Dandys, Diebe, Delinquenten - Bettina Müller - E-Book

Dandys, Diebe, Delinquenten E-Book

Bettina Müller

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Beschreibung

Diebe, Hochstaplerinnen, Mörder: In der Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert, während des Ersten Weltkriegs und in der anschließenden Weimarer Zeit wandelt sich Berlin nicht nur zur Großstadt von internationalem Format, es mutiert auch zur Verbrechenshochburg des Landes. Bettina Müller porträtiert 14 heute weitgehend vergessene Kriminelle, die zwischen 1890 und 1933 die Berliner Unterwelt aufgemischt haben, und erzählt anschaulich von deren Delikten und Beweggründen.

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Bettina Müller

DANDYSDIEBEDELINQUENTEN

Verbrecher in Berlin

Bildnachweis

akg-images: 49, 87 (TT News Agency/SVT), 147 (Mondadori Portfolio/Archivio GBB) 153, 161, 172 , 182 – Archiv Bettina Müller: 19, 44, 62, 75 (Altonaer Nachrichten vom 24. September 1927), 78 (aus dem Ausstellungskatalog zur Internationalen Polizeiausstellung 1926), 93, 100 (Zeichnung von Elek Barna aus: E. Engelbrecht, Fünfzehn Jahre Kriminalkommissar) – NYC Health Department: 57 – picture-alliance: 110 (ullstein bild), 133 (ullstein bild) – ullstein bild: Umschlag

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CDROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen.

E-Book im Elsengold Verlag, 2022

© der Originalausgabe:

Elsengold Verlag, Berlin, 2022

Gestaltung: Mario Zierke, Berlin

ISBN 978-3-96201-118-5 (epub)

ISBN 978-3-96201-112-3 (print)

Besuchen Sie uns im Internet: www.elsengold.de

INHALT

EINLEITUNGVOM BESCHAULICHEN BERLIN ZUM CHICAGO DEUTSCHLANDS (1890–1933)

ICH BIN IMMER EIN ANDERERGEORGES MANOLESCU: FÜRST DER DIEBE

DER KRUG GEHT SO LANGE ZUM WASSER, BIS ER BRICHTMAX SCHIEMANGK: HOCHSTAPLER

KARPFENKLAU UND KLUNKERSUCHTFRITZ LANDAU: JUWELENDIEB

ERSCHRECKEN SIE NICHT! ERSCHRECKEN SIE DOCH! FRITZ WALD: FASSADENKLETTERER

DER JAGDSCHEIN AUS DER IRRENANSTALTANNI SANNECK: HOCHSTAPLERIN

MORPHIUM FÜR DIE SCHMERZENDE SEELEROSE GENTSCHOW: GEWOHNHEITSDIEBIN

KÖNIG DER EINBRECHEREMIL STRAUSS: GENTLEMAN-VERBRECHER

MERKWÜRDIGE MISCHPOKEHELENE SPANIER, LUDWIG LEWY UND MATROSEN-WILLI: VERBRECHER-ZWECKGEMEINSCHAFT

DIE POLIZEI, DEIN FREUND UND MÖRDERBRUNO GERTH: WACHTMEISTER MIT WÜRGEGRIFF

OHNE TAMTAM KANN ICH NICHTS MACHENJOHANNES SPRUCH: JUWELENRÄUBER

DIE BLUMEN DES BÖSENDR. BRUNO SCHREIBER: PHILOLOGE AUF ABWEGEN

TAXI INS JENSEITSDER „NASSE FISCH“: EWALD VON SCHALEPANSKIS LETZTER FAHRGAST

LITERATUR UND QUELLEN

EINLEITUNG

VOM BESCHAULICHEN BERLIN ZUM CHICAGO DEUTSCHLANDS (1890–1933)

Oh, Berlin ist groß, und sein Gewand schillert in tausend Farben. Hier ist seine Schönheit gepriesen und dort seine Häßlichkeit verachtet. Hier in diesem Winkel berühren sich alle Gegensätze, reiben sich Armut und Laster, Reichtum und Elend.

Die Großstadt zu Kaisers Zeiten. Mitunter ein lasterhafter Ort, an dem sich der wackere Provinzfriseur „Kubinke“ aus Georg Hermanns gleichnamigen Roman nicht behaupten kann. Er scheitert an seinen Wünschen und Träumen, geht in den Irrwegen der Straße, aber auch seiner Psyche verloren. Desillusioniert erhängt er sich am Ende, haucht sein Leben einsam im Dunkel der Nacht aus. Er ist eigentlich kein schlechter Mensch und schon gar kein Verbrecher. Aber auch er wird vom Sog des Molochs verschluckt und kann sich des zermürbenden Mahlwerks der Stadt, das die Menschen reihenweise verschleißt, nicht erwehren. Den Spagat zwischen Lebensgier auf der einen Seite und Lethargie auf der anderen nicht schaffen. Und keiner ist vor dem Abstieg gefeit, auch nicht der brave Bürger. Und genau dieses Dilemma, ein kollektives Déjà-vu, sollte sich in den 1920er-Jahren wiederholen. Die Menschen mussten mitunter wichtige Entscheidungen treffen, zum Beispiel, ob sie auf dem Pfad der Tugend bleiben oder ihn verlassen wollten, um in die Abgründe der Kriminalität hinabzusteigen. In das Ungewisse, in den Untergrund, schnurstracks zu denen, die die Gesetze kontinuierlich missachteten. Derer gab es ausgesprochen viele, darunter auch heute völlig vergessene Kriminelle, deren Straftaten schon länger zurückliegen und die es auch nicht in ein vor über 50 Jahren im Kriminalistik-Verlag erschienenes, sehr umfangreiches Kompendium namens Verbrecher von A–Z geschafft haben. Von den Herrschaften, die im vorliegenden Buch posthum auf dem Papier versammelt wurden, findet man in jener Zusammenstellung lediglich die Namen Manolescu und Strauß. Doch was war mit den Nichtgenannten, waren auch sie Opfer ihrer Zeit? Ihnen das als pauschale Rechtfertigung für ihre Taten zuzugestehen, wäre natürlich falsch. Gemeinsam hatten sie außer ihren kriminellen Neigungen vor allem eines, und das war Berlin. Manche waren dort zur Welt gekommen oder sie hatten die Großstadt zu ihrem bevorzugten Jagdrevier erkoren. Andere wiederum gaben nur ein kurzes „Gastspiel“ und verschwanden wieder von der kriminellen Bildfläche, wenn ihnen der Boden unter den Füßen zu heiß geworden war. So wie Herr Manolescu, mit dem wir unsere Reise durch die Welt der Verbrecher beginnen wollen, um dann mit ihm und seinen geistigen Nachfahren auch einen Bogen vom kaiserlichen Glanz zum glitzernden Licht der Weimarer Zeit zu schlagen, das bei Weitem nicht alle erhellte. Nur kurz war das Gastspiel des illustren Herrn in der Stadt, aber dieser Hochstapler galt als eine Art „Star“ der Szene, sodass er ein leuchtendes Vorbild für viele Kriminelle gewesen sein mag, zu dem man bewundernd aufschaute. Wie haben wohl um die Jahrhundertwende Berliner Kriminelle auf die Nachricht reagiert, dass Manolescu in der Stadt war? Zuckten sie mit den Schultern oder verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer? Flüsterte man in den Budiken, Kneipen und Destillen bereits ehrfürchtig seinen Namen und wartete darauf, dass er zur Tür hereinrauschte? Zumindest Manolescus Hehler des Vertrauens vor Ort, der ominöse „Prinz Nikotin“, dürfte kein Unbekannter im Milieu gewesen sein, musste er doch die Beute des „Meisterdiebs“ vor Ort zu Geld machen. Und dafür brauchte man ein gut funktionierendes Netzwerk, dem man vertrauen konnte, Einzelgänger hatten in der Szene eher keine Überlebenschance.

Wir lassen es zunächst ruhig angehen, weil der fantasievolle und eitle Hochstapler, der oft auch als Dieb unterwegs ist, in der Regel nicht zur Gewalt neigt und eher als Erpresser oder Fälscher agiert, anstatt zu töten. Die Heimlichkeit, das ist sein Metier, sich in Hotels oder Pensionen einschleichen, um reiche Beute zu machen. Er weiß es als Einziger, und Wissen ist Macht. Er kann die Menschen nach Lust und Laune bestehlen, das verschafft ihm Befriedigung und motiviert ihn zu immer tollkühneren Taten. Somit kann der Leser sich erst einmal beruhigt zurücklehnen, denn in den ersten fünf Kapiteln geht es gemächlich zu, und es ist nicht damit zu rechnen, dass Blut fließt, was ihm gegen Ende des Buches allerdings nicht erspart bleiben kann.

Aber nun endlich einen Trommelwirbel und einen Tusch für den „Prototypen“ des zeitlosen Hochstaplers, mit dem im ersten Kapitel der Reigen der Verbrecher eingeläutet werden soll: Manolescu! Sein Name allein war unter der Regentschaft des Kaisers ein Garant für ein gepflegtes Schaudern, das die Menschen durchfuhr, wenn sie wieder einmal von dem neuesten Coup des legendären rumänischen Verbrechers in ihrem Leibblatt lasen. Und das Dienstmädchen, das manch einem die Zeitung auf dem Silbertablett überreichte, sah dann auch immer etwas blass um die Nase aus. Doch in der Regel erfuhr man zu dieser Zeit nichts von allzu vielen und besonders grausamen Mordtaten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts dominierten vor allem Diebstähle aller Art die Kriminalitätsstatistiken, schwere Verbrechen wie Raub und Mord hatten noch keine Hochkonjunktur, eher galten Betrüger und Hochstapler als Kapitalverbrecher. Im fortschrittlichen Berlin war die Verbrecherwelt zu dieser Zeit schon munter damit zugange, sich möglichst effizient zu organisieren. 1890 wurde in Berlin der „Verein ehemaliger Strafgefangener e.V.“ gegründet, aus dem später die Bruderschaften der Berliner Unterwelt entstehen sollten: die berühmt-berüchtigten Ringvereine, gegründet von Menschen, die sich auch als Interessenvertretung der Entwurzelten und Außenseiter der Stadt verstanden. Noch aber war alles eher beschaulich, geradezu gemächlich. 1891 wurden gerade einmal 17 Personen wegen Mordes oder Mordversuchs verurteilt, und auf der Rangliste der gefährlichsten Orte im ganzen Land lag Berlin auf Platz zehn. Und 22 Morde innerhalb von zehn Jahren bei einer Einwohnerschaft von eineinhalb Millionen Menschen, das war wiederum „vorbildlich“. Man hatte im strammen Preußen also eigentlich alles unter Kontrolle, zumindest was die Verbrecherwelt in Berlin anging. Der Tag begann dennoch durchaus kriminell, allerdings zumeist nur auf dem Zeitungspapier.

Dem umtriebigen Manolescu haftete zudem ein besonders internationales Flair an, was ihn noch verruchter und interessanter machte, vor allem aufgrund seiner zahlreichen Paris-Aufenthalte, die natürlich keineswegs touristischen Zwecken dienten. Insgeheim bewunderte man ihn beim opulenten Frühstück – solange man selbst nicht das Opfer wurde – für seine überbordende Chuzpe und seine Dreistigkeit, mit der er die Behörden lange Zeit narren konnte.

Natürlich bestand die Welt des Verbrechens in Berlin nicht nur aus einheimischen Delinquenten. Ein Hochstapler/Dieb/Betrüger ist zugleich auch immer ein Seismograf für gesellschaftliche Missstände, ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der er lebt, und die wurde nach dem Ersten Weltkrieg immer internationaler und schnelllebiger, bis sie sich in den 1920er-Jahren fast überschlug. Kriminalität ist zwar in gewisser Weise zeitlos, es wird sie immer geben, die Menschen werden das Potenzial, anderen zu schaden, immer in sich tragen. Der Verbrecher an sich, der letzten Endes seine kriminellen Impulse nicht zügeln kann, aber auch seine ganz individuelle Wahl der Verbrechensart unterliegen jedoch gewissen sozialen, psychologischen und psychopathologischen Gegebenheiten, die sich wandeln und so auch die Kriminalität verändern oder verstärken können.

Um die Jahrhundertwende, als Manolescu und seine „Brüder im Geiste“ aktiv waren, war die Gesellschaft streng hierarchisch aufgebaut. Wer nun aus seiner „Kaste“ ausbrach, war in gewisser Weise sehr mutig, ein Rebell, der sich nicht zuletzt auch einem traditionellen Rollenmuster als Ernährer einer Familie komplett verweigerte. Kamen dann etwa noch schauspielerisches Talent, übersteigertes Selbstbewusstsein sowie großes Geltungsbedürfnis hinzu, entstanden falsche Offiziere, Generäle, Gräfinnen und Pseudo-Adlige, die massiv Eindruck schindeten und ihre Umwelt einschüchterten. Sie hielten die Menschen mit blumigen, freundlichen oder auch zackigen Worten und überlegenen Gesten geschickt in Schach, um sie dann hinterrücks erfolgreich zu betrügen. Im Laufe der Zeit kamen noch etliche andere Ursachen hinzu, die diesem Verbrechertypus zur zweifelhaften Popularität verhalfen. So wird der Jahrtausendwechsel in Verbindung mit dem rasanten technischen Fortschritt Ende des 20. Jahrhunderts sich verunsichernd auf die Gemüter ausgewirkt und sie anfälliger gemacht haben für Krisen, aber eben auch für Verbrecher aller Art. Heute forscht man in diesem Zusammenhang zum Thema „Resilienz“. Damals zerbrachen sich Kriminalpsychologen die gelehrten Köpfe, um das Innenleben der Delinquenten zu durchschauen, bemühten Theorien wie zum Beispiel die vom „geborenen Verbrecher“ des Cesare Lombroso, der davon überzeugt war, dass man einen typischen Verbrecher bereits an seinem Äußeren erkennen könne. Noch 1930 sollten zwei Ärzte der „Irrenanstalt“ Herzberge, die Doktoren Franz Alexander und Franz Bierbaum, anlässlich des Ersten Kongresses für Geisteshygiene in Washington D.C. ihre zweifelhafte Erkenntnis mitteilen, dass a) 75 Prozent aller Bettler, Vagabunden und Diebe geisteskrank seien, und b) alle Menschen als Verbrecher geboren werden und erst durch die Erziehung anders würden. Die Berliner Verbrecherwelt lachte herzlich über diese weltfremde Aussage, zeigte mit dem Finger auf ihre Ahnentafeln und rief aus: „Die sind schuld, nicht wir!“ Und auch der Kriminologe Erich Wulffen mag darüber geschmunzelt haben, denn er schrieb in einem kriminalpsychologischen Aufsatz: „Nur wenn wir die verbrecherische Handlung als Ausfluß und Bestandteil des menschlichen Seelengebildes in seiner Totalität aufsuchen, erhalten wir psychologische Wahrheit.“ Heute weiß man, dass eine genetische Prädisposition einen Menschen nicht automatisch zum Kriminellen macht. Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung in der Kindheit spielen viel eher eine Rolle. Und Kinder- und Jugendkriminalität machen aus einem Menschen nicht automatisch einen Gewohnheitsverbrecher, sondern können auch als mehr oder weniger normale Begleiterscheinung der Entwicklungsphase angesehen werden.

Fast alle Täter, über die in diesem Buch berichtet wird, haben tatsächlich auch eine psychologische Begutachtung durch einen oder mehrere gerichtlich bestellte Ärzte über sich ergehen lassen müssen. Doch das Erkennen einer psychischen Krankheit bei dem einen oder anderen ist naturgemäß noch lange kein Garant für eine Heilung. Die Autorin hat sich daher bei jedem Delinquenten die Frage gestellt: Was wurde aus ihm oder ihr nach der Verhaftung und Verurteilung? Nachdem vor allem die Presse das Interesse an ihnen und ihren mitunter seltsamen psychischen Irr- und Abwegen verloren hatte, verschwanden sie zumeist aus den Schlagzeilen. Wie erging es ihnen, nachdem sie von grimmigen Polizeibeamten in ihre dunkle und einsame Zelle zurückgeführt worden waren und man das kleine Sichtfenster mit lautem Knall zuschlug? Und was machte die Haftzeit mit ihnen? Fanden sie danach wieder auf den Pfad der Tugend zurück oder waren sie unwiderruflich in der dunklen Welt des Verbrechens und den seltsamen Sphären ihrer düsteren Gedanken verloren gegangen? Welche Rolle spielten das familiäre Umfeld, die Lebensbedingungen in den frühen Jahren der Entwicklung zum Heranwachsenden, dessen Übergang zum Delinquenten meist schleichend erfolgte? Viele Fragen, die oftmals gar nicht mehr zu beantworten sind, vor allem dann nicht, wenn die Quellenlage dürftig ist. Oft ist man jedoch erstaunt, denn zumeist gerieten ausgerechnet diejenigen auf die schiefe Bahn, die aus einem gesitteten und gut situierten Elternhaus kamen.

Ein Verbrecherleben, wie es sich an dieser Stelle mehrfach darbietet, ist seltsam und sicherlich recht anstrengend. Auf jeden Fall kommt der Delinquent wohl nie zur Ruhe. Mal taucht er hier auf, dann wieder dort, eigentlich ist er immer unterwegs und auf der Flucht vor der Justiz. Ist er irgendwo angekommen, schaltet er instinktiv sein Radar ein, schaut mit großen Augen vermeintlich unschuldig in die Runde und fragt sich: Wo gibt es etwas Lohnenswertes zu stehlen? Wen kann ich am besten neppen oder berauben? Wen lohnt es zu betrügen? Ständig befindet er sich aber auch auf der Hut vor allzu neugierigen und misstrauischen Zeitgenossen, die ihn durchschauen und enttarnen könnten. Manolescu meisterte auch diese Situationen mit Bravour und wurde so pauschal zu einer Art „Role Model“ für alle Verbrecher, für all die Hochstapler und Möchtegern-Hochstapler, Einsteigediebe, Ausbrecher, für falsche Gräfinnen wie Annie Sanneck und wie sie alle hießen – die Liste ließe sich noch endlos fortführen. Aber war dieser zweifelhafte Titel im Universum des kriminellen Milieus auch rechtens, der lotterhafte Lorbeerkranz auch wirklich verdient? Geistige Nachfahren hatte Manolescu tatsächlich viele, die den kriminellen Impuls mehr oder weniger geschickt in die Tat umsetzten. Einer dieser Anwärter auf die Thronnachfolge war der heute völlig vergessene Brandenburgische Hochstapler und Bigamist Max Schiemangk, der damals ebenfalls regelmäßig die in- und ausländischen Tageszeitungen mit Sensationsmeldungen füllte, und um den es deswegen im zweiten Kapitel dieses Buches geht, weil auch er die Hauptstadt nicht von seiner zeitweiligen Anwesenheit verschonte.

Max Schiemangk hatte mit Manolescu einiges gemeinsam, das bringt der „Beruf“ des Hochstaplers nun einmal mit sich: die absolute Rastlosigkeit, die überbordende Energie, die niemand zügeln und in geordnete Bahnen lenken konnte und die ihn sogar bis an das andere Ende der Welt führten. Und den auch die neue Staatsform in Deutschland nach dem Ende der Monarchie nicht sonderlich beunruhigte, weil er genügend Selbstvertrauen hatte, um sich auch auf diese Situation flexibel einzustellen. Er agierte ganz selbstverständlich auch im Ausland und wagte nonchalant den Sprung über den Großen Teich. Ein internationaler Hochstapler, das war allerdings eher eine männliche Domäne in einer Zeit, in der allein reisende Frauen eine Seltenheit waren. Sie hatten dafür andere Möglichkeiten, ihre Mitmenschen zu täuschen. Aber auch die Lügen waren bei allen Hochstaplern – männlich wie weiblich – vermutlich auch schon in ganz jungen Jahren eine Selbstverständlichkeit und ein inneres Bedürfnis, geradezu ein zwanghafter Drang. Möglicherweise hatte man ihnen das Schwindeln im Elternhaus vorgelebt, und sie hatten dieses Verhaltensmuster übernommen und schamlos verstärkt. Im Erwachsenenalter folgte dann der pathologische hemmungslose Selbstbetrug, das Aufrechterhalten einer falschen Fassade, völlige Verantwortungslosigkeit, eisige Gefühlskälte, ein wahres Potpourri an negativen Eigenschaften, die nach außen hin zumeist mit großem Charme überspielt wurden. Immerhin, sie waren zwar ohne Gewissen, aber oft auch ohne den Impuls zum Morden, den Affekt zum Töten. Dennoch existierten Schamgrenzen und Moral in dieser Parallelwelt der Hochstapler nicht. Sie haben kein Gewissen, sind somit in gewisser Weise auch Psychopathen. Doch diese absolute Grenze, das Töten eines anderen Menschen, verursacht Hochstaplern keine Befriedigung. Sie wollen das andere Leben nicht auslöschen, sondern es beeinflussen, beeindrucken, manipulieren. Es täuschen, betrügen und belügen. Die Ordnung der Dinge bewusst zerstören, Aufmerksamkeit erregen. Und das mit großer Freude. Auch Schiemangks Leben geriet zu einer endlosen Abfolge von Straftaten, manchmal unübersichtlich, undurchsichtig, aber zugegeben immer ungemein spannend. Und vor allem er nutzte die Gunst seiner Zeit: den Hang der Menschen zum Militarismus, die Ehrfurcht vor der Uniform, die den Mann, der sie trug, fast schon automatisch zu einem Übermenschen erhöhte, vor dem man ehrfürchtig erstarrte und bei dem man vor allem nichts von dem anzweifelte, was er sagte. Und damit hatte er gerade in Berlin den meisten Erfolg, spazierte wie ein Pfau auf dem Tempelhofer Feld herum und ließ sich vom ehrfürchtigen Publikum, das ihm die Rolle abnahm, bestaunen, begaffen und bejubeln. Für diese flüchtigen Momente leben die Hochstapler, die sich stets nach der Welt des schönen Scheins sehnen.

Das Leben von Fritz Landau, einem weiteren erfolgreichen Betrüger mit Hang zu Juwelen, wird im dritten Kapitel des Buches beschrieben. Auch er ist eigentlich eine tragische Gestalt, die anfangs den Wandel der Gesellschaft durch die veränderten politischen Gegebenheiten mühelos und unbeschadet überwinden kann. Sie spielen für ihn keine Rolle, er ist Hedonist und Egoist und somit in seinen ganz eigenen geistigen Sphären unterwegs, in denen er keine anderen Menschen braucht. Er ist ein Chamäleon und kann sich flexibel auf neue Gegebenheiten ein- und umstellen. Wir verfolgen zunächst den typischen kriminellen Lebenslauf, der denen der anderen frappierend ähnelt: frühe Diebstähle, Lügen, Ortswechsel, Länderwechsel. Die ersten Gefängnisstrafen schockieren die Umwelt, dann gibt es keinen Weg mehr zurück, und der impulsive und rücksichtslose Lebensstil manifestiert sich. Sein Umfeld ist, wie so oft, gediegen, die Familie in der Heimatstadt angesehen. Einen Grund, sich auf die schiefe Bahn zu begeben, gab es bei ihm oberflächlich gesehen nicht, materiell fehlte es ihm eigentlich an nichts. Dennoch gelang es der Familie nicht, die kriminellen Impulse, wenn sie sie überhaupt erkannten, abzufedern. Doch was macht der Hochstapler und „Meisterdieb“ eigentlich, wenn er älter wird, wenn er krank wird, und zwar unheilbar, und nicht mehr in der Lage ist, seine Umwelt zu manipulieren? Mit einer schweren chronischen Erkrankung, die die Bewegungsfähigkeit völlig einschränkte, war auch Fritz Landaus Karriere und damit auch sein Leben so gut wie beendet. Ohne das Hochstapeln war ein Fritz Landau nichts, das war seine Identität, sei es nun unter dem Zepter eines Königs, Kaisers oder in einer demokratischen Staatsform. Nahm man sie ihm, beraubte man ihn seines „Ichs“ und somit auch seines Lebenswillens – so eng verbunden, geradezu verwachsen, sind die Hochstapler mit ihrer Rolle beziehungsweise mit ihren Rollen.

Gehörten die ersten drei Verbrecher nicht der einheimischen Berliner Verbrecherzunft an und hatten sich eher durch ihr Schicksal unbekümmert in die „Metropole des Verbrechens“ treiben lassen, so tauchen wir mit Fritz Wald schließlich ganz in die Welt des Verbrechers der 1920er-Jahre in Berlin ein. Fritz Wald hatte in seiner Glanzzeit schnell das Fassadenklettern für sich entdeckt, dies aber mit Stil. Fast ist dieser Fritz Wald tatsächlich ein wenig sympathisch, wenn man von ihm liest. Wenn er vor Gericht in den Saal hauchte, dass er ja seine Opfer stets höflich und zuvorkommend behandelt habe, dürfte das Publikum fast gerührt gewesen sein. Oder wenn er überzeugend ausrief, dass er ihnen nie Gewalt angetan hätte. Auch seine Beweggründe waren beinahe herzerfrischend: Er wollte mit dem erbeuteten Geld ein Geschäft aufbauen. Aber wie naiv und irgendwie auch gutmütig muss er gewesen sein, dass er sich nicht seiner skrupellosen Hehler hatte erwehren können, die ihn regelmäßig betrogen, sodass seine Ausbeute im Verhältnis zum Aufwand eigentlich verschwindend gering war? Sein Projekt war also zum Scheitern verurteilt, das konnte der Verbrecher, der er nun einmal trotz aller gepflegten Dezenz war, mit seinem wenig durchdachten Plan, bei dem er keinerlei Widrigkeiten mit einbezogen hatte, selbst nur nicht erkennen. Dafür fehlte ihm nicht zuletzt auch die nötige Raffinesse – die Moral war ihm sowieso irgendwann unterwegs abhandengekommen. Seine überbordende Energie hingegen, die er ganz offensichtlich besaß und die ihn frisch und fröhlich die Hauswände erstürmen ließ, hätte er an anderer Stelle zum allgemeinen Wohl der Gesellschaft anstatt zu ihrem Schaden einsetzen können. Dennoch schien ihn sein Dilemma nicht weiter zu stören, im Gegenteil. Dieser Delinquent war ebenfalls jemand, der sich in der Aufmerksamkeit sonnte und das Abenteuer geradezu suchte, und das vor allem im Dunkel der Nacht, wenn die braven Menschen schlafen und das Verbrechen zum Leben erwacht.

Den Ersten Weltkrieg und die deutsche Revolution haben wir nun längst hinter uns gelassen, aber nur auf dem Papier, die Auswirkungen sind jedoch noch lange Zeit spürbar. Längst heißt die Staatsform nun Demokratie, doch unter den Spätfolgen des gravierenden Umbruchs und den daraus resultierenden sozialen Missständen leiden Staat und Menschen noch jahrelang, was nicht ohne Folgen bleiben kann. Das Leben ging weiter, doch viele Menschen blieben dabei auf der Strecke, unwiderruflich besiegt unter anderem durch Armut, Alkoholsucht oder Krankheit, ihre Widerstandsfähigkeit zerstört.

Neue Kräfte sind am Werk, denen manche Menschen nichts mehr entgegensetzen können. Die Ursprünge liegen unter anderem auch in der zunehmenden Technologisierung in Verbindung mit den leidvollen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs. Hinzu kommen bei vielen Menschen ein daraus resultierendes Gefühl der Entrechtung und Knechtung sowie der Machtlosigkeit gegenüber einer zunehmenden Herrschaft des Materialismus, der die Menschheit spaltete und auch zu einem Nährboden für das Verbrechertum wurde. Prägnante Täter und Taten sind das Resultat, unfassbar und unbegreiflich und dann zunehmend brutal und verstörend, als sich Wertvorstellungen zunehmend auflösen, sich im Rausch der immer schneller werdenden Zeit verlieren, bis man sie schließlich ganz aus den Augen verliert oder die Genusssucht, vor allem in der Phase der Entspannung der Republik, sie völlig verdrängt. Der Übergang vom Ersten Weltkrieg in die Zeit danach ist nahtlos: Verbrechen, Korruption, Vergnügungssucht dringen aus dem Verborgenen ins Rampenlicht, und zwar ohne Scheu, und erschüttern das Gemeinschaftsleben erneut zutiefst.

Das Jahrzehnt hat auch mit einem rasanten Anstieg der Kriminalität begonnen, und zwar „in erschreckendem Maße“, wie der Schriftsteller und Journalist Leo Heller in seinen Berliner Razzien schrieb. Der Moloch Berlin ist nun auch im Ausland als eine Art Sodom und Gomorrha verpönt: lasterhaft, verdorben, verrucht. Frauen drängen verstärkt auf das kriminelle Parkett, oft sind es Hochstaplerinnen, die als falsche Adlige unterwegs sind und so ihre Opfer neppen. Wie Anni Sanneck und Rose Gentschow, denen die Kapitel fünf und sechs gewidmet sind. Wir reisen mit ihnen weiter durch die zutiefst unmoralische, aber überaus spannende Welt der Kriminalität. Die legendäre Betrügerin Anni Sanneck bewegt sich in dieser Zeit im Dunstkreis der menschlichen Abgründe, ist stets auf der Suche nach potenziellen Opfern, die sie neppen kann. Eine bürgerliche Lebensform ist für sie schon lange außer Reichweite, obwohl sie die Intelligenz und das Auftreten dafür besitzt. Berlin ist ihr Wohnort, doch auch sie ist jederzeit flexibel und mobil und reist unter Umständen in andere Orte in Deutschland. Sie glänzt durch ein einnehmendes Wesen und gepflegtes Äußeres, imitiert in ihrer Körpersprache und einer hochtrabenden Sprache, die sie sich über einen langen Zeitraum antrainiert hat, eine Dame von Adel und von Welt. Die Rolle spielt sie meisterhaft, sie blendet, überzeugt, betrügt. Dabei stellt sie sich extrem schnell auf neue Gegebenheiten ein, wechselt auch schon einmal unbekümmert ihren „Wirkungskreis“, es ist auch diese Furchtlosigkeit, die durchaus imponieren kann. Doch dann gibt es diese Momente, in denen sie die Contenance verliert, und dies zumeist vor Gericht, wenn sie unter Druck steht. Sie weiß, dass das Publikum und die Presse immer schon gespannt auf die Gerichtsauftritte der stadtbekannten Betrügerin warten, weil sie ahnen: Jetzt wird es „sensationell“. Dann kann es schon einmal passieren, dass das Gerichtsgebäude wegen des großen Andrangs Neugieriger abgesperrt werden muss. Und Anni gibt ihnen, was sie wollen, ein zweifelhaftes Futter, geboren aus einer psychischen Störung, deren Anfang sich zeitlich nicht mehr genau rekonstruieren lässt. Sie randaliert, pöbelt, schlägt schon einmal mit der Faust zu, beschimpft die Beamten, übergibt sich sogar, bis der Richter sie entnervt und streng zur Ordnung ruft. Für einen sehr kurzen Moment schweigt die notorische Kriminelle, doch in der Regel ist dies nur die Ruhe vor einem erneuten Sturm. Mit der Zeit verliert sich Anni in ihrer psychischen Erkrankung, die damals kein Thema war, um damit Schlagzeilen zu füllen. Das Publikum wollte „Menschen, Tiere, Sensationen“, keine psychologischen Studien. In der Regel reichte den Gerichtsreportern daher damals die unspezifische Bezeichnung „geisteskrank“ völlig aus, mehr brauchten die Leser nicht zu wissen. Der Richter klappte den Aktendeckel zu, die Delinquentin wurde abgeführt und verschwand wohin auch immer. Die Schlagzeilen ebbten sofort ab, das weitere Schicksal dieser Menschen interessierte nicht mehr. In Annis Fall war das Rauschgift Morphium der auslösende Faktor für den Abstieg in das Verbrechen. Aber war sie schon krank, als sie die Droge zum ersten Mal nahm, oder wurde sie es erst dadurch? Und hatte sie in einem Anfall von krankhafter Bewusstseinsstörung gehandelt und daher Straftaten begangen? Dies waren damals entscheidende Fragen, wenn es um § 51 Reichsstrafgesetzbuch ging, der einst über die Zurechnungsfähigkeit der Delinquenten entschied – ein Relikt aus der Kaiserzeit und in den 1920er-Jahren dringend überholungsbedürftig. Der Paragraf war seit jeher umstritten, da der Mensch unter Umständen vom Urteil eines einzigen Arztes abhängig war oder auch von mehreren, wenn die Fachleute sich nicht einig waren. Dennoch: Anni Sanneck war trotz allem auch eine starke Frau, eigenständig und selbstbewusst. Sie schaffte es, nach mehreren gescheiterten Versuchen mithilfe der Ärzte vom Morphium loszukommen, das gelang damals den Wenigsten. Doch es war zu spät: Letzten Endes musste sie durch ihre krankheitsbedingte Aufsässigkeit, der sie selbst nichts entgegensetzen konnte, den höchsten Preis zahlen, den es gibt: ihr Leben.

Der Autor und Journalist Leo Heller tauchte für seine Reportagen tief in die Berliner Unterwelt ein. Foto, um 1927

Dasselbe gilt in gewisser Weise auch für die diebische Elster Rose Gentschow aus Ostpreußen, der das nächste Kapitel gewidmet ist. Auch sie ist eine Betrügerin, die in Berlin unterwegs ist, doch sie ist bei Weitem nicht raffiniert oder selbstbewusst genug, um überzeugend eine Adlige zu spielen und sich souverän zwecks Betrügereien in diesen Kreisen zu bewegen. So taumelt sie eher in den Kaschemmen und Spelunken, wie sie Leo Heller in seinen Werken so treffend beschrieben hat, dem Verderben und dem Abgrund entgegen – und schnell auch der Prostitution. Rose setzt auf ihre weiblichen Reize, um ihre Opfer zu ködern. Sind die in der Falle, werden sie mit Drogen betäubt und anschließend ausgeraubt. Doch Rose ist selbst eine schwer abhängige Verlorene der Stadt, die dem frühen Tod, der schon die Arme ausbreitet, geradezu fatalistisch entgegenläuft. Wie Anni Sanneck ist sie früh dem Morphium verfallen, das in den 1920er-Jahre zu einer regelrechten Seuche geworden ist. Mit gefährlichen Folgen: Menschen wie Rose wurden unwiderruflich zu Grunde gerichtet, die Spätfolgen des Drogenkonsums führten oft zu einem frühen Tod, wenn die Abhängigen es nicht rechtzeitig schafften, mithilfe einer Entziehungskur von der Droge loszukommen. Vielleicht ist ihr die langjährige Haftstrafe, zu der sie wegen des Totschlags eines Händlers, dem sie in einer Berliner Kaschemme versehentlich zu viel Opium in den Likör geschüttet hatte und der daran gestorben war, zum Verhängnis geworden. Die Zeitungen überschlugen sich damals zwar vor sensationslüsternen Prozessberichten, aber auch hier galt: Wenn der Kriminelle einmal von der Bildfläche verschwunden war und sich die Zellentür hinter ihm geschlossen hatte, interessierten sie sich nicht mehr für das weitere Schicksal des Menschen. Aus den Augen, aus dem Sinn. So wie Rose Gentschow, von der man nie wieder etwas hörte.

Wir verlassen die Welt der Hochstapelei, der Fassadenkletterer, der Betrüger und falschen Gräfinnen unter Drogen, um uns dem „Handwerk“ zu widmen, das jedoch alles andere als ehrlich ist. Aber Tresore knacken und Türen auf wundersame Weise öffnen, das erfordert schon einiges an Spezialkenntnissen. Und der legendäre Ein- und Ausbrecher Emil Strauß aus Kapitel sieben war ein Meister dieses Fachs. Im Berlin der 1920er-Jahre kennt ihn jedes Kind. In dieser Tollhauszeit fällt er in der Unterwelt sofort auf: ein gut gekleideter Mensch, eben ein „Gentleman-Verbrecher“, der sich von den billigen Kaschemmen fernhält und lieber mit seinem ihm „geistig weit unterlegenen Bruder“ Erich für sich bleibt, es sei denn, er begehrt weibliche Gesellschaft, dann wird dieser Grundsatz schnell über Bord geworfen. Auch diesem gebürtigen Berliner wird die lange Haftzeit zum Verhängnis, wenn auch aus anderen Gründen. Der intelligente Strauß bewies zunächst eine unglaubliche mentale Stärke und nutzte die Haftstrafe – er hatte 1919 in Berlin einen Polizisten erschossen –, um sich persönlich weiterzuentwickeln, nachdem er dem Verbrechen vollständig abgeschworen hatte. Ebenso findet er einen väterlichen Freund, der an seine verborgenen Fähigkeiten glaubt, und das ist ausgerechnet der Mann, der ihn hinter Gittern gebracht hat: Polizeioberwachtmeister Albert Dettmann, ein stadtbekannter und in Verbrecherkreisen als tüchtiger und vor allem volkstümlicher „Bulle“ beliebt, der bei den einschlägigen Festen der Ringvereine schon einmal frenetisch den Taktstock schwingt, natürlich unter dem tosenden Applaus der begeisterten Ringbrüder. Doch ein Happy End sollte es für Strauß dennoch nicht geben. Die politischen Verhältnisse unter dem Hitler-Regime hatten auch zur Folge, dass Gewohnheitsverbrecher wie Strauß und viele andere Gefahr liefen, „ausgemerzt“ und „liquidiert“ zu werden. Und so fand auch Emil Strauß, der geläuterte Verbrecher, ein gewaltsames Ende. Dass Verbrecher Selbstzeugnisse hinterlassen, ist eher selten, Manolescu war da eine Ausnahmeerscheinung. Emil Strauß tat es ihm nach, er versuchte sich hinter Gittern sogar als Dichter und verfasste pathetische Reime. Der Bericht über seine Kindheit, den der Delinquent im Rahmen der Untersuchungen der Kriminalbiogischen Forschungsstelle schreiben soll, gewährt heutigen Lesern einen bewegenden Einblick in die Geschichte seines ganz persönlichen Abstiegs. Per Allgemeiner Verfügung des Preußischen Justizministeriums vom 29. Juli 1930 sollten diese Forschungsstellen an den Gefangenenanstalten in Berlin, Breslau, Münster in Westfalen, Köln, Wittlich, Frankfurt am Main, Preungesheim, Gollnow, Rheinbach und Halle an der Saale für kriminalbiologische Untersuchungen von Gefangenen eröffnet werden, wobei Berlin als Zentralstelle fungierte, die alle Forschungsergebnisse sammeln sollte.