Damaged Grump - Nicole Snow - E-Book

Damaged Grump E-Book

Nicole Snow

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Beschreibung

Das erste Zusammentreffen von Laura und Roland hätte nicht chaotischer verlaufen können. Roland, der charismatische Medienmogul mit dem selbstgefälligen Grinsen, stößt Laura sofort vor den Kopf. Die arrogante Art und seine merkwürdigen Moralvorstellungen prallen auf ihren unerschütterlichen Sinn für Gerechtigkeit. Vor den entsetzten Augen seiner Angestellten lässt sie ihn wissen, was sie wirklich von ihm hält, und löst damit einen Eklat aus.

Doch Lauras Entsetzen kennt keine Grenzen, als sie kurz darauf erfährt, dass ausgerechnet dieser Mann ihr neuer Chef wird. Roland, ein unerbittlicher und rücksichtsloser Herrscher über sein Presseimeperium, übt eine Anziehungskraft aus, der Laura sich kaum entziehen kann. Sie spürt, dass sie in ein Netz aus Widersprüchen und verwirrenden Gefühlen geraten ist. Wenn sie nicht aufpasst, könnte diese gefährliche Anziehungskraft alles in ihrem Leben verändern – eine Vorstellung, die sie gleichermaßen fasziniert und ängstigt ...

 

Alle Bücher der "Bad Chicago Bosses" sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Cover for EPUB

Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Das erste Zusammentreffen von Laura und Roland hätte nicht chaotischer verlaufen können. Roland, der charismatische Medienmogul mit dem selbstgefälligen Grinsen, stößt Laura sofort vor den Kopf. Die arrogante Art und seine merkwürdigen Moralvorstellungen prallen auf ihren unerschütterlichen Sinn für Gerechtigkeit. Vor den entsetzten Augen seiner Angestellten lässt sie ihn wissen, was sie wirklich von ihm hält, und löst damit einen Eklat aus.

Doch Lauras Entsetzen kennt keine Grenzen, als sie kurz darauf erfährt, dass ausgerechnet dieser Mann ihr neuer Chef wird. Roland, ein unerbittlicher und rücksichtsloser Herrscher über sein Presseimeperium, übt eine Anziehungskraft aus, der Laura sich kaum entziehen kann. Sie spürt, dass sie in ein Netz aus Widersprüchen und verwirrenden Gefühlen geraten ist. Wenn sie nicht aufpasst, könnte diese gefährliche Anziehungskraft alles in ihrem Leben verändern – eine Vorstellung, die sie gleichermaßen fasziniert und ängstigt ...

Alle Bücher der "Bad Chicago Bosses" sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Über Nicole Snow

Nicole Snow ist eine Wall Street Journal und USA Today Bestseller Autorin. Sie entdeckte ihre Liebe zum Schreiben, als sie sich in ihren Mittagspausen oder in langweiligen Büromeetings Liebesszenen ausdachte und sich in Liebesgeschichten wegträumte.

Im Mittelpunkt von Nicole Snows Büchern stehen sexy Alpha-Helden, viel Spannung und noch mehr Leidenschaft.

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Nicole Snow

Damaged Grump

Aus dem Amerikanischen von Cécile Lecaux

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

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KAPITEL 1: ÜBERALL NUR GEJAMMER — CALLIE

Kapitel 2: RAGTIME BABY — ROLAND

Kapitel 3: SAME OLD JAZZ — CALLIE

Kapitel 4: ZUCKERSÜSSER BLUES — ROLAND

Kapitel 5: EIN BISSCHEN SCHWARZE MAGIE — CALLIE

Kapitel 6: BEKOMME ICH EIN HALLELUJA? — ROLAND

Kapitel 7: EINE VERSTECKTE SAITE — CALLIE

Kapitel 8: AIN’T GOT THAT SWING (Duke Ellington) — ROLAND

Kapitel 9: STIMMUNGSTIEF — CALLIE

Kapitel 10: LEICHT GESAGT, SCHWER GETAN — ROLAND

Kapitel 11: DÜSTERE GEDANKEN — CALLIE

Kapitel 12: SAME OLD SONG AND DANCE (Aerosmith) — ROLAND

Kapitel 13: BLUE ALL OVER (D-A-D) — CALLIE

Kapitel 14: ONCE IN A BLUE MOON (Nat King Cole) — ROLAND

Kapitel 15: IN A BLUE FUNK (Van Morrison) — CALLIE

Kapitel 16: PLAY IT AGAIN (Luke Bryan) — ROLAND

Kapitel 17: BLUE FREAKS (Navi Cyan) — CALLIE

Kapitel 18: ALL JAZZED UP — ROLAND

Kapitel 19: A LITTLE RHYTHM (Ali Thomson) — CALLIE

Kapitel 20: DOWN AND OUT (Genesis) — ROLAND

Kapitel 21: SING A LITTLE DITTY (Snub Moseley’s Band) — CALLIE

Kapitel 22: A GOOD MAN FEELING BAD (Blujon) — ROLAND

Kapitel 23: AUF IN DIE HEIMAT DES BLUES — CALLIE

Kapitel 24: HOLE IN MY SOUL (Aerosmith) — ROLAND

Kapitel 25: THE BLUES ARE ALWAYS THE ROOTS (Willie Dixon) — CALLIE

Kapitel 26: LOVE IN BLACK AND BLUE (Kristian Kostov – Things I Like) — ROLAND

Kapitel 27: SOMETHING BLUE (Neil Diamond) — CALLIE

Impressum

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KAPITEL 1: ÜBERALL NUR GEJAMMER

CALLIE

Ich tanze gerade auf Wolke sieben, und nichts und niemand wird mir das verderben. Im Ernst. Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie in einem so bequemen Stuhl gesessen.

Der dick gepolsterte Ledersessel ist butterweich.

Ich habe das schon öfter gehört, habe es aber immer für übertrieben gehalten, da Leder für mich eher fest und glatt ist, eventuell etwas rau, aber immer hart, und Lederpolster sind für gewöhnlich zu straff bespannt.

Aber ich hatte auch bisher noch nie das Vergnügen, in einer Luxus-Flughafen-Lounge in einem Sessel aus feinstem Leder Platz nehmen zu dürfen. Das Teil verschluckt einen förmlich und passt sich perfekt an die Körperkonturen an, bis man überzeugt davon ist, dass man gestorben und im Himmel ist – oder den seltsamsten feuchten Traum seines Lebens hat.

Seit wann ist es ein Vergnügen, einfach nur zu sitzen?

Allein für dieses Sitzvergnügen und den perfekt gemixten Mint Julep könnte ich mich durchaus daran gewöhnen, erster Klasse zu fliegen. Ich könnte sogar die Augen schließen und ein Nickerchen machen.

Wenn ich denn nicht von Gewissensbissen geplagt würde, weil mein Vater mir den Flug nach Chicago von seinen überschaubaren Tantiemen-Einnahmen bezahlt hat.

Er hat sich nicht davon abbringen lassen.

Und er hat seiner liebsten – und einzigen – Tochter keine Wahl gelassen, nachdem er das Ticket bereits gekauft hatte.

Ich wünschte nur, ich hätte meine AirPods nicht vergessen. Nicht einmal die gedämpfte Hintergrundmusik in der Lounge kann die scharfen, zornigen Stimmen mir gegenüber übertönen.

Die Worte fliegen wie Pfeile hin und her und nahmen in der eleganten Lounge viel zu viel Raum ein, ohne jede Rücksicht auf die anderen Anwesenden, die versuchen, vor dem Boarding etwas zu entspannen.

Ich beiße die Zähne zusammen und versuche, die beiden zu ignorieren und mich stattdessen auf die liebevolle Umarmung meines popofreundlichen Sessels zu konzentrieren. Das erweist sich aber als ziemlich schwierig, da ich mir wegen des erbitterten Streitgesprächs vorkomme, als befände ich mich auf dem New Yorker Börsenparkett.

Aufgrund der Lautstärke komme ich gar nicht umhin, das Gespräch mitzuhören. Ich fange vertraute Begriffe auf.

Fotostrecken. Drucklayouts. Farbtafeln. Content-Kalender. Tonaufnahmen.

Es sind aber nicht die Fachbegriffe, die mich dazu veranlassen, die Augen wieder zu öffnen, sondern eine unverwechselbare Stimme, die die anderen überlagert.

Wobei es nicht angemessen erscheint, nur von einer Stimme zu sprechen.

Sie ist sonor, extrem männlich, etwas rau und weckt Assoziationen mit Whiskey und Rauch. Die Art von Stimme, die wie gemacht ist für zu Herzen gehende Balladen, begleitet von einer Akustikgitarre, bei gedämpftem Licht, die das Publikum in dunkle Schatten verwandelt.

Nur dass hier und jetzt keinerlei Melancholie in der donnernden Stimme mitschwingt. Vielmehr wiederholt sie immer wieder abweisend: »Nein. Das nächste«, »Soll das ein Witz sein?«, oder »Kommt nicht infrage!«

Alter Schwede.

Dabei klingen die Worte nicht wirklich verletzend, da der Tonfall nicht missbilligend oder abschätzig ist, sondern nur desinteressiert.

Ich schätze, dass sein Hofstaat das Szenario gewohnt ist, weil er sich nicht entmutigen lässt und weiter Vorschläge in den Ring wirft. Ich kann nicht länger an mich halten.

Jetzt bin ich neugierig. Ich schaue mich möglichst diskret um – und brauche auch nicht lange zu suchen.

Der Inhaber der Stimme mit dem unverwechselbaren Timbre und seine Entourage sitzen mir direkt gegenüber, keine fünf Meter entfernt. Sie belegen einen ganzen Bogen der Ledersitze auf der gegenüberliegenden Seite mehrerer niedriger kleiner Tische.

Bei mir schlägt der Blitz ein, als ich sehe, zu wem die Stimme gehört, die meine Neugier geweckt hat.

Der Mann thront da wie ein König inmitten seines Hofstaats.

Groß, gut gebaut, mit viel zu definierten Muskeln unter einem blütenweißen Business-Hemd unter einer dunkelgrauen Wollweste. Dazu rabenschwarze Hosen, die seine langen Beine noch länger erscheinen lassen, und auf Hochglanz polierte Lederschuhe, die aussehen, als handle es sich um Maßanfertigungen.

Das stylische Outfit passt zu ihm.

Sein Haar ist von einem dunklen Mokkabraun, fast schwarz, wenn kein Licht darauf fällt. Dann glänzt die kunstvoll frisierte Haarpracht über der aristokratischen Stirn aber wie gebräunte Walnussbutter.

Er hat die Augen leicht zusammengekniffen, wie das bei solchen Männern meistens der Fall ist.

Die Augen strahlen Ruhe aus, Souveränität und eine raubtierhafte Intensität. Sie sind tiefblau und erinnern mich an ungeschliffene Saphire, scharf und doch gedämpft wie ein geheimnisvolles, tiefes Gewässer.

Ich bin sofort fasziniert.

Seine Begleiter wirken neben ihm wie Kinder. Die meisten sind noch recht jung, Anfang bis Mitte zwanzig, würde ich sagen, und alle tragen billigere Imitationen seines teuren Outfits. Sie wirken durchaus professionell, aber nicht annähernd so elegant wie er.

Keiner aus dem Fußvolk wagt es, ihn anzusehen. Stattdessen starren sie wie gebannt auf ihre Tablets, während sie ihn weiter mit Vorschlägen bombardieren, in der Hoffnung auf einen Treffer.

Ich muss mir ein spöttisches Schnauben verkneifen. Schon allein die Art, wie er dasitzt, wirkt geradezu obszön. O Mann.

Eigentlich wollte ich dem Kerl, der mir den Aufenthalt in der Lounge verdirbt, nur einen bösen Blick zuwerfen, und jetzt entpuppt sich der Störenfried doch glatt als überaus interessante Erscheinung.

Er sitzt seitlich zu mir, ein Bein über die Armlehne des Sessels gelegt, das andere ausgestreckt. Ein Arm ruht auf der Rücken- und Armlehne des Sessels, der andere baumelt lässig von der Rückenlehne herab.

Dadurch ist sein Körper gebogen und seine Hüften sind in einer arroganten Pose vorgeschoben. Die Haltung der Beine drückt den edlen Stoff der schwarzen Hose an sein Becken.

Nein, er sieht doch nicht so königlich aus.

Mehr wie ein Draufgänger in der Rolle eines Königs, mit der Lässigkeit eines schwarzen Panthers, selbstbewusst, allwissend und darauf wartend, dass etwas – oder jemand – sein Interesse weckt.

Sein Blick gleitet über die Lounge und bleibt an mir hängen.

War ja klar.

Eben hat er noch gelangweilt an die Wand gestarrt, so hoch über seinen Leuten, dass er fast in der Stratosphäre schwebt, und im nächsten Moment ruht sein Blick auf mir. Prompt gerät mein Herz aus dem Takt, und ich zucke zurück, wenn auch nicht aus Furcht.

Ich empfinde widerwillige Bewunderung, was mich ärgert. Ich hasse es, dass mir der Atem stockt, deswegen kneife ich die Augen sofort wieder zu.

Nein. Heute nicht.

Ich bin alt genug, um zu wissen, dass ein Starr-Wettbewerb mit großen, dunklen, gut aussehenden Fremden zu nichts Gutem führen kann.

Ich wage kaum, auszuatmen, und hoffe, dass er wieder wegschaut, nachdem er mich bei meiner kritischen Musterung ertappt hat.

Ich zähle bis zehn. Es fühlt sich an, als würde meine Lunge jeden Moment implodieren. Ich muss lächerlich aussehen, wie ich volle dreißig Sekunden wie erstarrt in meinem Sessel liege, eine Hand in den Nacken gelegt.

Ich brauche dringend Sauerstoff und kann fühlen, wie brennende Röte mein Gesicht überzieht.

… was tue ich da eigentlich?

Warum fühle ich mich wie ein verschlafenes kleines Mädchen, das dabei erwischt wurde, dass es länger aufgeblieben ist als erlaubt? Ich schürze die Lippen, richte mich auf, drücke den Rücken durch und öffne die Augen, fest entschlossen, zu ignorieren, was mir gegenüber vorgeht, was es auch sein mag.

Um im nächsten Moment mitten in der Bewegung innezuhalten, beide Arme über dem Kopf ausgestreckt.

Mein Herz schlägt einen Purzelbaum.

Der Fremde fläzt sich nicht mehr in seinem Sessel, als gehöre ihm der ganze Flughafen. Er hat sich mir zugewandt, die Beine gespreizt, die Ellbogen auf den Knien und die Hände verschränkt. Sein durchdringender – spöttischer? – Blick ist geradewegs auf mich gerichtet, als gäbe es seine Entourage gar nicht. Idiot!

Ich schlucke hart, ignoriere mein Herzflattern und das Prickeln auf der Haut. Ich schaue weg, nehme die Arme herunter und streiche mir das Haar zurück, als hätte ich ihn gar nicht bemerkt. Als würde ich diesem Prachtexemplar in seinem sündhaft teuren Maßanzug nicht die Aufmerksamkeit schenken, die ihm seiner Meinung nach gebührt.

… trotzdem frage ich mich, warum er mich so anstarrt.

Jetzt, da mein Ohr nicht mehr an das weiche Leder gedrückt ist, kann ich etwas deutlicher verstehen, was seine Höflinge sagen.

»Hast du schon davon gehört?«, sagt gerade eine junge Frau mit Brille. »Die Scheidung ist zum Rosenkrieg geworden, jetzt streiten sie auch noch um das Sorgerecht …«

»Kein Interesse. Da geht noch mehr«, murmelt die menschliche Gewitterwolke.

»Okay«, meldet sich ein Mann nervös zu Wort, seine Stimme so unsicher, dass er sich sofort als Neuling outet. »Da wäre noch Milah Hollys letzter Nippelblitzer. Was halten Sie …«

Er spricht den Satz nicht zu Ende. Denn der Donnergott wirft ihm einen gelangweilten Blick zu, als hätte er eine Schale Reis vor sich.

»Die Welt findet Milah Hollys Nippel so langweilig wie die Frau selbst«, sagt er trocken und richtet den Blick wieder auf mich.

O Gott. Als hätte ich irgendetwas mit einer Unterhaltung über Nippel zu tun.

»In Anbetracht ihres doch eher drastischen Make-overs«, fährt er fort, »bezweifle ich, dass das ein Unfall war, und Kleidungs-Fails sind selten skandalös. Besorg mir etwas wirklich Interessantes, Kyle. Ihr alle habt einfach keinen Instinkt für eine gute Story.«

Ich werde nicht hinsehen.

Auf keinen Fall.

Aber ich lausche mit wachsendem Entsetzen. Anstatt gegen die überhebliche Gleichgültigkeit ihres Bosses aufzubegehren, überschlägt sich die Meute förmlich und zaubert immer neue Ideen aus dem Hut, wobei die Vorschläge immer krasser werden.

Ein alternder, völlig ergrauter Schauspieler in einem Sex-Tape mit einem Starlet, das gerade einmal halb so alt ist wie er.

Die heimliche Schwäche eines der gefürchtetsten Restaurantkritiker Chicagos für Fastfood.

Der Brand in einem tausend Jahre alten Schloss, verursacht von einer durchgeknallten royalen Braut, deren Namen die Boulevardpresse sich kaum zu drucken wagt. Heilige Scheiße.

Plötzlich weiß ich, was das alles zu bedeuten hat.

Diese Leute … das sind echte Paparazzi.

Sie schreiben für ein Revolverblatt, eins von denen, die sich darauf spezialisiert haben, im Privatleben anderer Leute herumzuschnüffeln und sie in Stücke gehackt den nach Skandalen lechzenden Wölfen zum Fraß vorzuwerfen.

Ich kenne das.

Und ich weiß auch, dass viele Promis bei diesem Irrsinn mitspielen. Da wird Privatsphäre für Ruhm verkauft, für eine steile Karriere, ein parasoziales Verhältnis zu Fans, die süchtig sind nach Einblicken in die Intimsphäre ihrer angebeteten Stars.

Viele »Künstler« haben ihre Karriere der Boulevardpresse zu verdanken und füttern sie mit Skandälchen.

Allerdings gilt das nicht für alle.

Und wenn die Regenbogenpresse sich erst einmal gnadenlos auf ein Opfer eingeschossen hat, kann sie irreparablen Schaden anrichten. Aber vielleicht bin ich ja in der Sache auch befangen wegen Dads Leidensgeschichte.

Trotzdem komme ich nicht gegen den Ärger an, der in mir hochkocht, während ich diesen Gremlins dabei zuhöre, wie sie mit potenziellen Schlagzeilen um sich werfen, als hätten sie noch nie etwas von Menschenwürde gehört.

Zumal ich immer noch den wölfischen Blick des Anführers der Meute auf mir spüre.

Und dann ruft auch noch einer dieser Speichellecker eifrig: »Oh, wartet! Was ist mit Billie Hicks? Ihre Karriere ist am Arsch, oder? Ihr letztes Album war ein Flop. Sie hätte abtreten sollen, als sie noch jung und hübsch war. Es heißt, ihre Stimme wäre von jahrzehntelangem Rauchen ruiniert und sie würde es nie wieder in die Charts schaffen. Sie vergeudet nur noch anderer Leute Zeit.«

Ich kneife die Augen zusammen, und mein Blut erreicht den Siedepunkt.

In der nasalen Stimme des Geiers schwingt Schadenfreude mit, Gehässigkeit. Ich würde ihm am liebsten den Hals umdrehen.

Zu meiner Überraschung zeigt der Donnergott – nennen wir ihn Thor – das erste Mal Interesse. In der eben noch so ausdruckslosen, hohlen Stimme schwingt nun nachdenkliche Neugier mit.

»Damit könnten wir arbeiten«, murmelt er. »Nicht weil ihre Karriere am Ende sein soll, wie du meinst, sondern weil eine echte Geschichte dahintersteckt. Echter Verlust, eine Tragödie … solche Geschichten gehen zu Herzen. Wir möchten das Mitgefühl unserer Leser für Miss Hicks. Wir möchten, dass sie ihren Schmerz spüren, als wäre sie ein Familienmitglied. Oder eine enge Freundin. Ihr Verlust soll sie berühren. Wir müssen die richtigen Fäden ziehen, um eine Verbindung herzustellen. Stimmen Sie mir zu, Miss Snoopy?«

Plötzlich richtet sich die Aufmerksamkeit der ganzen Truppe auf mich.

Mir entfährt ein atemloses Keuchen.

Er hat zu mir gesprochen.

Snoopy? Neugierig? Ich?

Ich drehe ihm abrupt den Kopf zu und starre ihn schockiert an.

Er sitzt noch genauso da wie vorhin, nur dass jetzt ein fieses Grinsen seinen arroganten Mund umspielt, während er mich aus kobaltblauen Augen mustert.

Meine Schultern versteifen sich.

»Ich … wie war das?«

Er macht eine lässige Handbewegung. Seine Finger sind lang und kräftig, wie alles an ihm. Er strahlt Eleganz gepaart mit Stärke aus, und seine kontrollierten Bewegungen verleihen ihm eine einschüchternde Souveränität.

»Sie interessieren sich seit zwanzig Minuten sehr für unser Gespräch. Vielleicht haben Sie ja einen redaktionellen Vorschlag für mich?«

Ich mustere ihn finster. »Nein, danke. Ich will nichts mit Ihrem redaktionellen Mist zu tun haben, Kumpel.«

Es rutscht mir einfach so raus.

»Kumpel? Sehe ich aus wie ein Kumpel?« Er zieht die dunklen Brauen hoch. Kultiviert, herablassend, bis ich mich fühle wie eine Ameise, die es gewagt hat, das Wort an Gott zu richten. »Was glauben Sie denn, was ich tue, Miss Snoopy?«

»Sie sind ein Schmierfink, Mann«, antworte ich, ohne zu zögern. Wenn schon eine Ameise, dann eine Feuerameise, deren Bisse höllisch wehtun. »Ihr Typen wühlt im Dreck und schert euch nicht darum, was ihr damit anrichtet. Euch geht es nur ums Geld. Die Leben, die ihr zerstört, gehen euch am Arsch vorbei.«

Ich bin jetzt richtig in Fahrt.

Die komischen Vögel um ihn herum starren mich an, als hätte ich eine Waffe gezogen, und blicken hektisch zwischen mir und ihrem Boss hin und her. Der junge Typ, der einen Artikel über Hicks vorgeschlagen hat, vergräbt das Gesicht in den Händen. Die Frau mit der Brille ist kreidebleich im Gesicht.

»Im Gegenteil«, erwidert Thor bedächtig und nagelt mich förmlich mit dem Blick aus seinen durchdringenden blauen Augen auf meinem Sitz fest. »Ich suche mir sehr sorgfältig aus, wen ich zerstöre. Ich wähle meine Ziele mit Bedacht. Ich habe einen gewissen Anspruch, Ma’am.«

»Ma’am?«, wiederhole ich und beiße mir auf die Zunge, bevor mir herausrutschen kann: Sehe ich aus wie eine Ma’am?

Jetzt bin ich wirklich auf Krawall gebürstet. Ich schnaube vernehmlich. Und ich muss zugeben, dass es mich mit Genugtuung erfüllt, als sein Hofstaat dramatisch nach Luft schnappt, als wären wir bei Drag Race und als wäre ich eine Queen, die es gewagt hat, ihre Majestät RuPaul zu beleidigen.

»Ich würde das, was Sie tun, nicht als anspruchsvoll bezeichnen«, fauche ich. Es ist unleugbar, dass ich diese Chance, einem der Geier, die meinen Vater ruiniert haben, die Meinung zu geigen, bei mir selbstgerechten Zorn schürt. »Sie schustern sich doch Sachverhalte so lange zurecht, bis es zur Schlagzeile reicht. Dank Photoshop lässt sich ja heute aus einer Mücke ein Elefant machen.«

Er kneift die Augen kaum merklich zusammen, und mir entgeht auch das belustigte Glitzern in ihnen nicht.

»Ziemlich große Klappe für eine so harmlos aussehende Maus.« Das genügt, um mir brennende Röte ins Gesicht zu treiben, aber er ist noch nicht fertig. »Und was wissen Sie überhaupt von journalistischem Anspruch, Snoopy? Womit verdienen Sie denn Ihren Lebensunterhalt. Als Sekretärin? Buchhalterin? Bibliothekarin? Rein optisch könnte das zu Ihnen passen.« Er legt eine Pause ein und macht wieder diese Handgeste, die in ihrer Anmut beinahe hypnotisch wirkt. »Ja, definitiv.«

Was heißt hier, ich sehe aus wie eine Sekretärin? Oder wie eine Bibliothekarin?

Ich könnte im Erdboden versinken.

Vorzugsweise mit seinen Eiern in der Hand.

Ich gebe zu, dass ich heute etwas spießig gekleidet bin. Wenn ich fliege, putze ich mich nicht heraus, auch dann nicht, wenn ich das erste Mal in der ersten Klasse fliege, und offensichtlich ist ihm aufgefallen, dass ich nicht hierhergehöre, in dieses exklusive Ambiente. Dass ich nicht Teil der elitären Kreise bin, in denen er sich mit seinem versnobten Getue und seinen maßgeschneiderten Klamotten tagtäglich bewegt.

Fun Fact?

Das geht mir am Allerwertesten vorbei.

Seine Welt glitzert nur nach außen hin. Innen ist sie hässlich und verdorben. Ich will gar nicht dazugehören.

Meine Verlegenheit verfliegt, und ich hebe stolz das Kinn. »Wir arbeiten in der gleichen Branche, glaube ich, nur dass ich mich nicht von der dunklen Seite habe verführen lassen. Ich wurde gerade zur Chefredakteurin des beliebtesten Kultur- und Musikmagazins von Chicago ernannt, danke der Nachfrage. Und das ist das, was ich unter anspruchsvoll, journalistischer Integrität und Ethik verstehe. Es gibt Grenzen, die ich niemals überschreiten würde, um mich zu bereichern. Und zufällig weiß ich, dass Ihnen solche Grenzen fremd sind.«

Diesmal schnappt sein Gefolge nicht einmal mehr nach Luft, sondern starrt mich an, als hätte ich gerade mein eigenes Todesurteil unterschrieben. Auf dem einen oder anderen Gesicht erkenne ich sogar einen Hauch von Abscheu.

Bei ihm nicht.

Aber der leicht spöttische Zug um seinen Mund ist verschwunden.

Jetzt lächelt er.

O Gott.

Es ist das kalte, furchterregende Lächeln eines Vampirs, der beschlossen hat, mich zu verschonen, mir aber bedeuten will, dass er mein Blut riechen kann. Meine Angst.

Dumm nur, dass ich keine Angst verspüre.

Oder belüge ich mich selbst?

Was ist das für ein Kribbeln, das sich in mir ausbreitet?

Nein. Auf keinen Fall. Es ist definitiv keine Anziehung. Und doch kann ich den Blick nicht von ihm und seinem grausamen Lächeln abwenden, sodass er mich mit seinem Blick für mehrere Sekunden gefangen hält.

Meine Atemzüge werden kürzer, flacher, und ich bin unfähig, mich zu rühren.

Als er schließlich wieder spricht, klingt seine Stimme wie zersplitterndes Glas. Ich hole tief Luft, um das beklemmende Gefühl in der Brust loszuwerden.

»Nun, das war ein erhellender Austausch, aber jetzt ist Schluss.«

Mit dieser kryptischen Bemerkung steht er auf und winkt, als rufe er ein Haustier herbei. Seine Entourage erhebt sich geschlossen und jongliert ungeschickt mit Tablets und Bordgepäck.

Er trägt nur seine imposante Erscheinung.

Der Raum, den er auf dem Sessel eingenommen hat, war schon ein Hinweis darauf, dass er groß sein musste, aber mir war nicht klar, wie groß.

Er ragt regelrecht vor mir auf und füllt mit seiner Präsenz den ganzen Raum zwischen uns. Dann passiert es.

Er verneigt sich in einer geschmeidigen, flüssigen Bewegung, einen Arm vor den Bauch gelegt. Aber trotz dieser höflichen, perfekt ausgeführten Verneigung hat diese Geste nichts Ehrerbietiges oder Ritterliches an sich. Es ist seine Art, sich über mich lustig zu machen.

Als er sich wieder aufrichtet, bewegt er den Kopf ruckartig zur Seite, um sich das Haar aus der Stirn zu schwingen und gleichzeitig seinem Fußvolk zu signalisieren, ihm zu folgen.

»Zeit, an Bord zu gehen. Seien Sie vorsichtig, Miss Snoopy. Man sieht sich immer zweimal im Leben.«

Oh. Mein. Gott.

Ich glaube, ich war noch nie so nah dran, einen Mord zu begehen.

Aber er entfernt sich bereits mit kraftvollen weit ausholenden Schritten, die die Angestellten, die duckmäuserisch um ihn herumwuseln, noch kleiner und unbedeutender erscheinen lassen.

Bevor mir ein passender Konter einfällt, beispielsweise ein Bezug auf seinen mutmaßlichen Mikropenis … ist er fort.

Die Tür, die hinaus auf das Rollfeld führt, das den Privatjets vorbehalten ist, schließt sich hinter ihm und seinen Leuten, während ich mit einer Handvoll weiterer Passagiere in der Lounge zurückbleibe – vor Wut schäumend.

Stöhnend lasse ich mich in meinem Sessel zurücksinken, lege die Arme auf die Lehnen, den Kopf in den Nacken und schließe die Augen.

Ich habe …

Ich will …

I kann nicht …

Was zur Hölle war denn das?

Ja, mag sein, dass ich etwas gelauscht habe, aber deshalb musste er mich doch nicht öffentlich so angehen.

Wenigstens habe ich mich behauptet. Ich mag keine Mobber. Erst recht keine reichen, überheblichen Mobber, die sich für Gott halten, nur weil sie aussehen wie Herkules persönlich, und sich aufführen, als gehöre ihnen die ganze Welt, die ganze Branche, die …

Moment.

Ich weiß gar nicht, was ihm tatsächlich gehört, oder? Und wie einflussreich er in der Branche wirklich ist. Ich habe mit dieser Sparte nichts zu tun, sodass ich die großen Nummern im Haifischbecken nicht kenne.

Ganz kurz zieht mein Magen sich zusammen. Mir kommt ein Gedanke, bei dem mir ganz flau wird.

Er würde doch nicht … oder doch?

Er war so kryptisch hinsichtlich seiner Identität. Da ich für gewöhnlich keine solchen Spielchen spiele, kann ich nicht zwischen den Zeilen lesen. Hat er mich nur auf den Arm genommen, oder war das eine versteckte Drohung?

Ich reiße die Augen auf, beuge mich vor, verschränke die Hände und drücke sie an den Mund.

Ich will nicht glauben, dass er ein totaler Psycho ist.

Er wird sich ganz sicher nicht die Mühe machen, Fäden zu ziehen, um herauszufinden, wer ich bin, und mich feuern zu lassen, nachdem ich so dumm war, ihm von meinem brandneuen Job zu erzählen, oder? Oder?

Und das auch noch bei einem unschönen Wortgefecht in einer Flughafen-Lounge.

Nein. Das wäre zu kleinlich, sogar für einen Mann, der vorhin die Nippel von Superstar Milah Holly als langweilig bezeichnet hat.

Denke ich.

Hoffe ich.

Angst kriecht in mir hoch, vermischt sich mit Wut zu einem brodelnden, explosiven Gemisch.

Als eine Stewardess mich fünf Minuten später anspricht, fahre ich erschrocken zusammen.

Sie beugt sich lächelnd, mit knallroten Lippen zu mir herab. »Miss Landry?«

Ich bin im ersten Moment verunsichert, bis mir wieder einfällt, dass es in der ersten Klasse zum Service gehört, vom Personal erkannt und mit Namen angesprochen zu werden. »Das ist für Sie. Von Mr. Osprey.«

Sie hält mir ein hohes, schlankes Champagnerglas hin, das so kalt ist, dass auf der Außenseite Kondenswasser perlt. Ich starre auf das Glas, ohne es anzurühren. »Ich kenne keinen Mr. Osprey.«

»Das ist der Gentleman, der gerade gegangen ist«, entgegnet sie, immer noch lächelnd. »Ich soll Ihnen seinen aufrichtigen Glückwunsch zur neuen Stelle ausrichten.«

Ich bin sprachlos. Keine Ahnung, was ich sagen soll, aber da sie mich erwartungsvoll ansieht, schenke ich ihr schließlich ein dünnes Lächeln und murmele »Danke sehr«, während ich das Glas beim Stiel fasse. Sie nickt knapp, wendet sich ab und stolziert wie ein Model auf dem Laufsteg mit klappernden Absätzen von dannen. Aus irgendeinem Grund muss ich, als ich das kühle Glas an den Mund hebe, daran denken, dass er mich als Maus bezeichnet hat.

Die Bläschen kitzeln mich in der Nase.

Osprey also.

Osprey heißt Fischadler. Ein Raubvogel.

Irgendwie habe ich das ungute Gefühl, dass der Adler mich im Blick behalten wird, jetzt, da er weiß, dass es mich gibt.

Kapitel 2: RAGTIME BABY

ROLAND

Die Skyline von Chicago hat was.

Vielleicht ist es ja reine Nostalgie. Oder Sentimentalität. Vielleicht auch einfach Müdigkeit nach einer langen, anstrengenden Geschäftsreise und von dem ständigen Drahtseilakt meines Berufs.

Was immer es ist, die Stadt ist mir nie schöner vorgekommen als bei unserem Anflug bei Sonnenaufgang. Das goldene Morgenlicht und die pfirsich- und himbeerfarbenen Streifen am Himmel werden von den Wolkenkratzern reflektiert, sodass es aussieht, als stünde der Horizont in Flammen.

Hinter mir liegt eine lange Nacht.

Ein langer Flug von New Orleans.

Meine Angestellten sind ebenso erschöpft, die meisten schlafen tief und fest in den luxuriösen Sitzen des Jets, zufrieden wie Katzen, die sich auf einer Couch zusammengerollt haben. Ich bin fast als Einziger wach, rastlos, und schaue zu, wie die Stadt langsam Gestalt annimmt, das Tablet mit den aktuellsten Schlagzeilen auf meinem Schoß vorübergehend vergessen.

Mein Feed zeigt mir jeden Skandal an, jede Meldung der Konkurrenz, dazu Datenverkehr-Analysen und potenziell explosive Einzelheiten zusammengefasst in einem Bericht.

Und doch ist da eine Geschichte, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht.

Billie Hicks. Früher einmal international umjubelte Sängerin, die ihre Karriere in den Achtzigern als Teenager begonnen hat und innerhalb kürzester Zeit mit ihrer Band zum Shooting Star aufgestiegen ist. Das Publikum liebte sie ebenso für ihre natürliche Schönheit wie für ihre soulige Stimme.

Sie ist eine lebende Ikone – und eine leichte Beute für blutrünstige Schakale.

Wir leben in einem Zeitalter ebenso schnellen wie vergänglichen Ruhms, katapultieren Menschen in höchste Höhen, nur um sie ebenso schnell wieder vom Sockel zu stoßen.

Ist die Tragik nicht umso prickelnder, je tiefer der Fall ist? Und weiß nicht längst jeder, wie es läuft in dem Geschäft?

Trotzdem ist das nicht die Art von Geschichte, auf die ich aus bin.

Ich gehöre nicht zu den Raubtieren, die ständig nach Futter gieren.

Ich möchte eine Geschichte, die es lohnt, erzählt zu werden. Eine Geschichte mit Herz und Seele. Und diese Geschichte geht ans Eingemachte. Sie berührt die Menschen so sehr, dass sogar eine Fremde – eine besonders hübsche, naive Fremde, die ihr Näschen gern in fremder Leute Angelegenheiten steckt – sich deswegen ganz offen mit mir angelegt hat. Die Kleine war so außer sich vor Empörung, dass ihre Gesichtsfarbe sich jener ihres kupferfarbenen Haars angenähert hat.

Bei der Erinnerung an den Austausch in der Lounge ballen sich meine Finger unwillkürlich zur Faust. Das Schicksal der armen Miss Hicks, der durch den Verlust ihrer unverwechselbaren Stimme der Absturz droht, ist Miss Snoopy so sehr zu Herzen gegangen, dass sie mich angegriffen hat, als ich die Absicht geäußert habe, darüber zu berichten.

Ich frage mich, welchen schmerzlichen Verlust sie selbst erlitten haben mag, um solches Mitgefühl für einen gefallenen Star zu empfinden.

Genau diese Reaktion möchte ich bei meinen Lesern und Leserinnen hervorrufen. Ich möchte, dass sie nach diesem Gefühl süchtig werden und immer mehr davon wollen.

Brutal. Real. Authentisch.

So etwas hat letztendlich weit mehr Reichweite als Schadenfreude.

Allein bei dem Gedanken, die Menschen da draußen mitten ins Herz zu treffen, verspüre ich einen Adrenalinstoß.

Nein, ich selbst habe nicht alles verloren, wohl aber jemand, den ich sehr liebe. Ich kann an nichts anderes mehr denken, während ich zusehe, wie die Wolken bei der Landung wie Klingen durch die Wolken gleiten. Es ist jetzt zehn Jahre her, aber ich sehe noch alles vor mir, als wäre es gestern gewesen. Das zerstörte Studio. Meinen jüngeren Bruder, der schäumend vor Wut mitten im Raum steht, die Überreste seiner Gitarre in den blutenden Fingern, schwer atmend und den Namen eines Ungeheuers auf den Lippen. Während das besagte Ungeheuer eine halbherzige Entschuldigung faselt, mit einem schleimigen Lächeln auf dem breiten, schmierigen Gesicht.

So etwas passiert, Barrett. Es geht nicht immer gut aus. Es ist nie leicht. So ist das eben in der Branche. Es ist nur …

Ich hatte ihn nicht zu Ende reden lassen.

Als er schließlich davonhumpelte, war mein Bruder nicht mehr der Einzige, der blutete. Auch Vance Haydn hatte rote Flecken im kurzen silbernen Haar.

Ich krümme und strecke reflexartig die Finger bei der Erinnerung an die Wucht, mit der meine Faust in Haydns Gesicht gekracht war. Die Haut spannt derart an den Fingerknöcheln, als würde sie jeden Moment reißen.

An jenem Tag habe ich meinen Bruder verloren.

Er hatte gesagt, er würde es schaffen, er würde es verkraften. Doch er hat sich nie von diesem Schlag erholt. Er hat es nicht verkraftet.

Und jetzt ist es zu spät.

Ich schließe die Augen gegen das blendende silbrige Licht über Chicago, und es ist, als lege sich ein Schleier über die schmerzhaften Erinnerungen. Ich muss diesen Scheiß nicht zum x-ten Mal durchleben.

Ich darf mich nicht von jeder traurigen Geschichte über einen gefallenen Popstar runterziehen lassen. Ich habe Wichtigeres zu tun.

Also öffne ich die Augen, nehme einen tiefen Atemzug, der mich wieder erdet, und wende mich vom Fenster ab, um mich der gepflegten, grauhaarigen Frau neben mir zuzuwenden.

Meine Assistentin Wanda braucht offenbar ebenso wenig Schlaf wie ich. Sie ist mit ihren mehr als sechzig Jahren effizienter als die meisten Menschen Mitte zwanzig und tippt mit einem nachdenklichen Zug um den Mund auf ihrem Laptop herum. Schon seit ich Osprey Media gegründet habe, ist sie Assistentin der Geschäftsleitung, und wir sind so perfekt aufeinander eingestimmt, dass wir oft wortlos kommunizieren.

Auch diesmal brauche ich nicht erst auf mich aufmerksam zu machen. Sie blickt über den Rand ihrer Nickelbrille zu mir. »Brauchen Sie den Bericht über die Tageseinnahmen oder den Prospekt für die bundesweite Werbekampagne?«

»Weder noch.« Ich stützte mich mit den Ellbogen auf und lege die Fingerspitzen dachförmig aneinander. »Geben Sie mir bitte den Bericht über die Neuanstellungen bei Just Vibing.« Dabei handelt es sich um die neueste Errungenschaft meines Medienimperiums. Ich ertappe mich bei einem Lächeln und korrigiere das sofort. »Insbesondere möchte ich die Personalakte der neuen Chefredakteurin einsehen. Ich habe ihren Namen vergessen, könnten Sie mein Gedächtnis auffrischen? Ich habe den Papierkram um die Neuanstellung dem HR-Team und dem ehemaligen Besitzer überlassen.«

Sie verzieht missbilligend den Mund. »Sie meinen die junge Frau, die Sie am Flughafen terrorisiert haben?«

Mist. Ich hätte damit rechnen müssen, dass Wanda mich sofort durchschaut.

»Ach kommen Sie. Sie übertreiben. Zu behaupten, ich hätte sie ›terrorisiert‹, ist ja wohl leicht übertrieben, finden Sie nicht?«

»Nein, das finde ich keineswegs. Im Ernst, Mr. Osprey, wenn ich nicht gerade mit der Crew des Privatjets kommuniziert hätte …«

Ich seufze. »… dann hätten Sie dafür gesorgt, dass ich mich benehme wie ein Gentleman. Ja, das ist mir bewusst. Danke, Mama«, füge ich sarkastisch hinzu. Und jetzt lächle ich doch, auch wenn es sich ungewohnt anfühlt. »Ich habe einen Ruf zu verteidigen, wissen Sie.«

»Und niemand weiß besser als ich, wie schlecht dieser Ruf ist«, kontert sie. »Manchmal glaube ich, dass es Ihnen Spaß macht, sich zu benehmen wie ein verzogener kleiner Junge.«

»Nur manchmal?«, frage ich mit hochgezogener Braue.

Sie verdreht die Augen, aber es ist eine Geste voller Zuneigung. Sie tut immer so, als würde sie meine Auftritte missbilligen, aber ich weiß genau, dass sie hinter der Fassade der eisernen Lady eine Schwäche für mein Benehmen hat.

Für sie bin ich nicht der unnahbare Boss von Osprey Media, die Geißel der Reichen und Berühmten, sondern einfach nur ein frecher Bengel, der gern über die Stränge schlägt.

Und wer weiß, womöglich hat sie recht.

Trotzdem wirft sie mir jetzt einen weiteren strengen Blick zu.

»Es wird Sie freuen zu hören, dass ich Ihre Hausaufgaben bereits gemacht habe. Ihr Name ist Caroline Landry, aber soweit ich weiß, nennen alle sie Callie. Aber bevor ich noch mehr sage, möchte ich, dass Sie mir Ihr Wort geben, dass Sie sie nicht feuern werden.«

Ich mache ein unschuldiges Gesicht. »Sie verletzen meine Gefühle, Wanda«, lüge ich, lehne mich in meinem Sitz zurück und trommle mit den Fingern auf die Armlehnen. »Keine Sorge. Ich habe nicht vor, Miss Landry zu kündigen. Sagen wir, ich habe andere Pläne für sie und ihr Mundwerk.«

»Müssen Sie das so formulieren?«, fragt sie stirnrunzelnd.

»Ja.«

»Schämen Sie sich.« Wieder rollt sie mütterlich mit den Augen.

Und doch erahne ich auch jetzt dahinter eine gewisse Belustigung.

»Fein. Ich schicke Ihnen ihren Lebenslauf und den Background-Check. Wollten Sie noch etwas, bevor wir …«

Ein leises Ping unterbricht sie.

»Liebe Passagiere, hier spricht Ihr Kapitän«, erklingt eine freundliche männliche Stimme aus dem Lautsprecher.

»… landen«, beendet Wanda ihren Satz.

»Wir beginnen jetzt mit dem Landeanflug auf den O’Hare Airport. Bitte schalten Sie alle elektronischen Geräte aus und schnallen Sie sich an. Auch wenn das hier kein Linienflug ist, können Mobiltelefone Störungen bei den teuren Instrumenten verursachen«, teilt der Pilot ihnen schmunzelnd mit.

Wanda verdreht murrend die Augen. »Gott. Warum müssen die immer versuchen, witzig zu sein, egal, wie viel man ihnen bezahlt?«

Sie will ihren Laptop zuklappen, aber ich hindere sie daran und werfe einen Blick auf ein Foto in einer Ecke des Bildschirms.

»Schau an«, murmele ich. »Ist das von der Brandt-Hochzeit?«

»Von beiden, ja«, antwortet sie, klopft mir leicht auf die Finger und schließt mit einem missbilligenden Blick ihren Laptop. »Es ist über ein Jahr her, seit Nicholas und diese Chauffeurin geheiratet haben, und immer noch zerreißen sich alle das Maul darüber. Unser Mode- und Style-Team hat anhand der offiziellen Fotos von Wards und Nicholas’ Hochzeiten eine schöne Strecke von Designern und Styles zusammengestellt.«

»Wunderbar. Bring das auf die Titelseite und vielleicht dazu noch eine Seite innen. Die Brandts setzen Modetrends für das nächste Jahrzehnt. Das ist das Mindeste, was sie für uns tun können, nachdem sie sich getraut haben und vom Markt sind.« Stirnrunzelnd füge ich hinzu: »Schick mir den Entwurf vorab. Ich schaue mir das an und leite es dann mit meinen Änderungswünschen selbst weiter an Ian.«

Ich greife nach dem Tablet, in Gedanken bereits bei meinen Notizen zum Thema, als ich Wanda seufzen höre.

»Nach der Landung, Boss«, sagt sie.

Ich lächle schief. »Ist Ihnen heute nicht nach etwas Risiko zumute?«

Sie wirft mir nur einen scharfen Blick zu, der zum Ausdruck bringen soll, dass sie mich weit weniger witzig findet als ich mich selbst. Also gut, ich werde mich benehmen – vorübergehend. Ich lehne mich zurück und warte auf die Landung.

Sobald wir von Bord gegangen sind, bin ich am Tablet.

Mein Redaktionsteam trabt hinter mir her, nur Wanda kann mit mir Schritt halten. Ich arbeite im Gehen und scrolle mich durch Fotos und Layouts, während ich das Terminal durchquere und meinen wartenden Wagen ansteuere. Mein Fahrer, Dominick, hebt eine Hand, um auf sich aufmerksam zu machen. Dann öffnet er respektvoll die hintere Tür eines schnittigen schwarzen Rolls Royce, und Wanda und ich nehmen auf den dunklen Polstern im Find Platz. Mein Mitarbeiterstab verteilt sich auf Taxen und Limousinen.

Als wir losfahren, betrachte ich gerade ein Foto von Reese Halle – jetzt Reese Brandt – in einem atemberaubenden Kleid. Der Farbkontrast zwischen ihrem Kleid und jenem von Paige Brandt inspiriert mich zu einer Design-Komposition.

Plötzlich spüre ich, dass Wandas Blick auf mir ruht.

»Was ist denn jetzt schon wieder?«, brumme ich und hebe stirnrunzelnd den Kopf.

»Sie haben noch nie einen Rivalen vom Haken gelassen«, antwortet sie lapidar. »Darum misstraue ich auch Ihren Absichten gegenüber Miss Landry.«

»Haben Sie vergessen, dass Nick Brandt und ich uns inzwischen bestens verstehen? Na ja, bestens ist vielleicht etwas übertrieben, aber immerhin hasst er mich nicht mehr.« Ich swipe zu einem weiteren Foto von Nick, dessen bärtiges Gesicht strahlt, während sein verliebter Blick auf seiner hübschen, schwangeren Frau ruht, völlig gleichgültig gegenüber den Kameras. »Außerdem würde ich Callie Landry nicht als Rivalin bezeichnen. Wozu also die Aufregung.«

Eine Antwort lauert in meinem Hinterkopf.

Vielleicht, weil ihr Name mir so melodisch über die Lippen kommt.

Zu meinem Ärger gefällt mir der Klang.

Verflucht.

Ich habe keine Zeit für so was. Für spießige Frauen mit engstirnigen Ansichten von richtig, falsch und fick dich. Auch wenn ich mir nicht mehr sicher bin, was meinen eigenen moralischen Kompass betrifft. Der Zweck heiligt die Mittel, oder?

Und das Letzte – das Allerletzte –, was ich brauche, ist eine Neue im Faltenrock, die sich aufführt wie Jiminy Grille.

Wenn ich doch nur nicht so neugierig auf die Personalakte in meinem Posteingang wäre. Was mag da wohl drinstehen?

Wie wird Miss Snoopy reagieren, wenn sie erfährt, dass der Mann, dem sie mit solcher Verachtung begegnete, ihr neuer Boss ist?

Leider habe ich am nächsten Tag keine Zeit, es herauszufinden.

Als ich den Fahrstuhl verlasse und mein Büro ansteuere, wartet bereits der erste Ärger in Gestalt von Frank Ranallo auf mich. Frank an sich ist gar nicht so übel. Er ist ganz nett, ein Arbeitstier Mitte fünfzig, jemand, der seine Kinder drängt, ihm endlich Enkel zu schenken. Niemals würde man ihm zutrauen, dass er sich in einem Gerichtssaal in einen gnadenlosen Hai verwandeln kann. Als Leiter meiner Rechtsabteilung muss er allerdings einen Killerinstinkt haben, um zu bestehen. Und wenn er morgens vor meinem Büro auf mich wartet, kann das nur bedeuten, dass er Blut gewittert hat.

»Fassen Sie sich kurz«, sage ich, als ich an ihm vorbeigehe und die Doppeltüren zu meinem Büro aufschließe. »Ich habe heute Vormittag sechs Meetings, zwei davon auswärts.«

Er folgt mir und schließt die Türen hinter uns.

»Wie gewöhnlich stecken wir bis zum Hals in Klagen, Mr. Osprey«, sagt er in dem ihm eigenen ruhigen Tonfall. »Das ist nichts Neues. Die letzte Klage könnte allerdings problematisch werden.«

»Worum geht’s?«

»Um diese Story im letzten Monat wegen Alkohols am Steuer.«

Ich trete an die deckenhohe Fensterfront auf der Rückseite meines Büros. Durch die riesige Scheibe hat man einen großartigen Blick auf die Stadt, das Epizentrum meines Wirkens.

»Gesetzesverstöße publik zu machen ist nicht verboten, Frank«, entgegne ich knapp und verschränke die Hände hinter dem Rücken. »Alles entspricht den Tatsachen. Die Klage entbehrt also jeder Grundlage.«

»Sie behauptet, Sie hätten ihre Privatsphäre verletzt, sie emotionalem Stress ausgesetzt …«

»Sie hat sich durch ihr rücksichtsloses Verhalten in Schwierigkeiten gebracht. Sie wissen doch, dass sie um ein Haar mit einer vierköpfigen Familie gefahren wäre, darunter eine Schwangere«, sage ich fest. »Ihre Verhaftung wurde von der Pressestelle der Polizei bestätigt, und es liegen unwiderlegbare Beweise vor. Die Klage ist unbegründet. Man wird sie abweisen.«

Franks tiefer, lang gezogener Seufzer lässt die Luft vibrieren.

Ich höre solche Seufzer in letzter Zeit viel zu oft von den Leuten in meinem Umfeld.

Eine ständige Erinnerung daran, dass ich ein anspruchsvoller Chef bin.

»Roland«, sagt Frank geduldig. »Sie investiert einen Haufen Geld und hat ein ganzes Heer von Anwälten engagiert. In Anbetracht der zahlreichen Klagen gegen uns sind wir schon mit der Abwehr eines halben Dutzends größerer Klagen ziemlich ausgelastet.«

»Nur ein halbes Dutzend? Ich lasse nach. Danke für den Hinweis.« Ich werfe ihm über die Schulter einen Blick zu und ziehe eine Braue hoch. »Kein Grund zur Panik. Ziehen Sie vorübergehend ein paar externe Kollegen hinzu, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Haben wir je eine Verleumdungsklage verloren?«

»Nein«, gibt er widerwillig zu.

»Wie viele Fälle haben wir schon gewonnen?«

Wieder ein tiefer, gequälter Seufzer. »Einhundertzweiunddreißig. Morgen werden es vermutlich einhundertdreiunddreißig sein.«

»Einhundertzweiunddreißig Klagen wegen Verleumdung, Beleidigung, übler Nachrede wegen verschiedenster Vergehen sogenannter Hollywood-Stars«, sage ich ungerührt. »Und ich habe keinen einzigen davon verloren. Was glauben Sie, warum das so ist?«

»Weil Sie mich dafür bezahlen, dass ich gute Arbeit leiste, und weil ich es meiner Berufsehre schuldig bin, mein Bestes zu geben«, entgegnet er.

Ich kann mir ein leises Lächeln nicht verkneifen. »Das auch. Aber was noch?«

Ich sehe Frank an, dass es ihm schwerfällt, es auszusprechen. Er schließt die Augen und massiert sich mit den Fingern die Schläfen.

»Weil wir ausschließlich belegte Fakten berichten«, sagt er schließlich zähneknirschend.

»Weil wir ausschließlich belegte Fakten berichten«, wiederhole ich. »Es ist nicht unsere Schuld, dass die Wahrheit manchmal extrem unbequem ist, oder? So unbequem, dass manche Leute nicht damit umgehen können.«

Ich glaube, wenn Frank nicht so stolz wäre, würde er fristlos kündigen. Deswegen mache ich mir eine gedankliche Notiz, einen Präsentkorb mit altem Scotch zu ihm nach Hause schicken zu lassen, aber jetzt habe ich keine Zeit mehr für dieses Gespräch.

Mein Handy vibriert in meiner Tasche. Ich ziehe es heraus und überfliege die eingegangene Textnachricht.

Wanda: Ihr Wagen wartet. Sie werden bei Just Vibing erwartet. Man wird Ihnen bestimmt einen herzlichen Empfang bereiten.

Ich: Liegen alle Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben vor?

Wanda: Jede einzelne.

Hierauf entsteht eine Pause, dann geht, bevor ich noch etwas tippen kann, eine weitere Nachricht ein.

Wanda: Einschließlich jener von Miss Landry.

Ich schnaube.

Caroline Landry scheint mir ganz der Typ zu sein, der es kaum erwarten kann zu hinterfragen, warum der neue Inhaber des Magazins von den Mitarbeitenden eine solche Erklärung verlangt und wer dieser neue Inhaber überhaupt ist … da dieser unter dem Deckmantel einer Scheinfirma agiert, die nicht zu Osprey Media Incorporated zurückverfolgbar ist.

Sie wird es noch früh genug erfahren.

Ich frage mich nur, ob sie bei unserer nächsten Begegnung ebenso scharfzüngig sein wird wie am Flughafen.

Kapitel 3: SAME OLD JAZZ

CALLIE

Seit ich das stylishe, helle, in einem ansprechenden Art-Deco-Design gestaltete Büro betreten habe, spüre ich eine unbestimmte Anspannung, die so gar nicht zu der lockeren Atmosphäre einer Musikredaktion wie Vibing passen will. Vielleicht liegt es nur an meiner eigenen Nervosität am ersten Arbeitstag? Andererseits steckt das Magazin in einer abrupten Übergangsphase. Alle Kollegen, denen ich heute Morgen begegnet bin, vom CEO bis hin zu den Assistenten, sind angespannt, und es herrscht emsige Betriebsamkeit, weil der neue Inhaber sich heute persönlich vorstellen wird.

Der neue Inhaber, der heute Morgen von allen eine Verschwiegenheitserklärung hat unterschreiben lassen. Ich hatte nicht viel Zeit, sie mir durchzulesen. Ich weiß nur, dass Just Vibing von einem Unternehmen namens Redbird Limited übernommen wurde und dass ich mit der Unterzeichnung dieser Vereinbarung zugestimmt habe, keinerlei Informationen über Kollegen und Kolleginnen, die Übernahme oder sonstige Firmeninterna preiszugeben.

Das ist … ungewöhnlich. Normalerweise werden solche Übernahmen öffentlich gemacht. Diese Verschwiegenheitserklärung erweckt den Anschein, als hätte der neue Inhaber etwas zu verbergen.

Ich habe das Gefühl, dass Matilda mehr weiß, als sie sagt. Sie hat die Aufgabe übernommen, mich einzuweisen, während alle anderen in dem Großraumbüro an ihren Schreibtischen sitzen, vor den satinierten Glasscheiben meines Büros vergeblich Redbird googeln und aufgeregt über die geheimnisvolle Übernahme tuscheln.

Ich bin froh, dass nicht meine Anstellung als neue Chefredakteurin der Anlass für die allgemeine Aufregung ist, denn ich habe mich im Rampenlicht noch nie wohlgefühlt. Das überlasse ich den Leuten mit musikalischem Talent, die ich sehr bewundere.

Vielleicht bin ich es auch nur gewohnt, im Schatten zu stehen. So ist das, wenn der eigene Vater als aufstrebendes Musiktalent die Charts gestürmt hat, bevor sich der Traum von der großen Musikkarriere in Luft aufgelöst hat.

Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich so klein war, dass er mich in der Armbeuge gehalten hat, in der anderen Hand die Gitarre. Da konnte ich schon laufen und sprechen, aber nicht verstehen, was um mich herum vorging und warum alle hinter der Bühne so euphorisch waren. Die Luft war statisch aufgeladen von dem allgemeinen Überschwang, während Dad selbst auffällig still war. So war er vor jedem Auftritt, hat mich an sich gedrückt und mich auf das Haar geküsst. Für mich fühlte es sich an, als würde er mich einatmen, um sich mit etwas aufzutanken, das nur seine kleine Tochter ihm geben konnte, bevor er mit einer unfassbaren Energie die Bühne rockte.

Ich habe erst später erfahren, wie wütend es Mom gemacht hat, dass er mich heimlich zu seinen Shows mitgenommen hat wie einen Talisman. Sie hat sich schreckliche Sorgen um mich gemacht. In ihren Augen hatte ein Kleinkind bei diesen Leuten nichts zu suchen. Damit meinte sie die Roadies und das ganze Umfeld, Menschen, die scheinbar ständig betrunken oder high waren und keine Rücksicht auf ein kleines Mädchen nahmen.

Manchmal denke ich, dass es besser war, dass dieses Leben ein Ende hatte, bevor ich alt genug war, um zu begreifen, was um mich herum vorging. Auch wenn ich bedaure, wie es passiert ist und was es mit ihm gemacht hat …

»Callie, hören Sie mir zu?«

Ich blinzle, reiße mich von meinen Erinnerungen los und konzentriere mich stattdessen auf Matilda Fischer. Sie ist die ehemalige Besitzerin von Just Vibing und leitet die Übernahme, ist also gewissermaßen – noch – meine Vorgesetzte.

In ihrem schlichten tiefroten, schulterfreien Etuikleid sieht sie umwerfend aus. Vom Stil her bewegt es sich zwischen elegant-professionell und Cocktailkleid. Als wolle sie vom Büro aus direkt zu einem Empfang, ohne sich umziehen zu müssen. Ihr weißes Haar, das vereinzelt noch von blonden Strähnen durchzogen ist, fällt ihr in einem welligen Halb-Bob seitlich über das Gesicht und verdeckt eins ihrer grünen Augen. Mit dem anderen mustert sie mich besorgt.

»Fühlen Sie sich gut, Callie?«

»Jaja, alles bestens.« Ich fühle, wie ich erröte, räuspere mich und lächle. Na toll. Das ist mein erster Tag, und ich falle schon als unkonzentriert auf. »Entschuldigung. Alle sind so aufgedreht wegen des Deals. Ich schätze, ich habe mich von der allgemeinen Nervosität anstecken lassen. Sie sprachen gerade von den Finanzen?«

»Ja. Wir wissen ja beide, wie es läuft, nicht wahr?« Grübchen erscheinen in ihren Wangen. Schon beim Vorstellungsgespräch hat sie mich an eine sympathische Version von Miranda Priestly erinnert. »Die Finanzen waren der Grund für den Verkauf. Wir verfügen einfach nicht über die nötigen finanziellen Mittel für größere Umstrukturierungen und Modernisierungen, die aber unerlässlich sind, um auf dem digitalen Markt zu bestehen. Und ehrlich gesagt verfüge ich auch nicht über die entsprechenden Kenntnisse. Ich habe ein top Team von jungen Leuten eingestellt, die am Puls der Zeit sind und sich mit Web-Content auskennen, aber ich wollte für die strategischen Entscheidungen jemanden haben, der etwas reifer ist.« Sie errötet bei diesen Worten wahrhaftig wie ein junges Mädchen. Als sie sich über den Schreibtisch beugt, als wolle sie mir ein Geheimnis anvertrauen. »Darum habe ich auch ihn gewählt.«

Ich blinzle. »Ihn? Verraten Sie mir auch, wen genau Sie damit meinen?« Ich stütze das Kinn auf die Hand. »Ich verstehe diese ganze Geheimniskrämerei nicht. Was sollte das mit den Verschwiegenheitserklärungen?«

»Ach, das. Das war seine Idee. Er ist ziemlich bekannt, wissen Sie, und er wollte nicht, dass das Magazin in die Schlagzeilen gerät. Darum hat er extra für die Übernahme eine Strohfirma gegründet.« Sie lächelt. »Sie werden ihn ja gleich persönlich kennenlernen. Er müsste jeden Moment hier eintreffen.«

Matilda steht auf, streicht das Kleid glatt, das ihre noch jugendliche Figur betont, zupft ihre Frisur zurecht und bedeutet mir, ihr zu folgen.

Okay.

Jetzt bin ich neugierig.

Außerdem kann ich als Chefredakteurin dem Treffen mit dem neuen Obermacker nicht fernbleiben.

Ich erhebe mich ebenfalls, rücke meinen weniger eleganten, aber ordentlichen Bleistiftrock zurecht und folge ihr aus dem Büro, wobei ich mir noch einen Block und einen Kugelschreiber von meinem Schreibtisch schnappe.

Das Großraumbüro hat sich geleert, und wir gehören zu den Letzten, die den Konferenzraum betreten. Ich bin das erste Mal hier, und auch wenn diese Besprechung nicht unter meiner Leitung stattfindet, wird das künftig meine Domäne sein. Ich nehme links von Matilda Platz und lasse den Blick durch den Raum schweifen.

Er ist länglich, dank einer ganzen Reihe von Fenstern lichtdurchflutet, und am Kopfende befinden sich mehrere große Screens für Präsentationen. In der Mitte steht ein großer Tisch aus dunkler Eiche mit Lederstühlen mit einem angenehmen Abstand zueinander.

Ich verspüre kribbelnde Vorfreude bei der Aussicht auf die Meetings, die hier stattfinden werden. Redaktionsbesprechungen. Gespräche mit Künstlern, Agenten und Vertretern verschiedener Label mit leckeren Horsd’œuvre.

Okay, jetzt geht die Fantasie mit mir durch …

Aber ich habe hart gearbeitet, um hier zu landen, verdammt.

Ich habe das Recht, mich darüber zu freuen, dass ich künftig über mein Lieblingsthema Musik berichten darf, oder?

Noch ahne ich nicht, dass die Freude nur von kurzer Dauer sein wird. Als ich mich nämlich gerade hingesetzt habe, schwingt die Tür zum Besprechungszimmer wieder auf. Eine streng wirkende ältere Dame kommt herein. Sie sieht aus wie eine vorzeitig gealterte alte Jungfer und Lehrerin der alten Schule.

Es wird still im Raum. Das laute Stimmengewirr geht in ein leises Rascheln über.

»Guten Morgen«, sagt die Frau knapp. »Mr. Roland Osprey ist da. Sie warten auf uns, wenn ich mich nicht irre.«

Osprey?

Ich muss mich verhört haben. Bitte!

Ich fasse es nicht.

Es grenzt an ein Wunder, dass ich nicht vom Stuhl kippe.

Habe ich das wirklich richtig verstanden? Oder träume ich? Passiert das wirklich?

Osprey.

Heilige Scheiße.

Nach der bizarren Auseinandersetzung in der Flughafen-Lounge habe ich mir alle Mühe gegeben, den Vorfall zu vergessen.

Verzweifelt versuche ich, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Ich hatte doch gleich das Gefühl, dass es noch ein Nachspiel geben würde, dass er aus reiner Bösartigkeit seinen Einfluss geltend machen könnte, damit ich gefeuert werde.

Ich habe dem Drang, ihn zu googeln, um herauszufinden, welche Brücken ich gesprengt habe, widerstanden, weil ich es nicht so genau hatte wissen wollen, um genau die Panikattacke zu vermeiden, die sich jetzt anbahnt. Verdammt, ich wäre im Traum nicht darauf gekommen, dass er derjenige sein könnte, der Just Vibing übernommen hat, dass er der dringend benötigte heimliche Investor sein könnte.

Er betritt das Besprechungszimmer, als gehöre es ihm – und na ja, diesmal stimmt das ja sogar.

Ein hinterhältiger Pfau von einem Mann mit lässigem Gang und raubtierhafter Anmut. Und der gleichen Arroganz wie am Flughafen. Wieder trägt er perfekt sitzende, teure Hosen, ein maßgeschneidertes Hemd und dazu eine Krawatte, die aussieht wie ausgestanzt.

Er ist glatt wie eine Schwertklinge, aber deutlich breiter. Seine Größe und das breite Kreuz betonen die schmale Taille noch zusätzlich.

Und in der Sekunde, als er über die Schwelle tritt und während Dutzende Kollegen und Kolleginnen im Raum hörbar nach Luft schnappen, passiert es.

Natürlich.

Der Blick seiner eiskalten blauen Augen landet auf mir, so schneidend wie ein Skalpell.

Während alle anderen bewundernd zu ihm aufblicken und sogar vereinzelt Applaus zu hören ist, halte ich als Einzige im Raum die Luft an.

Oh.

O nein.

Das hat er also mit seiner kryptischen Verabschiedung gemeint.

Obwohl er weder meinen Namen kannte noch den Namen des Magazins, für das ich arbeite, hat er schon am Flughafen gewusst, dass das letzte Wort zwischen uns noch nicht gesprochen war.

Er wusste, dass wir uns wiedersehen würden, und zwar in einem Machtverhältnis zu seinen Gunsten.

Mein Boss.

Er hatte mich im Ungewissen gelassen, um diesen Moment umso mehr auszukosten und mich zu quälen.

Ganz langsam breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, als teilten wir beide ein schlimmes Geheimnis.

Es kostet mich alle Willenskraft, meine professionelle Miene beizubehalten und ihn nicht böse anzufunkeln. Oder ihm die Zunge rauszustrecken. Oder etwas noch Kindischeres zu tun, wie ihm beispielsweise meinen Kaffee auf die sündhaft teuren Schuhe zu spucken. Wobei Letzteres eine besonders schlechte Idee wäre, nachdem ich gehört habe, dass ein anderer reicher Chicagoer Unsympath auf diese Weise seine jetzige Frau kennengelernt hat.

Lieber trinke ich mein Leben lang koffeinfreien Kaffee, als mit dem Clown etwas anzufangen. Ich kann ihm nur raten, sich heute Kommentare zu meinem Aussehen tunlichst zu verkneifen. Immerhin habe ich mich heute bewusst businesslike gekleidet, um mir Respekt zu verschaffen.

Ich bin nicht hier, um mit dem Kerl Katz und Maus zu spielen.

Ich presse die Lippen zu einem feinen Strich zusammen.

Großer Fehler.

Es hat nur zur Folge, dass seine Mundwinkel zucken, bevor er die Hände ausbreitet und mit seiner Ansprache beginnt, wobei seine sonore, maskuline Stimme schon bald den ganzen Raum ausfüllt.

»Ihnen allen erst einmal einen guten Tag«, beginnt er aalglatt. »Ich gratuliere Ihnen zu diesem großen Tag. Heute beginnt eine neue Ära für Ihr Magazin. Vermutlich fürchtet der eine oder andere von Ihnen, dass die Übernahme katastrophale Änderungen für das Magazin zur Folge haben könnte.«

Er beginnt, langsam im Raum auf und ab zu gehen wie ein allwissender Professor, wobei sein Gang nicht rastlos wirkt, sondern eher nachdenklich. Alle Anwesenden folgen Ihm mit den Blicken.

Er ist genau die Person, an die ich vorhin gedacht habe.

Das genaue Gegenteil von mir selbst.

Er fühlt sich im Scheinwerferlicht nicht nur wohl, sondern er genießt es. Nutzt es für sich.

»Und damit liegen Sie richtig«, sagt er und bleibt abrupt stehen.

Sein durchdringender Blick gleitet langsam von einer Person zur nächsten, um schließlich auf mir liegen zu bleiben. Wieder. Und das, obwohl alles an meiner Haltung ihm signalisieren muss, dass er mich in Ruhe lassen soll.

»Es wird bei Just Vibing