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Hühnerstall mit Todesfall Dachs, der Chef der Waldpolizei, blickt prüfend auf seinen Wanst und nickt zufrieden. Er ist bereit – bereit für den Winterschlaf! Doch da taucht im Dicken Dickicht Chefwachhund Grimm vom nahe gelegenen Bauernhof auf. Er fordert die Auslieferung der Füchsin, die ein Huhn getötet haben soll. Grimm setzt ein Ultimatum von vierundzwanzig Stunden. Danach werde er mit den anderen Wachhunden zurückkommen und sich die Füchsin holen. Aber ist sie wirklich die Täterin? Dachs hat da seine Zweifel. Gelingt es ihm, den Schuldigen zu überführen, bevor es im Dicken Dickicht zum ganz großen Krach kommt? Eines ist jetzt schon klar: Seinen Winterschlaf kann Dachs fürs Erste vergessen. Der zweite Fall für Waldpolizist Dachs. Bei Antolin gelistet Alle Bände von »Dachs im Dickicht«: Hasenhunger Das letzte Huhn
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Seitenzahl: 96
Anna Starobinets
Dachs im Dickicht – Das letzte Huhn
Ein WaldkrimiBand 2
Aus dem Russischen von Christiane Pöhlmann
FISCHER E-Books
»Sie atmet nicht mehr«, erklärte Salbicus Saatkräh allen Anwesenden mit unheilvoller Stimme. »Deshalb werde ich es mit Schnabel-zu-Schnabel-Beatmung versuchen. Hoffnung besteht zwar kaum noch, aber ich werde nichts unversucht lassen, um ihr Leben zu retten. Das würde ich für jedes Huhn tun, sei es nun eine Henne oder ein Hahn.«
Salbicus Saatkräh drehte sich seiner Patientin zu, breitete die Flügel aus und atmete tief ein, eben um ja nichts unversucht zu lassen. Er presste seinen stahlgrauen Schnabel gegen den leblosen Spitzschnabel in Gelb. In den nächsten Sekunden war lediglich Salbicus Saatkrähs rhythmisches Atmen zu hören. Ein, aus. Ein, aus … In den gelben Schnabel kam jedoch kein Leben. Die Patientin lag mit unnatürlich verdrehtem Hals auf einem weichen schneeweißen Teppich aus Pappelflaum. Vor ihren Augen hing ein Schleier, so dass sie blind zur Decke hochstarrte, an der längliche schwarze Kiesel und purpurrote Blütenblätter wilder Rosen ein kunstvolles Muster bildeten.
Nach einer Minute verloren alle die Hoffnung – und da endlich rührte sich die Patientin. Ein ganz schwaches, krächzendes Gegacker erklang.
»Wer bin ich? Wo bin ich?«, hauchte die Henne. »Etwa im Himmel? Denn ich liege doch in einer Wolke, oder?«
»Sie lebt«, stieß Dachs, der Chef der Waldpolizei, voller Erleichterung aus, bevor er sich Frau Huhn zuwandte: »Nein, das ist keine Wolke, sondern Füchsins Teppich. Was für ein Glück, dass du noch lebst.«
»Wer bin ich?«, wiederholte die Henne, die jetzt einen Hustenanfall bekam. »Wo bin ich?«
»So ein Huhn stirbt generell nicht so schnell«, meldete sich nun Dachskatz zu Wort. »Wahrscheinlich ist es selbst zum Sterben zu dumm. Wenn du ihm den Kopf abbeißt, rennt es trotzdem weiter herum. Hab ich jedenfalls gehört. Das liegt daran, dass es gar nicht merkt, dass ihm längst der Kopf fehlt, was ja …«
»Für diese Worte sollte dir mal jemand den Kopf abbeißen«, fiel ihm Salbicus Saatkräh hitzig ins Wort, um sich dann Füchsin zuzuwenden. »Und dir gleich mit! Dafür, dass du die arme Frau Huhn fast umgebracht hast. Schließlich sind Hühner zerbrechliche und verletzliche Geschöpfe! Ihr Leben ist von unschätzbarem Wert! Aber nehmen kann man es ihnen mühelos! Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass in diesem Fall kaum noch Hoffnung bestand, sie …«
»Mein Kopf ist weg?« Die Henne erhob sich und trippelte auf unsicheren Füßen durch den Teppich aus Pappelflaum.
»Leg dich sofort wieder hin!«, krächzte Salbicus Saatkräh empört. »Ist dir denn nicht klar, wie schwach du bist?! Dein Fall war, nebenbei bemerkt, beinahe aussichtslos!« Salbicus Saatkräh schnaufte empört. »Wenn ich nicht alles, wirklich alles unternommen hätte, um dein Leben zu retten, wenn ich nicht sogar die Schnabel-zu-Schnabel…!«
»Und dafür danken wir dir auch«, unterbrach ihn Dachs. »Wir alle wissen, dass dieses Huhn dir sein Leben zu verdanken hat.«
»Dieses Huhn lebt bloß, weil ich nicht kraftvoll zubeißen kann«, widersprach Füchsin sofort. »Dazu sind meine Kiefer viel zu schwach. Das wiederum liegt daran, dass ich ausschließlich Gemüse esse, und das obwohl ich ein Raubtier bin … O nein! Jetzt ruiniert dieses Huhn mir auch noch meinen Teppich!«
»Ruh-uh-rinieren!«, prustete Frau Huhn und lief immer schneller.
»Pass doch auf!«, jaulte Füchsin. »Das ist echte Handarbeit!«
Aber es war schon zu spät.
Frau Huhn hatte es zum Fenster getrieben, wo sie ihren Schnabel in den hauchdünnen Spinnwebvorhang bohrte. Die silbernen Fäden dehnten sich und rissen. Frau Huhn verhedderte sich in dem zerrissenen Spinnennetz und den Fransen aus Erlenkätzchen und schlug wild um sich, breitete die Flügel aus, riss dabei aber nur eine Vase mit einem Strauß aus Wacholderzweigen und Ahornblüten um, die in der Ecke stand.
»Hätte ich doch bloß meine Kiefermuskeln besser trainiert«, zischte Füchsin.
»Schuldgefühle hast du wohl überhaupt keine?«, fragte Dachs in scharfem Ton und sträubte tadelnd die starren Barthaare.
»Pah! Eine arme, junge Frau mit wolligem Haar anklagen – das ist mal wieder typisch …« Füchsin klimperte mit den rötlichen Wimpern, während ihr Kinn zitterte. »Aber weshalb … weshalb sollte ich denn bitte Schuldgefühle haben?«
»Du hast immerhin ein friedliches Tier angegriffen und versucht, es zu ermorden.«
»Ich soll ein friedliches Tier angegriffen haben?!« Füchsin japste panisch. »Was ist das für ein Unsinn?! Ich habe kein einziges angegriffen, sondern mir bloß ein Huhn geholt.«
»Angriff!«, schrie Frau Huhn, die sich immer weiter im Vorhang verhedderte.
»Ach so«, fuhr Dachs sie an. »Und ein Hühnchen ist für dich wohl kein Tier?«
»Du stellst Fragen! Tiere, das sind wir! Du und ich! Die Waldtiere, die Raubtiere, die …«
»Ich bin kein Raubtier«, fiel ihr Salbicus Saatkräh empört ins Wort.
»Du weißt genau, was ich meine«, kanzelte Füchsin ihn ab. »Tiere sind wild und leben im Wald. Und das Gesetz des Dicken Dickichts verbietet es, dass wir uns gegenseitig aufessen. Aber ein Huhn lebt nicht im Wald, sondern auf dem Bauernhof. Damit ist es kein Tier, sondern ein Opfer. Und damit hat ein Raubtier das Recht, es …«
»Aber das ist ja …« Salbicus Saatkrähs Stimme zitterte. »Das ist … viehisch! Geradezu ausgefuchst! Wie kannst du denn eine Einteilung in Waldtiere und Bauernhoftiere vornehmen?! In Tiere und Untiere! Am Ende willst du vielleicht auch noch … noch sonst was behaupten! Zum Beispiel, dass jeder Vogel, also wirklich jeder und nicht nur der auf dem Bauernhof, ein Opfer ist! Und jedes Raubtier das Recht hat …« Salbicus Saatkräh rang entsetzt nach Atem. »Jedes Leben ist von unschätzbarem Wert! Das weiß doch wohl hoffentlich auch unsere Polizei?«
Dachskatz senkte den Blick und studierte aufmerksam die Krallen an seiner rechten Vorderpfote.
»Wir lassen niemandem irgendetwas durchgehen«, erklärte Dachs kategorisch. »Selbst ein Raubtier hat kein Recht, ein Huhn zu töten.«
»Mord und Totschlag …«, murmelte Frau Huhn und blinzelte aufgeregt
»Aber das Gesetz des Dicken Dickichts erwähnt Hühner nicht mit einem einzigen Wort«, widersprach Füchsin.
»Das Gesetz von Pirschendorf aber schon!«, knurrte Dachs. »Dort heißt es, dass jeder Bewohner des Dicken Dickichts, der ein Tier oder einen Vogel vom Bauernhof entführt oder ermordet, zur Strafe zerfleischt wird.«
»Zerfleischt?« Füchsin wurde kreidebleich.
»Weiter heißt es, dass die Behörden des Dicken Dickichts den Täter ausliefern müssen, denn wenn sie das nicht tun, schickt Pirschendorf ein Rudel Jagdhunde in den Wald«, sagte Dachs. »Wenn wir dich nicht ausliefern, erwartet uns also eine Dickichtjagd. Ist dir eigentlich klar, was du angerichtet hast, Füchsin? Was du uns allen eingebrockt hast?«
»Wollt ihr … wollt ihr mich wirklich ausliefern? Damit ich zerfleischt werde?« Füchsin begann zu zittern. »Eine hilflose junge Frau mit wolligem Haar? Die gar nicht wusste … die nie im Leben damit gerechnet hätte … Und die sogar …« Füchsin schluchzte auf. »… die sogar von einem Polizisten die Erlaubnis erhalten hat, einem Huhn ein ganz klein wenig den Hals umzudrehen …«
»Huhnhalsverdrehen«, gackerte Frau Huhn. »Halshuhnverdrehen. Huhnverdrehhals.«
»Von einem Polizisten?« Dachs runzelte die Stirn. »Was soll das heißen, Füchsin?«
Dachskatz’ Schwanz zuckte nervös hin und her.
»Huhnhalsverdrehen. Halshuhnverdrehen. Huhnverdrehhals.«
»Die Patientin erleidet gerade einen hysterischen Anfall«, diagnostizierte Salbicus Saatkräh mit Grabesstimme.
»Dann unternimm was, um sie zu beruhigen«, verlangte Dachs ungehalten.
»Da bleibt nur ein Beruhigungsmittel«, sagte Salbicus Saatkräh in beleidigtem Ton, kramte aber schon in seiner Tasche. Sobald er eine große Weißdornbeere gefunden hatte, steckte er sie Frau Huhn in den Schnabel. »Schluck die bitte!«
Dachs ließ unterdessen seinen Blick zwischen der Füchsin und Dachskatz hin und her wandern.
»Und jetzt verrat mir mal«, sagte er schließlich, »welcher Polizist dir erlaubt hat, ein Huhn zu töten!«
»Er«, schniefte Füchsin und zeigte auf Dachskatz. »Das war er.«
»Stimmt das?« Dachs schien vor Kummer immer kleiner zu werden. »Und ich dachte, du wolltest Füchsin in Schutz nehmen, als du gegenüber dem Chefwachhund von Pirschendorf etwas von einem Missverständnis erwähnt hast. Dabei hast du ihr allen Ernstes …?«
»Ich dachte doch nur … ich wollte …« Dachskatz blinzelte. »Füchsin hat mir einen Augenzeugenbericht versprochen als Gegenleistung für das Recht … Es ging doch bloß um ein einziges … noch dazu vom Bauernhof … das wollte sie sich gern holen. Das habe ich für keine große Sache gehalten …«
»Was ist das hier stickig!«, erklärte Frau Huhn – und schlief ein.
»Da hast du ein schönes Schlamassel angerichtet, Dachskatz«, murmelte Dachs niedergeschlagen. »Es ist eine Sache, wenn Füchsin einfach ihrem Raubtierinstinkt nachgibt und ein Verbrechen begeht. Dann wäre sie allein schuldig, und wir hätten uns schon irgendwie mit Pirschendorf einigen können … Aber wenn die Polizei des Dicken Dickichts ihr quasi erlaubt hat, ein Verbrechen zu begehen, eben als ob es für uns – und damit meine ich, für alle von uns – tatsächlich keine große Geschichte ist, wenn die Bauernhoftiere angegriffen werden, dann steht das auf einem anderen Blatt. Denn dann wird Pirschendorf sämtliche Tiere aus dem Dicken Dickicht für gefährlich halten. Wo hast du nur deinen Verstand gelassen? Jetzt blasen sie zur Dickichtjagd! Das gibt ein tierisches Blutbad! Ein wirklich bestialisches Massaker!«
»Wenn ich dazu was anmerken darf«, meldete sich Salbicus Saatkräh höflich zu Wort. »Dann möchte ich nämlich klarstellen, dass ich strikt gegen diese Jagd bin. Lasst es gefälligst nicht zu einem bestialischen Massaker kommen! Möglicherweise trägt ja auch der Umstand, dass es mir gelungen ist, das Opfer zu retten … also ich meine, das Leben der geschundenen Henne zu retten … vielleicht trägt also dieser Umstand dazu bei, dass wir uns friedlich mit Pirschendorf einigen können?«
»Das möchte ich bezweifeln.« Dachs schüttelte den Kopf. »Grimm hat gesagt …«
»Wer ist Grimm?«, erkundigte sich Füchsin ängstlich.
»Der Chefwachhund. Eine ganz fiese Rasse, möglicherweise ein Boxer oder ein Wolfshund oder eine Mischung aus beidem … Salbicus! Hast du vielleicht noch eine Beruhigungspille für die verhaftete Füchsin? … Jedenfalls hat Grimm gesagt, es spiele keine Rolle, ob Frau Huhn noch lebt oder nicht.«
»Nun mach mal halblang!« Salbicus Saatkräh riss fassungslos den Schnabel auf. »Das spielt keine Rolle? Was soll das denn bitte heißen?!«
»Sie wollen aus Frau Huhn sowieso Suppe machen«, antwortete Dachs. »Hat er jedenfalls gesagt.«
»Wie entsetzlich! Also das ist nun wirklich bestialisch!« Salbicus Saatkräh schielte zu der schlafenden Henne hinüber. So, wie sie in den Vorhang eingewickelt war, erinnerte sie an ein Baby in Windeln. »Der arme Vogel!«
»Ich hab’s!«, schrie Dachskatz da plötzlich. »Ich weiß, wie wir die Dickichtjagd vermeiden. Kommt mit! Wir müssen sofort aufs Polizeirevier!«
»Du möchtest ja sicher keine Pinienkerne mehr, oder?«, fragte Dachs die Henne höflich.
Diese Kerne waren eigentlich für Star bestimmt gewesen, den Dachs aus einer kriminellen Hasenfamilie befreit hatte und der jetzt in Diensten der Polizei stand und bei ihnen im Revier lebte. Doch sobald Frau Huhn sie gesehen hatte, war sie sofort auf das Schälchen zugeflogen und hatte den gesamten Inhalt aufgepickt. Dachs hatte sie sofort nachfüllen müssen. Jetzt hatte er nur noch so wenig Kerne, dass er inständig hoffte, seine Besucherin habe so viel Takt abzulehnen.