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Das hatte sich Kater Winston ganz anders vorgestellt: Statt die Vorfreude auf die Feiertage mit einer "richtigen" Familie genießen zu können, verdirbt er sich beim Festtagsessen den Magen. Und zwar so heftig, dass er sogar in die Tierklinik muss. Dann der nächste Schock: Winston wurde vergiftet! Will jemand dem tierischen Ermittler an den Pelz? Die Spur führt zu Feinkosthändler Sandro, dessen Vitello Tonnato offenbar eine verdächtige Zutat enthält. Aber der ist doch fast ein Freund der Familie! Das riecht nach einem neuen Fall! Und deshalb machen sich Winston und seine zweibeinigen Freunde Kira, Tom und Pauli daran, herauszufinden, wer hinter dem heimtückischen Anschlag steckt. Viel Zeit bleibt ihnen allerdings nicht, denn schon bald landet wieder jemand mit einer Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus ... Die Kinderbücher rund um die Freundschaft zwischen Kater Winston und Kira wurden mit dem deutschen Katzen-Krimi-Preis 2013 ausgezeichnet. Die Winston-Reihe stammt aus der Feder von Bestsellerautorin Frauke Scheunemann, bekannt durch die Dackelblick-Bücher.
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Seitenzahl: 239
Prolog oder: Ein Kater in Not!
Nun ist es also so weit. Unwiderruflich. Mein letztes Stündlein hat geschlagen. Und es schlägt nicht auf dem heimischen Sofa, meinem kuscheligen, sonnenbeschienenen Lieblingsplatz, im Kreise meiner Familie, die von mir Abschied nehmen will. Nein, es schlägt auf der kalten Platte des Untersuchungstisches von Tierärztin Dr.Wilmes.
Andererseits – lieber jetzt mein kurzes Katerleben aushauchen als weiter leiden müssen. Ich habe so starke Bauchschmerzen, dass es mich regelrecht zerreißt. Werner Hagedorn, mein treuer zweibeiniger Kamerad, hat mich sofort hierhergefahren, als mir so schwindelig wurde und ich ständig umgefallen bin. Nun steht er neben dem Tisch und streichelt mir beruhigend über den Kopf. Aber ich kann in seinem Gesicht lesen, dass er furchtbare Angst um mich hat. Auch meine beste Menschenfreundin Kira, die mich die ganze Fahrt über auf ihrem Schoß gehalten und gestreichelt hat, kämpft mit den Tränen. So schlimm ist es also um mich bestellt, miau!
Als Frau Doktor versucht, mein Bäuchlein abzutasten, strample ich mich mit letzter Kraft aus ihren Händen frei, um dann völlig erschöpft auf der Seite liegen zu bleiben. Die Tierärztin nutzt die Gelegenheit und leuchtet mir mit einer Taschenlampe in die Augen. Dazu murmelt sie vor sich hin, und ich meine, so etwas wie »Oje« oder »Oh weh« herauszuhören. Das wundert mich nicht. Ich weiß, dass ich dem Tod näher bin als dem Leben.
Schließlich räuspert sich Frau Dr.Wilmes. »Herr Professor Hagedorn«, sagt sie, und ihre Stimme klingt dabei sehr ernst, »ich fürchte, Winston wurde vergiftet. Oder hat zumindest etwas gefressen, was für Katzen giftig ist. Die Pupillen sehen jedenfalls so aus, als hätte er Drogen verabreicht bekommen. Wir werden ihm nun den Magen auspumpen müssen. Ich hoffe, ich kann ihn noch retten.«
Bei Kira fließen nun wirklich die Tränen, auch Werner schnappt nach Luft.
Konzert für zwei Blockflöten und eine schiefe Stimme.
»Stihille Naaaacht, heilige Naaaacht! Alles schläääft, eiiiinsam waaaacht …«
Zweibeiner sind einfach Spitzenklasse darin, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Als Hauskater bin ich ein echter Menschenkenner und kann ein Lied davon singen! Denn tatsächlich ist die Nacht momentan weder still, noch ist es in unserem Wohnzimmer einsam. Leider! Ich wünschte, es wäre so! Stattdessen herrscht ein ohrenbetäubender Lärm: Zwei Blockflöten spielen eher gegen- als miteinander und das Ganze wird noch gekrönt von einem furchtbar schrägen Gesang. Mir rollen sich die Schnurrhaare auf! Und das bei meinem empfindlichen Gehör! Das ist zu viel für einen edlen Rassekater wie mich. Ich springe vom Sofa, trolle mich in die Ecke und hoffe, dass die Menschen bald ein Einsehen haben und den Lärm einstellen werden.
Leider scheine ich aber der Einzige zu sein, dem auffällt, wie schrecklich das gerade klingt, denn mein menschlicher Mitbewohner, Professor Werner Hagedorn, sitzt mitsamt seinen Gästen auf unserem schönen Sofa und lauscht andächtig. Es scheint ihm also zu gefallen. Vielleicht hat er aber auch nur ein bisschen viel von diesem Getränk namens Glühwein getrunken – das sorgt bei Menschen nämlich ziemlich schnell für rote Wangen und eine getrübte Wahrnehmung.
Auch seine Mutter, Frau Hagedorn, sieht glücklich aus. Als die Blockflöten endlich ihr Getröte einstellen und auch die Sängerin verstummt, steht sie vom Sofa auf und klatscht in die Hände. »Charlotte, Constantin! Das habt ihr aber toll gemacht!« Das Mädchen und der Junge, die eben noch um die Wette geflötet haben, drehen sich zu ihr um und verbeugen sich artig. »Und du, Beate, singst ja wirklich ganz zauberhaft!«, säuselt sie weiter. »Glockenhell, meine Liebe, glockenhell!«
Okay, der Fall ist klar: Frau Hagedorn braucht ganz dringend ein Hörgerät. Anders ist ihre Begeisterung nicht zu erklären. Jedenfalls im Fall von Beate. Bei Charlotte und Constantin liegt die Sache etwas anders. Die beiden sind schließlich ihre Enkelkinder, und wie ich aus jahrelanger Erfahrung als Haustier weiß, finden Omas alles toll, was ihre Enkel so machen. Constantin ist der Sohn von Roland und Beate, also dem jüngeren Bruder von Werner und dessen zickiger Frau. Charlotte wiederum ist die Tochter von Werners älterer Schwester Simone, die Gott sei Dank nicht singt, dafür aber viel betet, weil sie doch Pastorin ist. Vielleicht könnte sie auch mal dafür beten, dass Beate nie wieder singt, wenn sie bei uns zu Besuch ist. Ach du liebes Katzenklo!
Aus gutem Grund haben also die einzigen musikalischen Menschen, die mit Werner und mir hier wohnen, Reißaus genommen: Werners Haushälterin Anna ist mit ihrer Mutter übers Wochenende verreist. Und ihre dreizehnjährige Tochter Kira, meine beste Freundin, hat sich zu ihrer Schulfreundin Pauli verzogen. Sehr schlau!
»Danke für dein Kompliment, liebe Schwiegermama!« Beate strahlt. »Und ich habe da noch ein Lied für euch vorbereitet. Also, wenn ihr wollt …«
Ich schaue mich kurz um. Werners Mundwinkel zucken. Er ist dann offenbar doch nicht ganz so begeistert von Beates Sangeskünsten wie seine Mutter. Die aber klatscht noch einmal in die Hände und ruft: »Oh, wie schön! Da freue ich mich! Bitte sing doch weiter.«
Heilige Ölsardine! Noch ein Lied ertragen meine empfindlichen Öhrchen nicht. Da hilft nur noch eins: Flucht! Und zwar sofort!
Keine drei Sekunden später bin ich durch die Katzenklappe in den Hausflur geschlüpft. Mit halbem Ohr höre ich noch, wie Beate wieder anfängt, sehr laut und sehr schief ein Lied zu schmettern, das beim besten Willen keine weihnachtliche Stimmung aufkommen lässt. Das einzig Interessante daran ist, dass es von einem Fisch zu handeln scheint – ich meine, etwas von einer kleinen Bachforelle verstanden zu haben. Gut, das ist natürlich lecker, trotzdem bin ich froh, dem Familienfeier-Inferno entkommen zu sein. Ich denke, ich werde draußen nach meiner Katzenfreundin Odette suchen.
Odette ist eine wunderschöne weiße Katze, die fast den ganzen Tag an der frischen Luft im Hof unseres Hauses verbringt. Früher, als ich noch ein fauler Wohnungskater war, der sich niemals nach draußen wagte, hätte ich sie als Streunerin bezeichnet. Aber dann zog Kira mit ihrer Mutter Anna in Werners und meine Wohnung ein. Erst war ich alles andere als begeistert, mein Sofa mit einem Kind teilen zu müssen. Aber nach und nach haben Kira und ich uns angefreundet, und schließlich habe ich mit ihr die Welt außerhalb meiner eigenen vier Wände erkundet. Seitdem weiß ich, dass Odette keine Streunerin, sondern eine Abenteurerin ist! Damit ist sie die schönste Abenteurerin der Welt, und immer wenn ich Odette sehe, macht mein Herz einen Riesensprung. Noch dazu ist sie rasend schlau, und ich glaube, das finde ich fast am tollsten. Ich liebe intelligente Frauen!
Im Sommer sitzt Odette häufig mit den anderen beiden Hofkatzen Spike und Karamell auf dem Mülltonnen-Unterstand. Aber jetzt, im kalten Winter, haben die drei ein anderes Fleckchen für sich entdeckt: die Wand neben der Lüftungsklappe des Waschkellers! Dort ist es selbst bei Minusgraden auszuhalten, denn die Klappe liegt in einem windgeschützten Eckchen und aus dem Waschkeller strömt die ganze Zeit die angenehm warme Luft aus den Wäschetrocknern.
Tatsächlich hocken Odette, Spike und Karamell auch jetzt gerade in ihrem Winterquartier. Eng aneinandergekuschelt dösen sie vor sich hin. Trotz der kalten Dezemberluft sieht das sehr gemütlich aus!
Ich schleiche mich an die drei heran und begrüße sie mit einem lauten Maunzen. Sofort zucken sie zusammen und rappeln sich hoch.
»Hey, Kumpel!«, sagt Spike und rekelt sich träge. Er ist ein dicker getigerter Kater, meist sehr gemütlich, trotzdem nicht zu unterschätzen. »Was verschafft uns die Ehre an diesem kalten Wintertag? Ich dachte, bei euch wäre Party?«
»Woher weißt du das denn?«, fragte ich überrascht nach.
»War nicht zu übersehen. Genauer gesagt: War nicht zu überhören. Wenn diese gruselige Frau mit der schrillen Stimme und ihrer ganzen Bagage anrückt, dann wollen sie immer zu deinem armen Herrchen.« Er kichert. »Bin wirklich froh, dass meine menschliche Mitbewohnerin so wenig Wert auf Gesellschaft legt. Also, jedenfalls auf die von anderen Zweibeinern.«
Ich nicke. »Tja, was soll ich sagen – mir wäre es auch lieber, wir blieben von Beate verschont. Aber in der Weihnachtszeit führt leider kein Weg an ihr vorbei.« Ich seufze.
Spike mustert mich interessiert. »Was ist eigentlich dieses Weihnachten?«
Ich starre ihn an. »Du weißt nicht, was Weihnachten ist?«
»Nee, woher sollte ich?«
»Weil das einfach jeder weiß! Alle Menschen feiern doch Weihnachten, und jeder Kater oder jede Katze, die schon mehr als einen Sommer mit den Zweibeinern verbracht hat, muss einfach wissen, was Weihnachten ist.«
Spike legt den Kopf schief. »Ich lebe nun schon einige Jahre mit meinem Menschen zusammen und ich kenne Weihnachten nicht aus persönlicher Anschauung. Ich weiß nur, dass mein Frauchen Ramona immer wieder sagt, dass sie diesen ganzen Wahnsinn nicht mitmacht.«
Recht hat sie! Wahrscheinlich kennt sie Beate und hat Angst, dass die bei einem Weihnachtsfest vorbeikommen würde.
Karamell räuspert sich. »Okay, Spike. Dann will ich dir mal erklären, was Weihnachten ist. Ich habe auch ziemlich lange gebraucht, um herauszufinden, was es damit auf sich hat. Aber nun weiß ich es: Die Menschen feiern Weihnachten, weil es darum geht, in der dunklen Jahreszeit möglichst viele Kerzen in ihrer Wohnung und auch sonstwo anzuzünden. Deswegen gehen die Zweibeiner auch dazu über, Bäume in die Wohnung zu stellen und mit Kerzen auszustatten – gewissermaßen als riesiger Kerzenleuchter.«
Hä? Was ist das denn für ein Unsinn? Karamell hat wirklich überhaupt keine Ahnung! Aber das wundert mich nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob der braune, sehr struppige Kollege schon jemals mit Menschen zusammengelebt hat. Ich glaube, er hängt tatsächlich immer nur mit Katzen rum. Woher will er also wissen, was Weihnachten ist?
»Karamell, ich korrigiere dich nur ungern«, sage ich also (obwohl das eigentlich nicht stimmt, denn im Grunde genommen freut es mich, dass ich ihm eins auswischen kann), »aber was du da über Weihnachten erzählst, ist Quatsch. Überleg doch mal – wenn Weihnachten vorbei ist, ist es in Hamburg immer noch ziemlich dunkel, aber niemand hat mehr einen Baum mit Kerzen in der Wohnung stehen. Die Weihnachtsbäume liegen doch dann alle auf der Straße, bis die Müllabfuhr sie irgendwann abholt.«
Spike und Odette kichern leise in ihren Pelz.
Karamell funkelt mich böse an. »War ja klar! Du bist natürlich wieder Mister Superschlau! Wenn du alles besser weißt, mein lieber Winston, dann erklär du uns doch mal, was Weihnachten ist.«
Ich räuspere mich und richte mich zu voller Höhe auf. So macht das Werner auch immer, wenn er zu Hause einen neuen Vortrag für die Universität einübt, und es sieht ungeheuer wichtig aus.
»Beim Weihnachtsfest geht es den Menschen vor allem um das Essen. Weil Winter ist, wächst ja nichts mehr auf den Feldern und an den Bäumen, und die Menschen befürchten eine schwere Hungersnot. Deswegen haben sie Weihnachten erfunden. Da essen sie bei jeder Gelegenheit, so viel sie können, und futtern sich sozusagen eine Notreserve an. Weihnachten ist also ein Überlebenstraining für Menschen – es erinnert sie daran, immer genug zu essen.«
Spike, Karamell und Odette starren mich an. Dann beginnt Odette zu röcheln und zu schnaufen und wirft sich schließlich zur Seite. Hm. Ein Schwächeanfall? Verursacht durch die unglaubliche Brillanz meiner Erklärung? Soll bei Frauen ja häufiger mal vorkommen, dass sie vor Begeisterung in Ohnmacht fallen. Etwa, wenn sie auf einen Rockstar treffen. Oder einen berühmten Filmschauspieler. Oder eben, wenn ihnen jemand ganz toll erklärt, was an Weihnachten eigentlich gefeiert wird.
Odette ist also tatsächlich vor Begeisterung in Ohnmacht gefallen – ich, Winston Churchill, bin einfach ein Teufelskerl!
Von Weltrettern, Thunfischsoße und schlechten Menschen.
So langsam könnte sich Odette aber mal von ihrer Begeisterungsohnmacht erholen. Sie liegt immer noch zwischen Spike und Karamell, ihr Röcheln ist zu einem Japsen geworden – und wenn ich genauer hinhöre, meine ich fast, ein Lachen zu hören. Sehr rätselhaft!
»Winston«, bringt Odette nun mühsam hervor, »wie kann es denn sein, dass du ständig ans Essen denkst?«
»Moment mal, was hat das denn jetzt mit mir zu tun? Ich habe lediglich erklärt, warum die Menschen Weihnachten feiern.«
Odette rappelt sich wieder auf und legt den Kopf schief. »Du glaubst das also wirklich mit dem Überlebenstraining?«
Ich nicke. »Natürlich. Genau darum geht es an Weihnachten – möglichst viel zu essen!«
Odette seufzt. »Winston, wie lange lebst du jetzt schon mit Menschen zusammen?«, will sie dann von mir wissen. Und zwar in einem Tonfall, den ich wirklich hasse. Es ist nämlich eindeutig ihr -Tonfall.
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