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Welche Veränderungen und Herausforderungen chronische Erkrankungen für das Leben von Betroffenen ganz praktisch bedeuten, beschreibt Kerstin Wendel auf einfühlsame Weise. Dabei kommt sowohl ihre eigene Geschichte zum Tragen als auch die von 13 anderen chronisch Kranken (u.a. Eva-Maria Admiral), die als persönliches Interview jedes Kapitel abschließen. Praktische Hilfen für einen gelingenden Lebensweg mit Krankheit wechseln sich mit tiefgehend-mutmachenden Gedanken zu einem Glauben ab, der schwere Zeiten nicht nur überdauert, sondern vor allem durch sie hindurch trägt. Stand: 2. Auflage 2019
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Seitenzahl: 270
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Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7751-7379-7 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5784-1 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book:CPI books GmbH
2. Auflage 2019
© 2017 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: [email protected]
Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006
SCM R. Brockhaus in der SCM Verlagsbgruppe GmbH Witten.
Weiter wurden verwendet:
Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
Hoffnung für alle ® Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis – Brunnen, Basel.
Umschlaggestaltung: Sophia Wald, Aldingen
Titelbild: iStock.com/NycyaNestling
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
Über die Autorin
Vorwort
1 | Um was es gehtEine harte Erkenntnis: chronisch krank!
Interview mit Eva-Maria Admiral
2 | Heikle Frage: Wie geht’s denn so? Stark werden durch aktuelle Bestandsaufnahme
Interview mit Friederike Kretschmer
3 | Einen Grundsatz entdeckenStark werden durch Fokussierung
Interview mit A. M.
4 | In schweren Fragen Tragkraft spürenStark werden durch einen barmherzigen Träger
Interview mit Andrea Schneider
5 | Innere Kraftquellen integrierenStark werden durch Unterstützung für die Seele
Interview mit Friedegard Heuser
6 | Selbstvergessen lebenStark werden durch positive Ablenkung
Interview mit Jürgen Mette
7 | Selbstvergessen dienenStark werden durch Hingabe
Interview mit Kornelia Sandersfeld-Zanic
8 | Gedankenwelt beachtenStark werden durch ein geschütztes Denken
Interview mit Marion Buchheister
9 | Partnerschaft lebenStark werden durch Geben und Nehmen
Interview mit Christoph Schweppe
10 | Trotz allem: Familie wagenStark werden durch alternative Ideen
Interview mit Claus-Heinrich Albertsen
11 | Singleleben gestaltenStark werden durch Geben und Nehmen
Interview mit Christa Ebbinghaus
12 | Pläne machen Stark werden durch Ziele
Interview mit Ulrich Wendel
13 | Liebe dein gebrochenes LebenStark sein durch innere Versöhnung
Interview mit Kurt Scherer
Dank
Anmerkungen
Zum Weiterlesen
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
KERSTIN WENDEL,Jahrgang 1965, ist verheiratet mit Dr. Ulrich Wendel und hat zwei erwachsene Kinder. Ursprünglich Lehrerin für Deutsch und Musik, ist sie heute schreibend zu Hause in Wetter/Ruhr und referierend, schulend und lesend unterwegs in Deutschland.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Flügellahm. Belastet. Vielleicht sogar ausgebrannt. Irgendwo zwickt und zwackt es in Ihrem Körper. Das hält Sie beschäftigt. Und zwar nicht erst seit drei Tagen, sondern schon erheblich länger. Die Diagnose lautet: chronisch krank. Oh weh! Das ist eine Aussage … Klingt irgendwie beängstigend, oder?
Ich kenne das; bin selbst schon lange chronisch krank. Mein Leben ließ sich nicht so leben, wie Gesunde leben können. Aber genau das habe ich jahrelang versucht. Irgendwann ging es dann so nicht mehr weiter. Ich habe mich mit all den negativen Gefühlen wie Enttäuschung, Angst, Hoffnungslosigkeit und vor allem Traurigkeit nicht mehr zufriedengegeben. Als ich endlich konkret nach Entlastung und Lebensmöglichkeiten für mich und meine Familie suchte, kam ganz schön viel in Bewegung.
Davon erzählt dieses Buch. Es nimmt Sie mit in das alltägliche Leben von mir und anderen. Denn keiner von uns ist stecken geblieben. Alle haben sich ausgestreckt: nach Rückenwind, Antrieb, Mut, Trost, Kraft. Und dadurch ist etwas gewachsen: Stärke. Ja, sogar Hoffnung, trotz allem! Trotz einer beängstigenden Diagnose.
Dieses Buch ist für Menschen mit Einschränkungen gedacht – vom Jugendlichen bis zum Greis. Für chronisch Kranke, die nicht voll funktionstüchtig, aber – größtenteils – zu Hause selbstständig leben können. Es sind Menschen, die nicht gepflegt werden, aber mit vielen Herausforderungen zurechtkommen müssen, weil trotz der Erkrankung wahrscheinlich noch eine relativ lange Lebenszeit vor ihnen liegt. Schwerstkranke spreche ich nicht direkt an.1
Außerdem gilt dieses Hoffnungsbuch denjenigen, die mit chronisch Kranken näher zu tun haben. Vielleicht beruflich als Seelsorger, Pastoren und Therapeuten – oder aber privat als Freunde, Nachbarn, Kinder oder Eltern. Die Erkrankten selbst sind zwar am stärksten von ihrer Problematik betroffen, ihr direktes Lebensumfeld leidet allerdings auch deutlich mit (deshalb werde ich auf Ehe, Familie und Freundschaften chronisch Kranker besonders eingehen).
Neben Gedankenanstößen aus dem konkreten Alltagsleben von vielen Männern und Frauen finden Sie 13 Interviews mit chronisch kranken Menschen zwischen 19 und knapp 80 Jahren. Sie leben mit unterschiedlichen Diagnosen: Jürgen Mette, Eva-Maria Admiral, Andrea Schneider, Ulrich Wendel, Marion Buchheister, Friederike Kretschmer, Friedegard Heuser, Conny Sandersfeld-Zanic, Christoph Schweppe, Claus Heinrich Albertsen, Christa Ebbinghaus und Kurt Scherer. Eine Person möchte anonym bleiben. Allen habe ich konkrete Fragen zum Schwerpunkt eines Kapitels gestellt. Hinter weiteren persönlichen Beispielen dieses Buches verbergen sich Menschen, die mit der Veröffentlichung einverstanden sind. Alle anderen Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig. Es ist ein besonderes Geschenk an Sie, dass diese Menschen Ihnen Einblick in Ihr Leben geben!
Der persönliche Ton des Buches möchte Sie einladen, Ihren eigenen Weg zu finden. Ich möchte Ihnen Mut machen: Wählen Sie aus! Testen Sie Gedanken und Anregungen! Verwerfen und ändern Sie!
Und nun geht es los! Auf! Die Suche nach echter Stärke beginnt – damit Sie irgendwann hoffnungsvoller leben können. Am besten: chronisch hoffnungsvoll!
Das wünscht von Herzen
Ihre Kerstin WendelWetter an der Ruhr, Januar 2017
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Viele Menschen sind chronisch krank. Ein erster Einblick in ihre Welt und erste Hilfen. Das Gute: Gott sieht jeden in seiner persönlichen Lage!
Mit 21 Lebensjahren fing es an. »Es« sind bei mir Rückenschmerzen im Hals- und Brustwirbelsäulenbereich – oft beidseitig. Dadurch werden häufig Kopfschmerzen ausgelöst. Später bemerkte ich auch, dass teilweise noch weitere Einschränkungen dazugehören: Übelkeit, Erbrechen, Schüttelfrost, Konzentrationsprobleme und Schwindel. Wenn »es« kommt, muss ich häufig meinen Tag unterbrechen. Egal, was ich gerade tue. Egal, wo ich gerade bin. Ich muss unterbrechen. Besser gesagt: Ich sollte schnellstens unterbrechen. Warum? Damit es nicht unerträglich wird. Aber das ist gar nicht so leicht getan, finde ich.
Mit dieser psychosomatischen Erkrankung lebe ich seit nunmehr 30 Jahren. Ich habe sie schon sehr gut kennengelernt. Denn hinter ihr verbirgt sich ganz viel meiner eigenen Lebensgeschichte. Viele Jahre und sehr viel Ehrlichkeit habe ich gebraucht, um meine Krankheit tiefer zu erkennen. In einem anderen Buch war ausführlicher davon die Rede.2 Diese ganze Zeit über bin ich als Christin unterwegs. Kein Jahr davon habe ich ohne Gott gelebt. Gott kennt meine Beschwerden. Aber er hat sie bisher nicht einfach, kurz und schmerzlos geheilt. (Auf diesen herausfordernden Gedanken werden wir noch in Kapitel 4 kommen.) Ich kenne also 21 Lebensjahre ohne diese Einschränkungen. Und bereits 30 Jahre mit starken Einschränkungen.
Während ich schreibe, frage ich mich gerade, ob ich mich eigentlich noch erinnern kann, wie es damals war … Mit 18 Lebensjahren vielleicht, damals, als es »es« noch nicht gab. Kann ich mich noch erinnern, wie es war, ohne Tabletten zu verreisen? Kann ich mich noch erinnern, wie herrlich unbeschwert es war, morgens aufzustehen und zu wissen, dass ich heute funktionieren würde und meine Pflichten oder meine Freizeit ganz normal erleben könnte? Täglich keine krankengymnastischen Übungen machen zu müssen? Keine Heizdecke zu benötigen? Auf fast jeder beliebigen Matratze schlafen zu können? Weniger Medizin nehmen zu müssen? Meine Planungen nicht ständig aufgeben zu müssen? Ich gebe zu, es fällt mir mitunter schwer, mir dieses frühere Leben noch vorzustellen. 30 Jahre sind dann doch eine lange, prägende Zeit.
Ich bin also chronisch krank. Im Unterschied zum gebrochenen Bein oder entzündeten Nebenhöhlen verheilen meine Beschwerden nicht in absehbarer Zeit. Und dennoch: Ich bin mit meinen Beschwerden keine Ausnahme, denn ich bin eine von vielen.
20 % aller Bundesbürger sind chronisch krank. Quasi jeder fünfte deutsche Mitbürger. Das ist schon eine enorm hohe Zahl. Unvorstellbar viele Menschen haben damit zu tun. Doch was versteht man eigentlich unter »chronischen Krankheiten«?
Es sind solche, die länger als sechs Monate dauern.3 Mitunter heilen sie gar nicht aus oder die Krankheitsursache kann nicht beseitigt werden.4 Es gibt dabei kontinuierliche, wiederkehrende oder fortschreitende chronische Krankheitsverläufe. Beispielsweise leiden Menschen unter Kopfschmerzen, Asthma, Rückenschmerzen, Magen-Darm Störungen, Erschöpfungszuständen oder Depressionen.
Sie finden hier eine kleine Übersicht über typische chronische Erkrankungen. Warum das? Damit Sie sich möglicherweise wiedererkennen! So erging es nämlich einer Leserin, die dieses Buch zur Probe gelesen hat. Ihre Erkenntnis war: »Ich wusste ja gar nicht, dass ich mit meiner Erkrankung auch zu den chronisch Kranken gehöre!«
• Erkrankungen der Atmungsorgane, z. B. Chronische Bronchitis (COPD), Asthma bronchiale
• Erkrankungen des Bewegungsapparates, z. B. Rheumatische Erkrankungen, Fibromyalgie-Syndrom
• Erkrankungen aus dem Bereich Gynäkologie, z. B. Endometriose, PCO-Syndrom (Polyzystische Ovarien)
• Erkrankungen der Haut, z. B. Psoriasis (Schuppenflechte), Neurodermitis
• Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, z. B. Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz
• Erkrankungen des Hormonsystems, z. B. Diabetes mellitus, Schilddrüsenunterfunktion bzw. -überfunktion
• Infektionen, z. B. Hepatitis, HIV
• Neurologische Erkrankungen, z. B. Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Migräne
• Psychische Erkrankungen, z. B. Depressionen, CFS (Chronic Fatigue Syndrom: chronisches Erschöpfungssyndrom), Burn-out
• Erkrankungen des Stoffwechsels, z. B. Gicht, Adipositas
• Erkrankungen des Verdauungssystems, z. B. Reizdarmsyndrom, chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Listen haben allerdings auch ihre Tücken. Denn vielleicht ist genau Ihre Erkrankung nicht dabei gewesen? Das kann sehr wohl sein. Es gibt noch weitaus mehr Erkrankungen, die genannt werden könnten. Die Liste ist unvollständig, um Sie hier nicht mit einer Überfülle zu erschlagen. Was uns aber gemeinsam ist und für uns alle gilt: Chronisch Kranke haben »… eine körperliche Einschränkung deutlich über das Maß hinaus, das man als Alltagsbeschwerden tolerieren kann, und deutlich im Unterschied zu den meisten anderen Menschen gleichen Alters«5. Es ist eine Lebenslast, die sie tragen. Das ist herausfordernd. Sich für eine Woche ins Bett legen und auskurieren? So wird es definitiv nicht laufen.
Zum Weiterdenken:
Machen Sie doch eine kurze Pause und nehmen Sie sich Zeit für Ihr eigenes Leben! Zwei Fragen stehen am Anfang …
Welche chronische(n) Erkrankung(en) habe ich?
Seit wann bin ich mir dessen bewusst?
Na, da habe ich mir aber ein Thema vorgenommen! Kann man denn für Menschen mit einem voraussichtlich herausfordernden und beschwerlichen Leben schreiben? Wird das nicht eine endlose Anklage? Schließlich könnte man ja alles Mögliche anklagen: die Umstände, das Schicksal, das Gesundheitssystem, die Gesellschaft und letztlich Gott! Klagen und stöhnen geht immer. Daher kommt eine klare Ansage gleich am Anfang: Nein, das möchte ich nicht! Bücher mit anklagendem Ton gibt es bereits.
Ich möchte Gutes teilen. Meine persönlichen Lebenserfahrungen – und die von anderen chronisch Kranken. Was wir so denken, fühlen, erleben, entscheiden, fragen, erleiden, loslassen, genießen, tun. Als Kranke. Jede Menge Ermutigung möchte ich durch meine Zeilen in Ihr Leben schicken! Lebensermutigung für Sie. Es geht mir um gute Lebensgestaltung. Deshalb soll es praktisch werden: Wie kann man seinen Alltag einrichten und erleichtern? Wie kann man genießen trotz eigener Lasten? Wie seine Beziehungen gestalten? Mit schweren Gedanken umgehen? Pläne schmieden? Und vor allem: Wie kann man trotz chronischer Krankheit noch glauben? Ja, ich möchte zu tief greifenden und heilsamen Gotteserfahrungen anregen. Trotz und inmitten von chronischer Krankheit. Es geht um Glück. Lebenserfüllung. Erleichterung. Versöhnung.
Und das für Menschen, die nicht mehr – oder nur eingeschränkt – nach den Ansprüchen und Gesetzmäßigkeiten unserer Leistungsgesellschaft leben können.
Viele der chronischen Erkrankungen haben in irgendeiner Form mit Schmerzen oder spürbaren Beschwerden zu tun. Sobald man im Internet einfach mal nach »10 Tipps für den Umgang mit chronischen Schmerzen« sucht, wird man schnell fündig. Die ersten Soforthilfe-Tipps, die das Leben erleichtern sollen, sehen so aus:
1.Muskulatur entspannen
2.Ablenken
3.An einen Fantasieort gehen (z. B. sich gedanklich an den letzten Urlaubsort versetzen)
4.Den Schmerz verbildlichen (z. B. ihn als festen Holzklotz vorstellen und schrumpfen lassen)
5.Auf Positives konzentrieren (z. B. Erinnerungen an gute Erlebnisse)
6.Körperliche Bewegung
7.Hypnose (auch Fantasie- und Entspannungsübungen)
8.Gespräche mit Freunden über alles außer Gesundheit
9.Geschenke basteln
10. Expertenrat suchen6
Vielleicht haben Sie bereits mit dem einen oder anderen Tipp Erfahrungen gesammelt. Oder Sie haben gerade Interesse gewonnen, etwas auszuprobieren. Das würde mich freuen. Vielleicht finden Sie einen Tipp auch komisch oder fragwürdig. Muskulatur entspannen? Wenn das mal immer so einfach ginge. Oder auf Positives konzentrieren? Wo doch die Gedanken so leicht abgleiten …
Wenn Sie also vielleicht bereits im ersten Kapitel über etwas gestolpert sind, freut mich das. Denn es zeigt, dass Sie aktiv sein möchten. Ihnen ist es wichtig, gut zu prüfen, was für Sie passt und was nicht. Genau die richtige Einstellung, um als chronisch kranker Mensch mit der Informationsflut klarzukommen! Viele der genannten Ideen tauchen in diesem Buch noch ausführlicher auf. Außerdem wird es weitere Anregungen geben, mit denen chronisch Kranke gute Erfahrungen gemacht haben.
Was können Sie persönlich mit diesem Buch tun? Lesen, nachdenken, entscheiden, ausprobieren, verwerfen, neu probieren. Sie können sich dieses Buch für eine Weile als Begleiter installieren. Irgendwo in Ihrem Zuhause nahe der Lieblingscouch oder Ihrem Gartenstuhl kann es liegen. Ab und an gönnen Sie sich mal ein Kapitel. Und anschließend machen Sie Ihre eigenen Erfahrungen mit den Ideen. Manche von ihnen sind schnell durchdacht. Für andere braucht man vielleicht einige Zeit. Wenn Sie es mögen, dann nehmen Sie sich doch ein leeres Notizbuch zur Hand. Sie können darauf schreiben: »Hoffnungsbuch von …« Oder: »Die Starkmacher von …« Und Ihren Namen dort eintragen. So werden Sie Ihre ganz persönlichen Gedankenanstöße beim Lesen dieses Buches sammeln.
Tipp 10 haben Sie eben auch gelesen? Dazu ist von mir zu ergänzen: Genau das kann dieses Buch nicht. Es kann keine fachliche und therapeutische Hilfe für ein bestimmtes Krankheitsbild ersetzen. Dafür sollte jeder der Betroffenen andere Möglichkeiten nutzen: Kontakt zum Facharzt und Psychotherapeuten suchen, Zweitmeinung einholen, Selbsthilfegruppe besuchen, Informationen beschaffen. Das alles ist sinnvoll und ratsam. Informieren Sie sich gut und umfangreich!
Zum Weiterdenken:
Haben Sie schon Tricks und Tipps für sich selbst gesammelt? Etwas, das Ihnen hilft, wenn es Ihnen schlecht geht?
Wenn ich eins in den letzten 30 Jahren gelernt habe, dann dieses: Gott übersieht mich nicht! Kerstin Wendel, eine von den rund 16 Millionen chronisch Kranken in Deutschland! Es ist zwar unvorstellbar, dass er das bei dieser Masse an angeschlagenen Menschen kann, aber ich habe es so erlebt.
Im Jahr 2001 kam nach 15 Jahren Schmerzgeschichte ein Wendepunkt in mein Leben. Damals hat Gott mich durch eine Ärztin ermutigt, mich nicht einfach mit meinem bisherigen Schicksal zufriedenzugeben. Ich sollte mich also nicht nur organisch behandeln lassen wie bisher. Sie ermutigte mich, endlich eine Psychotherapie zu wagen. Damals war das eine große Herausforderung für mich, denn eigentlich hatte ich innerlich schon mit meinem Leben und meinen Schmerzen abgeschlossen. Ich war resigniert, mutlos und passiv. Meistens bestand mein Denken über mich ganz unbewusst aus folgendem Satz: Ich bin krank – was habe ich vom Leben noch Gutes zu erwarten?
In diesem Zustand begann ich meine Psychotherapie. Und, wurde ich sofort oder nach acht Wochen geheilt? Nein. Dickes, fettes NEIN. Aber ich erlebte: Gott hatte etwas mit mir vor. Ab 2001 ist er mit mir einen superlangen, intensiven und umwälzenden Weg der inneren Heilung gegangen. Seite an Seite. Schritt für Schritt. Das habe ich damals nicht gewusst. Das hat außer Gott wohl keiner gewusst. Aber dieser Weg hat mein Leben samt Familie, Glauben, Beziehungen, Beruf, Denken, Gefühlen und Perspektiven auf den Kopf gestellt. Oder sollte ich besser sagen: auf die Füße? Ja, vielleicht ist das der bessere Ausdruck, denn nun kann ich ganz gut leben. Ich kann aufrecht meinen Weg gehen.
Gott hatte nicht vorgehabt, eine Spontanheilung meiner Rücken- und Kopfschmerzen durchzuführen. Obwohl er die Kraft dazu hätte. Obwohl ich es so gern erlebt hätte. Ich traute ihm das manchmal zu. Auch mein Mann hat sich das ersehnt. Meine Freunde. Mehrfach hatten begnadete Menschen für mich gebetet. Aber es passierte nicht. Bisher wurde ich nicht geheilt. Aber, mein Leben umzukrempeln und es auf die Füße zu stellen, das hatte er vorgehabt! Wie gut!
Dieser Prozess hat viele Jahre gedauert und mich unter vielem anderen auch einen guten, gesunden Umgang mit meiner Erkrankung gelehrt.
Für mich heißt das heute: Ich lebe heute im Einklang mit mir. Glücklich, zufrieden, aufmerksam. Gleichzeitig lebe ich in einer intensiven, guten Beziehung zu Gott. Tragend, beständig, intensiv, wundersam.
Ich schaue zurück auf Geheiltes: Ich konnte einiges an Ballast loswerden. Und ich durfte einiges neu entwickeln, was es in meinem Leben noch nicht gab. So bin ich hineingewachsen in meine Identität als Frau und Mutter, die kaum ausgebildet war. Außerdem wurde ich von abgrundtiefer Traurigkeit geheilt, die wie Nebelschwaden über meinem Leben gelegen hat. Ich bin froh, geborgen, gewachsen, gestärkt. Bin geheilt von Suchttendenzen in meinem Leben, die sich bei mir besonders in Arbeitssucht gezeigt haben. Und ich habe in vielen anderen Lebensbereichen tief greifende heilsame Veränderungen erlebt. Fragen Sie mal meinen Mann, der kann Ihnen etwas davon erzählen …
Ich lebe im Jetzt. Für mich zählt der heutige Tag, nicht gestern oder morgen. Manchmal ist es ein körperlich schlechter Tag, manchmal ein guter. Intensiv, wachsam lebe ich.
Ich blicke nach vorn. Zu meiner persönlichen Geschichte gehört es, dass Gott mit mir noch nicht fertig ist. Eins der letzten Zeichen von ihm ist ein Weihnachtsgeschenk von 2013: Ich bekam von einer Frau eine Muschel und einen Spruch: »Manche Wunder brauchen Zeit … und wir brauchen das Vertrauen, dass Gott nie zu spät kommt« (C. Montaigne). Gott hat mir eine Ermutigung durch diese Frau geschickt. Eine Muschel? Woher wusste sie, dass ich genau mit diesem Symbol Jahre vorher meine innere Entwicklung beschrieben hatte und folglich diesen Spruch als riesengroße Stärkung aus Gottes Welt empfunden habe? Sie wusste es definitiv nicht. Wir beide aber, Gott und ich, wussten es! So ist die Muschel eine von vielen Ermutigungen, die ich in den letzten Jahren bekommen habe. Wirklich staunenswert! Manchmal lebe ich in diesem Vertrauen. Manchmal fehlt es mir, weil die Schmerzen zu stark sind. Zu meiner Geschichte gehört es also, dass sie noch offen ist. Anscheinend geht bei mir noch etwas? Ich bin offen, erwartungsvoll, ungeduldig, bereit …
Wahrscheinlich gehören Sie wie ich zu den 20 %, die »es« haben. »Es« ist ihre Geschichte. Anders als meine oder vielleicht auch ähnlich. Ich wünsche Ihnen,
• dass auch Sie gut leben können – und nicht nur gerade so über die Runden kommen.
• dass Sie trotz Ihrer Erkenntnis über sich selbst immer wieder hoffnungsvoll leben können, nämlich lebenswert, lohnend, intensiv, gehalten und gut.
• dass Sie Gott entdecken, wie er in der Menge der über 16 Millionen chronisch Kranken gerade Sie sieht. Auf Sie zukommt. Persönlich, einzigartig, liebevoll.
• dass Sie mit sich und Ihrem Leben noch nicht fertig sind; dass Sie Gott noch eine Chance geben, Sie zu überraschen. Unerwartet, neu, erstaunlich, undenkbar. Vielleicht sogar wundersam.
• dass Sie ein bisschen erleichtert werden durch dieses Buch und anschließend leichter unterwegs ein können.
• dass das Schwere in Ihrem Leben ein wenig an Gewicht verliert.
Das wünsche ich. Dafür schreibe ich. Das erhoffe ich. Dafür bete ich immer wieder, wenn ich mit Gott über meine Arbeit rede.
Mag. Eva-Maria Admiral ist Schauspielerin, Dozentin und Autorin (www.admiral-wehrlin.de) und wohnt in Salzburg. Der Darm war schon sehr früh ihr krankes Organ: Blinddarmdurchbruch, Narbenverwachsungen, mit 19 Jahren ein erster Darmverschluss, später diverse Darmoperationen. Konkret bedeutete das damals für ihren Alltag: Künstliche Ernährung, liegen, schlafen, Toilettengang, essen, Wärmflasche – und nur ja keinen Stress, ja keine neuen Herausforderungen. Nicht sie, sondern die Krankheit bestimmte ihr Leben: Es folgten unzählige weitere Operationen und Organerkrankungen, darunter auch eine Hirnhautentzündung.
Eva-Maria, kannst du deine Gefühle beschreiben, als du von deiner »Diagnose« erfahren hast?
Zuerst einmal spürte ich Ohnmacht, später Wut und den Wunsch, Selbstmord zu begehen. Trauer. Dieses Dahinvegetieren und von meiner Krankheit bestimmt zu werden, dauerte zwei, drei Jahre. Dann langsam, ganz langsam – wie in jedem Trauerprozess – gab es Annahme und Versöhnung.
Viktor E. Frankl schreibt: »Es gibt keine Situation, in der das Leben aufhören würde, uns eine Sinnmöglichkeit anzubieten, und es gibt keine Person, für die das Leben nicht eine Aufgabe bereithielte.«7 Mein Leben hat mir Fragen gestellt. Ich begann, über mich, meine Existenz und den Sinn meines kranken Lebens nachzudenken. Ich kann als Opfer meiner Krankheit leben und nur das tun, was mir die Krankheit diktiert. Oder ich kann die restlichen Bereiche meines Lebens stärken. So weit ich darauf Einfluss nehmen konnte, wollte ich vom Opfer zur Handelnden werden.
(Eva-Maria behandelt dieses Thema auch in ihrem Buch: Szenenwechsel. Jetzt schreibst du dein Leben neu. SCM Hänssler 2017; Anm. d. V.)
Mit welchen Einschränkungen musst du in deinem Alltag klarkommen?
Es gibt keinen Tag ohne Schmerzen, keine Nahrungsaufnahme ohne Schmerzen, keine Nacht ohne Schmerzen. Mein Schlaf ist dementsprechend schlecht. Meine Stressschwelle liegt niedrig.
Hast du einen »Erste-Hilfe-Baukasten«? Etwas, das dir hilft und dich erleichtert?
Einen sogenannten Baukasten habe ich nicht, vielmehr aber hilfreiche innere Grundentscheidungen. Meine Aufgabe ist es, mein Leben in die Hand zu nehmen. Ich musste lernen zu leben, ungeachtet der Schmerzen. Ich habe nach dem Wozu gefragt. Nach und nach habe ich tief gehende Gedanken gefunden, die letztlich heute meinen Alltag prägen. Das war ein langsamer, langer Prozess. Er geht immer noch weiter. Für mich heißt, Sinn zu finden, meine Lebensaufgabe auch als kranker Mensch zu finden. Das gibt mir geistigen und seelischen Halt.
Konkret heißt das: Ich erstelle mir eine Prioritätenliste für meinen Alltag. Langsam eins nach dem anderen tun, mich sportlich betätigen. Das ist mit meiner Darmerkrankung nur vor dem Essen möglich. Also verschiebe ich dementsprechend das Essen – und treibe Sport. Ich habe über vieles in meinem Leben keine Kontrolle: über meine Schmerzattacken, über meinen Darm. Aber für den Rest meines Lebens kann ich die Initiative ergreifen. Der Wille, einen Sinn in einem Leben zu sehen, entzündet sich nicht erst an ganz großen Erfahrungen oder ganz bedeutsamen Augenblicken des Lebens. Sinn erschließt sich dem geschulten Auge im Getriebe des Alltags.
Gibt es ein Gotteserlebnis im Zusammenhang mit deiner Erkrankung?
Ich weiß nicht, ob ich es ein Erlebnis nennen würde. Es sind eher die unzähligen kleinen Schritte – unerwartete Begegnungen, Hilfestellungen, Bücher, Vorträge, Menschen im Laufe meiner inneren (nicht äußeren!) Genesung. Eins meiner Schlüsselerlebnisse war, die Vorträge von Viktor Frankl nochmals zu hören. Wenn er das KZ überlebte, so werden wir auch unsere Krankheit überleben.
Ein Schlüsselerlebnis war sicherlich mein Nahtoderlebnis bei meiner Meningo Enzephalitis, das ich auf der Intensivstation erlebte. Ich hörte, wie jemand – Gott oder Jesus? – sagt: »Endlich bist du da! Wir warten schon so lange!« Ich antwortete in Gedanken: Ja, Papa, endlich bin ich da! Ich warte auch schon so lange auf dich. Aber was bedeutet das: Endlich bin ich da? Hieß es: Gott wartet? Aber ja, das waren genau seine Worte. Sie durchfuhren mich bis in jede Ecke meines Bewusstseins. Ich spürte ein helles Licht, ein unendliches Lieben. »Mein Schatz, da bist du ja«, fühlte ich. Mir wurde so unendlich warm ums Herz. Ich kann es nicht beschreiben. Jedes Wort wäre zu schal, zu glanzlos und matt, um diese Liebe zu beschreiben. Ich fühlte mich so ganz, als ob alle zerbrochenen Puzzleteile meines Lebens wieder ein wunderbares Ganzes ergaben.
Vielen Dank für das Gespräch!
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Diagnosen verändern das Leben. Besonders chronische Erkrankungen. Starke negative Gefühle können die Folge sein. Die Bestandsaufnahme des eigenen Lebens hilft, sich zeitnah zu entlasten.
Krankheiten kennen wir alle. Sie begleiten uns von Kindesbeinen an. Wer von uns hat keine Erfahrungen mit Masern, Windpocken, Grippe, verstauchten Gelenken oder aufgeschlagenen Knien? Für letzteren Fall haben wir Wendels eine uralte, chronisch schöne Hansaplastschachtel im Badezimmer stehen. Vorne drauf Mama im Kleid, die einem netten, artigen Jungen liebevoll ein Pflaster aufklebt. »Heile, heile Segen und alles ist wieder gut.« War doch so, stimmt’s? So hat man es mit uns gemacht und wir haben es später ähnlich mit unseren beiden Kindern gemacht: Wunde säubern, Pflaster drauf, Trost ins Ohr – und die Welt ist wieder in Ordnung.
Genau das ist der Unterschied: Es gibt die üblichen Krankheiten, die kommen und gehen, und alles ist wieder gut. Aber es gibt auch chronische Krankheiten, die einfach nur kommen. Dann bleiben sie. Es ist eben nicht so schnell wieder alles gut. Es bleibt schlecht. Vielleicht weiß keiner, wie lange es schlecht bleiben wird. Vielleicht sehr lange? Doch nicht etwa für immer?
Ein aufgeschürftes Knie bemerkt jeder Betroffene. Ob man chronisch krank ist, das merkt man nicht so leicht, nicht sogleich. Und wenn man es merkt, dann will man es vielleicht nicht gleich wahrhaben, dass es so ist.
Bettina ist verheiratet und hat flügge werdende Kinder. Sie und ihr Mann stehen morgens auf, gehen ihren Pflichten nach und freuen sich abends auf einen erholsamen Feierabend. Beide Ehepartner sind berufstätig, pflegen Freundschaften und gehen sonntags gern in einen Gottesdienst. Ab und an können sie sich einen Urlaub gönnen. Haben sie mal einen freien Tag extra zur Verfügung, können sie sogar noch den Keller ausmisten, bei einem Projekt ihrer Gemeinde mithelfen oder ins Museum fahren. Alle aus der Familie sind meistens gesund. Fazit: Bettina kann leben wie viele andere. Bis es sie erwischt.
So vor gut einem Jahr fing »es« dann an. Es kamen gesundheitliche Probleme und seitdem ist nichts mehr normal. Bettina hat seither ganz oft Schmerzen. Die sitzen im Darm und strahlen in den gesamten Unterleib hinein. Sie haben sich in diesen hineingeschlichen wie ein Mäuschen in eine Speisekammer. Und sie benehmen sich auch so wie Mäuse: Sie sind nicht leicht zu fangen und wollen einfach nicht verschwinden.
Am Anfang hat Bettina das gemacht, was sie kannte: zum Arzt gehen, sich beraten lassen, etwas ausprobieren. Sie nahm Medikamente gegen die Beschwerden. Probierte später auch naturheilkundliche Präparate, weil sie von den üblichen Tabletten so viele Nebenwirkungen bekam. Aber es wurde nicht besser. Sie konnte vieles nicht mehr essen und hatte deshalb keine Lust mehr, abends eingeladen zu werden. Plötzlich war sie eine Problem-Esserin. Sie hatte mit Durchfall zu kämpfen, litt häufig unter starken Bauchschmerzen und spürte außerdem, dass Aufregung und Stress die ganze Sache verschlimmerten. Nach einer Darmspiegelung und weiteren Untersuchungen stand die Diagnose: Reizdarmsyndrom. Ihre Hausärztin sagte: »Damit lernen Sie zu leben.« Aber Bettina wusste überhaupt nicht, wie sie das machen sollte. Sie hatte keine Erfahrungen damit. Sie fühlte sich hilflos und überfordert.
Sie probierte dann noch mehr. Sie surfte im Internet, machte sich Gedanken, erfragte Tipps von anderen Patienten, suchte einen neuen Arzt. Bis sie plötzlich merkte, dass sie schon Monate mit dieser Sache beschäftigt war. Ehrlich musste sie sich eingestehen: Es war nicht besser geworden. Vielleicht war es gestern sogar etwas schlimmer gewesen als in der letzten Woche? Vielleicht wusste sie manchmal gar nicht so richtig, ob es heute besser oder schlechter war. Was sie aber sehr genau spürte, war der riesengroße Wunsch in ihrem Herzen: Ach, könnte doch alles so sein wie früher! Könnte »es« doch endlich wieder verschwinden! Leider kam dann ein halbes Jahr später noch eine Schmerzsymptomatik im Rücken dazu, bei der ihr kein Arzt entscheidend weiterhelfen konnte. Sie hat mittlerweile viele Fehltage auf der Arbeit. Auch zu Hause schafft sie nicht mehr das, was früher alles problemlos lief. Sie ist innerlich am Boden.
Wie wirkt sich das auf die Menschen um sie herum aus? Der Mann an ihrer Seite kannte eine fröhliche, belastbare Partnerin, bis die Erkrankung kam. Nun muss er unterstützen, ermutigen, helfen – und zwar länger als vierzehn Tage. Außerdem muss er mit seinen eigenen Gefühlen klarkommen. Und die Freunde? Sie kannten eine aktive Bettina, die bei diversen Aktionen gern mit von der Partie war. Jetzt muss sie manchmal absagen, weil es ihr nicht gut geht. Bettina hört die gut gemeinten Sprüche: »Geht’s dir wieder besser? Wie, immer noch nicht? Hast du denn schon Flohsamen versucht? Oder Iberogast? Wie – und das hilft nicht?« Wieder andere Freunde reagieren hilflos, sagen gar nichts mehr zu ihr, ziehen sich zurück.
Bettinas Leben hat sich innerhalb eines Jahres sehr verändert. Seit die Schmerzen in ihr Leben gekommen sind, läuft nichts mehr normal, nicht mehr so wie immer. Auch nicht in ihrer Familie und den Freundschaften. Irgendwie ist alles anders. Irgendwie hat sie seitdem ein anderes Leben …
So wie viele andere auch: Marc hat seit Jahren mit Tinnitus zu tun, Ina leidet unter Depressionen, Kathy kämpft seit der Geburt ihres zweiten Kindes mit Erschöpfungszuständen. Lara geht es auch schlecht, aber sie weiß noch nicht mal, was sie hat. Sie kann ihre Symptome beschreiben. Mehr nicht. Und Sie? Wie geht es Ihnen mit Ihren Beschwerden?
Eines ist vielen chronisch Kranken gemeinsam: Viele von uns kannten ein Leben »davor«. Und wir lernen nun ein anderes Leben kennen: das Leben mit unserer chronischen Erkrankung. Entsetzt spüren wir, dass sie nicht in zwei Wochen ausgestanden ist, sondern uns Monate, Jahre, vielleicht Jahrzehnte begleiten wird. Keiner weiß das so genau. Wir sind jetzt chronisch krank. Wir haben Diagnosen zu hören bekommen. Manche von uns haben nicht mal Diagnosen erhalten, aber schlecht geht es uns trotzdem. Immer mal wieder. Schon wieder.
Wie jetzt – man soll von nun an mit den Beschwerden weiterleben? Da bleibt einem erst einmal die Luft weg. Die Lebensfreude wird im Keim erstickt. Kriecht die Angst in einem hoch. Jetzt muss man sich mit so etwas »herumschlagen«? Unsere Sprache verrät schon, dass manche von uns nicht das beste Verhältnis zu einer Krankheit haben. Als wäre Krankheit ein Ding, das wie ein Boxsack am Hals hängt, auf den man einprügeln kann.
Irgendwie gut damit leben? Das geht ja mal gar nicht! Das liegt völlig außerhalb unserer Vorstellungskraft. Damals, ja, damals ging das. Ohne »es«. Aber doch nicht mit! Ein chronisch Kranker kennt diese ätzende Sorge, die man irgendwann tief in sich spürt: Hilfe, werde ich dieses Problem je wieder los – und wenn ja, wie?
Zurück zu Bettina. Irgendwann nach den ersten fünf Monaten mit ihren Darmproblemen wurde sie von mächtigen Gefühlen überrollt. Von Wut, Trauer, Angst und Fassungslosigkeit. Früher kamen und gingen solche Gefühle, wenn sie überhaupt in ihrem Leben mal auftauchten. Jetzt blieben sie.
Wie gut!
Denn »Menschen, die die Kraft und innere Freiheit haben, über ihr Leiden zu klagen, haben die meiste Aussicht zu überleben«, so Lowell G. Colston.8
In Bettina stiegen klagende Fragen hoch: Wie soll mein Leben auf Dauer weitergehen? Wie bekomme ich meinen ganz normalen Alltag geregelt? Was wird aus meiner Berufstätigkeit? Was aus meinen Hobbys, meinen Vorlieben, meinen Zukunftsträumen? Wie soll ich weiterleben, wenn die Erkrankung tatsächlich nicht mehr weggeht? Wird meine Familie an dem allen zerbrechen? Werde ich die Kraft haben, dieses Leben zu leben? Und die vielleicht allerschlimmste Frage noch obendrauf: Wo, Gott, bist du eigentlich in all diesem Schmerz und den schrecklichen Unsicherheiten? Bettina war einfach nur noch angst und bange.
Bei mir war es so, dass die Fragen und negativen Gefühle eine Weile auf sich warten ließen. Erstaunlich lange sogar. Die kamen nicht nach fünf Monaten mit immer wiederkehrenden Schmerzen. Lange hielt ich irgendwie durch und verdrängte alles, was mich irgendwie hätte erschüttern können. Es dauerte Jahre, bis ich wütend, fassungslos, ängstlich und abgrundtief traurig wurde. Dann aber ging es richtig los. Negative Gefühle überschwemmten mein Leben bis auf die Grundfesten. Ich klappte zusammen.
Kennen Sie dieses Gefühlschaos von sich selbst? Oder hängen Sie vielleicht gerade jetzt richtig fest im Sumpf des Negativen? Oder gehören Sie – so wie ich früher – zu den scheinbar Obertapferen und haben noch wenig davon gespürt? Egal, wo Sie stehen, es gibt gute Aussichten: Jeder kann mit diesen starken Gefühlen besser zurechtkommen. Sie sind ein Teil des gesundheitlichen Problems. Sie gehören ganz einfach dazu. Wir werden im Kapitel 5 noch darüber nachdenken, wie wir mit diesen starken Gefühlen umgehen können.
Zum Weiterdenken:
Was empfinden Sie, wenn Sie an Ihre Erkrankung denken?
Bettina hatte schon viele Jahre als Christin gelebt, bevor die Krankheiten in ihr Leben kamen. Gott war da. Als Freund und Herr. Für vieles war sie ihm dankbar. Die kleinen und größeren Probleme konnte sie auch ganz gut mit ihm besprechen. Pubertierende Kinder, ein nerviger Arbeitskollege, ein Wasserrohrbruch. Sie erlebte Gebetserhörungen und kleine Veränderungen. Gut, aber nichts Weltbewegendes.