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Der erste Fall für Waldpolizist Dachs – den Columbo unter den Tierdetektiven. Im Dicken Dickicht herrschen Ruhe und Ordnung. Dafür sorgen Dachs, der Chef der Waldpolizei, und sein Assistent Dachskatz. Als Dachs – wie jeden Freitagabend – in der Taverne Zum Hohlen Baum seinen Rindenrücken verspeist und sich insgeheim auf den wohlverdienten Winterschlaf freut, geschieht ein schreckliches Verbrechen: Ein Hase ist zu Tode gekommen! Und das im Dicken Dickicht, wo das friedliche Zusammenleben aller Tiere oberstes Gesetz ist! Alle Indizien lassen den Wolf als Täter erscheinen. Aber so leicht lässt sich ein Dachs nicht in die Irre führen … Mit Bildern von Stefanie Jeschke Bei Antolin gelistet Alle Bände von »Dachs im Dickicht«: Der falsche Hase Das letzte Huhn
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Seitenzahl: 94
Anna Starobinets | Stefanie Jeschke
Dachs im Dickicht – Hasenhunger
Ein Waldkrimi
Aus dem Russischen von Christiane Pöhlmann
Mit Bildern von Stefanie Jeschke
FISCHER E-Books
Die Taverne Zum Hohlen Baum war wie üblich knüppeldickevoll. Wer keinen Platz mehr am Tisch abgekriegt hatte, musste am Boden essen. Dachs, der Chef der Waldpolizei, schielte abfällig auf zwei Käuze hinunter, die er hier noch nie gesehen hatte. Sie saßen unter einem Tisch und schlürften durch einen Strohhalm einen Fliegenfliptail. Das konnte Dachs nicht billigen. Man hatte gefälligst am Tisch zu sitzen, notfalls noch an der Theke. Wer jedoch Fliegenfliptail unterm Tisch trank, bewies ganz klar einen Mangel an Selbstachtung. Und diese beiden Käuze sollten überhaupt keine Fliegenfliptails trinken, das hätte er, Dachs, ihnen auch klipp und klar gesagt, wenn sie ihn nach seiner Meinung gefragt hätten. Denn wenn jemand etwas von Fliegenfliptails verstand, dann er. Genau wie von Käuzen übrigens auch. Der Cocktail aus vergorenen Fliegen war nämlich gleichermaßen süß wie sauer – und hatte es in sich. Ein Kauz bestellt sich erst einen Drink, dann noch einen, dann einen dritten – und schon bekommt er glasige Augen und stimmt mit schauerlichem Schuhuhuhu eines seiner Eulenlieder an.
»Was darf’s sein?«, jaulte der Kojote Jote Dachs direkt ins Ohr, entweder um den allgemeinen Radau zu übertönen oder weil er mit den Nerven schon wieder völlig am Ende war.
Dachs ging jeden Freitag in den Hohlen Baum, und zwar nicht etwa, weil es bei ihnen im Dicken Dickicht keine andere Taverne gegeben hätte – obwohl es tatsächlich nur diese eine gab –, sondern weil er diesen Ort einfach mochte. Hier konnte er nach der langen Arbeitswoche abschalten. Seine Barthaare wippten im Takt des Schwapp ’n’ Schrapp. Er plauderte mit seinen Freunden und aß was Gutes, zum Bespiel die Spezialität des Hauses, den gespickten Rindenrücken. Das war ein großer und saftiger Holzklotz voller sonnengeräucherter Larven, der auf der Zunge zerging.
»Ich nehm den Rindenrücken …«
Halt! Stopp! Auf gar keinen Fall! Er hatte sich doch geschworen, endlich abzunehmen. Schließlich musste er das überflüssige Fett loswerden, das ihn völlig schlapp machte. Wie sollte er mit all dem Dachsfett Verbrecher jagen? Auf seinem Plan standen jetzt Dauerlauf und kleine Portionen. Von gesunder Kost.
»Also einen gespickten Rindenrücken?«, hakte Jote mit echter Stinklaune nach.
»Nein, besser doch nicht, lieber …«
»Ja was denn nun?!«, schrie Jote und pfefferte den Bestellblock auf den Boden. »Was möchtest du? Die Gäste rennen mir die Bude ein, aber ich bin hier allein! Ganz allein! Und alle wollen was von mir! Das ist doch zum junge …! Pfrrr röhr prust …«
Jote bekam einen Lachkrampf. Bei diesem Kojoten stimmte ganz entschieden etwas nicht mit seiner Psyche. Jeder Lachanfall ging bei ihm unweigerlich in Geheul über, und das alles wegen seiner schweren Kindheit. Die Kojoten aus seinem Rudel waren Banditen im Lichten Dickicht gewesen. Dachs hatte mehr als einmal auf diese Burschen eingeredet, dass sie endlich auf den Pfad der Tugend zurückkehren müssten, weil es andernfalls kein gutes Ende mit ihnen nehmen würde, aber leider waren ihm die Hände gebunden: Im Lichten Dickicht hatte er nichts zu sagen. Mehr als sie zur Ordnung rufen, das durfte er dort nicht. Die Kojoten hatten ihn jedes Mal ausgelacht. Bis sie dann eines Tages im Kampf um einen See im Grenzgebiet gegen andere Banditen den Kürzeren zogen. In einer einzigen Nacht fand das ganze Rudel den Tod. Nur Jote überlebte, weil er sich gut versteckt hatte. Damals war er noch ein Kojotenwelpe. Als Dachs am Ort des Geschehens eintraf, nahm er den kleinen Jote mit sich ins Dicke Dickicht, um ihn gesetzestreuen Tieren anzuvertrauen, die ihn großzogen und dafür sorgten, dass er nicht ebenfalls auf die schiefe Bahn geriet.
»Pfrrr röhr prust!«, heulte Jote. »Erst will er dieses, dann will er jenes! Erst einen Rindenrücken, dann wieder nicht!«
Die beiden Käuze rissen sich von ihrem Fliegenfliptail los und starrten Jote mit großen runden Augen an. Am Schnabel des einen klebte eine fette vergorene Fliege.
»Werd nicht hysterisch, mein Junge, und reiß dich zusammen«, sagte Dachs und drehte sich den Käuzen zu. »Und ihr glotzt nicht so! Habt ihr noch nie einen Kojoten gesehen?«
»Wir sollen offenbar provoziert werden«, bemerkte der Kauz mit der Fliege am Schnabel finster.
»Eine schockierende Szene«, stellte der Kauz ohne Fliege fest. »Wenn wir da mal nicht traumatisiert sind.«
»Wir sind Anwälte und verlangen eine Entschädigung für den seelischen Schaden, den wir erlitten haben. Ein Essen auf Kosten des Hauses«, erklärte der erste Kauz.
Inzwischen war ihm die Fliege vom Schnabel gefallen und auf dem Boden gelandet.
»Auf Kosten des Hauses!«, japste Jote. »Aus euch mache ich auf der Stelle die nächste Spezialität des Hauses! Kauzragout Hawaii mit Ananas! Brateulchen mit Flohfritten!«
»Eine Morddrohung«, stieß der erste Kauz aus.
»Vor Zeugen«, ergänzte der zweite.
»Als Chef der Waldpolizei«, mischte sich nun Dachs ein, »teile ich den Herren Käuzen mit, dass es bei uns im Dicken Dickicht verboten ist, öffentliche Einrichtungen zu verunreinigen. Jedes Zuwiderhandeln wird bestraft.«
»Wir verunreinigen niemals irgendetwas!«, brachten die zwei Käuze empört im Chor heraus.
»Die Fliege«, widersprach Dachs. »Ihr habt eine Fliege auf den Boden geworfen. Da ihr euch jedoch zum ersten Mal etwas habt zuschulden kommen lassen, will ich noch einmal darüber hinwegsehen. Das Dicke Dickicht ist ein gastfreundlicher Ort. Deshalb hebt ihr jetzt die Fliege auf, und du …« Dachs drehte sich Jote zu. »… du bringst den Herren Käuzen einen gespickten Rindenrücken auf Kosten des Hauses.«
»Jetzt soll es also wieder ein Rindenrücken sein?«, jaulte Jote. »Erst der Rindenrücken, dann auf keinen Fall, dann wieder ja, dann …«
»Hör endlich auf zu jammern«, fuhr Dachs ihn an. »Den beiden bringst du einen Rindenrücken und mir ein Regenwurmcarpaccio. Eigentlich müsste auch mein Freund schon hier sein. Wenn er kommt, kriegt er eine schöne Tofumauspastete.«
»Ich kriege das Gleiche wie Dachs!«, blaffte Dachskatz.
In alter Gewohnheit hatte er sich völlig unbemerkt in die Taverne geschlichen und war wie aus dem Nichts auf einem Barhocker aufgetaucht. Eben war da noch niemand, jetzt saß er da, die dreieckigen Ohren gespitzt, die Barthaare gesträubt, und den Schwanz längst begeistert im Takt des Schwapp ’n’ Schrapp bewegend. In seinem Gesicht glänzten zwei frisch aufgemalte schwarze Streifen.
»Junger Freund«, begrüßte ihn Dachs und klopfte ihm väterlich auf die Schulter, »mein Essen ist nichts für dich. Ich habe Carpaccio bestellt, also etwas ganz Leichtes, um nicht noch mehr Fett anzusetzen … Aber rohe Regenwürmer sind für ein Tier wie dich …«
»Ich bin ein Dachskatz!«, fiel ihm Dachskatz trotzig ins Wort. »Schließlich habe ich Streifen im Gesicht! Damit ist das Dachsessen hervorragend für mich geeignet. Deshalb nehme ich also auch dieses Regenwurmcarpaccio!«
»Nun also doch Carpaccio!«, heulte Jote schon wieder los, während die beiden Käuze vorgaben, sich an ihrem Fliegenfliptail verschluckt zu haben. »Bring ihm dieses, bring ihm jenes! Mal Tofumaus, dann wieder Wurm, direkt vom Regen zum Quark! Denn mal ist er ein Katz, dann wieder nicht!«
»Ich bin ein Dachskatz«, sagte Dachskatz stur. »Assistent Dachskatz von der Waldpolizei. Und ich nehme das Carpaccio.«
»Also dann, zwei Carpaccios vom Wurm für Tisch fünf!«, keifte Jote und verschwand in Richtung Küche. »Und einen gespickten Rindenrücken auf Kosten des Hauses unter Tisch sieben! Sollen sie doch dran ersticken!«
»Hör dir bloß an, wie die Frösche quaken!«, forderte Dachskatz seinen Freund Dachs auf und verdrehte seine Dreiecksohren in einem merkwürdigen Winkel. »Bestimmt ist irgendwo was passiert.«
»Manchmal quaken die Frösche auch einfach so«, erwiderte Dachs weise.
»Aber was, wenn wir es mit einem schweren Verbrechen zu tun haben?!«, fragte Dachskatz, wobei er es nicht schaffte, den hoffnungsvollen Ton aus seiner Stimme zu verbannen.
»Du kannst doch nicht allen Ernstes wollen, dass es bei uns im Dicken Dickicht ein schweres Verbrechen gegeben hat«, entgegnete Dachs streng.
»Nein, natürlich nicht«, versicherte Dachskatz, kniff ein Auge zusammen und strich sich nervös über einen der beiden schwarzen Streifen in seinem Gesicht.
Aber in Wirklichkeit wollte er es natürlich doch. Er hoffte inständig darauf, dass bei ihnen im Dicken Dickicht endlich mal jemand ein richtig gemeines Verbrechen beging. Sicher, er wusste, wie sehr die Bewohner des Waldes ihr ruhiges, ungefährliches und von gegenseitigem Vertrauen geprägtes Leben schätzten, aber all diese kleinen, harmlosen Gesetzesverstöße, die seine tägliche Arbeit ausmachten, die hingen ihm zum Hals raus. Hier ein geklauter Zedernzapfen, da ein Haufen Kot auf einer Lichtung oder eine herausgezupfte Schwanzfeder … Was sollte daran fesselnd sein? Diese Taten entbehrten jeder Phantasie, die waren nicht einmal kühn, von heimtückisch ganz zu schweigen. Wegen solcher Lappalien war Dachskatz doch nicht der Waldpolizei beigetreten!
Als Jote das Carpaccio servierte, knallte er die beiden Teller derart auf den Tisch, dass einige der zerhackten Würmer auf dem Tisch landeten. Sie krochen sofort in alle Richtungen auseinander, in der naiven Hoffnung, sich doch noch irgendwie retten zu können.
»Ein schweres Verbrechen bedeutet nie etwas Gutes«, bemerkte Dachs mit einem schrägen Blick auf Jote, klaubte geschickt die kriechenden Regenwurmstückchen vom Tisch und stopfte sie sich in den Mund. »Dahinter steckt immer eine Tragödie, ein Verlust oder sogar der Tod. Verstehst du, was ich dir sagen will, Dachskatz?«
»Mhm«, murmelte dieser und schaute lange auf seinen Teller. Er wollte diese Würmer auf keinen Fall essen. Lustlos spießte er mit der Kralle das Stück Carpaccio auf, das noch den lebendigsten Eindruck machte. Nachdem er es vom Teller gezogen hatte, schubste er es mit der Pfote zum Tischrand.
»Du sollst doch nicht mit Essen herumspielen«, ermahnte ihn Dachs streng, setzte dann aber sofort ein freundliches Lächeln auf. »Tut mir leid, mein Junge. Du bist ja längst erwachsen, aber ich behandle dich manchmal immer noch wie ein kleines Kind. Iss ruhig, wie es dir passt.«
Das Gequake der Frösche schwoll an.
»Die quaken nicht einfach so.« Die Nackenhaare von Dachskatz sträubten sich. »Sie geben Nachrichten weiter. Wir, die Waldpolizei, sollten uns wirklich schämen, noch keinen Quakcount für ihren Froschfunk zu haben. Deshalb erfahren wir immer alles ganz zuletzt!«
»Ich mag diese neumodischen Erfindungen nicht«, brummte Dachs. »Wenn es wirklich etwas Wichtiges gibt, dann informiert uns Elster. Sieh dich doch mal um! Hier im guten alten Hohlen Baum hat niemand einen Quakcount. Seit meiner Jugend hat sich in dieser Taverne nichts geän…«
»Quak!«
Zwei braun gesprenkelte Frösche kamen hereingestürmt und hopsten unter den Tisch, unter dem die beiden Käuze vor dem gespickten Rindenrücken saßen. Diese starrten die Spezialität des Hauses derart angewidert an, als hätte Jote ihnen ein Stück ihrer Elterneiche serviert.