen, und zwar um so mehr, als meine Essenz von einer wissenschaftlichen Autorität unbedingt für gut erklärt werden wird. Der gute alte Professor Vauquelin muß mir da noch mal beispringen! Morgen will ich ihm meine Idee zur Prüfung unterbreiten. Ich werde ihm den seltenen alten Kupferstich dedizieren, den ich nach zweijährigem Suchen endlich in Deutschland auf getrieben habe: die Sixtinische Madonna! Er beschäftigt sich gerade mit Haaruntersuchungen. Chiffreville, sein Assistent im chemischen Laboratorium, hat mir's gesagt. Wenn sich meine Erfindung mit seinen Ansichten deckt, wird sie allgemein gekauft werden. Meine Idee ist bares Geld; ich wiederhole dir's. Ich kann schon nicht mehr schlafen. Glücklicherweise hat der kleine Popinot wundervolles Haar. Wenn dazu irgendeine Ladenfee, deren Haar bis auf die Erde reicht, bezeugt, daß sie das unserm Öl verdankt, dann werden die Grauköpfe drangehen wie die Mäuse an den Speck. Und was deinen Ball anbelangt, Kindchen: du weißt, ich bin nicht bösartig, aber dem Gauner, dem du Tillet, der sich auf sein Geld wer weiß was einbildet und mich an der Börse schneidet, dem möchte ich zu gerne mal eins auswischen. Er weiß, daß ich eine seiner Sünden kenne, die nicht besonders schön war. Vielleicht war ich damals zu gutmütig mit ihm. Ist's nicht komisch, daß man gerade für seine guten Taten leiden muß, ich meine hienieden. Ich war stets väterlich zu ihm, und du weißt ja gar nicht, was ich alles für ihn getan habe.«

»Mir gruselt gleich, wenn du bloß an diese Geschichte tippst! Hättest du gewußt, was er mit dir vorhat, so hättest du den Diebstahl der dreitausend Francs nicht vertuscht. Ich weiß sehr wohl, auf welche Weise die Sache damals beigelegt worden ist. Hättest du ihn dem Staatsanwalt übergeben, so hättest du vielleicht vielen Leuten einen Dienst erwiesen.«

»Was hat er denn mit mir vor?«

»Nichts! Wärst du aufgelegt, mich jetzt anzuhören, so würde ich dir einen guten Rat geben, Cäsar, nämlich den, dich nicht wieder mit du Tillet zu befassen!«

»Wäre es nicht sehr auffällig, wenn ich einen früheren Kommis von mir, der sein erstes Geschäft mit den zwanzigtausend Francs gemacht hat, für die ich mich verbürgt habe, ausgeschlossen haben wollte? Ach was! Man muß das Gute tun um des Guten willen! Vielleicht hat er sich inzwischen auch gebessert.«

»Es wird schon alles drüber und drunter gehen!«

»Ach, du mit deinem Drunter und Drüber! Es wird alles wie am Schnürchen gehen. Hast du übrigens schon vergessen, was ich von dem Durchbruch nach dem Nachbarhaus gesagt habe? Ich habe mich mit Nachbar Cayron, dem Schirmhändler, bereits verständigt. Wir müssen morgen zu Molineux gehen, dem Hausbesitzer von nebenan. Ich sage dir, ich habe morgen so viel zu tun wie ein Minister!«

»Du hast mir mit deinen Plänen so richtig den Kopf verkeilt. Ich finde mich nicht mehr zurecht. Im übrigen, Cäsar, will ich jetzt schlafen!«

»Na, dann gute Nacht oder vielmehr guten Morgen! Ich sage dir, du wirst noch steinreich, so wahr ich Cäsar heiße!«

Einige. Augenblicke nachher schnarchten Cäsar und Konstanze friedlich miteinander um die Wette.

Cäsar Birotteaus Vater, Jakob Birotteau, war in der Gegend von Chinon auf dem Rittergute Les Trésorières, zu deutsch also Schatzhausen, Weingärtner; er heiratete das Kindermädchen der Besitzerin und hatte drei Söhne. Die Geburt des jüngsten kostete der Mutter das Leben. Auch der Vater starb sehr bald darauf. Die Gutsherrin, die ihr früheres Kindermädchen liebgehabt hatte, ließ Franz, den ältesten Sohn des Gärtners, zugleich mit ihren eigenen Töchtern erziehen und schickte ihn dann in ein Priesterseminar. Während der Revolution mußte sich Franz Birotteau verborgen halten und das gefahrvolle Wanderleben eines brotlosen Geistlichen führen. Er entging damals nur mit knapper Not der Guillotine. Zu der Zeit, da diese Geschichte beginnt, war er nun längst Pfarrer an der Kathedrale zu Tours. Er hatte diese Stadt nur ein einziges Mal verlassen, um seinen Bruder zu besuchen. Der Pariser Tumult beängstigte den braven Priester dermaßen, daß er das Haus gar nicht zu verlassen wagte. Er sah in jeder großstädtischen Kleinigkeit ein Weltwunder und kam aus dem Erstaunen gar nicht heraus. Nachdem er sich eine Woche in Paris aufgehalten, fuhr er nach Tours zurück und gelobte sich, nie wieder in jenes Sündenbabel zurückzukehren.

Hans Birotteau, der zweite Sohn des Gärtners, wurde Soldat und brachte es während der ersten Revolutionsjahre schnell bis zum Hauptmann. Als Macdonald im Gefecht an der Trebbia Freiwillige zum Sturm auf eine Batterie aufrief, meldete sich Birotteau mit seiner Kompanie. Er fiel. Offenbar fügte es das Schicksal der Birotteau, daß sie überall, wo sie sich vor dem großen Haufen hervortun wollten, von den Menschen oder den Ereignissen niedergedrückt und vernichtet wurden.

Das jüngste Kind des Weingärtners ist der Held unserer Geschichte. Als Cäsar mit vierzehn Jahren lesen, schreiben und rechnen konnte, verließ er seine Heimat und kam mit einem einzigen Goldstück in der Tasche nach Paris, um dort sein Glück zu versuchen. Auf die Empfehlung des Apothekers in Tours nahmen ihn Herr und Frau Ragon, die ein Parfümeriengeschäft hatten, als Lehrling an. Cäsar besaß damals ein Paar Schuhe mit Nägeln auf den Sohlen, ein Paar Strümpfe, eine blaue Hose, eine bunte Weste, eine Bauernjacke, drei grobleinene Hemden und einen Knotenstock. Sein Haar trug er ganz kurz geschnitten wie die Chorknaben. Gesund war er wie just ein strammer Bauernjunge. Bisweilen gab er sich, wie das alle Tourainer gern tun, der Faulheit hin. Doch wurde dieser Hang durch seinen Drang vorwärts zu kommen wieder wettgemacht. Cäsar war geistig ungeschult, besaß aber dafür einen natürlichen Rechtssinn und viel Zartgefühl, Eigenschaften, die er von seiner Mutter geerbt hatte, der, wie die Leute sagen, ein goldenes Herz eigen war. Cäsar erhielt monatlich sechs Francs, freie Kost und eine dürftige Kammer im Giebel neben der der Köchin. Die Kommis, von denen er das Verpacken, die Ausführung von Bestellungen, das Kehren des Ladens und der Gasse erlernte, trieben ihren Scherz mit ihm, während sie ihn ausbildeten, wie das in einem Laden so Sitte ist, wo Hänselei ein Hauptelement der Erziehung ist. Herr und Frau Ragon behandelten ihn wie ein Haustier. Niemand beachtete, daß er unermüdlich tätig war, obgleich ihm abends seine durch das Straßenpflaster zerschundenen Füße schrecklich brannten und er sich am ganzen Körper wie zerschlagen fühlte. Diese rauhe Schule des brutalen Egoismus der Großstadt bewirkte, daß ihm das Pariser Leben sehr hart ankam. Wenn er abends seiner Heimat gedachte, wo jeder Bauer in Gemütlichkeit arbeitete, wo der Maurer jeden Stein erst hundertmal betrachtet und wendet, ehe er ihn einsetzt, wo die Faulheit noch die Schwester der Arbeit ist, weinte er. Aber schließlich schlief er ein, ohne daß er dazu kam, Fluchtpläne zu schmieden. Denn am nächsten Morgen harrten seiner wiederum tausend Gänge und er gewöhnte sich schließlich an seine Pflicht wie ein Kettenhund. Wenn er sich mitunter beklagte, so lachte ihn der erste Kommis, Cölestin Crevel, gutmütig aus.

»Siehst du, mein Junge«, sagte der, »in der ›Rosenkönigin‹ ist nicht alles rosig, und die gebratenen Tauben fliegen dir nicht ins Maul; du mußt sie erst jagen, dann fangen und dir auch noch die Butter verdienen, mit der du sie braten willst!«

Die Köchin, eine stattliche Tochter der Picardie, ließ sich die besten Bissen am liebsten selber schmecken und geruhte mit Cäsar nur dann zu sprechen, wenn sie sich darüber grämte, daß ihr die Herrschaft zu sehr auf die Finger sah. Als dieses Mädchen im Anfang von Cäsars Lehrzeit einmal sonntags zu Hause zu bleiben genötigt war, knüpfte sie mit ihm ein Gespräch an. Dem armen Bauernjungen, der nur aus Zufall die ersten Klippen seiner Laufbahn glücklich umsegelt hatte, kam die sonntäglich saubere Ursula allerliebst vor. Wie alle heimatlosen Knaben verliebte er sich in das erste beste Frauenzimmer, das ihm zulächelte. Sie nahm Cäsar unter ihre Fittiche und nun entspann sich eine Art Herzensbund, über den die Kommis unbarmherzig spotteten. Zum Glück tauschte die Köchin nach zwei Jahren unsern Cäsar gegen einen Landsmann aus, der in der Picardie durchgebrannt war, um nicht Soldat werden zu müssen, und sich in Paris zu verbergen suchte. Er war zwanzig Jahre alt, besaß ein paar Hufen Land und ließ sich von Ursula heiraten.

Während dieser zwei Jahre hatte die Köchin ihren kleinen Freund tüchtig herausgefüttert und ihn in verschiedene Geheimnisse des Pariser Lebens, besonders in seinen Tiefen, eingeweiht. Aus Eifersucht brachte sie ihm eine tiefe Abscheu gegen Spelunken und schlechte Lokale bei, deren Gefahren ihr nicht unbekannt waren. Im Jahre 1792 waren Cäsars Füße bereits an das Straßenpflaster gewöhnt, ebenso seine Schultern an das Kistentragen und sein Geist an die Gerissenheit der Pariser. Als ihm Ursula den Laufpaß gab, fand er sich daher schnell in sein Schicksal. Sie hatte sowieso seiner Sentimentalität nicht recht entsprochen. Grob und schamlos, falsch und gierig, egoistisch und trunksüchtig, hatte sie Birotteaus Unschuld an sich gerissen, ohne ihn dafür genügend zu entschädigen. Der arme Junge bedauerte zuweilen, daß er in naiver Liebe an ein Geschöpf gefesselt war, mit dem er innerlich nichts gemein hatte. In dem Augenblick, als er wieder der freie Herr seines Herzens wurde, war er erwachsen, wenngleich er erst sechzehn Jahre alt war. Sein Verstand hatte sich im Umgang mit Ursula und unter den Späßen der Kommis entwickelt. Nunmehr durchschaute er das Wesen des kaufmännischen Lebens mit Augen, hinter deren Einfalt sich Schlauheit verbarg. Er beobachtete die Kunden, erbat sich in geschäftslosen Augenblicken Erklärungen über die Waren, deren Qualität und Lagerort er sich merkte, und im Handumdrehen kannte er die einzelnen Artikel, ihre Preise und Auszeichnungen besser als sonst ein Neuling. Herr und Frau Ragon gewöhnten sich seitdem an seine Brauchbarkeit.

An dem Tage, da die schreckliche Aushebung des Jahres II auch das Haus des Bürgers Ragon heimsuchte, rückte Cäsar Birotteau zum Zweiten Kommis auf. Er bekam nunmehr fünfzig Francs Monatsgehalt und durfte mit Herrn und Frau Ragon am Tische sitzen. Als zweiter Kommis in der »Rosenkönigin« bekam er eine Stube für sich, in die er seine bis dahin gesammelten kleinen Besitztümer einschließen konnte; das hatte er sich schon lange gewünscht. Er hatte sich übrigens bereits sechshundert Francs gespart.

An den Dekadetagen, wo damals nach dem Kalender der Republik die Arbeit ruhte, nahm er an dem Leben und Treiben der jungen Leute jener Zelt teil, denen die Mode vorschrieb, rohe Manieren zur Schau zu tragen. Dadurch bekam dieser sanftmütige, bescheidene Dorfjunge ein Benehmen, das ihn äußerlich nicht von seinesgleichen unterschied. Man vergaß seine bäuerliche Herkunft. Gegen Ende des genannten Jahres wurde er wegen seiner Rechtlichkeit Kassierer. Die stattliche Frau Ragon besorgte seine Wäsche und so gehörte er nunmehr zur Familie seines Prinzipals.

Im Vendémiaire 1794 erwarb Cäsar für die zweitausend Francs, die er sich bis dahin gespart hatte, Assignaten im Nennwerte von sechstausend Francs und kaufte Renten, die damals dreißig standen. Dieses erste Geschäft machte ihm viel Freude. Fortan verfolgte er den Kurs der Staatspapiere und den der Politik. Jede Kunde von Glück oder Unglück, das die Ereignisse jener Tage begleitete, hallte in ihm wider. Ragon, der ehemalige Hofparfümeur Ihrer Majestät der Königin Marie-Antoinette, vertraute während dieser kritischen Zeit unserm Cäsar seine Anhänglichkeit an die gestürzten Tyrannen an. Das Bekenntnis ward für den jungen Mann im höchsten Grade bedeutungsvoll.

Die abendlichen Gespräche, die nach Ladenschluß stattfanden, wenn Kasse gemacht und die Straße ruhig geworden war, begeisterten den Tourainer, und indem er Royalist wurde, gehorchte er damit nur angeborenen Gefühlen. Die Erzählungen von den tugendsamen Taten Ludwigs XVI. und die Anekdoten, durch die das Ehepaar die Königin in den Himmel hob, setzten Cäsars Phantasie in Flammen. Das schreckliche Schicksal der beiden gekrönten Häupter, die nicht fern von Ragons Laden unter dem Fallbeil verblutet waren, empörte sein empfindsames Herz und erregte seinen Haß gegen eine Regierung, die unschuldiges Blut vergoß und gleichgültig fließen sah. Bei seiner kaufmännischen Aufmerksamkeit erkannte er an dem völligen Daniederliegen des Handels, daß politische Stürme dem Handel und der Industrie stets feindlich sind. Übrigens war er viel zuviel Parfümhändler, um eine Republik nicht zu hassen, die auf allen Köpfen Titusfrisuren sehen wollte und das Pudern der Haare aus der Mode brachte. Da Ruhe im Staate, wie sie der Absolutismus zeitigt, Geld und Leben sichert, wurde er ein Fanatiker des Königtums. Wie ihn Ragon so auf dem, besten Wege sah, machte er ihn zu seinem ersten Kommis und weihte ihn in das intimste Geschäftsgeheimnis der »Rosenkönigin« ein. Einige ihrer Kunden waren die eifrigsten und treuesten Parteigänger der Bourbonen. Gewisse Briefe zwischen Paris und dem Westen gingen durch die Firma Ragon. Den jungen Birotteau begeisterten diese Beziehungen zu royalistischen Größen dermaßen, daß er sich an der Verschwörung der vereinigten Royalisten und Terroristen beteiligte, die am 13. Vendémiaire gegen den in den letzten Zügen liegenden Konvent ausbrach. Cäsar hatte die Ehre, auf den Stufen der Kirche von Saint-Roch gegen Bonaparte zu fechten und verwundet zu werden. Der Ausgang dieses Handstreichs ist allgemein bekannt. In dem Moment, wo der Adjutant Barras – Napoleon Bonaparte – aus dem Dunkel seiner Existenz heraustrat, verschwand Birotteau von dem Schauplatze der politischen Ereignisse und wurde dadurch gerettet. Einige Freunde trugen den kampflustigen Kommis in die »Rosenkönigin« zurück, wo er in seinem Giebelstübchen von Frau Ragon verbunden wurde. Kein Mensch dachte mehr an ihn. Dieses militärische Intermezzo im Leben Birotteaus war wie ein Gewitter vorübergebraust. Während der vier Wochen seiner Genesung stellte er gründliche Betrachtungen über das lächerliche Bündnis von Politik und Parfümgeschäft an. Er blieb zwar Royalist, faßte aber den Entschluß, einfach ein royalistischer Parfümhändler zu sein, ohne sich je wieder politisch zu kompromittieren. Er widmete sich fortan seinem Geschäfte mit Leib und Seele.

Als Herr und Frau Ragon am 18. Brumaire an der königlichen Sache verzweifelten, entschieden sie sich, das Geschäft aufzugeben und sich als brave Bürgersleute nicht mehr mit Politik zu befassen. Um ihr Geschäftskapital wieder herauszubekommen, brauchten sie einen Mann, der mehr Geschäftssinn als Ehrgeiz und mehr gesunden Menschenverstand als besondere Fähigkeiten hatte. Ragon wandte sich an Birotteau. Der nunmehr Zwanzigjährige, der sich bis dahin ein Kapital erworben hatte, das ihm tausend Francs Zinsen im Jahre brachte, trug zunächst Bedenken. Sein Ehrgeiz beschränkte sich darauf, sich in die Nähe von Chinon zurückzuziehen, sobald er eintausendfünfhundert Francs Jahreszinsen hätte; er erhoffte dies durch ein weiteres Steigen der Staatsrenten, sobald sich der Erste Konsul vollständig in den Tuilerien festgesetzt hätte. Wozu sollte er seine anständige, wenn auch bescheidene Unabhängigkeit durch geschäftliche Unternehmungen mit jugendlichem Leichtsinn wieder aufs Spiel setzen ? Er hätte sich ja früher nicht träumen lassen, je das zu besitzen, was er sich nun glücklich erworben hatte. Seine Gedanken liefen darauf hinaus, in der Touraine eine Frau zu heiraten, die ebenso viel hätte wie er; dann wollte er sich Schatzhausen kaufen, das kleine Gut, das er sich, so weit er zurückdenken konnte, immer ersehnt hatte, und das er hochzubringen gedachte. Er wollte in der Verborgenheit ein glückliches Leben führen, indem er sein Gut bewirtschaftete. Kurz und gut, er war im Begriffe, den Antrag abzulehnen, als die Liebe mit einemmal in sein Leben eingriff und seinen Ehrgeiz verzehnfachte.

Seit Ursulas Verrat war Cäsar solid geblieben, sowohl aus Angst vor den Gefahren, denen man in Paris bei Liebesabenteuern ausgesetzt ist, als auch im Joche seiner angestrengten Tätigkeit. Aber die Sinnlichkeit fordert schließlich ihr Recht. Die Ehe ist deshalb in den mittleren Ständen unumgänglich, denn nur auf diese Weise kann man sich hier eine Frau erringen und zu eigen machen. So erging es auch unserm Cäsar Birotteau. In der »Rosenkönigin« ruhte alles auf den Schultern des ersten Kommis, so daß er keinen Augenblick Zeit zu Vergnügungen hatte. Und so kam es, daß die Begegnung mit einem hübschen Mädchen, das auf einen weniger soliden jungen Kaufmann nur einen flüchtigen Eindruck gemacht hätte, auf den braven Cäsar die größte Wirkung ausübte.

Als Birotteau an einem schönen Junitage über den Pont Marie nach der Saint Louis-Insel schlenderte, erblickte er am Ende des Quai d'Anjou vor der Tür eines Ladens ein junges Mädchen. Konstanze Pillerault war Direktrice in dem Modewarengeschäft »Zum kleinen Matrosen«. Die Wohlfeilheit aller Novitäten, die im »Kleinen Matrosen« zu kaufen waren, verschaffte diesem Geschäft, trotz seiner .sehr ungünstigen Lage, einen unerhörten Zulauf. Konstanze war auffallend schön, so daß ihretwegen mancher junge und alte Geck vor dem Schaufenster stehenblieb. Der erste Kommis der »Rosenkönigin«, der zwischen Saint-Roch und der Rue de la Sourdière wohnte und sich ausschließlich seinem Geschäfte widmete, hatte bis dahin nichts von der Existenz des »Kleinen Matrosen« geahnt. Konstanze gefiel ihm dermaßen, daß er blindlings in den Laden stürzte und sechs Leinwandhemden verlangte. Er machte es wie die Engländerinnen, die beim Kaufen hin und her handeln. Er ließ ganze Stöße von Leinwand vor sich ausbreiten und feilschte um den Preis. Die Direktrice nahm an gewissen allen Frauen erkennbaren Anzeichen wahr, daß Cäsar mehr um ihretwillen als des Einkaufs wegen eingetreten war, und so ließ sie sich herab, ihn selber zu bedienen. Nach abgeschlossenem Handel war ihr die Bewunderung des Käufers gleichgültig. Birotteau gab ihr seinen Namen und seine Wohnung an. Der arme Kommis hätte Konstanzes Gunst leicht gewinnen können, aber er war viel zu unerfahren dazu. Und die Liebe machte ihn noch dümmer. Er brachte kein Wort heraus und war obendrein viel zu entzückt, um die Gleichgültigkeit zu bemerken, die hinter dem verbindlichen Lächeln dieser Ladensirene steckte.