Dampfloks im Fokus - Wilfried Kohlmeier - E-Book

Dampfloks im Fokus E-Book

Wilfried Kohlmeier

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Beschreibung

Dieses fachbiographische Fotobuch zeichnet den Weg von Wilfried Kohlmeier ins Eisenbahnhobby nach. In reich bebilderten Kapiteln werden seine schönsten Aufnahmen vom Dampfbetrieb in Deutschland, Westeuropa und Amerika gezeigt. Die Bilder sind ab 1961 über sechs Jahrzehnte auf ausgedehnten Fototouren und bei der Suche nach Raritäten entstanden. Neben persönlichen Erlebnissen vermittelt der Text zugehörige Sachinformationen.

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Seitenzahl: 294

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Dampfloks im Fokus

DB und Bahnen in Europa – 1961 bis heute

Wilfried Kohlmeier

27. Mai 1954: Ausflug am Himmelfahrtstag in den Sprudelhof Bad Nauheim.

67 Jahre später: Wieder im Sprudelhof Bad Nauheim.

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Buch „Dampfloks im Fokus“ bringt Ihnen die sympathischen dampfenden Riesen näher, wie ich sie seit über sechs Jahrzehnten erlebe und gerne im Foto festhalte. Ich lade Sie zu einer schönen und großen fotografischen Zeitreise ein, auf der wir zauberhaften Lokomotiven begegnen und großartige Eisenbahn-Landschaften erleben werden.

Begleiten Sie mich auf meinem persönlichen Weg ins Eisenbahn-Hobby. Aus kleinen Anfängen habe ich ein gehaltvolles Eisenbahn-Fotoarchiv aufgebaut. Nehmen Sie teil an meinen vielen Fototouren, zunächst rund um Frankfurt/Main mit dem Fahrrad, dann hessenweit mit der Eisenbahn. Bald folgten weiter entfernte Ziele, da sich der geliebte Dampfbetrieb immer weiter zurückzog. Meine Fotoexpeditionen erstreckten sich bald über die Bundesrepublik von Flensburg bis Lindau, dann in die Alpenrepubliken und zur damaligen Deutschen Reichsbahn, nach Polen und nach Westeuropa. Auf einigen erlebnisreichen Touren besuchte ich sogar riesige und skurrile Dampfloks in Nord- und Südamerika. Unterwegs habe ich auch einige besondere und liebenswerte Vertreter der modernen Traktionsarten kennengelernt. Überall hielt ich die Eisenbahn mit Fotos aus meiner Sicht fest – gesehen mit meinen Augen! Seit dem Jahr 2000 fotografiere ich überwiegend bei Museumsbahnen und auf Dampfsonderfahrten, die für mich einen kleinen Ausgleich für den vergangenen Planbetrieb mit Dampfloks bieten. Es wird Sie nicht wundern, dass ich die Dampfloks weiterhin im Fokus habe und sie auf Dauer einen Platz in meinem Herzen haben.

Mein Buch will ich bewusst mit zwei Fotos ganz ohne Eisenbahn beginnen: Zunächst sehen Sie mein Lieblingsbild aus der frühen Jugend, das mein fotografierender Vater im Frühjahr 1954 im schönen sonntäglichen Sprudelhof in Bad Nauheim aufgenommen hat. Der kleinste Bub im Vordergrund links heißt Wilfried Kohlmeier. Er wagt an der schützenden Hand seines Patenonkels vorsichtig einen forschenden Blick in die große weite Welt, die sich da zu entwickeln beginnt. Sogar US-Soldaten mit Schiffchenmützen zeigten sich im Jugendstil-Ensemble des Sprudelhofs der Nachkriegszeit.

Das Vergleichsfoto aus genau gleicher Perspektive hat meine Ehefrau Ulrike am 14. April 2021 aufgenommen. Sie begleitet mich seit 1976 mit großem Verständnis und viel Geduld auf vielen meiner Touren. Ihr danke ich besonders herzlich dafür, dass sie sich neben ihrem eigenen Gesangshobby viel Zeit nahm, mich beim Entstehen dieses Buches tatkräftig zu unterstützen. Ohne sie wäre es nicht entstanden. Ich danke darüber hinaus auch all denen herzlich, die mit mir in vielfältiger Art an meinem Buchprojekt gearbeitet und seine Realisierung engagiert gefördert haben.

Jetzt warten auf Sie mehr als 50 abwechslungsreiche Kapitel, die viele meiner Bahnfotos aus sechs Jahrzehnten enthalten. Ich habe hierfür die schönsten Motive aus meinem Archiv ausgewählt. Sie sind weitgehend unveröffentlicht und werden durch meine persönlichen Erinnerungen an die große Zeit der Dampfeisenbahn und durch kompetente Sachinformationen ergänzt. Alles das will ich gerne mit Ihnen teilen.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und Betrachten.

Ihr Eisenbahnfreund Wilfried Kohlmeier

Wehrheim, den 12. September 2023

Inhalt

Vorwort

Mein Weg zur Eisenbahnfotografie

Meine Wurzeln

Meine Prägung im dörflichen Leben

… und in der Großstadt Frankfurt/Main

Erste eigene Lokfotos

In den Frankfurter Bws

Neue Freunde, bessere Fotos

Fototour mit Dr. Brüning

Erste Fototouren in Hessen und Umgebung

Foto-Endspurt in Frankfurt

Jeden Monat ein neues Bw

Ein Tag mit Lok 262 FK

Kleinbahnidyll BLE

Schülererlebnisse

DB und DR in Bebra

1964 – erster Urlaub ohne Eltern

München und die IVA

Dampf am Block Wasserscheide

Große Westfalentour 1966

Dampf im Lahntal

Frankendampf

Unvergessene Vogelsbergbahn

Der Radius wird größer

Jumbos auf der Nebenbahn

Fotopirsch in Aalen

Adieu preußische P8

Die Nürnberger 86

Die 01 – in Bayern ganz oben

Spezialitäten in Nordostbayern

Lokschau im Bw Mainz

Entlang der Mosel

DB-Dampf im Ausland

Im Aachener Revier

Erzverkehr und Doppelparks

Emsland im Winterkleid

Pacific-Abschied bei der DB

Lebhaft in Lauda

DB-Dampf am Grenztor

Suppenzüge an der Saar

Fotos von der Deutschen Reichsbahn, aus Europa und Amerika

Sondereinsatz in Lothringen

Best of Nederlandse Spoorwegen

Abschied – einmal leise, einmal laut

Mit der DR unterwegs

Im Sonderzug durch Polen

In den Schweizer Bergen

Grenzland-Erfahrungen

Schwere Züge auf steiler Strecke

Winterzauber im Zillertal

Sonne, Schnee und Franco-Crosti

Gastfreundschaft der SNCF

Gegen Ende ihrer Dienstzeit

Die schönste Kohlenbahn der Welt

Im Hafen von Gijon

Im Norden von Portugal

An der Stiefelspitze

Great Britain – A4 and more

Ein Blick über den großen Teich

Rio Turbio und La Trochita

Es dampft weiter

Die Wiedergeburt der Stromlinie

Reisegenuss im alten Stil

Was uns bleibt

Nachwort

Impressum

Die Hofer Schnellzuglok 001 210 hat am 26. März 1970 in Hof ihre flotte Tour nach Bamberg begonnen und nimmt mit geöffnetem Regler Fahrt auf. Der Dampfzug führt Sie in die folgenden Buchkapitel. Erleben Sie darin die faszinierende und schöne Welt der dampfenden Lokomotiven.

Meine Wurzeln

Unsere Familie lebt schon seit vielen Generationen in der Wetterau, einer grünen und fruchtbaren Region nördlich von Fankfurt/Main. Schon als kleiner Bub haben mich Fahrzeuge und ihre Technik stark interessiert. Vielleicht kommt es daher, dass ich nach den Berichten meiner Eltern schon drei Monate vor (!) und drei Monate nach meiner Geburt Anfang 1950 – jeweils mit meiner Mutter – auf dem Führerstand einer 74 des Bw Friedberg mitgefahren bin. Der Eisenbahner-Opa hatte für uns eine frühere Heimfahrt auf der Lok des Güterzuges anstelle des späteren Personenzuges organisiert. Aus verständlichen Gründen kann ich die Loknummern nicht nennen, auch meine Mutter hatte sie nicht notiert. Der Technikbezug hat also in unserer Familie schon eine gewisse Tradition. Beginnen wir mit einem kurzen Blick auf meine Großeltern, aus deren Leben mein Vater zum Glück einiges in Fotos festgehalten hat.

Väterlicherseits waren vier Generationen meiner Vorfahren fast 100 Jahre lang ohne Unterbrechung durchgängig als Eisenbahner tätig: Schon ab 1850 beim Bau der Main-Weser-Bahn, dann als Streckenläufer, als Schaffner und an vierter Stelle mein Großvater, der zuletzt als begnadeter Werkmeister des Bw Friedberg tätig war und besonders die Baureihe 78 in sein Herz geschlossen hatte. Von ihm stammt ein markiges Zitat zur offiziellen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h: „Tempo 120 rückwärts, das reicht dann!“. Ein offizielles Foto vom 1. Mai 1938 zeigt ihn auf einem Gruppenfoto inmitten von 200 Mitarbeitern des Bw Friedberg vor 43 010, die am 1. Mai 1938 zum Tag der Arbeit aus politischen Gründen besonders geschmückt war. Ein Foto seiner Eltern vor dem heimatlichen Bahnhof Weckesheim an der Strecke Friedberg – Nidda nahm mein Vater schon 1936 auf. Er war der erste, der seine berufliche Erfüllung nicht bei der Bahn, sondern im Bankbereich fand. Das Fotografieren wurde seine erste Passion. Das Interesse an der Eisenbahn setzte er zum Glück fort. Es entstanden ab 1936 viele Mittelformat-Bilder, insbesondere auf seinen Reisen quer durch Deutschland. Diese führten ihn ins Deutsche Museum nach München, zu den Olympischen Spielen nach Berlin, nach Hamburg und Bremen sowie 1938 nach Saßnitz, von wo er sogar eine Stippvisite mit der Eisenbahnfähre nach Trelleborg/Schweden unternahm.

1. Mai 1938: Trotz totalitärem Fahnenschmuck in brauner Zeit und markigen Parolen am Tender ist 43 010 ein würdiger Hintergrund für ein Gruppenfoto im Bw Friedberg. Unter den mehr als 200 versammelten Eisenbahnern zeigt sich mein Großvater, der Werkmeister Rudolf Kohlmeier, mitten vor dem Umlaufblech der großen Güterzuglok (im Kreis). Eineinhalb Jahre später ist niemandem mehr nach Feiern zu Mute. (Foto: Sammlung Rainer Rosenbecker)

Eine weite Ostertour bringt meinen Vater von der Wetterau nach Saßnitz. Mit der Fähre setzt er nach Schweden zu seinem Reiseziel Trelleborg über (6. April 1938).

Mai 1935: Mein Vater im Alter von 14 Jahren mit seinen Eltern und der Schwester wartet vor dem geschmückten Bahnhof Weckesheim.

Sommer 1937: Aus Liebe zur Technik fährt mein Vater mit der DKW seines Patenonkels stolz eine Runde.

1930: Mein Großvater Friedrich Zimmer II (im Kreis vor dem Hinterrad der Dampfwalze) ist mit seiner 1920 gegründeten Firma im Straßenbau erfolgreich. In seinen eigenen Basaltsteinbrüchen im Vogelsberg ist eine 600-mm-Bahn unentbehrlich. Bis zu 150 Mitarbeiter sind in der Saison für ihn tätig.

Mein Großvater mütterlicherseits baute als Pflasterermeister ein respektables mittleres Straßenbauunternehmen auf, erneuerte 1928 weite Bereiche der Rennstrecke Schottenring im nahen Vogelsberg und besaß dort zwei kleinere Basaltsteinbrüche. Die Schienen seiner dortigen Feldbahnen eröffneten also das Eisenbahnzeitalter auch in dem mütterlichen Teil meiner Familie. Als Bürgermeister seines Dorfes war er allseits beliebt, auch wenn er sich mit der offiziellen Linie der 30er-Jahre schwer tat. Schon 1938 starb er mit 42 Jahren an einer Blutvergiftung, während er sich gerade erstmals an einer Ausschreibung für ein Autobahnteilstück in der Wetterau beteiligt hatte. Die Firma wurde dann eilends liquidiert und fortan mussten meine Oma und meine Mutter von den Zinsen des erworbenen Vermögens leben, was den großbürgerlichen Lebenszuschnitt jäh beendete.

Den Zweiten Weltkrieg erlebte mein Vater erst in der Bretagne und ab 1943 im Osten. Dabei war die Eisenbahn das ständige militärische Beförderungsmittel, wobei er immerhin gelegentlich am Regler von 55.25 oder 38.10 stehen durfte. Erträglich war die Zeit in Skiernievice/Polen, wo er in seiner Freizeit oft im Bw herumstromerte. Ein unbenutzter Freifahrschein für entfallenen Erholungsurlaub zu Hause vom 28. Februar 1943 befindet sich noch heute in meinem Archiv. In Polen bewunderte er die neuen Loks der Baureihe 52 und baute viele Eisenbahnerfreundschaften auf, auch zu örtlichen Personalen. Leider ist von all seinen Bw-Besuchen nur ein einziges lädiertes Foto erhalten. Besonderheit am Rande: Er konnte sogar ab und zu Briefe und Fotos auf dem Führerstand von zur Reparatur „ins Reich“ zurückkehrenden Loks als Post deponieren. Sein Vater nahm sie als Werkmeister im Bw Friedberg persönlich entgegen, eine absolut seltene und zuverlässige Art der Beförderung. Mein Vater geriet im Frühjahr 1944 wenige Monate nach seiner Hochzeit in russische Gefangenschaft. 1946 konnte er mit viel Glück aus einem Bergwerk im Ural entkommen, schlug sich in die Heimat durch und konnte zu Hause an den Aufbau einer Familie denken. Nach meinen beiden Brüdern kam ich als Nesthäkchen am 25. Februar 1950 auf die Welt und durfte zunächst mit der Familie die bunte dörfliche Welt erleben.

1936 im Deutschen Museum in München: Mit dem Wasserflugzeug Dornier Wal N25 war Amundsen 1925 in der Arktis nahe dem Nordpol unterwegs.

1937: Meine Mutter und ihre Eltern sind im Sommer 1937 im neuen Opel Olympia auf einer sonntäglichen Spazierfahrt.

Kleiner Wehrmachtsfahrschein von Skiernievice in die Wetterau (1943).

Das Wirken meiner Großeltern bis in die bewegte Nachkriegszeit bot mir starke emotionale Wurzeln und half über karge Zeiten hinweg. Sie bleiben in mir bis heute präsent und lebendig.

Im Sommer 1943 erhält mein Vater einige freie Tage in der Heimat. Die Rückfahrt im Zug nach Polen tritt er recht nachdenklich an (links am Fenster).

Meine Prägung … … im dörflichen Leben

Mein Geburtstort Bisses liegt einen guten Kilometer von der Nebenstrecke Friedberg – Nidda entfernt. Am 24. April 2016 gelingt es, mit dem Teleobjektiv die Entfernung zu überbrücken und einen Dampfsonderzug (Hanau – Friedberg – Stockheim) mit der 03 1010 recht nahe vor der Dorfkulisse aufzunehmen. (Foto: Frank Trumpold)

Die ersten vier Jahre meines Lebens wuchs ich in Bisses im damaligen Kreis Büdingen auf, einem 300-Seelen-Dorf abseits der großen Straßen am Hang eines Vogelsberg-Ausläufers, 40 Kilometer nördlich von Frankfurt/Main. Einen guten Kilometer westlich des Ortes führt die Bahnstrecke Friedberg – Nidda vorbei. Mit meinen älteren Brüdern und gleichaltrigen Nachbarsjungen wurde uns die Zeit nicht lang, auch wenn wir gelegentlich unseren Nachkriegs-Schutzengel dicht bei uns hatten, z.B. beim Spiel mit Karbid oder beim Fund einer gut erhaltenen Panzerfaust im nahen Wald.

Das dörfliche Leben bot viel ruhiges und naturnahes Erleben und warme persönliche Gemeinschaft. Auf sonnigen Familienspaziergängen in den weiten und lichten Laubwäldern in Richtung Bad Salzhausen und Vogelsberg erhielt ich von den Eltern und der lieben Oma vielfältige Anregungen zur Naturbeobachtung. Sie motivierten mich zu verstärkter Aufmerksamkeit für die Schönheiten der Natur in allen Jahreszeiten. So entwickelte ich mein eigenes Sehen und Erleben. Weitere prägende Erlebnisse im Dorf waren die Mithilfe bei befreundeten Bauern, die die Ernte mit Pferd und Mähbinder einbrachten. Großes Hallo brachte das samstägliche gemeinsame Bad der Kinder im Waschzuber auf dem Hof. Das Dorfleben brachte auch Abwechslung durch bescheidene Feste. Glanzpunkt war ein Jubiläum des Gesangvereins Concordia mit Umzug samt Ehrenjungfrauen. Magnetisch angezogen wurden wir Kinder von den ersten Kraftfahrzeugen. Wir waren begeistert von flotten Motorrädern auf dem Karussell, vom Ferbedo-Blech-auto auf Opas Hof und von dem neuen NSU-Motorrad unserer Mieter, einer sehr netten Familie, die 1946 aus dem Sudetenland vertrieben wurde und für viele Jahre bei uns wohnte.

Unser Vater ließ in dieser Zeit ein Familienfoto fertigen, das ihn mit seinen Lieben und mit seinem Fahrrad zeigte. Dieses hatte er mit einem Zusatzscheinwerfer ausgerüstet und benutzte es seit 1948 täglich außer sonntags für den Weg von gut zwei Kilometern zum Bahnhof Echzell. Von dort fuhr er sehr früh im Personenzug aus Nidda nach Friedberg, stieg dort in den Zug nach Frankfurt/Main und kam so nach zweieinhalb Stunden an seinem Arbeitsplatz in der Deutschen Bundesbank an, in der er 34 Jahre lang gerne tätig war. Abends begrüßten wir ihn gegen 20 Uhr und hörten noch vor dem Zubettgehen, was er aus der großen Stadt zu erzählen hatte. Zu seinen Pendelfahrten ist noch Folgendes erwähnenswert: Wegen der schlechten Anschlüsse in Friedberg sammelte er in der Umsteigezeit geduldig Unterschriften von betroffenen Mitreisenden, machte mehrere Eingaben und nutzte seine Kontakte „im kleinen Dienstweg“ zur jungen Deutschen Bundesbahn. Damit hat er nach einigen Mühen erreicht, dass morgens und abends ein durchgehendes Zugpaar von Nidda nach Frankfurt eingelegt wurde, das – mit einigen Unterbrechungen – heute immer noch verkehrt. 1954 wollte er mehr Zeit für seine Familie haben und verabschiedete sich schweren Herzens von der ländlichen Idylle des Dorfes.

Frühling 1952: Ein sonniger Familienspaziergang mit der patenten Oma auf einer der beiden Dorfstraßen von Bisses. Skeptisch schaue ich aus dem Kinderwagen auf den fotografierenden Papa.

Sommer 1950: Erntezeit in der Wetterau. Zwei Kaltblüter ziehen den damals hochmodernen Mähbinder und tragen geduldig meinen Bruder Werner als Jockey.

Frühjahr 1949: Brauchtum in Bisses mit einem Festzug zum goldenen Jubiläum des Gesangvereins Concordia mit Ehrenjungfrauen, Fahnen und zünftigem Spielmannszug.

Vaters pfiffige Fotoidee: Er packt seine drei Söhne auf die NSU unseres Mieters. Ich werde als Jüngster ganz nach hinten platziert. So entsteht ein fröhliches und ungewöhnliches Familienbild (Sommer 1953).

Die Eltern verkauften Haus und Gärten, Felder und die alten Basaltsteinbrüche des 1938 verstorbenen Großvaters. Sodann bezog unsere Familie mit der lieben Oma eine größere Dienstwohnung der Deutschen Bundesbank im Frankfurter Norden. Mit unserem Umzug begann also eine gänzlich neue, lautere und recht konträre Etappe unserer Alltagswelt mit völlig neuen und andersartigen Eindrücken. Damit hatte sich jedes Familienmitglied mehr oder weniger auseinanderzusetzen. Als erstes mussten wir uns alle von unserem geliebten und gelebten oberhessischen Dialekt verabschieden, den wir bald verlernten. Das Stadtleben hatte seine eigenen und anderen Regeln, die wir wohl oder übel akzeptieren mussten. Erst gut zehn Jahre später habe ich meinen muttersprachlichen Dialekt aus Interesse und Heimatgefühl wieder erlernt, was fast so schwer war wie das Aktivieren einer Fremdsprache.

Mein „Sündenfall“ auf einer Ausbildungsmesse in Frankfurt/Main im Frühjahr 1961: Trotz Begeisterung für die Dampflokomotive bitte ich um ein Portrait neben einem Großmodell der neuen E 10. Immerhin grüßt von der Wand das Palm-Foto der 01 095.

… und in der Großstadt Frankfurt/Main

Unser Umzug war ein starker Einschnitt. Größer konnte der Gegensatz zwischen dem kleinen Wetterau-Dorf Bisses und der Großstadt Frankfurt/Main nicht sein. Wir wohnten ab September 1954 am nördlichen Alleenring Richtung Dornbusch. Gleich hinter einer benachbarten US-Wohnsiedlung und den anschließenden Kleingärten des Diebsgrunds führte die Main-Weser-Bahn durch die Ginnheimer Niddawiesen. Bei starkem Wind aus Westen hörten wir gelegentlich nachts schwer arbeitende Dampfloks, was unsere Neugier weckte und zu sonntäglichen Familien-Spaziergängen an die Bahn führte.

Stück für Stück zeigten uns unsere Eltern das städtische Leben. Schon 1955 nahm uns mein Vater mit auf die Autoausstellung, wo er mich neben dem neuen Mercedes 300 Cabrio fotografierte. Um 1960 besuchten wir eine Berufsbildungsmesse, auf der der Stand der Deutschen Bundesbahn unser besonderes Interesse fand. Mein Sündenfall: Ich bat Papa um ein Erinnerungsfoto mit einem Großmodell einer so modernen E 10. Immerhin hing dahinter im Großformat das bekannte Reinhold-Palm-Foto von 01 095, die lange Jahre im Bw Frankfurt 1 Dienst getan hatte.

Interessant war es im Jugendverkehrsgarten, wo zwischen den Autos sogar eine kleine Frankfurter Straßenbahn verkehrte. Typisch für die Zeit des „Kalten Krieges“ waren gut besuchte Waffenschauen der US-Amerikaner, die vor ihrem Hauptquartier im ehemaligen IG-Hochhaus Panzer und Raketen zur Schau stellten. Wir empfanden diese Präsentation nicht als Bedrohung, sondern als willkommene Attraktion und als eine Beruhigung im gerade herrschenden „Kalten Krieg“. Unsere Eltern zeigten uns auch die Klassiker Zoo und Flughafen, die bei uns tiefen Eindruck hinterließen. Niemand hatte Sicherheitsbedenken, als die Tragflächenspitzen einer Lookheed Constellation der TWA beim Anrollen mit vier donnernden Motoren von zusammen 10.000 PS dicht über die Zuschauer hinweg schwenkten.

Viel Zeit verbrachten wir drei Brüder mit unserem Mekanik-Metallbaukasten, in dem Flugzeuge und Kräne, aber auch Brücken über unsere Modellbahn entstanden. Die Märklin-H0-Anfangspackung von Weihnachten 1955 mit einer Dampflok der Baureihe 89 und je zwei Personen- und Güterwagen bildete den Grundstock unserer Modellbahn, die nur im Dezember aufgebaut wurde. Unter jedem Weihnachtsbaum der Folgejahre fand sich ein Signal, ein Wagen oder ein Weichenpaar, die die Anlage erweiterten.

Weihnachten 1960 erfüllte sich mein großer, großer Wunsch, als mir das Christkind eine neue Kleinbildkamera Adox Polo 1 S bescherte. Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass mein fotobegeisterter Vater dafür mehr als ein Fünftel seines Monatsgehalts locker gemacht hatte. Nach einem Probefilm von geparkten Autos fotografierte ich im Juni 1961 auf einem Sonntagsausflug vor dem Bw Königstein meine allererste Dampflok, die Lok 44 FK, eine seltene preußische T 9.1.

In diesen Jahren hatte sich unsere familiäre finanzielle Situation etwas entspannt und wir konnten 1962 erstmals gemeinsam in den Urlaub fahren. Mit dem Dampfschnellzug ging es hinter einer 01.10 bis Bebra und dann mit dem Bahnbus in Richtung Sontra bis zum Familienpark Nentershausen. Mit gemischten Gefühlen standen wir am Stacheldraht der Zonengrenze bei Obersuhl. Ein knappes Jahr später hatte mein Vater im Mai 1963 die geniale Idee, mich morgens im Bahnhof Friedberg wieder vor 10 001 zu fotografieren, die dort planmäßig um 7.33 Uhr mit D 177 anhielt. Da ich für eine andere Familienfeier in der Wetterau meinen neuen Konfirmationsanzug trug, erklärte mein Vater dieses Foto kurzerhand zu meinem „Konfirmationsfoto“. Seine Umwidmung empfinde ich noch heute als ziemlich kühn, aber absolut genial.

Vom Dorf in die Großstadt. Staunend stehe ich als kleiner Junge in der Frankfurter Messehalle und bewundere auf der IAA 1955 das neue Mercedes 300 Cabrio.

Mit meinem neuen Göricke-Fahrrad wächst mein Aktionsradius. So erreiche ich in einer Viertelstunde die Main-Weser-Bahn (Juni 1962).

Ein stilvolles Konfirmationsfoto: Vater dirigiert mich im Mai 1963 frühmorgens im dunklen Anzug vor die von uns verehrte 10 001, die im Bahnhof Friedberg um 7.33 Uhr vor D 177 einen kurzen Halt hat.

Im Herbst 1962 konnten meine Brüder und ich uns mit selbst gespartem Geld und einem großzügigen Gemeinschaftszuschuss unserer Eltern und aller Verwandten je ein nagelneues Göricke-Fahrrad kaufen, das mit Dreigangschaltung und Rückspiegel (!) auf dem Stand der damaligen Technik war. Auf dem Fahrradsattel erweiterte sich unser Aktionsradius deutlich und ließ die Eisenbahn näher rücken, vorerst nur in Begleitung der Eltern oder der verständnisvollen Oma.

So wurden wir über die Jahre zu jungen Frankfurter Bürgern, ohne den Kontakt zur Wetterauer Heimat ganz zu verlieren. Immerhin kamen die Eltern meines Vaters mehrmals im Jahr zu uns nach Frankfurt und brachten im großen Koffer Kartoffeln, Äpfel, Wurst und andere Leckereien aus der Wetterau mit. Am interessantesten wurde es, wenn Opa nach der Kaffeezeit begann, uns von der Eisenbahn zu erzählen. Heute noch erinnere ich mich an seinen Bericht, wie ihm als blutjungem Heizer im Bw Gießen eine S 3 wegen Wasserreißen auf der Drehscheibe durchging und die Schuppenmauer perforierte. Klassiker war seine Infostunde anhand des Fotos von der Kesselrückseite auf Seite 44 des Maedel-Buches „Geliebte Dampflok“. Nach einigen Erklärungen konnten wir ihm die Bedienung einer Dampflok herunterbeten. Dafür gab es einmal sogar eine ganze blanke Mark als Anerkennung!

Die Märklin-Bahn von Weihnachten 1955 dreht im Dezember 1960 ihre Runden erstmals auf einer festen Platte. Neu war auch die Baureihe 24.

Mit Fotoapparat und Fahrrad fühlte ich mich gerüstet, als junger Frankfurter Bürger die Stadt auf eigene Faust weiter zu entdecken.

Mein Herzenswunsch ging an Weihnachten 1960 in Erfüllung: Ein eigener Fotoapparat Adox Polo 1 S.

Erste eigene Lokfotos

Mit Fotoapparat und Fahrrad und einer ordentlichen Portion Entdeckungslust fühlte ich mich bereit, auf eigene Faust auf Motivsuche in Richtung Eisenbahn zu gehen. Starthelfer waren dafür die Familienausflüge in den Vordertaunus und 1962 der erste Familienurlaub in Osthessen und meine Ferienwoche bei einer lieben Tante in Bad Nauheim. Jeweils fand ich eine Gelegenheit, nach neuen Bahnmotiven zu schauen. Ich freute mich, schöne Momente an den Gleisen alleine zu entdecken und mit einem kleinen „Klick“ für mich so festzuhalten, wie ich sie mit meinen Augen sah.

Starthelfer waren dafür zunächst die Sonntagsausflüge 1961 in den Vordertaunus. Dort habe ich im Königsteiner Bahnhof ganz mutig und selbständig meine allerersten Eisenbahnfotos von der Kleinbahn aufgenommen. Weitere Motivation erhielt ich im August 1962 während unseres ersten Familienurlaubs in Osthessen und in einer anschließenden Ferienwoche bei meiner lieben Tante in Bad Nauheim.

In unserem Urlaub bei Sontra quengelte ich so lange, bis mich mein Vater auf eine Tour mit seinem Adler- Motorrad zum Bahnhof Bebra mitnahm. Dort begeisterte mich die formschöne neue Schnellzuglok 10 001, die am Bahnsteig vor einem Sonderzug nach Hannover auf das Ausfahrsignal wartete. Vor dieser begeisternden Kulisse bat ich meinen Vater, mich mit der Lok zu fotografieren.

Premiere im August 1961: Meine ersten Dampflokfotos. Auf dem Filmstreifen sind neben Esslinger Triebwagen zwei Motive mit der Lok 44 FK der Frankfurt-Königsteiner Eisenbahn zu sehen, einer waschechten preußischen T 9.1.

Lokverschrottung Walter Trapp in Frankfurts Osthafen: Im Oktober 1963 beginnt hinter einer ausgebauten Feuerbüchse die Zerlegung einer badischen X b (92 296 oder 315). Ein Stapel Führerhäuser von Loks der Baureihe 70 im Hintergrund vervollständigt das düstere Szenario.

Arbeiter der Schrottfirma schenkten mir im Oktober 1963 ein Tender-Fabrikschild einer 55.25.

So entstand mein erstes „Dampflok-Selfie.“ Ein großer Schritt in meiner Dampflok-Fotografie gelang mir kurz darauf, als ich zwei Wochen später alleine eine Ferienwoche bei Tante Dora in Bad Nauheim verbrachte. Ich hatte von den Eltern einen „Urlaubsfilm“ erhalten und wagte mich mit dem Fotoapparat alleine zum Bahnhof Bad Nauheim Nord vor. Dort widmete ich 33 Fotos der Elna 142 der Butzbach-Licher Eisenbahn, also fast den gesamten Urlaubsfilm. Die letzten drei Bilder nahm ich im schönen Sprudelhof auf, damit mir die Eltern nicht vorwerfen konnten, ich hätte einen ganzen Film mit Eisenbahnfotos „verknipst“. Mit Augenzwinkern verzieh mir dann zu Hause mein fotobegeisterter Papa.

Nun suchte ich auch im Stadtgebiet von Frankfurt/Main nach attraktiven Bahnmotiven. Ich las im Herbst 1963 in der Zeitung von einer Dampflokverschrottung bei der Firma Walter Trapp im Frankfurter Osthafen. Meine Eltern verboten mir die Querung der Großstadt auf dem Fahrrad. Nach längeren Diskussionen erhielt ich das Geld für eine Busfahrt mit der Linie 52 bis zum Ostbahnhof, von wo aus der Schrottplatz gut zu Fuß zu erreichen war. Ich erzählte mit meinen mittlerweile 13 Jahren vorsichtshalber nicht, dass die Dampfloks auch von Strafgefangenen verschrottet wurden, die von Polizisten mit Karabinern streng bewacht waren. Zu mir waren alle Menschen auf dem Schrottplatz ausnehmend freundlich. Der Vorarbeiter schenkte mir als Krönung meines ersten Besuches vom Tender einer 55.25 ein Messing-Fabrikschild der Lokfabrik Grafenstaden/Elsaß von 1914, das mir bis heute an der Wand entgegenstrahlt.

In Bad Nauheim Nord fotografierte ich im August 1962 die rangierende ELNA-Lok 142 der Butzbach-Licher Eisenbahn (BLE).

Der Fotowunsch wird am 6. September 1964 im Frankfurter Gaswerk Ost prompt erfüllt und der Rangierbetrieb ruht für wertvolle Minuten. So entstehen dampfumwobene Portraits der Werkslok vom Baujahr 1912. Noch bis 1972 hat sie im Gaswerk Dienst geleistet.

Der „Schwarze Schwan“ 10 001 verlässt im August 1962 das Bw Bebra.

Bei meinem ersten Besuch im Bahnhof Frankfurt Ost am 17. August 1964 findet sich diese illustre Sammlung von Zuglaufschildern. Mit ihnen werden Sonderzüge ausgerüstet, die dort in großer Zahl zusammengestellt werden.

Ein anderes Mal fand ich den Weg in das Frankfurter Gaswerk Ost, wo Tag und Nacht der glühenden Kohle das Gas entzogen wurde. Der entstandene Koks wurde unter Entwicklung riesiger Dampfwolken abgelöscht und in Hochbordwagen verladen, die durch eine kleine zweiachsige Henschel-Werklok vom Baujahr 1912 zu veritablen Güterzügen zusammengestellt wurden. Für die Fotos des 13-jährigen Dreikäsehochs unterbrach das Lokpersonal sogar gerne das Rangiergeschäft für ein paar Minuten. Welch eine großzügige Geste!

An einem sonnigen Wochenende im Juni 1963 kam ich zu meiner ersten eigenen Fotofahrt mit dem Fahrrad an die Main-Weser-Bahn. Nach einer Viertelstunde kam ich im Frankfurter Vorort Ginnheim an dem idyllischen kleinen Bahnübergang am „Posten 1“ an. Er lag genau am Kilometerstein 193,9 an der südlichen Ausfahrt des Betriebsbahnhofs Ginnheim. Eines der ersten Fotos im Schatten des Gebäudes galt dem D 74 mit 01 1105, der in schöner Nachmittagssonne mit 100 km/h leise in Richtung Hauptbahnhof vorbeigrummelte.

Im Posten 1 freundete ich mich mit einigen Eisenbahnern an. Ich erhielt von ihnen beste Informationen über die Zugmeldungen und Signalstellungen, durfte alleine die Schrankenkurbel drehen und fühlte mich unendlich wichtig und zugehörig. Ich hatte also dort Wurzeln geschlagen und fühlte mich quasi aufgenommen in die Gilde der tätigen Eisenbahner. Ich war oft gegen 15.30 Uhr am Posten und konnte um 15.40 Uhr den D 74 und zehn Minuten später den D 84 erleben, der mit der vorbeidonnernden Limburger 39 besonders eindrucksvoll war. Meine Mutter wunderte sich schon etwas, dass ich bei gutem Wetter so konzentriert meine Hausaufgaben erledigte und stets um 15.15 Uhr mit dem Fahrrad davonfuhr. Abends wartete ich manchmal noch den Braunschweiger Eilzug E 569 ab, der regelmäßig mit 10 001 oder 10 002 bespannt war. Dann erst verließ ich den Posten 1, trat heftig in die Pedale und kam gegen 18.30 Uhr gerade noch rechtzeitig zum Abendessen nach Hause.

Einer der netten Eisenbahner im Posten 1 hatte eine einmalige Idee. Er drückte mir seinen Fotoapparat in die Hand und bat mich um einige Fotos von Zügen rund um den Posten. Den Film entwickelte er dann in seiner nächsten Nachtschicht und machte gleich einige Vergrößerungen, die er mir bei meinem nächsten Besuch schenkte. Auf diese höchst authentischen Dokumente von meinem Lieblingsort war ich sehr stolz, auch wenn die Qualität der Bilder nur als knapp mittelmäßig zu bezeichnen war. Die Abzüge verwahrte ich in einem flachen Blechkästchen, das dann die Grundlage meines wachsenden Fotoarchivs wurde und heute noch erhalten ist.

Die Südausfahrt des Betriebsbahnhofs Ginnheim war mein erster „Sehnsuchtsort“. In bestem Nachmittagslicht eilt 01 1105 im Juni 1963 mit D 74 vorbei und hat nur noch wenige Minuten Fahrzeit bis zum Ziel in Frankfurt (Main) Hbf.

Mit der Zeit erkundete ich mit dem Fahrrad auf den parallelen Feldwegen die Main-Weser-Bahn nach Norden bis zum Bahnhof Frankfurt-Eschersheim und nach Süden bis zum Bahnhof Frankfurt West, wo ich auch Stammgast auf dem Stellwerk in der Nordausfahrt wurde. So nahm mein Fotohobby richtig Fahrt auf und die Pergamenttaschen mit den Negativstreifen meiner Eisenbahnfilme fügten sich zu einem kleinen Archiv. Ich war darauf sehr stolz, auch wenn ich von meinen großen Brüdern und von Klassenkameraden gelegentlich etwas belächelt wurde.

In der Gegenrichtung dampft im März 1964 die ölgefeuerte 01 1103 mit D 183 nach Kassel. Sie beschleunigt sichtbar und hörbar ihren schweren Schnellzug in der damals noch freien Landschaft zwischen den Frankfurter Vororten Ginnheim und Eschersheim.

In den Frankfurter Bws

Die Frankfurter Bws sind Magnete. Im Bw Frankfurt 2 wecken am 13. Juni 1963 aktive und abgestellte Dampfloks unser Interesse, besonders 78 253 als luftiges „Dampflok-Cabrio“.

Mein Bruder Wolfgang war ab 1962 Fahrschüler und besaß sogar eine Schüler-Schnellzugmonatskarte. Mit dieser reiste er morgens bis nach Friedberg stilvoll mit D 177 hinter einer 10 oder aber 23 Minuten später im D 81 Alpen-See-Express mit einer 39. Nachmittags ging es mit einer 78 in bescheidenerem Tempo zurück nach Frankfurt.

Im Frühjahr berichtete er ganz begeistert von einer abgestellten S 3/6, die er vom Zugfenster aus am Bw Frankfurt 2 beobachtet hatte. Schon am folgenden Sonntag schritten wir zur Tat. Wir liefen entlang des Messegeländes zum Bw 2, vor dem das Abstellgleis gut zu erreichen war, ohne das Bw zu betreten. Ein schnelles Foto von 18 621 gelang mir noch, ehe wir von einem Eisenbahner entdeckt und mit sehr rüden Worten des Platzes verwiesen wurden. Zu Hause schlug unser Vater vor, über seine Kontakte zur Bundesbahn zu klären, wie wir doch noch zu einer gründlicheren Besichtigung der „bayrischen Lok“ kommen könnten. Einige Zeit später verkündete er die frohe Botschaft, dass der bekannte Bundesbahn-Fotograf Reinhold Palm uns für den 13. Juni 1963 zu einem Besuch des Bw 2 einlud und wir ihn dort um 10.30 Uhr vor dem Eingang treffen sollten.

Das Bw Frankfurt 2 beherbergt im August 1965 außer 50 auch zwei 55.25 (preußische G 8.1). Die 55 4722 rollt langsam auf die Drehscheibe.

Mein erster Bw-Besuch fand also mit hoher Begleitung statt. Wichtig waren die freundlichen Ratschläge des Profi-Fotografen Palm, wie ich bessere Lokfotos aufnehmen könnte. Auf seine Anregung hin nahm ich 50 699 von der Schattenseite her auf der Drehscheibe auf. Beim weiteren Rundgang begegneten wir auch dem rüden Eisenbahner, an dem wir – mit klammheimlichem Triumph – stolz vorbeigingen und erst vor 55 3842 anhielten. Schade war nur, dass 18 621 inzwischen schon ins AW Nied geschleppt worden war, wo der Umbau zu einer Heizlok geprüft wurde. Wir verbrachten einen schönen Vormittag inmitten von Lokomotiven der Baureihen 50 und 55 und genossen die rauchige Atmosphäre. Der Besuch war also ein voller Erfolg! Wir bedankten uns herzlich bei Herrn Palm, der mit seinem Fahrrad wieder zurück in die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn fuhr. Dieser Vormittag im Bw 2 machte mir starken Appetit auf weitere Besuche in den anderen Frankfurter Bws, die ich dann nach und nach auf eigene Faust unternahm.

Im Bw 3 restaurierten die Limburger Loks, zunächst 38.10 und 39, ab Mai 1964 nur noch 41 und 50, die alle im angestrengten Reisezugdienst Verwendung fanden. Seit dem 1. Mai 1958 war das Bw 3 aufgelöst und wurde offiziell als Bw 1 - Nord bezeichnet, ohne dass der bisherige Sprachgebrauch verschwand. Das Ensemble wurde nicht lange nach dem Ende der Dampflokzeit ab 1969 abgebrochen und durch Abstell- und Wartungsanlagen für die neuen Triebwagenzüge der Baureihe 420 ersetzt, die 1978 den S-Bahn-Verkehr im Rhein-Main-Raum eröffneten.

Das Bw 1 war das traditionelle Frankfurter Schnellzuglok-Bw, in dem bis 1958 noch eigene 01 stationiert waren. Als letzte Hochrädrige verließ 01 150 am 29. Juni 1959 das berühmte Bw 1. In den 60er-Jahren waren dort nur noch Elloks zu Hause, im Wesentlichen solche der Baureihen 110 und 141. Dieselloks und Triebwagen waren alle einige Kilometer weiter westlich im Bw Griesheim untergebracht. Für mich war es besonders spannend, dass im Bw 1 die vielen verschiedenen Dampfloks der Bws Friedberg, Gießen und Kassel zu sehen waren, die mit Zügen der Main-Weser-Bahn kamen und gingen. Leider dauerte dieses wunderbare Schauspiel nur bis zur Elektrifizierung zum Planwechsel am 29. Mai 1965. Bis dahin konnte ich noch fleißig die Baureihen 01, 01.10, 10, 23, 66, 78 und 86, seltener 56.2 und 41 in bunter Reihe beobachten. Die Emser Brücke führte mitten über das Bw und war ein idealer und sicherer Spähpunkt.

Arbeitspause: 50-Parade im schützenden Lokschuppen des Bw Frankfurt 2 (13.Juni 1963).

Mit dem E 2427 (Frankfurt – Limburg) passiert 41 294 am 25. Mai 1965 das Bw Frankfurt 3.

In das Bw 1 kam man ganz einfach: Ich bog mit dem Fahrrad von der Brücke ab, ohne ein einziges Gleis zu überqueren und landete vor der Lokleitung. Im Winter 1963/64 begrüßte mich dort als Heizlok die 56 444, die wegen der Elektrifizierung der Nord-Süd-Strecke im Bw Bebra arbeitslos geworden war und in Frankfurt/Main eine winterliche Saisonaufgabe übernommen hatte. Von der Lokleitung aus konnte man aus sicherer Entfernung die anrückenden Dampfloks bewundern und alle Schritte der Restaurierung beobachten: Von der Bekohlung, Entschlackung, Besandung bis zum Löscheziehen und dem Wassernehmen. Höhepunkt war das Einrücken an der Seite des großen Rechteckschuppens und die Fahrt mit der mächtigen Schiebebühne zum Abstellgleis in der angenehm nach heißem Öl duftenden Halle. Ehrfürchtig durfte ich 1964 zweimal in Begleitung eines Lokführers des Bereitschaftsdienstes die Halle von innen bestaunen und über die mächtige Schiebebühne bis zur 10 001 vordringen, die sich dort bis zur abendlichen Rückleistung mit E 569 nach Kassel ausruhte. Den schweren „Braunschweiger“ Eilzug brachte sie dann mit 13 (!) Zwischenhalten in 185 Minuten zurück.

10 001 hat am 27. Mai 1965 den D 184 Wilhelmshaven – Zürich von Kassel nach Frankfurt gebracht und wird im Bw Frankfurt 1 restauriert. Es war eine ihrer letzten Fahrten auf der südlichen Main-Weser-Bahn.

Nur noch wenige Tage wird es im Bw Frankfurt 1 so lebhaft dampfen. Kurz vor dem Fahrplanwechsel ist 86 530 am 27. Mai 1965 um 15.06 Uhr aus Gedern kommend in Frankfurt eingetroffen und nimmt im Bw 1 Wasser. Sie trägt als Feiertagsgruß zu Himmelfahrt einen Fliederstrauß an der Rauchkammertür.

So lernte ich die drei Frankfurter Bws bestens kennen, in denen ich ganz nahe bei den Dampfloks war und das Gesehene in eigenen Fotos festhalten konnte.

Die Neubaukessellok 01 115 rückt am 27. Mai 1965 aus dem Bw 1 aus und wird den D 383 Frankfurt – Aachen nach Gießen bringen.

Neue Freunde, bessere Fotos

Eine winterliche Szenerie: 10 001 musste am 13. Dezember 1964 mit D 184 vor der Einfahrt von Frankfurt West außerplanmäßig halten. Nun beschleunigt sie mit Volldampf, um die Verspätung auf den letzten Kilometern bis Frankfurt Hbf zu reduzieren.

01 1056 dampft im März 1964 mit E 569 (Wiesbaden – Braunschweig) nach Kassel. Der Zug donnert mit wunderbar weißem Abdampf entlang der Ginnheimer Kleingartenkolonien.

Beim Betrachten meiner ersten Negativstreifen mit dem Agfa Gucki war ich schon recht zufrieden, meinte aber gleichwohl bald, die motivliche Vielfalt und Qualität könnte noch besser werden. Drei verschiedene Begegnungen in den Jahren 1962 bis 1965 hatten unabhängig voneinander einen guten Einfluss auf meine Fotos und auf mein Eisenbahnhobby.

Zum einen besuchte ich 1963 die freiwillige Foto-AG im Gymnasium, in der Oberstudienrat Kästle uns viel über Fototechnik, Bildgestaltung und Laborarbeiten beibrachte. Er forderte uns auf, ungewöhnliche Perspektiven zu suchen und mit dem Bildausschnitt zu spielen. Bis heute bin ich ihm dankbar dafür, dass er uns erklärt hat, dass das Fotomotiv Ausdruck der persönlichen Motivation ist. Wieso drücken wir gerade hier und jetzt auf den Auslöser? Wieso wählen wir gerade diesen und keinen anderen Bildausschnitt? Was spricht für Schwarzweiß, was für Farbfotos? Wir verglichen unsere Fotos mit denen unserer Kameraden und lernten, sachliche Kritik zu üben. Die einzige Fotoexkursion der Photo AG führte uns leider nicht zur Eisenbahn, sondern nur in den Palmengarten.

Auch die Frankfurter Stadtbibliothek wurde für mich sehr wichtig. In der nahen Filiale am Dornbusch konnte ich meinen Lesehunger stillen. Die Abteilung Verkehrstechnik war sehr gut bestückt, so dass ich wochenlang neuen Lesestoff hatte. Ich verschlang Nehers Eisenbahnbuch „F 21“, lernte das wunderbare Maedel-Hartmann-Buch „Zauber des Schienenstrangs“ kennen, traf wieder auf Maedels „Geliebte Dampflok“. Ich war von vielen Fotos beeindruckt und beschloss, meine Aufnahmen an den gesehenen Motiven zu orientieren.