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Katastrophenalarm bei Dackel Herkules! Sein bester Freund, Kater Herr Beck, ist in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Seine Menschen sind ihm kein Trost: Caro und Marc kämpfen mit ihrem Alltag als berufstätige Eltern, Luisa steckt mitten in der Pubertät, Henri bewirbt sich um den Titel »nervigster Erstklässler der Welt«, und die dreijährigen Zwillinge Milla und Theo terrorisieren ihre Umwelt. Selbst Oma Hedwig ist nicht zu gebrauchen, seit sie auf der Suche nach einer neuen Liebe ist. Aber dann hängt eines Morgens eine Tüte an der Tür von Marcs Tierarztpraxis. Inhalt: Ein schwarzes Findelkätzchen. Und kurz darauf ist nichts mehr, wie es war…
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Seitenzahl: 307
Buch
Katastrophenalarm bei Dackel Herkules! Sein bester Freund, Kater Herr Beck, ist in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Seine Menschen sind ihm kein Trost: Caro und Marc kämpfen mit ihrem Alltag als berufstätige Eltern, Luisa steckt mitten in der Pubertät, Henri bewirbt sich um den Titel »nervigster Erstklässler der Welt«, und die dreijährigen Zwillinge Milla und Theo terrorisieren ihre Umwelt. Selbst Oma Hedwig ist nicht zu gebrauchen, seit sie auf der Suche nach einer neuen Liebe ist. Aber dann hängt eines Morgens eine Tüte an der Tür von Marcs Tierarztpraxis. Inhalt: ein schwarzes Findelkätzchen. Und kurz darauf ist nichts mehr, wie es war …
Autorin
Frauke Scheunemann, geboren 1969 in Düsseldorf, ist promovierte Juristin. Sie absolvierte ein Volontariat beim NDR und arbeitete anschließend als Journalistin und Pressesprecherin. Seit 2002 ist sie freie Autorin. Ihre Romane um den kleinen Dackel Herkules waren monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Frauke Scheunemann ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann, ihren vier Kindern und zwei kleinen Hunden in Hamburg.
Frauke Scheunemann
Dackelglück
Roman
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1. Auflage
Originalausgabe September 2018
Copyright © 2018 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Gestaltung des Umschlags und der Umschlaginnenseiten:
UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: FinePic®, München
Redaktion: Marion Voigt
BH · Herstellung: kw
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-17059-2V001
www.goldmann-verlag.de
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EINS
Herkules? Herkules!«
Luisas Stimme klingt erst freundlich einladend, dann sehr bestimmt. Ich ignoriere es.
»Nun komm schon! Wir wollen doch Gassi gehen! Sei ein guter Dackel und komm zu mir!«
Ich überlege kurz. Will ich überhaupt ein guter Dackel sein? Dabei muss ich an Herrn Beck denken und wie der alte Kater sich immer lustig darüber gemacht hat, dass ich bei Wind und Wetter meine Runden durch den Park gedreht habe. Ein vorsichtiger Blick aus meinem Versteck: Draußen regnet es in Strömen. Ohne mich! Keine zehn Pferde bringen mich da raus – und erst recht nicht ein einzelner Teenager!
Luisas Füße tauchen vor dem Sofa auf, unter dem ich mich verkrochen habe. Unschlüssig drehen sich ihre Schuhspitzen hin und her.
»Wo steckt der Kerl bloß?«, murmelt sie. »Der kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!«
Sehr richtig. Habe ich ja auch nicht. Aber unter dem Sofa, das schräg gegenüber vor der Terrassentür steht, bin ich trotzdem so gut wie unsichtbar. Es ist ein relativ neues Versteck, deswegen kennt es Luisa nicht und kommt gar nicht auf die Idee, sich zu bücken und einfach mal weiter unten nach mir zu suchen. Das gefällt mir ausnehmend gut.
Früher hatte ich nie ein Versteck. Ich bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass es einen Sinn haben könnte, sich unter einen Sessel oder gar in eine Kiste zu quetschen. Im Gegenteil: Jedes Mal, wenn der dicke schwarze Kater voller Begeisterung in einen zufällig herumstehenden Karton oder Wäschekorb sprang, habe ich mich gefragt, ob der noch alle Latten am Zaun hat. Mittlerweile habe ich hingegen die Genialität dieser Aktionen erkannt: So hat man vor den Zweibeinern auch einfach mal seine Ruhe!
Mein kleines Dackelherz zieht sich zusammen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber ich vermisse Herrn Beck so sehr, dass mir die Gedanken an ihn regelrechte Schmerzen verursachen. Immer wenn ich in den Garten laufe, denke ich, dass er im Schatten seines großen Lieblingsbaums sitzen müsse. Aber er sitzt dort nicht. Nie mehr. Es ist zum Heulen!
»Ha! Jetzt hab ich dich!«
Luisa langt unter das Sofa und zieht mich hervor. Offenbar habe ich nicht nur in Gedanken gejault, sondern auch tatsächlich. So ein Mist! Ich will nicht raus! Zappelnd versuche ich, mich aus Luisas Armen zu winden, aber ich habe keine Chance: Wie in einem Schraubstock klemme ich fest, es gibt kein Entkommen.
»Mann, Herkules, jetzt stell dich doch nicht so an! Ich will doch nur eine Runde mit dir spazieren gehen! Du warst heute noch gar nicht richtig draußen, was ist denn bloß los mit dir? Langsam glaube ich, seit der olle Kater gestorben ist, drehst du völlig durch!«
Wuhuuu! Wie redet sie über Herrn Beck? Seit wann ist Luisa so ein herzloses Gör? Empört heule ich auf und stoße mit meinen Pfoten in alle Richtungen – und dann zapple ich mich doch noch frei und kann von Luisas Arm springen. Kaum haben meine Pfoten den Boden berührt, sause ich auch schon davon und renne in Richtung Flur. Das allerdings ist eine ganz schlechte Idee, wie sich bald herausstellt, denn von dort kommt mir mit ausgebreiteten Armen das nackte Grauen entgegen: die Zwillinge von Caro und Marc, besser bekannt als Duo Infernale.
»Hundi! Hundi!«, kreischt Milla und versucht, mich einzufangen, während ihr Bruder Theo offenbar ein Kissen aus seinem Bett geschleppt hat, mit dem er mir nun den Fluchtweg verbauen will. Diese Rotznasen! Wie konnte mein Leben in den letzten Jahren nur so eine schlimme Wendung nehmen? Es war doch alles schön!
Ganz früher, da lebte ich friedlich mit meinem Frauchen Carolin in einer schönen Wohnung über ihrer Werkstatt, in der sie auch heute noch Geigen baut. Es war toll – Caro hatte mich aus dem Tierheim gerettet, wir hatten es richtig nett miteinander. Und weil ich ein sehr fürsorglicher Dackel bin, habe ich gleich noch den passenden Mann für mein Frauchen klargemacht: Marc, meinen Tierarzt. Der hat dann noch Luisa mitgebracht, seine süße kleine Tochter. Apropos: Hat jemand eine Erklärung dafür, wie aus diesem niedlichen Fratz so eine Monsterzicke werden konnte? Caro glaubt, dass es an einer Krankheit namens Pubertät liegt, die hoffentlich bald vorbeigeht. Allerdings dauert sie mittlerweile schon ganz schön lange. Aber man soll die Hoffnung nie aufgeben, sagt jedenfalls immer Oma Hedwig, Marcs Mutter. Und wenn die das sagt, muss es stimmen. Hedwig ist nämlich eindeutig unser Rudelchef, auch wenn Marc und Caro das nie wahrhaben wollen.
Warum sich Marc und Caro dann angesichts der Tatsache, dass Menschenkinder an so schlimmen Sachen wie Pubertät erkranken können, noch mehr Nachwuchs zugelegt haben, erschließt sich mir allerdings überhaupt nicht. Erst bekamen sie nämlich zusammen Henri, und dann hatte Caro noch einen Zweier-Wurf: Milla und Theo. Seitdem wohne ich mit Sicherheit am lautesten Ort der Welt. Ein ständiges Geschrei und Türengeknalle ist das, und es sind bei Weitem nicht nur die Menschenjungen, die so viel Lärm machen. Manchmal, wenn Marc sehr erschöpft ist und die Kinder mal wieder gar nicht machen, was er sagt, dann kann er ganz schön rumbrüllen. Die Kinder machen dann zwar immer noch nicht, was er sagt – aber immerhin ist er selbst dann wieder richtig wach.
Richtig wach bin ich zum Glück gerade auch, denn jetzt kann ich mich nur mit einer pfeilschnellen Reaktion davor retten, von Milla und Theo eingefangen zu werden. In letzter Sekunde entwische ich durch eine Lücke zwischen Wand und Kissen und hechte durch die Haustür, die einen Spalt offen steht. Puh! Gerade noch mal davongekommen!
»O Gott, Herkules! Was ist denn mit dir los?«
Im wilden Schweinsgalopp habe ich Hedwig übersehen, die anscheinend gerade im Begriff ist, uns zu besuchen. Bremsen kann ich so schnell nicht mehr, also pralle ich aus vollem Lauf gegen ihre Beine. Rums! Ich fliege auf die Nase und bleibe neben Hedwigs Füßen liegen.
»Will niemand mit dir spazieren gehen, du Armer?« Hedwig bückt sich und streichelt mir über den Kopf. »Ist auch wirklich ein furchtbares Wetter da draußen.« Sie seufzt. »Aber es hilft nichts – wenn der Dackel rausmuss, muss der Dackel raus. Ich drehe ein Runde mit dir, mein Süßer!«
Was? Wuff! Nein! Was für ein schlimmes Missverständnis! Ich will doch gar nicht raus! Aber zu spät – Hedwig nimmt mich auf den Arm und geht in den Wohnungsflur zur Garderobe, wo die Hundeleine hängt.
»Hallo, Kinder!«, ruft Hedwig in Richtung Wohnzimmer. »Oma ist hier. Ich gehe kurz eine Runde mit Herkules, der ist schon ganz unruhig.« Und bevor die Horrorzwillinge oder Luisa noch etwas dazu sagen können, marschiert sie auch schon wieder mit mir aus der Wohnung und die Treppe zum Hauseingang hinunter, direkt an der Tür von Marcs Praxis vorbei und raus aus dem Haus.
Draußen peitscht uns der Regen regelrecht entgegen. Hedwig setzt mich wieder auf den Boden und holt einen kleinen Regenschirm aus ihrer Handtasche. Während ich also schon nach einem halben Meter von oben bis unten klitschnass bin, bekommt Hedwig höchstens feuchte Schuhe. Das Leben kann so ungerecht sein!
»Tja, Herkules, jetzt schau dir das an: Sommer in Hamburg!« Sie schüttelt den Kopf. »Nur gut, dass ich noch gekommen bin, sonst hättest du wahrscheinlich den ganzen Tag im Haus verbringen müssen!«
Jaul! Und was wäre das für eine schöne Vorstellung gewesen! Ich hätte einmal kurz im Garten an einen Baum gepinkelt und mich wieder in mein kuscheliges Hundekörbchen gelegt!
»Aber so sind Teenager nun mal, Herkules: Leben nur im Hier und Jetzt, ohne Sinn für ihre Pflichten.« Wieder ein Seufzen, mehr sagt sie nicht dazu, und ich wundere mich. Leben nur im Hier und Jetzt? Na, logisch! Wo denn sonst? In der Vergangenheit kann man doch gar nicht leben – und in der Zukunft erst recht nicht. Also, falls das ein Vorwurf an Luisa sein sollte, dann verstehe ich ihn nicht. Die Sache mit dem Sinn für Pflichten verstehe ich allerdings schon – auch mein Züchter, der alte Herr von Eschersbach, war der Meinung, dass die Jugend von heute überhaupt nichts mit Pflichterfüllung am Hut hat. Ob das stimmt, weiß ich natürlich nicht. Aber in meinem alten Leben vor Caroline und Marc, als ich nicht Herkules, sondern Carl-Leopold von Eschersbach hieß, wurden Pflichten sehr ernst genommen. Zum Beispiel die Pflicht, seinem treuen Dackel jeden Morgen eine Portion frisch gekochten Pansen zu servieren! Das waren noch Zeiten, wuff!
Ein Fenster im ersten Stock wird geöffnet, Caro schaut heraus.
»Hedwig? Wo willst du denn hin? Ich muss gleich los!«
Aha! Die arme Hedwig sollte offenbar auf den Nachwuchs des Grauens aufpassen. Babysitting nennen Caro und Marc das, was die reinste Beschönigung ist, weil Theo und Milla ja gar keine kleinen niedlichen Babys mehr sind, sondern wahnsinnig schlecht erzogene Kleinkinder. Gut, man könnte einwenden, dass ich keine Ahnung von Menschenkindererziehung habe und mir demzufolge auch kein Urteil darüber erlauben darf, ob die nun gut oder schlecht ausgefallen ist. Das ist mir aber schnurzpiepe – denn wer mich am Schwanz zieht, um mich zu ärgern, oder mir sogar die Fleischwurst aus dem Napf klaut, um sie selbst zu futtern, der hat nach meinen Maßstäben einfach eine grottenschlechte Kinderstube. Die einzige Hoffnung, die noch besteht, liegt darin, dass Menschenkinder so wahnsinnig lange brauchen, um groß zu werden. Vielleicht kriegt jemand wie Hedwig das mit der Erziehung dann ja noch hingebogen.
Die ist mittlerweile stehen geblieben und schaut nach oben zu Caro.
»Na ja, Herkules hatte ein dringendes Bedürfnis, aber bei euch kümmert sich ja leider überhaupt niemand um den armen Hund. Zumindest die Kinder könntest du doch dazu anhalten, regelmäßig mit Herkules Gassi zu gehen. Die müssen doch mal lernen, was Verantwortung heißt! Ich drehe schnell eine Runde mit ihm, dann bin ich gleich wieder da.«
Uiuiui! Selbst von hier unten kann ich riechen, dass Caro gerade richtig sauer wird. Ich fühle mich schlecht – das ist alles meine Schuld!
»Hedwig! Wir kümmern uns immer um Herkules! Und ich muss jetzt dringend in die Werkstatt. Also komm bitte rein. Oder nein: Ich komme jetzt runter, nehme Herkules und laufe mit ihm in die Werkstatt. Dann hat er seinen Spaziergang, und ich schaffe es noch halbwegs rechtzeitig zu meinem Termin.«
Hedwig zuckt mit den Schultern.
»Wenn denn dein Termin nicht mal zehn Minuten warten kann …«
Dazu sagt Caro nichts mehr. Ihr Kopf ist schon aus dem Fenster verschwunden, und keine Minute später steht sie neben uns vor der Haustür im Regen.
»Na endlich! Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr!«
Daniel klingt sehr vorwurfsvoll, als Caro und ich in der Werkstatt auftauchen. Er ist Caros Freund und Kollege, gemeinsam bauen sie Geigen und Bratschen und was sonst noch so schrille Töne von sich gibt. Daniel war sehr lange in Caro verliebt, aber weil das immer nichts wurde, war er zwischendurch mit der verrückten Aurora und der noch verrückteren Claudia zusammen. Auf der Hochzeit von Marc und Caro hat er dann aber für mich völlig überraschend Caros beste Freundin Nina geküsst. Seitdem sind die beiden ein Paar, auch wenn sie nicht zusammen-, sondern übereinander wohnen. Ninas Wohnung ist die alte von Caro direkt über der Werkstatt, Daniels noch ein Stockwerk weiter.
»Tut mir leid. Mein Babysitter hat sich verspätet. Besser gesagt, er war damit beschäftigt, mir wertvolle Erziehungstipps zu geben.«
Daniel lacht. »Ach, Hedwig hütet ein?«
Caro nickt. »Ja. Während Herr Doktor Wagner sich auf irgendeinem windigen Kongress herumtreibt, habe ich jetzt auch noch seine Mutter am Hals.« Caro stöhnt dramatisch.
»Komm schon, sie hilft dir doch. Und erinnere dich daran, als Luisa auf Henri und die Zwillinge aufgepasst hat. Danach war eine Kernsanierung fällig.«
Wuff! Ich weiß zwar nicht, was Kernsanierung bedeutet, aber an den Tag kann ich mich noch gut erinnern. Luisa hatte extra ein Spiel besorgt, um ihre kleinen Geschwister etwas zu beschäftigen. Paintball oder so ähnlich hieß das. Das ging dann leider richtig nach hinten los. Ich mache es kurz: Als Caro und Marc wieder nach Hause kamen, war alles in einen wilden Farbmix getaucht – die Wände, die Böden – selbst ich, der Dackel. Seitdem hat Luisa nie wieder allein auf Henri, Milla und Theo aufgepasst.
Offenbar muss Caro auch gerade an diesen Tag denken, denn sie verzieht das Gesicht, als ob sie auf eine Zitrone gebissen hätte.
»O Gott, erinnere mich bloß nicht daran! Okay, so schlimm ist Hedwig vielleicht doch gar nicht. Und ich bin auch noch rechtzeitig, oder?«
»Ja, ja, die Kunden sind noch gar nicht da.«
»Familie Papadopoulos – woher kennst du die eigentlich?«, will Caro wissen. Daniel runzelt die Stirn.
»Ich kenne die gar nicht. Ich dachte, die kämen über dich.«
Caro schüttelt den Kopf. »Nein. Ich kenne niemanden, der uns beauftragen würde, eine so teure Geige für ihn zu suchen. Leider!«
»Hm, seltsam. Ich hätte schwören können, die Empfehlung kam über dich. Aber egal, wir werden einfach mal fragen, wenn sie gleich kommen.«
»Bloß nicht!«, lacht Caro. »Nachher stellt sich heraus, dass es eine Verwechslung war und die einen ganz anderen Geigenbauer beauftragen wollten!«
Gähn. Geigen. Kunden. Papando… wie bitte heißen die? Wurscht. Im wahrsten Sinne. Gibt es hier denn gar nichts für mich zu fressen? Ich muss irgendwie auf mich aufmerksam machen. Und dann tue ich das, was normalerweise völlig unter meinem Niveau ist, womit ich meine Menschen aber mit Sicherheit sofort kriege: Ich laufe zu Caros Werkbank, die vor dem großen Terrassenfenster steht – und hebe mein Bein.
Sofort ist Caro zur Stelle!
»Sag mal, spinnst du jetzt völlig, Herkules!«, schimpft sie und fuchtelt mit ihrem Zeigefinger vor meiner Nase rum. »Wie kann ein gestandener Dackelmann wie du hier auf einmal meine Möbel anpinkeln? Ich war doch gerade mit dir draußen. So eine Schweinerei! Du bist doch kein Welpe mehr!«
Ja, ja, reg du dich nur auf, liebe Caro! Wenn du wüsstest, wie es in meinem kleinen Dackelherzen aussieht, würdest du dich wundern, dass ich nicht schon wieder angefangen habe, wie ein Welpe Schuhe anzunagen. Daniel kommt mit einem Stück Küchenpapier, beugt sich zu mir herunter und wischt die Pfütze auf.
»Was ist bloß los mit dir, Herkules? Willst du mehr Beachtung?«, murmelt er. Und dann, an Caro gewandt: »Ich finde, seit der alte Kater tot ist, wirkt Herkules irgendwie verändert. Ich glaube, dass er sehr um ihn trauert.«
Caro guckt immer noch böse. »So, meinst du? Am Ende hat Herkules ein posttraumatisches Belastungssyndrom, oder wie? Ne, ne, ich glaube eher, der hat ’ne schwache Blase. Ist vielleicht langsam auch ein älterer Herr.«
Wuff! Bei meiner Lieblingsfleischwurst! So eine Frechheit! Zur Strafe hebe ich noch mal das Beinchen – aber diesmal direkt an Carolins Schuhen!
ZWEI
Nina, kann Herkules bei dir bleiben?«, bittet Daniel seine Freundin und schenkt ihr einen treuherzigen Dackelblick, wie ihn eigentlich nur ich hinbekomme. »Er ist momentan irgendwie neben der Spur. Hat gerade schon unten gegen die Werkbank und anschließend Caro auf den Schuh gepinkelt.«
Ninas Augenbrauen wandern nach oben, während sie mich nachdenklich mustert.
»Dabei ist er doch schon seit Jahren stubenrein«, murmelt Caro, die neben Daniel auf Ninas Fußmatte steht. »Könnte eine Art Rebellion sein oder so was Ähnliches wie ein posttraumatisches Belastungssyndrom. Er scheint den Kater ziemlich zu vermissen.«
Durch diese, wie ich finde, von Caro ziemlich spöttisch ausgesprochene Bemerkung ist natürlich sofort Ninas Psychologinneninteresse geweckt. Bevor ich es irgendwie verhindern kann, hat sie sich zu mir heruntergebeugt und mich fest an sich gedrückt. Hey, lass mich! Caro hat doch bestimmt nur einen Witz gemacht!
Ich will rebellieren. Ich will das wirklich nicht. Ich will nach Hause in mein gemütliches Körbchen. Wuff!
Doch als ich schließlich ihren warmen Körper an meinem fühle und ihren gleichmäßigen Herzschlag, da wird mir tatsächlich irgendwie ganz posttraumatisch zumute. Was auch immer das eigentlich bedeutet. Auf jeden Fall grummelt es in meinem Magen, als hätte ich eine übergroße Portion Pansen gefressen.
»Wir erwarten doch jeden Moment diesen wichtigen Kunden«, fährt Daniel fort. »Papadopoulos. Ich habe dir von ihm erzählt.«
Nina nickt. Auch wenn sie nicht den Eindruck erweckt, dass sie sich großartig für diesen angeblich so wichtigen Kunden interessiert. Sehr zu Daniels Leidwesen, weiß ich, weil er es ihr bestimmt schon tausendmal gesagt hat. Nina und er sind zwar ein Paar, und das schon seit über fünf Jahren, doch eben nicht so sehr Paar, wie Daniel sich das wünscht. So richtig mit einer gemeinsamen Wohnung und Kindern und jeden Abend zusammen auf dem Sofa sitzen, eben genau so, wie es zu Hause bei Caro und Marc zugeht.
Dabei ist er viel besser dran, möchte ich ihm am liebsten sagen. So ein Chaos und Geschrei kann sich nämlich freiwillig keiner wünschen.
»Ja, klar doch, ich kümmere mich gerne um Herkules«, erklärt Nina. Und dann ringt sie sich noch »Viel Glück für euren Geschäftstermin« ab.
Während sich Caro und Daniel sichtlich erleichtert, mich losgeworden zu sein, zurück in ihre Werkstatt verdünnisieren, trägt Nina mich rüber ins Wohnzimmer, wo wir zusammen aufs Sofa sinken.
Ich schaue mich um. Kein Herr Beck und natürlich auch längst keine Cherie mehr, die inzwischen wieder bei Claudia, Daniels Exfreundin, lebt. Cherie ist eine wunderschöne Retrieverhündin, in die ich mich auf den ersten Blick verliebt habe. Bei ihr hat es etwas länger gedauert, aber irgendwann hat sie eingesehen, dass ich genau der Richtige für sie bin. Umso größer war mein Glück, als Claudia sie nach der Trennung von Daniel nicht mehr haben wollte und Daniel mit Cherie in das Haus von Caros Werkstatt gezogen ist. Und umso größer war dann leider auch mein Unglück, als Claudia eines Tages so ganz und gar ohne vorherige Ankündigung bei Daniel vor der Tür gestanden und die Herausgabe ihrer Hündin gefordert hat. Daniel ist erst ganz grün vor Schreck und dann vor Wut geworden – aber er konnte anscheinend nichts machen, weil Claudia so einen Wisch dabeihatte. Kaufvertrag vom Züchter! – hat sie immer wieder gerufen und damit vor Daniels Nase hin- und hergewedelt. Ich hab’s zwar nicht live miterlebt, aber Caro. Die hat es dann später Marc erzählt, und der war sich wie alle anderen sicher, dass Claudias plötzlich wiedererweckte Cherie-Liebe bestenfalls ein später Racheakt an Daniel war.
Verstehe einer die Menschen. Was kann denn bitte schön die arme Cherie dafür, dass Daniel lieber mit Nina zusammen sein möchte? Und warum hat Claudia dann erst ihre Hündin bei Daniel gelassen, um sie später einfach abzuholen, völlig ungeachtet, wie es Cherie damit geht? Die wäre nämlich viel lieber bei Nina, Herrn Beck und vor allem bei mir geblieben.
Ich weiß, ich wiederhole mich: Verstehe einer die Menschen!
Noch niemals zuvor ist mir Ninas Wohnung so leer vorgekommen. So trostlos. So zum Jaulen.
»O weh, Herkules, mein Guter. Du scheinst ja wirklich richtig schlimmen Kummer zu haben«, wispert Nina mitleidig und tätschelt mir tröstend den Kopf.
Jaul, ja, so ist es!
»Fehlt dir Herr Beck?«, fragt sie.
Ich neige den Kopf leicht nach links, und Nina nickt mit zusammengepressten Lippen.
»Mir auch, Herkules, mir auch«, seufzt sie. »Erst Cherie und nun auch noch der alte Kater. Aber so ist das Leben nun mal, ein Kommen und Gehen …«
Eine Weile sitzen wir einfach nur so da und erinnern uns an Herrn Beck. Also, ich tue das zumindest. Dass Nina ebenfalls an den alten Kater denkt, kann ich nur vermuten, weil sie immer wieder leise seufzt.
»Vielleicht sollte ich mir eine neue Katze kaufen«, überlegt Nina laut. »Oder noch besser, so ein armes Seelchen aus dem Tierheim holen.«
Wie bitte? Habe ich das gerade richtig verstanden? Nina meint, sie könnte Herrn Beck einfach gegen eine neue Katze austauschen? Spinnt die? Herr Beck ist nicht zu ersetzen. Er – er ist … war einmalig!
»Das wäre für dich bestimmt auch gut, weil du dann nicht mehr ständig an Herrn Beck denkst. Was meinst du, Herkules, soll ich morgen gleich mal im Tierheim anrufen?«
Wuff! Nein! Das sollst du nicht!, kläffe ich empört.
Doch Nina liegt noch falscher als sonst und grinst mich schief an. »So, so, du findest meinen Vorschlag also richtig gut. Möchtest am liebsten mit ins Tierheim kommen, was?«
Nein! Bestimmt möchte ich das nicht!
»Okay, dann rufe ich morgen früh da gleich mal an. Ob du jedoch mitdarfst, das kann ich dir nicht versprechen, Herkules. Die haben da bestimmt jede Menge Auflagen, und vielleicht kriegt die eine oder andere Katze einen Schock, wenn plötzlich ein Hund im Katzengehege auftaucht.« Nina lacht, und ich knurre.
Bei meinem Lieblingskauknochen, ich habe nicht das geringste Interesse daran, sie ins Tierheim zu begleiten, denn ich habe nicht das geringste Interesse daran, irgendeine andere Katze kennenzulernen. Beck ist durch nichts und niemanden zu ersetzen!
Leise vor mich hin knurrend drehe ich ihr mein Hinterteil zu und rolle mich zu einer Kugel zusammen, wie Herr Beck es immer getan hat. Hier auf dem Sofa. Genau an dieser Stelle. O weh, schon wird mir das Dackelherz wieder schwer! Ich hätte wirklich nicht gedacht, niemals, dass mir der alte Zauselkater so sehr fehlen würde.
Ich muss eingenickt sein, denn als ich mich auf dem Sofa entrolle, meine Vorderpfötchen ausstrecke, da kommen Caro und Daniel gerade ins Wohnzimmer geschlendert. Sie strahlen um die Wette.
»Ich kann es noch gar nicht richtig fassen«, meint Daniel. »Dieser Auftrag, das ist der absolute …«
»… Jackpot«, fällt Caro ihm ins Wort und knufft ihm freundschaftlich den Ellbogen in die Seite. »Du wiederholst dich.«
»Nun setzt euch doch erst mal und trinkt ein Glas mit mir und erzählt ganz in Ruhe«, schlägt Nina vor.
Caro nickt. Doch dann fragt sie: »Habt ihr schon gegessen? Ich nämlich nicht. Und jetzt habe ich einen Mordshunger.«
»Ich könnte auch was vertragen«, stimmt Daniel ihr zu. »Was haltet ihr davon, wenn wir uns was bestellen? Vielleicht beim Inder?«
Nina schiebt die Unterlippe vor. »Nee, auf Essen vom Inder steh ich heute überhaupt nicht. Und außerdem will ich nicht ständig bestellen. Aber wir können doch zusammen kochen. Was haltet ihr davon?«
»Superidee«, freut sich Caro. »Das haben wir schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gemacht.«
Auch Daniel ist mit Ninas Vorschlag einverstanden und haucht ihr einen schnellen Kuss auf die Wange. »Ich freue mich«, sagt er leise und blickt ihr fest in die Augen.
Nina dreht sich von ihm weg, und Daniels Mundwinkel ziehen sich nach unten.
Doch lange bleiben sie da nicht, denn Caro hakt sich bei ihm unter. »Nina, du hättest sehen sollen, wie dieser reiche Reeder Papadopoulos an Daniels Lippen gehangen hat. Egal was Daniel gesagt oder gefordert hat, er hat ihm versichert, dass er ihm völlig freie Hand lassen würde.«
Caro ist völlig aus dem Häuschen. So euphorisch habe ich sie ewig nicht mehr gesehen.
»Uns!«, korrigiert Daniel sie. »Wir haben den Auftrag gemeinsam bekommen, Caro.«
Caro schenkt ihm ein Lächeln, und auch wenn ich Marc wirklich gerne mag – außer natürlich, wenn er meint, es sei mal wieder Zeit für meine alljährliche fiese wie hinterhältige Impfungsspritze –, frage ich mich immer noch, warum aus den beiden nie ein Paar geworden ist. Daniel hatte den einen oder anderen Anlauf unternommen, aber laut Herrn Beck war er einfach zu nett, und Menschenfrauen mögen keine netten Männer. Also, als Partner. Als Kumpel mögen sie sie schon. So jedenfalls die Theorie des alten Katers, und ich frage mich oft, ob da nicht sogar ein Fünkchen Wahres drinsteckt. Obwohl Marc natürlich auch sehr nett ist. Wie gesagt: außer er will mich impfen!
»Wollen wir Spaghetti mit grünem Pesto machen?«, schlägt Nina vor. »Ich habe sogar frischen Parmesan da, und für einen kleinen Salat reichen die Zutaten auch noch.«
Caro nickt, und Nina macht sich daran, einen großen und einen etwas kleineren Topf aus dem Schrank zu holen.
Daniel öffnet die Kühlschranktür. »Bier oder lieber ein Glas Rotwein?«, fragt er Caro. »Du bleibst bei Rotwein, nehme ich an?«, möchte er von Nina wissen.
Nina nickt, und Caro findet: »Sekt wäre mir eigentlich gerade lieber. Schließlich gibt es ja etwas zum Feiern. Hast du zufällig eine Flasche da, Nina?«
Nina schüttelt den Kopf. »Tut mir leid, damit kann ich nicht dienen.«
Caro überlegt, und damit ist sie nicht allein. Ich überlege nämlich auch schon die ganze Zeit. Irgendetwas ist anders, seitdem Caro und Daniel aus der Werkstatt zurück sind. Irgendwas hängt mir in der Nase. So ein Geruch, er pappt an ihren Klamotten und kommt mir irgendwie bekannt vor. Eine blasse Erinnerung umweht mich, irgendetwas ganz weit Entferntes, und wenn mich mein Dackelinstinkt nicht täuscht, keine gute Erinnerung.
»Dann laufe ich schnell runter zum Kiosk und kaufe eine Flasche«, erklärt Caro und ist schon auf dem Weg zur Wohnungstür.
»Warte, Caro, wir haben unten in der Werkstatt noch eine Flasche stehen. Frau Keller hat sie mitgebracht, als sie ihre restaurierte Geige abgeholt hat.«
Caro bleibt überrascht stehen. »Die geizige Keller hat uns Sekt geschenkt?«
Daniel grinst. »So ist es. Um anschließend mit mir um den Rechnungsbetrag zu feilschen.«
»Du hast dich doch aber hoffentlich nicht weichkochen lassen?«
Daniel schüttelt den Kopf. »Nö. Ganz im Gegenteil. Ich habe ihr sogar noch Politur aufgeschwatzt.«
»Wow, du bist ja ein echtes Verkaufstalent«, lacht Caro und zwinkert ihm zu.
Kaum hat Daniel die Wohnungstür hinter sich zugezogen, da motzt Caro Nina vorwurfsvoll an. »Sag mal, warum bist du denn so abweisend zu Daniel?«
»Bin ich doch gar nicht«, behauptet Nina und verschwindet mit dem Oberkörper im Unterschrank, um irgendetwas hervorzukramen.
Caro lässt sich davon jedoch nicht abhalten und redet weiter auf Nina ein. »Und ein bisschen freuen könntest du dich gefälligst auch mal für uns. Wir haben gerade einen wirklich großen Fisch an Land gezogen. Diese griechische Reederfamilie möchte eine exquisite Instrumentensammlung aufbauen und ist bereit, dafür richtig viel Geld auszugeben. Daniel und ich sollen für sie nach den geeigneten Instrumenten suchen, sie begutachten, den Preis verhandeln, und dafür werden wir dann fantastisch bezahlt. Nina, so einen Auftrag hatten wir noch nie. Ich kann es gar nicht fassen …« Sie stockt, und als Nina endlich wieder auftaucht, umfasst sie ihre Schultern und zwingt sie, ihr direkt ins Gesicht zu gucken. »Was ist los, Nina?«
Nina seufzt. »Ach … eigentlich nichts Besonderes«, ver-sucht sie immer noch auszuweichen. »Ich bin traurig wegen Herrn Beck und überhaupt. Daniel ist momentan so anhänglich. Er redet ständig vom Zusammenziehen und so.«
Caro macht große Augen. »Aber Nina, ihr seid seit fünf Jahren ein Paar. Da ist es doch nur logisch, dass ihr irgendwann auch mal den nächsten Schritt macht. Der doch auch kein so riesiger Schritt wäre: Immerhin wohnt Daniel in der Wohnung über dir und ist fast ständig hier. Wovor hast du denn Angst? Daniel und du, das klappt doch prima. Ihr seid füreinander geschaffen.«
Bevor Nina antworten kann, ist Daniel zurück. »Hm, leider ziemlich billiger Fusel, hab ich gerade festgestellt«, sagt er mit Blick auf die Sektflasche. »Aber zum Anstoßen reicht’s.«
»Ausgezeichnet!«, ruft Caro und klingt dabei irgendwie schuldbewusst.
Daniel guckt erstaunt. »Ist was passiert?«
»Nö. Was soll denn passiert sein? Du warst doch nur ganz kurz weg.« Caro lacht übertrieben. »Außer natürlich, dass wir einen sensationellen Auftrag bekommen haben.«
Nun guckt Daniel noch skeptischer. Doch Caro verdonnert ihn zum Tischdecken, und kurz darauf sitzen die drei bei Spaghetti, Salat, eklig süßem Sekt (findet jedenfalls Caro) und dem Rest Rotwein zusammen. An mich hat übrigens keiner gedacht. Aber wenn ich ehrlich bin, dann habe ich eh keinen Appetit. Dieser seltsame Geruch, der Caro und Daniel umweht, und die Herr-Beck-leere Wohnung, das alles zusammen ist mir irgendwie auf den Magen geschlagen.
»Was für ein Tag. Erst fängt er mal wieder völlig chaotisch an, und dann kommt am Ende doch noch so etwas Gutes wie dieser Papadopoulos-Auftrag dabei heraus. Und nun sitze ich hier mit euch beiden, und wir plaudern ganz entspannt über alte Zeiten. Hm … wie ich das gerade genieße.« Caro seufzt zufrieden, während sie sich weit auf ihrem Stuhl zurücklehnt. »Und diese himmlische Ruhe.«
Ihre Stimme klingt irgendwie komisch. Ich glaube, sie hat einen kleinen Schwips. Kein Wunder, von der zweiten Rotweinflasche, die Daniel beim Essen noch aufgemacht hat, hat Caro allein drei Gläser getrunken.
Ninas Stimme hört sich ähnlich schwer an, aber auch ein bisschen zynisch. »Und das aus deinem Mund«, wundert sie sich. »Normalerweise gehst du doch ganz und gar in deinem trubeligen Großfamilienleben auf.«
»Und was ist daran so verkehrt?«, will Daniel wissen und schaut Nina herausfordernd ins Gesicht.
Nina verschränkt die Arme vor der Brust. »Nichts! Nur eben jeder so, wie er es für sich meint.«
»Hach«, macht Caro. »Nun streitet bloß nicht. Ich war gerade so froh, dass ich mal an einem Tisch sitzen kann, an dem nicht gestritten wird. Ihr habt ja überhaupt keine Ahnung, wie stressig mein Leben als Working Mum manchmal ist.«
»Du hast doch Hedwig, und deine Arbeitszeit kannst du dir flexibel einteilen. Luisa ist auch schon fast erwachsen und hilft dir, wo sie kann«, behauptet Nina. »Marc hat seine Praxis im Haus und steht ebenfalls ständig zur Verfügung, wenn es mal brennt. Echt, Caro, dein Gejammer hört sich in meinen Ohren irgendwie nach Luxusproblemen an.«
Caro entgleiten sämtliche Gesichtszüge. »Luxusprobleme?«, krächzt sie fassungslos. »Du kannst ja gerne mal mit mir tauschen.«
»Ha!« Nina lacht laut. »Auf gar keinen Fall! Vier Gören, das wäre mein Untergang! Da lege ich mir lieber zehn neue Katzen zu! Niemals würde ich mit dir tauschen wollen!«
Daniel zieht mit dem Zeigefinger unsichtbare Kreise auf der Tischplatte, bevor er den Kopf hebt. »Ich schon. Ich würde sehr gern tauschen. Das wäre mein Traum.«
Nina stöhnt theatralisch auf. »O nein, jetzt fang bitte nicht wieder damit an!«, fährt sie Daniel an. »Du kennst meine Meinung dazu!«
»Ach so, und deine Meinung ist die einzige, die zählt?«, hält Daniel dagegen. »Und deshalb habe ich mich zu fügen und einfach schön die Klappe zu halten?«
Betrübt verzieht Caro das Gesicht. »Jetzt streitet doch bitte nicht. Es war doch gerade so … friedlich.«
»Das Leben ist aber nun mal kein Ponyhof«, blafft Nina sie an und steht abrupt vom Tisch auf.
»Stimmt!«, motzt Daniel und folgt ihrem Beispiel. »Auf einem Ponyhof gibt es nämlich in der Regel Kinder. Die du, Nina, ja auf gar keinen Fall haben möchtest. Und erst recht nicht mit mir!«
»Du wünschst dir Kinder?« Caro schaut Daniel mit großen Augen an.
Er zuckt mit den Schultern. »Was ist falsch daran?«
Caro schüttelt den Kopf. »Nichts. Absolut gar nichts. Ich – ich find’s toll.«
»Hallo! Caro! Darf ich dich daran erinnern, dass du dich gerade eben noch über deine nervige Großfamilie bei uns beschwert hast«, motzt Nina, »wie stressig dein Leben ist und wie dankbar und erleichtert du bist, dem Chaos mal zu entkommen?«
Nun steht auch Caro vom Tisch auf. Ich schätze, der gemeinsame Abend nähert sich dem Ende.
»Nina, ich habe mich nicht beschwert. Ich habe nur angedeutet, dass ich manchmal ziemlich viel um die Ohren habe und es schön ist, mal wieder einen Abend mit Freunden zu verbringen. Aber weißt du, für nichts in der Welt würde ich mein Familienleben gegen ein anderes eintauschen wollen.«
»Schön für dich.« Nina bleibt bockig. »Aber wie bereits erwähnt, jeder so, wie er meint.« Geräuschvoll beginnt Nina den Tisch abzuräumen. Sie knallt die Teller so heftig in die Spüle, dass ich sicherheitshalber den Kopf einziehe.
»Lass es, Caro, es bringt nichts«, brummt Daniel enttäuscht.
Nina knallt den nächsten Teller in die Spüle, stemmt beide Hände in die Seiten und funkelt Caro und Daniel wütend an. »Wenn ihr beide euch doch mal wieder so einig seid, warum um alles in der Welt seid ihr dann nicht zusammen, hä?«
Caro schnappt empört nach Luft. Doch bevor sie Nina selbst anmotzen kann, ist ihr Daniel zuvorgekommen.
»Mir reicht’s, ich geh!«, erklärt er und verlässt die Wohnung. Die Tür knallt ins Schloss, und Caro sieht Nina kopfschüttelnd an.
»Ich geh jetzt besser auch. Sonst sag ich noch etwas, was ich morgen bitter bereue.«
Kurz darauf trabe ich neben der leise vor sich hin schimpfenden Caro durch den Nieselregen. Ich frage mich, was Herr Beck zu diesem Theater wohl gesagt hätte. Vielleicht gar nichts, sondern nur den Kopf geschüttelt. Manchmal sagt das mehr als tausend Worte.
DREI
Als wir wieder zu Hause ankommen, hat sich Caro einigermaßen beruhigt. Sie murmelt zwar noch ab und zu etwas vor sich hin, was wie Blöde Kuh und Ichbezogene Tussi klingt, aber sie zieht nicht mehr ganz so ungnädig an meiner Leine. Ein gutes Zeichen! Bevor Caro die Wohnungstür aufschließen kann, hat uns Hedwig schon geöffnet.
»Meine Güte, das hat aber gedauert!« Marcs Mutter klingt vorwurfsvoll. Sie lässt uns vorbeigehen, Caro hängt ihre Jacke an die Garderobe, geht ins Wohnzimmer und setzt sich auf das Sofa. Hedwig pflanzt sich daneben, offenbar will sie sich noch ein bisschen mit Caro unterhalten. Oder ihr noch ein bisschen Vorhaltungen machen. Das weiß man bei Hedwig nie so genau.
»Wirklich, ich hatte eher mit dir gerechnet. Henri wollte dir noch irgendetwas erzählen, aber der schläft jetzt natürlich längst.«
»Ich hab doch gesagt, dass wir im Anschluss noch ein Glas Wein trinken. Du hast gesagt, das wäre in Ordnung«, verteidigt sich Caro.
»Na ja, aber ich dachte trotzdem, du bist spätestens um neun Uhr wieder da. Jetzt ist es schon fast elf, und immerhin ist morgen Schule!«
»Entschuldige, Hedwig, aber falls es dir entgangen ist: Ich gehe gar nicht mehr zur Schule«, kichert Caro.
»Wie du meinst. Ich bin früher immer eine Stunde vor Marc und Reinhard aufgestanden, um meinen Lieben ein schönes Frühstück zuzubereiten. Dann habe ich Reinhard rechtzeitig in die Praxis und Marc in die Schule geschickt. Wenn ich da so spät ins Bett gegangen wäre, wäre ich am nächsten Morgen ja todmüde gewesen.«
Caro zuckt mit den Schultern. »Ich bin sowieso immer müde. Milla und Theo kommen fast jede Nacht noch in unser Bett, während Henri abends gar nicht schlafen will – wenn ich erschöpft bin, liegt’s garantiert nicht am Rotwein.«
»Bei mir ist Henri vorhin sehr gut ins Bett gegangen. Also, bis auf die Tatsache, dass er dir noch etwas erzählen wollte. Und den Zwillingen musst du endlich mal beibringen, dass sie in ihr eigenes Bett gehören. Du verwöhnst die beiden völlig! Das ist doch keine Erziehung, wenn du ständig nachgibst!«
Wuff! Vorsicht, Hedwig! Dünnes Eis! Bei diesem Thema gab es doch eben schon mächtig Zoff! Aber anders als vorhin geht Caro nicht gleich an die Decke, wahrscheinlich hat sie sich schon ausgetobt. Kenne ich. Wenn man vormittags schon tausendmal hinter einem Eichhörnchen hergehechelt ist, kriegt einen Nachbars Katze nicht mehr so leicht aus dem Körbchen. Jaul! Nachbars Katze! Sofort bin ich in Gedanken wieder bei Herrn Beck und fühle mich schlecht.
Caro bückt sich zu mir und krault mich hinter den Ohren. »Ach, was heißt denn schon verwöhnen, liebe Schwiegermama?«, sagt sie dann, und ich glaube, sie lächelt dabei. Jedenfalls klingt ihre Stimme ganz warm. »Ich bin einfach gern nett zu meiner Familie. Selbst zu dir.«
Hedwig verzieht mal wieder das Gesicht. Warum nur? Ist doch toll, dass Caro auch nett zu ihr sein will!
»Gut, wenn du mich nicht gern um dich hast, dann will ich auch mal nach Hause.« Hedwig steht auf und streicht ihren Rock glatt. »Ich mach und tu hier, um dir zu helfen, aber offenbar ist dir das ja nicht recht. Gib den Kindern ein Küsschen von mir. Ich habe mit ihnen schon alle Anziehsachen rausgelegt, damit du morgen früh nicht so einen Stress hast.«