Da waren Tage - Luna Ali - E-Book

Da waren Tage E-Book

Luna Ali

0,0
19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Luna Ali »Da waren Tage« - Das literarische Debüt bei S. Fischer Aras nimmt die syrische Revolution zunächst aus der Entfernung wahr, geboren in Aleppo, aufgewachsen in Deutschland, ist er 2011 im ersten Semester seines Jurastudiums. Doch mit der Entgrenzung der Gewalt in Syrien wird der Konflikt mehr und mehr zum Teil seines Alltags. Im Hörsaal und in der Ausländerbehörde, beim Praktikum in Jordanien oder als Gast einer politischen Talkshow erlebt er den Jahrestag der Revolution jedes Jahr aufs Neue als Wechselspiel zwischen Realität und Imagination. In ihrem eindrucksvollen Debütroman erzählt Luna Ali, wie sich die Ereignisse in Syrien in das Leben, das Handeln und die Sprache ihres Protagonisten einschreibt. Und so stellt »Da waren Tage« drängende Fragen über die Bedeutung politischen Handelns und kollektiven Begehrens in unserer Gegenwart.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 362

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Luna Ali

Da waren Tage

Roman

 

 

Über dieses Buch

 

 

Aras nimmt die syrische Revolution zunächst nur aus der Ferne wahr, geboren in Aleppo, aufgewachsen in Deutschland, ist er 2011 im ersten Semester seines Jurastudiums. Doch Jahr für Jahr wird der Konflikt in Syrien immer mehr zum Teil seines Alltags.

 

In ihrem eindrucksvollen Debütroman erzählt Luna Ali von der Bedeutung politischen Handelns und kollektiven Begehrens in unserer Gegenwart. Und davon, wie sich die Gewalt in Syrien in das Leben und die Sprache ihres Protagonisten einschreibt.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Luna Ali, geboren 1993 in Syrien, studierte Kulturwissenschaften und ästhetischen Praxis in Hildesheim, Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut und Anthropologie an der Universität Leipzig. Sie arbeitete als Autorin u. a. an Produktionen an den Schauspielhäusern Düsseldorf, Dortmund, Hannover sowie in Berlin. 2023 erhielt sie das Arbeitsstipendium für deutschsprachige Literatur der Berliner Senatsverwaltung. Sie lebt mit ihren fünf Mitbewohner*innen in Berlin.

Inhalt

Widmung

Motto

2011 – Angelus Novusoder damit ein Anfang sei

2012 – Subjektivität würde voraussetzen, dass es ein Subjekt gibt

2013 – Den Prozess in Gang bringen

2014 – Collapse is a Powerful Response

2015 – Das Zerfließen des Punktum

2016 – Es gibt kein richtiges Leben im falschen

2017 – Keine Tragödie ohne Autor

2018 – Rede, sprich, ich

2019 – Der Himmel trank das Meer

Intermezzo – »… die Welt ist in jeder Seele gefaltet …«

4020 – Wo kein Anfang, da kein Wort, wo kein Ende, da ein Gespenst

Shukran, ya 7abayeb

Für A

»To write is to work for the dead, to create the conditions needed for the ghost to return.«

- Mirene Arsanios

»Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt […] ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig.«

- Hannah Arendt

2011 – Angelus Novusoder damit ein Anfang sei

Der 15. März 2011 war eigentlich ein ganz normaler Tag. Aber an diesem Tag sollten sich für Aras zwei Dinge ändern. Erstens würde er ab heute, wenn er gefragt werden würde, woher er kam, nicht mehr umständlich erklären müssen, wo Syrien auf der Weltkarte lag, nämlich südlich der Türkei, nördlich des Iraks, zwischen Urlaub und Krieg, da lag Syrien. Zweitens würde er in den folgenden Jahren einen Zustand entwickeln, der es ihm unmöglich machen würde, zwischen Realität und Einbildung zu unterscheiden. Er würde sich kaum an diesen Tag erinnern, weil dieser Tag so normal verlief, dass er ihm in den Jahren darauf wie ein Traum erschien.

Er war an besagtem Tag aufgewacht, aufgeweckt worden, von seiner Freundin Rhea, die wie jeden Tag in den Semesterferien früh zur Arbeit musste. Sie hatte nach einer Socke unter dem Bett gesucht und dabei nicht nur Aras geweckt, sondern auch den Hund. Der Hund bellte, wie jeden Morgen. Dieser Hund, ein Jack Russel Terrier, den sie Mila genannt hatten, mochte morgens nicht aufstehen, genauso wenig wie Aras, und so blieben die zwei im Bett liegen. Rhea zog sich eine Jeans und ein T-Shirt an, während Aras sie aus dem Bett heraus beobachtete. Weil ihm alles wie immer vorkam, ärgerte er den Hund noch einmal, indem er die Decke zur Seite schob. Mila, kurz erstarrt, knurrte, grub sich wieder unter der Decke ein.

Aras setzte seine Brille auf, nahm sein iPhone zur Hand, öffnete Facebook: Knuts Gesundheitszustand verschlechterte sich, ein Artikel über das Verfassungsreferendum in Ägypten, eine ehemalige Klassenkameradin war zurück von ihrer Australien-Reise, in Fukushima drohte der Super-GAU, ein Anschlag in Kunduz, Werbung für nachhaltige Sneaker, in Bahrain wurden Demonstrationen niedergeschlagen. Irgendwann ging er ins Bad. »Vergiss nicht, dass wir heute Abend zu deiner Mutter müssen!«, rief ihm Rhea durch die Tür. »Ich weiß«, antwortete Aras, er hörte die Haustür ins Schloss fallen, stand auf, wusch sich die Hände, sein Blick fiel auf den Spiegel. Er sollte sich rasieren. Je länger sein Bart wurde, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, am Bahnhof von der Polizei angehalten zu werden. Seine Brille allein konnte nicht von den schwarzen, kurzgeschorenen Haaren, den fast zusammengewachsenen Augenbrauen, der krummen Nase ablenken, seiner olivfarbenen Haut. Er griff zum Rasierer und dachte an alle Männer, die sich dem Trend hingaben, sich einen richtigen buschigen Bart wachsen zu lassen. Manchmal witzelte er mit seiner Schwester Lamia darüber, sie gehörten alle den Salafisten an. Der Islam auf dem Vormarsch, erst die Mode, dann die Weltherrschaft. Er ging in die Küche, ein, zwei Löffel Kaffee, es ging immer etwas daneben, setzte den Espressokocher auf den Herd, wischte die Kaffeekrümel in seine Hand, dann warf er sie in das Spülbecken, Wasser.

Auf dem Küchentisch stand noch das Essen von gestern. Rhea und Aras waren bei dem Versuch gescheitert, chinesisch zu kochen. Da sie zu viel Sojasoße benutzt hatten, war das Essen ungenießbar gewesen. Sie hatten sich stattdessen eine Pizza bestellt. Er öffnete die Schachtel und aß ein übrig gebliebenes Stück. Den Kaffee kippte er in einen Thermobecher und machte sich daran, den Hund für einen Spaziergang zu motivieren. Er riss die Decke vom Bett, Mila bleckte die Zähne. »De yallah u de yallah!«, rief ihr Aras mit gespielter Freude zu. Sie wedelte mit ihrem kleinen Schwanz. Aras suchte nach dem Halsband, sie bellte. »Ja, doch. Moment! Sei still! Mila! Aus!«, sie bellte weiter. Es war zu spät, ihr ganzer Körper wackelte hin und her. Aras griff nach dem Halsband, schwarzen Plastiktüten und öffnete die Tür.

Die Treppe runter, der Himmel grau, an einigen Stellen blau, ein kalter Wind. Ihm tat es leid für seine Schwester, dass trotz des Frühlingsanfangs der Frühling noch lange auf sich wird warten lassen. Sie wird in einigen Tagen Geburtstag feiern, wahrscheinlich wird es regnen. Sechzehn, er und ein Freund hatten angeboten, sie und ihre Freundinnen in einen Club zu begleiten, ihr Geburtstagsgeschenk, er wäre ihr Erziehungsbeauftragter oder, wie er es scherzhaft ausdrückte, Beziehungsbeauftragter.

Mila kannte den Weg, der Park um die Ecke, sie rannte. Durch das Tor, an der linken Seite ein Spielplatz, »Hunde an der Leine führen«, Aras ignorierte das Schild. Gegenüber dem Spielplatz, auf der Bank saß er, trank aus dem Thermobecher und stimmte leise den Zenga Zenga Song an. Mila stand vor ihm, einen Stock im Maul. Sie kämpften um den Stock, er gewann, warf ihn, sie rannte los, kehrte nicht zurück. Sie bäumte sich auf, und Aras sah, wie sie sich bereit machte, einen weiteren Haufen in die Welt zu setzen. Er lief zu ihr, holte einen kleinen, schwarzen Plastikbeutel aus seiner Tasche, griff nach ihrem Haufen, umschloss ihn, warm, weich, machte einen Knoten und warf den Beutel in einen nahestehenden Mülleimer. Er ließ die Schultern hängen, hob den Stock vom Boden und warf ihn Richtung Rückkehr. Mila blieb stehen, sie war leichtgläubig, aber nicht dumm. Aras strich sich mit der Hand durch die Haare, seufzte, übergab sich dem Schicksal und warf den Stock noch ein paarmal. Dann versuchte er sein Glück Richtung Zuhause. Das Glück war diesmal auf seiner Seite. Sie traten den Rückweg an.

Es musste schnell gehen. Hundefutter, Zähneputzen, umziehen, Laptop, Bücher, Karteikarten einpacken und dann auf, auf zum Kampf! Zum Kampf sind wir geboren. Der Kampf, die Prüfungen. Es ging in die Universitätsbibliothek. Er hatte das erste Semester überstanden, nun hieß es: Hausarbeit in Strafrecht Allgemeiner Teil. Ein kurzer Stopp an der Cafeteria, wo er sich einen zweiten Kaffee einschenkte. An der Kasse, eine etwas ältere Frau, schwarze Locken, auf dem an ihrer Brust gehefteten Schildchen stand »Frau Sabouni«, er lächelte sie an, fragte: »Min Halab?« – »Nein, mein Lieber. Aus Homs.« – »Seit wann arbeiten Sie hier?« – »Ich übernehme eine Schicht für eine Kollegin. Normalerweise arbeite ich in der Küche.« – »Und Sie haben es nicht geschafft, ihnen das Kochen beizubringen.« Sie lachte. »Darf ich Ihnen einen Witz erzählen?« Sie nickte. »Steht ein Homsi in der Wüste mit einer Autotür. Warum?« – »Verraten Sie es mir.« – »Wenn es ihm zu heiß wird, dann kann er das Fenster runterlassen.« Sie lächelte. »Den kannten Sie schon?« Sie nickte. Jemand stellte sich mit einem Tablett zu ihnen. »Wie heißt du, mein Junge?« – »Aras.« – »Das ist ein schöner Name!« Er reichte ihr seine Mensakarte zum Zahlen, nickte, lächelte mit leicht zusammengepressten Lippen, fast schüchtern, was er immer tat, weil ihm sein Name eher wie ein Denkmal vorkam.

Als seine Mutter, Nadia, mit ihm schwanger war, wohnten sie im Haus ihrer Schwiegermutter, in einer kleinen Stadt im Norden des Landes, einer Gegend, die die Insel genannt wurde, Al-Jazira. Was die Wüste zu einer Insel machte, war der Euphrat. Diese kleine Stadt, in der sie waren, wurde in Folge der Anfal-Operation, eine Antwort auf die Unabhängigkeitsbestrebungen irakischer Kurden, zum Zwischenstopp auf dem Weg nach Damaskus, wo all jene bei einer Botschaft vorsprachen, die die Hoffnung auf ein besseres Leben hatten, nicht mit den Toten begraben werden wollten. Ihre Schwiegermutter nahm zwei irakische Kurden, die sie auf der Straße getroffen hatte, bei sich auf. Zwei Brüder, eigentlich drei, einer war zuvor im Kampf gefallen. Ihr Viertel war von Saddams Schergen heimgesucht worden, die drei Brüder hatten sich einer kommunistischen Kampfeinheit angeschlossen. In einen Hinterhalt gelockt, gab es nur noch Angriff als Rettung. Der jüngste Bruder, ein guter Schütze, hatte ihnen den Weg freigeschossen, wurde dabei aber selbst zum Opfer. Betrübt über das Schicksal seines verstorbenen Bruders, erzählte der Älteste beim Abendessen die Legende von Arash, dem Namensvetter seines jüngsten Bruders:

»In einem Krieg vor lang vergangenen Tagen, ein Krieg der länger währte als Jahre, dessen Sieg sich sicher war der König von Turan, Afrasiab. Seine Armee stand vor den Bergen von Alborz. Ein Pfeil, geschossen vom höchsten Berg, würde Frieden und Grenze besiegeln. Die Perser, in Unruhe gestürzt, der Niederlage anheimgefallen, aus ihrer Mitte trat der Bogenschütze Arash. Er sprach zu den Menschen: In meinem Herzen trage ich die Hoffnung und in meinen Armen den Stolz. Er sprach zum Himmel: Ahora Mazada, deine Winde sollen meine Zeugen sein. Zum Pfeil gewandt: Meine Seele sei deine Flügel.

Er bestieg den höchsten Berg Damavand. Mit den ersten Sonnenstrahlen gelangte er an dessen Spitze. Leise flüsterte er zum Tod: Mein Leib sei dein Preis. Nahm einen Pfeil aus dem Köcher, setzte zum letzten Schuss an, ein Schuss, und sein Körper sank leblos nieder. Der Wind trug den Pfeil einen Tagesritt bis an den Fluss Oxus, dort fanden ihn die Reiter in einem Walnussbaum. Ein Regen wusch Arashs Körper fort, und niemand fand ihn jemals dort wieder.«

Eigentlich wollten Aras’ Eltern ihn nach einem berühmten kurdischen Regisseur benennen, Yilmaz. Diesem Namen hing eine ebenso interessante wie verworrene Geschichte an, auch er war bereits vor Aras’ Geburt gestorben. Aber als der älteste Bruder aufgehört hatte zu erzählen, sprach Aras’ Vater: »Euer Bruder mag gefallen sein, das Kind im Bauch meiner Frau wird aber mit seinem Namen weiterleben.« Aras mochte seine Namensgeschichte. Wenn er danach gefragt wurde, dann erzählte er sie gern, aber er war froh, dass seine Eltern ihn nicht Arash genannt hatten, denn die Integration wäre sicher schwieriger verlaufen, wenn ihn alle, wenn auch nur spaßeshalber, Arsch genannt hätten.

Er kippte den Kaffee runter, warf den Becher in den nächstgelegenen Mülleimer, packte seine Tasche in einen Spind, mit dem Laptop, den Büchern bewaffnet betrat er die Universitätsbibliothek. Stille, unerträgliche Stille, jede Bewegung war ein Laut zu viel, nur hier konnte Stille eine derartig lähmende Funktion erfüllen. Leise ging er an den Bücherregalen entlang auf der Suche nach einem freien Platz. Er fand ihn, ein Fenster war sogar in der Nähe. Er klappte seinen Laptop auf, drückte direkt auf die Lautlos-Taste, E-Mails beantworten. Das nächste Plenum musste vorbereitet werden. Er fing an zu tippen, Tagesordnungspunkte, Aktuelle Halbe Stunde, Bildungsstreik, er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Landesvollversammlung, Bündnistreffen zum 1. Mai, Pfingstcamp-Mobi, Soli-Party, Sonstiges. Für die Aktuelle Halbe Stunde hatte er einen Artikel über Gaddafi rausgesucht, den er in der Mail anhängte und abschickte. Gerade als Aras nach seinen Karteikarten über Strafrecht Allgemeiner Teil greifen wollte, vibrierte das Telefon in seiner Tasche. Jan schrieb ihm, fragte, wo er sei. »Zwischen Fe und Gi, BGB«, schrieb Aras zurück. Ein paar Minuten später saß er neben ihm. Jan, das blonde Haar fein säuberlich zerzaust, ein schwarzes T-Shirt und Shorts. »Ist das dein Ernst?«, Aras deutete auf die Shorts. Jan zuckte mit den Achseln. »Für wen ist die Soli-Party?«, flüsterte er. »Ferzad.« – »Was ist passiert?« – »Dublin, Geld für den Anwalt.« Jan nickte kurz, fragte: »Was müssen wir für die Soli-Party eigentlich vorbereiten?« – »Soundanlage wäre nicht schlecht.« – »Asta?« – »Wäre eine Option. Dachte eigentlich an die Ver.di Jugend.« – »Was noch?« Aras wollte nicht abweisend sein, doch kämpfte sich schließlich zu einer klaren Antwort durch, um das Gespräch zu beenden: »Meine Hausarbeit« – »Du hast doch vor Wochen angefangen.« – »Schreibt sich trotzdem nicht von selbst«, jammerte er, suchte nach seinen Notizen zur Strafrechtsvorlesung, die Karteikarten legte er zur Seite.

Aras hatte Jan eine Woche, bevor das erste Semester begonnen hatte, kennengelernt. Er war einer Facebook-Gruppe für Erstsemester Jura seiner Universität beigetreten, worauf er einige Tage später eine Nachricht von Jan bekommen hatte, ob er denn nicht Lust oder Zeit hätte sich zu treffen. Aras hatte Jans Profil angeschaut und erfahren, dass Jan aus einem kleinen Dorf kam, den Partybildern mit der freiwilligen Feuerwehr und auf dem Schützenfest entnommen. Dass Jan in Algerien Urlaub mit seiner Freundin gemacht hatte, er lächelte auf den Fotos sympathisch, zumindest nicht gestellt. Ein Post mit dem Witz »Iiiih, jetzt bin ich in Scheiße getreten« und einem Bild der NPD an einer Schuhsohle klebend verfestigte den Eindruck, dass Jan vielleicht nicht der typische Jurastudent war, den Aras an seiner Universität erwartete, und so stimmte er einem Treffen zu. Wie sollte es anders sein, um ein Bier zu trinken. In einem Irish Pub, das schien der sicherste Weg, um den Eindruck zu vermitteln, ein wenig abseits des Mainstreams zu stehen, aber nicht genau zu verraten, wie weit im Abseits. Sie bestellten sich Guinness, Aras ein Stout, Jan auch. Ihnen wurde ein Zettel ausgeteilt, ein Pubquiz war für diesen Abend angesetzt, Aras wollte eigentlich laut seufzen, denn Pubquizze, das war einfach nicht so sein Ding, wie er es sagen würde. Ihm fehlte das popkulturelle Wissen, auch waren ihm die meisten Kinderhelden nicht bekannt oder die entsprechenden Fernsehshows, denn für derlei fehlten ihm die mittelständischen deutschen Eltern, die, so stellte er es sich immer vor, ihm Kindergeschichten vorgelesen hätten oder ein riesiges CD- und/oder Vinyl-Regal gehabt hätten, zu jedem Album eine Erinnerung parat, mit denen er jedes Wochenende Tatort oder Wetten, dass..? geguckt hätte. Er hatte keine mittelständischen deutschen Eltern, und Jan zeigte genauso wenig Begeisterung neben ihm, vielleicht, hatte sich Aras in dem Moment gedacht, war dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, vielleicht, weshalb er seinen Seufzer unterdrückte.

Es war eine recht kleine Bar gewesen, und so saßen nur vier andere Grüppchen um sie herum, die Konkurrenz war überschaubar. Auf die ersten Fragen hatten sie keine Antwort, zum Beispiel wie das baden-württembergische Derby VfB Stuttgart gegen 1899 Hoffenheim geendet habe oder Gebäude, die sie anhand von Bildern erkennen sollten. Dafür erkannte Aras die Zeilen aus einem Brecht-Gedicht, er erriet die jordanische Flagge, dies führte zur unausweichlichen Frage, ob Aras aus Jordanien käme. »Aus Syrien« – »Seit wann lebst du hier?« – »Seit fast elf Jahren.« – »Warst du noch mal da?« – »Ja, letzten Sommer.«

Die nächste Frage unterbrach ihre Unterhaltung, der zweithöchste Berg Deutschlands, den Jan kannte, der Hochwanner, den Jan im Sommer bestiegen hatte. So ging es einige Fragen weiter, und Aras gestand sich ein, dass ein Pubquiz für diesen Anlass vielleicht doch ganz passend war, um sich kennenzulernen, und am Ende mussten beide feststellen, dass der Sieg ihnen nur knapp entronnen war. Dem gemeinsamen Ärger folgten noch ein paar Biere, und so spielte sich der Auftakt dieser Freundschaft bis zur letzten Runde ab: Ihre Gemeinsamkeiten reichten bis zum Berufswunsch, beide würden sich in Arbeits- und Sozialrecht spezialisieren wollen, wobei Jan noch Asylrecht im Kopf schwebte, was für Aras ein unausweichliches Schicksal schien.

Ein unausweichliches Schicksal war auch die näher rückende Abgabefrist seiner ersten Hausarbeit. Sein Professor hatte ihm einen Fall ausgehändigt, den es zu bearbeiten galt: Tatkomplex – Mord an P1. Y hatte während einer Polizeikontrolle das Feuer eröffnet, dabei P1 getötet, seinen Partner Z verletzt. Y und Z arbeiteten im Auftrag von X. Aras sollte den Ausgang des Verfahrens skizzieren. Diese Lösungsskizze hatte er vor Wochen fertiggestellt. Er hatte sich durch Skripte gearbeitet, er war auf der sogenannten Idiotenwiese, dem Stichwortverzeichnis am Schluss von Gesetzestexten. Dieses Verzeichnis sollte ihn zu den richtigen Kommentaren für seinen Sachverhalt führen. Er hatte die verschiedenen Schemata für ähnliche Fälle studiert und sich durch einige Theorien gelesen, um am Ende die besagte Lösungsskizze zu erstellen, die es nun wiederum im Gutachtenstil schriftlich zu erfassen galt. Die Hälfte war bereits geschafft, dabei war Aras in eine Krise geraten, weil er sich seiner Argumentation nicht mehr sicher war und auf die, das hatten die Dozenten immer wieder betont, käme es schließlich an, denn der Weg, hatten sie immer wieder gesagt, sei das Ziel.

Das erste Semester war in vielerlei Hinsicht eine Offenbarung. Die Dozent_innen überhäuften die Studierenden mit Anekdoten aus dem Alltag, es schien fast, als wäre das Jurastudium für das tagtägliche Leben gemacht. Würde Aras beim Bäcker auf ein Brötchen zeigen und fragen, wie viel es koste, der Bäcker aus Versehen einen anderen Preis nennen als jenen auf dem Schild, so könnte Aras sich auf den mündlich geäußerten Preis berufen. Würde Aras mit seiner zukünftigen Tochter durch einen Supermarkt gehen und sie, während er telefonierte, auf einem Salatblatt ausrutschen, sich verletzen, dann könnte er den Supermarkt verklagen. Er würde aber, weil auch er fahrlässig gehandelt hatte, nämlich seine Aufsichtspflicht gegenüber seiner Tochter durch die Unachtsamkeit während des Telefonierens missachtet hatte, nur einen gekürzten Schadensersatz erhalten. Und während Aras Treppen hochlief, auf die Straßenbahn wartete oder Schilder betrachtete, fielen ihm diese Anekdoten ein, während er mit Freund_innen ausging oder von Türstehern abgewiesen wurde, dachte er darüber nach, wie sich das Recht, denn so schien es, fortschrieb, um für jedes erdenkliche Handeln Vorkehrungen zu treffen, im Falle seines Bruchs.

Mit seiner Argumentation konnte Aras nicht so recht fortfahren, vereinbarte aber mit sich selbst, sie auf einem Blatt Papier aufzuschreiben, denn der Weg würde zumindest irgendwann schließlich doch zum Ziel führen müssen, so hoffte er. Er gab sich eine Stunde Mühe, las noch mal ein paar Kommentare, besorgt, vielleicht hatte er ein Detail übersehen, aber er kam zum gleichen Ergebnis, wie seine Lösungsskizze es vorhergesehen hatte. Er fing an, sie in den Gutachtenstil zu überführen. Er schrieb: »Fraglich ist, ob X bezüglich der Haupttat vorsätzlich gehandelt hat. Ein Exzess des Haupttäters kommt hier in Frage. Der Exzess liegt vor, wenn der Haupttäter Tatbestandsmerkmale verwirklicht, die sich mit dem Rat des Anstifters nicht decken. Ob dies der Fall ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Je weniger die Tat konkretisiert ist, desto mehr könnte die Tat vom Anstiftervorsatz gedeckt sein. X hat Y und Z angewiesen, bei Polizeikontrollen sofort auf Polizisten zu schießen. Dass Y und Z aus dem Auto gesprungen sind und Y auf P1 geschossen hat, ist eine unwesentliche Abweichung. Genauso ist der Tod des P1 eine unwesentliche Abweichung von der Anweisung des X, weil davon ausgegangen werden kann, dass Menschen durch Pistolenschüsse verletzt und möglicherweise getötet werden. Ein Exzess liegt hiermit nicht vor. Indem er Y und Z angewiesen hat, bei Polizeikontrollen auf Polizisten zu schießen, hat sich X auch damit abgefunden, dass diese möglicherweise getötet werden. Ein Eventualvorsatz kann hier bejaht werden. X hat bezüglich der Haupttat vorsätzlich gehandelt.«

Aras’ Herz klopfte etwas schneller, er bemerkte seine Erregung, erfreut über diese Logik, die aus ihm hervorquoll, schrieb er einen weiteren Absatz, und noch einen, dachte dabei, wenn ein Diktator den Streitkräften erlaubte zu schießen, dann nahm er den Tod von Menschen in Kauf, was eine Straftat war. Er wusste, dass Gesetze Unrecht zu Recht machen konnten, das war ihm bewusst, aber diesen verkomplizierenden Gedanken schob er zur Seite, denn diese Verantwortung lag im Bereich der Politik.

»Das Gesetz ist nur so gut, wie die Menschen, die es schreiben«, hatte ihr Professor für Rechtsgeschichte die erste Vorlesung begonnen, »und diejenigen, die es auslegen«, hinzugefügt, dabei blickte er wissend durch die Reihen der Erstsemester. Es folgte, wie es bisher in jedem Fach üblich war, eine Begründung, weshalb nun dieses Fach und kein anderes wichtig, besonders wichtig für das Jurastudium wäre. Der Professor der Rechtsgeschichte musste jedoch gestehen, dass sein Fach im Gegensatz zu anderen Fächern wie Strafrecht AT, BGB AT, Deliktsrecht und Staatsorganisationsrecht in besondere Erklärungsnot geraten sei, weil es ein geschichtswissenschaftliches Fach, ja, von dem flächendeckenden Wissen, was ihnen bis zum ersten Staatsexamen vermittelt werden würde, tatsächlich den geringsten Praxisbezug besäße. Aber, und hier horchte Aras auf, hier ginge es um die Fehlbarkeit eines jeden Juristen, um den Unterschied von Recht und Moral, denn Rechtsgeschichte und Rechtsbewusstsein seien untrennbar. Seine Aufgabe sei es, sie davor zu bewahren, zu Mördern in Robe zu werden, wie es viele Juristen während der NS-Zeit wurden, schloss der Professor seinen Vortrag ab.

Aras war nicht der Illusion verfallen, dass das Jurastudium ihn bemächtigen würde, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Für ihn diente das Gesetz der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung, und er wusste, dass diese Ordnung jene am meisten zu spüren bekamen, die in den Augen des Staates nicht entsprechend funktionierten, Arbeitslose und Ausländer. Weil sie nicht der Norm entsprachen, sah es der Staat als seine Pflicht an, in ihr Leben einzugreifen, ihr Leben zu regeln. Das Jobcenter kann einen dazu verpflichten, Maßnahmen zu besuchen, Bewerbungen zu schreiben, und die Ausländerbehörde einen daran hindern, umzuziehen oder, in Duldungsfällen, gar zu arbeiten, Einschnitte in das Recht auf Persönlichkeitsentfaltung, wie Aras fand. Aber wer in den Augen des Staates nicht Bürger genug war, der hatte auch weder Persönlichkeit noch das Recht, sich nach seinen Wünschen zu entfalten. Den Ausländer:innen und Arbeitslosen würden sich im Laufe der kommenden Jahre in Aras’ Verständnis die Illegalen und Obdachlosen anschließen, während Ausländer und Arbeitslose noch Platz im Gesetz fanden, waren Obdachlose und Illegale aus dem Recht ausgeschlossen. Sie existierten nur, wenn sie durch das Verbrechen sich das Recht wieder herstellten. Nur das Verbrechen berechtigte sie zum Beispiel zu einer Unterkunft, auch wenn es nur eine Zelle war, zu Nahrung, auch wenn es nur das Gefängnisessen war. Nur das Verbrechen erwarb ihnen das Recht eines Beistandes, eines Anwalts. Alles andere waren Almosen.

Der Grund, weshalb Aras Jura studieren wollte, war, um zu erfahren, wie sich das Gesetz für seine Zwecke am besten auslegen ließe. Denn auch, wenn dieses System ungerecht war und seine Gesetze ebenso, waren Gesetze lückenhaft, und diese Lücken zu kennen, das wusste Aras, konnte das Leben erheblich erleichtern. Die Lücken kennen, diese Fähigkeit hatte seine Mutter in den Jahren ihres Studiums an der Universität der Hohen Künste in Damaskus perfektioniert. Kunstgeschichte, so schwor sie, bestand sie nur, weil sie alle wichtigen Daten auf ihren laminierten Studentenausweis mit Bleistift geschrieben hatte. Während der Prüfung lag ihr Ausweis, ein wenig mitgenommen sah er aus, auf ihrem Tisch. Das Wissen eines Semesters trug ihr Ausweis, und niemand hatte es bemerkte. Sie bestand die Prüfung. Sie war listig, prahlte mit ihrer List, und Aras hoffte, etwas von dieser List geerbt zu haben. Später würde Aras jedoch verstehen lernen, dass es nicht nur die Lücke war, nach der er suchte, sondern die Ausnahme. Denn für die Unterdrückten, so würde er in einigen Jahren verstehen, ist die Ausnahme die Regel und die Revolution lediglich die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustandes. Deutschland war eines der wenigen Länder, welches sich die Herbeiführung eines solchen Ausnahmezustandes in die Verfassung hatte schreiben lassen, eine Verfassung, die sich selbst vor der Diktatur zu schützen sucht: Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung, die demokratische, zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich wäre. Wie dies jedoch im konkreten Fall aussehen würde, wenn tatsächlich ein repressives Regime die Macht ergreifen würde, das blieb ungeklärt, wie sollte sich jemand auf dieses Gesetz berufen, wenn der Richter vor ihm das Recht auf Widerstand als Verrat auslegte.

Seine Gedanken stockten ein wenig, die Sätze nahmen mehr Zeit in Anspruch. Der Schreibfluss, in den er gekommen war, versiegte. Er griff nach den Karteikarten, wiederholte, was er in Strafrecht Allgemeiner Teil gelernt hatte, eine halbe Stunde noch, dachte Aras. »Mensa?«, kam es von links. »Mensa!«, die Erlösung. Jan und Aras, jeweils mit einem Teller Spaghetti Bolognese, setzten sich auf die Wiese vor der Mensa, um zumindest ein wenig frische Luft einzuatmen. An drei Tagen in der Woche aßen sie Nudeln mit einer anderen Soße für zwei Euro den Teller. Am vierten und fünften Tag genossen sie dafür Pizza oder einen Hamburger zur Abwechslung. Teuer war das Jurastudium bisher nicht, nur die Bücher. Ein erfolgreicher Lerntag, das hatten sie mittlerweile begriffen, stand und fiel mit dem Essen, von den Snacks ganz zu schweigen.

Die Mittagssonne hatte die grauen Wolken nicht vertrieben, immer noch kühl, und Aras wunderte sich, war ein wenig beeindruckt, dass Jan nicht einmal eine Jacke mit nach draußen genommen hatte, keine Gänsehaut. In den elf Jahren, die Aras schon in Deutschland lebte, fragte er sich Jahr um Jahr, ob er sich an die Kälte gewöhnen würde. Es gab Jahre, da glaubte er, es geschafft zu haben, aber an Tagen wie diesen war er sich nicht mehr sicher. »Wie machst du das?«, fragte er Jan. »Meine Eltern haben mich in einen Waldkindergarten gesteckt. Nur wenn es gestürmt hat, haben wir drinnen gespielt. Das härtet ab.« Aras musste an seine Kindergartenzeit denken, in einem verwinkelten arabischen Haus, Jasminsträucher in den Ecken, im Hof spielten sie, in den Zimmern saßen sie im Kreis und sangen englische Kinderlieder, für den Fall, dass die Eltern das Arbeitsvisum nach Kanada oder Neuseeland bekommen sollten. Vielleicht hätten sie ihn doch als Vorbereitung besser vor einen Kühlschrank setzen sollen, dachte Aras.

»Wann, glaubst du, geht es in Syrien los?«, fragte Jan und aß den letzten Bissen. Aras holte aus und erklärte, dass die Situation in Syrien eine andere sei, es gab keine Opposition wie in Ägypten, die seit Jahren schon die politische Vorarbeit geleistet hatte, wie die Streiks, die der Besetzung des Tahrir-Platzes vorangegangen waren, auch gab es in Syrien nicht das Erdöl, wie in Libyen, welches das Interesse der Weltmächte wecken könnte. Er folge auf Facebook syrischen Freunden, seinen Verwandten, aber niemand schien ein Wort über die Ereignisse in Ägypten oder Tunesien zu verlieren, verständlich, und er könnte auch nicht nachfragen.

Jan drehte zwei Zigaretten, reichte eine Aras. Nadia rief an, ihre Gespräche verliefen meist nach dem gleichen Prinzip. Erst fragte sie nach Aras’ Befinden, was er tat, dann fragte Aras, was sie tat. Sie fragte ihn, ob er Obst eingepackt habe oder Möhren, das sei gut für die Augen, er habe ja schlechte Augen, dann bat sie ihn meistens um etwas. Diesmal eine Übersetzung für eine Ausstellung in einem Freizeitheim mit Anisa und Farha, weniger als eine halbe Seite, sie könne sich doch nur auf ihn verlassen, ob sie seine Schwester gefragt hätte, die könne nicht, Klausuren. »Bis wann?«, fragte Nadia. »Ich weiß nicht, Wochenende?«, sagte Aras ungeduldig, darauf bedacht, den Rauch leise auszuatmen. »Kannst du das nicht heute machen?« – »Ja, ok. Wenn ich bei dir bin.« – »Was willst du essen?« – »Ich weiß nicht.« – »Ma’loubeh, das magst du doch gern.«

Sie beendeten ihre Pause, gaben sich dem Lernen hin, zwischendurch eine Zigarettenpause. Aras schrieb noch eine Seite für seine Hausarbeit, las noch einige Kommentare, um ganz sicherzugehen, dass er mit seiner Argumentation nicht falsch lag, fügte hier und da noch ein paar erklärende Sätze ein. Er würde sich an diese Hausarbeit erinnern. Nicht nur weil er in zwei Monaten würde feststellen müssen, dass seine Note nicht für ein »Bestanden« ausreichte, er also die ganze Arbeit wiederholen müsste, sondern auch weil er in diesen Monaten viel über das praktische Gesetz lernte, dass es eben nicht allgemeingültig war, sondern nur da war, wenn es von Menschen lebendig gemacht wurde, wo kein Kläger, da kein Angeklagter, war die einfachste aller Regeln. Irgendwann erhielt Aras eine Nachricht von Rhea, die ihn fragte, wann er nach Hause käme. Er antwortete, sie könnten sich direkt bei seiner Mutter treffen, und so packte er seine Sachen, verabschiedete sich von Jan, der später gekommen war und daher auch länger blieb.

Die Straßenbahn wartete an der Haltestelle auf Aras, er stieg ein. Ihm gegenüber saß ein älterer Herr, ein kariertes Hemd schaute unter dem Pullover hervor, eine beige Weste rundete den Oberkörper ab, gepaart mit einer hellblauen Jeans. Seine Frau in einem beigen Trenchcoat saß daneben, das Gesicht hinter der Stadtzeitung versteckt. Der Mann blickte aus dem Fenster, Aras tat es ihm gleich. Als die Fenster keine bessere Aussicht boten als vorbeiziehende Häuser, Autos und Menschen, griff Aras nach seinem iPhone, beantwortete ein paar SMS, warf einen Blick auf die Nachrichten, er war gerne informiert. Manchmal las er auch Artikel rechter Zeitungen, einfach nur um zu wissen, was Neonazis in Deutschland durch den Kopf ging, nur noch selten verirrte er sich auch auf rechtsextremen Seiten wie Altermedia. Eine Zeitlang hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, in den Kommentarspalten für Diskussionen zu sorgen, indem er esoterische Theorien in den Raum stellte, zum Beispiel über die unterschiedlichen Energiefrequenzen der Völker, wobei sich dadurch natürlicherweise Völker anzogen und andere abstießen. Manchmal flog der Schwindel auf, manchmal entbrannten Diskussionen, die sich wochenlang verfolgen ließen, Aras hoffte, damit einigen Nazis die Nerven zu rauben. Doch das zeitaufwendige Studium zwang ihn zur Einstellung dieses Hobbys.

Eine Frau mit Kopftuch stieg ein, sie telefonierte, ihr Handy steckte im Kopftuch, in ihren Händen zwei Plastiktüten von Saray Market, hinter ihr zwei Frauen mit Kinderwägen, sie unterhielten sich etwas lauter, als es Menschen gewöhnlich in einer Straßenbahn taten. Die eine Mutter erzählte, dass sie im Babygeschäft den teuersten Schnuller gekauft hatte, einen, der die Zahnentwicklung fördere, ihr Sohn habe sich dann aber für den billigen von Rossmann entschieden, den teureren hätte er immer auf den Boden geschmissen. Sie besprachen, welche der bei Stiftung Warentest präsentierten Milchpumpen am geeignetsten seien, wobei sie sich sicher waren, dass der Testsieger viel zu kostspielig wäre und beide sich für die zweitbeste Variante entschieden hätten.

Aras war froh darüber, dass er sich damit nicht beschäftigen musste. Rhea und er waren sich einig, ein Kind in diese Welt zu setzen, es wäre fahrlässig, abgesehen von der Arbeit, die ein solches Kind machte. Bei seinem Besuch in Syrien wurde er von seinen Verwandten mehrfach gefragt, wann Rhea und er heiraten würden, wann sie ein Kind bekämen, aber Aras wich diesen Fragen aus, mit einem Witz, einem Kompliment über die Kinder des Gegenübers, dann ein Themenwechsel, in dieser Reihenfolge, anschließend folgte immer der gleiche Kommentar seines Gegenübers: Er sei noch jung, er habe noch Zeit. Er war sich sicher, dass die Fragen mit den Jahren zunehmen würden, aber für die nächsten acht Jahre hatte er sein Studium als Ausrede, mindestens.

Die Straßenbahn hielt an einem Hochbahnsteig. Aras stieg aus, überquerte die Hauptstraße. Das Viertel, in dem seine Mutter wohnte, ließ sich durch die zwei Hauptstraßen, die sich zu einer Art Dreiecksspitze trafen, gut unterteilen, wobei sie so auch die sozioökonomische Verteilung des Viertels widerspiegelten. Hinter ihm lag nun jener Teil, der mit prachtvollen Villen am Rande eines Parks reichlich Platz für die Reichen dieser Stadt bot. Vor ihm die Reihenhäuser, erbaut während des zwanzigsten Jahrhunderts, der Versuch, der Stadtflucht des Mittelstandes Einhalt zu gebieten, zwischenzeitlich von britischen Soldaten bewohnt. Die langen Straßen, unsauber geteert, waren von Eichen umsäumt, ein historischer Charme. Hier lag seine ehemalige Schule. Er kam an einer Wiese vorbei, durch die zahlreiche Schülerinnen und Schüler auf dem Weg von der Straßenbahn zur Schule einen Pfad getrampelt hatten.

Ihm war erst in seinem letzten Schuljahr deutlich vor Augen geführt worden, wie sich das Einkommen der Bewohner*innen des Viertels in der Architektur widerspiegelte, als eine Mitschülerin ihre Facharbeit über die demographische Zusammensetzung jenes Viertels vorstellte. Dabei fiel ihm noch ein weiterer Zustand auf, diese, seine Stadt, in der er lebte, aufgewachsen war, sie war so durchschnittlich, wie eine Stadt nur sein konnte, in jeder Hinsicht. Durchschnittlich, was die Anzahl an Rentnern betraf, die Anzahl an Singlehaushalten, ja, sogar die Anzahl an Menschen mit Migrationshintergrund. Trotz ihres Durchschnitts oder gerade deswegen, vielleicht auch unabhängig davon, diese Stadt war sein Zuhause. Aras war kein Mensch, der das Außergewöhnliche begehrte, im Gegenteil, er bekannte sich zum Mittelmaß. Er wollte ein normales, glückliches Leben führen.

Aber Aras wurde immer wieder deutlich gemacht, dass er nicht der Norm entsprach. Schon während seiner Schulzeit waren die Lehrer immer wieder erstaunt, wie schnell er Deutsch gelernt hatte, dass seine Noten so gut waren, dass er eine Klasse übersprang, dass er politisch aktiv war, dass er statt Werte und Normen den Religionsunterricht wählte, nicht einmal evangelisch, wie die meisten, sondern katholisch, er ruderte und nahm regelmäßig an Rennen teil. Damals fragte er sich noch, ob er wirklich überdurchschnittlich begabt war oder ob einfach nur im Vergleich zu seinen Mitschülern, von denen man derlei erwartete oder auch nicht, die meisten erwarteten Aras einfach nicht. Diese Frage gab er irgendwann auf, er gewöhnte sich an diese merkwürdige Position, bevorzugt gegenüber seinesgleichen, er sei nicht wie die anderen Ausländer, aber benachteiligt gegenüber der Mehrheit, denn er war immer noch einer.

Er wusste nicht, wie sich dieser Widerspruch überwinden ließ. Es kam ihm manchmal so vor wie ein Spiel. Es hatte gedauert, aber mit der Zeit hatte er gelernt, das Spiel zu spielen. Dieses Spiel bestand aus Bild und Gegenbild. Weil die meisten ein Bild von ihm hatten, war das Gegenbild, das er ihnen präsentierte, der Grund für ihr Erstaunen. Aras wusste, welche Aussage über sich selbst, welches Wort er zum Einsatz bringen musste, damit sich das eine Bild in sein Gegenbild verwandelte. Er wusste aber auch, dass er nie gefragt wurde, ob er das Spiel spielen wollte, und vielleicht erwartete niemand, dass er es spielen konnte. Er wusste aber, dass dieses Spiel sein Leben bestimmte.

Ein letzter Blick blieb an seiner ehemaligen Schule hängen, ein Spielplatz zur Linken, wo er mit seinen Schulfreunden den ein oder anderen Böller hatte explodieren lassen, das ein oder andere Bier getrunken, den ein oder anderen Joint geraucht hatte. Durch den Tunnel kam er zum letzten Teil dieses Stadtviertels, mit zahlreichen Wohngebäuden, gebaut für all jene, die sich zwischen unterer Mittel- und oberer Unterschicht bewegten. Er bog zweimal nach links, das alte Grau, welches sich seit den Sechzigern in die Wände der Wohngebäude eingenistet hatte, war vor zwei Jahren einem dunkel Rot für die Fensterrahmen und einem hellen Ocker-Farbton für die Fassade gewichen, die Vermieter hatten sich für einen neuen Anstrich entschieden.

Er klingelte, hörte sogleich Mila bellen. Lamia öffnete ihm die Tür, er umarmte sie, gab ihr dabei einen Wangenkuss, trat ein, sie ging ins Wohnzimmer. Er hörte sie laut rufen: »Er ist da.« Mila an seinem Bein, sprang an seinem Bein hoch, er schüttelte sie ab. Aras zog seine Schuhe aus, nahm sich Hausschuhe aus dem Schrank. Aus der Küche hörte er eine laute, etwas schrille Männerstimme. Nadia hatte die Gewohnheit, beim Kochen Nachrichten zu hören, dabei stritten sich meist Männer in Hocharabisch über das politische Geschehen in der Region, sie sprachen schnell, schnitten die Sätze des anderen ab, ihre Worte waren scherengleich, entschieden, scharf. Aras öffnete die Tür, ging auf seine Mutter zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange: »Das Essen ist gleich fertig. Ich muss nur noch den Topf umdrehen. Kannst du Joghurt aus dem Kühlschrank rausholen?« – »Was gibt’s Neues?« – »Ach, du weißt schon, Protest hier, Protest da. Es gab wohl eine kleine Demonstration in Damaskus.« – »Wirklich?« – »Ja, aber keine Nachrichten. Ein Freund hat mir geschrieben. Nur ein paar Kommunisten, wurde wieder aufgelöst.« – »Es kommt sicher noch.« – »Ich wurde nicht mit Geduld gesegnet, mein Sohn«, antwortete Nadia. Rhea stand an der Küchentür: »Da bist du endlich!« Aras gab ihr einen Kuss. »Weiß sie, was es heute geben wird?«, fragte seine Mutter. »Nein. Ich glaube nicht«, antwortete Aras. »Ich habe es ihr schon erklärt«, antwortete Lamia aus dem Wohnzimmer. Rhea schaute ihn fragend an, er übersetzte, nahm dabei Teller und Löffel aus Schrank und Schublade. »Kannst du den Joghurt aus dem Kühlschrank holen?« Seine Mutter gab Rhea eine Schüssel, sie füllte Joghurt in die Schüssel. »Bring ihr Hausschuhe, Aras. Sie kriegt noch ganz kalte Füße.« Lamia kam um die Ecke, Hausschuhe in der Hand. »Hier«, sie landeten vor Rheas Füßen. Sie gingen ins Wohnzimmer.

Ein großes Ecksofa, in verschiedenen Rottönen, nahm den Großteil des Wohnzimmers ein, die Wände mit vier oder fünf zusammenlaufenden Linien in eben diesen Farben verziert, ein weißes Sideboard mit einem großen Fernseher, überall hingen Bilder von ihrer Familie. Sie zeigten sie im Türkei-Urlaub vor vier Jahren, wo sie Nadias Familie zum ersten Mal nach ihrer Flucht trafen. Da war ein Bild von Opa und Oma, ein Foto, wo sie sich alle auf seinen Onkel geworfen hatten, sein Lachen, schmerzverzerrt vom Gewicht der Kinder. Auf einem anderen Foto war Aras vor einem Wasserfall zu sehen, eins zeigte Lamia mit einem weißen Kaninchen, das sie mitnehmen wollte, aber natürlich nicht durfte, Tiergesundheitsgesetz. Hier und da, im Zimmer verteilt, waren eine blaue Vase mit Plastikblumen, auf einem kleinen Nachttisch ein Drucker, ein Massagegerät mit Vibrationsbändern, mitten im Zimmer ein großer Wohnzimmertisch aus Marmor, an dem sie aßen, wenn die Anzahl der Gäste die Küche sprengte. Mila tapste unter dem Tisch zwischen den Menschenbeinen umher in der Hoffnung, dass jemand etwas Aufmerksamkeit auf sie herabfallen lassen würde.

Nadia legte einen großen flachen Teller über den Topf, griff nach den Henkeln, zählte bis drei, und in einem Schwung drehte sie den Topf auf den Kopf. Den Teller setzte sie auf dem Wohnzimmertisch ab, klopfte ein paarmal gegen den Topfboden, dann, ganz langsam, langsam hob sie den Topf hoch, Dampf stieg empor, gab Auberginenscheiben preis, die die Form des Topfes angenommen hatten, wie ein Kuchen sah es aus. Sie kratzte den Topfboden aus, garnierte das Gericht mit allerlei gebratenen Nüssen, jeder bekam eine große Portion, sie aßen. Im Fernsehen lief eine Scripted-Reality-Sendung, seine Mutter fragte ihn, wie sein Tag gewesen sei, Lamia sprach über die Schule, sie hätten heute über Sarrazin diskutiert, ihr sei vorgeworfen worden, dass sie nicht ein Buch kritisieren könne, welches sie nicht gelesen habe. Nadia erzählte, dass sie letztens auf dem Weg zur Arbeit durch die Schrebergartensiedlung gefahren sei, dort stünden einige Gärten zum Verkauf, ob es nicht schön wäre, einen Garten zu kaufen, für den Sommer. Aras warf ein, ein Garten sei viel Arbeit, sie könne den Garten mit jemandem zusammen kaufen, dann könne sie sich die Arbeit teilen. Aras und Lamia wechselten sich ohne viel Absprache mit dem Übersetzen für Rhea ab. Wie die Übersetzung war sie selbstverständlicher Teil der Familie geworden, wie es in Zukunft noch andere werden würden, die nur oft genug zum Essen kamen. Es würde zu einem Aufnahmeritual werden.

Nach dem Essen schnitt Nadia Obst in kleine Stücke, für die Verdauung, wie sie immer behauptete, sie aßen artig auf, sprachen kurz über Lamias Geburtstag, wen sie eingeladen hatte, ihre Schulfreundinnen, wann Aras und Thomas kommen sollten. Lamia steckte noch in einem Alter, in dem sie nicht wusste, dass es in Ordnung war, noch nicht zu wissen, wer sie war. Langsam ging es auf das Abitur zu, und diese Frage, was sie studieren wolle, mit was sie ihre Lebenszeit verschwenden solle, wie Lamia es ausdrücken würde, zog ihre Kreise um sie, und die Kreise wurden immer kleiner, denn bald, so wusste sie, müsste sie sich zumindest entscheiden. Sie wollte auf keinen Fall Medizin studieren, auch wenn sie ihre Mutter damit glücklich gemacht hätte, mit Zahnmedizin sogar noch glücklicher. Eine Ausbildung kam für ihre Mutter nicht in Frage, und die Diskussion wollte sich Lamia ersparen. Aras wusste genauso wenig weiter, wusste aber, dass er nicht die Rolle des Mannes oder Ersatzvaters im Haus spielen durfte, denn wenn es etwas gab, was seine Mutter, die wie viele Frauen aus Aleppo stur, willensstark und schattenweise diktatorisch war, verabscheute, dann einen Mann, der meinte, Entscheidungen für andere treffen zu können.

In dieser Konstellation blieb Aras nichts anderes übrig als abzuwarten, Lamia und Nadia allein den Kampf austragen zu lassen, einzugreifen nur auf Einladung, und diese wurde noch nicht ausgesprochen. Lamia, das wusste Aras, hatte den zaghaften wie vagen Wunsch Soziale Arbeit zu studieren, aber er wusste nicht, wie Lamia Nadia davon überzeugen würde, dass sie, Lamia, mit ihren sehr guten Noten nicht ein Fach mit einem höheren NC anstrebte. So hatte man sich zu entscheiden, auch wenn Nadia selbst einen anderen Weg gewählt hatte, ihre Kinder sollten es ja einmal besser haben. Zu tief saß diese Demütigung, den eigenen Beruf nicht weiter ausüben zu können, dachte Aras, auch wenn Nadia diese Demütigung nicht als solche empfand. Überhaupt empfand sie selten Demütigung, so schien es. Dieser Gedanke war Aras gekommen, als der Antrag seiner Mutter auf Einbürgerung abgelehnt wurde, sie sich zu einer Anwältin aufmachten, die ihnen erklärte, dass seine Mutter zumindest für ein Jahr arbeiten müsste, dass es keine Ausnahmen für Künstlerinnen im deutschen Recht gebe, solange sie Geld vom Jobcenter bezöge, seien ihre Chancen gleich null. Daraufhin gab seine Mutter ihr Dauerstipendium vom deutschen Staat auf, wie sie Hartz IV bezeichnete, bewarb sich auf einen Job bei einer Textilreinigungsfirma, wo sie nun acht Stunden am Tag an der Kasse stand, Hemden bügelte, Hosen wusch, nett und freundlich lächelte.

Nadia riss Aras aus seinen Gedanken heraus. Heute sei ein Mann in Anzug in der Wäscherei gewesen, mit einem zerschlissenen Hemd, es war sicher vor ein paar Jahren ein sehr schönes Hemd gewesen, nun aber so zerschlissen, dass Nadias Chef ihn nach Hause geschickt habe. Aras wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte, bat sie um den Text, den er für sie übersetzen müsse. Sie reichte ihm den Zettel, Kugelschreiberblau war die Schrift. Ein Seufzer entfuhr ihm, warum sie den Text nicht abgetippt habe, fragte er sie, es würde ihn mehr Zeit kosten, ihre Schreibschrift zu entziffern. Er wartete ihre Antwort nicht ab, las, übersetzte im Kopf, las weiter, setzte Worte um, las. Der Text war in jenem Arabisch geschrieben, welches sich versuchte, über die Menschen zu erheben, als Autorität. Aras versuchte, einen Keil zwischen die Worte zu treiben, nicht um sie voneinander zu lösen, aber ihren Zusammenhang zu lockern, er baute einen Text mit Luftkanälen wie durch eine Altstadt. Er übersetzte: »Wir sind die Stadt. Drei syrische Künstlerinnen zeichnen ihre Heimatstädte. Wir blicken auf unsere Heimat. Heimat ist kein Ort. Heimat ist eine Zeit. Der Blick richtet sich weder auf die Vergangenheit noch auf die Gegenwart, sondern auf die Zukunft.« Er verglich die Übersetzung mit dem Original, verglich den Inhalt, er hatte gelernt, nicht mehr wörtlich zu übersetzen. Aras dachte manchmal darüber nach, sich zehn Jahre Erfahrung als Übersetzer in den Lebenslauf zu schreiben, ließ es aber. Er würde in den nächsten Jahren lernen, dass die Behördengänge, die einen Teil seiner Lebenszeit eingenommen hatten und wieder einnehmen würden, Arbeit seien, für die andere Menschen Geld bekämen, Anerkennung, Arbeit, die für ihn selbstverständlich war, wenn nicht sogar Pflicht, für andere stellte sie politischen Aktivismus dar. Er würde sich dumm vorkommen, nicht selbst auf diesen Gedanken gekommen zu sein.

»Welche Bilder wirst du ausstellen?«, fragte Rhea. Nadia führte sie in Aras’ altes Zimmer, das sie in ein Atelier verwandelt hatte. Früher hatte seine Mutter auf dem Boden vor dem Fernseher Holz gesägt, denn sie stellte die Rahmen ihrer Bilder selbst her, um nicht im Viereck zu malen, um Geld zu sparen, während Lamia und er sich lauthals darüber beschwerten, dass sie kein Wort ihrer geliebten Sendung verstünden, ihre Mutter nur gereizt antwortete, dass sie wohl kaum nach zweiundzwanzig Uhr würde sägen können, dass sie Geduld haben sollten, wie sie mit ihnen Geduld gehabt hatte, als sie kleine Kinder gewesen waren. Dann hatten Aras und Lamia immer laut aufgelacht, denn Geduld, das war Nadias Stärke nicht.