Clavigo - Johann Wolfgang von Goethe - E-Book

Beschreibung

Clavigo ist ein Trauerspiel in fünf Akten von Johann Wolfgang von Goethe mit Beaumarchais als Bühnenfigur. Im Mai 1774 in nur acht Tagen geschrieben, lag das Bühnenmanuskript bereits im Juli 1774 gedruckt vor, als erstes unter Goethes Namen publiziertes Werk.

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Johann Wolfgang von Goethe

Clavigo

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Clavigo

Personen.

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Impressum neobooks

Clavigo

Personen.

Clavigo, Archivarius des Königs

Carlos, dessen Freund

Beaumarchais

Marie Beaumarchais

Sophie Guilbert, geborne Beaumarchais

Guilbert, ihr Mann

Buenco

Saint George

Der Schauplatz ist zu Madrid.

Erster Akt

Clavigos Wohnung.

Clavigo. Carlos.

CLAVIGO vom Schreibtisch aufstehend. Das Blatt wird eine gute Wirkung tun, es muß alle Weiber bezaubern. Sag mir, Carlos, glaubst du nicht, daß meine Wochenschrift jetzt eine der ersten in Europa ist?

CARLOS. Wir Spanier wenigstens haben keinen neueren Autor, der so viel Stärke des Gedankens, so viel blühende Einbildungskraft mit einem so glänzenden und leichten Stil verbände.

CLAVIGO. Laß mich! Ich muß unter dem Volke noch der Schöpfer des guten Geschmacks werden. Die Menschen sind willig, allerlei Eindrücke anzunehmen; ich habe einen Ruhm, ein Zutrauen unter meinen Mitbürgern; und, unter uns gesagt, meine Kenntnisse breiten sich täglich aus, meine Empfindungen erweitern sich, und mein Stil bildet sich immer wahrer und stärker.

CARLOS. Gut, Clavigo! Doch wenn du mir's nicht übelnehmen willst, so gefiel mir damals deine Schrift weit besser, als du sie noch zu Mariens Füßen schriebst, als noch das liebliche, muntere Geschöpf auf dich Einfluß hatte. Ich weiß nicht, das Ganze hatte ein jugendlicheres, blühenderes Ansehen.

CLAVIGO. Es waren gute Zeiten, Carlos, die nun vorbei sind. Ich gestehe dir gern, ich schrieb damals mit offnerem Herzen, und wahr ist's, sie hatte viel Anteil an dem Beifall, den das Publikum mir gleich anfangs gewährte. Aber in der Länge, Carlos, man wird der Weiber gar bald satt; und warst du nicht der erste, meinem Entschluß Beifall zu geben, als ich mir vornahm, sie zu verlassen!

CARLOS. Du wärst versauert. Sie sind gar zu einförmig. Nur, dünkt mich, wär's wieder Zeit, daß du dich nach einem neuen Plan umsähest, es ist doch auch nichts, wenn man so ganz auf'm Sand ist.

CLAVIGO. Mein Plan ist der Hof, und da gilt kein Feiern. Hab ich's für einen Fremden, der ohne Stand, ohne Namen, ohne Vermögen hieher kam, nicht weit genug gebracht? Hier an einem Hofe! unter dem Gedräng von Menschen, wo es so schwer hält, sich bemerken zu machen? Mir ist's so wohl, wenn ich den Weg ansehe, den ich zurückgelegt habe. Geliebt von den Ersten des Königreichs! geehrt durch meine Wissenschaften, meinen Rang! Archivarius des Königs! Carlos, das spornt mich alles; ich wäre nichts, wenn ich bliebe, was ich bin! Hinauf! Hinauf! Und da kostet's Mühe und List! Man braucht seinen ganzen Kopf; und die Weiber, die Weiber! Man vertändelt gar zu viel Zeit mit ihnen.

CARLOS. Narre, das ist deine Schuld. Ich kann nie ohne Weiber leben, und mich hindern sie an gar nichts. Auch sag ich ihnen nicht so viel schöne Sachen, röste mich nicht monatelang an Sentiments und dergleichen; wie ich denn mit honetten Mädchen am ungernsten zu tun habe. Ausgeredt hat man bald mit ihnen; hernach schleppt man sich eine Zeitlang herum, und kaum sind sie ein bißchen warm bei einem, hat sie der Teufel gleich mit Heiratsgedanken und Heiratsvorschlägen, die ich fürchte wie die Pest. Du bist nachdenkend, Clavigo?

CLAVIGO. Ich kann die Erinnerung nicht loswerden, daß ich Marien verlassen – hintergangen habe, nenn's, wie du willst.

CARLOS. Wunderlich! Mich dünkt doch, man lebt nur Einmal in der Welt, hat nur Einmal diese Kräfte, diese Aussichten, und wer sie nicht zum besten braucht, wer sich nicht so weit treibt als möglich, ist ein Tor. Und heiraten! heiraten just zur Zeit, da das Leben erst recht in Schwung kommen soll! sich häuslich niederlassen, sich einschränken, da man noch die Hälfte seiner Wanderung nicht zurückgelegt, die Hälfte seiner Eroberungen noch nicht gemacht hat! Daß du sie liebtest, das war natürlich, daß du ihr die Ehe versprachst, war eine Narrheit, und wenn du Wort gehalten hättest, wär's gar Raserei gewesen.

CLAVIGO. Sieh, ich begreife den Menschen nicht. Ich liebte sie wahrlich, sie zog mich an, sie hielt mich, und wie ich zu ihren Füßen saß, schwur ich ihr, schwur ich mir, daß es ewig so sein sollte, daß ich der Ihrige sein wollte, sobald ich ein Amt hätte, einen Stand – Und nun, Carlos!

CARLOS. Es wird noch Zeit genug sein, wenn du ein gemachter Mann bist, wenn du das erwünschte Ziel erreicht hast, daß du alsdann, um all dein Glück zu krönen und zu befestigen, dich mit einem angesehenen und reichen Hause durch eine kluge Heirat zu verbinden suchst.

CLAVIGO. Sie ist verschwunden! glatt aus meinem Herzen verschwunden, und wenn mir ihr Unglück nicht manchmal durch den Kopf führe – Daß man so veränderlich ist!

CARLOS. Wenn man beständig wäre, wollt ich mich verwundern. Sieh doch, verändert sich nicht alles in der Welt? warum sollten unsere Leidenschaften bleiben? Sei du ruhig, sie ist nicht das erste verlaßne Mädchen, und nicht das erste, das sich getröstet hat. Wenn ich dir raten soll, da ist die junge Witwe gegenüber –

CLAVIGO. Du weißt, ich halte nicht viel auf solche Vorschläge. Ein Roman, der nicht ganz von selbst kommt, ist nicht imstande, mich einzunehmen.

CARLOS. Über die delikaten Leute!

CLAVIGO. Laß das gut sein, und vergiß nicht, daß unser Hauptwerk gegenwärtig sein muß, uns dem neuen Minister notwendig zu machen. Daß Whal das Gouvernement von Indien niederlegt, ist immer beschwerlich für uns. Zwar ist mir's weiter nicht bange; sein Einfluß bleibt – Grimaldi und er sind Freunde, und wir können schwatzen und uns bücken –

CARLOS. Und denken und tun, was wir wollen.

CLAVIGO. Das ist die Hauptsache in der Welt. Schellt dem Bedienten. Tragt das Blatt in die Druckerei!

CARLOS. Sieht man Euch den Abend?

CLAVIGO. Nicht wohl. Nachfragen könnt Ihr ja.

CARLOS. Ich möchte heut abend gar zu gern was unternehmen, das mir das Herz erfreute; ich muß diesen ganzen Nachmittag wieder schreiben. Das endigt nicht.

CLAVIGO. Laß es gut sein! Wenn wir nicht für so viele Leute arbeiteten, wären wir so viel Leuten nicht über den Kopf gewachsen. Ab.

Guilberts Wohnung.

Sophie Guilbert. Marie Beaumarchais. Don Buenco.

BUENCO. Sie haben eine üble Nacht gehabt?

SOPHIE. Ich sagt's ihr gestern abend. Sie war so ausgelassen lustig und hat geschwatzt bis eilfe, da war sie erhitzt, konnte nicht schlafen, und nun hat sie wieder keinen Atem und weint den ganzen Morgen.

MARIE. Daß unser Bruder nicht kommt! Es sind zwei Tage über die Zeit.

SOPHIE. Nur Geduld, er bleibt nicht aus.

MARIE aufstehend. Wie begierig bin ich, diesen Bruder zu sehen; meinen Richter und meinen Retter. Ich erinnere mich seiner kaum.

SOPHIE. O ja, ich kann mir ihn noch wohl vorstellen; er war ein feuriger, offner, braver Knabe von dreizehn Jahren, als uns unser Vater hierher schickte.

MARIE. Eine edle, große Seele Sie haben den Brief gelesen, so den er schrieb, als er mein Unglück erfuhr. Jeder Buchstabe davon steht in meinem Herzen. »Wenn du schuldig bist«, schreibt er, »so erwarte keine Vergebung; über dein Elend soll noch die Verachtung eines Bruders auf dir schwer werden, und der Fluch eines Vaters. Bist du unschuldig – o dann alle Rache, alle, alle glühende Rache auf den Verräter!« – Ich zittere! Er wird kommen. Ich zittere, nicht für mich, ich stehe vor Gott in meiner Unschuld. – Ihr müßt, meine Freunde – Ich weiß nicht, was ich will! O Clavigo!

SOPHIE. Du hörst nicht! Du wirst dich umbringen.

MARIE. Ich will stille sein! Ja ich will nicht weinen. Mich dünkt auch, ich hätte keine Tränen mehr! Und warum Tränen? Es ist mir nur leid, daß ich euch das Leben sauer mache. Denn im Grunde, worüber beklag' ich mich? Ich habe viel Freude gehabt, solang unser alter Freund noch lebte. Clavigos Liebe hat mir viel Freude gemacht, vielleicht mehr als ihm die meinige. Und nun – was ist's nun weiter? Was ist an mir gelegen? an einem Mädchen gelegen, ob ihm das Herz bricht? ob es sich verzehrt und sein armes junges Leben ausquält?

BUENCO. Um Gottes willen, Mademoiselle!

MARIE. Ob's ihm wohl einerlei ist – daß er mich nicht mehr liebt? Ach! warum bin ich nicht mehr liebenswürdig? Aber bedauern, bedauern sollt er mich! daß die Arme, der er sich so notwendig gemacht hatte, nun ohne ihn ihr Leben hinschleichen, hinjammern soll. – Bedauern! Ich mag nicht von dem Menschen bedauert sein.

SOPHIE. Wenn ich dich ihn könnte verachten lehren, den Nichtswürdigen! den Hassenswürdigen!