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Nach den tragischen Ereignissen am Chickahominy River bleibt für Lieutenant Jay Durango und seine Kameraden wenig Zeit, um ihre toten Gefährten zu trauern. Die nächste Mission wartet, und diesmal führt sie nach Tennessee. Der konföderierte General Braxton Bragg entschließt sich für eine Belagerung von Chattanooga. Das Unternehmen wird sorgfältig geplant und endet in einer grausamen Schlacht, die der Konföderation eine weitere Niederlage versetzt.
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Seitenzahl: 296
Veröffentlichungsjahr: 2025
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In dieser Reihe bisher erschienen
Civil War Chronicles
Buch Sieben
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Copyright © 2025 Blitz-Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Redaktion: Alfred Wallon, Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten
4807 vom 24.03.2025
ISBN: 978-3-68984–334-2
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Nachwort
Alfred Wallon
Vorwort
Die Schlacht am Chickamauga am 19. und 20. September 1863 hätte einen Wendepunkt für den Kriegserfolg der Konföderation darstellen können, wenn der kommandierende General Braxton Bragg eine richtige und vor allen Dingen wegweisende Entscheidung getroffen hätte. Die Zeichen standen günstig für die Truppen des Südens, denn die Divisionen des Unionsgenerals W.S. Rosecrans hatten nach der Schlacht panikartig die Flucht ergriffen und sich nach Chattanooga notgedrungen zurückziehen müssen. Dies galt auch für General G.H. Thomas und seine Soldaten, die im Gegensatz zu Rosecrans Truppen noch einen halbwegs geordneten Rückzug durchführen konnten. Dies änderte jedoch nichts an der ungünstigen Situation, in der sich die Unionstruppen befanden.
Hätte General Bragg jetzt den Befehl gegeben, den Feind zu verfolgen, zu stellen und eine weitere Schlacht herauszufordern, dann wäre dies das Ende für die Unionstruppen gewesen. Aber Bragg unternahm nichts, sondern entschied sich stattdessen für eine Belagerung der Stadt. Seine Kommandeure billigten diese Maßnahme überhaupt nicht, rebellierten offen gegen ihn und forderten bei Präsident Jefferson Davis dessen Ablösung.
Dieses Zögern Braggs sollte noch fatale Folgen haben, denn die Union nutzte natürlich diesen Zeitkorridor, um in einer beispiellosen und perfekt geplanten logistischen Aktion weitere Truppen nach Chattanooga zu transportieren. Der Oberkommandeur der Unionstruppen, General Ulysses S. Grant, betraute General Joseph E. Hooker mit dieser Aufgabe, und dieser schaffte es innerhalb von 13 Tagen, diesen gewaltigen Truppentransport nicht nur zu organisieren, sondern auch durchzuführen.
Anfang Oktober befanden sich 20.000 Unionssoldaten von der Potomac-Armee in der näheren Umgebung von Chattanooga, die es natürlich auch zu versorgen galt. Denn dies war mit großen Problemen verbunden, da Braggs Truppen im weiten Umkreis die Stadt belagerten und natürlich jegliche Vorstöße feindlicher Truppen zu unterbinden versuchten. Dass es der Union dennoch gelang, unbeobachtet eine Versorgungslinie zu errichten und dabei der konföderierten Armee eine schwere Schlappe zu versetzen, spricht für den Plan, den Hooker und seine Offiziere durchführten.
Am 28. und 29. Oktober begannen die ersten direkten Kämpfe bei Browns Ferry. Zu diesem Zeitpunkt waren die Unionstruppen auf ca. 70.000 Soldaten angewachsen (35.000 Soldaten, die unter Rosecrans und Thomas Kommando den Rückzug nach Chattanooga angetreten hatten und seitdem von den Konföderierten belagert wurden, sowie Hookers 20.000 Männer und 17.000 weiteren Soldaten, die unter General William Tecumseh Sherman zu einem späteren Zeitpunkt den Ort der Geschehnisse erreichten).
Vermutlich hätten die konföderierten Truppen zu diesem Zeitpunkt noch eine Chance gehabt, wenn Bragg in der Lage gewesen wäre, die richtige Entscheidung zu treffen. Aber er setzte nach wie vor auf eine Belagerung und rechnete damit, dass der Feind sich irgendwann ergab. Die Realität war jedoch eine völlig andere, und das sollten die konföderierten Truppen sehr bald zu spüren bekommen. Ausgerechnet in diesen Tagen entschied sich Bragg auch noch dafür, einen Teil seiner Truppen unter dem Kommando von General Stephen Longstreet nach Knoxville zu schicken. Dies war ein verhängnisvoller Fehler, der sich in den folgenden Tagen noch rächen sollte.
KAMPF UM CHATTANOOGA erzählt von den Kämpfen, die Ende Oktober bis Ende November stattfanden und letztendlich zu einem Rückzug der Konföderierten führten. Diese Niederlage war umso bitterer, weil Chattanooga ähnlich wie Vicksburg ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt war. Schon im kommenden Frühjahr sollte General Sherman von hier aus seinen Atlanta-Feldzug beginnen und dem Herz der Konföderation den Todesstoß versetzen. Aber dies ist eine andere Geschichte, die ich in den folgenden Bänden noch erzählen werde.
Augsburg, im April 2025
Alfred Wallon
Kapitel 1
Die flackernden Flammen im Kamin verbreiteten eine behagliche Wärme, aber Larry Calhoun fror trotzdem innerlich. Seine Miene wirkte angespannt, und die Gesichtsfarbe war bleich, wie die eines Mannes, der viele Monate lang krank gewesen und erst jetzt wieder im Begriff war, sich langsam zu erholen.
Jeder der im Raum versammelten Offiziere wusste, was Larry in den letzten Wochen erlebt hatte. Es gab einige Generäle im Kommandostab Grants, die ihm für seinen Mut und sein Durchhaltevermögen Respekt zollten. Aber es existierten auch Neider, die in Larry nur einen Zivilisten sahen, der nichts von militärischer Taktik verstand und dem man eine Teilnahme an einer Besprechung des Kommandostabes eigentlich verwehren sollte. Vermutlich hätten sie auch offen darauf bestanden, wenn Larry nicht von Präsident Lincoln persönlich beauftragt worden wäre.
„Gentlemen, die Lage ist etwas kompliziert, aber nicht aussichtlos”, riss Larry die Stimme von General Ulysses S. Grant aus seinen vielschichtigen Gedanken. Er bemühte sich, den aufsteigenden Hustenreiz in seiner Kehle zu unterdrücken und schaute hinüber zur gegenüberliegenden Wand, an der eine Karte hing und vor der Grant stand. Mit ihm im Raum befanden sich ebenfalls Major General Joseph E. Hooker, Major General Oliver Otis Howard und Brigadier General William F. Smith. „Unsere Leute können in der gegenwärtigen Situation keinen Ausbruch wagen. Dieser alte Fuchs Bragg hat seine Divisionen sowohl westlich als auch östlich von Chattanooga postiert.”
Er zeigte dabei auf die Karte, auf der die Lage der Stadt Chattanooga durch einen dunklen Punkt markiert war. Südöstlich des Tennessee River hatten sich die konföderierten Truppen bis zum Missionary Ridge zurückgezogen. Auf der gegenüberliegenden Seite, nicht weit vom Chattanooga Creek entfernt, erstreckte sich der Lookout Mountain, der, wie der Name schon sagte, als Beobachtungspunkt von großer strategischer Bedeutung war. Denn von hier aus konnte man sowohl Chattanooga als auch den Verlauf des Tennessee River überblicken. Wenn sich feindliche Truppen näherten, dann waren Braggs Soldaten rechtzeitig gewarnt und konnten entsprechende Vorkehrungen treffen.
„Der Truppentransport ist fast abgeschlossen, Sir”, meldete sich General Joseph Hooker zu Wort. „Niemand hat uns daran bisher gehindert. Bragg fühlt sich viel zu sicher bei dem, was er tut. Es wird für ihn ein böses Erwachen geben, wenn er erst unseren Truppen gegenübersteht.”
„Das wird zweifelsohne der Fall sein”, meinte General Grant. „Trotzdem hätten wir eine bessere Ausgangsposition, wenn sich Rosecrans nicht schon frühzeitig zurückgezogen hätte. Hätte er länger am Chickamauga durchgehalten, wäre es womöglich gar nicht dazu gekommen, dass auch Thomas den Rückzug antreten musste.”
Er sprach damit genau das aus, was die meisten Offiziere seines Kommandostabes dachten. Die Niederlage von Chickamauga saß tief und machte betroffen. Zumal Braggs Truppen ganz deutlich im Vorteil gewesen und eine bessere Kampfmoral gezeigt hatten.
„Ich glaube, Chattanooga wäre längst gefallen, wenn Bragg weiterhin Entschlossenheit gezeigt hätte”, meldete sich nun Larry Calhoun zu Wort und trat einen Schritt nach vorn. „Es gibt Gerüchte, die besagen, dass im Kommandostab der Konföderation Uneinigkeit herrscht. Das ist ein Vorteil, den wir ausnutzen sollten, und zwar ohne lang und breit darüber zu diskutieren. Sonst bekommen wir die gleichen Probleme wie Bragg. Präsident Lincoln besteht darauf, dass eine rasche Einigung getroffen wird, Gentlemen.”
Insbesondere für die letzte Bemerkung zog er sich einen giftigen Blick von Hooker zu. Aber zum Glück ergriff nun Grant wieder das Wort, weil er wusste, dass Larrys bevorzugte Behandlung einigen Leuten ein Dorn im Auge war. Selbst ein Pragmatiker wie Grant hatte schließlich erkennen müssen, dass Larry Calhouns Rolle bei der Belagerung und anschließenden Eroberung von Vicksburg sehr wichtig gewesen war.
„Wir werden einen Vorstoß wagen, und das Kommando übernehmen Sie, General Hooker”, entschied Grant nach kurzem Überlegen. „Unsere Truppen und die in der Stadt eingeschlossenen Soldaten müssen versorgt werden. Wir brauchen eine Nachschubroute, und diese sollte hier ihren Anfang nehmen.”
Wieder zeigte er auf eine Stelle auf der Landkarte, die bei Bridgeport ihren Anfang nahm und dann etwas tiefer bei Browns Ferry endete, also einige Meilen nördlich vom Lookout Mountain.
Hooker grinste, als ihm bewusst wurde, was General Grant damit meinte.
„Wenn uns das gelingt, könnten wir Braggs Truppen auf dem Lookout Mountain in Bedrängnis bringen, und das bedeutet wiederum, dass Chattanooga von Westen her geschwächt sein wird. Eine gute Idee, Sir.”
„Und damit sie auch erfolgreich umgesetzt werden kann, übernehmen Sie diese schwierige Aufgabe, General Hooker”, fügte Grant hinzu. „Ich habe im Vorfeld lange mit Brigadier General Smith gesprochen”, sagte er und schaute dabei zu dem Angesprochenen. „Erklären Sie den Gentlemen hier bitte alle Details.”
„Selbstverständlich, Sir”, antwortete Smith und schaute auf die von Grant markierte Stelle auf der Karte. „Browns Ferry ist in vielerlei Hinsicht ein idealer Ausgangspunkt für uns. Browns Ferry ist vom Mocassin Point, der befindet sich hier, leicht zu erreichen. Die schmale Straße führt an einem Einschnitt entlang, bevor sie weiter südlich vom Lookout Valley bis nach Wauhatchie Station führt. Westlich davon befindet sich Kelleys Ferry, ebenfalls ein guter Ort, den man vom Tennessee River aus mit Booten leicht erreichen kann. Wenn es uns gelingt, Browns Ferry einzunehmen und von hier aus eine Verbindung zu General Hookers Truppen zu schaffen, dann haben wir schon das erste wichtige Ziel erreicht. Über das Lookout Valley könnten wir dann weitestgehend ungehindert eine Nachschublinie bilden. Von Browns Ferry aus könnten unsere Truppen jeden weiteren Störversuch der Union sofort unterbinden. Ich stelle mir das so vor, dass ein Trupp unter dem Kommando von Brigadier General John B. Turchin flussabwärts zieht und die Hügel am westlichen Ufer des Tennessee River besetzt. Währenddessen marschiert ein zweiter Trupp unter dem Kommando von Brigadier General William B. Hazen in Richtung Mocassin Point und setzt von dort den Weg mit Booten fort. Was halten Sie von diesem Vorschlag, Gentlemen?”
„Browns Ferry liegt direkt am Tennessee River”, gab Larry Calhoun zu bedenken. „Für General Hazens Soldaten ist das fast ein Himmelfahrtskommando und …”
„Nicht, wenn sie den Plan einhalten, den ich ausgearbeitet habe, Mister Calhoun”, fiel ihm Smith ins Wort. „Es ist Herbst, und das Wetter ist dementsprechend. Regen, Kälte und oft Nebel. Eine günstigere Voraussetzung gibt es nicht.”
„Wenn Sie meinen”, erwiderte Larry. „Die Rebellen werden trotzdem auf der Hut sein.”
„Es ist dennoch ein sehr guter Schachzug”, meinte nun auch General Howard. „Auf diese Weise treiben wir einen Keil zwischen Braggs Truppen und könnten dadurch unsere eigene Position stärken. Unsere Leute in Browns Ferry werden die rechte Flanke der Rebellenarmee in große Bedrängnis bringen.”
Damit sprach er genau das aus, was die anderen im Raum anwesenden Offiziere dachten. Auch Larry teilte diese Ansicht und nickte anerkennend. General Smith war ein guter Stratege und hatte schon des Öfteren für Grant den einen oder anderen Plan entworfen. Vielleicht würde dieser auch jetzt wieder zum Erfolg führen und der Konföderation eine herbe Niederlage bereiten.
„Wir sollten mit der Durchführung des Plans unverzüglich beginnen”, sagte Grant abschließend, nachdem er sich mit einem kurzen Blick in die Runde versichert hatte, dass alles Weitere nun beschlossene Sache war. „Mister Calhoun”, wandte er sich daraufhin an Larry. „Es könnte gefährlich werden. Sie sind gesundheitlich noch nicht ganz auf der Höhe. An Ihrer Stelle würde ich es mir wirklich genau überlegen, ob …”
„Es ist kein Problem, General”, fiel ihm Larry ins Wort. „Unser Präsident erwartet von mir regelmäßige Berichte über das Vorgehen des Feindes. Von Browns Ferry aus werde ich versuchen, mich nach Chattanooga durchzuschlagen. Gibt es etwas, was Sie General Rosecrans und General Thomas übermitteln wollen? Dann wäre jetzt der richtige Augenblick dafür, Sir.”
Grant musste lächeln, als er Larrys Entschlossenheit sah. Er wünschte, er hätte mehr Männer in seinem Stab gehabt, die ein solches Durchhaltevermögen zeigten.
„Sagen Sie ihnen, dass sie durchhalten sollen und dass wir alles tun werden, um die Blockade von Chattanooga so rasch wie möglich aufzuheben, Mister Calhoun. Ich wünsche Ihnen auf Ihrer Mission viel Glück.”
Damit war die Besprechung beendet. Grant nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz und gab dadurch den anderen Offizieren zu verstehen, dass sie den Raum verlassen sollten. Das galt aber nicht für Hooker und Larry, denen Grant mit einer knappen, aber umso deutlicheren Geste andeutete, noch einen Moment zu bleiben.
„Ich habe bemerkt, dass es Ihnen nicht gefällt, einen Zivilisten in Ihrer Truppe zu haben, General Hooker”, wandte sich Grant an ihn. „Ich möchte Sie bitten, Ihre Skepsis abzulegen und Mister Calhoun vollste Unterstützung bei der Durchführung seiner Mission zu gewähren. Falls Sie das vergessen haben sollten: Der Präsident persönlich legt Wert darauf.”
„Das ist mir bewusst, General Grant”, erwiderte Hooker, hatte aber dennoch Mühe, seine schlechte Laune unter Kontrolle zu halten. Weil er natürlich vermutete, dass Calhoun ihm irgendwelche Vorschriften machen würde.
„Wir alle haben das gleiche Ziel”, sagte Larry. „Es geht ausschließlich darum, die Blockade von Chattanooga zu beenden und dafür zu sorgen, dass die Rebellen aufgeben. Die Wahl der Mittel ist dabei völlig gleichgültig. Nur das Ziel zählt.”
„Sie sagen es, Mister Calhoun”, meinte Grant. „Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihre Mission zu einem guten Ende führen. Der Präsident wird es sicher zu schätzen wissen, wenn er erfährt, dass General Hookers Truppen dabei eine Schlüsselstellung hatten.”
Solche Worte verstand Hooker. Deshalb schwieg er und vergaß seinen Groll gegen Larry Calhoun. Ein Zivilist, der über solche Kontakte und Einfluss verfügte, war ihm aber dennoch nicht ganz geheuer.
„Mit etwas Glück ist dieser Spuk in spätestens vier Wochen vorbei, Sir”, sagte Hooker zu Grant, bevor er ging. „Wir werden den Rebellen so einheizen, dass ihnen Hören und Sehen vergeht.”
* * *
Es regnete schon seit einer Stunde. Der Wind, der von Osten kam, wehte den Männern, die Wachposten bei Browns Ferry bezogen hatten, direkt ins Gesicht. Neil Vance zog den Kragen seiner Jacke etwas höher, aber es nutzte nichts. Auch der schützende Mantel, den er noch zusätzlich trug, konnte die Kälte letztendlich nicht abhalten. Vance fror, er war müde, und seine Laune hatte den sprichwörtlichen Nullpunkt erreicht.
Seinem Kameraden Tom Higgins erging es nicht anders. Die beiden Soldaten hatten genau in dem Moment die Wachablösung angetreten, als es zu regnen begonnen hatte. Die anderen beiden Soldaten, die das Ufer bei Browns Ferry bis zum Einbruch der Dunkelheit bewacht hatten, konnten sich jetzt wenigstens in ihre Zelte begeben und so Schutz vor dem Regen suchen. Vance und Higgins dagegen blieb nichts Anderes übrig, als den Regenguss zu ertragen und darauf zu hoffen, dass es bald wieder aufhörte.
„Was meinst du, Neil?”, wollte Higgins von seinem Kameraden wissen. „Wie lange wird es noch dauern, bis wir Chattanooga eingenommen haben?”
„Du willst doch nicht wirklich eine Antwort darauf haben?”, meinte Vance kopfschüttelnd angesichts dieser naiven Frage. „Wenn das so weitergeht, dann sind wir noch Weihnachten hier. Es geschieht ja doch nichts. Oder hast du irgendetwas davon gehört, dass Bragg mit seinen Truppen weiter nach Chattanooga vorrücken will?”
„Nicht, dass ich wüsste”, sagte Higgins und suchte in den Taschen seiner Jacke nach dem Tabakbeutel. Er unterließ es aber, als der Regen wieder stärker wurde. Trotzdem mussten er und Vance hier weiter ausharren. Man würde sie erst gegen Mitternacht wieder ablösen, und bis dahin würden sie völlig durchgefroren sein. Einzig und allein die Hoffnung, dass sie dann noch eine Chance hatten, ihre Kleidung an einem Feuer trocknen zu können, hielt sie noch aufrecht.
Die Situation bei Browns Ferry war unbefriedigend für die Soldaten, die man hier abkommandiert hatte. Schon seit fast zwei Wochen hatte sich nichts mehr getan, und die Tage waren endlos. Die Yankees hatten keinen weiteren Vorstoß von Bridgeport aus unternommen, um den in Chattanooga eingeschlossenen Kameraden zu helfen. Anfangs hatten sie versucht, über das Schienennetz Proviant und weitere Truppen hierher zu bringen. Aber diese Absicht hatte der konföderierte General Braxton Bragg natürlich längst erkannt und entsprechende Maßnahmen beschlossen.
Higgins, Vance sowie Lieutenant Durango und Sergeant McCafferty waren Teil eines Kommandos gewesen, das die Schienen zwischen Bridgeport und Browns Ferry an mehreren Stellen gesprengt hatte. Aus Richtung Norden gab es vorerst keine weitere funktionierende Schienenverbindung mehr. Nördlich von Bridgeport dagegen dominierte die Präsenz der Yankees, und dass sie nichts unversucht ließen, um weitere Truppen in diese Region zu bringen, lag auf der Hand.
„Wir haben ihnen ordentlich den Marsch geblasen, Tom”, sagte Vance und konnte sich dabei ein Grinsen nicht verkneifen. Denn er war der Sprengexperte in Lieutenant Durangos Truppe und hatte seine Kenntnisse schon mehrfach unter Beweis gestellt. „Beschwere dich nicht und genieße lieber die Ruhe. Wer weiß, wie lange das noch so bleiben wird?”
„Mac hat Glück, dass er bis jetzt nicht zu kämpfen brauchte”, meinte Higgins. „Erinnerst du nicht doch, wie er geflucht hat, als ihm der Lieutenant sagte, dass er sich noch schonen muss?”
„Stimmt”, nickte Vance. „Wäre es nach unserem Sergeant gegangen, dann hätte er am liebsten eigenhändig die Schienen gesprengt. Er ist noch ein wenig schwach auf den Beinen. Aber das wird von Tag zu Tag besser.”
„Unser Sergeant ist ein zäher Bursche, Neil. Der gibt so schnell nicht auf. Nur als er von Fishers und Porters Tod erfuhr, habe ich ihn zum ersten Mal wanken sehen. Das Bild vergesse ich nie mehr, als er …”
„Ich weiß”, unterbrach Vance seinen Kameraden. „Es ist ein schrecklicher Gedanke, zu begreifen, dass Ben und Frank nicht mehr bei uns sind. In Nächten wie diesen kommt es mir so vor, als hätte unser Lieutenant die beiden nur auf einen Spähtrupp geschickt, von dem sie bis jetzt noch nicht zurückgekommen sind.”
Er blickte bei den letzten Worten betreten zu Boden und war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkte, dass der Regenschauer allmählich nachließ. Nur der kalte Wind war geblieben, der ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
Higgins erwiderte nichts darauf. Was hätte er denn auch sagen sollen? Ihm selbst erging es ähnlich wie Vance. Sie waren eine verschworene Truppe gewesen und hatten so manche lebensbedrohliche Situation in den Wirren des Bürgerkrieges meistern können, bis zu dem Moment, als der Tod zugeschlagen und die beiden Kameraden aus ihrer Mitte gerissen hatte.
„Der Lieutenant und Mac müssten auch bald wieder zurückkommen”, meinte Higgins und ging dabei bewusst nicht weiter auf den Tod von Fisher und Porter ein. „Einen Erkundungsritt ausgerechnet bei diesem Wetter zu unternehmen, war auch keine gute Idee.”
„Als sie los geritten sind, waren noch keine dunklen Regenwolken in Sicht”, seufzte Vance. „Hoffentlich haben sie wenigstens einen trockenen Unterschlupf finden können, bevor …”
Er wollte noch mehr sagen, brach aber ab, als er drüben beim Zeltlager laute Stimmen hörte. Higgins und Vance konnten nicht sehen, was dort drüben geschah, weil der Mond von dichten Wolken verborgen war und zwischen den Zelten nur noch ein Feuer brannte. Vance glaubte aber auch, Hufschläge gehört zu haben.
Ungeduldig schaute er zu dem Gebäudekomplex, der an der Furt errichtet war und bemerkte, wie dort weitere Stimmen zu hören waren. Augenblicke später hörte er das Wiehern eines Pferdes und kurz darauf Schritte, die sich dem Flussufer näherten.
Vance und Higgins kannten den Mann, der einen langen Mantel über seiner grauen Uniform trug und sich den breitkrempigen Armeehut tief in die Stirn gezogen hatte. Es war Lieutenant Jay Durango. Also konnte auch Sergeant McCafferty nicht mehr weit entfernt sein.
„Mac hat sich schon zur Ruhe begeben”, sagte Durango zu seinen beiden Kameraden, weil ihm ihre suchenden Blicke nicht entgangen waren. „Der Ritt war ein bisschen viel für ihn. Er ist noch schwach.”
„Jemand muss ihm sagen, dass er sich selbst nicht überschätzen soll, Lieutenant”, sagte Vance. „Auf uns hört Mac aber nicht. Wenn wir ihm das zu erklären versuchen, dann winkt er immer nur ab und will nichts davon wissen. Vielleicht reagiert er anders, wenn du es ihm einmal begreiflich machst.”
„Mac kann manchmal einen ziemlichen Dickschädel haben”, erwiderte Durango. „Aber er weiß, wann seine Grenzen erreicht sind. Keine Sorge, ich behalte das im Auge. Verlasst euch darauf.”
„Habt ihr unterwegs Hinweise auf Yankeesoldaten gefunden?”, wollte nun Higgins wissen.
„Nicht direkt”, erwiderte Durango achselzuckend. „Es ist immer noch alles ruhig, aber wenn ihr mich fragt, dann ist das zu ruhig.”
„Glaubst du, dass die Yankees etwas aushecken?”
„Grant wartet bestimmt nicht darauf, dass ein Wunder geschieht. Er weiß, welche strategische Bedeutung Chattanooga hat. Bei der Belagerung von Vicksburg saß er auch am längeren Hebel.”
„Das mag schon sein, aber er und seine Yankee-Soldaten werden es diesmal verdammt schwer haben”, gab Vance zu bedenken. „Wir haben die Bahnlinie zwischen Bridgeport und Chattanooga an mehreren Stellen in die Luft gesprengt. So schnell kommen die nicht vorwärts. Nicht bei diesem Wetter.”
„Aber sie haben es trotzdem versucht”, entgegnete Durango. „Auch, wenn sie dabei immer wieder von unseren Leuten gestoppt wurden. Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Pferde und Maultiere sie schon bei dem Wagnis verloren haben, unsere Linien zu durchbrechen. Trotzdem glaube ich, dass Grant nicht mehr lange untätig bleiben wird. Er lässt nichts unversucht, sein Ziel zu erreichen. Oder habt ihr schon vergessen, was er unternommen hat, um Vicksburg einzunehmen?”
Higgins und Vance nickten bei diesen Worten. Sie konnten sich noch sehr gut daran erinnern, in welchem Würgegriff sich Vicksburg befunden hatte. Grant hatte mit seinen Kanonenbooten sowohl von Norden als auch von Süden den Mississippi unter Kontrolle gebracht, und auf diese Weise war eine weitere wichtige Überlebensroute des Südens zum Erliegen gekommen. Diese Niederlage hatte sich nur wenig später bei Gettysburg fortgesetzt.
Jetzt im späten Herbst des Jahres 1863 war von dem Optimismus nicht mehr viel zu spüren, der die konföderierten Soldaten einst ergriffen und dazu ermutigt hatte, selbst gegen eine Übermacht der Union verbissen zu kämpfen. Aber noch daran zu glauben, dass selbst ein Stratege wie General Robert E. Lee das Schicksal noch wenden konnte, war mittlerweile nur noch ein vager Traum.
„Haltet weiterhin die Augen offen”, sagte Durango. „Ich sorge dafür, dass ihr noch vor Mitternacht abgelöst werdet. Es zieht Nebel auf, und es wird eine mondlose Nacht. Die Wolken werden sich noch einige Stunden halten. Ihr wisst, was das bedeutet?”
„Lieutenant, die Yankees werden doch nicht so verrückt sein und einen Angriff vom Fluss aus starten!”, sagte Higgins. „Die kommen nicht weit. Wir haben doch sowohl hier als auch weiter oberhalb Wachen aufgestellt. Die würden sofort Alarm schlagen, wenn …”
„Ich will nur sichergehen”, fiel ihm Durango ins Wort. „Es sind schon genügend gute Männer in unseren Reihen gestorben. Ich will nicht noch mehr verlieren.”
Damit war alles gesagt, und er wandte sich ab. Kurz darauf verschwand er zwischen den Zelten.
„Der Lieutenant hat schlechte Laune”, brummte Higgins. „Was können wir denn dafür?”
„Nimm es nicht persönlich”, winkte Vance ab. „Er meint das nicht so.”
Während er das sagte, schaute er in Richtung Flussmitte. Jay Durango hatte Recht gehabt. Langsam zog Nebel auf. Und er trieb genau über dem Fluss. Auch wenn Vance das vor seinem Kameraden niemals zugegeben hätte, aber die Worte des Lieutenants stimmten ihn mit jeder weiteren Minute immer nachdenklicher.
* * *
Sergeant Sean McCafferty hatte seine Decken auf dem Boden ausgebreitet und sich hingelegt. Er fühlte sich müde und ausgelaugt, aber schlafen konnte er trotzdem nicht. Ihm gingen zu viele Gedanken durch den Kopf, die ihm keine Ruhe gaben. Immer wieder dachte er daran, was in den letzten Tagen und Wochen geschehen war, und auch daran, dass er dem Tod in Libby Prison nur knapp entronnen war. Die schwere Verletzung hatte sehr an seinen Kräften gezehrt, und er sah zehn Jahre älter aus, als er eigentlich war.
Draußen hörte er die Stimmen seiner Kameraden. Einige von ihnen hatten sich an einem Lagerfeuer versammelt und sangen patriotische Lieder. McCaffertys Stimmung war jedoch alles andere als das. Er machte sich noch immer Vorwürfe, dass er im entscheidenden Moment nicht an der Seite von Lieutenant Durango und den anderen Soldaten seiner Truppe gekämpft hatte. Unter Umständen hätte er vielleicht die tragischen Ereignisse verhindern können, die schließlich dazu geführt hatten, dass Frank Porter und Ben Fisher gestorben waren. Aber so sehr er sich auch den Kopf darüber zermarterte: Eine Antwort auf diese Fragen würde er niemals mehr erhalten.
In diesem Augenblick wurde die Zeltplane beiseitegeschoben, und Lieutenant Durango kam herein. Er verhielt sich leise, um McCafferty nicht aufzuwecken, schaute kurz zu ihm herüber und bemerkte dann, dass dieser noch wach war.
„Ich dachte, du wolltest schlafen”, meinte Durango zu ihm, während er ebenfalls seine Decken auf dem Boden ausbreitete. „Tu das lieber, du brauchst Ruhe, Mac.”
„Behandele mich nicht wie einen alten Mann, Lieutenant”, erwiderte McCafferty etwas schärfer, als er das eigentlich beabsichtigt hatte. „Ich kann nichts dafür, dass mich einer von diesen verdammten Yankees fast umgebracht hat.”
„Deine Nerven sind auch nicht mehr die besten”, sagte Durango seufzend. „Vielleicht solltest du endlich mal aufhören, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Umso schneller wirst du wieder der Alte.”
McCafferty erwiderte nichts darauf, sondern blickte nur betreten zu Boden.
Er schien etwas zu überlegen, behielt seine Gedanken zumindest in diesem Augenblick aber für sich.
„Wir haben hier einen Job zu machen, Mac”, sprach Durango weiter, während er sich auch auf dem Boden ausstreckte und das Gesicht verzog, weil auch hier alles feucht war. „Und davon hängt einiges ab. Ich kann dich sehr gut verstehen, auch Higgins und Vance. Aber es nützt nichts mehr, sich Vorwürfe zu machen und den Kopf darüber zu zerbrechen. Fisher und Porter sind tot. Sie hatten keine Chance. Vermutlich auch dann nicht, wenn du mit dabei gewesen wärst.”
„Dieser verdammte Calhoun!”, schnaufte McCafferty. „Er ist an allem schuld. Ich wünschte, er würde mir bald wieder gegenüberstehen, und dann würde ich ihn …”
„Vielleicht geschieht das schneller, als wir denken, Mac”, fiel ihm Durango ins Wort. „Der Kerl hat uns bis jetzt einige böse Überraschungen bereitet. Ich würde fast darauf wetten, dass er schon wieder in einer neuen Mission unterwegs ist.”
„Das ist mir egal”, seufzte McCafferty. „Wenn er mir das nächste Mal über den Weg läuft, dann knalle ich ihn ab.”
Durango erwiderte nichts darauf. McCaffertys Hass saß noch tief. Vielleicht würde sich das irgendwann ändern, wenn etwas mehr Zeit vergangen war. Aber bestimmt nicht heute oder morgen oder in den nächsten Tagen.
Der irische Sergeant wandte sich von Durango ab und zog die Decke höher. Betretenes Schweigen breitete sich im Zelt aus, bis schließlich die ruhigen und gleichmäßigen Atemzüge verrieten, dass McCafferty als Erster eingeschlafen war. Bei Durango dauerte es noch knapp zehn Minuten länger, bis sich auch bei ihm endlich die Müdigkeit einstellte, trotz des kalten und feuchten Bodens, auf dem er lag.
* * *
Der Nebel, dessen dichte Schwaden sich mittlerweile über weite Teile des Tennessee River ausgebreitet hatten, stellte einen gespenstischen Anblick für die Soldaten dar, die in den Booten hockten und darauf hofften, dass die Strömung sie weiter nach Süden trug.
Es waren insgesamt 50 Flöße und zwei größere Boote mit insgesamt 1.500 zu allem entschlossenen Soldaten, die dieses Wagnis eingingen. Jeder von ihnen wusste, wie gefährlich diese Mission war. Aber noch schützte sie der dichte Nebel, und die Männer hofften, dass dies auch weiterhin so bleiben würde.
Einer der Männer in den Booten war Larry Calhoun. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, die Soldaten auf ihrer gefährlichen Mission zu begleiten. Natürlich wusste er, dass dies kein leichtes Unterfangen war. Aber von Browns Ferry aus würde er mehr Chancen haben, bis nach Chattanooga zu kommen. Wenn dieser wichtige Ort erst einmal von den Unionstruppen eingenommen und dann kontrolliert wurde, dann trieb die Unionsarmee einen Keil zwischen Braggs Truppen, die auf dem Lookout Mountain Stellung bezogen hatten. Und mit der Hilfe von Turchins und Hookers Soldaten würde dieser Keil auch von Dauer sein. In der Zwischenzeit konnte man eine Versorgungslinie von Bridgeport aus errichten und auf diese Weise den in Chattanooga eingeschlossenen Soldaten und Zivilisten helfen, ihre Not zu lindern.
Larry befand sich auf einem der vorderen Flöße und verhielt sich genauso ruhig wie die anderen Soldaten. Die meisten kauerten auf dem Floß, um einem möglichen Gegner ein kleines Ziel zu bieten. Nur die Männer, die die Flöße steuerten, trugen das Risiko. Aber zumindest in dieser Nacht würde es gering sein, denn die Nebelschwaden waren immer dichter geworden, sodass man das gegenüberliegende Ufer nur noch schemenhaft wahrnehmen konnte.
Larry riskierte einen Blick in diese Richtung. Aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte einfach nichts erkennen. Das ließ ihn hoffen, dass man auch vom Ufer die Flöße und Boote mit den Unionssoldaten nicht bemerkte. Die Strecke bis nach Browns Ferry führte über sieben Meilen am Tennessee River entlang, und man musste jederzeit damit rechnen, auf bewaffnete Posten zu stoßen, die ihre Kameraden natürlich sofort alarmieren würden, wenn sie irgendetwas hörten oder sahen.
Aber das Schicksal meinte es gut mit General Hazens Soldaten in dieser Nacht. Die wabernden Nebelschleier verbargen sie vor jeglichen Blicken, und die Flut trieb die Flöße und Boote unaufhaltsam weiter in Richtung Browns Ferry. Nur ab und zu hörte man, wie einer der Soldaten das Steuerruder bewegte, aber selbst dieses Geräusch wurde vom allgegenwärtigen Nebel verschluckt und war drüben am Ufer nicht mehr zu hören.
Larry wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit die Soldaten in Bridgeport abgelegt hatten und auf dem Tennessee River weiter nach Süden fuhren. Er dachte daran, dass auch General Turchin und General Hooker in der Zwischenzeit sicher nicht untätig geblieben waren und mit ihren Soldaten weiter in Richtung Lookout Mountain vorstießen. Wenn sie wirklich in Gefechte mit Konföderierten verwickelt wurden, und davon musste man nach Lage der Dinge eigentlich ausgehen, dann würde sich die Aufmerksamkeit von Bragg auf diesen Angriff konzentrieren. Niemand würde vermuten, dass die Unionstruppen ein solch zweites waghalsiges Unternehmen starteten.
Larrys Vater Brett Justin Calhoun hatte seinen Söhnen einmal gesagt, dass man stets das Unerwartete tun musste, um seinen Gegner zu verwirren, und genau das beinhaltete General Hazens Plan. Der mutige Offizier hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst an dieser riskanten Operation teilzunehmen, und dafür bewunderten ihn seine Männer. Denn es gab Offiziere, die Soldaten nur als Figuren in einem gigantischen Schachspiel sahen, mit denen man nach Belieben verfahren konnte. Hazen gehörte jedenfalls nicht dazu.
Knapp 100 Meter weiter flussabwärts lichtete sich der Nebel ein wenig. Larry murmelte einen leisen Fluch und hoffte, dass ihm und den anderen Soldaten das nicht zum Verhängnis wurde. Aber sie hatten Glück. An dieser Stelle des Flusses hatten die Rebellen offensichtlich keine Wachposten zurückgelassen.
Nur fünf Minuten später wurden die Flöße und Boote wieder von einer neuen Nebelbank eingehüllt, und diesmal hielt der Nebel an. Sie trieben weiter flussabwärts und lauschten in die Nacht hinein. Ihre Sinne waren aufs Äußerste angespannt, als sie auf einmal in der Ferne Stimmen hörten.
„Die singen den Dixie”, murmelte einer der Soldaten, der neben Larry auf dem Floß lag. „Wenn ich das höre, dann kommt mir die Galle hoch. Mein Bruder ist bei Gettysburg gefallen, als er und seine Kameraden den Little Round Top verteidigt haben. Wenn’ s nach mir ginge, dann würde ich am liebsten …”
„Heb dir das für später auf”, unterbrach ihn Larry und deutete ihm mit einer kurzen, aber ganz eindeutigen Geste an, jetzt lieber zu schweigen. Noch stand der Wind günstig, aber das konnte sich auch rasch wieder ändern, und dann mussten sie noch vorsichtiger sein.
Der Nebel kommt wirklich wie gerufen, dachte Larry und hob den Kopf. Wenn einer von den Wachposten einen Alarmschuss abgibt, dann ist hier die Hölle los. Hoffentlich geht das noch eine Weile gut. Wir müssten doch eigentlich bald bei Browns Ferry ankommen.
So sehr er sich auch bemühte, er konnte das Ufer nur schemenhaft erkennen. Manchmal waren die Nebelschleier so dicht, dass man gerade mal das Floß sehen konnte, das direkt hinter ihnen trieb. Sonst aber nichts mehr.
Jemand lachte irgendwo drüben am anderen Ufer, und eine andere Stimme rief etwas zurück, was Larry nicht genau verstehen konnte. Es spielte auch keine Rolle. Hauptsache, die Rebellen glaubten auch weiterhin, dass ihnen vom Fluss her keine Gefahr drohte.
Irgendwann blieben die Stimmen hinter ihnen zurück, und nur noch das Rauschen des Flusses war zu hören, der die Flöße und die Boote weiter nach Süden trieb. Trotzdem steuerte das erste Floß jetzt in Richtung Ufer, allerdings sehr langsam, weil die Soldaten auf Nummer Sicher gehen wollten.
Larry erhob sich langsam und ließ seine Blicke in die Runde schweifen, als er das Floß verließ und endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Die ganze Aktion ging leise vonstatten. Jeder der Männer wusste, was er zu tun hatte.
General Hazen entschied sofort, was als Nächstes zu tun war. Er schickte einen Spähtrupp von vier Soldaten los und trug ihnen vorher auf, sich bei der geringsten Gefahr sofort wieder zurückzuziehen. Wenige Minuten später waren die Späher wieder im dichten Nebel verschwunden, der sich zwischenzeitlich auch am Ufer ausgebreitet hatte.
Am liebsten wäre Larry mitgekommen, um sich persönlich ein Bild von der Lage zu machen, aber der General hatte hier das Kommando, und als geduldeter Zivilist bei einer militärisch bedeutenden Operation hielt er sich besser im Hintergrund, wenn er sich nicht den Unmut des Generals zuziehen wollte.
Die Zeit bis zur Rückkehr des kleinen Spähtrupps wollte einfach nicht vergehen. Erst als er die Soldaten wieder im Nebel auftauchen sah, legte sich die Anspannung, die von ihm und den meisten anderen Soldaten Besitz ergriffen hatte.
„Weit und breit ist kein Wachposten zu sehen, Sir”, meldete ein Lieutenant. „Der Ring um Browns Ferry ist doch weiter, als wir angenommen haben. Wir kamen fast bis in die Nähe ihres Camps, sind dann aber wieder umgekehrt.”
„Gut”, erwiderte Hazen. „Dann werden wir jetzt unsere Operation starten.”
Weiterer Worte bedurfte es nicht. Hazen teilte seine Soldaten auf. Der überwiegende Teil der Männer sollte sich unbemerkt an Browns Ferry heranschleichen und dann das Feuer auf die Rebellen eröffnen. Die Zeitspanne, die sich aus diesem Überraschungsangriff dann hoffentlich ergab, wollten die übrigen Soldaten nutzen, um vom Fluss her anzugreifen und die Rebellen dadurch in die Zange zu nehmen. Mit etwas Glück konnte dieser geschickte Schachzug ohne große Verluste zu Ende gebracht werden.
Larry entschloss sich, mit den Soldaten an Land den Marsch fortzusetzen. Dies galt auch für General Hazen. Wenige Minuten später bahnten sich die Soldaten ihren Weg durch das Gebüsch und hielten dabei Ausschau nach Wachposten. Mittlerweile zeichneten sich am fernen Horizont bereits die ersten Schimmer der Morgendämmerung ab. Die Unionssoldaten hatten somit keine Zeit mehr zu verlieren. So mussten so bald wie möglich angreifen, denn zu dieser Stunde schliefen die meisten der bei Browns Ferry stationierten Soldaten vermutlich noch tief und fest.
Larry hielt seinen Revolver griffbereit in der Hand, während er Seite an Seite mit den Unionssoldaten seinen Weg fortsetzte. Am Horizont wurde es immer heller. Bald würde die Sonne aufgehen.
In knapp hundert Meter Entfernung tauchten in der Morgendämmerung die Gebäude von Browns Ferry auf, und die Armeezelte, in denen die konföderierten Soldaten kampierten. Aber nur eine Handvoll Männer war zu dieser frühen Stunde schon wach. Und keiner von ihnen hatte eine Waffe in der Hand.
Plötzlich zerriss das Aufbellen mehrerer Schüsse die Stille des frühen Morgens. Bruchteile von Sekunden später schrie jemand „Alarm!”
General Hazen reagierte sofort.
„Angriff!”, rief er den Soldaten zu, zog dabei seinen Säbel und hielt ihn hoch. Das war das Zeichen für die Unionssoldaten, loszuschlagen!
Kapitel 2
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