Cliffworth Academy – Between Shadows and Light - Jennifer Wiley - E-Book
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Cliffworth Academy – Between Shadows and Light E-Book

Jennifer Wiley

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Beschreibung

Jetzt das eBook zum Einführungspreis sichern Eine Elite-Universität in Wales, ein exklusiver Geheimbund und zwei Studierende aus unterschiedlichen Welten, die sich ineinander verlieben: Darum dreht sich »Between Shadows and Light«, der 2. New-Adult-Roman aus Jennifer Wileys Dark-Academia-Duett »Cliffworth Academy«. Charlotte White ist überglücklich über ihr Stipendium für die renommierte Cliffworth University. Ein Studium kann ihr hoffentlich ein sorgenfreieres Leben ermöglichen, als sie es bisher gewohnt ist. Schon an ihrem ersten Tag muss Charlotte allerdings feststellen, dass man ihr als Stipendiatin feindselig gegenübertritt. Auch gerät sie gleich mit Morgan McKenzie aneinander, der als Sohn zweier Top-Anwälte großes Ansehen genießt und sie mit seinem arroganten Grinsen zur Weißglut bringt. Doch dann ist es ausgerechnet Morgan, der ihr eine unerwartete Chance bietet: Er kann sie dabei unterstützen, in den elitären Geheimbund, dessen Vorsitz er innehat, aufgenommen zu werden. Eine Mitgliedschaft würde Charlotte berufliche Wege ermöglichen, von denen sie nicht zu träumen wagte. Doch dafür muss sie Morgan ebenfalls aushelfen. Charlotte lässt sich auf einen Deal ein – nicht ahnend, dass sie und Morgan sich immer näherkommen werden und ihr nicht nur das Initiierungsritual des Geheimbunds, sondern vor allem ihre Abmachung mit Morgan alles abverlangen wird. Im ersten Dark-Academia-Liebesroman der New-Adult-Reihe, »Cliffworth Academy – Between Lies and Love«, müssen sich Charlottes Freundinnen Vada und Macy im erbitterten Konkurrenzkampf um ein Stipendium an der Cliffworth University behaupten – und ihre Liebe gegen Lügen und Geheimnisse verteidigen.

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Jennifer Wiley

Cliffworth Academy

Between Shadows and Light

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Wie weit bist du bereit, für deine Träume zu gehen?

Charlotte hatte sich den Start an der renommierten Cliffworth University leichter vorgestellt. Als Stipendiatin begegnen ihr einige Studierende feindselig, und dann gerät sie auch noch mit Morgan aneinander, Sohn zweier Top-Anwälte und Star der Uni.

Sie ist völlig überrascht, als ausgerechnet Morgan ihr eine unerwartete Chance bietet: Er will sie dabei unterstützen, in den elitären Geheimbund, dessen Vorsitz er innehat, aufgenommen zu werden. Das würde Charlotte völlig neue berufliche Wege ermöglichen. Aber dafür muss sie Morgan ebenfalls aushelfen. Charlotte lässt sich auf einen Deal ein – nicht ahnend, dass sie und Morgan sich immer näherkommen werden und ihr nicht nur das Initiierungsritual des Geheimbunds, sondern vor allem ihre Abmachung mit Morgan alles abverlangen wird.

Der eigenständig lesbare Abschluss des romantischen Dark-Academia-Duetts

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Triggerwarnung

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Danksagung

Liste sensibler Inhalte/Content Notes

Bei manchen Menschen lösen bestimmte Themen ungewollte Reaktionen aus. Deshalb findet ihr am Ende des Buches eine Liste mit sensiblen Inhalten.

Für Franziska, die 2021 entschieden hat, dass mein Traum gelebt und meine Geschichten erzählt werden sollten. Danke, dass du an den richtigen Türen angeklopft und das hier alles ermöglicht hast.

Kapitel 1

Morgan

 

Meine Eltern hätten einen Oscar für das Vortäuschen der perfekten Familienidylle verdient, vorausgesetzt, sie würden Außenstehenden einen Einblick in unser echtes Leben gewähren. Das hinter dem aufgesetzten Lächeln, Vaters teuren Anzügen und den glänzenden Silberäpfeln auf dem Tisch. Nach außen hin ist das hier ein Morgen wie aus dem Bilderbuch: drei zurechtgemachte Gestalten an einem lächerlich langen Esstisch, auf dem Frühstück für eine ganze Woche bereitsteht. Herrlicher Kaffeeduft liegt in der Luft, und es ist so wunderbar friedlich, wie es nur sein kann. Aber auch das ist ein Trugbild. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man eine sich anbahnende Naturkatastrophe dadurch erahnen kann, dass Tiere plötzlich verstummen und fliehen. Die Ruhe hier ist ebenso ein Frühwarnsignal, nur dass ich mich nicht vor der sich anbahnenden Katastrophe retten kann. Ich habe es den ganzen Sommer über versucht, aber ich hatte keine Chance. Meinen Berechnungen zufolge wird mein Vater nur noch etwa vierzehn Sekunden lang in den Wirtschaftsteil seiner Zeitung vertieft sein, bevor sein prüfender Blick auf mich fallen wird und die Tsunamiwelle losbricht.

Aberfa, unser Hausmädchen, spürt die Anspannung sicher auch, denn sie wischt sich ständig eine nicht existente Haarsträhne aus dem Gesicht, obwohl ihre Haare zu einem tadellosen Dutt geformt sind. Sie wischt und wischt, als wäre es das Einzige, das ihr dabei helfen könnte, die Situation auszuhalten.

Noch zehn Sekunden. Höchstens.

Vielleicht hätte ich letzte Nacht aus dem Fenster klettern und still und heimlich zurück zur Uni fahren sollen, um diesem Gespräch zu entgehen. Ein verlockender Gedanke, der mich mehr als einmal überkommen hat. Aber was nützt es zu fliehen? Es würde keine Stunde dauern, bis sie mir an die Uni folgen würden, um mich dort zur Rede zu stellen.

»Also, Morgan.« Da sind sie, die ersten Worte meines Vaters, ehe er die Zeitung fein säuberlich zusammenfaltet und zu mir sieht. Aberfa, die gerade dabei war, neuen Kaffee einzuschenken, murmelt sofort etwas von Kaffeemaschine und eilt in die Küche. Kluge Frau. Wenigstens eine, die temporär abhauen kann.

»Ich möchte, dass du mir etwas erklärst.« Dads Sorgenfalten auf der Stirn sind im letzten halben Jahr erschreckend tief geworden, und seine sonst fülligen Wangen sind schmaler als früher. Er holt sein Smartphone heraus und reicht es mir rüber. Sein Blick ist ausdruckslos, aber ich spüre das Pulsieren hinter seiner Schläfe – es ist, als würde ich es hören können. Meine Mutter, die mir gegenübersitzt, sieht nun auch zu mir. Der Hosenanzug, den sie üblicherweise in die Arbeit anzieht, sitzt heute lockerer und bildet einen Kontrast zu ihrer strengen Hochsteckfrisur.

Auf dem Smartphone ist eine Finanzübersicht geöffnet. Die letzten Abbuchungen meiner Kreditkarte.

»Das sind meine Ausgaben vom Sommer«, gebe ich trocken zurück, aber in meinem Inneren brodelt es. »Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass ich mir mein Geld selbst einteilen kann und dabei keinen Kontrolleur brauche?«

»Du meinst unser Geld? Das wir dir so großzügig überlassen?« Dads Lippen werden schmal. »Und das, obwohl du uns erst vor ein paar Monaten einige Millionen Pfund gekostet hast?«

Es war so klar, dass er wieder darauf anspielt, weil es nur noch um meine Verfehlungen geht. Tag für Tag. Seit fast sechs Monaten.

»Ich werde nicht weiter dabei zusehen, wie du das Geld für Nichtigkeiten ausgibst, anstatt Verantwortung zu zeigen. Dieses Jahr nicht, Morgan. Dieses Jahr laufen die Dinge anders.« Finster sieht er mich an, und ich fühle mich klein und unscheinbar, wie ein Kind. »Du wirst dein Konto nicht überziehen, hast du mich verstanden? Der Betrag, den wir dir freigeben, muss reichen.«

»Du weißt, dass ich mit Geld umgehen kann«, erwidere ich. »Meine Verfehlungen aus dem letzten Jahr haben nichts damit zu tun.«

»Alles hat damit zu tun«, erwidert Dad. »Ich erwarte volle Konzentration auf unsere Absprachen und die Uni.« Es ist, als würden meine Worte durch ein schwarzes Loch gezogen werden, ehe sie von ihm gehört werden können.

Verstimmt brumme ich. Ich spüre keine Euphorie, an die Cliffworth University zurückzukehren, sondern eher den Wunsch, wegzulaufen. Weg von Erwartungen und von der Zukunft. Weil beides dafür sorgt, dass sich der Strick, den ich deutlich um meinen Hals spüre, immer enger zieht.

Dad nippt an seinem Kaffee. Ich kann für ihn nur hoffen, dass er koffeinfrei ist, denn Dr. Awbrey hat ihm dringend geraten, von Kaffee auf Kräutertee umzusteigen. In der Hinsicht ist Dad einfach beratungsresistent. Er hat schon immer gemacht, was er für richtig hält.

»Du hast gleich heute Nachmittag einen Termin bei Dekan Roberts, um mit ihm über deine Kurse zu sprechen.«

Das hat er nicht getan. Er hat nicht wirklich hinter meinem Rücken mit den Leuten von der Uni gesprochen. Schon wieder.

»Ich dachte, wir waren uns einig, dass ich erwachsen bin und daher meine Angelegenheiten an der Uni selbst regeln kann«, presse ich hervor. Es kostet mich alle Überwindung, meine Stimme ruhig und gelassen klingen zu lassen, obwohl ich es hasse, wenn sie mich bevormunden und alles für mich planen, ohne mich zu fragen.

»Spiel nicht immer das Opfer. Meinst du, wir machen das gerne? Meinst du, wir haben nichts Besseres zu tun, als deine Angelegenheiten zu klären und deine Finanzen zu prüfen?« Dads Stimme wird lauter, aber nichts ist so erschreckend wie die dunkle Röte, die sich in seinem Gesicht ausbreitet. »Benimm dich wie ein Erwachsener, und ich behandle dich auch so.«

»Rupert, denk an deinen Blutdruck«, ermahnt ihn meine Mutter. »Du sollst dich nicht so aufregen.«

»Ich muss mich aber aufregen!«, poltert er. »Morgan, sieh mich an und sag mir, wie wir die Dinge nicht in die Hand nehmen sollen, so wie du dich in den letzten Monaten präsentiert hast? Deine Zukunft entgleitet dir, und das lasse ich nicht mehr zu. Ich dachte, der Browdy-Fall hätte dich wachgerüttelt, aber du nimmst es immer noch nicht ernst, obwohl uns dein Verhalten alles hätte kosten können! Obwohl wir noch immer mit den Konsequenzen deines Handelns leben müssen!«

Mein Kiefer schmerzt, so sehr presse ich ihn aufeinander, weil er den Browdy-Fall erwähnt hat. Der Schatten, der über meinem ganzen Sommer lag. Der Schatten, der sich zwischen meine Eltern und mich gelegt hat und den ich einfach nicht loswerde. Sie vertrauen mir nicht mehr. Ich weiß ja nicht mal, ob ich mir selbst noch vertraue, also kann ich sie durchaus verstehen. Aber erträglicher macht das die Situation auch nicht.

»Deine Mutter und ich mussten uns sowieso schon oft anhören, dass du noch zu jung bist, um in die Kanzlei einzusteigen. Kritische Stimmen, die sich fragen, ob du dieser Verantwortung gewachsen bist, und ich bin es leid, zu lügen. Was meinst du, was passieren würde, wenn die Leute von deinen Verfehlungen wüssten? Meinst du, sie würden die McKenzie LLP noch ernst nehmen? Uns vertrauen?«

Ich schlucke schwer, blicke auf die Tischplatte. »Nein, Sir.«

»Und was, wenn deine geplante Partnerschaft in der Kanzlei nächsten Sommer nicht zustande kommt, weil du in der Uni durchgefallen bist? Was dann?«

»Das wird nicht passieren«, murmle ich.

»Weil?«

Ich schlucke. »Weil ich diesen Termin bei Mr Roberts wahrnehme, um über meine Kurse zu sprechen. Und weil es dieses Jahr anders laufen wird.«

»Gut. Denn wenn du es nicht schaffst, dich zusammenzureißen und uns zu beweisen, dass du deine Fehler wiedergutmachen willst, dann war’s das mit dem Geld. Hast du mich verstanden? Wenn du es nur durch Druck schaffst, endlich das zu tun, was von dir verlangt wird, dann bitte. Du bist ein McKenzie! Von uns erwartet man gewisse Dinge.«

»Ich weiß«, erwidere ich kleinlaut und rutsche auf meinem Stuhl hin und her. Nicht wegen seines Tonfalls, denn von Dad angeschrien zu werden, hatte spätestens seit meinem zehnten Lebensjahr kaum noch eine Wirkung auf mich. Insgeheim habe ich irgendwann angefangen, mich darüber zu amüsieren und diese kleine, pochende Ader auf seiner Stirn herauszufordern, indem ich Scheiße gebaut habe. Ein kleiner Teil von mir will es immer noch: ihn einfach weiter provozieren. Aber ich weiß inzwischen, dass meine Eltern Macht besitzen. Sie haben einen hervorragenden Ruf, die millionenschwere Kanzlei, das Geld und sämtliche Möglichkeiten, meine Karriere positiv wie negativ zu beeinflussen. Aber vor allem ist es Dads Gesundheit, die mich dazu veranlasst, ihm nicht zu widersprechen. Das ist es, was seit seinem Herzinfarkt vor rund acht Monaten am meisten Macht über mich hat. Dad und ich haben unsere Differenzen, aber ich liebe ihn. Und auch wenn er nicht immer auf Dr. Awbreys Rat hört, habe ich mir sehr genau eingeprägt, dass Stress für ihn gefährlich ist. Dass er ihn unbedingt vermeiden muss. Dass er eigentlich in der Kanzlei kürzertreten sollte und ich ihn bald ablösen soll. Ihn unterstützen, anstatt ihm noch mehr Ärger zu machen.

»Ich weiß ja, dass ich mich mehr aufs Lernen konzentrieren soll.«

»Das reicht nicht«, sagt nun Mum, ihr Tonfall ist ein wenig versöhnlicher. »Du musst dir Mühe geben. Egal, ob in den Kursen, bei den Covenants oder in der Kanzlei. Du hast nur noch dieses Jahr bis zu deinem Abschluss. Damit steht und fällt jetzt alles.«

»Du wirst alles tun, was nötig ist, um deine Noten auf ein Höchstniveau zu pushen«, befiehlt Dad. »Lerngruppen, Nachhilfe, Extraarbeiten. Mir ist es gleich, wie du es anstellst, aber du wirst verdammt noch mal alles geben. Das bist du uns nach deinen Verfehlungen schuldig! Der ganzen Familie!«

»Ich bin sicher, du bekommst das hin.« Jemand, der meine Mum nicht kennt, würde ihren weicheren Tonfall als mütterlich empfinden, doch ich höre den strengen Unterton ganz genau. Höre das besser wäre es heraus. Weil wir alle wissen, was sonst passiert: tschüss Geld, tschüss Karriere, tschüss Leben.

Ich nicke, obwohl ich eigentlich schreien will. Ich will meinen Eltern sagen, dass ich es nicht schaffen werde, Bestnoten zu erreichen. Dass es Tage gibt, an denen mir jetzt schon alles über den Kopf wächst. Ich will ihnen sagen, dass es mir leidtut, dass ich ihnen so viel Kummer bereite. Ich will ihnen sagen, dass ich wirklich zu verstehen versuche, wie es zu dem Skandal im Browdy-Fall kommen konnte, aber keine Erklärung finde. Vielleicht will ich auch weinen, weil ich das seit dem Herzinfarkt meines Dads nie getan habe und weil ich Angst habe, ihn zu verlieren. Weil ich Angst habe, ihn zu enttäuschen.

Aber ich sitze nur stumm da und höre zu, wie Mum und Dad nun über die Kanzlei sprechen. Darüber, dass Großvater morgen aus unserer Niederlassung in London zurückkommt und dann ein Auge auf mich haben wird. Sie sprechen jedes Detail meines Lebens durch, und ich stimme zu, obwohl sich alles in mir dagegen sträubt. Aber das Gefühl wird nur von kurzer Dauer sein. Bald wird sich mein Widerstand auflösen und in Gleichgültigkeit abdriften, die einer Ohnmacht gleicht.

So ist es immer.

Kapitel 2

Charlotte

 

Ich ziehe meinen Lippenstift nach. Das Karmesinrot auf meinen Lippen ist mein täglicher Begleiter. Es lässt mich in Kombination mit meinem von Natur aus roten Haar stark und selbstbewusst wirken, vor allem an Tagen wie heute, an denen ich eigentlich vor Nervosität vergehen will. Da ist viel zu viel Angst in mir, dabei weiß ich nicht mal genau, wovor. Immerhin fiebere ich diesem Studienbeginn bereits seit Wochen entgegen und konnte es die ganze Zeit kaum erwarten, endlich herzukommen. Nun, mit den hohen, efeubesetzten Mauern im Blickfeld, ist diese Vorfreude definitiv ein wenig gemindert. Beim letzten Mal als ich vor dem gusseisernen Tor stand und auf die alte Steinmauer gesehen habe, war ich noch keine College-Absolventin, sondern hatte gerade mein Stipendium für die Uni erhalten. Damals habe ich mehr Vorfreude, weniger Ehrfurcht gespürt. Doch jetzt ist die Zukunft plötzlich zum Greifen nah und mit ihr auch der Erwartungsdruck, der nun auf mir lastet.

Ich atme tief durch, nehme meinen Koffer und trete durch das Tor, das in die Mauer eingelassen ist und mich direkt auf das Gelände der Uni führt. Es ist genauso, wie ich es in Erinnerung habe: vier schlossartige Gebäude mit Rustika-Mauerwerk und Rundfenstern. Das Gelände drumherum ist weitläufig und hat durch die Sitzbänke aus Stein und die knorrigen Bäume, die langsam schon die ersten Blätter verlieren, etwas Verwunschenes. Ein Bild, das durch die dunkelblauen Flaggen, die am Turm der Uni angebracht sind und sanft im Wind wehen, noch verstärkt wird. Mit jeder Windböe riecht es nach Salz und erinnert daran, dass die Universität auf einer Klippe erbaut wurde und sich nur einige Meter hinter den Mauern das Meer erstreckt. Schon während meines Aufenthalts in der Cliffworth Academy − der Sommerakademie der Uni − habe ich diesen Anblick bewundert und mich gefragt, wie es wohl sein würde, hier zu studieren und die raue Küste von Nordwales jeden Tag sehen zu können. Ich denke, es gibt keinen hübscheren Ort, um zu studieren. Erst recht jetzt, wo der Campus nicht mehr so ausgestorben ist wie in den Sommerferien. Nun kreuzen Hunderte von Studierenden meinen Weg, die dem sonst idyllischen Flecken Lebendigkeit verleihen.

Ich hole mein Handy aus meiner Tasche und sehe sofort eine Nachricht von meiner Freundin Vada.

Vada

Sind schon bei der Anmeldung. Wann kommst du an? Warten auf dich!

Kurzerhand setze ich mich in Pose, darauf bedacht, dass der Turm des Unigebäudes im Hintergrund zu sehen ist, und schicke ihr ein Selfie, ehe ich mich anhand der Uni-App orientiere. Die Anmeldung befindet sich vor dem dritten Gebäude zu meiner Rechten, also nehme ich meinen Koffer und kämpfe mich durch die Masse an Menschen. Viele der Studierenden sind so geschäftig, dass ich Gefahr laufe, mich umrennen zu lassen, sobald ich es wage, mich ein wenig umzusehen und die Atmosphäre des Campus auf mich wirken zu lassen. Die wenigsten bemerken mich, vielleicht, weil so viele Neuankömmlinge auf dem Gelände sind, dass es für die alteingesessenen Studierenden kaum noch interessant ist, wer mit dem Studium beginnt. Ich sehe zumindest viele Leute mit Koffern und suchenden Blicken, die sich ebenfalls wie ich auf dem Weg zur Anmeldung befinden. Also entspanne ich mich ein wenig und lasse mich mit dem Strom treiben, bis ich die Anmeldung, bestehend aus mehreren aneinandergereihten Tischen, finde. Sie stehen vor der Silvia-Hannings-Hall, in der sich auch der Eingang zur großen Bibliothek befindet. Viel interessanter finde ich jedoch den Kaffee- und Teewagen direkt vor dem Eingang der Bibliothek, der geradezu nach mir ruft. Vor lauter Nervosität hatte ich gerade einmal einen lausig schmeckenden Kaffee an der Bahnstation vom North Wales Coast Railway, der alles andere als genießbar war. Trotzdem wende ich mich ab und versuche zunächst, einen meiner Freunde aus der Sommerakademie zu finden, was angesichts der vielen Menschen, die sich vor der Anmeldung tummeln, unmöglich erscheint. Da sind zu viele Leute, zu viel Gepäck und zu viel nervöse Hektik. Drei Angestellte der Uni laufen mit Klemmbrettern und Pfeifen herum und helfen den Ankömmlingen, sich zu orientieren.

»Charlotte! Hier sind wir!«

Ich drehe mich um und entdecke Vada und Macy, die neben einer in die Jahre gekommenen Skulptur eines Löwen stehen. Sie sehen noch genauso aus wie an der Akademie: Vada mit ihrem störrischen braunen Pony, der ihr über die ebenso braunen Augen fällt, und Macy mit ihren schwarzen Locken und den kristallblauen Augen.

Vada winkt mir enthusiastisch zu, ihr Lächeln zeigt ihre Lücke zwischen den Schneidezähnen. Macy hingegen winkt ein wenig zögerlich, ich weiß jedoch sofort, dass es nicht an mir, sondern an der Unruhe um uns herum liegt. Macy mag Menschenansammlungen nicht besonders. Sicher würde sie sich jetzt gerne in die Bibliothek zurückziehen und zur Ruhe kommen, anstatt sich gleich mitten hineinzustürzen.

Ich eile auf die beiden zu, weiche dabei noch mal zwei Leuten aus und schließe meine Freundinnen in die Arme.

»Ganz schön voll hier.« Ich lasse meinen Blick über die Menge schweifen. Hier, im Schutz der Statue, wird man immerhin nicht mehr umgerannt, sondern kann alles überblicken.

»Ganz anders als beim letzten Mal, als wir auf dem Campus waren, oder?« Macys Hand zuckt kurz zu ihrer braunen Umhängetasche, in der sie sicher eins ihrer Bücher verstaut hat. Noch nie habe ich jemanden gesehen, der so viel liest wie sie. Unsicher streicht sie sich eine ihrer Locken aus dem Gesicht.

»Das ist nur das anfängliche Chaos«, sagt Vada und nimmt ihre Hand. »Sicher wird es nicht immer so hektisch sein.«

Macy nickt, in ihren stechend blauen Augen kann ich aber noch Zweifel an dieser Aussage erkennen. Vielleicht, weil sie ebenso wie ich jetzt erst versteht, was es bedeutet, mit zweitausend anderen Menschen zu studieren. Oder an einer Universität zu sein, die zu den drei Top-Unis des Landes gehört und weit über die Grenzen von Wales bekannt ist. Ich spüre sie noch stärker: diese leichte Unsicherheit, die damit einhergeht. Diese alten Mauern haben einen gewissen Ruf, dem wir nun gerecht werden müssen.

»Habt ihr schon was von den anderen gehört?«, frage ich. Neben uns haben noch vier Leute die Sommerakademie erfolgreich durchlaufen und ein Stipendium erhalten.

»Poppy und Amar haben mir geschrieben, dass sie etwas später kommen«, erwidert Macy. »Und Lennox wollte eigentlich schon den ersten National Express hierher nehmen. Ich weiß nicht, wo er jetzt ist.«

»Von Owen haben wir nichts gehört«, meint nun Vada. »Aber spätestens morgen beim Einführungstag sollte ich ihn zu Gesicht bekommen. Wir haben ja beide den Kurs bei Franklin Gust.«

»So, so, Franklin Gust also.« Meine Augenbrauen hüpfen. »Lass mich raten: Du hast bereits nach ihm Ausschau gehalten.«

Schon seit dem ersten Tag an der Cliffworth Academy hat sie immerzu davon geschwärmt, wie es wäre, von dem ehemaligen Landesrichter unterrichtet zu werden. Ich kann sie verstehen, auch ich brenne darauf, endlich meine Psychologievorlesung bei Roseline Watkins zu beginnen. Einer ihrer Podcasts, in dem sie über psychodynamische Störungen bei Kindern geredet hat, lief bei mir für eine Woche in Dauerschleife, weil sie so unglaublich kluge Fragen stellt. Diese Frau in echt zu erleben, wird großartig.

»Ich habe noch nicht nach ihm gesucht«, antwortet Vada, doch ihre Augen blitzen verräterisch unter ihrem dichten Pony hervor. Und ob sie schon nach ihm Ausschau gehalten hat! Vada ist eben mit voller Leidenschaft dabei, wenn es um Jura geht. Sie kann gar nicht anders.

»Sieht aus, als würde es bei der Anmeldung langsam leerer werden«, sagt Macy. »Wenn die anderen eh später kommen, können wir das ja schon mal erledigen.«

Zu dritt reihen wir uns in die Warteschlange ein. Es geht weit weniger chaotisch zu, als es von Weitem gewirkt hat. Tatsächlich dauert der Vorgang nur wenige Minuten. Mit Ausweisen, Schlüsselkarten und diversen Flyern verlassen wir wieder den Anmeldebereich und gehen zurück zur Statue, um uns zu sammeln.

»Silvia-Hannings-Hall«, murmelt Macy mit Blick auf ihre Schlüsselkarte. Ihr Mundwinkel verzieht sich. »Ich hatte eigentlich gehofft, in eines der ruhigeren Wohnhäuser zu kommen.«

»Dafür hast du die Bibliothek direkt im Gebäude«, gebe ich zu bedenken. »Das ist doch für dich kein schlechtes Argument.«

»Ganz zu schweigen davon, dass ich im selben Wohnhaus bin.« Vada gibt Macy einen liebevollen Kuss auf die Wange, dann sind plötzlich ihre Blicke auf mich gerichtet. »Anders als du. Wo bist du noch mal?«

»Winston-Brown-Hall.« Ich kann nicht leugnen, dass die Wohnhauswahl der erste kleine Dämpfer ist. Innerlich hatte ich gehofft, ins Hauptgebäude zu kommen. Die Praxton-Hall, das Gebäude mit dem Turm, ist der Ort, an dem die Partys gefeiert werden. Für Macy würde so ein Wohnheim sicher unter absoluter Albtraum fallen, aber ich hätte es ganz cool gefunden, mittendrin zu sein. Mit der Winston-Brown habe ich nun genau das Gegenteil.

»Ich bin offiziell neidisch«, gibt Macy zu und bestätigt damit insgeheim meine Vermutung.

Etwas enttäuscht sehe ich nach links zu dem äußersten Gebäude, das zum größten Teil von hohen Bäumen verdeckt wird. Es liegt ganz am Rand des Campus. Laut Lageplan befindet sich dort nur eine Handvoll Zimmer, es wird also wenig los sein. Macy und Vada haben wenigstens die Bibliothek und die Mensa … vom wundervollen Kaffeewagen direkt vor der Tür ganz zu schweigen, der laut Tafel immer vor der Bibliothek steht und die Studierenden mit warmen Getränken versorgt.

»Vielleicht ist ja einer von den anderen mit dir im Wohnheim«, versucht Vada, mich aufzumuntern. Es klappt ein wenig. Zumindest erinnert es mich daran, dass es auf diesem Campus noch vier andere Personen gibt, die ich bereits kenne und die das Leben in dem abgelegenen Wohnhaus definitiv aufwerten könnten.

»Ansonsten kommst du uns jeden Tag besuchen«, schlägt Macy vor.

Ich stecke meine Schlüsselkarte in die Hülle meines Handys, dann gehe ich die einzelnen Unterlagen durch, die wir bekommen haben. Die Flyer bestehen hauptsächlich aus Werbung für soziale Aktivitäten – ein Fechtverein, Bogenschießen, Theater, ein Chor und ein Bücherclub, an dem Macy sicher ihre Freude haben könnte. Auch der Lageplan und die Werbung eines Pubs in der Nähe sind dabei.

»Hey. Habt ihr das schon gesehen?«

Vada rückt zu mir, um sich über meine Schulter den Flyer in meiner Hand anzusehen.

»Eine Erstsemesterparty in der Praxton-Hall?«, fragt sie skeptisch.

»Morgen Abend. Da müssen wir hingehen!«

Macy runzelt die Stirn. »Ich weiß nicht.«

»Ach komm, du hast doch gesagt, dass du die Unizeit dafür nutzen willst, um deine Sozialkompetenz zu verbessern und Neues zu wagen. Sieh es als ersten Schritt.«

»Wäre ein ziemlich großer Schritt, wenn du mich fragst.«

»Überlegt es euch.« Ich mache ein Foto von dem Flyer, um es schon mal den anderen zu schicken. Hoffentlich sind sie begeisterter von der Idee. »Ich werde mir das definitiv nicht entgehen lassen.« Allein der Gedanke, auf meine erste Uniparty zu gehen, fegt sämtliche Enttäuschung wegen meines Wohnhauses beiseite.

Vada winkt mit ihrer Schlüsselkarte. »Erst mal die Zimmer beziehen.«

»Nicht ganz«, erwidere ich und stecke meine Unterlagen weg. »Erst mal gucken, ob dieser Kaffee wirklich das halten kann, was der herrliche Duft verspricht. Wollt ihr auch einen?«

»Danke, aber ich verzichte.« Vada zieht eine Grimasse. »Ich denke nicht, dass Koffein meinem nervösen Magen gerade guttut. Vor allem, weil das dahinten Franklin Gust ist!«

Ihre Hand zittert vor Aufregung, als sie in die Ferne zeigt. Es dauert dennoch einige Sekunden, ehe ich den Professor mit dem grauen Anzug und den dunklen Haaren unter den anderen Leuten entdecke. Vada ist nicht die Einzige, die ihn beinahe hysterisch beobachtet, als wäre er Harry Styles.

»Ist vermutlich gut, dass du ihn jetzt schon siehst. Wenn du ihn morgen im Einführungskurs so anstarrst, würde er nur Angst bekommen.«

»Lass mir einfach diesen einen Fangirl-Moment, okay?«

Ich hebe entwaffnend die Hände. »Hab nichts gesagt.«

Macy und ich sehen uns an und prusten gleichzeitig los.

 

Ich bin nicht viel Luxus gewöhnt. In York leben meine Eltern, meine zwei Brüder und ich in einer kleinen Wohnung, und mein Zimmer ist gerade einmal groß genug für einen Kleiderschrank und ein Bett. Zum Lernen blieb mir nur der Küchentisch, an dem ich dank meiner lauten Brüder, die voller Inbrunst Videos für YouTube drehen, nie wirklich Ruhe hatte. Somit bin ich meistens in die Bibliothek oder in den Park gegangen, um zu lernen.

Im Vergleich dazu ist mein neues Zimmer an der Cliffworth eine Verbesserung. Hier habe ich einen großen Schreibtisch, samt kleinem Bücherregal, mit Blick auf die wunderschönen knochigen Bäume der Außenanlage. Ich habe eines der abgelegensten Zimmer bekommen, um das mich Macy nun sicher noch mehr beneidet. In diesem Moment, mit den im Wind wehenden Blättern vor meinem Fenster kann ich es ihr tatsächlich nicht verdenken. Das Zimmer hat etwas Friedliches, das ich nach der aufregenden Anreise gut gebrauchen kann.

Ich mache mich daran, meinen Koffer auszupacken. Einige andere Sachen werden mir noch von meinen Eltern nachgeschickt. Alles, was ich zum Leben brauche, in einen Koffer zu packen war schlicht unmöglich. Konzentriert habe ich mich hauptsächlich auf meine Kleidung und ein paar Bücher, von denen ich mir nicht sicher war, ob sie in der Bibliothek zu finden sind.

Ich verstaue alles in dem Kleiderschrank gegenüber von meinem Bett und sehe mich um. Der Mini-Kühlschrank wartet darauf, von mir gefüllt zu werden, meine Bücher stehen erst mal hinten auf dem Schreibtisch und werden von einer Yankee Candle gestützt, die meine Eltern mir zum Stipendium geschenkt haben und die nach Zimt und Apfel riechen soll. Ich habe meine mintgrüne Kuscheldecke über den Stuhl gelegt, die ich angesichts des zugigen, alten Gebäudes sicher bald brauchen werde und die dem Raum etwas mehr Gemütlichkeit verleiht. Was jedoch noch fehlt, ist Persönlichkeit. Eierschale ist nicht gerade eine Wandfarbe, die viel aussagt. Meine Yogamatte und mein Schmuckständer sollten mir bald nachgeschickt werden und dazu beitragen, das Zimmer etwas mehr nach mir aussehen zu lassen, aber ich denke, ein paar Farbtupfer in Form von Bildern sollten auch genutzt werden. Ich setze es sofort auf meine Liste von Dingen, die ich noch in der Einführungswoche erledigen will. Die Baustellen abzuhaken, bevor das volle Lernpensum beginnt, ist sicher klug. Fünf verschiedene Kurse der Psychologie erwarten mich in den nächsten Monaten, und zwei davon werden von Mrs Watkins unterrichtet. Wenn man dem Ruf der Cliffworth wirklich glauben mag, wird jeder einzelne Kurs hohe Anforderungen stellen. Besser also, ich lebe mich schnell ein.

Ein Klopfen an meiner Zimmertür reißt mich aus meinen Gedanken. Ich öffne sie und sehe ähnlich rote Haare, wie ich sie habe.

»Owen!« Schwungvoll nehme ich meinen Mitstreiter aus der Sommerakademie in den Arm. »Hast du’s also auch mal geschafft, anzukommen.«

»Und einzuziehen.« Seine Grübchen verschwinden im dichten Bart. »Bin eine Etage höher.«

»Puh, du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, das zu hören. Ich dachte schon, ich wäre die Einzige von uns, die ins Winston-Brown verfrachtet wurde.«

»Zu deinem Glück nicht.« Ich lasse Owen ins Zimmer, der sich anerkennend umsieht. »Nicht schlecht, die Aussicht ist besser als bei mir. Und du bist schon fertig mit Auspacken, wie ich sehe. Bei mir steht noch alles voller Kisten.«

»Ich hatte erst mal nur den Koffer, der Rest kommt noch.«

»Ich hatte Glück, dass ich gefahren wurde. Mein Dad musste sich eh noch um eine Lieferung kümmern, da war das hier kein großer Umweg.«

»Er ist Kraftfahrer, oder?«

»Genau. Dad ist jetzt auf direktem Weg nach Newport, um dort etwas auszuliefern.« Owen betrachtet die Bücher auf meinem Regal und sieht aus dem Fenster.

»Weißt du, was mit den anderen ist?«, frage ich. »Wo sind sie untergebracht?«

»Hast du noch nicht in unseren Gruppen-Chat geguckt?« Perplex schüttle ich den Kopf. Tatsächlich war ich die letzte Stunde so sehr mit dem Einräumen meiner Sachen und dem Planen der Zimmerdekoration beschäftigt, dass ich nicht einmal das Handy in der Hand hatte. »Poppy ist direkt in dem Zimmer neben Macy.«

»Nicht schlecht.« Es wird Macy Sicherheit geben, Poppy so nah bei sich zu wissen. »Lennox und Amar sind in der Praxton-Hall.«

»Also nur wir zwei«, murmle ich. Immerhin ist einer der Stipendiaten im selben Haus wie ich.

Owen lässt sich auf meinen Schreibtischstuhl fallen und dreht sich ein paar Runden, ehe er mich ansieht. »Das Gute ist, dass die meisten von uns wenigstens in den Vorlesungen zusammen sind. Bis auf dich leider.«

Unwillkürlich schlucke ich. Während der Stipendienvergabe ist mir nie klar gewesen, dass ich von uns die Einzige bin, die Psychologie studieren wird. Ich werde keinen der anderen in meinen Vorlesungen haben. Keinen, der weiß, was wir alle durchgemacht haben, um dieses Vollstipendium zu bekommen.

»Stimmt«, erwidere ich, als würde es mich nicht kurz verunsichern. »Aber das hier ist die Uni. Es gibt so viele Leute in meinem Kurs, da werde ich doch wohl jemanden finden, mit dem ich mich gut verstehe.«

»Jemanden mit einem Fable für Podcasts und Yoga?«, zieht Owen mich auf.

»Die wären mir die liebsten«, gebe ich zurück. »Aber ich denke, ich nehme es, wie es kommt.«

»Hab auch nichts anderes von dir erwartet.«

Kapitel 3

Charlotte

 

Ich bin eine zuverlässige Person. Ich melde mich bei Freunden, wenn ich es sage, komme meistens zu früh zu Verabredungen, und ich verschlafe niemals. Eigentlich. Ausgerechnet an meinem ersten Tag an der Cliffworth scheinen diese Gesetze plötzlich nicht mehr zu gelten. Ich eile im Laufschritt über den Campus, um zur Silvia-Hannings-Hall zu kommen, wo der Einführungskur für die Psychologie-Erstsemester stattfindet. In fünf Minuten. Die Luft ist angenehm frisch und macht mich immerhin wach, aber ich wünschte, ich könnte den Anblick des Nebels, der vom Meer herüberzieht und die Universität einhüllt, mehr genießen.

Mein Handy vibriert, und ich riskiere einen kurzen Blick.

Eine Nachricht von Vada.

Vada

Wir haben dich beim Frühstück vermisst. Hatten dir extra einen Platz frei gehalten. Alles okay?

Ich schicke ein schmelzendes Emoji, während ich Steinbänken ausweiche, und schreibe ihr, dass ich verschlafen habe.

Vada

Du und verschlafen? Das ist neu. Wollen wir uns dann alle nach der Einführung treffen? Auf der Wiese vor der Bibliothek?

Ich schicke ihr ein kurzes Okay zurück und betrete endlich die Silvia-Hannings-Hall. Drei Minuten bleiben mir, um zum Vorlesungssaal zu gelangen und einen Platz einzunehmen. Als ich endlich den richtigen Raum finde und durch die großen Flügeltüren gehe, sehe ich in viel zu viele neugierige Gesichter von rund einhundertfünfzig Studierenden, die früher dran waren als ich. Die meisten sitzen bereits auf ihren Plätzen, andere stehen vor dem Panoramafenster, hinter dem das weite Meer tobt. Der restliche Raum, der eindeutig von der großen Fensterfront und dem Ausblick profitiert, ist mit dunklem Holz verkleidet.

Hinter mir taucht eine Studentin mit kurz geschorenen Afrolocken und großen Ohrringen auf. Ihr blauer Blazer mit den goldenen Applikationen springt mir sofort ins Auge. Sie quetscht sich an mir vorbei und steuert einen freien Platz in der fünften Reihe an. Einige Stühle weiter ist ebenfalls noch etwas frei, also entscheide ich mich endlich dazu, mich zu setzen. Ein Umstand, den mein Sitznachbar nicht so interessant findet, denn er blickt nur einmal kurz auf und versinkt sofort danach wieder in die Musik, die durch seine Kopfhörer dringt.

Kurz darauf erscheint eine Frau, die vom Aussehen an eine alte Schildkröte erinnert: ein faltiges Gesicht und schmale Lippen, dafür aber große, warme Augen.

Die Gespräche verstummen augenblicklich, und ich frage mich, ob ich die Einzige bin, der gerade eine ausgewachsene Gänsehaut über die Arme jagt. Das ist sie: Roseline Watkins. Die Frau, wegen der wir vermutlich alle hier an dieser Uni sind.

»Willkommen in der Einführungsveranstaltung Psychologie«, sagt sie mit einem milden Lächeln. Der Typ neben mir zieht seine Kopfhörer ab. »Ich bin Roseline Watkins, führende Professorin dieses Studiengangs.« Sie stellt sich vor das Rednerpult. »Wie jedes Jahr in der Einführungsveranstaltung freut es mich aufs Neue, dass so viele junge Menschen sich für ein Studium der Psychologie interessieren. Wenn wir hier zusammenkommen, will ich Ihre Leidenschaft dafür spüren, und zwar an jedem einzelnen Tag.« Ihre Worte erzeugen Strom in mir und bringen mich dazu, mich höher aufzusetzen. »Sie alle wissen, dass die Cliffworth einen hervorragenden Ruf und ein großes Netzwerk hat, was beides dafür sorgt, dass Sie mit einem Abschluss von uns praktisch überall genommen werden können. Wenn das noch nicht Anreiz genug ist, um alles in dieses Studium zu investieren, dann verkündige ich Ihnen gerne, dass ich pro Jahrgang eine Person auswähle, um mir bei meiner empirischen Forschungsgruppe zu assistieren. Wer das schafft, bekommt nicht nur Einblicke in meine Arbeit, sondern kann auch mit einer persönlichen Empfehlung von mir rechnen, mit der Ihnen alle Türen offenstehen werden. In den Vorlesungen zu glänzen, hat also definitiv viele Vorteile für Sie und Ihre Zukunft.«

Es ist mehr als offensichtlich, dass wir sie alle beeindrucken und an diesen Forschungen teilnehmen wollen. Mich eingeschlossen.

»Aber beginnen wir am Anfang Ihres Studiums: der Einführung.«

Die nächste Stunde erhalten wir einen Einblick in die Grundlagen der Sozialpsychologie und der differentiellen Psychologie, und ich kann es kaum erwarten, diese Inhalte zu vertiefen. Ich hänge förmlich an ihren Lippen. Bin fasziniert von der Art, wie sie über die Psychologie spricht, als wäre es ihre große Liebe.

»In unseren Vorlesungen werden wir diese Themen Stück für Stück mit Inhalten füllen und Ihr Wissen aufbauen. Aber Psychologie ist für mich nicht nur sture Wissensvermittlung, sondern auch Verinnerlichung. Es geht darum, sich zu öffnen und sich mit den Inhalten zu beschäftigen. Deswegen möchte ich, dass Sie sich alle zu Lerngruppen zusammenfinden – maximal zehn Leute, mit denen Sie einmal wöchentlich die Inhalte der Vorlesungen durchgehen. Bitte mailen Sie mir bis heute Nachmittag die Namen der einzelnen Gruppen, und wann Sie sich künftig treffen werden, damit ich im nächsten halben Jahr das ein oder andere Mal bei Ihnen vorbeischauen und mir ein Bild von Ihren Fortschritten machen kann.«

Sie nickt uns zu, packt ihren Aktenkoffer und verlässt den Raum. Drei Sekunden lang passiert nichts, vielleicht, weil wir alle noch an dieser intensiven Einführung hängen. Dann erinnern wir uns jedoch an den Arbeitsauftrag und sehen uns um. Die ersten stehen auf und suchen sich ihre Gruppenpartner. Händeschütteln hier, Stühlerücken da. Unsicher beobachte ich die anderen und versuche herauszufinden, bei wem ich mich instinktiv am wohlsten fühle, und bleibe schnell an dem Mädchen mit dem dunklen Blazer hängen. Sie steht bereits bei einer Gruppe von Leuten, aber sie sind nur zu acht. Ich habe noch eine Chance, also stehe ich auf und gehe auf sie zu.

»Hey. Ist bei euch noch ein Platz frei?«

Das Mädchen mit dem Blazer ist die Erste, die zu mir sieht. Ihr Lächeln ist breit und sympathisch. »Klar, du kannst gerne noch dazukommen.«

»Super, danke. Ich bin Charlotte. Charlotte White.«

»Elin Davies«, stellt sie sich vor.

Ihr Kleidungsstil ist unglaublich: ein oversized Blazer, ein Karorock und dazu der große Schmuck und die kurzen Haare. Selten habe ich jemanden Goldstickerei so modern inszenieren sehen.

Die anderen stellen sich der Reihe nach vor, aber es geht so schnell, dass ich Schwierigkeiten habe, mir die Namen einzuprägen.

»Das war eine ziemlich krasse Einführung, oder?«, fragt einer der Jungs und setzt sich auf einen Tisch. »Mrs Watkins wird sicher ziemlich hohe Anforderungen haben. Ich habe etwas Respekt vor ihr.«

»Ich finde sie einfach nur faszinierend«, erwidere ich. »Und ich freue mich auf die Herausforderung.«

Eines der Mädchen mustert mich neugierig, ich glaube, ihr Name beginnt mit einem K. Ihre dunkelbraunen Haare sind zu einem filigranen Dutt geformt.

»Charlotte White hast du gesagt? White wie diese Whiskeybrennerei? Whitesem?«

Ich habe noch nie von diesem Whiskey gehört, aber meine Eltern sind auch nicht gerade Fans von Hochprozentigem.

»Nein. White wie White.«

Jemand prustet.

Das Mädchen mit K hingegen verzieht keine Miene. »Mein Fehler. Du wärst nicht das erste Kind von Whiskeybrennern, die hier die Cliffworth unsicher machen. Die Geschäfte laufen bei den meisten ja ganz gut.«

»Wie bei deinen Eltern«, mischt sich eine der anderen ein und sieht zu Elin.

»Sollen wir mal nach einem wöchentlichen Termin gucken?«, fragt Elin, als wäre ihr das Thema unangenehm. »Wie wäre es, wenn wir uns jeden Montag nach der Vorlesung blocken?«

Ich scrolle durch mein Handy, um meinen Kalender zu finden, während die meisten anderen bereits dem Termin zustimmen. Ein Termin, der nicht so günstig liegt.

»Ich habe da einmal im Monat ein Treffen mit Mrs Walsh. Aber ich bekomme es sicher hin, den zu verlegen.«

»Mit Mrs Walsh?«

Plötzlich sind alle Blicke auf mich gerichtet, aber es ist das Mädchen mit K, das gesprochen hat. Erneut mustert sie mich, diesmal liegt jedoch keine Neugier darin, es wirkt eher forsch.

»O wow, du bist doch nicht etwa eine von denen, oder?«

»Eine wovon?«, frage ich, obwohl ich eine leise Ahnung habe, wie sie das meint.

»Na klar, du bist eine von den Stipendiatinnen.«

Die leise Ahnung wird zur schreienden Gewissheit.

Die anderen tauschen skeptische Blicke.

»Toll«, murmelt eine andere Kommilitonin und rümpft die Nase. »Das hätte ich gerne vorher gewusst.«

Ich verschränke meine Arme vor der Brust. Ein Schutzschild. »Ja, ich war im Sommer an der Cliffworth Academy und habe ein Vollstipendium. Na und?«

Wieder folgen diese Blicke, die mir langsam auf die Nerven gehen, weil sie mich überrollen wie ein Zug. Die Augenbraue des Mädchens mit K zieht sich provokant nach oben, während sie mich noch mal mustert. Diesmal wirkt es nicht neugierig, sondern verächtlich.

»Hast du ein Problem damit?«, frage ich geradeheraus.

»Nicht mit dir persönlich«, sagt sie süßlich. »Aber als die Uni 1831 gegründet wurde, war die Vision von Idris Clifford, Exklusivität zu schaffen. Und ich finde es einfach schade, dass eine so alte Vision und die damit verbundenen Traditionen in den letzten dreißig Jahren immer weiter aufgeweicht werden.«

»Kathleen, lass gut sein«, mischt sich Elin ein.

»Was denn? Sie soll ruhig hören, dass wir nicht alle mit diesen Stipendien einverstanden sind.«

»Sie hat recht«, sagt einer der anderen. Wie hieß er noch? Samuel? »Es ist doch kein Verbrechen, zu sagen, was wir denken. Wir wollen keine Außenstehenden, die unsere Uni einnehmen, obwohl sie die damit verbundenen Traditionen und Werte weder kennen noch repräsentieren können.«

Ich kann nicht glauben, was ich da höre.

»Dann wäre es euch also lieber, wenn ich durch meinen Nachnamen an die Cliffworth gekommen wäre als durch mein Können und meinen Ehrgeiz?«, frage ich spitz.

»Unsere Namen sind eng mit der Geschichte dieser Uni verwoben«, sagt dieser Typ, den ich unter Samuel abgespeichert habe.

»Ach, erzähl doch keinen Blödsinn«, erwidere ich schnaubend. »Wenn ich die Tochter dieses Whiskeybrenners gewesen wäre, wärt ihr alle begeistert gewesen. Geschichte hin oder her.«

»Das eine ist Geschichte«, sagt Kathleen. »Das andere Einfluss. Beides ist Macht.«

»Aber ich bin nun mal hier. Das Stipendium ist etwas, worauf ich stolz bin, weil ich hart dafür gearbeitet habe.«

Kathleen schürzt die Lippen. »Aber genau so, wie du stolz auf dein Stipendium bist, bin ich stolz darauf, die Tochter von Abigail Sutton und somit in der vierten Generation an dieser Uni zu sein.«

Abigail Sutton, wie diese Politikerin aus dem Parlament?

»Ich bin ein Teil dieser Uni, also habe ich durchaus das Recht, meine Meinung dazu zu sagen und für meine Überzeugungen einzustehen«, redet sie weiter. Die anderen stehen noch immer hinter ihr, wie eine Front, und ich bin der Eindringling, der diese zu durchbrechen versucht. Einzig Elin scheint sich unwohl zu fühlen, aber sie folgt der Unterhaltung nur stumm, ohne Kathleens Monolog zu unterbrechen. »Als mein Ururgroßvater damals hier angefangen hat, war es ein absolutes Privileg, an der Cliffworth University studieren zu können, und es ist eine Schande, dass sie damit angefangen haben, diese Privilegien aufzubrechen.«

»Vor dreißig Jahren«, gebe ich zurück. »Die Stipendien sind nicht neu.«

»Uns sind Traditionen wichtig«, meint Kathleen, als würde das alles erklären. »Aber schon klar, dass du nicht nachvollziehen kannst, was das bedeutet. Das ist der springende Punkt, oder?«

Sie hat recht, ich verstehe gar nichts. Dafür bin ich sicher, dass meine Wangen gerade rot anlaufen, was absolut nicht der souveräne Anblick ist, den ich gerne vermitteln würde.

»Aber ich will ganz gewiss auch nicht streiten«, winkt Kathleen nun ab, obwohl da eindeutig Angriffslust in ihren Augen blitzt. »Ich kann die Regeln ja auch nicht ändern – nur hinterfragen.«

»Und immer wieder darum kämpfen, dass die Uni dieses Stipendienprogramm wieder abschafft«, murmelt eine von Kathleens Freunden.

Einige der anderen nicken.

Elins Blick ist voller Mitleid, was dieses bohrende Gefühl, das Kathleens Worte ausgelöst haben, nicht besser macht. Auch ich will keinen Streit, aber ich habe das Gefühl, in diesem Vorlesungssaal kaum noch Luft zu kriegen.

»Montags dann also«, sage ich nüchtern, obwohl alles in mir in Flammen steht. »Ich kläre das mit Mrs Walsh.«

Ich schultere meine Tasche. »Bis dann.«

Als ich den Raum verlasse, ignoriere ich Elins Versuche, mich noch zum Bleiben zu überreden.

So viel zu meinem glorreichen Start an der Uni. Was immer ich mir ausgemalt habe, als mir das Stipendium übergeben wurde: Das war es nicht. Diese efeubesetzten, alten Mauern sollten mir doch Glück bringen … eine Zukunft. Und keine Minderwertigkeitskomplexe.

Der Kaffeewagen vor der Bibliothek ist meine Rettung. Niemals habe ich den Duft der gerösteten Bohnen anziehender gefunden. Mir scheint es nicht allein so zu gehen, denn die Warteschlange reicht beinahe bis zum Eingang der Bibliothek, und doch reihe ich mich ein. Ich übe mich in Geduld und knibble derweil an meinen Fingernägeln, die heute Abend dringend einen neuen Anstrich brauchen. Mein rostroter Nagellack ist am kleinen Finger bereits am Abblättern und passt zu meiner Stimmung.

Aber ich werde nicht klein beigeben, ich werde ihnen beweisen, dass ich mir diesen Platz hier verdient habe, auch wenn es gerade noch schwerfällt, Kathleens Stimme aus meinem Kopf zu verbannen. Dafür ist es noch zu frisch und die Wut im Bauch noch zu greifbar.

Ich schnappe mir meine Kopfhörer und schalte meinen Lieblings-Podcast ein, um mich abzulenken. Die Stimme von Georgia Mallard, die den neuesten Klatsch und Tratsch aus Hollywood im Gepäck hat, hilft eigentlich immer. Es ist wohl neben den ganzen Psychologie- und Medizin-Podcasts meine stumpfsinnigste Beschäftigungstherapie, aber auch die, die mich am meisten runterbringt. Nach dem ganzen Lernstress der letzten zwei Jahre habe ich inzwischen jede der einhundertzwei Folgen zwei- oder dreimal gehört, auch wenn die Themen darin dann nur noch aufgewärmte Brühe von vorvorgestern waren.

Die Schlange bewegt sich, und ich will gerade aufrücken, als sich jemand einfach dazwischenstellt, als wäre ich gar nicht existent.

»Hey.« Ich nehme meinen Kopfhörer heraus. »Stell dich hinten an.«

»Sorry, hab’s eilig.«

»So wie wir alle hier.«

Der Funken Entspannung, den der Podcast mit sich gebracht hat, verebbt sofort wieder. Wo bin ich hier gelandet? In einer Welt, in der sich jeder das nimmt, was er will, und jeder meint, er wäre etwas Besseres?

Der Typ ignoriert mich. Er lässt sich nicht mal anmerken, dass ich mich hier gerade über ihn beschwere, aber ich werde mir das ganz sicher nicht gefallen lassen.

Die Schlange rückt weiter nach vorne, und ich reagiere so schnell ich kann, überhole den Typ mit seiner arroganten Haltung und reihe mich wieder vor ihm ein.

Er packt mich kurz am Oberarm, als würde er mich ermahnen wollen. Es ist kein fester Griff, aber ich spüre die Spannung, die sich zwischen uns aufbaut.

»Sorry«, zische ich und drehe mich um. »Hab’s eilig.«

Kurz stocke ich, als ich in seine graugrünen Augen blicke, die wunderschön aussehen könnten, würden sie nicht ebenso vor Arroganz sprühen wie sein gesamtes Auftreten. Dichte Bartstoppeln umrahmen sein Gesicht, und seine dunkelblonden Haare sind verwuschelt zur Seite gelegt, sodass sie ihm rechts ein wenig in die Stirn fallen. Der Knopf seines grauen Sweatshirts steht offen und verleiht ihm eine gewisse Lässigkeit, die durch die goldene Uhr an seinem Handgelenkt jedoch wieder aufgehoben wird. Eindeutig eine Rolex – war ja klar.

Seine Augenbraue hebt sich, als er mich mustert. Angefangen bei meinen dunkelroten Boots, meinen schwarzen Kniestrümpfen über mein schwarzes oversized Kleid hin zu meinen offenen Haaren.

»Erstsemester, nehme ich an?«

Ich wünschte, ich hätte schon einen Kaffee, den ich ihm für diese Blasiertheit ins Gesicht schütten könnte.

»Weißt du, ich habe noch eine wichtige Besprechung.«

Die Farbe seiner Iriden passt perfekt zu den grauen Steinmauern mit dem Efeu und unterstreicht damit sein Gehabe – als wisse er, dass er genau hierhergehört, während ich die Neue bin, die die Spielregeln nicht kennt. Ein Teil von mir will zurückweichen und ihm einfach das Feld überlassen. Aber im Kampf um mein Stipendium hatte ich mit Leuten wie ihm zu tun: die, die meinen, dass sich alles nach ihnen richten muss. In den sechs Wochen an der Cliffworth Academy habe ich widerwillig darüber viel zu oft nachgegeben, weil ich keinen Streit provozieren wollte. Doch nun kann ich das nicht mehr. Will es nicht. Schon gar nicht mit den Stimmen aus meinem Einführungskurs im Kopf.

Ich recke mein Kinn. »Das tut mir leid, dann wirst du diese Besprechung wohl ohne Kaffee oder Tee aushalten müssen, wenn du nicht warten kannst.«

»Das ist nicht sehr freundlich von dir. Daran solltest du arbeiten.«

Ich? Dieser schnöselige Mistkerl.

»Du solltest da auch an etwas arbeiten, denn wenn du immer so mit den Leuten umgehst, könnte es schnell passieren, dass man dich für ein aufgeblasenes Arschloch hält.«

Die Schlange rückt nach vorne, diesmal quetscht sich der Typ nicht dazwischen. Er schmunzelt nur.

»Eigentlich ist mir ziemlich egal, was andere von mir denken.«

Ich lache leise. »Diese Rolex am Handgelenk würde etwas anderes dazu sagen.«

Plötzlich beugt er sich zu mir. Ich sehe die ganz feinen Sommersprossen auf seiner Nase, sehe das Andeuten eines Grübchens auf seiner rechten Wange. Sehe, dass das Grün in seinen Iriden doch ein wenig heller ist als gedacht und eher an Schilf als an Efeu erinnert. Es bringt mich gedanklich an meinen Lieblingsplatz in York, dem Hogg’s Pond, an dem das Schilf geradezu wuchert und mich immerzu zum Nachdenken angeregt hat, wann immer ich dort war. Diese Augenfarbe strahlt eine gewisse Melancholie aus, die von der Arroganz aber sofort wieder weggewischt wird. Das Kribbeln, das sich plötzlich in meinem Magen ausbreitet, werde ich leider nicht so schnell wieder los. Es ist verwirrend und einnehmend, und absolut unangebracht.

»Du hörst nicht richtig zu, Cherry.« Sein Atem streicht mein Ohr, als er mir diesen dämlichen Spitznamen zuraunt. Fällt ihm echt nichts Besseres ein, als sich auf meine Haarfarbe zu beziehen? »Ich sage, dass es mir egal ist, was sie von mir denken. Solange sie wissen, wie sie mich behandeln sollten.«

»Wow.« Das Kribbeln ist schlagartig weg. »Dann revidiere ich meine Aussage: Die Leute denken nicht, dass du ein Arschloch bist, du bist eins, Reed.«

Er blinzelt. Für einige Sekunden wirkt er fast überrascht, vermutlich versteht er meinen kleinen Spitznamen nicht, weil er meine Schilf-Assoziation nicht kennt. Wenn er äußerliche Merkmale als Anreiz für einen Spitznamen verwendet, kann ich das schon lange.

»Wird wohl Zeit, dass ich mich vorstelle.« Er grinst schief, als er mir die Hand hinstreckt. »Morgan McKenzie.«

»Wie auch immer«, erwidere ich wenig beeindruckt und drehe mich wieder zum Kaffeestand um. Nur noch eine Studentin ist vor mir.

»Und du heißt?«, fragt Morgan mich über die Schulter.

Ich schiele nur kurz zu ihm. »Behandle Menschen besser, dann sind sie vielleicht daran interessiert, dir ihre Namen zu nennen.«

»Spricht von Höflichkeit, und dann das«, gibt Morgan amüsiert zurück, aber ich erwidere nichts. Stattdessen trete ich endlich vor.

»Einen Moccachino mit extra Sahne.«

»Die Bestellung geht auf mich«, tönt Morgan von hinten.

»Nein, danke.« Ich reiche dem Barista fünf Pfund und nehme meinen Moccachino entgegen. Ohne Morgan noch mal anzusehen, entferne ich mich vom Kaffeewagen, aber sein Blick begleitet mich. Ich spüre ihn im Nacken, in meinen überhitzten Wangen, die unser kleines Streitgespräch hinterlassen hat.

Ich hatte die Oberhand, oder?

Kapitel 4

Morgan

 

Ich weiß nicht, wann mir das letzte Mal jemand gesagt hat, dass ich ein Arschloch bin. Als Kind vielleicht, während eines Streits mit irgendeinem Schulfreund, der sich nicht anders zu helfen wusste. Aber danach? Möglicherweise sagen das die Leute hinter meinem Rücken. Aber niemals ins Gesicht. Nicht wie Cherry.

Mein Blick schweift zu der Wiese zwischen der Praxton-Hall und den voll besetzten Steinbänken und sehe fasziniert dabei zu, wie sie an ihrem Kaffee nippt. Ihre roten Haare schimmern in der Sonne, lassen es seidig und weich aussehen und lassen mich genauso verwirrt zurück wie diese Spannung zwischen uns, die ich gespürt habe. Sonst sind die Leute gut darin, mir immer nur das zu sagen, was ich hören will. Von dem sie denken, dass es mich auf ihre Seite zieht. Wer hätte gedacht, dass es mir derart gut gefällt, wenn mal jemand anders reagiert? Ihr kleiner Spitzname für mich, der eindeutig eine Retourkutsche sein soll, hat mich jedenfalls sehr amüsiert. Reed. Bei Gelegenheit muss ich sie mal fragen, wieso sie sich gerade diesen Namen ausgesucht hat.

Ich werde von der Seite angestupst. »Dachte, du wolltest schon mal nach Hause, um dich vor unserer Versammlung noch um die Kanzlei zu kümmern. Warten da nicht ein paar E-Mails auf dich?« Mein bester Freund und einer meiner Mitbewohner, Badrig, steht neben mir. Die dunklen, lockigen Haare sind ein wenig länger als vor den Sommerferien und die sonst olivfarbene Haut noch ein wenig gebräunter. Er sieht eindeutig erholt aus, während ich das Gefühl habe, dass die Ferien mir meine Lebensenergie ausgesaugt haben.

»Da ist mir gerade noch zu viel los«, erwidere ich missmutig. Als ich in der Mittagspause vorbeigeschaut habe, hatte unsere zweite Mitbewohnerin Venora mindestens zehn Leute zu Besuch, und das war mir viel zu viel Trubel. »Da reden gerade alle davon, wie toll ihr Sommer war. Das nervt. Und auf die E-Mails von meiner Mum habe ich auch noch keine Lust, also vertreib ich mir noch etwas die Zeit. Auch wenn diese kleine Pause wohl bald enden muss.«

»So finster drauf heute? Immer noch wegen der Standpauke von deinen Eltern?«