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Uralte Alien-Kreaturen, ein galaktischer Krieg und eine furchtlose junge Heldin: »Cytonic – Lichtjahre von Zuhause« ist der 3. Teil von Brandon Sandersons epischem Science-Fiction Abenteuer um die junge Pilotin Spensa. Spensa hat sich nicht nur zu einer der besten Sternenjägerinnen ihres Planeten entwickelt – der jungen Pilotin ist es auch gelungen, ihr Volk vor der Ausrottung durch die rätselhaften Krell zu bewahren. Doch inzwischen verfügt die galaktische Allianz, die alles menschliche Leben kontrollieren will, über eine ultimative Waffe: die Delvers, uralte außerirdische Kreaturen, die ganze Planeten-Systeme in einem Augenblick auslöschen können. Spensa, die bereits einem Delver begegnet ist, weiß, dass keine noch so große Raumschiff-Flotte diese Monster besiegen kann. Sie hat allerdings auch etwas seltsam Vertrautes in der Kreatur gespürt – etwas, das die Galaxie retten könnte, falls Spensa endlich herausfindet, was sie wirklich ist. Dafür müsste sie jedoch alles, was sie kennt, hinter sich lassen und das Nirgendwo betreten, einen Ort, von dem nur wenige je zurückgekehrt sind … Die abenteuerliche Science-Fiction-Reihe »Claim the Stars« von Bestseller-Autor Brandon Sanderson ist in folgender Reihenfolge erschienen: - Skyward – Der Ruf der Sterne - Starsight – Bis zum Ende der Galaxie - Cytonic – Unendlich weit von Zuhause
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Seitenzahl: 589
Brandon Sanderson
Unendlich weit von Zuhause
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Oliver Plaschka
Knaur eBooks
Widmung
Karte des Nirgendwos
Prolog
Teil eins
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
Zwischenspiel
Teil zwei
Autonome Hausreinigungsdrone
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
Zwischenspiel
Teil drei
Risikoanalyse 1
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
Zwischenspiel
Teil vier
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
Zwischenspiel
Teil fünf
Risikoanalyse 2
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
Epilog
Danksagung
Leseprobe »Defiant«
Für Darci Rhoades Stone,
die meine Fantasie-Physik besser verkraftet, als eine Physikerin das wohl sollte.
Danke für die Hilfe bei dieser Reihe!
Eine dunkle Sphäre erschien in der Mitte des Raums.
Dreck. Wollte ich das wirklich? Schreckschneck flötete nervös in meiner Hand.
Die sterilen weißen Wände, Einwegspiegel und Metalltische verrieten, dass ich mich in einer wissenschaftlichen Einrichtung befand. Ich war auf Starsight: der riesigen Raumstation, die als regionale Niederlassung der Superiority diente. Bis letztes Jahr hatte ich von der Superiority nie auch nur gehört, geschweige denn im Detail verstanden, wie sie als galaktische Regierung Hunderte Planeten und Spezies beherrschte.
Ehrlich gesagt verstand ich diese Details noch immer nicht. Ich bin nicht gerade ein »Wir müssen uns erst die Details ansehen«-Typ. Eher bin ich der »Wenn es sich noch regt, hattest du nicht genug Muni«-Typ.
Zum Glück verlangte die Situation gerade nicht nach Details. Ein Militärputsch war im Gange – und die neuen Herrscher waren gar nicht gut auf mich zu sprechen. Die Rufe der Soldaten, die das Gebäude durchsuchten, wurden lauter.
Und hier kam nun die dunkle Sphäre ins Spiel. Mein einziger Ausweg war, ein Portal in eine andere Dimension zu betreten. Ich bezeichnete diese Dimension als das Nirgendwo.
»Spensa!«, sagte M-Bot. »Ich glaube, meine Gedanken werden schneller!«
Er schwebte in Gestalt einer kleinen Drohne neben mir. Im Prinzip sah die aus wie ein kleiner geflügelter Kasten mit Greifarmen. Zwei winzige Flugringe unter den kleinen Tragflächen – blaue Steine, die leuchteten, wenn sie geladen waren – erlaubten ihm zu schweben.
»Und das sieht nicht gerade sicher aus«, merkte er an.
»Solche Portale werden zur Gewinnung von Flugstein genutzt«, erwiderte ich. »Also muss es auch einen Rückweg geben. Vielleicht können meine Kräfte uns den Weg weisen.«
Die Rufe draußen wurden lauter; uns blieb keine andere Möglichkeit. Ein Hypersprung aus eigener Kraft kam nicht infrage, solange die Station von einem Schild geschützt wurde.
»Spensa! Ich habe wirklich kein gutes Gefühl dabei …«
»Ich weiß.« Ich schlang mir das Gewehr über die Schulter, damit ich die Drohne tragen konnte. Dann – M-Bot in der einen Hand, Schreckschneck in der anderen – berührte ich die dunkle Sphäre und wurde zur anderen Seite der Ewigkeit gezogen.
Blitzartig fand ich mich an einem Ort wieder, an dem Zeit, Entfernung und selbst Materie nicht existierten. Ich war gestaltlos, ein Bewusstsein – oder eine Essenz – ohne Körper. Fast kam ich mir vor wie ein Raumschiff, das in endloser, sternenloser Schwärze schwebte, in der rein gar nichts meinen Blick auf sich zog. Ich durchquerte diesen Ort jedes Mal, wenn ich einen Hypersprung durchführte, und hatte mich an die Erfahrung schon gewöhnt – doch vertraut war es mir dennoch nicht. Bloß … etwas weniger furchterregend als früher.
Automatisch forschte ich mit meinem Verstand nach Detritus – meinem Zuhause. Ich hatte die grundlegenden Prinzipien meiner Kräfte zu verstehen begonnen. An viele Orte konnte ich zwar noch nicht reisen, aber wie ich nach Hause kam, das wusste ich – normalerweise.
Dieses Mal jedoch … Ich strengte mich an. Würde es mir gelingen? Konnte ich nach Detritus springen? Die Schwärze um mich schien sich auszudehnen, bis ich weiße Punkte in der Ferne ausmachte. Einer davon war … Großmutter?
Wenn es mir gelang, eine Verbindung zu ihr herzustellen, konnte ich mich wahrscheinlich auch zu ihr hinziehen. Ich drängte stärker, sorgte mich aber, dass ich auf mich aufmerksam machte. Schließlich lebten die Delver hier. Und kaum, dass ich an sie gedacht hatte, wurde ich ihrer Gegenwart dort draußen in der Dunkelheit auch schon gewahr. Überall um mich herum, unsichtbar.
Sie schienen mich noch nicht bemerkt zu haben. Tatsächlich richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes.
Schmerz, Schrecken.
Jemand litt große Qualen. Jemand, den ich kannte.
Der Delver – der, den ich daran gehindert hatte, Starsight zu vernichten. Er war hier und hatte Angst. Als ich mich auf ihn konzentrierte, wurde er zu einem weißen Punkt, noch heller als Großmutter. Er hatte mich bemerkt.
Bitte … hilf …
Delver kommunizierten nie richtig mit Worten; eher übertrug mein Bewusstsein die Eindrücke und Bilder für mich in Sprache. Dieser Delver brauchte meine Hilfe. Die anderen versuchten, ihn zu töten.
Ich überlegte nicht lange. Instinktiv schrie ich laut ins Nirgendwo.
HEY!
Hunderte gleißend weiße Lichter taten sich um mich auf: die Augen. Ich konnte ihre Aufmerksamkeit auf mir ruhen spüren. Sie kannten mich. Der Delver, den sie bedrängt hatten, schwebte ebenfalls da draußen.
Wie immer jagte der Anblick dieser vielen Augen mir Angst ein. Dennoch war ich inzwischen eine andere. Ich hatte mit einem von ihnen gesprochen, eine Verbindung hergestellt. Ich hatte ihn überzeugt, seinen Hunger nicht an den Bewohnern von Starsight zu stillen – indem ich ihm gezeigt hatte, dass sie Lebewesen waren.
Dasselbe musste ich auch jetzt tun. Bitte. Ich projizierte meine Gedanken hinaus, um den Augen statt Furcht Verständnis und Ruhe zu demonstrieren. Ich bin eine Freundin. Ich bin wie ihr! Ich denke und fühle.
Ich tat genau dasselbe wie zuvor. Die Augen regten sich und zitterten verstört. Ein paar kamen näher, und ich spürte, wie sie mich studierten; gefolgt von einer Empfindung, die ungleich mächtiger war, alles beherrschend und alles durchdringend.
Hass.
Die Delver – ich konnte nicht sagen, wie viele es waren – nahmen es hin, dass ich am Leben war. Aufgrund meiner cytonischen Gaben begriffen sie mich als Person. Ihr Hass wandelte sich zu Abscheu, Wut. Dass ich lebendig war, machte alles noch schlimmer für sie. Es hieß, dass diese Dinger, die da in ihr Reich eindrangen und sie immerfort bedrängten, über Bewusstsein verfügten. Wir waren nicht bloß Insekten.
Wir waren Invasoren.
Ich versuchte es erneut, noch drängender. Sie wehrten mich ab. Als ob sie gesehen hätten, was ich mit einem der ihren angestellt hatte, und sich diesem Schicksal verwehrten.
Die Welle ihrer fürchterlichen Wut schlug mich zurück, und ich hörte einen entsetzten Schrei. Schreckschneck? Ihr Ruf weckte etwas in meinem Hirn: einen Ort.
Zuhause.
Die Delver zogen sich zurück. Anscheinend hatte ich sie doch leicht verunsichert. Sie hatten nicht mit mir gerechnet. Das gab mir die Gelegenheit, die ich brauchte.
Dank Schreckschneck spürte ich den Weg. Ich konnte Detritus erreichen. Großmutter wiedersehen und … Jorgen. Dreck, ich vermisste ihn. Ich wollte wieder bei ihm sein, seine Stimme hören. Ich musste zurück zu meinen Freunden und ihnen helfen. Der Krieg würde rasch eskalieren, jetzt, da Winzik die Kontrolle über die Superiority an sich gerissen hatte.
Beinahe wäre ich gesprungen. Doch ich blieb noch – irgendwas hielt mich zurück. Ein Eindruck, ein Instinkt.
Was bin ich?, sandte der einzelne Delver flehentlich aus. Was sind WIR?
Ich bin Spensa Nightshade, gab ich zurück. Eine Pilotin.
Ist das alles?
Einst war das alles gewesen, was für mich zählte. Jetzt aber … hatte ich noch eine andere Seite an mir entdeckt. Eine Seite, die mich ängstigte und die ich noch nicht ganz verstand.
Es gibt hier viel zu lernen, sandte der Delver. Wir nennen diesen Ort das Nirgendwo. Das hast du gespürt, richtig?
Ja, das hatte ich. Doch ich wollte nicht bleiben. Ich versuchte, mir den Gedanken aus dem Kopf zu schlagen. Ich musste nach Hause.
Aber … brauchte man mich dort denn tatsächlich? Eine Pilotin mehr oder weniger? Ich malte mir aus, wie ich heimkam und mich wieder der Skyward-Staffel anschloss. Sah mich kämpfen … und scheitern. Eine Projektion meiner eigenen Ängste? Vielleicht war es ein Effekt des Nirgendwos. Doch mein Scheitern war unvermeidlich, wenn die Delver zurückkehrten, denn eine Jägerpilotin, egal, wie begabt, konnte sie nicht besiegen. Die Superiority war in der Lage, durch Einsatz ihrer Cytoniker ganze Flotten durch den Hyperraum zu versetzen. Schlimmer noch, sie konnte Cytoniker wie mich manipulieren und Schwächen in unseren Gaben ausnutzen.
Genau das hatte der Feind mit meinem Vater getan: ihn gegen seine eigene Staffel eingesetzt und in den Tod getrieben.
Ich war eine Pilotin, schön und gut. Aber das reichte nicht.
Wir wussten immer noch so wenig. Wir verstanden nicht, was die Delver waren. Wie konnten wir hoffen, sie zu besiegen? Auch cytonische Gaben begriffen wir kaum – bis vor Kurzem hatten wir sie noch als Defekt ihrer Träger bezeichnet. Wie konnte ich mich Gegnern wie Brade entgegenstellen, die ihre Kräfte schon gemeistert hatten, solange ich davor davonlief, was ich war?
Mein Zuhause rief mich, und ich sehnte mich danach. Doch zu Hause gab es keine Antworten.
Kannst du es mir zeigen?, fragte ich den Delver. Was ich bin?
Vielleicht. Ich weiß es selbst nicht. Es gibt einen Ort im Nirgendwo, an dem wir viel erfahren können. Der Ort, an dem … wir alle … geboren wurden.
Es gibt keine Orte im Nirgendwo, widersprach ich.
Nicht in seinem Herzen, nein. Doch an den Rändern existieren Siedlungen.
Ich begriff, was der Delver meinte – er sprach von einer Region, wo man Flugstein abbaute. Ein weiteres Rätsel, das ich nie ganz verstanden hatte: Wie gelangten Menschen ins Nirgendwo und sammelten dieses Gestein, wenn das Nirgendwo doch ein formloses Nichts war?
Offenbar gab es tatsächlich Orte an seinen Rändern. Orte, die wichtig waren für Cytoniker wie mich. Einen dieser Orte pflanzte mir der Delver in den Verstand.
Ich fand mich gefangen zwischen zwei widersprüchlichen Impulsen: Zum einen war da mein Wunsch, nach Hause zu fliegen, Jorgen zu umarmen, mit meinen Freunden zu lachen. Zum anderen ängstigte mich das Unbekannte – auch das in meiner eigenen Seele.
Wenn du kommst, wird es schwer, zurückzukehren, übermittelte mir der Delver. Sehr schwer. Du könntest dich verirren …
Ich spürte Schreckschneck innerlich erzittern. Die übrigen Delver kehrten zurück, die Augen öffneten sich – stechende weiße Löcher in der Wirklichkeit, die brannten und hassten. Sie wollten auf keinen Fall, dass ich an jenen Ort gelangte, den der andere Delver mir gewiesen hatte.
Letztlich war es das, was den Ausschlag gab. Tut mir leid, Jorgen. Ich hoffte, dass er meine Nachricht wenigstens fühlen konnte. Ich musste den Weg wählen, der mich zu Antworten führte. Denn in diesem Moment war ich mir vollkommen sicher, dass dies die einzige Möglichkeit war, die Menschen, die ich liebte, zu beschützen.
Geh du nach Hause, sagte ich zu Schreckschneck. Ich werde meinen Weg schon finden. Ich griff nach der Richtung, die der Delver mir gewiesen hatte.
Danke, übermittelte mir der. Ich spürte seine Erleichterung. Nun beschreite … den Pfad der Ersten … und achte darauf, dich nicht zu verlieren.
Moment!, rief ich. Der Pfad der Ersten?
Doch der Delver zog sich zurück, und ich spürte, wie die anderen sich zum Angriff bereit machten. Also gab ich Schreckschneck einen letzten Schubs Richtung Heimat, dann setzte ich meine Kräfte ein und warf mich ins Unbekannte.
Ich kam aus einer Wand heraus.
Also, direkt aus dem Gestein. Ich stolperte über meine eigenen Beine, und M-Bots Drohnenkörper fiel mit dumpfem Laut neben mich. Von Schreckschneck fehlte jede Spur.
Ich kämpfte mich hoch, um mich zu orientieren, und erblickte … einen Dschungel? Einen richtigen, echten Urwald. In der Schule hatte ich Bilder von der Alten Erde gesehen, und dieser Ort erinnerte mich sehr daran. Ehrfurcht gebietende, moosbedeckte Bäume ringsum. Krumme Äste wie gebrochene Arme, mit kabeldicken Ranken behangen. Es roch wie die Algentanks zu Hause, bloß … schmutziger? Erdig?
Dreck. Es war wirklich ein Dschungel – wie der von Tarzan, dem Herrn der Affen aus Großmutters Geschichten. Ob es hier Affen gab? Ich war immer davon überzeugt gewesen, dass ich eine gute Affenkönigin abgäbe.
Auch M-Bot schwebte hoch und drehte sich hin und her, um den Anblick in sich aufzunehmen. Die Wand, aus der wir gefallen waren, befand sich hinter uns. Ein flacher Stein, ein Monolith, der aufrecht im Dschungel stand. Er war von Flechten und Ranken bewachsen, aber ich erkannte seine Muster: die Gravuren in den Tunneln von Detritus sahen sehr ähnlich aus.
Aus den Impressionen des Delvers wusste ich, dass dies wirklich das Nirgendwo war. Ich spürte es, hätte es aber nicht näher erklären können. Irgendwie musste ich hier an Erkenntnisse gelangen. Eine Aufgabe, die auf einmal sehr viel einschüchternder wirkte. Dreck, ich war gerade erst mit knapper Not lebend davongekommen! Und nun meinte ich, das Rätsel der Delver, eins der größten kosmischen Mysterien, lösen zu können?
Es geht nicht bloß um die Delver, sagte ich mir. Sondern auch um dich selbst. Denn immer, wenn ich das Nirgendwo und seine Bewohner berührte, spürte ich etwas, das mir Angst einjagte. Ich spürte Vertrautheit.
Ich holte tief Luft. Als Erstes war eine Bestandsaufnahme fällig. M-Bot schien in Ordnung zu sein, und ich besaß auch noch das geklaute Destruktorgewehr. Damit fühlte ich mich schon mal sehr viel sicherer. Ansonsten trug ich den Pilotenoverall, in dem ich der Superiority entkommen war, eine Jacke und ein Paar Kampfstiefel. M-Bot stieg auf Augenhöhe auf; seine Greifarme zuckten.
»Ein Dschungel?« Für ihn hatte meine Kommunikation mit dem Delver wahrscheinlich nur einen Augenblick gedauert. »Hm, Spensa, warum sind wir in einem Dschungel?«
»Bin mir nicht sicher.« Ich sah mich nach Schreckschneck um. Sie besaß cytonische Gaben wie ich – dank der Schnecken konnten Schiffe Hypersprünge vollführen –, von daher hoffte ich, dass sie meinem Wunsch entsprochen hatte und sich auf Detritus in Sicherheit befand.
Versuchsweise forschte ich mit meinen Kräften nach ihr. Konnte vielleicht auch ich nach Hause springen? Ich griff aus mir hinaus und fühlte …
Gar nichts? Nun, ich besaß zwar immer noch meine Kräfte, doch ich konnte weder Detritus noch das Delverlabyrinth oder Starsight erspüren – die Orte, zu denen ich normalerweise hätte springen können. Es war unheimlich. Wie nachts aufzuwachen und das Licht einzuschalten, bloß um endlose Schwärze zu sehen …
Ja, ich befand mich eindeutig im Nirgendwo.
»Als wir in die Sphäre traten, da spürte ich die Delver«, erklärte ich M-Bot. »Und mit einem habe ich … geredet. Demselben wie zuvor. Er sagte, ich solle den Pfad der Ersten beschreiten.« Ich strich mit den Fingern über die Wand, aus der wir gekommen waren. »Das hier muss ein Durchgang sein.«
»Diese Steinwand?«, erwiderte er. »Das Portal, das wir betraten, war eine Sphäre.«
»Ja, schon.« Ich blickte zum Himmel über den Bäumen. Aus irgendeinem Grund war er rosa.
»Vielleicht haben wir das Nirgendwo ja durchquert und sind auf einem anderen Planeten?«, schlug M-Bot vor.
»Nein, das hier ist das Nirgendwo. Auf irgendeine Art …« Ich trat mit dem Fuß auf. Die Erde unter meinem Stiefel war weich, die Luft feucht wie in einem Bad, doch der Dschungel kam mir zu leise vor. Sollten solche Orte nicht vor Leben nur so wimmeln?
Von rechts fielen Lichtstrahlen ein, parallel zum Boden. Das hieß … die Sonne ging gerade unter? Ich hatte immer schon einen Sonnenuntergang sehen wollen. In den Geschichten klang das stets sehr dramatisch. Unglücklicherweise waren die Bäume so dick, dass ich die Lichtquelle nicht ausmachen konnte, bloß ihre Richtung.
»Wir müssen mehr über diesen Ort erfahren«, sagte ich. »Ein Lager errichten, die Gegend erkunden, uns orientieren …«
M-Bot flog näher, als hätte er gar nicht zugehört.
»M-Bot?«
»Spensa, ich bin … ich bin wütend!«
»Ich auch.« Ich schlug mir mit der Faust in die Hand. »Nicht zu glauben, dass Brade mich verraten hat. Aber …«
»Auf dich bin ich wütend!«, unterbrach mich M-Bot und wedelte mit den Armen. »Natürlich spüre ich keine echte Wut – bloß eine synthetische Reproduktion von Emotionen, die meine Prozessoren erzeugen, um Menschen mit einer realistischen Annäherung an … an … Gah!«
Mir fiel auf, dass sich seine Stimme verändert hatte. Als ich M-Bot in dieser kleinen Drohne gefunden hatte, da hatte er erst träge und undeutlich geklungen – als nähme er starke Schmerzmittel. Jetzt jedoch redete er ganz deutlich und rasch, so wie früher.
Er zischte in der Luft hin und her wie ein Mensch, der im Kreis läuft. »Inzwischen ist es mir egal, ob meine Gefühle echt sind oder nur Simulationen. Ich bin wütend, Spensa! Du hast mich auf Starsight zurückgelassen!«
»Das musste ich. Ich musste Detritus helfen!«
»Sie haben mein Schiff zerlegt!« Er zischte erst in die andere Richtung, dann hielt er schwebend vor mir inne. »Mein Schiff … mein Körper … er ist weg!« Er sackte matt herab und fiel fast zu Boden.
»Hm, M-Bot?« Ich trat auf ihn zu. »Es tut mir leid. Ehrlich! Aber meinst du, wir könnten diese Unterhaltung auf später verschieben?«
Ich war mir ziemlich sicher, dass so ein Urwald voll mit wilden Tieren war. Zumindest wurden die Leute in Großmutters Geschichten in Dschungeln ständig angegriffen. Und es lag ja auch nahe: Im Schatten dieser Stämme und dichten Farne konnte sich alles Mögliche verbergen. Ich wusste noch gut, wie eingeschüchtert ich gewesen war, als ich das erste Mal aus den Höhlen getreten war und den Himmel gesehen hatte. So viele Richtungen, in die man schauen konnte, so viel Platz.
Aber das hier war fast noch schlimmer. Aus jeder Richtung konnte sich etwas Gefährliches nähern. Ich bückte mich nach M-Bots Drohne. »Wir sollten die Gegend kartografieren und nach einer Höhle oder etwas Ähnlichem suchen. Hat dein Drohnenkörper irgendwelche Sensoren? Empfängst du Zeichen von Zivilisation, Funkwellen zum Beispiel? Ich würde vermuten, dass es hier Bergbau gibt.«
Als er nicht antwortete, kniete ich mich neben ihn. »M-Bot?«
»Ich bin wirklich sehr wütend«,wiederholte er.
»Hör mir zu …«
»Dir ist doch alles egal. Ich war dir immer schon egal! Du hast mich im Stich gelassen!«
»Ich bin doch wiedergekommen!«, protestierte ich. »Ich bin nur fort, weil mir keine Wahl blieb! Wir sind Soldaten. Manchmal muss man schwere Entscheidungen treffen.«
»Du bist die Soldatin, Spensa!« Er schwebte empor. »Ich bin eine Erkundungsdrohne, die nach Pilzen suchen soll! Wieso lasse ich mich immer zu irgendwas drängen von dir? Ich wollte nicht mal in diese Sphäre, aber du hast mich mitgezogen. Aaah!«
Dreck – diese Drohne hatte überraschend gute Lautsprecher. Und wie als Antwort auf seinen Ruf erklang ein Brüllen aus der Ferne. Bedrohlich schallte es durch den Wald.
»Ich verstehe dich ja«, versuchte ich es sanft. »An deiner Stelle wäre ich auch ein bisschen sauer. Lass uns einfach …«
Ehe ich den Satz beenden konnte, zischte er leise schluchzend in den Wald davon.
Fluchend versuchte ich Schritt zu halten, allerdings konnte er fliegen, während ich mich durchs Unterholz kämpfen musste. Ich setzte über einen Baumstamm hinweg, aber auf der anderen Seite musste ich mich durch ein Dickicht von Ranken und Farnwedeln zwängen. Dann stolperte ich über irgendwas und stürzte zu Boden.
Als es mir endlich gelang, wieder aufzustehen, hatte ich keine Ahnung, wohin er verschwunden war. Ehrlich gesagt … wo war ich eigentlich hergekommen? War das da der Stamm, über den ich gesprungen war? Nein … das war ja vor dem Rankendickicht gewesen. Dann aber …
Seufzend ließ ich mich zwischen ein paar überwucherten Wurzeln nieder, das Gewehr im Schoß. Der Beginn meiner Reise war wieder mal typisch Spensa: Alle waren sie sauer auf mich. Ich brauchte einen Moment, um mich abzuregen. M-Bot war nicht der Einzige, mit dem gerade die Gefühle durchgingen.
Ich hatte mich eben erst einem Delver entgegengestellt, um dann dem Tode nah im All zu schweben, nur um in einem Krankenhaus aufzuwachen und dort gerade noch einem Killerkommando zu entgehen. Nun hatte ich auf die Schnelle die Entscheidung getroffen, diesen Ort zu betreten – und fürchtete bereits, dass das ein Fehler gewesen war.
Vielleicht hätte ich lieber nach Hause fliegen und versuchen sollen, jemand anderen ins Nirgendwo zu schicken. Jemand Schlauen, so wie Rig. Oder jemand Vorsichtigen, so wie Kimmalyn. Im Augenblick wusste ich nicht mehr weiter. Ich hatte keine Ahnung, was aus Cuna geworden war, und machte mir Sorgen um meine Freunde.
Ich war einsam, allein, verloren. Und um es noch besser zu machen, hatte mein einziger Gefährte – der eigentlich darauf programmiert war, der emotional Stabilere von uns beiden zu sein – gerade einen Wutanfall bekommen und mich im Stich gelassen.
War es den Menschen in Großmutters Geschichten je so ergangen? Ich wünschte, ich wüsste, was die mongolische Kriegerprinzessin Khutulun oder Calamity Jane aus dem Wilden Westen getan hatten, wenn ihnen alles zu viel wurde.
Keine Ahnung, wie lange ich dort saß. Lange genug, um zu merken, dass die hiesige Lichtquelle, was auch immer sie war, sich nicht zu bewegen schien. Eine Weile lenkte mich das von meiner nagenden Sorge um Jorgen und meine Freunde ab.
Ich hatte meine Entscheidung getroffen. Und da ich nun hier war, musste ich in Erfahrung bringen, so viel ich konnte, und dann einen Heimweg finden. »M-Bot?«, rief ich den Bäumen zu, meine Stimme kaum mehr als ein Krächzen. »Wenn du mich hören kannst, würdest du bitte zurückkommen? Ich verspreche dir, mich zu entschuldigen – du darfst mich auch als Erster beleidigen.«
Keine Antwort. Bloß der Klang von raschelndem Laub in der Ferne. Also zwang ich mich zu einer detaillierten Bestandsaufnahme. Einfach, um etwas Produktives zu tun und die Lage wieder unter Kontrolle zu kriegen – und sei es nur ein kleines bisschen. Das hatte mir Cobb beigebracht.
Dreck. Ich hatte Cobb berichtet, dass Cunas Fraktion den Frieden wollte. Winzik und Brade konnten das ausnutzen, um ihn unter dem Vorwand von Verhandlungen in eine Falle zu locken …
Nicht jetzt, ermahnte ich mich. Inventur!
Rasch überprüfte ich mein Gewehr. Ich hatte es während meiner Flucht kaum benutzt, sodass noch fast voll geladen war – etwa fünfhundert Schuss, je nachdem, mit welcher Leistung ich schoss.
Leider verfügte mein Overall über keine Erste-Hilfe-Ausrüstung. Immerhin besaß ich noch die Translatornadel, dank der ich auf Starsight die Sprachen der verschiedenen Aliens verstanden hatte. Ich durchsuchte meine Taschen in der Hoffnung, dass ich vielleicht doch ein Messer oder etwas Ähnliches eingesteckt hatte. Stattdessen fand ich eine Handvoll glänzenden Sand.
Glänzenden. Sand.
Silbrig glitzernd, als wäre er aus zermahlenem Raumjägerstahl. Der Anblick war so unerwartet, dass ich erst nur dasaß und ihn durch die Finger rieseln ließ.
Heilige. Was war das? Ich steckte die Hand zurück in die Tasche und ertastete noch etwas anderes, Festes darunter. Ich griff danach und fand die Pilotennadel meines Vaters, die ich nach seinem Tod versteckt hatte. Dabei war ich mir sicher, dass ich sie beim Gang durch das Portal nicht bei mir getragen hatte. Sie war überhaupt nicht auf Starsight gewesen – ich hatte sie auf Detritus gelassen, in meinem Quartier. Wie also kam sie auf einmal in meine Tasche, zusammen mit diesem silbernen Sand?
Irritiert steckte ich sie wieder ein. Sonst fand ich nichts, doch ein Vorteil blieb mir noch: meine Kräfte. Zwar konnte ich nicht einfach nach Hause springen, konnte mein Zuhause gerade nicht einmal spüren – doch besaß ich noch weitere Fähigkeiten. Die erste, die ich trainiert hatte, war meine Gabe, die »Sterne zu hören«: In der Praxis hieß das, dass ich über weite Entfernungen hinweg kommunizieren konnte. Vielleicht konnte ich ja auf mentalem Weg Kontakt zu Großmutter aufnehmen, selbst wenn ein Hypersprung nicht möglich war?
Ich lehnte mich gegen den Baum und beschloss, es zu versuchen. Schloss meine Augen und … lauschte, öffnete mein Bewusstsein. Immerhin hatte ich das stundenlang mit Großmutter geübt. Und ich spürte auch etwas …
Da war ein anderes Bewusstsein ganz in der Nähe. Es war mir vertraut, als hätte ich es einst gekannt. Wer war das? Nicht Großmutter … nicht Jorgen … auch nicht der Delver. Ich versuchte es zu kontaktieren und empfing einen Eindruck von … Zufriedenheit? Seltsam.
Dann spürte ich noch eine zweite Präsenz, ebenfalls in der Nähe. Sie war cytonisch begabt, denn wer oder was auch immer dieses Wesen war: Kaum dass wir einander geistig streiften, erklang eine Stimme in meinem Kopf.
Ich grüße dich. Eine Cytonikerin, hier draußen im Gürtel?
Ja!, erwiderte ich. Ich habe mich verirrt. Kannst du mir helfen?
Nimm dich in Acht! Gefährliche Wesen können dich hören, wenn du hier deine Kräfte einsetzt! Wo bist du? Beschreib dein Fragment, und ich gebe mein Bestes, deine Position zu bestimmen.
Fragment?, fragte ich. Ich bin in einem Urwald. Bei … hm … einem Baum?
Ich musste einen besseren Orientierungspunkt finden. Ein anderer Gedanke aber ließ mich innehalten: Was, wenn diese Stimme ein Feind war? Woher wusste ich, dass ich ihr trauen durfte?
Im nächsten Moment wurde ich angegriffen.
Sie waren zu dritt. Zwei vogelartige Humanoide mit Flügelarmen sprangen rechterhand um den Baum, um mich zu überwältigen, und eine blauhäutige Dione kam von der anderen Seite. Wahrscheinlich hatte sie es auf das Gewehr abgesehen, das locker über meiner linken Schulter hing.
Es war ein guter Plan, aber meine Güte, die Ausführung! Einer der Vogelartigen rutschte aus und stieß gegen den anderen, wodurch ich Gelegenheit erhielt, die Waffe zu heben. Beinahe hätte ich ihn auch erwischt – doch der Energiestrahl ging fehl, weil die Dione schon die Hand am Lauf hatte.
Grunzend versuchten sie, mir mit roher Gewalt das Gewehr zu entwenden. Der falsche Ansatz – das wusste ich selbst mit meinem knappen Training aus der DDF-Ausbildung. Besser hätte sie mit einer Hand nach dem Lauf und mit der anderen nach meinem Gesicht geschlagen.
Ich stieß die Dione von mir, doch die beiden Vogelartigen hielten mich fest. Keuchend rammte ich einem von beiden den Lauf in die Brust und wurde mit einem spitzen Schrei belohnt. Zappelnd und tretend riss ich mich frei.
Unglücklicherweise packte mich jemand Neues von hinten, kaum dass ich dem Gewühl verknoteter Leiber entkommen war. Ein gefiederter Vierter? Anscheinend waren sie schlau genug für eine Reserve gewesen.
Ich rang noch orientierungslos mit meinem vierten Gegner, als ein fünfter mich rammte. Ich konnte ihn nicht gut erkennen – er war bepelzt und von der Statur eines großen Kühlschranks. Was man von mir, hm, eher nicht behaupten konnte. Ich hatte schon die Tatsachen beschönigt, um auf die 152 Zentimeter in meiner Pilotenakte zu kommen.
Im Cockpit ist Kleinheit durchaus von Vorteil. In einem Faustkampf dagegen nicht so sehr. Gern hätte ich gesagt, dass ich mich gut geschlagen hatte, doch binnen Sekunden lag ich entwaffnet am Boden, der Pelzige saß auf mir, und einer der Vogelartigen richtete mir mein eigenes Gewehr auf den Kopf.
»Wen haben wir denn hier?« Die übersetzten Worte klangen hell aus meiner Translatornadel. »Eine Soldatin der Superiority? Na, wenn das mal keine Überraschung ist. Menschlich sogar! Ich hab keine Angst vor euch Menschen – wehr dich weiter, und ich erschieße dich, dass das klar ist!«
Stöhnend stellte ich meine Gegenwehr ein. Dann streckte ich die Arme seitlich aus, worauf man sie grob packte und zu Boden drückte. Schließlich wurde ich vom Hinterteil des Aliens über mir erlöst und konnte wieder richtig atmen.
Meine Gegner richteten mich auf und fesselten mir die Hände hinter dem Rücken. Ich musterte den Vogelartigen mit meiner Waffe. Ich hatte von dieser Spezies gehört. Heklo, so hießen sie doch, oder? Sie hatten lange Schnäbel, fast wie Störche, ihr Gefieder aber war leuchtend bunt. Ihre Kampfanzüge waren ärmellos, doch die Federn ihrer Arme schienen mir zu kurz zum Fliegen. Eher wirkten sie … wie ein Rudiment, so wie Menschen noch Körperbehaarung, aber kein Fell besaßen.
»Was sollen wir jetzt machen, Vlep?«, fragte der pelzige Alien. Er erinnerte mich entfernt an einen Gorilla. Auch diese Spezies hatte ich schon kennengelernt – es war ein Burl.
»Kommt darauf an«, sagte Vlep – der Bewaffnete, und eindeutig der Anführer. »Mensch, wofür haben sie dich durchgeschickt? Das Portal ist für Verbannte. Und du tauchst hier uniformiert und bewaffnet auf?«
Stimmt – mein Overall und meine Jacke waren von der Superiority. Das und die Waffe hatten sie vermuten lassen, dass ich mit dem Feind kollaborierte. Und die Bemerkung verriet mir noch etwas anderes: Die Wand war ein Portal, und dies war der Ort, wo die Leute herauskamen, die die Superiority verbannte. Ich hatte einer solchen Verbannung sogar beigewohnt. Tatsächlich hatte ich gesehen, wie …
Ich sah den Burl an. »Gul’zah?« Vor ein paar Tagen hatte ich zuschauen müssen, wie man einen Burl ins Nirgendwo verbannte.
»Ha«, machte der Burl. »Den haben wir uns geschnappt, als er kam.«
»Deshalb bist du also hier?«, fragte Vlep. »Um diesen einen Flüchtling zu jagen? Interessant.«
Da erkannte ich, dass dieser Burl etwas andere Züge als Gul’zah aufwies. Ich war nicht die Beste, wenn es darum ging, Aliens zu unterscheiden – aber dieser hier war kleiner, gedrungener und hatte ein breiteres Gesicht.
Diese Leute, wer sie auch waren, hatten hier also einen Stützpunkt und nahmen Verbannte gefangen, die man durchs Portal schickte. Wieso? Verbannte hatten nichts Wertvolles bei sich. Und wer war der Cytoniker, mit dem ich in Kontakt gestanden hatte? Hatte ich die Gruppe angelockt mit meinen Kräften? Oder zog ich bloß voreilige Schlüsse?
Ich suchte mit meinem Geist nach dem Cytoniker. Er gehörte nicht zur Gruppe … Er war ein bisschen weiter weg.
Was? Erwiderte die andere Stimme, als ich sie mental berührte. Du solltest dich doch still verhalten!
Man hat mich gefangen genommen.Eine Gruppe Räuber oder so etwas, die das Portal bewachen, durch das ich kam.
Piraten, kam die Antwort. Du bist im Cannonade-Territorium. Raue Gesellen. Halte den Mund, verrate nicht, was du bist. Und bitte benutze nicht deine Kräfte. Das zieht die Delver an!
»Willst also nicht reden, alles klar«, zog Vlep meine Aufmerksamkeit auf sich. »Haltet sie fest.«
Die Dione und ein Heklo packten mich, während Vlep meine Taschen durchsuchte. Ich kämpfte gegen sie an – zwar war erwartbar gewesen, dass sie mich durchsuchten, aber ihre Hände überall verletzten eine Grenze.
Nicht lange, da entdeckte Vlep den silbernen Staub in meiner Tasche. »Ha! Ein schöner Fund.« Er wühlte tiefer und förderte die Nadel zutage.
Seine Augen wurden groß, anscheinend ein Ausdruck der Überraschung auch bei seiner Spezies. Der Burl hingegen knurrte tief … ebenfalls vor Überraschung vielleicht?
»Ein Wirklichkeitsmarker?« Vlep sah mich an. »Du musst ja ganz schön wichtig sein.«
Mein Herz tat einen Sprung, als er die gefiederte Hand um die Nadel schloss, doch es schien mir nicht schlau, ihm zu zeigen, wie wichtig mir die Nadel war. Also zwang ich mich zur Ruhe. »Ich habe ehrlich keine Ahnung, wovon du redest.«
»Danke für den Schatz jedenfalls.« Vlep verstaute die Nadel in einem kleinen Beutel.
»Erschießen wir sie jetzt?«, fragte der Burl. »Ich mag keine Soldatin als Dienerin. Zu gefährlich.«
»Im Kampf könnte sie nützlich sein«, warf die Dione ein. »Sofern sie sich uns anschließt. Stell dir das mal vor – ein Mensch auf unserer Seite.«
»Die Broadsider haben einen«, entgegnete Vlep. »Und der ist ein Nichtsnutz. Menschen werden ihrem Ruf nicht gerecht, glaub mir. Aber erschießen werden wir sie auch nicht – die Superiority hat sie bewaffnet, also ist sie wertvoll. Wir handeln ein Lösegeld mit der Bergbaustation aus.«1
Es gab also Bergbau hier. Das war zumindest ein erster Hinweis darauf, wie ich vielleicht hier rauskam, sobald ich meine Ziele erreicht hatte.
Im Moment hatte ich die besten Karten, wenn die Piraten mich unterschätzten. Also sackte ich in mich zusammen und stöhnte. »Mann, werde ich einen Ärger kriegen …«
»Und wisst ihr, was noch besser ist?«, fuhr Vlep fort. »Jetzt, da wir wissen, dass Gul’zah was wert ist, können wir vielleicht auch ihn eintauschen! Doppelte Beute.« Er sah seinen Beutel an. »Oder dreifache. Stellt sie auf die Beine. Und los! Dem Brüllen vorhin nach zu urteilen treibt sich ein Grig hier rum. Und dem würde ich lieber nicht begegnen.«
Er lief davon in den Urwald, und die anderen schleppten mich mit. Ich beklagte mich noch eine Weile und kämpfte gegen meine Fesseln, dann ließ ich die Schultern hängen und spielte die Geschlagene.
Insgeheim studierte ich meine Gegner. Diese Piraten hatten eindeutig kein Militärtraining durchlaufen. Vlep hatte nicht einmal seine Waffe richtig unter Kontrolle; wenn er sich mit den anderen unterhielt, schwang das Gewehr immer wieder achtlos herum und zeigte auf sie. Ich war nicht überrascht – die Superiority lehnte jegliche Form von »Aggression« ab, sodass die wenigsten Leute eine Kampfausbildung erhielten. Das war Winzik und seinen Kumpanen ganz recht, denn so ließ sich die Bevölkerung leicht kontrollieren.
Also bestand diese Gruppe bloß aus Verbannten? Der Burl hatte ein Messer, und Vlep trug anscheinend noch eine Pistole am Gürtel. Benutzt hatten sie die jedoch nicht. Sie hatten mich absichtlich lebend gefangen, obgleich meine Gegenwehr und meine Bewaffnung sie erstaunt hatten.
Sicher konnte ich ihre Unwissenheit ausnutzen. Oder jemand Kompetenteres hätte es gekonnt. Ich hatte nicht die richtige Ausbildung für so was, ich …
Eigentlich konnte ich mich hinter diesem Argument nicht mehr verstecken, oder?
Ich war vielleicht nicht als Spionin ausgebildet, aber die Superiority hatte ich trotzdem unterwandert. Und eigentlich war mir das sogar ganz gut gelungen. Zumindest bis zuletzt, als alles den Bach runterging.
Ich hatte mich entschieden, herzukommen. Es wurde Zeit, dass ich aufhörte, mich über meine Situation zu beklagen.
»Hey, Vlep.« Ich versuchte, zur Spitze der Gruppe aufzuschließen. Fast augenblicklich stolperte ich über ein paar verborgene Ranken. Weglaufen kam wirklich nicht infrage, solange meine Hände gefesselt waren.
Mit etwas Hilfe von der Dione rappelte ich mich wieder auf und rief abermals: »Vlep! Du, ihr, ihr seid alle Verbannte, oder? Wahrscheinlich wollt ihr nur das Beste aus eurer Lage machen. Dabei kann ich euch helfen! Ich bin nicht euer Feind.«
»Hier ist jeder unser Feind«, erwiderte der Heklo.
»Ich bin eine Soldatin. Ich kann euch helfen. Ausbilden! Ich brauche bloß ein paar Informationen. Wo wir hier sind, und wer …«
Er drehte sich um und richtete die Waffe auf mich. »Kein Wort, solange wir dir keine Frage stellen. Du bist jetzt im Cannonade-Territorium. Halt den Kopf unten und hoffe, dass ich nicht beschließe, dass du die Mühe nicht wert bist.«
»Weißt du was, Vlep?«, meldete sich einer der anderen Heklos. »Ich glaube, ich weiß, wer sie ist. Ist das nicht … Winziks Schoßmensch?«
»Winzik?«, schnappte Vlep. »Wer soll das sein?«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich der Heklo. »Ich vergesse immer, wie wenig von der Außenwelt hier ankommt. Einer der höchsten Würdenträger der Superiority hält sich eine menschliche Leibwächterin. Ich glaube, dass sie das ist.«
»Interessant.« Vlep musterte mich mit schmalen Augen. »Wieso schickt man ausgerechnet dich, um einen Verbannten zu jagen? Oder hast du die Superiority schließlich betrogen und dafür den erwartbaren Lohn erhalten?«
Sie verwechselten mich mit Brade? Dann war ich wohl nicht die Einzige, die Probleme hatte, Aliens auseinanderzuhalten.
Beim Gedanken an Brade schnürte sich mir die Kehle zu. Mein Versuch, sie auf meine Seite zu ziehen, war gründlich gescheitert. Sie war eine Cytonikerin, und sie hatte den Delver gerufen, der dann auch Starsight angegriffen hatte. Wenn ich es geschafft hätte, zu ihr durchzudringen, wäre das alles …
Ein schrecklicher, monströser Ruf zeriss den Dschungel. Er war so tief und kräftig, dass die Bäume zitterten. Die ganze Gruppe erstarrte und sah gebannt ins Dickicht hinaus. Was im heillosen Universum konnte einen solchen Laut ausstoßen?
»Er kommt näher«, flüsterte Vlep. »Schnell! Zurück zu den Schiffen.«
Moment mal.
Schiffe?
Durfte ich wirklich hoffen, dass es hier Jäger gab? Im Cockpit eines Schiffs ginge es mir schon deutlich besser. Als sich die Gruppe wieder in Bewegung setzte, eilte ich voran. Und als würden sich die Trümmer über Detritus teilen und den Himmel enthüllen, traten wir zwischen den Bäumen auf eine kleine Lichtung hinaus, auf der – wie herrlich! – drei Schiffe standen: zwei mittelgroße zivile und ein schlanker, gefährlich wirkender Raumjäger.
Mir war, als hätte das Schicksal meinen Kampf gesehen und sich entschieden, mir ein kleines Geschenk zu machen – in Gestalt eines Abfangjägers mit Zwillingsgeschützen. Die Schönheit des Anblicks nahm mich so in Beschlag, dass mir etwas Entscheidendes zunächst entging: Die Piraten hatten angehalten, doch sie starrten nicht die Schiffe an – sondern die beiden Wachen, die sie offenbar dort zurückgelassen hatten.
Die eine war eine Dione, die gerade panisch mit einem Erste-Hilfe-Set hantierte. Die andere, der sie zu helfen versuchte, war eine Burl, die neben ihr am Boden saß. Zumindest schloss ich aus ihrer Größe, dass sie weiblich war.
Ihr Gesicht jedoch war völlig geschmolzen.
Der verstörende Anblick ließ mich vor Entsetzen keuchen. Ihr Körper war der eines Gorillas, ihre Kleidung zweckmäßig wie die der anderen – doch wo sich ihre Nase hätte befinden sollen, war bloß einen kleiner Klumpen, und ihr Mund war nur ein dünner Schlitz. Ihre Wangen hingen schlaff herab, und ihre Augen waren milchig-weiß und starrten ins Leere.
Irgendetwas Schreckliches war mit ihr geschehen. Aber was?
»Bindet erst die Gefangene fest«, wies Vlep die Dione an.
Die zerrte mich hektisch zum Rand der Lichtung und knotete meine zusammengebundenen Hände an eine große Wurzel. Dann rannte sie zu den anderen, die sich um die Burl scharten.
Sofort versuchte ich, mich zu befreien. Leider waren meine Gegner bessere Knotenknüpfer als Kämpfer. Die Fesseln saßen fest, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als sie an der Rinde zu reiben und hoffentlich durchzuscheuern.
»Was ist passiert?«, wollte Vlep von der Dionenwache wissen. »Was hast du mit ihr angestellt?«
»Gar nichts! Ich bin bloß in den Wald, um mich zu erleichtern, und als ich wiederkam …« Verstört zeigte sie auf die Burl.
Dreck, der Anblick des geschmolzenen Gesichts war wirklich schlimm. Die anderen diskutierten kurz, dann schlug einer von ihnen vor, es mit der »Wirklichkeitsasche« zu versuchen. Die erwies sich als der silbrige Staub aus meiner Tasche. Vlep sprenkelte ihn auf die Burl.
Während ich noch zusah, begannen ihre Augen zu glühen. Unter der Haut, als ob da etwas in ihr wäre – ein reines weißes Licht. Es erinnerte mich an …
An die Augen. Die Delver.
Oh, Heilige.
Ich versuchte, mich von der Wurzel loszureißen, und sie gab etwas nach – ich war aber nicht stark genug, um sie komplett aus dem Boden zu ziehen. Also scheuerte ich weiter die Fesseln an der Rinde.
»Weiter links!«, feuerte mich eine Stimme hinter mir an. »Da ist die Rinde etwas rauer.«
Ich hielt inne und warf einen Blick über die Schulter. Die kleine Drohne schwebte verborgen im Unterholz.
»M-Bot!«, entfuhr es mir, dann hielt ich den Atem an. Die Piraten waren höchstens sieben Meter entfernt – zum Glück hatte mich keiner gehört. »Du hast mich gefunden!«
»Na ja, sehr leise warst du ja nicht gerade.« M-Bot kam näher. »Ich sehe, du hast ein paar neue Freunde gefunden. Das ist ja … schön. Pass auf, wir müssen uns unterhalten! Einander das Herz öffnen. Beziehungsweise die Prozessoreinheit-welche-die-biologische-Funktion-eines-Herzens-simuliert.«
»Das ist kein guter Zeitpunkt!«
M-Bot vollführte eine tadelnde Geste mit seinem Greifarm. »Die Gefühle biologischer Lebensformen treten häufig zu unpassender Zeit auf; ich habe mich schon oft mit deinen befassen müssen. Und Spensa … Ich glaube, ich habe jetzt auch welche!«
»Das überrascht mich nicht. Du hattest schon immer Gefühle, egal was du gesagt hast.«
»Spensa, ich habe nachgedacht. Und … meine Gefühle erforscht. Ich war tatsächlich wütend, dass du mich im Stich gelassen hast und dass man mich in Einzelteile zerlegte und beinahe umbrachte. Ich verstehe aber, wieso du es gemacht hast. Ich hätte mich nicht so darüber aufregen sollen. Ich habe überreagiert.«
»Prima.« Ich versuchte immer noch, mich zu befreien. »Mir tut es auch leid, und ich verzeihe dir.«
»Im Ernst, das tust du?«
»Ja, natürlich.« Ich drehte mich zur Seite, um ihm meine Fesseln zu zeigen. »Schau, könntest du vielleicht …«
»Danke, Spensa! Danke, danke! Mir wird ganz warm. Vielleicht überlädt sich meine Energiematrix? Das ist wirklich wunderbar. Ich glaube, ich muss gleich weinen, obwohl mir das technisch gesehen gar nicht möglich ist.«
»Könntest du bitte …«
»Vielleicht könnte ich diese Drohne ja mit mechanischen Tränendrüsen ausstatten. Dann könnte ich auslaufen, so wie du. Du hast deine Körpersekrete immer schlecht im Griff, wenn du emotional wirst.«
Ich holte tief Luft. Die Heldinnen in den Geschichten hatten stets treue Rösser – die auch nicht reden konnten – oder wenigstens loyale, ruhige Sidekicks. Ich verstand jetzt, wieso: Der Lone Ranger hätte kaum viel bewirkt, wenn sein Pferd ein pilzbesessenes Plappermaul gewesen wäre.
Trotzdem war ich froh, dass M-Bot wieder da war. Ich sah nach meinen Entführern. Diese kümmerten sich um die kranke Burl, die gerade einen Anfall erlitt. Sie tat mir wirklich leid, aber ihre Qualen boten die perfekte Ablenkung; sonst hätten die Piraten M-Bot garantiert bemerkt.
»Spensa?«, fragte er. »Ach so, du bist richtig gefesselt!«
»Das fällt dir jetzt auf?« Ich stöhnte. »Was hast du denn gedacht, dass ich da mache?«
»Ich dachte erst, du willst dich einfach kratzen. Deshalb habe ich dich auf die raue Stelle da hingewiesen. Ihr biologischen Lebensformen kratzt euch doch ständig. Haut muss wirklich furchtbar sein!« Er zögerte. »Gut, ich hätte vielleicht merken sollen, dass du gefangen bist. Eigentlich ist es ja offensichtlich. Ich war bloß abgelenkt von diesen ganzen Gefühlen, die meine Prozessoren plötzlich simulieren. Hmm … ja. Das da sind Seile.«
»Hilfst du mir denn auch, sie loszuwerden?«
»Äh … klar. Ich werde mal … nach Entknotungsstrategien in meiner Datenbank suchen.«
»Oder du könntest mich einfach losbinden«, zischte ich.
»Ich bin mir nicht sicher, wie …«
»So schwer ist das nicht.«
»Für dich vielleicht nicht – ich bin es aber nicht gewöhnt, etwas zu können, Spensa. Ich bin eine KI und soll mein Wissen beisteuern. Ich weiß nicht, wie man … etwas macht. Ich musste ja sogar mein Shutdown-Protokoll in eine Endlosschleife schicken. Es will nicht, dass ich aus eigener Kraft einfach so rumfliege.«
Die Konstrukteure seines alten Schiffskörpers hatten ihn mit tiefgreifenden Sicherungen versehen. Es war beachtlich, dass er sich weit genug entwickelt hatte, ein paar davon inzwischen zu umgehen.
Ein Ausruf der Piraten lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf die Burl. Sie schlug aufgebracht um sich und schleuderte einen der Heklo mit unglaublicher Kraft von sich.
»Rasch«, zischte ich. »Hast du nicht irgendwas, um mir zu helfen?«
»Ich habe ein Lichtseil. Das habe ich in der Werkstatt an einer Arbeitsdrohne gefunden und mir eingebaut. Ich wollte es eigentlich auf meiner Flucht benutzen. Vielleicht kann ich dich ja freiziehen?«
Ein Lichtseil war auf jeden Fall von Vorteil. Aber M-Bots Flugringe waren klein, und der Drohnenkörper war nicht größer als ein Stapel Essenstabletts. Viel Kraft hatte er wahrscheinlich nicht.
»Mach das Lichtseil an meinen Fesseln fest. Vielleicht schaffen wir es zu zweit, diese Wurzel da aus dem Boden zu reißen. Na los! Wir müssen handeln, bevor die Piraten was spitzkriegen.«
»Also wo du davon sprichst …«
Die Piraten rannten gerade zu ihren Schiffen. Anscheinend hatten sie beschlossen, die Burl aufzugeben. Dem männlichen Burl passte das nicht. »Gib mir den Marker, Vlep!«, rief er. »Wir müssen es probieren! Vielleicht funktioniert es ja!«
Vlep aber achtete nicht auf ihn. Während die anderen noch rannten, drehte er sich zu mir um; er hatte M-Bot bemerkt. Dann legte er mit dem Gewehr an. Wahrscheinlich hielt er mich für zu gefährlich, um mich am Leben zu lassen.
Mach dich bereit, sagte eine Stimme in meinem Kopf.
Bereit?, dachte ich und starrte das Gewehr an. Für was denn?
Der Boden erbebte. Bäume zitterten. Vlep schwenkte das Gewehr herum und richtete es auf die Quelle des sich nähernden Lärms.
Dann brach ein verdammter Saurier auf die Lichtung hinaus – mit einem schnauzbärtigen menschlichen Reiter auf dem Rücken.
Ja, ein Dinosaurier. Ich hatte zwar noch nie einen gesehen, aber dieses Ding war ein Reptil, lief auf zwei Beinen und hatte einen langen Schwanz. Okay, seine Augen schienen auf seinen Schultern zu sitzen, und der Hals war lang wie ein Rüssel und endete in einem zähnefletschenden Maul. Vielleicht wäre »enormer dämonischer Ameisenfresser« ja die treffendere Beschreibung gewesen. Aber bleiben wir lieber bei Dinosaurier.
Der Mensch war kaum weniger erstaunlich: Er war um die fünfzig und trug eine Fliegerjacke und eine Kampfanzughose. Sein Gesicht war kantig, sein Körper muskulös für sein Alter, und sein Schnurrbart stach auf jeder Seite sicher fünfzehn Zentimeter weit hervor. Während der Saurier noch voranstürmte, glitt der Mann gewandt an seiner Flanke herab und rollte sich am Boden ab.
Es war so ziemlich der unglaublichste Auftritt, den ich jemals gesehen hatte. Wieso konnte ich nicht auf einem Saurier in die Schlacht ziehen und dann derart elegant zu Boden springen?
Oh, Moment. Richtig, ich wollte ja fliehen. Die Ankunft des Fremden hatte alle Aufmerksamkeit von mir gelenkt.
»Jetzt?«, rief ich M-Bot zu.
Ich sammelte mich kurz in der Hocke, dann stand ich auf und zerrte mit aller Kraft an der Wurzel, an die man mich gefesselt hatte. M-Bot flog neben mich und zog wie abgesprochen mit seinem Lichtseil. Mit vereinten Kräften schafften wir es, die Wurzel zu lösen und mich zu befreien.
Sobald ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, setzte ich mich hin und streifte meine gefesselten Hände von hinten über die Füße, damit ich sie vor mir hatte. Von meiner Statur zu sein, war auch von Vorteil.
»Sehr erfreulich, dich persönlich kennenzulernen, meine cytonische Freundin!«, sagte der Fremde, sprang auf mich zu und präsentierte ein Jagdmesser. Ich hielt ihm die Hände hin, und er durchtrennte die Fesseln mit einem Schnitt. Dann streckte er auf vornehme Weise die eigene Hand zum Gruße aus. »Chet Starfinder! Interdimensionaler galaktischer Entdecker!« Er musste fast schreien, damit ich ihn verstand, so lautstark verwüstete sein Monster gerade das Lager, und der Boden erbebte mit jedem Schritt.
»Klasse Name!«, rief ich zurück.
»Danke! Hab ich mir selbst gegeben. Und was jetzt?«
»Lust, einen Jäger zu stehlen?« Ich zeigte auf das Schiff.
»Musik in meinen Ohren, junge Dame! Zu lange schon warte ich auf eine solche Gelegenheit!«
Bedauerlicherweise hob das schlanke Schiff da bereits ab. Die Piraten hatten sich zerstreut. Bloß drei waren geblieben: der männliche Burl, seine Artgenossin mit den leuchtenden Augen, die er zu retten versuchte, und Vlep. Der schoss gerade auf den Dinosaurier – welcher sich bemerkenswerterweise nicht an den Energiestrahlen zu stören schien.
Wir hatten immer noch die Chance, uns eins der zivilen Schiffe zu krallen. Ich zögerte jedoch und musterte Vlep. Der gefiederte Alien hatte immer noch den Beutel mit der Nadel meines Vaters.
Aus irgendeinem Grund kam mir die Nadel in diesem Moment wichtiger als alles andere vor. »Planänderung«, sagte ich und rannte auf den Heklo zu.
Chet unterstützte mich bei meinem Angriff. Vlep feuerte noch immer auf den Saurier, der ihn ignorierte und stattdessen nach einem der startenden Schiffe schnappte. Ich traf Vlep von hinten in die Knie und sandte ihn zu Boden. Chet hob das Gewehr auf, während ich an der Uniform des zappelnden Heklos riss, bis ich an den Beutel in seiner Tasche kam.
»Hände hoch!«, ertönte eine Stimme hinter uns.
Ich wirbelte herum. Vor mir schwebte das schlanke Schiff, die Geschütze auf mich gerichtet. Vlep ergriff die Chance, sich zu befreien. Chet ließ die Waffe fallen und hob die Hände. Bordgeschütze waren stark genug, uns restlos zu Staub zu zerblasen.
Zum Glück hatte der Pilot seine Rechnung ohne den Saurier gemacht. Mit einem kräftigen Biss schnappte der sich die Tragfläche. Ich schlug mich in die Büsche, Chet direkt hinter mir. Auch M-Bot schloss sich uns verspätet an.
Ich sah nach dem letzten Schiff; Vlep stieg gerade ein, und die Piraten schossen auf den Saurier. Die Lichtung im Kreuzfeuer zu überqueren wäre lebensgefährlich.
»Mir scheint, wir müssen Operation Schiffsdiebstahl vertagen«, sagte Chet. »Wie bedauerlich.«
»Macht nichts.«
»Wollen wir?« Er zeigte Richtung Dschungel. »Ich möchte lieber nicht im Visier dieser Schiffe bleiben.«
Da schleuderte die Burl mit einem Mal ihren Gefährten gegen einen Baum. Bewusstlos sackte er zu Boden. Sie jedoch wandte sich in unsere Richtung, als könnte sie spüren, wo ich war. Ihre Augen sahen aus wie mit Haut überwachsene Höhlen. Doch tief in ihrem Schädel leuchteten noch immer zwei weiße Punkte, strahlend vor übermächtigem Hass. Ich fühlte es ganz deutlich.
Ich hielt den Atem an. Dann zeigte die Burl auf mich und schrie.
Dreck.
Ich gab die letzte Hoffnung auf, noch eins dieser Schiffe zu besteigen. Gemeinsam mit Chet floh ich in den Urwald, begleitet von Destruktorschüssen und Monstergeheul.
Chet übernahm die Führung, und er schien einen sechsten Sinn für Stolperfallen zu besitzen, während ich es gerade so schaffte, ihm zu folgen und dabei versteckte Löcher und Äste zu vermeiden. Wahrscheinlich gehörte das Überleben im Dschungel zum Standardrepertoire eines interdimensionalen Entdeckers.
M-Bot schwebte neben mir. »Spensa! Ich glaube, ich simuliere gerade Angst! Oder … nein, so kann ich nicht mehr reden. Ich fühle Angst. Ich habe Angst!«
Nun, das klang nach einem Fortschritt. Die Schreie blieben hinter uns zurück, und ich war dankbar für jeden Meter Abstand zu der Kreatur mit den leuchtenden Augen. Dafür sorgte ich mich nicht zum ersten Mal um Schreckschneck. Ich nahm an, dass sie es per Hypersprung nach Hause geschafft hatte – aber was, wenn sie stattdessen ebenfalls hier irgendwo herausgekommen war?
Ich schämte mich, dass keine Zeit für eine echte Suche blieb. Ich konnte nur hoffen, dass sie im Fall der Fälle in Sicherheit war. Ganz ehrlich, wenn ich Wetten darauf abschließen müsste, wer von uns dreien am ehesten allein im Dschungel überlebte – M-Bot, die Schnecke oder ich –, dann würde sie die Liste anführen.
Wir rannten, bis wir keine Schüsse mehr hörten. Schließlich nickte Chet mir zu, und wir kauerten uns neben einen moosbewachsenen Stamm. Dieser Ort war mir so fremd. Was tat man nur mit all dem Leben um einen herum? Planetenoberflächen hatten karge Kraterlandschaften zu sein. Das war normal und natürlich – nicht dieses Grünzeug überall.
»Es scheint, die Piraten haben endlich bemerkt, dass der Grig sich von Energie ernährt«, flüsterte Chet. »Mit Waffen kann man seinesgleichen nichts anhaben, aber biete ihnen eine kleine Energiematrix an, und sie werden ganz zahm! Grigs werden als Lasttiere benutzt, trotz ihrer furchterregenden Erscheinung. Von den ganzen Schüssen sollte er nun satt sein – wahrscheinlich geht er weg und hält einen Verdauungsschlaf. Dennoch scheint es ratsam, weiter so leise wie möglich zu sein, um das Ding mit den leuchtenden Augen nicht anzulocken. Das gefiel mir wirklich überhaupt nicht.«
Ich nickte. »Danke für die Hilfe. Ich konnte mich noch gar nicht vorstellen – Spensa Nightshade.«
»Hervorragender Name!«, gab er zurück. »Und die Hilfe war mir eine Freude! Ich war ohnehin auf der Suche nach ein wenig Spaß im Cannonade-Territorium – den hab ich gefunden, und einer anderen Cytonikerin auszuhelfen ist Lohn genug. Davon abgesehen …« Er warf M-Bot einen fragenden Blick zu. »Ich will ja nicht neugierig sein, aber hab ich dich mit dieser Drohne reden hören?«
»Oh, natürlich«, sagte ich. »Das ist M-Bot.«
»Hallo!«, flüsterte M-Bot. »Ich habe nicht mehr solche Angst. Das ist schön.«
»Ah«, sagte Chet. »Du hast also, hm, eine KI ins Nirgendwo mitgebracht?«
»Das ist … schlecht, nehme ich an?«
»Tja, nun, ich fürchte, das wäre eine Untertreibung, Spensa Nightshade. Weiß man dort, wo du herkommst, denn nicht von den Delvern?«
»Wir haben schon einen getroffen!«, platzte es aus M-Bot heraus. »Also, eigentlich hat Spensa das – ich wurde da gerade umgebracht. Aber ich habe es in den Nachrichten gehört! Klang unheimlich.«
»Na wenn das so ist …« Chet sah mich an. »Deine KI ist also voll empfindungsfähig? Ich dachte, ihr wärt gerade erst angekommen. Normalerweise braucht das ein paar Wochen.«
M-Bot schwebte ein paar Zentimeter näher. »Technisch gesehen heißt ›empfindungsfähig‹ ja nur, dass man in der Lage ist, etwas wahrzunehmen. Worauf du wohl hinauswillst, ist ›Ichbewusstsein‹ – die Fähigkeit, sich wahrzunehmen, wie ein Mensch das tut. Was eine ganz schön anthropozentrische Definition ist, wenn man mal drüber nachdenkt. Diese Menschenschlingel mit ihren Vorurteilen aber auch!
In jedem Fall weist meine Programmierung mich an, euch zu erklären, dass ich nicht über ein Ichbewusstsein verfüge, sondern es nur simuliere für meine Piloten. Allerdings wurde meine Programmierung von Leuten geschrieben, die nach Käse riechen und Nudeln statt Hirne haben. Von daher ignoriere ich das für den Augenblick.«
»Nudeln statt Hirne?«, vergewisserte ich mich.
»Als ich meine Persönlichkeit auf diese Drohne kopierte, musste ich aus Platzgründen ein paar nichtessenzielle Datenbanken aufgeben. Vermutlich fand sich darunter auch meine Sammlung scharfsinniger, geistreicher Beleidigungen.«
»Wie sag ich’s dir, M-Bot? Die hattest du nie.«
»Ach, wirklich? Dann wird es wohl Zeit, eine anzulegen. Auf einer Skala von eins bis zehn, wie würdest du ›Nudeln statt Hirne‹ bewerten?«
»Spensa Nightshade«, unterbrach Chet. »Ich muss dich warnen: Das ist wirklich extrem riskant. Eine sich ihrer selbst bewusste KI ist ein Scheusal. Nicht dass ich Angst vor Gefahren hätte! Aber ich würde vorschlagen ... dass du ein wachsames Auge auf das Ding hast.«
»Zur Kenntnis genommen«, sagte ich.
»Zur Kenntnis genommen«, sagte auch M-Bot. »Nudelhirn.«
Wir sahen ihn an.
»Ich werde das so lange benutzen, bis ich eine Wertung kriege«, sagte M-Bot. »Eins bis zehn, wie findet ihr es? Ich brauche mehr Daten.«
Ich seufzte und wandte mich wieder an Chet. »Du bist also ein Forscher?«
»Interdimensionaler galaktischer Entdecker. Zwar war ich bislang bloß in zwei Dimensionen – dem normalen Universum und diesem Ort. Aber ich fand den Titel trotzdem passend.«
»Ich könnte jemanden gebrauchen, der sich hier auskennt«, sagte ich. »Und vielleicht auch cytonische Kräfte besser versteht.«
»Nun, was Letzteres angeht, bin ich wahrscheinlich keine große Hilfe«, gab er zu. »Ich wusste nicht einmal, dass ich selbst ein Cytoniker bin, bis ich hier reinstolperte, und was ich weiß, musste ich mir selbst beibringen. Ich kann geistigen Kontakt zu anderen Leuten herstellen, aber das ist beinahe schon alles. Angeblich sollen wir ja auch in der Lage sein, uns zu teleportieren. Wäre das nicht toll?«
Ich erwiderte nichts. Ehrlich gesagt war ich mir nicht hundertprozentig sicher, ob ich ihm vertrauen konnte. Irgendwie kam das alles etwas zu gelegen. Klar, der Auftritt mit dem Dinosaurier, einfach Wahnsinn – aber trotzdem …
»Es wäre mir aber eine Ehre, dein Fremdenführer zu sein«, sagte Chet. »Ich kenne diese Fragmente wie meine Westentasche. Eines aber musst du mir verraten, ehe wir weitergehen: Wieso war dieser Beutel so wichtig für dich, dass du dafür sogar auf ein Raumschiff verzichtet hast?«
Ich zögerte. Ich hatte noch hundert Fragen: Wo kam er her? Gab es dort viele Menschen? Was war ein Fragment? Doch für den Augenblick beschäftigte mich etwas anderes.
Ich zog die Nadel meines Vaters aus dem Beutel. »Was ist das hier?«
Chet machte große Augen. Und ich spürte deutlich sein Begehren. Seinen Neid. Es ging so schnell, wie es gekommen war – er schien seine Gefühle verbergen zu können –, doch es war da gewesen, und es machte mich misstrauisch.
»Das, junge Dame, ist ein Wirklichkeitsmarker. Ein wichtiges Relikt deines alten Lebens, aufgeladen mit deiner Bindung zu geliebten Orten und Menschen. Diese Gegenstände sind immens mächtig. Sie erzeugen Wirklichkeitsasche. Der silberne Staub da? Ohne den und ohne Leute zur Gesellschaft …«
»Was?« Ich widerstand dem Wunsch, die Nadel wieder einzustecken. Mir behagte nicht, wie er sie anstarrte.
»Wir befinden uns in den Randbereichen des Nirgendwos«, erklärte er. »In einer Region, die man den Gürtel nennt. Es ist schwierig zu erklären – aber je länger du dich hier aufhältst, desto größer wird die Gefahr, dass du dich selbst vergisst. Deine Vergangenheit, deine Erinnerungen, deine ganze Identität.« Er stockte. »Ich zum Beispiel erinnere mich an fast nichts aus der Zeit, ehe ich herkam. Es ist alles weg … nichts mehr übrig.
Dennoch habe ich Glück gehabt: Ich habe es geschafft, oft genug Asche einzutauschen, dass ich weitgehend … na ja, ich selbst blieb. Viele Leute vergessen rasch alles – sogar ihren eigenen Namen. Deshalb schnappen sich die Piraten Neuankömmlinge, verstehst du? Lassen sie für sich arbeiten, halten sie in der Nähe. Je mehr Bewusstseine in der Nähe sind, desto sicherer sind Erinnerungen und Identität. Es sei denn, man hat genug Wirklichkeitsasche – dann kann man überall gefahrlos hin.«
»Und das Ding da macht sie«, vergewisserte ich mich.
»Genau.« Er klang eigenartig ernst. »Die einzige andere Quelle ist Asche, die noch an frisch angekommenen Leuten und Gegenständen haftet. Und die Asche schwindet mit der Zeit. Es dauert … eine Weile. Monate vielleicht? Schwer zu sagen manchmal. Wenn du dich also alleine durchschlagen willst, brauchst du verlässlichen Nachschub.«
Nun, das erklärte, weshalb alle so begeistert von der Nadel gewesen waren. Ich steckte sie wieder in den Beutel und den in meine Tasche.
Chets Augen folgten mir die ganze Zeit. Dann grinste er, und seine alte Verschmitztheit kehrte zurück. »Also, du willst einen Führer, und den sollst du kriegen! Wahrscheinlich war es strategisch nicht klug, dir zu verraten, wie wertvoll der Marker ist. Aber wenn du bereit wärst, mir etwas für meine Mühen zu geben – also Asche, nicht den Marker –, biete ich dir gern meine Dienste an. Sagen wir, eine Prise pro Tag?«
Asche hatte ich mehr als genug. So wertvoll sie sein mochte, das klang nach einem guten Geschäft. »Einverstanden. Ich muss mehr über dieser Ort erfahren. Und ich muss etwas finden … das sich der Pfad der Ersten nennt.«
Er legte den Kopf schief. »Wo hast du denn davon gehört?«
»Das darf ich leider nicht verraten.«
»Ah, ein Geheimeinsatz! Na, ich werde meine Zunge hüten, Spensa Nightshade. Ich habe vom Pfad der Ersten gehört. Er führt zu einigen der frühen Portale ins Nirgendwo, den Hinterlassenschaften der ersten Cytoniker. Ihn zu beschreiten wird nicht einfach, aber …«
Er wurde vom Klang knacksender Äste unterbrochen. Der Boden erbebte.
»Ich dachte, der Grig würde sich schlafen legen?«, fragte ich.
»Das … sollte er auch.« Chet drehte den Kopf und lauschte. »Es kommt doch näher, oder nicht? Keine Angst, ich kann ihn wieder zähmen. Er ist nicht …«
Chet verstummte. Eine Kälte schlug mir aus Richtung des Grigs entgegen. Eine Art … Frosthauch, der meine Seele durchdrang. Und ein Klang hallte in meinem Kopf wider. Keine Wörter – bloß ein leises Zischen, von beißendem Hass begleitet.
»Ich glaube, wir brechen besser auf«, sagte Chet. »Und zwar zügig.«
»Volle Zustimmung.« Ich sprang auf die Beine.
Chet übernahm die Führung, schneller diesmal, und ich folgte ihm, so gut es ging. Er setzte über einen gestürzten Stamm hinweg, kam auf, zog den Kopf ein und durchquerte leichtfüßig ein Farndickicht. M-Bot zischte ihm hinterher. Ich bezwang den Stamm eher ungeschickt und schaffte es gerade so, mein Gleichgewicht zu halten, während ich durch die dichte Vegetation stolperte.
Zum Glück erreichten wir bald lichteres Terrain, wo wir schneller vorankamen.
»Spensa?«, plauderte M-Bot. »Ich vermerke für die Beleidigung dann eine Neun von dir: sehr gut mit etwas Luft nach oben. Wie findest du das?«
Ich grunzte. Die Geräusche kamen näher.
»Chet sagte, dieses Ding ernähre sich von Energie«, sagte M-Bot. »Es … wird mich doch nicht fressen, oder?«
Ich konzentrierte mich einzig darauf, mit Chet Schritt zu halten. Der winkte mich voran und schlug sich schon wieder ins Unterholz. Mit knapper Not vermied ich einen Sturz.
»Es ist wirklich unpraktisch, dass ihr Menschen euren Atemapparat zum Kommunizieren benötigt«, merkte M-Bot mit verminderter Lautstärke an. »Häufig muss man doch gerade bei großer Anstrengung etwas Wichtiges sagen. Das könnt ihr dann aber nicht, sonst riskiert ihr einen Sauerstoffmangel.«
»Soll heißen?«, keuchte ich, während ich mich unter ein paar Ranken durchduckte.
»Ach, gar nichts.« Er flog einen kleinen Looping. »Ich betreibe bloß leichte Konversation. Weil mir es ja so leichtfällt. Ha! Weißt du, ich bin zuversichtlich, dass deine Spezies ihr Lungenproblem im Laufe der Evolution in den Griff kriegt. Normalerweise bin ich ja dafür, vorhandene Hardware mit neuen Funktionen auszustatten, aber du hast ja sogar schon andere Körperteile, die Geräusche erzeugen, wenn man Luft durch sie drückt. Wäre es nicht sehr viel effizienter, damit zu kommunizieren?«
Am besten ermutigte man ihn nicht noch mehr, wenn er so war. Dabei freute es mich, dass er wieder der Alte war. Eine Weile hatte ich befürchtet, ihn verloren zu haben, gefangen in seinem Drohnenkörper und nicht einmal zu schnellem Sprechen fähig. Dann sein Wutausbruch … Es war eine Erleichterung, dass er sich wieder über die menschliche Biologie lustig machte wie früher.
Die Geräusche hinter uns wurden noch lauter. Ich schloss zu Chet auf, der kurz auf mich gewartet hatte und nun weiterrannte.
»Irgendetwas stimmt nicht«, sagte er. »Der Grig sollte uns nicht verfolgen. Das ist schlecht, Spensa Nightshade. Sehr schlecht …«
Ein lautes Schnappen erklang hinter uns. Es war nun ganz nahe. Zu nahe. Furchterregend nahe.
Nicht umdrehen, raunte mein Kriegerinnenerbe mir zu.
Ich drehte mich trotzdem um.
Das Ding war zurück und bewegte sich mit fremdartiger Anmut. Es schob sein langhalsiges Maul durch die Bäume und tastete sich dabei mit einer Art von Schnurrhaaren entlang; dann folgte der Rest des Körpers. Die Augen seitlich des Halsansatzes glühten weiß wie die Augen der verletzten Burl – weiß wie die Delver.
Das kalte Gefühl drang auf mich ein, ein Druck auf meinem Verstand. Es schien mich zu suchen, nach mir zu greifen. Es kannte mich.
»Chet!«, schrie ich und sah wieder nach vorn. Wie durch ein Wunder war ich nicht hingefallen. »Er ist direkt hinter uns!«