Corrupt – Dunkle Versuchung - Penelope Douglas - E-Book
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Corrupt – Dunkle Versuchung E-Book

Penelope Douglas

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Beschreibung

Dunkle Verlockung und gefährliche Spiele Rika zieht zum Studium in die Großstadt. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie auf sich allein gestellt. Was sie nicht ahnt: Sie wird bereits erwartet. Von dem Mann, in den sie schon immer heimlich verliebt war, dessen Verachtung sie aber stets gespürt hat: Michael Crist. Seit drei Jahren warten er und seine Freunde darauf, Rika für all das bezahlen zu lassen, was sie ihnen angetan hat. All das Leid, all den Schmerz. Michael weiß, dass Rika ihn will, und beginnt ein böses Spiel mit ihr. Doch Rika ist nicht so wehrlos, wie er denkt. Schon bald beginnt sie, Gefallen an dem Spiel zu haben – und es zu gewinnen. Nach »Punk 57« und »Birthday Girl« die neue sinnliche TikTok-Romance von SPIEGEL-Bestsellerautorin Penelope Douglas

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((bei fremdsprachigem Autor))

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Christina Kagerer

© Penelope Douglas 2015

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Corrupt«, Penelope Douglas LLC, Las Vegas 2015

© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Svenja Kopfmann

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München, nach einem Entwurf von Penguin Random House

Covermotiv: Henrik Sorensen / Getty Images

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Contentwarnung

PLAYLIST

Zitat

Widmung

KAPITEL 1

Erika

KAPITEL 2

Erika

Drei Jahre zuvor

KAPITEL 3

Erika

Gegenwart

KAPITEL 4

Michael

Gegenwart

KAPITEL 5

Erika

Drei Jahre zuvor

KAPITEL 6

Erika

Gegenwart

KAPITEL 7

Michael

Gegenwart

KAPITEL 8

Erika

Drei Jahre zuvor

KAPITEL 9

Erika

Gegenwart

KAPITEL 10

Erika

Drei Jahre zuvor

KAPITEL 11

Erika

Gegenwart

KAPITEL 12

Michael

Gegenwart

KAPITEL 13

Erika

Drei Jahre zuvor

KAPITEL 14

Erika

Gegenwart

KAPITEL 15

Erika

Gegenwart

KAPITEL 16

Michael

Gegenwart

KAPITEL 17

Michael

Drei Jahre zuvor

KAPITEL 18

Erika

Gegenwart

KAPITEL 19

Erika

Gegenwart

KAPITEL 20

Michael

Gegenwart

KAPITEL 21

Erika

Drei Jahre zuvor

KAPITEL 22

Erika

Gegenwart

KAPITEL 23

Erika

Gegenwart

KAPITEL 24

Michael

Gegenwart

KAPITEL 25

Erika

Gegenwart

KAPITEL 26

Erika

Gegenwart

KAPITEL 27

Erika

Gegenwart

KAPITEL 28

Michael

Gegenwart

KAPITEL 29

Erika

Gegenwart

EPILOG

Michael

Dank

DANKSAGUNG

HINTERGRUND ZU DEVIL’S NIGHT

CORRUPT-BONUS

VALENTINSTAGSSZENE

RIKA

Contentwarnung

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Liebe LeserInnen,

 

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Um euch das bestmögliche Leseerlebnis zu ermöglichen, findet ihr deshalb am Buchende[1] eine Contentwarnung.

 

Euer everlove-Team

PLAYLIST

Die Playlist zu Corrupt kann hier gestreamt werden:

https://open.spotify.com/playlist/0pPWuv4nhwL46G3EBH00T5

»Bodies« von

Drowning Pool

»Breath of Life« von

Florence & The Machine

»Bullet With a Name« von

Nonpoint

»Corrupt« von

Depeche Mode

»Deathbeds« von

Bring Me the Horizon

»The Devil In I« von

Slipknot

»Devil’s Night« von

Motionless in White

»Dirty Diana« von

Shaman’s Harvest

»Feed the Fire« von

Combichrist

»Fire Breather« von

Laurel

»Getting Away with Murder« von

Papa Roach

»Goodbye Agony« von

Black Veil Brides

»Inside Yourself« von

Godsmack

»Jekyll and Hide« von

Five Finger Death Punch

»Let the Sparks Fly« von

Thousand Foot Krutch

»Love the Way You Hate Me« von

Like a Storm

»Monster« von

Skillet

»Pray to God« von

Calvin Harris (feat. HAIM)

»Silence« von

Delirium

»The Vengeful One« von

Disturbed

»You’re Going Down« von

Sick Puppies

»37 Stitches« von

Drowning Pool

»Du bist mein Schöpfer, doch ich bin dein Herr.«

Mary Shelly, Frankenstein

Für Z. King

KAPITEL 1

Erika

Er wird nicht dort sein.

Er hätte keinen Grund, bei der Abschiedsparty seines Bruders aufzutauchen, da die beiden sich nicht ausstehen konnten. Also …

Nein, er wird nicht dort sein.

Ich schob mir die Ärmel meines dünnen Pullis zurück und eilte durch die Eingangstür des Hauses der Familie Crist, wo ich in Windeseile das Foyer durchquerte und direkt zu den Treppen lief.

Im Augenwinkel sah ich den Butler um die Ecke kommen, aber ich blieb nicht stehen.

»Miss Fane!«, rief er mir nach. »Sie sind sehr spät.«

»Ja, ich weiß.«

»Mrs Crist hat Sie schon gesucht«, sagte er vorwurfsvoll.

Ich zog die Augenbrauen hoch, blieb abrupt stehen und drehte mich um, um ihn über das Treppengeländer hinweg anzuschauen. »Hat sie das wirklich?« Ich warf ihm einen gespielt erstaunten Blick zu.

Er presste verärgert die Lippen zusammen. »Na ja, sie hat mich geschickt, um Sie zu suchen.«

Ich lächelte, beugte mich über das Geländer und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.

»Nun ja, hier bin ich«, versicherte ich ihm. »Sie können sich jetzt wieder wichtigeren Aufgaben zuwenden.«

Ich drehte mich um und stieg weiter die Treppe hinauf. Leise Partymusik wehte von der Terrasse herein.

Ich bezweifelte doch sehr, dass Delia Crist, die beste Freundin meiner Mutter und die Matriarchin von Thunder Bay, unserer kleinen Gemeinde an der Ostküste, ihre kostbare Zeit damit verbrachte, nach mir zu suchen.

»Ihr Kleid liegt auf Ihrem Bett!«, rief er mir hinterher, als ich um die Ecke ging.

Ich zog verärgert die Luft ein und ging den schummrig beleuchteten Flur entlang, während ich leise murmelte: »Danke, Edward.«

Ich brauchte kein neues Kleid. Ich besaß bereits einige, die ich erst einmal angezogen hatte. Und mit neunzehn Jahren war ich durchaus dazu in der Lage, mir meine Klamotten selbst auszusuchen. Nicht, dass er hier sein würde, um mich darin zu sehen. Und selbst wenn er hier wäre, würde er mich nicht anschauen.

Nein. Ich sollte dankbar sein, dass Mrs Crist an mich gedacht hatte, und es war nett von ihr sicherzugehen, dass ich etwas zum Anziehen hätte.

Eine dünne Schicht Sand bedeckte meine Beine und Füße, und ich griff an den unteren Saum meiner Jeans-Shorts, um zu begutachten, wie nass ich unten am Strand wirklich geworden war. Musste ich vielleicht noch duschen?

Nein, ich war bereits zu spät. Das konnte ich vergessen.

Ich betrat mein Zimmer – das Zimmer, das mir die Crists zur Verfügung stellten, wenn ich hier übernachtete – und sah ein weißes, sexy Cocktailkleid auf dem Bett liegen. Sofort begann ich, mich auszuziehen.

Die dünnen Spaghettiträger hielten meine Brüste kaum oben, aber es passte perfekt und schmiegte sich an meinen Körper, während es meine sowieso schon braune Haut noch dunkler erscheinen ließ. Mrs Crist hatte einen fantastischen Geschmack, und wahrscheinlich war es gut, dass sie mir das Kleid besorgt hatte. Ich war zu beschäftigt mit meiner morgigen Abreise gewesen, um mich darum zu kümmern, was ich heute Abend tragen sollte.

Ich sauste ins Badezimmer, wusch mir schnell den Sand von den Unterschenkeln, der sich auf dem Weg hierher an meine Beine geheftet hatte, kämmte mein langes, blondes Haar und trug etwas Lipgloss auf. Dann eilte ich ins Schlafzimmer zurück, nahm die Riemchensandaletten, die sie mir neben das Kleid gestellt hatte, und rannte durch den Flur zurück und die Treppen runter.

Noch zwölf Stunden.

Mein Herz schlug schneller, als ich durch das Foyer Richtung hinterem Teil des Hauses lief. Morgen um diese Zeit wäre ich ganz für mich alleine – keine Mutter, keine Crists, keine Erinnerungen …

Und vor allem würde ich mich nicht mehr fragen müssen, hoffen oder befürchten, dass ich ihn sehe. Oder zwischen Euphorie und Qual schwanken, wenn ich es täte. Ich würde meine Arme ausstrecken und mich im Kreis drehen können, ohne einen einzigen Menschen, den ich kenne, zu berühren. Hitze strömte mir durch die Brust, und ich wusste nicht, ob es aus Angst oder vor Aufregung war. Aber ich war bereit.

Bereit, alles hinter mir zu lassen. Wenigstens für eine Weile.

Ich ging rechts an den Küchen vorbei – eine für den alltäglichen Gebrauch, eine weitere angrenzende für Caterer – in Richtung Wintergarten, der sich an die Seite des großen Hauses schmiegte. Dann öffnete ich die Schwingtüren und trat in das riesige, mit Keramik geflieste Gartenzimmer. Die Wände und die Decke waren komplett aus Glas, und sofort spürte ich den Temperaturanstieg. Die drückende, feuchte Hitze saugte sich durch den Stoff meines Kleides und ließ es förmlich mit meinem Körper verschmelzen.

Über mir und um mich herum erhoben sich Bäume in dem ruhigen, dunklen Raum. Nur Mondschein, der durch die Fenster über mir drang, erleuchtete die Dunkelheit. Ich atmete den süßen Geruch der Palmen, Orchideen, Lilien, Veilchen und Hibiskuspflanzen ein, der mich an den Kleiderschrank meiner Mutter und all die Parfümnoten erinnerte, die von ihren Mänteln und Schals ausströmten.

Dann drehte ich mich um, blieb an der Glastür stehen, die auf die Terrasse führte, und schlüpfte in meine Sandaletten, während ich die Leute eingehend musterte.

Zwölf Stunden.

Dann streckte ich mich, griff nach meinen Haaren und legte sie über meine Schulter, um die linke Seite meines Halses zu bedecken. Anders als sein Bruder wäre Trevor heute Abend definitiv hier, und er sah meine Narbe nicht gerne.

»Miss?«, fragte ein Kellner, der mit einem Tablett neben mich trat.

Ich lächelte und nahm eins der Longdrinkgläser, das – wie ich wusste – bis oben hin mit Tom Collins gefüllt war. »Danke.«

Das zitronenfarbene Getränk war der Lieblingsdrink von Mr und Mrs Crist, also bestanden sie darauf, dass die Kellner ihn herumtrugen.

Der Kellner verschwand wieder und ging zu den vielen anderen Gästen weiter, aber ich blieb stehen und ließ meinen Blick über die Party schweifen. Blätter flatterten an den Ästen, die ruhige Brise erinnerte noch leicht an die Hitze des Tages, und ich betrachtete die Gäste, die alle in ihre schicken Cocktailkleider und Jacketts gekleidet waren.

So perfekt. So sauber.

Die Lichter in den Bäumen und die Kellner in ihren weißen Westen. Der kristallblaue Pool, der von schwimmenden Kerzen geschmückt wurde. Die funkelnden Juwelen an den Ringen und Halsketten der Damen, die das Licht auffingen.

Alles war so makellos, und wenn ich mich unter all den Erwachsenen und Familien umsah, mit denen ich aufgewachsen war – mit ihrem Geld und den Designerklamotten –, dann hatte ich oft das Gefühl, als sähe ich eine Farbschicht, die man aufmalte, um verfaultes Holz zu verdecken. Dunkle Machenschaften und böses Blut waren allgegenwärtig, aber wen interessierte es schon, dass das Haus zerfiel, solange es hübsch aussah, richtig?

Der Duft des Essens lag in der Luft, und die leise Musik des Streichquartetts war nun besser zu hören. Ob ich wohl zuerst Mrs Crist suchen und sie wissen lassen sollte, dass ich da war? Oder sollte ich mich erst nach Trevor umsehen, da die Party schließlich ihm zu Ehren gegeben wurde?

Völlig verkrampft klammerte ich meine Finger um mein Glas, und mein Puls ging schneller, als ich versuchte, dem Drang zu widerstehen, das zu tun, was ich wirklich tun wollte. Was ich immer tun wollte.

Nach ihm zu suchen.

Aber nein, er würde nicht hier sein. Wahrscheinlich war er nicht hier.

Er könnte aber hier sein.

Mein Herz begann, wie wild zu hämmern, und mir wurde ganz heiß. Wieder begann mein Blick, gegen meinen Willen umherzuschweifen. Über die Gesichter der Partygäste, auf der Suche nach …

Michael.

Ich hatte ihn schon seit Monaten nicht mehr gesehen, aber seine Anziehungskraft war außergewöhnlich präsent, besonders hier in Thunder Bay. In den Fotos, die seine Mutter überall im Haus aufgehängt hatte, in seinem Duft, der aus seinem alten Zimmer in den Flur drang …

Er könnte hier sein.

»Rika.«

Ich blinzelte und riss den Kopf nach links, als ich Trevor meinen Namen rufen hörte.

Er trat aus der Menge heraus, sein blondes Haar war ganz kurz geschnitten, seine dunkelblauen Augen sahen ungeduldig aus, und er kam mit bestimmtem Schritt auf mich zu. »Hey, Baby. Ich habe schon gedacht, du kommst nicht mehr.«

Ich zögerte und spürte, wie sich mein Magen verkrampfte. Aber dann zwang ich mich zu lächeln, als er zu mir in den Eingang zum Wintergarten kam.

Zwölf Stunden.

Er legte eine Hand um die rechte Seite meines Halses – niemals um die linke – und rieb mit dem Daumen über meine Wange, während er sich an mich drückte.

Ich drehte meinen Kopf zur Seite und trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Trevor …«

»Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn du heute Abend nicht gekommen wärst«, schnitt er mir das Wort ab. »Vielleicht hätte ich Steinchen an dein Fenster geworfen, dir ein Ständchen gesunden, dir Blumen oder Süßigkeiten gekauft … oder ein neues Auto …«

»Ich habe ein neues Auto.«

»Ich meine, ein echtes Auto.« Endlich grinste er.

Ich verdrehte die Augen und entzog mich seinem Griff. Zumindest scherzte er wieder mit mir, selbst wenn es nur war, um meinen brandneuen Tesla schlechtzumachen. Anscheinend waren Elektroautos keine echten Autos, aber hey, damit kam ich zurecht, wenn es bedeutete, dass er endlich aufhörte, mir wegen allem anderen ein schlechtes Gewissen zu machen.

Trevor Crist und ich waren seit Geburt an befreundet gewesen, wir sind unser ganzes Leben zusammen zur Schule gegangen, und für unsere Eltern war schon immer klar gewesen, dass eine Beziehung unausweichlich wäre. Und letztes Jahr habe ich schließlich nachgegeben.

Wir waren fast ein ganzes Jahr lang auf dem College zusammen – beide auf dem Brown-College, wofür ich mich beworben hatte und wohin er mir gefolgt war. Aber im Mai hatte die Beziehung geendet.

Besser gesagt, ich hatte sie im Mai beendet.

Es war meine Schuld, dass ich ihn nicht liebte. Es war meine Schuld, dass ich dem Ganzen nicht mehr Zeit geben wollte. Es war meine Schuld, dass ich beschlossen hatte, die Uni zu wechseln und in eine andere Stadt zu ziehen, in die er mir nicht folgen würde.

Es war auch meine Schuld, dass er sich schließlich dem Willen seines Vaters gebeugt hatte, ebenfalls die Uni zu wechseln, um nach Annapolis zu gehen. Und es war meine Schuld, dass ich unsere Familien auseinandergerissen hatte.

Es war meine Schuld, dass ich Raum für mich brauchte.

Ich atmete tief aus und zwang meine Muskeln, sich zu entspannen. Zwölf Stunden.

Trevor grinste mich an, und seine Augen funkelten, als er meine Hand nahm und mich in den Wintergarten führte. Er zog mich hinter die Glasscheibe, packte mich an der Hüfte und flüsterte mir ins Ohr: »Du siehst fantastisch aus.«

Aber ich zog mich zurück und brachte etwas Abstand zwischen uns. »Du siehst auch gut aus.«

Er sah aus wie sein Vater mit seinem sandfarbenen Haar, dem schmalen Kinn und diesem Lächeln, mit dem er fast jeden um den Finger wickeln konnte. Er zog sich auch so an wie Mr Crist und sah so geschniegelt aus in seinem mitternachtsblauen Anzug, dem weißen Hemd und der silbernen Krawatte.

So sauber. So perfekt. Trevor bewegte sich immer innerhalb der Grenzen.

»Ich will nicht, dass du nach Meridian City gehst«, sagte er und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Du wirst dort niemanden haben, Rika. Zu Brown-Zeiten hattest du wenigstens mich, und Noah war weniger als eine Stunde entfernt in Boston. Du hattest Freunde in der Nähe.«

Ja, in der Nähe.

Genau deshalb brauchte ich etwas anderes. Ich hatte den Schutzraum der Leute um mich herum nie verlassen. Es war immer jemand da – meine Eltern, Trevor, Noah –, um mich aufzufangen, wenn ich fiel. Selbst, als ich aufs College gegangen war und den Komfort, meine Mutter und die Crists in der Nähe zu haben, aufgegeben hatte, war Trevor mir gefolgt. Und dann hatte ich Freunde von der Highschool, die auf die Unis in der Nähe gegangen waren. Es war, als hätte sich nichts geändert.

Ich wollte etwas Neues erleben. Ich wollte etwas finden, was mein Herz wieder zum Schlagen brachte, und ich wollte wissen, wie es war, niemanden in der Nähe zu haben, an dem man sich immer festhalten kann.

Ich habe versucht, ihm das zu erklären, aber jedes Mal, wenn ich den Mund geöffnet habe, konnte ich die richtigen Worte nicht finden. Laut ausgesprochen, klangen sie egoistisch und undankbar, aber innerlich …

Ich musste wissen, aus was ich gemacht war. Ich musste wissen, ob ich auf eigenen Beinen stehen konnte ohne den Schutzschild meines Familiennamens und die Unterstützung der anderen. Und ohne Trevor, der ständig über mich wachte. Wenn ich in eine neue Stadt zog, mit neuen Menschen, die meine Familie nicht kannten, würden sie sich überhaupt mit mir abgeben? Würden sie mich mögen?

Brown und Trevor hatten mich nicht glücklich gemacht, und obwohl die Entscheidung wegzuziehen für alle um mich herum hart und enttäuschend war, war es genau das, was ich wollte.

Erkenne an, wer du bist.

Mein Herz schlug schneller, als ich mich an die Worte von Trevors Bruder erinnerte. Ich konnte es kaum erwarten. Noch zwölf Stunden …

»Aber so ganz stimmt das ja auch nicht, richtig?«, sagte Trevor mit anschuldigendem Tonfall. »Michael spielt für Storm, er wird also jetzt in deiner Nähe sein.«

Ich schloss die Augen und holte tief Luft, während ich mein Glas abstellte. »Bei einer Bevölkerung von über zwei Millionen bezweifle ich, dass ich ihm oft über den Weg laufen werde.«

»Außer, du suchst nach ihm.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und hielt Trevors Blick stand. Ich weigerte mich, mich von ihm in diese Diskussion hineinziehen zu lassen.

Michael Crist war Trevors Bruder. Etwas älter, ein bisschen größer und viel einschüchternder. Sie hatten so gut wie nichts gemeinsam, und sie hassten sich. Seit ich mich erinnern konnte, war Trevor eifersüchtig auf ihn. Michael hatte gerade seinen Abschluss an der Westgate University gemacht und wurde kurz darauf von der NBA verpflichtet. Er spielte jetzt für Meridian City Storm, eine der Top-Mannschaften in der NBA.

Also ja, es gab eine Person in der Stadt, die ich kannte.

Aber das brachte mir keinerlei Vorteile. Michael sah mich so gut wie nie an, und wenn er mit mir redete, war sein Tonfall nicht anders, als wenn er mit einem Hund reden würde. Ich hatte nicht vor, mir das zu geben. Nein, meine Lektion hatte ich schon vor langer Zeit gelernt.

Dass ich nach Meridian City zog, hatte überhaupt nichts mit Michael zu tun. Es war näher an zu Hause, also könnte ich meine Mutter öfter besuchen. Aber es war auch der einzige Ort, an den mir Trevor nicht folgen würde. Er hasste große Städte, und seinen Bruder hasste er noch mehr.

»Es tut mir leid«, sagte Trevor sanft. Er nahm meine Hand, zog mich an sich und legte mir wieder eine Hand um den Hals. »Ich liebe dich einfach, und ich hasse diese Situation. Wir gehören zusammen, Rika. Es waren schon immer nur wir.«

Wir? Nein.

Trevor hatte mein Herz nicht so zum Klopfen gebracht, dass es sich angefühlt hatte, als säße ich in einer verdammten Achterbahn. Er war nicht in meinen Träumen aufgetaucht, und er war auch nicht der erste Mensch, an den ich dachte, wenn ich aufwachte. Er verfolgte mich nicht in meinen Gedanken.

Ich strich mir die Haare hinters Ohr und bemerkte seinen kurzen Blick auf meinen Hals. Schnell wandte er den Blick wieder ab, als hätte er es nicht gesehen. Die Narbe machte mich wohl weniger perfekt.

»Komm schon«, drängte er mich, legte seine Stirn an meine und zog mich erneut an der Hüfte näher zu sich. »Ich bin doch gut zu dir, oder? Ich bin ein netter Kerl und immer für dich da.«

»Trevor«, widersprach ich und versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien.

Aber dann legte er seine Lippen auf meine, und der Duft seines Parfüms brannte mir in der Nase, als er seine Arme um meine Hüfte schlang.

Ich stemmte meine Fäuste gegen seine Brust, drückte ihn von mir und zog meinen Mund weg. »Trevor«, knurrte ich leise. »Hör auf.«

»Ich gebe dir alles, was du brauchst«, protestierte er, und seine Stimme wurde wütender, als er sein Gesicht an meinen Hals drückte. »Du weißt, dass wir zusammengehören.«

»Trevor!« Ich spannte jeden Muskel in meinen Armen an, drückte mich von ihm weg und schaffte es schließlich, ihn wegzuschieben.

Er ließ die Hände sinken und taumelte einen Schritt zurück. Sofort trat ich mit zitternden Händen zurück.

»Rika.« Er griff nach mir, aber ich versteifte mich und trat noch einen Schritt zurück.

Er ließ die Hand fallen und schüttelte den Kopf. »Na schön«, zischte er. »Dann geh dort aufs College. Such dir neue Freunde, und lass alles hier hinter dir. Aber deine Dämonen werden dir trotzdem noch folgen. Vor ihnen kannst du nicht davonlaufen.«

Er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, warf mir noch einen bösen Blick zu, zog seine Krawatte zurecht und ging schließlich um mich herum durch die Tür.

Ich starrte ihm durch das Fenster nach, und Wut baute sich in mir auf. Was zum Teufel sollte das bedeuten? Es gab nichts, was mich zurückhielt, und nichts, vor dem ich zu fliehen versuchte. Ich wollte einfach nur meinen Frieden.

Ich trat von der Tür zurück, konnte nicht wieder nach draußen gehen. Ich wollte Mrs Crist nicht enttäuschen, indem ich mich von der Party ihres Sohnes schlich, aber ich wollte meine letzten Stunden auch nicht länger hier verbringen. Ich wollte bei meiner Mom sein.

Ich drehte mich um und wollte gehen, aber dann blickte ich auf und hielt abrupt inne.

Mein Magen verkrampfte sich, und ich kriegte keine Luft mehr.

Scheiße.

Michael saß auf einem der Sessel ganz hinten im Wintergarten und blickte mir direkt und mit einer unheimlichen Ruhe in die Augen.

Michael. Derjenige, der nicht nett war. Derjenige, der nicht gut zu mir war.

Meine Kehle verengte sich, und ich wollte schlucken, konnte mich aber nicht bewegen. Völlig gelähmt starrte ich ihn einfach nur an. War er schon hier gewesen, als ich runtergekommen war? Hatte er die ganze Zeit dort gesessen?

Er lehnte sich in dem schweren Sessel zurück und wurde fast von der Dunkelheit und den Schatten der Bäume über ihm verschluckt. Eine Hand ruhte auf einem Basketball, der auf seinem Oberschenkel lag, mit der anderen hielt er eine Flasche Bier.

Mein Herz begann, so heftig zu schlagen, dass es wehtat. Was machte er hier?

Er brachte die Flasche an seine Lippen, schaute mich immer noch an. Für einen kurzen Moment ließ ich meinen Blick nach unten gleiten, während mir die Schamesröte ins Gesicht stieg.

Er hatte die ganze Szene mit Trevor mitgekriegt. Verdammt.

Ich blickte wieder auf und musterte ihn. Sein hellbraunes Haar war perfekt für das Cover eines Modemagazins gestylt, und seine haselnussbraunen Augen erinnerten mich wie immer an Cider, der mit Gewürz gesprenkelt war. Im Schatten erschienen sie dunkler, als sie wirklich waren, aber sie blickten mich eindringlich unter den geschwungenen Augenbrauen hervor an, die ihn genauso Furcht einflößend aussehen ließen, wie er war. Seine vollen Lippen zeigten nicht den Ansatz eines Lächelns, und sein großer Körper nahm fast den gesamten Sessel ein.

Er trug eine schwarze Hose mit einem schwarzen Jackett, und sein Hemd war oben aufgeknöpft. Keine Krawatte. Wie üblich tat er das, was er wollte.

Und das war alles, was man von Michael bekam. Seine Erscheinung. Sein Aussehen. Ich war mir sicher, nicht einmal seine Eltern wussten, was hinter diesen Augen vor sich ging.

Er erhob sich aus dem Sessel, legte den Basketball auf die Sitzfläche und ließ mich nicht aus den Augen, während er auf mich zuging. Je näher er kam, desto größer sah er mit seinen ein Meter fünfundneunzig aus. Michael war schlank, aber muskulös, und er gab mir das Gefühl, klein zu sein. Winzig. Auf viele Arten. Er kam direkt auf mich zu, und mein Herz hämmerte wie wild in meiner Brust, als ich die Augen zusammenkniff und mich wappnete.

Aber er blieb nicht stehen.

Der vage Duft seines Duschgels traf mich, als er an mir vorbeiging. Ich drehte den Kopf und spürte einen Stich in der Brust, als er, ohne ein Wort zu sagen, raus in den Wintergarten ging.

Ich biss mir auf die Unterlippe und kämpfte gegen die Tränen in meinen Augen an.

Eines Nachts hatte er mich bemerkt. Eines Nachts, vor drei Jahren, hatte Michael etwas in mir gesehen, und es hatte ihm gefallen. Und gerade, als das Feuer aufzulodern begonnen hatte, bereit, zu flackern und in eine Flut aus Flammen auszubrechen, war es wieder in sich zusammengebrochen. Es hatte seine Rage und Hitze begraben und sie zurückgehalten.

Ich rannte zurück ins Haus, durch das Foyer und zur Tür hinaus, während Wut und Frustration an jedem Nerv meines Körpers zerrten, als ich zu meinem Auto eilte.

Abgesehen von dieser einen Nacht, hatte er mich den Großteil meines Lebens ignoriert, und wenn er mal mit mir redete, dann waren es nur schroffe Worte.

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und stieg in mein Auto. Ich hoffte, ich würde ihn in Meridian City nicht sehen. Ich hoffte, unsere Wege würden sich nie wieder kreuzen und ich müsste nie wieder von ihm hören.

Ob er überhaupt wusste, dass ich dorthin zog? Selbst wenn, war es egal. Selbst wenn wir im gleichen Haus lebten, würde ich für ihn immer noch auf einem anderen Planeten wohnen.

Ich machte den Motor an, und 37 Stitches von Drowning Pool ertönte aus den Lautsprechern. In der langen Einfahrt beschleunigte ich und drückte auf den Klicker, um das Tor zu öffnen. Dann raste ich auf die Straße. Mein Haus war nur ein paar Minuten entfernt, und den kurzen Weg war ich schon viele Male in meinem Leben zu Fuß gegangen.

Ich zwang mich dazu, tief ein- und auszuatmen, und versuchte, mich zu beruhigen. Zwölf Stunden. Morgen würde ich alles hinter mir lassen.

Die hohen Steinmauern des Anwesens der Crists hörten auf und wichen Bäumen, die die Straße säumten. Nach nicht einmal einer Minute kamen die Gaslaternen meines Hauses in Sicht und erhellten die Nacht. Ich lenkte nach links, klickte auf einen anderen Knopf meiner Fernbedienung und fuhr meinen Tesla durch das Tor. Die Laternen warfen ein schwaches Licht auf die runde Einfahrt, wo ich direkt vor dem Haus, neben dem großen Marmorbrunnen, parkte. Dann eilte ich zur Eingangstür. Ich wollte mich einfach nur noch in meinem Bett verkriechen, bis es morgen war.

Aber dann sah ich nach oben und erblickte eine Kerze in meinem Schlafzimmerfenster brennen.

Was?

Ich war seit heute Vormittag nicht mehr zu Hause gewesen. Und mit Sicherheit hatte ich keine Kerze brennen lassen. Sie war elfenbeinfarben und stand in einem Kerzenhalter aus Glas.

Ich ging zur Tür, sperrte auf und trat ein. »Mom?«, rief ich.

Sie hatte mir vorhin geschrieben, dass sie ins Bett gehen würde. Aber es war nicht untypisch für sie, nicht einschlafen zu können. Vielleicht war sie ja noch wach.

Der vertraute Duft von Lilien drang mir in die Nase. Mom hatte immer frische Blumen im Haus. Ich blickte mich in dem großen Foyer um, dessen Marmorboden in der Dunkelheit grau erschien. Dann lehnte ich mich gegen das Treppengeländer und schaute die zwei Stockwerke hinauf in die unheimliche Stille.

»Mom?«, rief ich wieder.

Kurz wartete ich, dann lief ich hinauf in den ersten Stock und bog nach links ab, wo meine Schritte von den elfenbeinfarbenen und blauen Teppichen auf dem Holzboden verschluckt wurden.

Langsam öffnete ich die Tür zum Zimmer meiner Mutter, steckte meinen Kopf hinein und sah mich um. Nur das schwache Badezimmerlicht, das sie immer anließ, erhellte das ansonsten dunkle Zimmer. Ich ging zu ihrem Bett und beugte mich über sie, um ihr Gesicht zu sehen, das Richtung Fenster gedreht war. Ihr blondes Haar verteilte sich über dem Kissen, und ich strich es ihr aus dem Gesicht.

Das Heben und Senken ihrer Brust verriet mir, dass sie schlief. Als ich zum Nachttisch schaute, sah ich ein halbes Dutzend Pillendöschen. Welche davon hatte sie wohl genommen, und wie viele?

Ich blickte wieder auf sie hinab und runzelte die Stirn. Ärzte, Reha zu Hause, Therapie … Nichts davon hatte all die Jahre, seit mein Vater gestorben war, geholfen. Meine Mutter wollte sich einfach selbst zerstören – mit Leid und Depression.

Zum Glück hatten die Crists uns sehr geholfen, weshalb ich auch mein eigenes Zimmer in ihrem Haus hatte. Mr Crist war nicht nur der Treuhänder des Anwesens meines Vaters, der alles organisierte, bis ich mit der Uni fertig wäre, Mrs Crist war auch noch als zweite Mutter für mich eingesprungen.

Ich war ihnen unendlich dankbar für all ihre Hilfe in den letzten Jahren, aber jetzt … Ich war bereit, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich war bereit, keine Menschen mehr um mich herum zu haben, die sich um mich kümmerten.

Ich drehte mich um, verließ ihr Zimmer, schloss die Tür und ging in mein Zimmer zwei Türen weiter. Als ich eintrat, sah ich sofort die brennende Kerze im Fenster. Mit klopfendem Herzen sah ich mich schnell im Zimmer um und stellte erleichtert fest, dass niemand da war.

Hatte meine Mutter sie angezündet? Vermutlich. Unsere Haushälterin hatte heute frei, also konnte es niemand anders gewesen sein.

Mit zusammengekniffenen Augen ging ich ans Fenster und sah eine längliche Holzschachtel auf dem kleinen runden Tisch neben der Kerze liegen. Ein unbehagliches Gefühl breitete sich in mir aus. Hatte Trevor mir ein Geschenk dagelassen? Aber es hätten wahrscheinlich auch meine Mutter oder Mrs Crist sein können. Ich nahm den Deckel ab und legte ihn zur Seite. Dann schob ich das Verpackungsmaterial weg und erhaschte einen Blick auf schiefergraues Metall mit kunstvollen Verzierungen.

Meine Augen wurden groß, und ich griff sofort tiefer in die Schachtel, als mir klar wurde, was ich finden würde. Ich schloss meine Finger um den Griff und lächelte, während ich die schwere Damaszenerklinge aus Stahl herausnahm.

»Wow.«

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Der Dolch hatte einen schwarzen Griff mit einer Parierstange aus Bronze, und ich schloss meine Hand darum. Ich hielt den Dolch hoch und bewunderte die Linien und Verzierungen.

Wo zum Teufel war das hergekommen?

Ich liebte Dolche und Schwerter, seit ich mit acht Jahren zu fechten angefangen hatte. Mein Vater hatte immer gepredigt, dass die Künste eines Gentlemans nicht nur zeitlos, sondern auch notwendig waren. Schach würde mich das strategische Denken lehren, Fechten würde mir die menschliche Natur und Selbstverteidigung beibringen, und Tanzen würde meinen Körper formen. All das war wichtig für einen vielseitigen Menschen.

Als ich den Griff in meiner Hand spürte, erinnerte ich mich an das erste Mal, als er mir ein Florett in die Hand gelegt hatte. Es war das Schönste, was ich je gesehen hatte, und ich fasste nach oben und fuhr mit einem Finger die Narbe an meinem Hals nach, fühlte mich ihm wieder nahe.

Wer hatte den Dolch hiergelassen?

Ich warf erneut einen Blick in die Schachtel und entdeckte einen kleinen Zettel mit schwarzer Schrift darauf. Ich benetzte meine Lippen und las die Worte leise. Hüte dich vor dem Zorn eines geduldigen Mannes.

»Was?«, sagte ich zu mir selbst und kniff verwundert die Augen zusammen. Was sollte das bedeuten?

Aber dann blickte ich auf und schnappte nach Luft, als mir die Klinge und der Zettel aus der Hand auf den Boden fielen. Mir stockte der Atem, und mein Herz drohte in meiner Brust zu zerspringen.

Drei Männer standen vor dem Haus, Seite an Seite, und blickten durch das Fenster zu mir hinauf.

»Was zum Teufel …?«, keuchte ich und versuchte zu begreifen, was hier vor sich ging.

War das ein Scherz?

Sie standen vollkommen bewegungslos da, und mich überkam eine Gänsehaut, als sie mich einfach nur anstarrten.

Was taten sie hier?

Alle drei trugen Jeans und schwarze Springerstiefel, und als ich in die schwarze Leere ihrer Augen blickte, musste ich die Zähne zusammenbeißen, um nicht am ganzen Körper zu zittern.

Die Masken. Die schwarzen Kapuzenpullis und die Masken.

Ich schüttelte den Kopf. Nein. Das konnten nicht sie sein. Das war ein Scherz.

Der größte stand auf der linken Seite und trug eine schiefergraue, metallisch glänzende Maske mit Krallenspuren auf der rechten Seite seines Gesichts. Der mittlere war kleiner und blickte durch seine schwarz-weiße Maske mit einem roten Strich auf der linken Seite zu mir hinauf. Seine Maske sah ebenfalls zerkratzt aus. Und der Mann rechts, dessen komplett schwarze Maske in den schwarzen Pulli überging, sodass man nicht sagen konnte, wo seine Augen waren, war derjenige, der meinen ganzen Körper schließlich zum Erbeben brachte.

Ich trat zurück, weg vom Fenster, und versuchte, Luft zu holen, als ich nach meinem Telefon griff. Ich drückte auf die Taste mit der 1 und wartete darauf, dass der Sicherheitsdienst, dessen Büro sich nur ein paar Minuten die Straße runter befand, ans Telefon ging.

»Mrs Fane?«, antwortete ein Mann.

»Mr Ferguson?«, keuchte ich und ging wieder ans Fenster. »Hier ist Rika. Könnten Sie ein Auto herschicken, um …?« Mitten im Satz hielt ich inne.

Die Einfahrt war leer. Sie waren weg.

Was zur …?

Ich blickte nach links und rechts, ging direkt ans Fenster und beugte mich vor, um zu sehen, ob sie in der Nähe des Hauses waren. Wo waren sie hingegangen, verdammt? Ich blieb still und lauschte nach einem Zeichen, dass sich jemand beim Haus aufhielt, aber alles war leise und ruhig.

»Ms Fane?«, rief Mr Ferguson. »Sind Sie noch dran?«

Ich öffnete den Mund und stammelte: »Ich … Ich dachte, ich hätte etwas gesehen … vor meinem Fenster.«

»Wir schicken jetzt einen Wagen hoch.«

Ich nickte. »Danke.« Dann legte ich auf und starrte aus dem Fenster.

Das konnten nicht sie gewesen sein.

Aber diese Masken. Sie waren die Einzigen, die diese Masken trugen.

Warum sollten sie hierherkommen? Warum sollten sie nach drei gottverdammten Jahren hierherkommen?

KAPITEL 2

Erika

Drei Jahre zuvor

Ich lehnte mich an die Wand neben den Spind meines besten Freundes, der gerade ein Buch herausnahm. »Hast du schon ein Date für das Winterfest?«

Er verzog das Gesicht. »Das ist erst in zwei Monaten, Rika.«

»Ich weiß. Aber ich will damit anfangen, solange ich noch die Auswahl habe.«

Er grinste, schlug seinen Spind zu und ging den Gang voran. »Du bittest mich also, dein Date zu sein?«, zog er mich mit selbstgefälligem Tonfall auf. »Ich wusste schon immer, dass du mich willst.«

Ich verdrehte die Augen und folgte ihm, da mein nächster Kurs in der gleichen Richtung lag. »Könntest du das bitte etwas einfacher gestalten?«

Aber er schnaubte nur.

Das Winterfest war eine Veranstaltung wie der Sadie-Hawkins-Tanz. Die Mädchen fragten die Jungs, und ich wollte kein Risiko eingehen und einfach einen Freund fragen.

Um uns herum eilten Schüler in ihre Klassenzimmer, und ich schwang mir meine Tasche über die Schulter, während ich ihn am Arm packte und festhielt. »Bitte?«, flehte ich.

Aber er runzelte beunruhigt die Stirn. »Bist du sicher, dass mir Trevor dafür nicht den Arsch aufreißen wird? So, wie er die ganze Zeit hinter dir her ist, wundert es mich, dass er dich noch nicht trackt.«

Da hatte er recht. Trevor wäre sauer, wenn ich ihn nicht fragen würde, aber ich wollte nur Freundschaft, und er wollte mehr. Und ich wollte ihm keine Hoffnungen machen.

Wahrscheinlich könnte ich mein Desinteresse an Trevor damit begründen, dass ich ihn schon mein ganzes Leben lang kannte – er war zu vertraut, praktisch Familie –, aber seinen älteren Bruder kannte ich ebenfalls schon mein ganzes Leben, und meine Gefühle für ihn waren ganz und gar nicht familiär.

»Komm schon, sei ein guter Freund«, drängte ich ihn und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich brauche dich.«

»Nein, tust du nicht.« Er blieb vor meinem nächsten Klassenzimmer stehen, das auf dem Weg zu seinem lag, drehte sich um und warf mir einen ernsten Blick zu. »Rika, wenn du Trevor nicht fragen willst, dann frag jemand anderen.«

Ich seufzte und wandte den Blick ab, weil mich diese Unterhaltung nervte.

»Du fragst mich, weil es sicher ist«, stellte er fest. »Du bist wunderschön, und jeder Kerl würde liebend gerne mit dir zum Tanz gehen.«

»Natürlich.« Ich grinste ironisch. »Dann sag Ja.«

Er verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.

Noah zog gerne Schlüsse über mich. Darüber, warum ich keine Verabredungen hatte oder warum er dachte, dass ich mich vor diesem oder jenem scheute. Und als der gute Freund, der er war, wünschte ich, er würde endlich damit aufhören, weil es mir unangenehm war.

Ich hob meine Hand und rieb nervös über meinen Hals – über die blasse, dünne Narbe, die ich mir zugezogen hatte, als ich dreizehn war.

Bei dem Autounfall, bei dem mein Vater gestorben war.

Ich sah, wie er mich beobachtete, ließ die Hand sinken. Ich wusste, was er dachte.

Die Narbe verlief diagonal, war etwa fünf Zentimeter lang und an der linken Seite meines Halses. Obwohl sie mit der Zeit verblasst war, hatte ich immer noch das Gefühl, dass sie das Erste war, was die Leute an mir bemerkten. Es kamen immer Fragen und mitleidige Gesichtsausdrücke von meiner Familie und meinen Freunden, ganz zu schweigen von den gemeinen Kommentaren, die mir die Mädchen auf der Junior High zugeworfen hatten, während sie mich ausgelacht hatten. Nach einer Weile hatte sich die Narbe wie ein Körperglied angefühlt, groß und etwas, dessen ich mir immer bewusst war.

»Rika.« Er senkte seine Stimme und sah mich aus seinen braunen Augen sanft an. »Baby, du bist wunderschön. Langes, blondes Haar, Beine, die kein Junge auf dieser Schule ignorieren könnte, und die schönsten blauen Augen in der ganzen Stadt. Du bist wundervoll.«

Der erste Gong läutete, ich trat von einem Fuß auf den anderen und hielt meine Tasche fester. »Und du bist mein Lieblingsmensch«, entgegnete ich. »Ich will mit dir zum Ball gehen. Okay?«

Er seufzte und schaute resigniert drein. Ich hatte gewonnen und musste mir ein Grinsen verkneifen.

»Na schön«, brummte er. »Wir haben ein Date.« Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging zu seinem Englischkurs.

Ich grinste und entspannte mich augenblicklich. Es bestand kein Zweifel daran, dass ich Noah einen vielversprechenden Abend mit einem anderen Mädchen versaut hatte, also müsste ich mir etwas einfallen lassen, um das wiedergutzumachen.

Ich ging zu meinem Algebrakurs, hängte meine Tasche über die Stuhllehne in der ersten Reihe, zog mein Buch heraus und legte es auf den Tisch. Meine Freundin Claudia ließ sich neben mir nieder und lächelte mich an. Sofort setzte ich mich ebenfalls und begann, meinen Namen auf das leere Blatt Papier zu schreiben, das Mr Fitzpatrick jedem Schüler auf den Platz gelegt hatte. Am Freitag startete der Kurs immer mit einem Test – wir wussten also alle, was zu tun war.

Die Schüler eilten in den Kursraum, wobei die grün-blau karierten Röcke der Mädchen flatterten und die meisten Krawatten der Jungs schon lose waren. Der Schultag war fast vorüber.

»Habt ihr schon das Neueste gehört?«, fragte jemand hinter uns, und ich drehte mich um und sah, wie Gabrielle Owens über ihrem Schreibtisch lehnte.

»Nein, was?«, fragte Claudia.

Gabrielle senkte ihre Stimme zu einem Flüstern und sah uns aufgeregt an. »Sie sind hier.«

Verwirrt blickte ich Claudia und dann wieder Gabrielle an. »Wer ist hier?«

Aber dann kam Mr Fitzpatrick in den Raum und rief mit dröhnender Stimme: »Alle hinsetzen!«

Claudia, Gabrielle und ich blickten sofort wieder nach vorne, beendeten unsere Unterhaltung und setzten uns aufrecht hin.

»Bitte setzen Sie sich, Mr Dawson«, sagte der Lehrer zu einem Schüler in den hinteren Reihen, als er sich hinter sein Pult stellte.

Sie sind hier? Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und dachte darüber nach, was Gabrielle wohl gemeint hatte. Aber dann blickte ich auf und sah, wie ein Mädchen nach vorne lief und Mr Fitzpatrick einen Zettel gab.

»Danke«, sagte er und faltete das Papier auseinander.

Ich beobachtete, wie er las, und sah, wie sich sein Gesichtsausdruck von entspannt zu aufgeregt veränderte. Er presste die Lippen aufeinander und runzelte die Stirn.

Was ging hier vor sich?

Sie sind hier. Was sollte das …?

Aber dann riss ich die Augen auf, und in meinem Bauch begann es zu kribbeln.

SIE SIND HIER. Ich öffnete den Mund, schnappte nach Luft, und meine Haut brannte, als hätte ich Fieber. Schmetterlinge breiteten sich in meinem Bauch aus, ich biss die Zähne zusammen und verkniff mir das Lächeln, das mir über die Lippen kommen wollte.

Er ist hier.

Ich hob langsam den Blick, sah auf die Uhr und stellte fest, dass es fast zwei Uhr nachmittags war.

Und es war der dreißigste Oktober, der Tag vor Halloween.

Devil’s Night – die Teufelsnacht.

Sie waren zurück. Aber warum? Sie hatten bereits ihren Abschluss gemacht – vor über einem Jahr. Also warum jetzt?

»Bitte vergewissern Sie sich, dass Sie Ihren Namen auf dem Blatt stehen haben«, befahl Mr Fitzpatrick mit angespannter Stimme, »und lösen Sie die drei Aufgaben, die an der Tafel stehen.« Er schaltete den Projektor an und vergeudete keine Zeit, als die erste Aufgabe vor uns auf der Leinwand auftauchte. »Drehen Sie das Blatt um, wenn Sie fertig sind«, rief er. »Sie haben zehn Minuten.«

Ich nahm meinen Stift, und mein ganzer Körper vibrierte vor Nervosität und Aufregung, als ich versuchte, mich auf die erste Aufgabe zu konzentrieren, in der es um quadratische Funktionen ging.

Aber das war verdammt schwer. Wieder warf ich einen Blick auf die Uhr.

Jede Minute …

Ich beugte meinen Kopf über das Blatt und zwang mich dazu, mich zu konzentrieren. Mein Stift grub sich in das Holz der Tischplatte unter dem Papier, und ich blinzelte, um meine Augen auf die Aufgabe zu fokussieren. »Finden Sie den Scheitelpunkt der Parabel«, flüsterte ich mir selbst zu.

Ich bearbeitete die Aufgabe schnell und ging von einem Punkt zum nächsten, weil ich wusste, dass ich völlig abgelenkt wäre, wenn ich auch nur für eine Sekunde innehalten würde.

Wenn der Scheitelpunkt der Parabel Koordinaten hat … Ich machte weiter.

Der Graph einer quadratischen Funktion ist eine Parabel, die sich öffnet, wenn …

Ich rechnete immer weiter, beendete die erste Aufgabe, dann die zweite … kam zur dritten.

Aber dann hörte ich leise Musik und erstarrte augenblicklich.

Mein Stift hing über dem Papier in der Luft, als der Klang eines entfernten Gitarrenriffs durch die Lautsprecher kam. Es wurde lauter und lauter, und ich starrte auf meinen Test vor mir, während mir innerlich ganz heiß wurde.

Ein Flüstern ging durch den Raum, gefolgt von aufgeregtem Kichern. Dann ging der sanfte Beginn des Songs, der über die Lautsprecher ertönte, in einen gewaltigen Angriff aus Schlagzeug, Gitarren und schnellem, schroffem Wahnsinn über, der einem bis ins Mark fuhr. Meine Finger krallten sich um den Stift.

Slipknots The Devil In I dröhnte durch das Klassenzimmer – und wahrscheinlich auch durch den Rest der Schule.

»Ich hab’s euch gesagt!«, rief Gabrielle.

Ich riss den Kopf hoch und sah, wie die Schüler von ihren Stühlen aufsprangen und zur Tür eilten.

»Sind sie wirklich hier?«, schrie jemand fast panisch.

Alle versammelten sich um die Tür des Klassenzimmers herum und blickten durch das kleine Fenster, um einen Blick auf sie zu erhaschen, als sie den Gang entlangkamen. Aber ich blieb sitzen und spürte, wie mir das Adrenalin durch die Adern schoss.

Mr Fitzpatricks Brust hob sich, als er seufzte, die Arme vor der Brust verschränkte und sich wegdrehte – ohne Zweifel wartete er darauf, dass das Ganze ein Ende nahm.

Die Musik dröhnte, und das aufgeregte Rufen der anderen Schüler erfüllte den Raum.

»Wo – oh, da kommen sie!«, schrie ein Mädchen, und ich hörte ein Trommeln aus dem Gang kommen, das klang, als würde mit Fäusten gegen Spinde geschlagen, während sie immer näher und näher kamen.

»Lasst mich mal sehen!«, rief ein anderer Schüler und drängte sich dazwischen.

Ein Mädchen stellte sich auf die Zehenspitzen. »Zur Seite!«, befahl sie einem Mitschüler.

Aber dann traten plötzlich alle zurück. Die Tür wurde aufgerissen, und die Schüler stoben auseinander wie Wellen im See.

»O Scheiße«, hörte ich einen Jungen flüstern.

Langsam taumelten alle zurück, manche setzten sich wieder auf ihre Plätze, andere blieben stehen. Ich packte meinen Stift mit beiden Händen, und mein Magen kribbelte wie in einer Achterbahn, als ich ihnen zusah, wie sie unheimlich ruhig und ohne Eile ins Klassenzimmer kamen.

Sie waren hier. Die Apokalyptischen Reiter.

Sie waren die Lieblingssöhne von Thunder Bay, die hier auf die Highschool gegangen waren und ihren Abschluss gemacht hatten, als ich gerade im ersten Jahr war. Alle vier waren danach auf verschiedene Unis gegangen. Sie waren ein paar Jahre älter, und obwohl keiner von ihnen wusste, dass ich existierte, wusste ich fast alles über sie. Alle vier gingen langsam in das Klassenzimmer und verdunkelten die Sonnenstrahlen, die durch die Fenster hereinfielen.

Damon Torrance, Kai Mori, Will Grayson III und – mein Blick blieb an der blutroten Maske desjenigen hängen, der die anderen immer ein wenig anzuführen schien – Michael Crist. Trevors älterer Bruder.

Er drehte seinen Kopf nach links und deutete mit dem Kinn nach hinten in den Raum. Die Schüler drehten sich um und sahen, wie ein Junge nach vorne trat. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, obwohl er es versuchte.

»Kian«, erklang die belustigte Stimme eines Mitschülers, der ihm auf den Rücken klatschte, als er an ihm vorbei zu den Apokalyptischen Reitern ging. »Viel Spaß. Vergiss das Kondom nicht.«

Einige Schüler lachten, während ein paar Mädchen nervös flüsterten und sich angrinsten.

Kian Mathers, ein Junior wie ich und einer der besten Basketballspieler unserer Schule, ging zu den vier Furcht einflößenden Kerlen, und der mit der weißen Maske mit dem roten Strich schlang ihm den Arm um den Hals und zog ihn aus dem Raum.

Sie suchten sich einen weiteren Schüler aus – Malik Cramer –, und der mit der vollkommen schwarzen Maske zog ihn in den Gang und folgte den anderen beiden – wahrscheinlich, um noch mehr Spieler aus den anderen Klassenräumen einzusammeln.

Ich betrachtete Michael, dessen Größe nichts damit zu tun hatte, wie er einen Raum ausfüllte, und blinzelte mehrmals, während ich die Hitze unter meiner Haut spürte.

Alles an den Apokalyptischen Reitern verlieh mir das Gefühl, auf einem Drahtseil zu balancieren. Wenn auch nur ein Haar in die falsche Richtung zeigte oder man zu fest – oder zu sanft – auftrat, dann würde man so tief unter ihr Radar fallen, dass man nie wieder auftauchte.

Sie erhielten ihre Macht dadurch, dass sie Fans hatten und es ihnen absolut egal war. Alle vergötterten sie, mich eingeschlossen.

Aber im Gegensatz zu den anderen Schülern, die immer zu ihnen aufgeblickt haben, ihnen gefolgt waren oder von ihnen geträumt hatten, hatte ich mich einfach immer nur gefragt, wie es wäre, eine von ihnen zu sein. Sie waren unantastbar, faszinierend, und nichts, was sie je taten, war falsch.

Das wollte ich auch.

Ich wollte auf den Himmel hinabblicken.

»Mr Fitzpatrick?« Gabrielle Owens ging mit ihrer Freundin im Schlepptau nach vorne. Beide hatten ihre Bücher in der Hand. »Wir müssen ins Krankenzimmer. Bis Montag!« Damit drängten sie sich durch die Apokalyptischen Reiter hindurch und verschwanden durch die Tür.

Mein Blick blieb an Mr Fitzpatrick hängen. Warum ließ er sie einfach gehen? Sie gingen mit Sicherheit nicht ins Krankenzimmer. Sie hauten mit den Jungs ab.

Aber niemand – nicht einmal Mr Fitzpatrick – versuchte, sie aufzuhalten.

Die Apokalyptischen Reiter hatten nicht nur die Schülerschaft und die Stadt beherrscht, als sie hier auf der Schule waren, sondern auch den Basketballplatz. In den vier Jahren, in denen sie hier gespielt hatten, hatten sie kaum ein Spiel verloren.

Aber seit ihrem Fortgang hatte die Mannschaft gelitten, und das letzte Jahr war ein erniedrigendes Desaster für Thunder Bay gewesen. Zwölf Niederlagen in zwanzig Spielen, und allen hatte es gereicht. Etwas fehlte.

Ich nahm an, dass die Apokalyptischen Reiter deshalb jetzt hier waren – vom College zurückgerufen, um die Mannschaft am Wochenende zu inspirieren oder das zu tun, was immer sie tun mussten, um das Team wieder zurück auf Spur zu bringen, bevor die Saison begann.

Und sosehr Lehrer wie Fitzpatrick sich über ihre Einführungsrituale ärgerten, es hatte definitiv dabei geholfen, aus der Mannschaft eine Einheit zu machen, während sie noch hier waren.

Warum sollte man nicht ausprobieren, ob es wieder funktionierte?

»Alle hinsetzen! Ihr Jungs zieht weiter«, sagte er zu den Apokalyptischen Reitern.

Ich ließ den Kopf fallen und spürte, wie die pure Freude von meinem Magen bis in meine Brust hinaufstieg. Ich schloss die Augen, und mein Kopf fühlte sich leicht und wie benommen an.

Ja, das hatte gefehlt.

Ich öffnete die Augen wieder und sah ein Paar langer Beine in dunklen, verwaschenen Jeans an meinem Tisch vorübergehen und neben dem Fenster stehen bleiben.

Ich hielt den Blick gesenkt und hatte Angst, mein Gesichtsausdruck würde verraten, was in mir vor sich ging. Er sah sich wahrscheinlich sowieso nur im Raum um und überlegte, ob es noch andere Spieler hier gab.

»Noch jemand?«, fragte einer der anderen.

Aber er antwortete seinem Freund nicht. Er thronte einfach nur über mir. Was tat er da?

Mit nach unten gerichtetem Kinn blickte ich ganz vorsichtig nach oben und sah, wie seine Hände locker an den Seiten seines Körpers lagen. Sie waren so stark, dass die Venen deutlich erkennbar waren. Der ganze Raum wurde plötzlich so still, dass mir das Blut in den Adern gefror und ich keine Luft mehr bekam.

Warum stand er einfach nur so da?

Langsam hob ich den Blick und versteifte mich sofort, als ich sah, dass seine haselnussbraunen Augen direkt auf mich hinabschauten.

Ich rutschte auf meinem Stuhl umher und fragte mich, ob ich etwas verpasst hatte. Warum sah er mich an?

Michael blickte nach unten, und seine bösartige rote Maske – eine Nachbildung der entstellten und vernarbten Masken aus dem Videospiel Army of Two – ließ meine Knie zittern.

Ich hatte schon immer Angst vor ihm gehabt. Die aufregende Art von Angst, die mich antörnte.

Ich spannte die Muskeln in meinen Oberschenkeln an und spürte das Pulsieren zwischen meinen Beinen – an der Stelle, die sich nur dann leer anfühlte, wenn er in der Nähe war, aber nicht nahe genug.

Es gefiel mir. Es gefiel mir, Angst zu haben.

Alle saßen still hinter mir, und ich sah, wie er seinen Kopf etwas schief legte, als er mich betrachtete. Was dachte er?

»Sie ist erst sechzehn«, sagte Mr Fitzpatrick jetzt.

Michael sah mir noch eine Sekunde lang in die Augen und drehte dann den Kopf zu Mr Fitzpatrick um.

Ich war erst sechzehn – jedenfalls bis nächsten Monat –, was bedeutete, dass sie mich nicht mit sich nehmen konnten. Das Alter der Basketballspieler war egal, aber jedes Mädchen, das sich ihnen anschloss, musste achtzehn sein und das Schulgelände aus freiem Willen verlassen.

Nicht, dass sie mich überhaupt wählen würden. Mr Fitzpatrick verstand das falsch.

Der Lehrer funkelte Michael böse an, und obwohl ich seine Augen nicht sehen konnte, weil er sich von mir weggedreht hatte, nahm ich an, dass sein Blick Mr Fitzpatrick beunruhigte, da er ihm plötzlich auswich. Er blinzelte und schaute nach unten.

Michael drehte seinen Kopf wieder in meine Richtung und sah mich noch mal an, als mir ein Schweißtropfen über den Rücken rann.

Dann verließ er den Raum, gefolgt von Kai, von dem ich wusste, dass er die silberne Maske trug. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss.

Was zum Teufel war das?

Alle begannen zu flüstern, und aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Claudias Kopf sich in meine Richtung drehte. Ich blickte sie an und sah, wie sie fragend ihre Augenbrauen hob, aber ich ignorierte sie einfach und wandte mich wieder meinem Test zu. Ich hatte keine Ahnung, warum er mich so angesehen hatte. Ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seit er im Sommer kurz zu Hause gewesen war, und da hatte er mich wie üblich ignoriert.

»Also gut!«, rief Mr Fitzpatrick. »Zurück an die Arbeit. Jetzt!«

Das aufgeregte Getuschel ging in ein Flüstern über, und langsam machten sich alle wieder an die Arbeit. Die Musik, die sich in ein entferntes Summen verwandelt hatte, erlosch, und zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte, ließ ich das Lächeln, das ich die ganze Zeit zurückgehalten hatte, frei.

Heute Nacht würde es Chaos geben. In der Devil’s Night ging es nicht nur um Einführungsrituale. Die heutige Nacht war etwas Besonderes. Es ging nicht nur darum, Spieler aus allen Kursen zu holen und sie dann an einen geheimen Ort zu bringen, sie ein bisschen aufzumischen und betrunken zu machen … Nein, später würden die Apokalyptischen Reiter Amok laufen und die ganze Stadt in ihr Spielfeld verwandeln.

Letztes Jahr, als sie nicht da gewesen waren, war es langweilig gewesen, aber alle wussten, dass das heute Nacht nicht der Fall sein würde. Es begann ohne Zweifel genau jetzt auf dem Parkplatz, als all die Jungs und ein paar Mädchen in die Autos geladen wurden.

Ich nahm meinen Stift, und mein Atem ging flach, als ich mit dem rechten Knie wippte.

Ich wollte gehen.

Die Hitze in meiner Brust begann bereits zu verschwinden, und mein Kopf, der sich noch vor einer Minute angefühlt hatte, als würde er über den Bäumen schweben, sank bereits langsam wieder auf den Boden zurück.

Nach einer weiteren Minute würde ich mich genauso fühlen, wie ich mich gefühlt hatte, bevor er in den Raum gekommen war: unecht, kalt und unwichtig.

Nach dem Unterricht würde ich nach Hause gehen, nach meiner Mom sehen, mich umziehen und dann zum Haus der Crists gehen, um abzuhängen. Eine Routine, die kurz nach dem Tod meines Vaters eingesetzt hatte. Manchmal blieb ich zum Abendessen, und manchmal ging ich nach Hause, um mit meiner Mom zu essen, wenn sie dazu in der Lage war.

Dann würde ich ins Bett gehen und versuchen, mir keine Gedanken darüber zu machen, dass der eine Bruder mich jeden Tag mürbe zu machen versuchte, während ich leugnete, dass der andere Bruder etwas in mir zum Leben erwachte, wenn er in der Nähe war.

Gelächter und Rufe drangen durch die Fenster in den Kursraum, ich hielt inne und zwang mein Knie zur Ruhe.

Verdammt noch mal.

Ich griff unter meinen Tisch, nahm mein Algebrabuch, beugte mich zur Seite, gab es Claudia und flüsterte: »Nimm das mit. Ich hole es am Wochenende ab.«

Sie runzelte die Stirn und sah verwirrt aus. »Was …?«

Doch ich gab ihr keine Chance, den Satz zu beenden, und stand bereits von meinem Stuhl auf, um zum Lehrer zu gehen.

»Mr Fitzpatrick?« Ich näherte mich seinem Pult und verschränkte die Hände hinter meinem Rücken. »Darf ich bitte auf die Toilette gehen? Ich bin fertig mit dem Test«, log ich mit ruhiger Stimme.

Er blickte kaum auf, nickte und winkte mich davon. Ja, so eine Art Schülerin war ich. Oh, Erika Fane? Die Prüde, die immer nach Vorschrift gekleidet ist und sich bei jeder Sportveranstaltung freiwillig zum Helfen meldet? Ein gutes Mädchen.

Ich ging direkt zur Tür und zögerte keine Sekunde, als ich den Raum verließ. Irgendwann würde ihm klar werden, dass ich nicht zurückkäme, aber dann wäre ich schon weg. Ich würde trotzdem Ärger bekommen, aber es war schon zu spät, um mich aufzuhalten. Mission abgeschlossen. Den Konsequenzen würde ich mich am Montag stellen müssen.

Ich rannte aus dem Schulgebäude und sah ein paar Autos, Trucks und SUVs an der linken Seite des Gebäudes stehen. Ich hatte nicht vor, sie zu fragen, ob ich mitkommen könnte, oder irgendjemanden wissen zu lassen, dass ich da war. Sie würden mich entweder auslachen oder mir den Kopf tätscheln und mich zurück ins Schulgebäude schicken.

Nein, ich durfte nicht zulassen, dass mich jemand sah.

Also rannte ich auf die Ansammlung von Autos zu, versteckte mich hinter Michaels schwarzem Mercedes G-Klasse und blickte um die Ecke.

»Alle Mann ins Auto!«, rief jemand.

Ich sah Damon Torrance sofort. Seine schwarze Maske saß jetzt auf seinem Kopf, als er zu den Autos rüberging und einem Kerl auf der Ladefläche eines Pick-ups ein Bier zuwarf. Sein schwarzes Haar war nach hinten gestrichen und unter der Maske versteckt. Aber ich sah seine hohen Wangenknochen und seine immer noch umwerfenden schwarzen Augen. Damon sah gut aus.

Da ich in meinem ersten Jahr auf der Highschool gewesen war, als sie alle schon kurz vor ihrem Abschluss standen, wusste ich nicht viel über sein Verhalten in der Schule, aber ich hatte viel von ihm im Hause der Crists mitgekriegt und konnte sagen, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Michael ließ ihn an der langen Leine, aber er war trotzdem an der Leine, und das aus gutem Grund. Er machte mir Angst.

Und nicht auf die Art, wie Michael mir Angst machte und die mir gefiel.

Bis jetzt befanden sich ungefähr fünfundzwanzig Leute hier draußen, darunter das Basketballteam und ein paar Mädels, aber die Schule wäre in weniger als einer Stunde aus, was bedeutete, dass noch mehr herauskommen würden, um sich der Party anzuschließen.

»Wohin fahren wir?«, fragte einer der Jungs und sah Damon an.

Aber es war Will Grayson, der einschritt und Damon auf die Schulter schlug, als er an ihm vorbeiging. »Wo dich niemand schreien hören kann«, antwortete er.

Grinsend öffnete er die Tür seines schwarzen Ford Raptor, kletterte auf die Trittstufe und stand jetzt zwischen der offenen Tür und dem Truck, während er über die Menge blickte.

Will hielt seine weiße Maske mit dem roten Streifen in der Hand, seine braunen Haare waren zu einem Faux Hawk frisiert, und seine verführerischen grünen Augen lachten förmlich. »Hey, habt ihr Kylie Halpern gesehen?«.

Ich warf einen verstohlenen Blick um das Auto herum und sah Kai mit seiner silbernen Maske auf dem Kopf und Michael, dessen Gesicht immer noch hinter seiner Maske verborgen war.

»Heilige Scheiße, diese Beine!«, fuhr Will fort. »Ein Jahr hat ihr sehr gutgetan.«

»Ja, ich vermisse die Highschool-Mädels«, sagte Damon und öffnete die Beifahrertür des Raptor. »Die sind nicht so pampig.«

Ich beobachtete Michael, der keine zwei Meter entfernt stand und die hintere Seitentür seines Mercedes öffnete, eine Reisetasche auf den Rücksitz warf und die Tür danach wieder zuschlug.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten, und meine Arme fühlten sich plötzlich schwach an.

Was zum Teufel tat ich hier?

Ich sollte das nicht tun. Ich würde entweder Ärger kriegen oder mich blamieren.

»Michael?«, hörte ich Will rufen. »Es wird eine lange Nacht. Hast du eine gesehen, die dir gefallen hat?«

»Vielleicht«, hörte ich ihn mit tiefer Stimme antworten.

Dann hörte ich eine andere Stimme leise lachen. Vermutlich Kai. »Ey Mann«, sagte er vorwurfsvoll, als wüsste er irgendetwas. »Sie sieht fantastisch aus, aber ich würde warten, bis sie volljährig ist.«

»Ich werd’s versuchen«, hörte ich Michael sagen. »Auch ihr hat ein zusätzliches Jahr sehr gutgetan. Es wird immer schwerer, sie nicht zu bemerken.«

»Über wen redet ihr da?«, wollte Damon wissen.

»Über niemanden«, zischte Michael und klang plötzlich schroff.

Ich schüttelte den Kopf und wollte ihre Worte vergessen. Ich musste außer Sichtweite gelangen, bevor mich jemand sah.

»Alle in die Autos«, befahl Michael.

Meine Brust hob und senkte sich schneller, und ich holte tief Luft, als ich den Türgriff des Trucks runterdrückte und ihn klicken hörte, als ich daran zog.

Mit einem schnellen Blick zu den Jungs und mit wachsamen Ohren öffnete ich den Kofferraum, kletterte hastig hinein, zog die Klappe hinter mir zu und hoffte, dass sie es nicht bemerkt hatten in dem Chaos, das rundherum herrschte.

Ich sollte das nicht tun.

Ja, ich hatte sie über die Jahre hinweg beobachtet. Ich hatte ihre Unterhaltungen und ihre Angewohnheiten in mir aufgesogen und Dinge bemerkt, die sonst niemand bemerkt hatte. Aber ich war ihnen nie gefolgt.

War das Stufe eins oder zwei auf der Stalking-Skala? Mein Gott. Ich verdrehte die Augen und wollte gar nicht darüber nachdenken.

»Los geht’s!«, rief Kai, und die anderen Türen wurden geschlossen.

»Wir sehen uns dort!«, hörte ich Will rufen.

Das Auto unter mir erzitterte, und ich riss die Augen auf, als Leute in Michaels Auto einstiegen.

Dann wurden nacheinander alle vier Türen geschlossen, und der Innenraum des Fahrzeugs wurde von dem Lachen und dem Gerede mehrerer Männerstimmen erfüllt.

Der SUV erwachte zum Leben und vibrierte unter mir, und ich rollte mich auf meinen Rücken, legte den Kopf auf den Boden und war mir nicht sicher, ob ich mich gut fühlen sollte, dass ich nicht erwischt worden war, oder ob mir schlecht sein sollte, weil ich keine Ahnung hatte, was ich mir da eingebrockt hatte.

KAPITEL 3

Erika

Gegenwart

»Hier entlang, Ms Fane.« Der Mann lächelte, zog einen Schlüsselbund raus und führte mich zu den Fahrstühlen. »Ich bin Ford Patterson, einer der Manager.«

Er streckte mir die Hand entgegen, und ich schüttelte sie. »Schön, Sie kennenzulernen«, antwortete ich, während ich mich in der Lobby meines neuen Wohnhauses Delcour umsah.