Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Georg Büchners Drama »Dantons Tod« erschien im Jahr 1835. Es spielt im Jahre 1794 vor dem Hintergrund der Französischen Revolution. Danton will im Gegensatz zu Robespierre gewaltlos eine Republik erschaffen. Schlussendlich wird er selbst zum Opfer.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 112
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Personen.
Georg Danton
Legendre
Camille Desmoulins
Hérault-Séchelles
Lacroix
Philippeau
Fabre d'Églantine
Mercier
Thomas Payne, Deputierte des Nationalkonvents
Robespierre
St. Just
Barère
Collot d'Herbois
Billaud-Varennes, Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses
Chaumette, Prokurator des Gemeinderats
Dillon, ein General
Fouquier-Tinville, öffentlicher Ankläger
Amar
Vouland, Mitglieder des Sicherheitsausschusses
Herman
Dumas, Präsidenten des Revolutionstribunales
Paris, ein Freund Dantons
Simon, Souffleur
Weib Simons
Laflotte
Julie, Dantons Gattin
Lucile, Gattin des Camille Desmoulins
Rosalie,
Adelaide,
Marion, Grisetten
Damen am Spieltisch, Herren und Damen sowie junger Herr und Eugenie auf einer Promenade, Bürger, Bürgersoldaten, Lyoner und andere Deputierte, Jakobiner, Präsidenten des Jakobinerklubs und des Nationalkonvents, Schließer, Henker und Fuhrleute, Männer und Weiber aus dem Volk, Grisetten, Bänkelsänger, Bettler usw.
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Vierter Akt
Hérault-Séchelles, einige Damen am Spieltisch.
Danton, Julie etwas weiter weg, Danton auf einem Schemel zu den Füßen von Julie.
DANTON. Sieh die hübsche Dame, wie artig sie die Karten dreht! Ja wahrhaftig, sie versteht's; man sagt, sie halte ihrem Manne immer das cœur und anderen Leuten das carreau hin. – Ihr könntet einen noch in die Lüge verliebt machen.
JULIE. Glaubst du an mich?
DANTON. Was weiß ich! Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nacheinander aus, aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab, – wir sind sehr einsam.
JULIE. Du kennst mich, Danton.
DANTON. Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieber Georg! Aber Er deutet ihr auf Stirn und Augen. da, da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren. –
EINE DAME zu Hérault. Was haben Sie nur mit Ihren Fingern vor?
HÉRAULT. Nichts!
DAME. Schlagen Sie den Daumen nicht so ein, es ist nicht zum Ansehn!
HÉRAULT. Sehn Sie nur, das Ding hat eine ganz eigne Physiognomie.
–
DANTON. Nein, Julie, ich liebe dich wie das Grab.
JULIE sich abwendend. O!
DANTON. Nein, höre! Die Leute sagen, im Grab sei Ruhe, und Grab und Ruhe seien eins. Wenn das ist, lieg ich in deinem Schoß schon unter der Erde. Du süßes Grab, deine Lippen sind Totenglocken, deine Stimme ist mein Grabgeläute, deine Brust mein Grabhügel und dein Herz mein Sarg. –
DAME. Verloren!
HÉRAULT. Das war ein verliebtes Abenteuer, es kostet Geld wie alle andern.
DAME. Dann haben Sie Ihre Liebeserklärungen, wie ein Taubstummer, mit den Fingern gemacht.
HÉRAULT. Ei, warum nicht? Man will sogar behaupten, gerade die würden am leichtesten verstanden. – Ich zettelte eine Liebschaft mit einer Kartenkönigin an; meine Finger waren in Spinnen verwandelte Prinzen, Sie, Madame, waren die Fee; aber es ging schlecht, die Dame lag immer in den Wochen, jeden Augenblick bekam sie einen Buben.
Ich würde meine Tochter dergleichen nicht spielen lassen, die Herren und Damen fallen so unanständig übereinander und die Buben kommen gleich hintennach.
Camille Desmoulins und Philippeau treten ein.
HÉRAULT. Philippeau, welch trübe Augen! Hast du dir ein Loch in die rote Mütze gerissen? Hat der heilige Jakob ein böses Gesicht gemacht? Hat es während des Guillotinierens geregnet? Oder hast du einen schlechten Platz bekommen und nichts sehen können?
CAMILLE. Du parodierst den Sokrates. Weißt du auch, was der Göttliche den Alcibiades fragte, als er ihn eines Tages finster und niedergeschlagen fand: »Hast du deinen Schild auf dem Schlachtfeld verloren? Bist du im Wettlauf oder im Schwertkampf besiegt worden?
Hat ein andrer besser gesungen oder besser die Zither geschlagen?« Welche klassischen Republikaner! Nimm einmal unsere Guillotinenromantik dagegen!
PHILIPPEAU. Heute sind wieder zwanzig Opfer gefallen. Wir waren im Irrtum, man hat die Hebertisten nur aufs Schafott geschickt, weil sie nicht systematisch genug verfuhren, vielleicht auch, weil die Dezemvirn sich verloren glaubten, wenn es nur eine Woche Männer gegeben hätte, die man mehr fürchtete als sie.
HÉRAULT. Sie möchten uns zu Antediluvianern machen. St. Just säh es nicht ungern, wenn wir wieder auf allen vieren kröchen, damit uns der Advokat von Arras nach der Mechanik des Genfer Uhrmachers Fallhütchen, Schulbänke und einen Herrgott erfände.
PHILIPPEAU. Sie würden sich nicht scheuen, zu dem Behuf an Marats Rechnung noch einige Nullen zu hängen. Wie lange sollen wir noch schmutzig und blutig sein wie neugeborne Kinder, Särge zur Wiege haben und mit Köpfen spielen? Wir müssen vorwärts: der Gnadenausschuß muß durchgesetzt, die ausgestoßnen Deputierten müssen wieder aufgenommen werden!
HÉRAULT. Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt. – Die Revolution muß aufhören, und die Republik muß anfangen. – In unsern Staatsgrundsätzen muß das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe treten. Jeder muß sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können. Er mag nun vernünftig oder unvernünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böse sein, das geht den Staat nichts an. Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudringen. – Jeder muß in seiner Art genießen können, jedoch so, daß keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in seinem eigentümlichen Genuß stören darf.
CAMILLE. Die Staatsform muß ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß sich darin abdrücken. Die Gestalt mag nun schön oder häßlich sein, sie hat einmal das Recht, zu sein, wie sie ist; wir sind nicht berechtigt, ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden. – Wir werden den Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebsten Sünderin Frankreich den Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen. – Wir wollen nackte Götter, Bacchantinnen, olympische Spiele, und von melodischen Lippen: ach, die gliederlösende, böse Liebe! – Wir wollen den Römern nicht verwehren, sich in die Ecke zu setzen und Rüben zu kochen, aber sie sollen uns keine Gladiatorspiele mehr geben wollen. – Der göttliche Epikur und die Venus mit dem schönen Hintern müssen statt der Heiligen Marat und Chalier die Türsteher der Republik werden. – Danton, du wirst den Angriff im Konvent machen!
DANTON. Ich werde, du wirst, er wird. Wenn wir bis dahin noch leben! sagen die alten Weiber. Nach einer Stunde werden sechzig Minuten verflossen sein. Nicht wahr, mein Junge?
CAMILLE. Was soll das hier? Das versteht sich von selbst.
DANTON. O, es versteht sich alles von selbst. Wer soll denn all die schönen Dinge ins Werk setzen?
PHILIPPEAU. Wir und die ehrlichen Leute.
DANTON. Das ›und‹ dazwischen ist ein langes Wort, es hält uns ein wenig weit auseinander; die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert den Atem, eh wir zusammenkommen. Und wenn auch! – den ehrlichen Leuten kann man Geld leihen, man kann bei ihnen Gevatter stehn und seine Töchter an sie verheiraten, aber das ist alles!
CAMILLE. Wenn du das weißt, warum hast du den Kampf begonnen?
DANTON. Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte dergleichen gespreizte Katonen nie ansehn, ohne ihnen einen Tritt zu geben. Mein Naturell ist einmal so.
Er erhebt sich.
JULIE. Du gehst?
DANTON zu Julie. Ich muß fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf. – Im Hinausgehn. Zwischen Tür und Angel will ich euch prophezeien: die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir alle können uns noch die Finger dabei verbrennen.
Ab.
CAMILLE. Laßt ihn! Glaubt ihr, er könne die Finger davon lassen, wenn es zum Handeln kömmt?
HÉRAULT. Ja, aber bloß zum Zeitvertreib, wie man Schach spielt.
Eine Gasse.Simon. Sein Weib.
SIMON schlägt das Weib. Du Kuppelpelz, du runzliche Sublimatpille, du wurmstichischer Sündenapfel!
WEIB. He, Hülfe! Hülfe!
Es kommen.
LEUTE gelaufen. Reißt sie auseinander, reißt sie auseinander!
SIMON. Nein, laßt mich, Römer! Zerschellen will ich dies Geripp! Du Vestalin!
WEIB. Ich eine Vestalin? Das will ich sehen, ich.
SIMON.
So reiß ich von den Schultern dein Gewand.
Nackt in die Sonne schleudr' ich dann dein Aas.
Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht.
Sie werden getrennt.
ERSTER BÜRGER. Was gibt's?
SIMON. Wo ist die Jungfrau? Sprich! Nein, so kann ich nicht sagen.
Das Mädchen! Nein, auch das nicht. Die Frau, das Weib! Auch das, auch das nicht! Nur noch ein Name; o, der erstickt mich! Ich habe keinen Atem dafür.
ZWEITER BÜRGER. Das ist gut, sonst würde der Name nach Schnaps riechen.
SIMON. Alter Virginius, verhülle dein kahl Haupt – der Rabe Schande sitzt darauf und hackt nach deinen Augen. Gebt mir ein Messer, Römer!
Er sinkt um.
WEIB. Ach, er ist sonst ein braver Mann, er kann nur nicht viel vertragen; der Schnaps stellt ihm gleich ein Bein.
ZWEITER BÜRGER. Dann geht er mit dreien.
WEIB. Nein, er fällt.
ZWEITER BÜRGER. Richtig, erst geht er mit dreien, und dann fällt er auf das dritte, bis das dritte selbst wieder fällt.
SIMON. Du bist die Vampirzunge, die mein wärmstes Herzblut trinkt.
WEIB. Laßt ihn nur, das ist so die Zeit, worin er immer gerührt wird; es wird sich schon geben.
ERSTER BÜRGER. Was gibt's denn?
WEIB. Seht ihr: ich saß da so auf dem Stein in der Sonne und wärmte mich, seht ihr – denn wir haben kein Holz, seht ihr – ZWEITER BÜRGER. So nimm deines Mannes Nase.
WEIB. Und meine Tochter war da hinuntergegangen um die Ecke – sie ist ein braves Mädchen und ernährt ihre Eltern.
SIMON. Ha, sie bekennt!
WEIB. Du Judas! hättest du nur ein paar Hosen hinaufzuziehen, wenn die jungen Herren die Hosen nicht bei ihr hinunterließen? Du Branntweinfaß, willst du verdursten, wenn das Brünnlein zu laufen aufhört, he? – Wir arbeiten mit allen Gliedern, warum denn nicht auch damit; ihre Mutter hat damit geschafft, wie sie zur Welt kam, und es hat ihr weh getan; kann sie für ihre Mutter nicht auch damit schaffen, he? und tut's ihr auch weh dabei, he? Du Dummkopf!
SIMON. Ha, Lukretia! ein Messer, gebt mir ein Messer, Römer! Ha, Appius Claudius!
ERSTER BÜRGER. Ja, ein Messer, aber nicht für die arme Hure! Was tat sie? Nichts! Ihr Hunger hurt und bettelt. Ein Messer für die Leute, die das Fleisch unserer Weiber und Töchter kaufen. Weh über die, so mit den Töchtern des Volkes huren! Ihr habt Kollern im Leib, und sie haben Magendrücken; ihr habt Löcher in den Jacken, und sie haben warme Röcke; ihr habt Schwielen in den Fäusten, und sie haben Samthände. Ergo, ihr arbeitet, und sie tun nichts; ergo, ihr habt's erworben, und sie haben's gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigentum ein paar Heller wiederhaben wollt, müßt ihr huren und betteln; ergo, sie sind Spitzbuben, und man muß sie totschlagen!
DRITTER BÜRGER. Sie haben kein Blut in den Adern, als was sie uns ausgesaugt haben. Sie haben uns gesagt: schlagt die Aristokraten tot, das sind Wölfe! Wir haben die Aristokraten an die Laternen gehängt. Sie haben gesagt: das Veto frißt euer Brot; wir haben das Veto totgeschlagen. Sie haben gesagt: die Girondisten hungern euch aus; wir haben die Girondisten guillotiniert. Aber sie haben die Toten ausgezogen, und wir laufen wie zuvor auf nackten Beinen und frieren.
Wir wollen ihnen die Haut von den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!
ERSTER BÜRGER. Totgeschlagen, wer lesen und schreiben kann!
ZWEITER BÜRGER. Totgeschlagen, wer auswärts geht!
ALLE schreien. Totgeschlagen! Totgeschlagen!
Einige schleppen einen jungen Menschen herbei.
EINIGE STIMMEN. Er hat ein Schnupftuch! ein Aristokrat! an die Laterne! an die Laterne!
ZWEITER BÜRGER. Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne!
Eine Laterne wird heruntergelassen.
JUNGER MENSCH. Ach, meine Herren!
ZWEITER BÜRGER. Es gibt hier keine Herren! An die Laterne!
EINIGE singen.
Die da liegen in der Erden,
Von de Würm gefresse werden;
Besser hangen in der Luft,
Als verfaulen in der Gruft!
JUNGER MENSCH. Erbarmen!
DRITTER BÜRGER. Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! 's ist nur ein Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord durch Arbeit; wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zapplen, aber wir werden uns losschneiden. – An die Laterne!
JUNGER MENSCH. Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen.
DIE UMSTEHENDEN. Bravo! Bravo!
EINIGE STIMMEN. Laßt ihn laufen! Er entwischt.
Robespierre tritt auf, begleitet von Weibern und Ohnehosen.
ROBESPIERRE. Was gibt's da, Bürger?
DRITTER BÜRGER. Was wird's geben? Die paar Tropfen Bluts vom August und September haben dem Volk die Backen nicht rot gemacht.
Die Guillotine ist zu langsam. Wir brauchen einen Platzregen!
ERSTER BÜRGER. Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brot, wir wollen sie mit Aristokratenfleisch füttern. He! totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!
ALLE. Totgeschlagen! Totgeschlagen!
ROBESPIERRE. Im Namen des Gesetzes!
ERSTER BÜRGER. Was ist das Gesetz?
ROBESPIERRE. Der Wille des Volks.
ERSTER BÜRGER. Wir sind das Volk, und wir wollen, daß kein Gesetz sei; ergo ist dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt's kein Gesetz mehr, ergo totgeschlagen!
EINIGE STIMMEN. Hört den Aristides! hört den Unbestechlichen!
EIN WEIB. Hört den Messias, der gesandt ist, zu wählen und zu richten; er wird die Bösen mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die Augen der Wahl, seine Hände sind die Hände des Gerichts.