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Louisa Lorenz

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Beschreibung

Die Klitoris – noch viel aufregender, als wir denken

Als Louisa Lorenz durch Zufall erfährt, dass die Klitoris nicht nur ein kleiner Lust-Knubbel ist, sondern sich weit ins Innere des Körpers erstreckt, ist sie bereits 25 Jahre alt. Und das, obwohl sie sich als moderne, aufgeklärte und emanzipierte Frau fühlt. Ihre Freund*innen, stellt sie schnell fest, sind genauso unwissend. Wie kann das sein?

Heute, einige Jahre später, ist Louisa Lorenz Klitoris-Expertin und klärt über dieses faszinierende und vollkommen unterschätzte Organ auf. Sie verrät, dass die Vorstellung vom vaginalen Orgasmus ein Mythos ist, der vor allem von Männern ins Leben gerufen wurde, welche Bedeutung die Klitoris tatsächlich für den Orgasmus hat – und welche anderen Irrtümer und Missverständnisse zu Sexualität und Anatomie bis heute bestehen.

Louisa Lorenz erzählt eine spannende Geschichte von Ignoranz, Unterdrückung und Verwirrung und zeigt, dass es höchste Zeit für mehr sexuelle Selbstbestimmung und für die Befreiung unserer Lust ist. Eine Offenbarung für alle, die Sex haben!

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Die Klitoris – noch viel aufregender, als wir denken

Als Louisa Lorenz durch Zufall erfährt, dass die Klitoris nicht nur ein kleiner Lust-Knubbel ist, sondern sich weit ins Innere des Körpers erstreckt, ist sie bereits 25 Jahre alt. Und das, obwohl sie sich als moderne, aufgeklärte und emanzipierte Frau fühlt. Ihre Freund*innen, stellt sie schnell fest, sind genauso unwissend. Wie kann das sein?

Heute, einige Jahre später, ist Louisa Lorenz Klitoris-Expertin und klärt über dieses faszinierende und vollkommen unterschätzte Organ auf. Sie verrät, dass die Vorstellung vom vaginalen Orgasmus ein Mythos ist, der vor allem von Männern ins Leben gerufen wurde, welche Bedeutung die Klitoris tatsächlich für den Orgasmus hat – und welche anderen Irrtümer und Missverständnisse zu Sexualität und Anatomie bis heute bestehen.

Louisa Lorenz erzählt eine spannende Geschichte von Ignoranz, Unterdrückung und Verwirrung und zeigt, dass es höchste Zeit für mehr sexuelle Selbstbestimmung und für die Befreiung unserer Lust ist. Eine Offenbarung für alle, die Sex haben!

Die Autorin:

Louisa Lorenz, 1988 geboren, ist Kulturwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin. Die Themen Körper, Sexualität und Gesellschaft stehen dabei im Fokus ihrer Arbeit. Seit 2016 gibt sie regelmäßig Workshops zur Klitoris und anderen feministischen Themen. Menschen zu ermöglichen, in offener Atmosphäre und ohne Scham über Sexualität lernen zu können, liegt ihr dabei besonders am Herzen. Wenn Sie nicht gerade irgendwo in Deutschland in Seminarräumen, Gesundheitszentren, auf Festivals oder in WGs mit Menschen über die Klitoris spricht, dann lebt und arbeitet sie in Göttingen.

Louisa Lorenz

Clit

Die aufregende Geschichte der Klitoris

Wilhelm Heyne Verlag

München

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe 03/2022

Copyright © 2022 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Dr. Claudia Woldt

Umschlaggestaltung: eisele grafik·design

Illustrationen: Pat Hansen

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-27919-6V001

www.heyne.de

Inhaltsverzeichnis

Wie ich die Klitoris kennenlernte

Teil IDie Anatomie der Klitoris

Bevor wir loslegen …

Die Weiten der Klitoris entdecken

Ein Blick unter die Oberfläche

Ein Dauerbrenner: Die Frage nach der Größe

Geschlechts-, Sexual- und Lustorgane. Das Dilemma mit der Sprache

Das Drumherum: Klitorisvorhaut, Harnröhre und paraurethrale Drüsen

Die Vagina und unsere Vorstellung von Sex

Die inneren und äußeren Vulvalippen

Die Nerven der Klitoris

Was wir (nicht) über Sex lernen und was das mit uns macht

Repräsentation und warum sie wichtig ist

Klitoris und Geschlecht

Embryonale Entwicklung

Bestimmung von Geschlecht

Was ist eigentlich Geschlecht?

Funktionen der Klitoris

Lustempfinden und Orgasmus

Fortpflanzung ja oder nein? Das ist hier die Frage …

Teil IIDie Kulturgeschichte der Klitoris

Bevor wir unsere Zeitreise starten …

Von der Antike bis ins 15. Jahrhundert

Die Klitoris vor 2000 Jahren

Nachkommen, Ehe und Sexualität

Sexualitätsnarrative im Mittelalter

Renaissance und Beginn der Neuzeit

Wieder-, Fehl- und Neuentdeckungen

Von Samen, Eizellen und der Bedeutung von Lust

Auf- und Umbrüche ab dem 18. Jahrhundert

Haben Frauen weniger Lust auf Sex als Männer? Und wenn ja, warum?

Gesellschaftlicher Wandel im 18. Jahrhundert

Von den ›natürlichen‹ Unterschieden und wer sie macht – die Rolle der Frau als Mutter

›Ich bin dein, du bist mein.‹ Liebe kann problematisch sein

Die Romantisierung der Ehe

Sex als Ware

Sexuelle Bedürfnislosigkeit der Frau als kultureller Wert

Die Klitoris in der Moderne

Die Anatomie der Klitoris war schon lange kein Geheimnis mehr

Die Klitoris als Übeltäterin

Klitorisentfernung heute

Hysterie und die Anfänge des ›vaginalen Orgasmus‹

Der Mythos von der Erfindung des Vibrators

Noch mehr Mythen: Freud und der vaginale Orgasmus

Die Klitoris im 20. und 21. Jahrhundert

Sexualforschung und Frauenbewegung

Das Erbe des vaginalen Orgasmus

Die Abwertung der Vagina

Die Überhöhung der Klitoris

Von den 1990ern bis heute

Und was bedeutet all das jetzt für uns?

Dank

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

Wie ich die Klitoris KENNENLERNTE

›Klitoris‹ ist kein unbekannter Begriff, aber was sich dahinter tatsächlich verbirgt, wissen die meisten trotzdem nicht. Mich lange Zeit eingeschlossen. Und was noch viel wesentlicher ist: Den Großteil meines Lebens ahnte ich noch nicht einmal, dass ich es nicht wusste. In der vierten Klasse hatte ich zum ersten Mal Sexualaufklärungsunterricht. Da haben wir gelernt, wo die Babys herkommen. Dann auch später noch mal auf dem Gymnasium während der Pubertät. Als Teenager las ich die Bravo. Mit Anfang 20 kaufte ich, ermutigt von einer Freundin, meinen ersten Vibrator. Also versteht mich nicht falsch, mit dem Konzept Klitoris war ich durchaus vertraut. Doch erst als ich 25 Jahre alt war, lernte ich die Klitoris tatsächlich kennen, und das auch eher per Zufall.

Ich kann mich bis heute noch gut daran erinnern, wie ich an einem Tag im August 2013 am Schreibtisch saß, während draußen die Sonne schien. Vor meinem offenen Fenster rauschten die Bäume im Wind und ich starrte auf meinen Laptop. Mäßig interessiert scrollte ich damals durch meinen Facebook-Feed. Warum tut man das? Klar, Prokrastination. Ich hätte mich eigentlich an eine Hausarbeit für die Uni setzen müssen, aber versuchte, mich noch einen kleinen Moment länger davor zu drücken. Jemand hatte einen Artikel gepostet mit dem Titel »The Internal Clitoris«1. Ich war auf der Suche nach gar nichts. Alles war mir eine willkommene Ablenkung und »Internal Clitoris« klang eigentlich sogar ganz spannend. Ich hatte jedoch nicht unbedingt damit gerechnet, etwas bahnbrechend Neues zu erfahren. Ich war eine junge, moderne Frau des 21. Jahrhunderts. Ich war offen, redete mit meinen Freund*innen über Sex. Ich kannte meinen Körper. Ich war Feministin. Ich lebte in der Großstadt. Ich war ›up to date‹. Der Kommentar der Person, die den Artikel gepostet hatte, machte mich aber doch ein klein wenig neugierig. »Erstaunlich! Also ich wusste das nicht. Und ihr?« Hm. Klick.

Ohne dass ich in irgendeiner Weise darauf vorbereitet gewesen wäre, hat sich mir an dem Tag eine völlig neue Welt eröffnet. In dem Artikel waren einige Informationen zusammengetragen, die ganz spannend waren. Woran ich aber wirklich hängen blieb, waren die Abbildungen. Ich verstand überhaupt nicht, was ich da sah. Ich kannte die Klitoris an meinem Körper als kleinen Knubbel, der am oberen Ende meiner Vulva erbsengroß hervorlugte. Auf dem Bildschirm vor mir sah ich ringförmige Gebilde in Blau und Gelb, die in einer 3-D-Ansicht den Unterleib zeigten. In der Frontansicht erkannte ich zumindest die Beine, und in der Seitenansicht zeigte sich die prägnante Auberginenform des Uterus. Aber ansonsten war ich auf diesen Bildern recht orientierungslos. Es schlängelte sich eine oktopusähnliche Form durch das Bild, und der Text verriet mir, dass das die Klitoris sein sollte. Was ich aus all dem erst mal mitnahm, war, dass die Klitoris wohl mehr ist als das, was ich von außen sehen konnte.

Das war mir völlig neu. Ich war beeindruckt, schockiert, neugierig und gleichzeitig nicht bereit für diese Information. Mein erster Gedanke war: »Alle wissen das bestimmt, nur ich nicht. Wie peinlich.« Erst mal Deckel drauf, Verdrängungsmodus. Nicht zu wissen, wie eine Klitoris tatsächlich aussieht, passte überhaupt nicht zu meinem Selbstbild als emanzipierte Frau. Mein Unwissen löste ein Schamgefühl in mir aus. Gleichzeitig war mir klar, dass ich mehr darüber rausfinden musste. Denn bereits beim ersten Anblick der Klitorisabbildungen in dem Artikel breitete sich in mir eine Ahnung aus, dass dieses neu gewonnene Wissen über die Klitoris das Verständnis meiner Sexualität verändern würde. Kurze Zeit später kam ich mit einer vertrauten Freundin ins Gespräch über meine Neuentdeckung, und sie erzählte mir, dass sie auch gerade so etwas Ähnliches erfahren hatte. Ihre Mitbewohnerin hatte vor Kurzem ein Buch geschenkt bekommen, indem es ebenfalls um die Klitoris ging. Beide waren genauso überrascht gewesen wie ich festzustellen, dass die Klitoris scheinbar viel größer ist, als wir dachten. Das Buch war während der Frauenbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre entstanden. Es hieß Frauenkörper neu gesehen und war schon lange nicht mehr erhältlich. Gerade wurde es jedoch wieder neu aufgelegt, und ich hatte keine Zeit zu verlieren, eins in die Finger zu bekommen. Wenig später stieß ich durch Zufall auf ein Kunstprojekt mit dem Titel Cliteracy der New Yorker Künstlerin Sophia Wallace. Dieses Projekt hat mich zum damaligen Zeitpunkt komplett abgeholt, denn es ging im Prinzip um genau das, was ich gerade erlebte. Wallace thematisierte, dass die meisten Menschen die Klitoris als solche überhaupt nicht erkennen würden, wenn sie sie sehen, da sie in ihrer vollständigen Anatomie so gut wie nie abgebildet wird. Ich war also nicht allein mit meiner Ahnungslosigkeit. Es drängte sich mehr und mehr die Frage auf: Wie konnte das sein? Und was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn Penisse sich geradezu auf jeder öffentlichen Toilette und sogar an Hauswänden hingekritzelt finden, die Klitoris jedoch dermaßen unterrepräsentiert ist, dass sie von vielen noch nicht einmal erkannt wird?

Ich tauchte mehr und mehr in die Recherche ein und nutzte damals meine Bachelorarbeit dazu, mich genauer mit diesen Fragen zu befassen. Literatur zu dem Thema zu finden war verdammt schwer. Heute weiß ich, dass es eigentlich unheimlich viel Interessantes dazu gibt. Aber man stößt nicht einfach so darauf. Als ich damals ›Klitoris‹ in den Bibliothekskatalog eingab, fand ich fast ausschließlich Titel zu Tieren oder zu Krankheiten. Das war erst mal nicht der Ansatz, den ich verfolgen wollte. Mich trieben eher diffuse Fragen um, die näher an meinem eigenen Bezug zur Klitoris dran waren. Denn wenn ich schon erst mit 25 Jahren gelernt hatte, dass die Klitoris mehr als nur ein Knubbel ist und ihr größter Anteil, für mich unsichtbar, im Inneren meines Körpers liegt, was gab es dann wohl noch alles darüber rauszufinden? Erst als ich durch private Bücherregale alteingesessener Berliner Feminist*innen stöbern durfte, wurde ich fündig. Nach und nach mehrten sich die brauchbaren Ergebnisse meiner Literaturrecherche, und ich musste schon bald feststellen, dass die tatsächliche Anatomie der Klitoris in der Medizin eigentlich überhaupt keine Neuigkeit war. Warum hatte man sie dann bis heute immer wieder völlig falsch abgebildet? Ich hatte viele, viele Fragen. Und je mehr ich recherchierte, desto mehr Fragen wurden es. Obwohl ich schon seit Jahren an diesem Thema arbeite, hat sich daran bis heute kaum etwas geändert. Ich finde immer wieder Überraschungen, habe immer wieder Aha-Momente und stoße stets auf neue Fragen, die komplex und häufig nicht einfach zu beantworten sind.

Die Zeit der Entdeckung all dieser Informationen zur Klitoris war aufregend, erleichternd, hilfreich, frustrierend und überfordernd zugleich. Jeden Tag saß ich in der Bibliothek und robbte mich in meinem Thema Stück für Stück vorwärts. Während der Kaffee- oder Mittagspausen erzählte ich häufig meinen Freund*innen, was ich schon wieder Aufregendes und zum Teil auch Schockierendes über die Geschichte der Klitoris herausgefunden hatte. Eine von ihnen sagte eines Tages zu mir: »Krass. Wenn ich nicht jeden Tag mit dir in der Bib sitzen würde, hätte ich das wahrscheinlich nie erfahren.« Die größte Hürde für Menschen, etwas über die Klitoris zu lernen, ist oftmals ihre Unwissenheit, dass sie nichts darüber wissen, bzw. dass das, was sie glauben darüber zu wissen, meistens falsch ist. Inspiriert von Sophia Wallaces Kunstprojekt hatte ich mir einen kleinen glitzernden Klitorisaufkleber gebastelt, den ich über das leuchtende Logo auf meinem Laptop klebte. Es war so eine Art Metawitz mit mir selbst. Denn während ich an meinem Computer saß und eine Arbeit darüber schrieb, dass kaum jemand weiß, wie die Klitoris tatsächlich aussieht und was das für unsere Gesellschaft bedeutet, leuchtete gleichzeitig die kleine glitzernde Klitoris für jede*n sichtbar, doch von nahezu allen Menschen unerkannt, vor sich hin. Gelegentlich fragten mich Arbeitskolleg*innen, Kommiliton*innen oder Freund*innen, was das denn da eigentlich wäre, das da auf meinem Computer klebte? »Ist das eine Bananenschale? Ein Krake? Oder ein Pinguin?« Wenn ich dann ohne Umschweife antwortete: »Nein, das ist eine Klitoris«, passierte eigentlich immer das Gleiche. Es zuckte ein kurzer Blitz peinlicher Berührung durch den Raum, die Menschen neigten ihren Kopf zur Seite, blickten irritiert auf den Aufkleber und sagten: »Ach so, ja klar!« In ihren Gesichtern stand jedoch stets überdeutlich geschrieben, dass überhaupt nix klar war. Sie waren nicht nur meist überfordert damit, dass ich so unvermittelt das Wort ›Klitoris‹ laut gesagt hatte. Ich konnte ihnen auch förmlich ansehen, wie die gleiche Scham durch sie hindurch strömte, die auch ich gefühlt hatte, als ich zum ersten Mal realisierte, dass ich offenbar noch nicht einmal die Basics zum Thema Klitoris im Kopf hatte.

Nach einiger Zeit fragte mich meine Freundin Anna: »Sag mal, hast du nicht mal Lust, bei uns in der WG einen Workshop dazu zu machen? Ich hab’ halt Glück, dass ich das alles gelernt habe, weil wir jeden Tag Kaffee trinken. Aber ich kenne so viele Leute, die sich das bestimmt auch gerne mal anhören würden.« Ich dachte mir: »Ja, das könnte ich bestimmt mal machen.« Und von da an fragte mich Anna eigentlich ständig mit steigendem Nachdruck: »Louisa, wann machen wir denn jetzt diese Clit Night?« Der Name ist geblieben, der Workshop hat sich im Laufe der Jahre immer weiter verändert, und das tut er auch weiterhin. Natürlich war mir dabei immer wichtig, Menschen Informationen über die Klitoris zu bieten. Was mir jedoch besonders am Herzen lag, war, einen Raum zu schaffen, wo sie unbeschämt, mit Neugier und Freude etwas über Sexualität lernen können. Und dazu möchte ich euch auch mit diesem Buch einladen.

Beim Schreiben habe ich mich oft gefragt, wie ich dich, euch, die Leser*innen dieses Buches ansprechen kann und ich habe mich letztendlich für ›wir‹ entschieden. Jeder Mensch, der dieses Buch liest, bringt anderes Vorwissen, andere Perspektiven, andere kulturelle Sichtweisen und andere politische Einstellungen mit. Es gibt so vieles, was uns alle unterscheidet. Dennoch lest ihr jetzt gerade alle dieses Buch. ›Wir‹ soll uns nicht zu einer homogenen Masse aus Menschen machen, die vermeintlich alle die gleichen Erfahrungen teilen würden. Aber es soll uns daran erinnern, dass wir mit vielen unserer Erfahrungen auch nicht so alleine sind, wie wir häufig glauben.

Wer einen Wunsch danach hat Sex, Beziehungen, Gesellschaft und sich selbst mittendrin besser zu verstehen, für die*den ist dieses Buch geschrieben. Also, was erwartet euch? Jede Menge Infos über die Klitoris natürlich. Ist ja klar. Viel mehr noch werden wir uns jedoch damit beschäftigen, was wir über Sex lernen und vor allem auch damit, was wir eben nicht darüber lernen. Wir werden eine kleine Reise durch die europäische Geschichte wagen und uns dabei immer wieder fragen: Was haben die Vergangenheit und die Gegenwart einer westlich verorteten, christlich geprägten Gesellschaft mit dem eigenen Blick auf Sexualität zu tun? Haben Frauen tatsächlich weniger Lust auf Sex als Männer? Was haben Ehe, Liebe, Geld und Sex miteinander zu tun? Gibt es einen ›vaginalen Orgasmus‹? Was ist eigentlich Geschlecht? Und vor allem, was hat all das mit der Klitoris zu tun?

Wir werden uns mit jeder Menge Mythen beschäftigen, und glaubt mir, davon gibt es einige, wenn es um das Thema Sex und Körper geht. Mit Leichtigkeit hätte dieses Buch die doppelte und dreifache Seitenzahl haben können, und es wäre immer noch nicht alles zur Klitoris gesagt. Denn auch über mein Wissen hinaus gibt es natürlich noch unzählige andere Sichtweisen auf dieses Thema. Dieses Buch und meine Perspektive erheben deshalb weder Anspruch auf universale Gültigkeit noch auf absolute Vollständigkeit, und das Lernen über die Klitoris bleibt auch für mich ein anhaltender Prozess. Was ihr in diesem Buch lest, ist das Aufzeigen und eine Analyse verbreiteter Tendenzen eines spezifischen kulturellen Kontextes. All diejenigen, die den Weg zu diesem Buch gefunden haben, möchte ich mitnehmen auf eine aufregende Körper- und Zeitreise, und ich bin gespannt darauf, was jede*r Einzelne von euch daraus mitnehmen wird. Also lasst uns die Klitoris kennenlernen!

Teil I

Die Anatomie der Klitoris

Bevor wir loslegen …

Wir starten mit der Anatomie der Klitoris. Dass es dabei um mehr als nur ›den Knubbel‹ gehen wird, haben wir ja im Vorfeld schon geklärt. Bei unserer Betrachtung der Genitalanatomie werden wir uns Körperteile und Organe zwar im Einzelnen anschauen. Wir dürfen dabei jedoch nicht vergessen, dass auch einzelne Komponenten unseres Körpers immer Teil eines größeren, zusammenhängenden Ganzen sind. In diesem Kapitel wird es deshalb um mehr gehen als einfach nur eine Auflistung klar definierter Fakten zur Klitoris. Es wird auch um Sprache gehen und darum, was sie mit unserem Gefühl zu unseren Körpern macht. Es wird um die Frage gehen, was unter dem Begriff ›Klitoris‹ überhaupt zu verstehen ist, was dazu gehört und wer das bestimmt. Es wird auch um all das gehen, was sich oben und unten, links und rechts neben der Klitoris befindet. Denn mit all dem muss man sich, meiner Ansicht nach, eben auch beschäftigen, wenn man die Klitoris verstehen will.

Es kann auch interessant sein, sich das bei Gelegenheit bei sich selbst mal genauer anzuschauen. Für viele Menschen ist das erst mal ungewohnt, aber vielleicht bekommt ihr beim Lesen ja irgendwann Lust dazu. Denn je besser wir uns mit der Anatomie unserer Genitalien in der Theorie auskennen, desto spannender kann es sein zu sehen, was wir davon an unseren eigenen Körpern wiedererkennen können. Manchmal sehen wir da plötzlich Sachen, die uns vorher gar nicht aufgefallen sind. Oder wir verstehen auf einmal, dass irgendetwas, das uns vielleicht bisher komisch vorkam, ein ganz normaler Teil der Anatomie ist.

Abb. 1 Hansen, Pat (Hafenzimmer). Äußere Genitalanatomie, 2021

Dabei ist natürlich jeder Körper anders. Am besten kann man unsere Genitalien eigentlich mit einem Gesicht vergleichen. Wir ähneln uns darin, dass wir zwei Augen, eine Nase und einen Mund haben. Aber trotzdem sehen wir alle ganz unterschiedlich aus. Genauso ist es mit den Genitalien auch. Wir haben alle ein individuelles Gesicht zwischen den Beinen, und keine Person sieht genauso aus wie eine andere. Deshalb keine Panik, wenn an eurem Körper etwas vielleicht nicht den Abbildungen gleicht, die ihr in diesem – oder auch in jedem anderen – Buch finden werdet. Diese Bilder dienen vor allem dazu, etwas daran zu erklären. Anatomische Darstellungen sind immer ein Kunstprodukt, und kein Mensch wird genauso aussehen wie irgendeine dieser Abbildungen. Sie sollen uns helfen, besser zu verstehen, was sich anatomisch wo befindet. Alles, was ihr darauf seht, kann an einem echten Körper sowohl weniger als auch stärker ausgeprägt sein. Das ist ganz normal. Also lasst euch davon nicht stressen. Sondern versteht so eine anatomische Entdeckungsreise eher als Gelegenheit herauszufinden: »Wie ist das denn eigentlich bei mir?«

Die Weiten der Klitoris entdecken

Ein Blick unter die Oberfläche

Oft wird gesagt, die Klitoris sei wie ein Eisberg. Nur den kleinsten Teil davon können wir überhaupt sehen. Und das stimmt. Von außen erkennen wir erst mal nur das Köpfchen der Klitoris (Abb. 1). Das ist der schon öfter erwähnte Knubbel. Es ist der Teil der Klitoris, den die meisten Menschen kennen und unter diesem Begriff verstehen. Es ist aber eben nur ein ganz kleiner Teil. Wenn wir über die Klitoris reden, finde ich es deshalb sinnvoll, in der Sprache so gut wie möglich erkennbar zu machen, über welchen Teil der Klitoris gerade gesprochen wird. Weitere Begriffe für das Köpfchen sind z. B. ›Klitorisperle‹ oder auch einfach nur ›Perle‹. Mir persönlich gefällt diese Bezeichnung gut, weil sie an etwas Wertvolles oder an Schmuck erinnert. Das ist eine schöne Assoziation für diesen Körperteil, finde ich. Wie bei echten Perlen können Form, Größe und Farbe sehr unterschiedlich sein. Noch ein Begriff ist ›Klitoriseichel‹. Dieses Wort kommt eher aus dem medizinischen Kontext. Denn in der Medizin wird für diesen Körperteil die lateinische Bezeichnung ›Glans clitoridis‹ verwendet. ›Glans‹ ist das lateinische Wort für ›Eichel‹, und Eicheln sind die Früchte des Eichenbaumes. Vermutlich hat sich der Begriff für diesen Körperteil wegen des ähnlichen Aussehens etabliert. Ein weiterer Begriff für das Klitorisköpfchen ist ›Kitzler‹. Seit wann es diesen Begriff gibt, ist nicht so ganz klar. In der medizinischen Literatur findet man ihn aber vermehrt ab dem 18. Jahrhundert. Lust auf Sex, oder wie man auch sagen könnte, das Gefühl der ›Geilheit‹ wird in dieser Zeit u. a. als ›Wollustkitzel‹ bezeichnet.2 ›Kitzler‹ bezieht sich daher sowohl auf den Kitzel, den die Klitoris in uns auslösen kann, als auch auf das, was man damit macht, nämlich die Klitorisperle leicht streicheln oder ›kitzeln‹, um Lust zu verspüren.

Auch das Wort ›Klitoris‹ wird in seinem Ursprung häufig mit ›reiben‹ oder ›streicheln‹ in Verbindung gebracht. Woher das Wort genau kommt, lässt sich jedoch nicht völlig klären. ›Klitoris‹ taucht bereits in Schriften der griechischen Antike im 1. Jahrhundert auf. Dort wird das Wort vom Verb ›kleitoriazein‹ abgeleitet, das in historischen Schriften meist übersetzt wurde als ›die Klitoris lustvoll streicheln‹. Der französische Sprachwissenschaftler Marcel Cohen (1884–1974) führte den Ursprung dieses Wortes auf den Sprachraum des heutigen Äthiopiens zurück, von wo es möglicherweise ins Griechische übernommen wurde.3 Man findet aber auch andere Herleitungen und Interpretationen. Zum Beispiel, dass ›Klitoris‹ von griech. ›kleien‹ käme, was mit ›schließen‹ oder ›überziehen‹ übersetzt wird, oder dass es ›Schlüssel‹ bedeutet, von griech. ›kleis‹. Weitere Verbindungen werden auch zur antiken Stadt Kleitor gezogen. Daraus werden Bedeutungen wie ›Hügel‹ abgeleitet.4 Oder man bezieht sich auf die griechische Göttin Kleite.5 Die genaue Bedeutung des Wortes ›Klitoris‹ bleibt in dieser Menge von Erklärungen also letztlich unklar.

Von der Klitorisperle geht die Klitoris im Inneren des Körpers in den Klitorisschaft über (Abb. 2). In medizinischer Literatur wird dieser Teil auch manchmal ›Corpus‹ oder ›Klitoriskörper‹ genannt. Das Corpus ist ein ziemlich dickes Teil, das an der Rückseite mit einem großen Band am Lustknochen (Schambein) festgehalten wird. Von da aus streckt sich dieser Teil der Klitoris in zwei Beinchen oder Schenkel (Crura) aus, die links und rechts am Beckenknochen anliegen. Die Klitoris ist ein Schwellkörperkomplex, der genau wie der Penis aus zwei verschiedenen Arten von Schwellkörpern besteht. Den Teil von der Perle bis zum Ende der Schenkel bezeichnet man als ›Corpus cavernosum‹. Übersetzt heißt das ›löchriger‹ oder wie beim englischen ›cavern‹ (Höhle) ›höhliger Körper‹. Das beschreibt die innere Struktur dieses Schwellkörpers. Unter dem Mikroskop sieht er aus, als bestünde er aus vielen winzig kleinen Kammern. An der Unterseite des Klitoriskörpers entspringt ein weiterer Schwellkörper, das ›Corpus spongiosum‹. Das könnte man als ›schwammiger Körper‹ übersetzen. Auch dieser Schwellkörper teilt sich nach links und rechts auf und liegt so auf beiden Seiten um die Vagina herum. Diese beiden ›Schwämme‹ werden als ›Bulbi‹ (Sing. ›Bulbo‹) bezeichnet, was ›Zwiebel‹ bedeutet. ›Zwiebel‹ beschreibt dabei die knollige Form der beiden Schwellkörperteile. Das Schwellgewebe des Klitoriskomplexes breitet sich bis um die Harnröhre herum aus. Diesen Teil nennt man auch ›Harnröhrenschwellgewebe‹ (Abb. 3). Weil es eine ähnliche Struktur hat wie die Bulbi und auch direkt mit ihnen verbunden ist, wird es manchmal zum Corpus spongiosum dazu gezählt.

Abb. 2 Hansen, Pat (Hafenzimmer). Klitoris, Vorderansicht, 2021.

Abb. 3 Hansen, Pat (Hafenzimmer). Klitoris Querschnitt, Seitenansicht, 2021

Unterhalb der Vagina befindet sich noch das Dammschwellgewebe (Abb. 3). Der Damm ist der Teil zwischen Vagina und Anus. All das, Perle, Schaft, Körper, Schenkel, Bulbi, Harnröhren- und Dammschwellgewebe sind miteinander verbunden und gehören zur Klitoris. Da es sich hier um ein Zusammenspiel vieler Einzelteile handelt, kann man das Ganze auch ›Klitoriskomplex‹ nennen. Dieses Wort finde ich sehr nützlich. Denn auch die Muskeln, in die die Klitorisschwellkörper eingebettet sind, das Geflecht aus Venen und Arterien, das den Schwellkörper mit Blut versorgt, die inneren Vulvalippen, die auch aus erektilem Gewebe, also Schwellgewebe, bestehen sowie die vielen komplexen Nervenstränge und Verästelungen, all das gehört auch noch dazu. Also halten wir fest: Zum einen wird mit ›Klitoris‹ der Schwellkörper, der aus zwei Typen von Schwellgewebe besteht, bezeichnet, und zum anderen besteht das ganze Erregungs- und Lustorgan der Klitoris aus einem komplexen System, zu dem man eigentlich noch mehr zählen muss als nur den Schwellkörper selbst. Darüber, was man genau unter der Klitoris versteht oder damit meint, gibt es meistens immer noch Verständigungsbedarf. Denn es ist eine Frage der Definition, die nicht ganz klar geregelt ist. Auch in der Medizin gibt es bis heute unterschiedliche Auffassungen darüber, was genau zur Klitoris gezählt werden soll. Wobei die Definition der Klitoris, so wie ihr sie gerade kennengelernt habt, bereits seit Jahrzehnten und, wie wir später noch sehen werden, eigentlich sogar seit Jahrhunderten in der Medizin existiert. Viele Mediziner*innen sind jedoch auch heute noch unzureichend darüber informiert. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass der Klitoris, im Vergleich zum Penis, in medizinischer Fachliteratur und im Studium verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.6 Ich nutze die Begriffe so, dass ich mit ›Klitoris‹ vor allem den Schwellkörper meine, in dem Wissen, dass noch viele komplexe Einzelteile dazugehören. ›Klitoriskomplex‹ nutze ich vor allem dann, wenn ich deutlich machen möchte, dass es mir um einen ganzheitlichen Blick auf alles geht, was noch zur Klitoris gehört.

Ein Dauerbrenner: Die Frage nach der Größe

Das uneinheitliche Verständnis dessen, was die Klitoris ist, wird auch deutlich, wenn man sich die Größenangaben anschaut. Denn das ist häufig ein ganz schönes Kuddelmuddel. Manche Angaben beziehen sich nur auf die Perle, manche auf Perle + Schaft, manche auf das Corpus cavernosum (Perle + Schaft + Schenkel) oder auf alles (Corpus cavernosum + spongiosum). Das große Problem ist, dass dabei jedoch oft undifferenziert von ›der Klitoris‹ gesprochen wird, ohne dass genauer spezifiziert wird, was denn nun genau gemessen wurde. Die Größenangaben variieren jedoch selbstverständlich stark, je nachdem, worauf man sich bei der Messung bezieht. Wenn man nicht gerade Expert*in auf diesem Gebiet ist und solche Angaben bereits einordnen kann, sind Größenangaben oftmals sehr irreführend und es kommt leicht zu Fehlinformationen. Aus Studien, deren Messungen transparent und gut nachvollziehbar sind, ergeben sich folgende Größenangaben für die Klitoris: Perle 0,25–2 Zentimeter, Schaft 3,25 Zentimeter (Durchschnitt), Corpus Rückseite 1,3–2 Zentimeter, Schenkel ab Ende des Corpus 3,7 Zentimeter (Durchschnitt). Die Größe der Bulbi beträgt 1,5–4,5 Zentimeter Länge, und sie sind 1,3–3,2 Zentimeter dick. Die Dicke der Schenkel beträgt jeweils circa 1 Zentimeter.7 Dies deckt sich auch mit anderen Quellen, in denen die Länge des Corpus mit 2–4 Zentimeter, die gesamte Länge der Schenkel mit jeweils 5–9 Zentimeter und die Längen der Bulbi mit 3–7 Zentimeter angegeben werden (Abb. 4).8 Aus den verschiedenen Größenangaben der einzelnen Klitoriskomponenten ergibt sich zusammengerechnet in etwa eine minimale Gesamtgröße von 8,5 Zentimeter und eine Maximalgröße von circa 14,25 Zentimeter. Dabei muss man natürlich bedenken, dass nicht immer alle maximalen Größenangaben auch an der gleichen Klitoris vorkommen. Manche können z. B. auch eher kurze Schenkel, dafür aber ein großes Corpus und eine stark herausragende Perle haben. Oder die Perle ist vielleicht eher klein, dafür sind aber die Schenkel oder die Bulbi größer. Klitorides sind eben genauso divers wie andere Körperteile auch. Die Gesamtgröße der Klitoris unterscheidet sich jedoch nicht wesentlich von der Größe des Penis, dessen Durchschnittsgröße zwischen 8 und 10 Zentimetern liegt.9

Zum Größenvergleich zwischen Klitoris und Penis werde ich häufig gefragt, ob er sich auf den erigierten oder den nicht erigierten Zustand bezieht. Denn die meisten wissen, dass dies beim Penis einen großen Unterschied machen kann. Im Prinzip ist das jedoch egal. Denn das, was viele Menschen vom Penis kennen, passiert auch mit der Klitoris. Bei Erregung füllt sie sich mit Blut, wird fest und prall und dehnt sich dadurch noch mehr aus. Wie stark sich die Schwellkörper bei Erregung vergrößern, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, und man findet auch dazu sehr unterschiedliche Angaben, z. B. von einer Vergrößerung um ein Drittel bis zu mehr als der doppelten Größe des nicht erigierten Zustandes.10 Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass es dabei zwischen Penis- und Klitorisschwellkörpern grundsätzlich einen Unterschied gäbe.

Zum Teil werden die Durchschnittsgrößen von Klitoris und Penis auch mit einem Größenverhältnis von vier zu fünf angegeben. Demnach sei die Klitoris durchschnittlich um ein Fünftel kleiner als der Penis. Dieses Größenverhältnis wird im Verhältnis zur allgemeinen Körpergröße bzw. -masse von Frauen und Männern betrachtet, das ebenfalls mit vier zu fünf angeben wird.11 Das heißt, man geht davon aus, dass Frauen durchschnittlich um ein Fünftel kleiner seien als Männer. Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass eine Person mit Penis, die genauso groß ist wie ich, theoretisch auch genauso große Schwellkörper haben müsste wie ich. Nur dass ihre Schwellkörper größtenteils raushängen und meine nicht. Körper können jedoch ganz unterschiedlich proportioniert sein. Wir gehen ja z. B. auch nicht davon aus, dass alle Menschen, die gleich groß sind, auch automatisch alle einen gleich großen Penis haben. So ist es mit der Klitoris auch. Die Spanne der Größenangaben zur Klitoris zeigt uns bereits, dass auch die Klitorisgröße zwischen Individuen sehr stark variieren kann. Macht man sich dies klar, ist es auch weniger überraschend, dass Menschen auf verschiedene Formen der Stimulation unterschiedlich reagieren. Ihre Körper können unterschiedlich gebaut sein, auch wenn sie alle eine Klitoris haben.

Abb. 4 Hansen, Pat (Hafenzimmer). Klitoris, Rückansicht, 2021

Lasst euch jedoch von all diesen Zahlen nicht verunsichern. Genau wie Abbildungen können Zahlen und Durchschnittsgrößen uns helfen, die Klitoris besser zu verstehen und uns den Maßstab dessen, was wir nicht von außen sehen können, besser vorzustellen. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass sie uns vor allem eine Richtung anzeigen und uns keine absolute, auf jeden Körper zutreffende Angabe bieten. Solche Studien und Durchschnittsgrößenvergleiche zeigen uns allerdings, dass der wesentliche Unterschied zwischen Penis und Klitoris vor allem in ihrer Organisation und nicht in ihrer Größe besteht. Dennoch gibt es ein paar Aspekte, die es zu beachten gilt, wenn wir Klitoris- und Penisgrößen miteinander vergleichen. Studien zur Penisgröße beziehen sich eigentlich immer auf lebende Menschen. Der Penis wird dabei von der Spitze der Eichel bis zum Lustknochen gemessen. Die Penisschwellkörper gehen aber auch im Inneren des Körpers noch ein bisschen weiter, sodass der verborgene Teil der Schwellkörper meistens nicht mitberechnet wird. Da bei der Klitoris fast der komplette Schwellkörper im Inneren des Körpers liegt, wird dieser, im Gegensatz zum Penis, jedoch an sezierten Leichnamen und nicht an lebenden Menschen vermessen. Präparierte Leichname kommen in den anatomischen Studien zur Klitoris jedoch tendenziell eher von älteren Menschen, sodass viele der sezierten Klitorides von Personen in höherem Alter, nach der Menopause, stammen. Ob und wie sich die Schwellkörper der Klitoris mit zunehmendem Alter verändern, ist noch nicht ausreichend erforscht. In manchen Studien wurde allerdings beobachtet, dass die Klitorisschwellkörper bei Leichnamen älterer Menschen im Alter von über 50 Jahren im Gegensatz zu denen, die von jüngeren Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren stammen, auffallend kleiner waren. Daraus wurde abgeleitet, dass das Volumen der Schwellkörper abnehmen könnte, wenn das Gewebe altert und sich der Hormonhaushalt dauerhaft verändert.12

Die Rückbildung oder das Verkümmern von Gewebe nennt man ›Atrophie‹. Vulvovaginale oder urogenitale Atrophien, die durch den Östrogenabfall während der Menopause entstehen können, sind in der Medizin bereits bekannte Phänomene. Die Vagina wird dann z. B. trockener und die Vaginalwand wird dünner. Auch die Labien können sich dadurch verändern. Es gibt auch Berichte über Klitoris-Atrophie, womit meistens ein Schrumpfen der Klitorisperle gemeint ist. Der innere Teil der Klitoris scheint bei solchen Berichten aber nicht mit einbezogen zu werden. Das Schrumpfen des Gewebes wird dabei nicht nur auf hormonelle Veränderungen, sondern auch auf fehlendes ›Training‹ zurückgeführt. Kommen die Schwellkörper nicht regelmäßig zum Einsatz, so heißt es, verlören sie an Funktionalität.13 Ich stehe diesen Aussagen noch etwas skeptisch gegenüber, denn zuverlässig belegt ist das bisher nicht. Völlig abwegig finde ich diese Theorie jedoch auch nicht. Denn dass z. B. Muskeln bei mangelnder Benutzung abbauen, weiß jede*r, die*der schon mal einen Arm eingegipst hatte. Auch die Bedeutung von Erektionen im Schlaf für die Funktionalität und Gesunderhaltung des Schwellgewebes, die beim Penis und bei der Klitoris gleichermaßen vorkommen, ist in der Medizin bekannt. Auswirkungen hormoneller Veränderungen, vor allem durch die Menopause, geringer Nutzung oder einfach des normalen Alterungsprozesses von Gewebe auf die Klitorisgröße erscheinen also durchaus möglich. Doch mir sind auch schon genau gegenteilige Behauptungen begegnet, nämlich dass die Klitoris ein Leben lang weiterwachsen würde, so wie es auch bei Ohren und Nase der Fall ist.14 Angaben, worauf diese Annahme beruht, gibt es jedoch nicht. Wie ihr seht, ist das Thema recht undurchsichtig. Um tatsächlich zuverlässige Aussagen zu treffen, ob und wie die Klitoris sich im Laufe der Zeit verändert, gibt es bisher noch nicht genug Forschung.

Diese Aspekte verdeutlichen uns, dass es einfach bestimmte Leerstellen beim Vergleich von Klitoris- und Penisgrößen gibt. Die Voraussetzungen für Größenvergleiche sind eben nicht zu 100 Prozent die gleichen. Ein weiterer Faktor ist, dass Studien zur Penisgröße meistens auf einer viel größeren Anzahl von Individuen beruhen als dies bei der Klitoris möglich ist. Das liegt ganz einfach daran, dass Leichname in viel geringerer Zahl für solche Studien zur Verfügung stehen als lebende Studienteilnehmer*innen. Die Untersuchungsbedingungen bezüglich der Klitorisgröße sind deshalb um einiges aufwendiger als beim Penis. Studien zum Penis können zum einen also deutlich einfacher ein weites Spektrum an Größen abbilden und zum anderen auch viel mehr Altersgruppen als bei der Klitoris einbeziehen. Es wäre also sehr spannend zu sehen, wie sich unsere Erkenntnisse zur Klitorisgröße entwickeln würden, wenn man erstens insgesamt mehr Klitorides vermessen würde und wir zweitens mehr Daten zu noch lebenden Klitoris-Exemplaren hätten. Doch auch mit den bekannten Daten reicht die Forschungslage bereits aus, um mit Sicherheit sagen zu können, dass sich Klitoris und Penis nicht elementar in ihrer Größe unterscheiden. Insgesamt circa 10 Zentimeter, das ist ein ganz schön großes Teil für ein Organ, das im Verständnis der meisten Menschen auf die Größe einer Erbse reduziert wird. Und das ist das Wesentliche, was wir aus diesen Untersuchungen mitnehmen können. Denn egal wie groß nun einzelne Genitalien sind; es geht nicht darum, einen Zentimeter hin oder her zu rechnen. Es geht darum, sich klarzumachen, dass sich Penis und Klitoris entsprechen und gleichwertig sind.

Geschlechts-, Sexual- und Lustorgane. Das Dilemma mit der Sprache

Bevor wir uns noch mehr mit dem Innenleben der Klitoris beschäftigen, möchte ich unseren Blick noch einmal auf das Drumherum richten. Denn die Klitoris ist kein abgetrennter Schwellkörper, der für sich alleine existiert. Sie ist eingebettet in ein komplexes System. Einer der größten Fehler, den wir machen, wenn wir uns mit Lust, Sexualanatomie und eben auch der Klitoris beschäftigen, ist, zu vergessen, dass alles miteinander verbunden ist. Außerdem ist es wichtig, auch dem Thema Sprache an dieser Stelle noch mal etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Denn Sprache ist ein Mittel, mit dem Menschen einen unglaublich großen Teil ihrer Welt gestalten. Wir denken darüber nicht jede Sekunde des Tages nach. Doch unsere Sprache enthält und spiegelt viele gesellschaftliche Werte. Welches Wort wir für etwas benutzen, ist deshalb nicht egal. Und ehrlich gesagt, beim Thema Sex gibt es kaum ein Wort, das völlig unproblematisch wäre. Alleine solche Wörter wie ›Genitalien‹ oder ›Geschlechtsteile‹, die uns zunächst recht neutral erscheinen mögen, sind aufgeladen mit Jahrhunderten gesellschaftlicher Bewertung von Sex. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich als Kind immer peinlich berührt lachen musste, wenn die Stelle aus der biblischen Weihnachtsgeschichte vorgelesen wurde: »Josef, der aus dem Geschlechte Davids kam.« Damit war zwar nicht unmittelbar Davids Penis gemeint, aber mit sieben Jahren wusste ich das natürlich nicht. Das Wort ›Geschlecht‹ meint zunächst einmal so etwas wie ›Abstammungslinie‹. Auch das ›Genital‹ kommt genau daher, nämlich von ›Generation‹. In einigen historischen Medizintexten wird deshalb auch von ›Generationsorganen‹ gesprochen. Damit werden die entsprechenden Körperteile, die eben als Genitalien oder Geschlechtsorgane bezeichnet werden, sprachlich vor allem mit Fortpflanzung in Verbindung gesetzt. Und das, obwohl dies eigentlich der seltenste Gebrauch dieser Körperteile ist. Funktionen wie Urinieren, Menstruation oder vor allem auch Lusterleben ohne Fortpflanzung sind bei der Nutzung dieser Organe deutlich häufiger als die Zeugung und/oder Geburt von Nachkommen. Das Wort ›Geschlechtsorgan‹ wird auch noch verwendet, um zwei Geschlechterkategorien nach Penis und Vagina zu unterscheiden, und zwar Männer und Frauen. Diese Körperteile sind aber weder die alleinigen noch eindeutige Indikatoren, die diese Geschlechterzugehörigkeiten bestimmen würden. Von ›Geschlechtsorganen‹ oder ›Genitalien‹ zu sprechen, kann also problematisch sein, da dadurch immer wieder manifestiert wird, dass diese Körperteile zum einen Geschlecht bestimmen und zum anderen ihre Funktion auf Reproduktion reduziert wird. Dann vielleicht besser das Wort ›Sexualorgane‹ verwenden? Schließlich haben wir ja damit Sex. Na ja,auch schwierig. Nicht für alle Menschen spielt Sex eine Rolle, und nicht jede*r benutzt diese Organe dafür. Der für mich positivste Begriff ist bisher ›Lustorgane‹, denn ich finde es sinnvoll, diese Fähigkeit mehr in den Vordergrund zu bringen. Aber auch das ist letztlich eine Reduktion. Ihr seht, es ist nicht einfach. Eine ideale Lösung scheint es nicht immer sofort für alles zu geben. Das werden wir auch sehen, wenn wir uns im Folgenden genauer mit all den Nachbar*innen der Klitoris beschäftigen, von denen uns manche bestimmt schon bekannt sind und vielleicht sogar sehr vertraut vorkommen. Aber auch über sie gibt es noch jede Menge zu lernen.

Das Drumherum: Klitorisvorhaut, Harnröhre und paraurethrale Drüsen

Oberhalb der Klitorisperle befindet sich die Klitorisvorhaut. Manchmal findet man auch die Bezeichnung ›Kapuze‹. Die Klitorisvorhaut ist wie beim Penis eine bewegliche Haut, die die Perle zum Teil oder auch ganz bedeckt. Im Inneren des Körpers geht die Klitorisperle ja bereits in den Schaft und den Klitoriskörper über. Diesen Teil der Klitoris kann man zwar nicht mehr von außen sehen, aber oft noch sehr gut unter der Vorhaut spüren. Der Schaft kann sich so ähnlich wie ein Knorpel anfühlen, nicht so richtig hart, aber trotzdem eher fest. Mit leichtem Druck kann man ihn unter der Vorhaut von links nach rechts hin- und herbewegen. Die Vorhaut schützt die Klitorisperle, die in Bezug auf die Verteilung von Nervenenden – man nennt das auch Enervierung – als der empfindlichste Teil des Genitalkomplexes gilt. Die Nerven der Klitoris sehen wir uns später noch genauer an. An dieser Stelle ist erst mal wichtig, sich zu merken, dass die Klitorisperle deutlich sensibler ist als andere Stellen des Körpers. Deshalb reagiert sie sehr stark auf Berührung. Schon eine ganz leichte Berührung auf der Perle kann als sehr intensiv empfunden werden. Gerade wenn wir mit Partner*innen Sex haben, ist es nicht immer einfach sich vorzustellen, was der*die andere gerade dabei fühlt. Schließlich ist ja jeder Körper unterschiedlich, und was für die eine Person genau richtig ist, muss es für jemand anderen nicht sein. Niemand kann Gedanken lesen. Deshalb ist eine gute Kommunikation beim Sex wichtig.

Manchmal ist die Stimulation der Klitorisperle auch unangenehm. Da die Perle so stark enerviert ist, kann eine direkte Berührung sogar schmerzhaft sein, statt zu erregen. Der Reiz ist dann zu stark. Die Vorhaut kann hier einen sehr guten Puffer bilden, indem sie den Reiz der Berührung abdämpft und dadurch angenehmer macht. Weil die Vorhaut so beweglich ist, kann man z. B. gut einen oder mehrere Finger darauflegen und die Haut über der Perle hin- und herbewegen.So kann man die Klitorisperle reiben, ohne direkt auf ihr rumzurubbeln. Wie eine Berührung empfunden wird, hängt jedoch nicht allein von der Intensität ab. Die Empfänglichkeit für taktile Reize kann sich während unterschiedlicher Erregungsphasen auch verändern. Das heißt, eine Berührung, die am Anfang der Erregung als viel zu stark oder sogar schmerzhaft empfunden wird, kann sich zu einem anderen Zeitpunkt genau richtig anfühlen. Gerade wenn man mit jemandem zusammen Sex hat, ist es deshalb sehr wichtig, sich darüber auszutauschen, wie sich etwas anfühlt. Über Sprache oder andere Zeichen, wie Geräusche, Blickkontakt und Körpersprache kann man auch beim Sex gut mitteilen, was man möchte. Dabei sollten wir zum einen darauf achten, dass unser Gegenüber unsere Kommunikation auch klar verstehen kann. Und zum anderen sollten wir uns nicht scheuen nachzufragen, wenn wir uns nicht sicher sind, etwas richtig verstanden zu haben.

Wenn wir ins Restaurant gehen, setzen wir uns ja auch nicht hin und warten, ohne zu bestellen, wortlos ab, bis uns irgendjemand das Essen bringt, das uns heute am besten schmecken würde. Und wenn wir mit jemandem gemeinsam essen gehen und vielleicht ein Gericht teilen wollen, dann gucken wir meistens zusammen in die Karte, schauen, was es gibt und entscheiden gemeinsam, worauf wir Lust haben. Würde unser Gegenüber uns einfach ein Gericht vorsetzen, könnte das zufällig genau das richtige sein, aber vielleicht auch nicht. Nur durch Stöhnen wird die andere Person nicht immer automatisch wissen, ob wir es gerade genießen oder ob uns übel ist. Kommunikation kann ausgesprochen vielseitig sein. Was gut funktioniert, müssen wir immer wieder ausprobieren. Wichtig ist jedoch das Grundverständnis, dass jeder Körper und jede Situation anders sind.

In Abb. 1 seht ihr auch die Öffnung der Harnröhre (Urethra). Wenn ihr eure Harnröhre bei euch selbst nicht sehen könnt, keine Sorge, sie ist trotzdem da. Bei manchen Menschen ist sie auch bei genauem Hinschauen nur schwer zu erkennen und nicht so deutlich sichtbar wie auf dem Bild. Oder sie ist z. B. weiter unten, ganz nah am Vaginaleingang. Die Harnröhre ist die Verbindung zur Blase, wo sich der Urin sammelt. Sie ist aber auch ein erregbarer Teil des Klitoriskomplexes, denn sie ist vom Schwellgewebe der Klitoris umschlossen. Neben der Harnröhrenöffnung befinden sich links und rechts noch zwei kleine Drüsen. Sie werden als kleine Vorhofdrüsen (Glandulae vestibulares minores) oder als paraurethrale Drüsen bezeichnet. Seit den 1880er-Jahren werden sie auch Skene-Drüsen genannt, da der Arzt Alexander Skene (1837–1900) sich in seiner Forschung viel mit ihnen beschäftigt und zum Verständnis dieses Körperteils beigetragen hat.

Dass Körperteile nach Menschen – und historisch meistens nach Männern – benannt werden, die dazu geforscht haben oder sich selbst auch öfter mal zum ›Entdecker‹ ernannten, ist in der Medizin eine verbreitete Praxis. Dabei geht es vor allem darum, Land auf der Karte des menschlichen Körpers für sich zu beanspruchen und sich darauf zu verewigen. Skene und viele andere Wissenschaftler*innen haben ohne Zweifel viel Positives zur Erforschung unseres Körpers und unserer Sexualitäten beigetragen. Der koloniale Charakter dieser Benennungspraxis ist trotzdem problematisch. Was wir von der Forschung und Medizin benötigen, sind Informationen über das, was unsere Körper können und brauchen. Dass Teile in meinem Genitalbereich nach mindestens drei unterschiedlichen Männern benannt sind, finde ich nicht nur etwas befremdlich, sondern auch unpraktisch für den Alltag. Deshalb verwende ich in meinen anatomischen Erklärungen meistens die Bezeichnungen, die die Funktion oder Beschaffenheit eines Körperteils beschreiben. Namen von irgendwelchen Leuten sind keine besonders hilfreichen Wörter, um unseren Körpern näher zu kommen.

Die Vagina und unsere Vorstellung von Sex

›Vagina‹ oder ›Scheide‹ sind, so wie ›Penis‹, im allgemeinen Sprachgebrauch vermutlich die verbreitetsten Wörter für den Genitalbereich. Medizinhistorisch wurde dieser Begriff allerdings vor allem eingeführt, um den inneren Teil präziser zu beschreiben, also die Verbindung vom Uterus (Gebärmutter) nach außen. Deshalb ist es eigentlich eine reduzierende Verallgemeinerung, Vagina oder Scheide, so wie es heute gebräuchlich ist, auf den gesamten Genitalbereich zu beziehen. Feminist*innen der Frauenbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre haben bereits damals darauf aufmerksam gemacht, dass mit dem verallgemeinernden Gebrauch des Wortes ›Scheide‹ der gesamte Genitalbereich sprachlich auf den Teil reduziert wird, in den man etwas reinstecken kann.15 Alles andere, wozu ja z. B. auch die Klitorisperle gehört, würde dadurch in den Hintergrund gedrängt. Deshalb haben Feminist*innen sich dafür eingesetzt, das Wort ›Vulva‹, das bereits in der medizinischen Literatur existierte, für den äußeren Teil stärker zu etablieren und ›Vagina‹ nur zu benutzen, wenn man auch ›Vagina‹, also den inneren Teil, meint.

Die genaue Bedeutung des Wortes ›Vulva‹ zu verstehen, ist gar nicht so einfach. Und auch nicht, warum wir es heute für den äußeren Genitalbereich benutzen. In der Antike wurde das Wort nämlich zunächst für den Uterus von Tieren, ab dem 1. Jahrhundert auch bei Menschen verwendet. Daneben findet man auch Hinweise, dass die Bezeichnung ›Uterus‹ von ›venter‹, dem lateinischen Wort für ›Bauch‹ abgeleitet sei und ›valva‹ ›Eingang zum Bauch‹ bedeute.16 Da die Einzelteile des Genitalkomplexes jedoch sprachlich bis ins 17. Jahrhundert noch nicht so klar voneinander getrennt wurden wie heute, konnte sowohl ›Uterus‹ als auch ›Vulva‹ für das verwendet werden, was wir heute als ›Gebärmutter‹ bezeichnen, für unsere ›heutige‹ Vagina, für das Äußere, das wir heute noch oder wieder ›Vulva‹ nennen, oder auch für alles zusammen. Unser deutscher Begriff ›Gebärmutter‹ ist übrigens in Bezug auf Geschlechterdiversität keine so gute Bezeichnung. Denn in diesem Wort werden Uterus, Mutterschaft und Frausein direkt mit einander verknüpft. Dabei wird z. B. nicht berücksichtigt, dass es auch inter- oder transgeschlechtliche Menschen gibt, die auch einen Uterus haben, aber deshalb nicht unbedingt Frauen sind. Ich benutze deshalb lieber den Begriff ›Uterus‹. Seit dem Mittelalter findet man für ›Vulva‹ auch Begriffserklärungen wie ›Vorhang‹, ›Falttür‹ oder ›Bedeckung‹.17 Die Vulva wird in diesen Beschreibungen meist wie ein Tor zur Vagina betrachtet, das sich öffnen und schließen kann.

Den äußeren Teil des Genitalkomplexes sprachlich vom inneren zu unterscheiden, ist sehr sinnvoll und wichtig. Eine präzise Sprache hilft uns zum einen, ein besseres Verständnis für unsere Körper zu entwickeln. Zum anderen ist sie aber auch wichtig, um klar kommunizieren zu können, worüber man genau spricht. Das gilt für viele Kontexte, z. B. beim Sex, aber auch in der Medizin, beim Ärzt*innenbesuch oder in der Bildung. Das Bewusstsein für die Begriffsverwendung von ›Vulva‹ und ›Vagina‹ zu stärken, ist also ein wichtiger Schritt. Was uns dennoch fehlt, ist ein Wort, das den Genitalkomplex in seiner Gesamtheit beschreibt, so wie z. B. beim Penis. ›Penis‹ ist das lateinische Wort für ›Schwanz‹. Und zwar Schwanz im Sinne von hinten, also da, wo Tiere einen Schwanz haben. Der Begriff ›Schwanz‹, so wie wir ihn auch heute umgangssprachlich für das Glied gebrauchen oder eben ›Penis‹, was die gleiche Bedeutung hat, ist also wie viele Begriffe des Genitalkomplexes eine Metapher. Wir können die verschiedenen Teile des Penis auch einzeln benennen, z. B. Schaft, Eichel, Vorhaut, Wurzel, Harnröhre, Schwellkörper usw. Aber wenn wir ›Penis‹ sagen, begreifen wir diesen Körperteil als eine Einheit. Diese Integrität fehlt uns in Bezug auf Vulva, Vagina und Klitoris leider immer noch. Die Problematik griff 2011 auch die Aktivistin Ella Berlin mit ihrer Idee auf, ›Vulva‹ und ›Vagina‹ zu ›Vulvina‹ zu vereinen.18 Die Klitoris, die ja ein zentraler Bestandteil des Genitalkomplexes ist, bleibt in dieser Bezeichnung jedoch weiterhin unsichtbar. Nicht dass ich eine wesentlich bessere Idee dafür hätte. Aber es führt uns noch einmal deutlich vor Augen, dass unser kulturelles Verständnis des Genitals bei Vulva, Vagina und Klitoris eher fragmentiert ist und wie schwer Begriffe zu finden sind, die die gleiche Einheit transportieren, wie wir sie beim Wort ›Penis‹ empfinden.

Die Vagina ist nicht nur ein faszinierender Körperteil, ihre Namensgeschichte ist auch sehr aufschlussreich bezüglich unseres gesellschaftlichen Verständnisses von Sex. Wir sollten nicht davon ausgehen, dass es in der Alltagssprache historisch keine eindeutigen Begriffe für die Sexualorgane gegeben hat. Aber in den medizinischen Texten, die uns überliefert sind, finden wir meistens Bezeichnungen, die uns heute ungenau und z. T. auch unverständlich erscheinen. ›Uterus‹ oder manchmal auch der synonyme Begriff ›Matrix‹ schloss meist das ein, was wir heute unter ›Vagina‹ verstehen. Manchmal wurde die Vagina auch als ›Gebärmutterhals‹, als ›Cervix/Zervix Uteri‹ bezeichnet. Unter Zervix verstehen wir heute das untere Ende des Uterus, das in die Vagina hineinragt. Die Öffnung des Uterus wird auch ›Muttermund‹ genannt. Der ›Mund der Gebärmutter‹ konnte aber historisch auch das sein, was wir heute als Vaginaleingang bezeichnen würden. Da die Begriffe in der medizinischen Literatur nicht einheitlich verwendet wurden, erschließt sich in den historischen Texten meistens nur aus dem Kontext, was jeweils genau mit Uterus, Zervix oder Muttermund gemeint war. Im 16. Jahrhundert begann sich das jedoch zu ändern.

Der Begriff ›Vagina‹ wird häufig auf den italienischen Anatomen Realdo Colombo (1516–1559) zurückgeführt, manchmal aber auch auf den deutschen Anatomen Johann Vesling (1598–1649). Ob einer von ihnen nun tatsächlich der Erste war, der diese Bezeichnung verwendet hat, lässt sich natürlich schwer sagen. Aber in Colombos Werk re anatomica