Christliche Weltanschauung - Herman Bavinck - E-Book

Christliche Weltanschauung E-Book

Herman Bavinck

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Beschreibung

Wir leben in einer Zeit, in welcher das historische Christentum nicht nur in Nebenpunkten, sondern in seinen Prinzipien und Grundsätzen der rücksichtslosesten Kritik ausgesetzt ist. Nicht gering ist sogar die Zahl derer, welche das Christentum als einen veralteten, überwundenen Standpunkt ansehen, und entweder eine materialistische oder pantheistische Weltanschauung an seine Stelle setzen, oder zu einer anderen Religion, heidnischen Ursprungs, oder eigener Konzeption ihre Zuflucht nehmen oder aber eine derartige Weiterbildung der christlichen Religion für notwendig erachten, dass ihr ursprüngliches Wesen ganz und gar verloren geht. Wie bedenklich es aber auch nach vieler Meinung mit der Sache des Christentums zu sein scheint, tatsächlich ist dies noch lange nicht der Fall. Das Christentum hat schwerere Stürme als die der jetzigen Zeit durchgemacht und bietet auch diesen freudigen Mutes die Stirn. Es lohnt sich deshalb der Versuch, nach allen Seiten hin klar zu machen, dass die neueren Weltanschauungen, die man an die Stelle des Christentums einzuführen sucht, zur Erklärung der Welt und des Lebens nicht ausreichen, und dass alle unsere Einrichtungen, wie Ehe, Familie, Staat und Gesellschaft und alle unsere Kulturgüter, Wissenschaft und Kunst, Recht, Sittlichkeit und Religion gerade auf denselben Voraussetzungen ruhen, auf denen das Christentum aufgebaut ist. Nicht nur die Seele des Menschen, wie Tertullian sagt, sondern auch die Seele der ganzen Welt und der ganzen Kultur ist naturaliter christiana. Die Entwicklung dieses Gedankens bildet den Inhalt dieser Rede. Möge sie deshalb auch in Deutschland ein offenes Ohr finden.

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Christliche Weltanschauung

Christliche Philosophie heute

Herman Bavinck

Impressum

© 1. Auflage 2019 ceBooks.de im Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Herman Bavinck

Übersetzer: Hermann Cuntz

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-240-1

Verlags-Seite und Shop: www.ceBooks.de

Kontakt: [email protected]

 

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Inhalt

Titelblatt

Impressum

Vorwort

Einleitung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Unsere Empfehlungen

Vorwort

Durch Vermittlung meines Freundes, des Herrn Dr. T. Hoekstra, der in diesem Jahr zu Heidelberg das Doktordiplom in der philosophischen Fakultät erwarb1, richtete Herr H. Cuntz daselbst die Bitte an mich, die im Jahre 1904 von mir gehaltene Rektoratsrede über „die christliche Weltanschauung“ in die deutsche Sprache übersetzen und ausgeben zu dürfen.

Beide Herren waren der Ansicht, dass auch in Deutschland viele an dieser Rede Interesse haben würden. Wiewohl ich mir nicht anmaße, dies zu beurteilen, so bestand doch keine Ursache, diese Bitte abzuschlagen, vielmehr habe ich das Vornehmen des Herrn Cuntz, in Hinsicht auf die Wichtigkeit der Sache, um die es sich hier handelt, mit Freuden begrüßt.

Leben wir doch in einer Zeit, in welcher das historische Christentum nicht nur in Nebenpunkten, sondern in seinen Prinzipien und Grundsätzen der rücksichtslosesten Kritik ausgesetzt ist. Nicht gering ist sogar die Zahl derer, welche das Christentum als einen veralteten, überwundenen Standpunkt ansehen, und entweder eine materialistische oder pantheistische Weltanschauung an seine Stelle setzen, oder zu einer anderen Religion, heidnischen Ursprungs, oder eigener Konzeption ihre Zuflucht nehmen oder aber eine derartige Weiterbildung der christlichen Religion für notwendig erachten, dass ihr ursprüngliches Wesen ganz und gar verloren geht.

Wie bedenklich es aber auch nach vieler Meinung mit der Sache des Christentums zu sein scheint, tatsächlich ist dies noch lange nicht der Fall. Das Christentum hat schwerere Stürme als die der jetzigen Zeit durchgemacht und bietet auch diesen freudigen Mutes die Stirn.

Es lohnt sich deshalb der Versuch, nach allen Seiten hin klar zu machen, dass die neueren Weltanschauungen, die man an die Stelle des Christentums einzuführen sucht, zur Erklärung der Welt und des Lebens nicht ausreichen, und dass alle unsere Einrichtungen, wie Ehe, Familie, Staat und Gesellschaft und alle unsere Kulturgüter, Wissenschaft und Kunst, Recht, Sittlichkeit und Religion gerade auf denselben Voraussetzungen ruhen, auf denen das Christentum aufgebaut ist. Nicht nur die Seele des Menschen, wie Tertullian sagt, sondern auch die Seele der ganzen Welt und der ganzen Kultur ist naturaliter christiana. Die Entwicklung dieses Gedankens bildet den Inhalt dieser Rede. Möge sie deshalb auch in Deutschland ein offenes Ohr finden.

Ich hege diesen Wunsch nicht ganz ohne Grund, wenn ich bedenke, dass die Bekämpfung, welche die christliche Religion in ihrem Kern und Wesen heutzutage zu erleiden hat, den Zusammenschluss aller derer bewirken muss, die, wenn auch durch Kirche, Bekenntnis oder Nationalität getrennt, doch auf dem gemeinschaftlichen Boden des allgemeinen ungezweifelten christlichen Glaubens stehen. Es ist ihre Aufgabe die Kontroverse, welche zwischen ihnen bestehen, zwar nicht, als ob sie ganz ohne Bedeutung wären, zu verwischen und zu vergessen, sondern doch für einen Augenblick ruhen zu lassen, weil es gilt, das Bekenntnis, das dem ganzen Christentum gemeinsam ist, gegen Angriffe zu verteidigen. Ist es doch, unabhängig von Sprache und Nationalität, überall derselbe Kampf, der uns aufgedrungen wird. Und mehr als je zeigt sich heute die Wahrheit des Goetheschen Wortes, dass das Thema von Glaube und Unglaube die Weltgeschichte beherrscht.

Eine deutsche Ausgabe meiner Rede war mir daher sehr willkommen, und ich spreche den Herren Cuntz und Hoekstra meinen herzlichen Dank aus.

Amsterdam, im Dezember 1906

H. Bavinck

1 Seine Dissertation führt den Titel: Immanente Kritik zur Kantischen Religionsphilosophie, Kampen, J. H. Koh, 1906.

Einleitung

Bei dem Übergang des neunzehnten in das zwanzigste Jahrhundert haben viele hervorragende Männer einen Versuch gewagt, den Charakter dieses hundertjährigen Zeitraums, der damals abgeschlossen wurde, zu bestimmen, und wäre es auch nur annähernd, die Richtung anzudeuten, in der sich nach ihrer Ansicht der Strom des Lebens weiter bewegt.1

Das Gebiet aber, das dabei zu übersehen war, ist so groß und die Erscheinungen, die dabei zu beachten waren, sind so mannigfaltig, so belangreich und verwickelt, dass es noch niemand gelungen ist, den entschwundenen Zeitabschnitt unter eine Form zusammenzufassen oder die Zukunftsrichtung durch einen Charakterzug zu umschreiben.

Während der eine das Charakteristische des vorigen Jahrhunderts in dem Erwachen der historischen oder naturwissenschaftlichen Disziplinen erblickte, wies der andere hin auf die Ausbreitung des Verkehrs, auf die Bedeutung des Maschinenwesens, auf das Streben nach Emanzipation und auf die Entwicklung der Demokratie. Und während einige der Meinung waren, dass wir unter dem Zeichen der Neomystik oder Neoromantik lebten, glaubten andere, dass Psychologismus oder Relativismus, Autonomie oder Anarchie das richtigere Bild der Richtung gäben, in welcher wir uns fortbewegten. Es mag in allen diesen Benennungen ein Kern von Wahrheit liegen, keine von allen aber drückt die Fülle des modernen Lebens aus.

Denn was uns an der neuen Zeit vor allem trifft, ist der innere, sich selbst verzehrende Zwiespalt, die Unruhe und Hast, mit der sie fortgetrieben wird. Die fin de siécle-Periode2 ist charakterisiert worden als eine Übergangszeitperiode; ein Name, der freilich nicht viel besagt, da jede Zeit eine Zeit des Übergangs ist. Aber zum guten Teil liegt ihre Eigenart darin, dass ein jeder sie als eine Übergangsperiode fühlt und einsieht, dass es so nicht weiter gehen kann, dass der eine noch stärker als der andere ein baldiges Vorübergehen dieser Periode ersehnt.3 Es ist Disharmonie zwischen unserem Denken und Fühlen, zwischen unserem Wollen und Handeln. Es besteht Zwiespalt zwischen Religion und Kultur, zwischen Wissenschaft und Leben. Es fehlt eine „einheitliche“ Welt- und Lebensanschauung. Deshalb ist dieses Wort die Losung des Tages4 und das Suchen nach ihr die Arbeit, an der alle teilnehmen, die ihre Zeit mit Interesse mitleben.

Nachdem die Renan-Periode mit ihrem naturwissenschaftlichen Materialismus, ihrem religiösen Modernismus, ihrem sittlichen Utilismus und ihrem politischen Liberalismus die Macht über die Geister verloren hatte, ist ein jüngeres Geschlecht herangewachsen, das enttäuscht über die wohl erweckten, aber nicht befriedigten Erwartungen aufs Neue durch die Geheimnisse des Daseins gequält wird. Es ist eine neue Generation erstanden, welche die Einsicht, dass wir es so herrlich weit gebracht haben, für die Erkenntnis eingetauscht hat, dass das Unbekannte und Unkennbare uns von allen Seiten umgibt. Hier eine fortgesetzte Schwärmerei für Wissenschaft und Kultur, dort ein Zurückkehren zu einem mystischen Idealismus, zu einem leeren Glauben an unsichtbare Dinge. Auf der einen Seite krassester Egoismus, auf der anderen Selbstaufopferung oder eine Selbstverleugnung, die uns auch in ihren kranken asketischen und kommunistischen Formen noch Ehrfurcht abnötigt. In Literatur und Kunst wechselt der platteste Realismus mit der Liebe für das Mysteriöse in Natur und Geschichte und mit der Verehrung für das Symbolische ab.

Hier entartet der Patriotismus in einen beschränkten Chauvinismus, dort wird er einer „vaterlandslosen Menschenliebe“ zum Opfer gebracht. Die Theorie des Milieu und des Rasseninstinktes sieht sich in ihrer Stellung bedroht durch die Heldenverehrung, den Genienkult und die Apotheose5 des „Übermenschen“. Neben einem historischen Sinn, der alles Bestehende verherrlicht, entdecken wir einen revolutionären Drang, der alles Historische verachtet. Repristination6 und Emanzipation streiten miteinander um die Beute. Marx und Nietzsche, beide werben um die Gunst des Publikums. Zwischen Sozialismus und Individualismus, zwischen Demokratie und Aristokratie, zwischen Klassizismus und Romantik, zwischen Atheismus und Pantheismus7, zwischen Unglaube und Aberglaube wird die gebildete Menschheit hin- und hergeworfen.

Gemeinsam aber an beiden Richtungen ist die Abkehr von dem allgemeinen, ungezweifelten christlichen Glauben. Worin man auch im einzelnen voneinander abweichen möge, es steht fest, dass die Zeit des historischen Christentums vorbei ist. Es passt nicht mehr zu unserer kopernikanischen Weltanschauung, zu unserer Kenntnis der Natur und ihrer unveränderlichen Gesetze. Es passt nicht mehr zu unserer modernen Kultur, zu der „Diesseitigkeit“ unserer Lebensauffassung, zu unserer Wertschätzung der materiellen Güter. Die Gedankenwelt der Schrift lässt sich in den Zyklus unserer Vorstellungen nicht mehr einfügen. Das ganze Christentum mit seiner Trinität und Inkarnation, mit seiner Schöpfung und seinem Sündenfall, mit seiner Schuld und Versöhnung, mit seinem Himmel und seiner Hölle gehört in eine veraltete Weltanschauung und ist mit dieser endgültig abgetan. Es hat unserem Geschlecht nichts mehr zu sagen und ist durch eine tiefe Kluft von modernem Denken und Leben geschieden. Die Schlagwörter Gott, Seele, Unsterblichkeit, sagt Meyer-Benfey8, haben ihren Sinn für uns verloren. Wer fühlt heute noch das Bedürfnis, über das Dasein Gottes zu disputieren? Wir brauchen Gott nicht mehr, für ihn ist auf unserer Welt kein Raum mehr. Möge der greise Einsiedler in seiner Klause sitzen und seinen Gott verehren. Wir, Jünger des Zarathustra, wir wissen, dass Gott tot ist und nicht mehr auferstehen wird.9

Das Zusammentreffen dieser Verleugnung des Christentums mit dem innerlichen Zwiespalt, welcher uns im modernen Leben entgegentritt, veranlasst die Frage, ob auch diese beiden Erscheinungen in einem inneren Zusammenhang stehen. Und diese Frage drängt sich uns um so schärfer auf, wenn wir sehen, dass sich niemand über den Verlust der christlichen Religion trösten kann und jeder auf der Suche nach einer neuen Religion ist.

Denn mögen es Tausende sein, die mit dem Munde sprechen, es sei nicht nur das Christentum, es sei alle Religion ein überwundener Standpunkt, – von Tag zu Tag mehrt sich die Zahl derer, die nach einer neuen Religion, einem neuen Dogma, einer neuen Moral rufen. Die Periode, in welcher die Zeit der religiösen Verehrung als überwunden betrachtet wird, entflieht selbst unseren Augen mit großer Geschwindigkeit. Die Annahme, dass Wissenschaft, Tugend oder Kunst die Religion überflüssig machen werde, wird nur noch von wenigen geteilt. Gerade der Verlust der Religion erweckt überall und in großer Anzahl Erfinder neuer Religionen. Aus den fremdartigsten und wüstesten Elementen werden sie aufgebaut. Man geht zur Schule bei Darwin und Haeckel, bei Nietzsche und Tolstoi, bei Hegel und Spinoza; man reist an der Hand der Religionsgeschichte Länder und Völker ab und sucht sein Bedürfnis zu befriedigen in Indien und Arabien, in Persien und Ägypten.

Man macht Anleihen bei Okkultismus und Theosophie, bei Spiritismus und Magie. Und alles wird dabei zum Gegenstand religiöser Verehrung gemacht: Welt und Menschtum, Heroen und Genien, Wissenschaft und Kunst, Staat und Gesellschaft, Geisterwelt und Naturkräfte. Jeder hat seine eigene Gottheit. Religion heißt nicht nur, sondern ist auch vielen zur Privatsache geworden, die sich ein jeder nach seinem Gutdünken einrichtet. Und doch hoffen alle, die sich in diesem Sinne an der „Weiterbildung der Religion“ abmühen, auf eine neue Religion, auf eine „Diesseits- und Weltreligion“, die das supranaturelle und „jenseitige“ Christentum ersetzen und dafür entschädigen kann.10

Die christliche Religion sieht diesem Suchen und Tasten einer sie verschmähenden Menschheit nicht mit Gleichgültigkeit, wohl aber mit erhabener Ruhe und froher Sicherheit zu. Sie steht antithetisch gegenüber all dem, was unter dem Namen von Religion gegenwärtig ausgeboten wird. Wenn wir die christliche Religion recht verstehen und in ihrem Wesen handhaben wollen, dann können wir nicht anders, als mit Entschiedenheit gegenüber den Meinungen des Tages und den Weltanschauungen eigener Erfindung und Mache Stellung zu nehmen. Von „Vermittlung“ darf keine Rede sein. An Versöhnung kann nicht gedacht werden. Für ein Kokettieren mit dem Zeitgeist sind die Zeiten zu ernst. Der tiefe und scharfe Gegensatz, der zwischen dem christlichen Glauben und dem modernen Menschen11 besteht, muss uns zur Einsicht bringen, dass ein Zugeben hier unmöglich, dass bestimmte Stellungnahme hier zur Pflicht wird. Wie schön auch der Friede sein möge, hier ist uns der Kampf aufgedrungen.12

Zur Mutlosigkeit jedoch besteht darum noch kein Grund. Der Feind selbst gibt uns die Waffen zu seiner Bekämpfung in die Hand. Denn dort, wo die Versöhnung, welche das Christentum bietet, abgewiesen wird, kommt unvermeidlich der Zwiespalt zum Vorschein, der inwendig in des Menschen Herzen wohnt. Hat doch alle Disharmonie in unserem Wesen darin ihren Ursprung, dass wir, nach dem Zeugnis unseres Gewissens, durch unsere Sünden von Gott geschieden sind und doch die Gemeinschaft mit ihm nicht entbehren können. Wenn wir das Christentum als für uns nicht passend verwerfen, erweist es sich in demselben Augenblick für uns als unentbehrlich. Wenn die Welt ruft: „Fort mit Christus“, zeigt er gerade in seinem Tod, dass er allein der Welt das Leben gibt. Zu den Irrbegriffen, die der moderne Mensch sich über Welt und Leben bildet, passt das Christentum nicht, es. steht ihnen diametral gegenüber. Aber desto besser passt es zu Welt und Leben, wie sie in Wirklichkeit sind. Wer sich los macht von den Idolen des Tages, von der öffentlichen Meinung, von den herrschenden Vorurteilen in Wissenschaft und Schule; wer die Dinge mit freiem Blick anschaut, nüchtern und mit offenem Sinn, wer Welt und Menschen, Natur und Geschichte nimmt, wie sie in sich wirklich sind, dem wird sich stets stärker die Überzeugung aufdrängen, dass das Christentum die einzige Religion ist, deren Welt- und Lebensanschauung auf Welt und Leben passt.13 Für den Beweis hierfür möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers erbitten.

1Beispielshalber sei erinnert an H. S. Chamberlain, Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, 5. Auflage, München 1904; Th. Ziegler, Die geistigen und sozialen Strömungen des XIX. Jahrhunderts, 2. Auflage, Berlin 1901; Ludwig Stein, An der Wende des Jahrhunderts, Freiburg 1899.

2Das Ende des Jahrhunderts (französisch). Es bezeichnet die Zeit von 1890 bis 1914 mit der Konnotation der Dekadenz.

3 Ziegler a. a. O. S. 561ff.

4 Über den Ursprung und Bedeutung des Wortes kann man nachlassen: James Orr, The christian view of God and the world, Edinburgh, Ellioth, 1893, S. 1, 415; A. M. Weiß, Die religiöse Gefahr, Freiburg, Herder, 1904, S. 106.

5 Apotheose meint die Erhebung eines Menschen zu einem Gott.

6 Repristination meint die die Wiederherstellung, Wiederbelebung von etwas Früherem.

7 Der Pantheismus lehrt, dass Gott in allen Dingen der Welt existieren würde.

8 Heinrich Meyer-Benfey (1869-1945) hieß eigentlich Heinrich Meyer und war Literaturkritiker und Philologe.

9 Meyer-Benfey, Moderne Religion, Leipzig, Diederichs, 1902, S. 130.

10 A. M. Weiß, Die religiöse Gefahr, Freiburg 1904, S. 79-110.

11 Carneri, Der moderne Mensch, Volksausgabe Stuttgart, Strauß.

12 Steude, Auf zum Kampfe. Beweis des Glaubens, Jan. 1904, S. 3-23.

13 Dass das Christentum, obschon an sich (selbst) keine Wissenschaft oder Philosophie, sondern Religion, doch eine bestimmte Welt- und Lebensanschauung einschließt, wird klar gezeigt durch James Orr a. a. O. S. 3-36.

Kapitel 1

Eine Welt- und Lebensanschauung wird durch ein Dreifaches bestimmt. Von altersher wurde die Wissenschaft, die Philosophie, in dialectica, physica und ethica eingeteilt. Die Namen mögen in ihrer Bedeutung zum Teil verändert oder durch andere, wie logica (noëtica)1, Natur- und Geistesphilosophie ersetzt sein; jede Einteilung läuft aber schließlich wieder auf die alte Trilogie hinaus.2 Die Probleme, vor die der menschliche Geist immer wieder gestellt wird, sind folgende: Wie ist das Verhältnis zwischen Denken und Sein, zwischen Sein und Werden, zwischen Werden und Handeln? Was bin ich, was ist die Welt, und was ist in der Welt mein Platz und meine Aufgabe? Das autonome Denken findet auf diese Fragen keine befriedigende Antwort. Es schwankt zwischen Materialismus und Spiritualismus, zwischen Atomismus und Dynamismus, zwischen Nomismus und Antinomismus. Das Christentum aber stellt das Gleichgewicht her und offenbart uns eine Weisheit, welche den Menschen mit Gott und dadurch mit sich selbst, mit der Welt und mit dem Leben versöhnt.