Courage zeigen - Sebastian Krumbiegel - E-Book

Courage zeigen E-Book

Sebastian Krumbiegel

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Beschreibung

»Ohne Courage fällt Vergeben schwer.«
(Sebastian Krumbiegel)


Das Thema Courage ist für Sebastian Krumbiegel nicht erst seit dem traumatischen Überfall auf ihn durch Rechtsradikale enorm wichtig. Schon als Jugendlicher im rigiden DDR-System und während seiner Ausbildung im Thomanerchor fiel er durch sein rebellisches Naturell auf. Da kamen die Umbrüche, die zum Ende der DDR führten, gerade recht.
Jetzt zieht Sebastian Krumbiegel eine Zwischenbilanz seines Lebens und verknüpft seine Biographie mit zeitgeschichtlichen Ereignissen. Denn beides gehört untrennbar zusammen. So lernen wir ihn aus mehreren Perspektiven kennen: als Popstar und Musiker, als Zweifler und sozial Engagierten.
Und Krumbiegel offenbart seine zentralen Fragen: Wann habe ich mich für etwas stark gemacht? Wann fehlten mir Mut und Haltung? Und was habe ich daraus gelernt?

  • Zwischen Haltung und Unterhaltung
  • Eine sehr persönliche und ehrliche Lebensbilanz
  • Ein Muss für jeden Prinzen-Fan
  • Höhen und Tiefen eines bewegten Künstler-Daseins
  • Leipziger Courage-Festival am 30. April 2017

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Seitenzahl: 248

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Sebastian Krumbiegel

Courage zeigen

Warum ein Leben

mit Haltung gut tut

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2017 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

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Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlaggestaltung: Gute Botschafter GmbH, Haltern am See

Umschlagmotiv: © Markus Wustmann

ISBN 978-3-641-20857-8V001

www.gtvh.de

INHALT

Brief von Udo Lindenberg

Vorwort

1. »Zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle«

Systemabsturz, zwei »Jugoslawen« in Ungarn und die Geburt eines politischen Musikfestivals

2. »Da rutschte mir das Herz in die heruntergelassene Hose«

Ein »futuristisches Gemälde«, ein Strauß Hundeblumen und finstere Geschichten aus dunklen Zeiten

3. »Wie aus einem perfekten Tag ein Albtraum wurde«

Baseball-Schläger, Springerstiefel, eine Gerichtsverhandlung und ein Wiedersehen im Knast

4. »Ich habe das Glück, ein Prinz zu sein«

Roter Teppich, die Höhle des Löwen und die Erotik der Macht

5. »Wer den Kopf aus dem Fenster hält, wird geföhnt«

Ein Fehler, die Folgen und der beste Tipp meiner Mutter

6. »Manchmal erschrecke ich mich vor mir selbst«

Drugs and Weapons, eine Reise nach Kuba und ein geklautes Fahrrad

7. »Ich glaube an die Liebe«

Bibelrüstzeit, glibbriger Gulasch und ein letztes Gebet

8. »Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Tagesschau«

Elternhaus, Jugendweihe, Konfirmation und der schönste Junge aus der DDR

9. »Wir trauern um Jimi Hendrix und Janis Joplin«

Club 27 und die Friedliche Revolution

10. »Über Nacht Popstar«

Annettes Hilfe, Rios Reis und Udos Underberg

11. »Das Ende einer Freundschaft«

Weltreisen mit dem Thomanerchor, Softpornos in Osaka und Vollrausch in Moskau

12. »… und führe uns nicht in Versuchung«

Großeltern, erste Liebe und das vorzeitige Ende als Chorknabe

13. »37 – 38 – 39 – Pfirsich«

Die sinnlosesten 18 Monate meines Lebens

14. »Stasi ist nicht gleich Stasi«

Vergeben und vergessen?

Nachwort

BRIEF VON UDO LINDENBERG

Das erste Mal haben wir uns getroffen, als ich im Januar 1990 in Leipzig gesungen habe. Das war das erste richtige Panik-Konzert in der gerade überwundenen DDR. Er hatte sich hinter die Bühne geschlichen, und er hatte es sogar geschafft, sich bis in unsere Garderoben durchzumogeln. Strubbelhaare, Fingernagellack, Lidschatten und ’ne Demokassette in der Tasche – und er sagt: »Hey, Udo – ich mach auch Musik – hör mal rein! Ich will auch Popstar werden – wie geht’n das, ich brauch mal ein paar Udonauten-Tipps ...« Das hat mir imponiert. Ein Jahr später trafen wir uns im Boogie-Park-Studio in Hamburg, und noch ein Jahr später waren die Prinzen mit auf Panik-Tour durch die Bunte Republik. In den letzten Jahren haben wir uns immer wieder getroffen, zusammen Musik gemacht und vor allem immer viel miteinander geredet. Er ist ein Typ, der Musik nicht nur als Trallalala-Entertainment versteht, der was zu sagen hat, das auch immer wieder tut, auch wenn er damit gelegentlich immer mal gut aneckt. Er ist einer der Geheimräte, die genau wissen, dass wir mit dem, was wir machen, die Welt ’nen Tick fairer machen können. Zumindest versuchen wir das, so Vögel wie wir. Und dass wir daran glauben, dass wir damit durchkommen, ist unser von Optimismus geprägtes Grundgesetz. Ne, wir geben niemals auf. Sebastian hat ’ne Menge erlebt und viel zu erzählen. Dass er das jetzt aufgeschrieben hat, find ich top und sehr spannend – und ich wünsche mir, dass er damit viele Leute erreicht und motivieren kann. Prinzen, Sebastian. Unterhaltung mit Haltung. Komm, wir powern weiter.

In diesem Sinne – keine Panik, euer Udo

Geschenk von Udo Lindenberg, (Größe: 100x70 cm), die Zeichnung hängt im Wohnzimmer von SK.

VORWORT

Unterhaltung – irgendwann habe ich für mich entdeckt oder vielleicht auch nur beschlossen, dass es kein Zufall ist, dass in diesem Begriff auch das Wort »Haltung« steckt. Damit schließt sich für mich ein Kreis. Natürlich bin ich in erster Linie Unterhalter oder eben neudeutsch »Entertainer«. Aber von Anfang an habe ich versucht, die Bühne, die ich habe, dafür zu nutzen, eine Haltung zu transportieren, meine Meinung zu sagen, auch wenn sie nicht immer jeder hören will. Das ist häufig eine Gratwanderung, weil es schnell passieren kann, dass der Eindruck entsteht, ich wolle das Publikum altklug oder besserwisserisch missionieren. Das will ich natürlich nicht, das versuche ich zu vermeiden, auch wenn es mir sicherlich nicht immer gelingt. Dass Musiker wie Bono oder Bob Geldof Events wie Live Aid oder andere Konzerte für ein respektvolles, menschliches Miteinander veranstalten, dass Künstler wie Udo Lindenberg oder Rio Reiser sich politisch klar gegen Rassismus oder Nazis positionieren, genau wie die Ärzte, die Toten Hosen, K.I.Z. oder Kraftklub, halte ich für wichtig und unverzichtbar. Natürlich wollen auch diese Leute in erster Linie unterhalten, aber sie tun es eben mit Haltung, und genau das brauchen wir ganz dringend. Es ist doch eigentlich nichts Neues, oder es sollte nichts Besonderes sein, wenn Künstler ihre Öffentlichkeit dafür nutzen, Themen anzusprechen, die ihnen wichtig sind. Sie können damit einerseits auf Missstände hinweisen, auf Dinge, die schieflaufen, andererseits können sie aber auch von Bewundernswertem berichten. Ich will mit dem, was ich hier schreibe, nicht belehrend oder pathetisch klingen, auch wenn ich weiß, dass ich manchmal dazu neige. Ich versuche vielmehr, den Ball flach zu halten und einfach nur Geschichten zu erzählen, die mich an- oder manchmal sogar aufgeregt haben.

Natürlich mache auch ich – wie jeder Mensch – jeden Tag Fehler und bin weit davon entfernt, perfekt zu sein. Aber ich mache mir Gedanken zu vielen Dingen. Und vielleicht kann ich mit den Geschichten, die ich hier erzähle, andere anknipsen, sich auch, und vielleicht sogar ähnliche Gedanken zu machen und so ganz automatisch einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass wir alle besser miteinander klarkommen. Vielleicht ist es ja das höchste Gut, dass wir nicht verlernen, einander zuzuhören, weil das die Grundlage für ein respektvolles Miteinander ist.

In diesem Buch finden sich also viele kleine, persönliche Geschichten wieder, die vielleicht mehr Fragen stellen als Antworten geben.

Als mich in letzter Zeit ein paar Freunde ermunterten, ich solle doch die Geschichten, die ich während meiner Solo-am-Piano-Konzerte erzähle, aufschreiben, dachte ich: Nein – das ist mir eine Nummer zu groß, zu selbstbezogen oder zu wichtigtuerisch. Aber als ich dann irgendwann heimlich doch damit angefangen hatte, spürte ich, wie alles begann, aus mir rauszusprudeln. Ich merkte, dass immer mehr angeflogen kam, je mehr ich über Dinge, die ich erlebt hatte, nachzudenken begann. Es war schon komisch, wie Erinnerungen, die verblasst zu sein schienen, langsam immer deutlicher Gestalt annahmen. Dass diese Erinnerungen sehr subjektiv sind, war mir schnell klar. Dass es keine absolute Wahrheit gibt, ist ja logisch, denn jeder hat eine bestimmte Situation aus seiner ganz persönlichen Sicht anders erlebt, als einer, der vielleicht daneben stand. Jeder ruft sich eine Erinnerung mit sehr subjektiv wahrgenommenen Details in sein Gedächtnis zurück.

Deswegen ist dieses Buch weder eine Autobiografie noch eine messerscharfe Aufarbeitung meines bisherigen Lebens. Es ist ein sehr subjektives, sicher manchmal auch ganz schön egozentrisches Nachdenken über Dinge, die ich erlebt habe – ohne Anspruch auf chronologische Abfolge und Vollständigkeit. Mir hat es jedenfalls enormen Spaß gemacht, diese Dinge Revue passieren zu lassen. Ich habe damit angefangen und konnte oft nächtelang nicht aufhören weiterzuschreiben. Es war wie mit einem Buch, das mich fesselt. Ich verschlinge es innerhalb kürzester Zeit und ärgere mich danach, dass es ausgelesen ist, dass die Geschichte zu Ende erzählt ist. Am liebsten würde ich sofort die Fortsetzung lesen, auch wenn es die vielleicht gar nicht gibt. Ob das bei diesem Buch ähnlich ist, kann ich selbst am allerwenigsten einschätzen. Deshalb bleibt mir jetzt erst mal nur noch eines: Ich wünsche viel Spaß beim Lesen oder, um zum Ausgangspunkt, zum ersten Gedanken zurückzukehren:

Ich wünsche gute Unter-Haltung!

1. »ZUR RICHTIGEN ZEIT AN DER RICHTIGEN STELLE«

Systemabsturz, zwei »Jugoslawen« in Ungarn und die Geburt eines politischen Musikfestivals

Nach dem 9. Oktober 1989 waren die Weichen gestellt. Es wusste zwar noch niemand, wohin die Reise gehen würde, aber allen war klar, dass dieser Tag ein besonderer gewesen war, man spürte, dass diese unglaublichen Menschen-Massen auf den Straßen von Leipzig etwas in Bewegung gesetzt hatten, was nicht mehr aufzuhalten war. In den nächsten Wochen veränderte sich, fast unmerklich, das Klima der Montags-Demonstrationen. Am darauffolgenden Montag, am 16. Oktober waren es angeblich 300.000 Menschen, die in den frühen Abendstunden durch die Innenstadt liefen, die den Ring, der das Zentrum umschließt, bevölkerten. Die anfänglichen »Wir sind das Volk«-Sprechchöre wichen schnell dem fordernden »Wir sind ein Volk«, und mehr und mehr wurde die ursprünglich knisternde Atmosphäre durch eine andere abgelöst, eine fast volksfestartige – einerseits wirklich fröhlich und nach wie vor friedlich, andererseits erinnere ich mich aber auch daran, dass immer mehr unangenehme, nationalistische Töne zu vernehmen waren. »Deutschland einig Vaterland« war zu hören, und gleichzeitig gingen diese Sprechchöre in einem Pfeifkonzert der Gegner dieser Forderung unter. Die Leute waren sehr kreativ, was ihre Forderungen auf Transparenten oder in Sprechchören betraf. »Visa-frei bis Shanghai«, »Egon Krenz – wir sind nicht deine Fans« oder »Stasi in den Tagebau« waren zu lesen und zu hören. Teilweise waren die Forderungen oder Wünsche aber auch schon fast wieder lustig, weil Dinge skandiert wurden, die unfreiwillig komisch wirkten: »Helmut nimm uns an die Hand – führ uns ins Wirtschaftswunder-Land« oder, auf den damaligen Hoffnungsträger und letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière gereimt: »Die richtige Kohle, die muss her – DM – DM – de Maizière«.

Aber der Ton wurde auch schärfer. Ich erinnere mich noch sehr genau an den ersten Republikaner-Flyer, den ich in die Hand gedrückt bekam und auf dem »Arbeit zuerst für Deutsche« stand, und ich erinnere mich daran, wie schockiert ich war, aber auch an die teilweise sehr positiven Reaktionen darauf. Oder ein Sprechchor von einer kleinen Gruppe offensichtlich stark alkoholisierter Männer, den ich mich kaum traue zu wiederholen: »Gysi-Modrow an die Wand – Deutschland einig Vaterland«. Innerhalb von wenigen Wochen nahm das Ganze eine Entwicklung, die dazu führte, dass ich ab November mit sehr gemischten Gefühlen zu den Montagsdemos ging und dann irgendwann gar nicht mehr.

Die Ereignisse hatten sich überschlagen, die Mauer war gefallen, und das Jahr 1990 warf seine Schatten voraus. Die Zeit zwischen DDR und dem wiedervereinigten Deutschland war eine sehr spannende. Alles schien möglich zu sein. An allen Ecken schossen neue, unabhängige Clubs und Cafés wie Pilze aus dem Boden. Es gab keine Autorität, die irgendwas hätte unterbinden können. Die alten, ausgedienten Volkspolizisten waren Witzfiguren geworden, und die neuen gab es noch nicht. Die Straßen waren voll mit Händlern, die Feuerwasser und Glasperlen verkauften – wir haben damals oft diesen Indianervergleich gezogen. Teppichhändler, Gebrauchtwagenhändler – alles Mögliche an Ware wurde irgendwie unter die Leute gebracht. Das funktionierte auch schon vor der Währungsunion im Sommer, weil das alte Ostgeld zu einem schwankenden Kurs schwarz getauscht werden konnte. Schon zwei Jahre vorher hatten wir uns im Intershop in Ost-Berlin gute Gesangs-Mikrofone gekauft, die wir dringend brauchten. Wir haben den achtfachen D-Mark-Preis in Ostgeld dafür auf den Tisch gelegt und waren irre stolz, endlich ordentliche Mikros zu haben. Das letzte Ostgeld haben wir regelrecht auf den Kopf gehauen. Es war nur ein geringer Betrag, den man zur Währungsunion 1:1 umtauschen konnte, weswegen wir die letzten Tage mit unserem Ostgeld nur so um uns geworfen haben.

Im Sommer 1990, nach der Währungsunion, habe ich mir für genau 1000,-- DM einen alten VW Käfer gekauft und bin zusammen mit meinem Bandkollegen und Freund Jens damit nach Ungarn gefahren. Dieses Auto war cool, auch wenn es nach heutigen und sicher auch damaligen Regeln niemals durch den TÜV gekommen wäre, aber das war egal. Beim Bremsen zog er immer ein bisschen nach links, aber er fuhr, und er brachte uns über Prag und Budapest bis zum Balaton und wieder zurück.

Zu DDR-Zeiten war Ungarn für uns immer das Tor in den Westen. Dort konnte man Klamotten kaufen und vor allem Schallplatten. Ganz allgemein war es aber bei Reisen in die Ostblockländer so, dass wir uns immer als Deutsche zweiter Klasse gefühlt hatten, weil wir mit unserem Ostgeld eben nur zu einem Bruchteil die jeweilige Landeswährung bekamen, im Gegensatz zu jemandem, der mit Westgeld gewunken hatte. Das empfanden wir oft als beschämend. Man nahm sich, gerade nach Ungarn, Konserven, Salami und überhaupt Lebensmittel mit, man hatte volle Benzinkanister im Auto, damit man für diese Dinge kein Geld ausgeben musste. Wenn der Kaffee oder der Drink in einer Bar für den Westdeutschen umgerechnet eine Mark kostete, legten wir dafür mindestens das Fünffache hin, und genau das war nach der Währungsunion Schnee von gestern. Dazu kam noch, dass Deutschland 1990 Fußballweltmeister geworden war, und all das führte dazu, dass viele Ostdeutsche, die in diesem Sommer nach Ungarn reisten, eine unangenehme Art von Nationalstolz zur Schau stellten – nach dem Motto: Wir sind wieder wer, wir sind nicht mehr Deutsche zweiter Klasse, wir können uns endlich all das leisten, was wir uns bis jetzt nicht kaufen konnten, und jetzt sind wir auch noch Fußballweltmeister, machen uns unsere schwarz-rot-goldene Fahne ans Auto und hauen mal so richtig auf die Kacke.

SK mit seinem ersten VW-Käfer vor dem Elternhaus, 1990. Foto: privat

Ich will nicht ungerecht sein. Natürlich verstehe ich dieses Gefühl, natürlich kann ich nachvollziehen, dass dieser Glückstaumel viele Menschen halb besoffen gemacht hatte, gerade die Menschen, die sich jahrelang immer beschämt oder eben zweitklassig gefühlt hatten. Mir war das damals schon verdammt unangenehm. Jens und ich haben uns während dieser wunderbaren Reise an den Balaton jedenfalls einen Sport draus gemacht, uns möglichst nicht als Deutsche zu erkennen zu geben. Das hat wunderbar funktioniert. Wenn wir deutsche Touristen trafen, ganz gleich ob es Ost- oder Westdeutsche waren, haben wir uns in einer Fantasiesprache unterhalten und uns als Jugoslawen ausgegeben. Das war sehr lustig, zumal wir das, je mehr wir es praktizierten, stundenlang durchhalten konnten. Verständigt haben wir uns in schlechtem Englisch (mit pseudo-jugoslawischem Akzent) und brachten unseren deutschen Gesprächspartnern sogar einige Jugoslawische Vokabeln bei: What’s the meaning of »cheers«? We say: »runtermitdemmischt« – very funny! Wir wollten nicht zu den Fahne schwenkenden, deutschtümelnden Leuten gehören und wie so oft war eine humorvolle Gegenaktion unsere Art, genau das zu zeigen. Wir haben das nicht böse gemeint, wir fanden es einfach nur lustig, und einige der Betroffenen konnten mit uns zusammen darüber lachen. Andere nicht so sehr. Wenn wir einen ganzen Abend lang in diesem schlechten Englisch miteinander kommuniziert hatten, und dann, am Ende plötzlich in feinstem Sächsisch fragten, ob die anderen denn auch aus dem Osten seien, dann traf das nicht immer das Humorzentrum derer, die wir gerade zwei/drei Stunden lang vorgeführt hatten. Wir haben uns vor Lachen die Bäuche gehalten und fühlten uns frei. Ich weiß noch, dass wir mit vier Mädchen sprachen, von denen eine kein Englisch verstand, was dann dazu führte, dass die drei anderen ihr das, was wir in unserem »Jugo-Englisch« erzählt hatten, zurück ins Deutsche übersetzen. Die vier Ladys aus Thüringen fanden das dann am Ende, als wir uns geoutet hatten, gar nicht lustig – wir schon. Rückblickend amüsiere ich mich immer noch darüber, auch wenn es sicher nicht die feine englische (ha-ha!) Art war.

In den nächsten Wochen und Monaten passierte auch für uns als Band sehr viel. Wir hatten das große Glück, zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle die richtigen Leute zu treffen, und ehe wir gucken konnten, waren wir auf einmal Popstars, und die Leute im ganzen wiedervereinigten Land sangen unsere Lieder. Diese ersten Jahre waren wie ein schneller, bunter, schriller und vor allem sehr egozentrischer Rausch. Wir hatten das Gefühl, die ganze Welt dreht sich ausschließlich um uns und unsere Musik – es war fantastisch, wir hatten über Nacht erreicht, wovon wir jahrelang geträumt hatten – alles war perfekt.

Als aber die Bilder der brennenden Häuser aus Rostock Lichtenhagen die Nachrichten-Sendungen dominierten, habe ich das erste Mal gedacht, dass hier einiges gewaltig schiefläuft. Natürlich hatten wir in Leipzig die Straßenkämpfe zwischen Nazis und Antifa mitbekommen und uns auch in unseren Texten damit beschäftigt – ich weiß noch genau, wie uns in der Hamburger Hafenstraße eine junge Punkerin hinterherrannte und »Danke für Bombe!« gerufen hatte – das fand ich großartig, weil ich dachte: Das kommt bei den Leuten da draußen genauso an, wie wir es meinen. In dem Lied singt Tobias: »Schmierst du an die Wand eine hohle Naziparole, dann möchte ich ’ne Bombe sein und einfach explodier’n ...«. Das war auch die Zeit der ersten großen »Rock gegen Rechts«-Konzerte – wir waren bei »Heute die – morgen du« in Köln dabei oder bei »Gewalt ätzt« in Leipzig, und es war uns wichtig, uns überall dort klar zu positionieren. Aber die Bilder aus Rostock, vor allem die applaudierende Menge, der widerliche Mob, die »Heil Hitler« grüßenden Nazi-Idioten, die Pogrome in Hoyerswerda, Solingen oder Mölln, das hat mich ernsthaft und nachhaltig beunruhigt, und ich musste zurückdenken an die Montagsdemos und an die ersten Anzeichen dieses Wahnsinns, vor dem schon viele gewarnt hatten. Ich hatte die Sorgen damals nicht nah an mich herangelassen, aber nun waren sie bittere Realität geworden. Auch in Leipzig fanden jetzt mit beunruhigender Regelmäßigkeit Nazi-Demos statt. Christian Worch, heute mittlerweile Parteivorsitzender der rechtsradikalen Partei »Die Rechte« hat Ende der 1990er-Jahre regelmäßig Nazi-Demos angemeldet, die von den zuständigen Behörden auch gestattet worden waren. Darüber kann man lange streiten – die einen sagen: So etwas muss eine Demokratie aushalten, und man sollte sich mit demokratischen Mitteln dagegen wehren, andere verstehen nicht, dass die Justiz es zulässt, Kundgebungen mit klar rassistischen oder antisemitischen Inhalten stattfinden zu lassen. Ich bin ein großer Fan des zivilen Ungehorsams. Und ich denke, wenn die (in diesem Falle wieder mal sächsische) Justiz solche Aufmärsche oder Demonstrationen nicht unterbindet, dann muss man sich eben selbst darum kümmern. Mein oberstes Gebot ist diesbezüglich: Man sollte das auf jeden Fall immer gewaltfrei, also friedlich tun. Das war für mich die prägendste Lehre aus den Oktobertagen der Montagsdemos in meiner Heimatstadt, und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Als für den 1. Mai 1998 am Leipziger Völkerschlacht-Denkmal, einem der Wahrzeichen der Stadt, eine Nazi-Kundgebung angemeldet und genehmigt worden war, fanden sich ein paar Leipziger aus der freien Kulturszene, aus der Gastronomie und ein paar Freunde zusammen und schmiedeten einen Plan. Die Idee war, dass wir am Vorabend dieser Nazi-Demo ein Konzert an genau dieser Stelle veranstalten und damit den Platz blockieren. Wir suchten uns Partner bei der Stadt, sprachen potentielle Sponsoren aus der Wirtschaft an, fragten die Gewerkschaften und die Kirchen um Unterstützung und versuchten mit diesem breiten Bündnis dafür zu sorgen, dass der Nazi-Aufmarsch wegen der Sicherheitslage am nächsten Tag nicht stattfinden konnte.

Rückblickend war das ganz schön blauäugig. Wie sollte man innerhalb von ein paar Tagen ein solches Projekt durchziehen können? Die Leute, die wir in Politik und Wirtschaft von dieser Idee überzeugen wollten, hatten doch sicher volle Terminkalender und warteten nicht darauf, dass ein etwas konfuser Haufen von jetzt auf gleich so etwas auf die Beine stellen wollte. Aber manchmal entsteht aus dem »Geht nicht, gibt’s nicht« auch eine wunderbare Dynamik. Wir wollten nicht einfach so den Nazis – im wahrsten Sinne des Wortes – das Feld überlassen. Wir wollten zeigen, dass Leipzig eine weltoffene, friedliche Stadt ist, und so sind wir losgezogen, haben bei vielen Unterstützern offene Türen eingerannt und hatten vor allem von der ersten Sekunde an den Oberbürgermeister als Schirmherrn im Boot.

Am Ende des Tages hatten wir gewonnen – die Nazis konnten nicht marschieren. Stattdessen fand ein Musikfestival statt. Es spielten mehrere Bands. Headliner waren Wolfgang Niedeckens BAP, die wir beim »Heute die – morgen du« kennengelernt hatten. Wir mobilisierten über 10.000 Menschen, und die Idee »Leipzig – Courage zeigen« war geboren. Es war ein politisch ausgerichtetes Musikfestival ins Leben gerufen worden, das seit mittlerweile fast 20 Jahren am 30. April stattfindet und zu einer festen Größe in der Leipziger Kulturlandschaft geworden ist. Das Schöne ist, dass alles mit einer kleinen Idee begann, im Laufe der Jahre gewachsen ist, Höhen und Tiefen erlebt hat und heute nach wie vor, oder vielleicht sogar mehr denn je in meiner Lieblingsstadt eine große Rolle spielt.

Am Anfang bestand meine Aufgabe hauptsächlich darin, Bands und Künstler anzufragen, ob sie für gar keine oder eine sehr überschaubare Gage, oder besser »Aufwandsentschädigung«, dabei sein würden. Mittler­weile kümmere ich mich genauso intensiv um Sponsoren, Öffentlichkeitsarbeit und bin Jahr für Jahr als Co-Moderator des Abends am Start. Und das sage ich nicht, weil ich mich dabei so toll finde, sondern deswegen, weil es mir ungeheuren Spaß macht und weil ich darauf, was wir als Team erreicht haben, ein bisschen stolz bin.

Heute sind wir mit »Leipzig – Courage zeigen« auf dem Marktplatz, also wirklich im Herzen der Stadt, oder in der sprichwörtlichen Mitte der Gesellschaft angekommen, und jedes Jahr feiern acht- bis zehntausend Menschen ein Fest, das einerseits gute Musik bietet und andererseits inhaltlich klar für die Werte steht, von denen ich fest überzeugt bin, dass wir sie pflegen müssen: Respekt, Toleranz, ein friedvolles Miteinander, bei dem Rassismus, Rechtsextremismus, Sexismus, Homophobie oder Antisemitismus keine Chance haben. Natürlich ist der Grundgedanke, der ursprüngliche Gedanke, sich gegen Nazis zu wenden, nach wie vor sehr wichtig. Ich halte es aber für konstruktiver, für etwas zu stehen und nicht vordergründig gegen etwas. Und natürlich weiß ich auch, dass es viele Menschen gibt, die das gar nicht mögen, eben weil sie Haltungen oder Meinungen vertreten, die ich entschieden ablehne. Und wenn diese Menschen damit dann auch mich ablehnen, kann ich das nicht nur nachvollziehen, sondern finde es sogar vollkommen in Ordnung. Denn wenn die mich mögen würden, wäre ich im Umkehrschluss ein Mensch, den ich ablehnen müsste, und das wäre ja völlig dämlich – oder vereinfacht gesagt: Ich find es gut, wenn mich Arschlöcher Scheiße finden, weil das auf Gegenseitigkeit beruht.

Die Geschichte von »Leipzig – Courage zeigen« ist – wie erwähnt – im zwanzigsten Jahr angekommen, und sie geht sicher noch sehr lange weiter. Nicht, weil ich hoffe, dass wir uns noch lange gegen Nazis oder andere Idioten wehren müssen, sondern weil ich weiß, dass wir nie aufhören dürfen, uns um uns und unser Leben zu kümmern. Es gab eine Phase in den Nullerjahren, als mir Freunde oder Bekannte sagten: »Du mit deinem Courage-Festival – das ist doch voll Neunziger – braucht heute kein Mensch mehr, Nazis gibt es doch gar nicht mehr wirklich!« Dann flog plötzlich der »Nationalsozialistische Untergrund« auf, alle haben sich erschrocken, und selbst die Hardliner mussten zugeben, dass sie das Problem Rechtsradikalismus jahrelang unterschätzt hatten. Zwischenzeitlich gab es auch Gegenwind aus konservativen Kreisen der Leipziger Stadtpolitik, und ich musste immer wieder erklären, dass wir kein linksradikales Festival sind, dass wir uns klar gegen Gewalt stellen und für Dinge eintreten, die ein friedliches Miteinander fördern. In einigen Jahren der Anfangszeit von »Leipzig – Courage zeigen« gab es am Rande der Veranstaltung ab und zu eine kleinere Randale von linken Gruppen, was mich immer geärgert hat, denn solche Aktionen diskreditieren das eigentliche Anliegen. Natürlich muss man sich wehren, wenn man angegriffen wird, vor allem dann, wenn die Polizei nicht eingreift, aber von vornherein Randale zu machen, Polizisten anzugreifen, weil die ja sowieso »die Faschisten schützen«, ist immer kontraproduktiv und sorgt für eine Spirale der Gewalt, die niemand wirklich gut finden kann. Gerade in der heutigen Zeit, in der die Angst vor terroristischen Anschlägen in den Köpfen der Menschen ist, sollten wir diese Gewaltspirale nicht künstlich anheizen. Wie gesagt – ich bin froh, dass es eine gut vernetzte Antifa gibt, gerade dann, wenn die Staatsmacht sich in meinen Augen bewusst wegduckt und rechtsextreme Gewalt gegen Ausländer, Behinderte, Schwule oder Muslime zu tolerieren scheint. Das abgedroschene und immer wieder gern zitierte Feindbild Polizei kann ich dennoch nicht nachvollziehen.

Wir spüren doch heute alle, dass unsere Demokratie gar nicht so sicher ist, wie wir immer gedacht hatten. Damit meine ich, dass wir es nicht als selbstverständlich ansehen sollten, in einer Demokratie leben zu dürfen, in der wir viele Freiheiten genießen und eben auch Schutz bzw. eine beruhigende Art von Sicherheit. Vollständige Sicherheit kann es niemals geben, das ist klar. Wenn sich irgendwo ein Terrorist vornimmt, mit einem LKW in eine Menschenmenge zu rasen, dann kann man das auch mit flächendeckender Videoüberwachung oder mit Handy-Ortung nicht verhindern. Klar – ich möchte nicht Innenminister sein und diese Verantwortung tragen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass Freiheit unterm Strich ein wichtiges, ein schützenswertes Gut ist, und dass diese Freiheit nicht auf Kosten einer vermeintlichen Sicherheit geopfert werden darf.

Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein, wenn wir uns umsehen – nicht nur in Syrien, in Af­ghanistan, im Irak, in der Ukraine oder der Türkei, auch in Berlin, München, Paris, Nizza oder in irgendeinem Regionalzug oder bei irgendeinem Musikfestival ganz in unserer Nähe. Überall kann theoretisch jederzeit eine Bombe hochgehen, überall kann jederzeit irgendein Durchgeknallter anfangen, um sich zu schießen, und selbst der perfekteste Polizei-Überwachungsstaat kann das nicht verhindern. Das einzige, was wir tun können oder was wir tun sollten, ist, uns darum zu kümmern, dass wir uns gegenseitig respektvoll behandeln, dass wir uns gegenseitig keinen Grund geben, einander mit Hass oder Wut zu begegnen, dass wir mehr nach Gemeinsamkeiten suchen, die uns miteinander verbinden, als nach Unterschieden, die uns voneinander trennen. Damit können wir zwar die kleinen und großen Katastrophen auch nicht verhindern, aber wir können vielleicht besser mit ihnen umgehen. Und ich bin mir sicher, dass wir uns besser fühlen, wenn wir aufeinander zugehen.

Ich stelle mir manchmal die Frage, warum ich selber so kritisch oder befremdet auf jedes Anzeichen von Fremdenhass reagiere, während andere davon angezogen werden wie die Motten vom Licht? Lag es an meiner Erziehung? An meinem Eltern, meiner Familie? An meiner Schulzeit, die ich zum großen Teil im Thomanerchor verbracht habe? Klar – als Kind wirst du geformt, die Einflüsse oder Erfahrungen, die du in dieser Zeit machst, prägen dich für den Rest deines Lebens. Eigentlich bin ich weniger der Typ, der vornehmlich zurückblickt, eigentlich versuche ich, im Hier und Jetzt zu leben und denke lieber an morgen als an gestern. Doch wenn ich erst anfange, über die Vergangenheit nachzudenken, dann passieren wunderliche Dinge. Es kommen plötzlich Sachen zum Vorschein, die ich längst vergessen geglaubt hatte. Das kann sehr spannend sein, manchmal auch schmerzhaft, aber im Großen und Ganzen doch aufregend und oft auch überraschend. Warum sind wir so, wie wir sind? Was hat uns geprägt, was hat uns verunsichert oder gestärkt? Ich glaube, dass wir viel über uns selbst erfahren können, wenn wir ein bisschen in unserer Vergangenheit graben, und deshalb fange ich jetzt mal damit an …

2. »DA RUTSCHTE MIR DAS HERZ IN DIE HERUNTERGELASSENE HOSE«

Ein »futuristisches Gemälde«, ein Strauß Hundeblumen und finstere Geschichten aus dunklen Zeiten

Ich bin nicht gern zur Schule gegangen. Das ist keine pädagogisch besonders wertvolle Aussage, aber es ist die Wahrheit. Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich mich als kleiner Junge sehr auf den Schulanfang gefreut hätte. Endlich nicht mehr Kindergartenkind, endlich groß, und vor allem: endlich eine Riesen-Zuckertüte, die ich stolz vor mir hertrug. Aber als ich dann nach der Feier in der Schule wieder nach Hause kam, soll ich ganz enttäuscht gewesen sein: »Die haben gesagt, dass wir morgen wiederkommen sollen!« – das hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.

Als ich dann, zwölf Jahre später, kurz vor dem Abitur, mit ein paar Klassenkameraden auf dem Schulhof stand – eine Lehrerin hatte uns gerade gesagt, dass wir, wenn wir erst mal die Schule verlassen hätten, mit Wehmut an diese Zeit zurückdenken würden – habe ich mir geschworen, dass ich genau das später mal nicht sagen würde. Ganz abgesehen davon, dass ich jede Art von Prüfungssituation nicht mochte (und bis heute nicht mag), habe ich oft im Unterricht gesessen und mich gefragt: Was wollen die hier eigentlich von mir? Ich verstehe kein Wort von dem, was da vorn gesagt wird und (und das war das Schlimmste), wofür werde ich das jemals brauchen, warum soll ich das lernen?

Noch heute träume ich manchmal schlecht von meiner Schulzeit. Ich sitze im Klassenraum, werde irgendwas gefragt und habe keinen blassen Schimmer, worum es geht. Oder noch schlimmer: Ich sitze vor einem Zettel mit Fragen, die ich nicht verstehe, geschweige denn beantworten kann. Ich druckse rum, fühle mich, als wäre ich total verblödet und bin dann erleichtert, irgendwann aus dem bösen Traum aufzuwachen. Nein – wenn ich an meine Schulzeit denke, dann habe ich keine wehmütigen Gefühle, dann bin ich froh, dass ich das irgendwie hinter mich gebracht habe.

Ein besonders guter Schüler war ich nie, eher im Gegenteil. Außer in Musik, Deutsch und Englisch war ich mittelmäßig bis schlecht. Schon immer habe ich sehr viel gelesen und noch mehr Musik gehört, auch englischsprachige Musik, deren Text ich verstehen wollte. Beatles, die Rolling Stones, The Who und vor allem Queen – das waren meine Helden. Dafür habe ich mich interessiert, darüber wollte ich so viel wissen wie irgend möglich. Vergleichbare »Helden« konnte ich in den naturwissenschaftlichen Fächern leider nicht finden, daher war ich weder in Mathe noch Biologie, geschweige denn in Chemie eine besonders große Leuchte, und als wieselflinke Sportskanone konnte ich auch nicht glänzen. Die einzige Möglichkeit, die mir blieb, um auf mich aufmerksam zu machen, war, die Rolle des lustigen Quertreibers einzunehmen. Das konnte ich ganz gut – kleine Scherzchen machen und Lehrer provozieren. Doch dabei, wenn ich es rückblickend mit der Erfahrung von heute betrachte, immer originell und unterhaltsam bleiben. Das hatte ich perfektioniert: aufmüpfig sein, aber mit Stil und ohne beleidigend zu werden. Naja, das eine oder andere Mal, habe ich wohl doch eine Ausnahme gemacht und die Grenzen überschritten. Ich hatte z. B. von der siebenten bis zur zehnten Klasse einen Physik-Lehrer, mit dem mich von Anfang an eine innige gegenseitige Abneigung verband.