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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. »Was ist das, was in uns lügt, stiehlt und mordet?« Danton ist frustriert, er hat die Schnauze voll: Die Revolution, für die er gekämpft hat, frisst ihre eigenen Kinder. Das, an was er geglaubt hat, hat die Welt nicht verbessert, im Gegenteil. Jetzt glaubt er an gar nichts mehr: »Da ist keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere, das Leben eine verwickeltere, organisierte Fäulniß«. – Was nützt es da noch zu handeln? Wofür soll man sich überhaupt einsetzen?
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Seitenzahl: 124
Georg Büchner
Dantons Tod
Ein Drama
Drama/en
FISCHER E-Books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
GEORG DANTON, Deputirter
LEGENDRE, Deputirter
CAMILLE DESMOULINS, Deputirter
HÉRAULT-SÉCHELLES, Deputirter
LACROIX, Deputirter
PHILIPPEAU, Deputirter
FABRE D’ÉGLANTINE, Deputirter
MERCIER, Deputirter
THOMAS PAYNE, Deputirter
ROBESPIERRE, Mitglied des Wohlfahrtsausschusses
ST. JUST, Mitglied des Wohlfahrtsausschusses
BARRÈRE, Mitglied des Wohlfahrtsausschusses
COLLOT D’HERBOIS, Mitglied des Wohlfahrtsausschusses
BILLAUD-VARENNES, Mitglied des Wohlfahrtsausschusses
CHAUMETTE, Procurator des Gemeinderaths
DILLON, ein General
FOUQUIER-TINVILLE, öffentlicher Ankläger
HERRMANN, Präsident des Revolutionstribunals
DUMAS, Präsident des Revolutionstribunals
PARIS, ein Freund Dantons
SIMON, Soufleur
LAFLOTTE
JULIE, Dantons Gattin
LUCILE, Gattin des Camille Desmoulins
ROSALIE, Grisette
ADELAIDE, Grisette
MARION, Grisette
Männer und Weiber aus dem Volk, Grisetten,
Deputirte, Henker etc.
I, 1 HÉRAULT-SÉCHELLES, EINIGE DAMEN (AM SPIELTISCH). DANTON, JULIE (ETWAS WEITER WEG, DANTON AUF EINEM SCHEMEL ZU DEN FÜSSEN VON JULIE)
DANTON
Sieh die hübsche Dame, wie artig sie die Karten dreht! ja wahrhaftig sie versteht’s, man sagt sie halte ihrem Manne immer das cœur und andern Leuten das carreau hin. Ihr könntet einen noch in die Lüge verliebt machen.
JULIE
Glaubst du an mich?
DANTON
Was weiß ich? Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nacheinander aus aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab, – wir sind sehr einsam.
JULIE
Du kennst mich Danton.
DANTON
Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieb Georg. Aber er deutet ihr auf Stirn und Augen da da, was hegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren.
EINE DAME zu Hérault
Was haben Sie nur mit Ihren Fingern vor?
HÉRAULT
Nichts!
DAME
Schlagen Sie den Daumen nicht so ein, es ist nicht zum Ansehn.
HÉRAULT
Sehn Sie nur, das Ding hat eine ganz eigne Physiognomie.
DANTON
Nein Julie, ich liebe dich wie das Grab.
JULIE sich abwendend
Oh!
DANTON
Nein, höre! Die Leute sagen im Grab sey Ruhe und Grab und Ruhe seyen eins. Wenn das ist, lieg’ ich in deinem Schooß schon unter der Erde. Du süßes Grab, deine Lippen sind Todtenglocken, deine Stimme ist mein Grabgeläute, deine Brust mein Grabhügel und dein Herz mein Sarg.
DAME
Verloren!
HÉRAULT
Das war ein verliebtes Abentheuer, es kostet Geld wie alle andern.
DAME
Dann haben Sie Ihre Liebeserklärungen, wie ein Taubstummer, mit den Fingern gemacht.
HÉRAULT
Ey warum nicht? Man will sogar behaupten gerade die würden am Leichtesten verstanden. Ich zettelte eine Liebschaft mit einer Kartenkönigin an, meine Finger waren in Spinnen verwandelte Prinzen, Sie Madame waren die Fee; aber es gieng schlecht, die Dame lag immer in den Wochen, jeden Augenblick bekam sie einen Buben. Ich würde meine Tochter dergleichen nicht spielen lassen, die Herren und Damen fallen so unanständig übereinander und die Buben kommen gleich hinten nach.
Camille Desmoulins und Philippeau treten ein.
HÉRAULT
Philippeau, welch trübe Augen! Hast du dir ein Loch in die rothe Mütze gerissen, hat der heilige Jakob ein böses Gesicht gemacht, hat es während des Guillotinirens geregnet oder hast du einen schlechten Platz bekommen und nichts sehen können?
CAMILLE
Du parodirst den Socrates. Weißt du auch, was der Göttliche den Alcibiades fragte, als er ihn eines Tages finster und niedergeschlagen fand? »Hast du deinen Schild auf dem Schlachtfeld verloren, bist du im Wettlauf oder im Schwertkampf besiegt worden? Hat ein Andrer besser gesungen oder besser die Cither geschlagen?« Welche klassischen Republicaner! Nimm einmal unsere Guillotinenromantik dagegen!
PHILIPPEAU
Heute sind wieder zwanzig Opfer gefallen. Wir waren im Irrthum, man hat die Hébertisten nur auf’s Schafott geschickt, weil sie nicht systematisch genug verfuhren, vielleicht auch weil die Decemvirn sich verloren glaubten wenn es nur eine Woche Männer gegeben hätte, die man mehr fürchtete, als sie.
HÉRAULT
Sie möchten uns zu Antediluvianern machen. St. Just säh’ es nicht ungern, wenn wir wieder auf allen Vieren kröchen, damit uns der Advokat von Arras nach der Mechanik des Genfer Uhrmachers Fallhütchen, Schulbänke und einen Herrgott erfände.
PHILIPPEAU
Sie würden sich nicht scheuen zu dem Behuf an Marats Rechnung noch einige Nulln zu hängen. Wie lange sollen wir noch schmutzig und blutig seyn wie neugeborne Kinder, Särge zur Wiege haben und mit Köpfen spielen? Wir müssen vorwärts. Der Gnadenausschuß muß durchgesetzt, die ausgestoßnen Deputirten müssen wieder aufgenommen werden.
HÉRAULT
Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt.
Die Revolution muß aufhören und die Republik muß anfangen. In unsern Staatsgrundsätzen muß das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Nothwehr an die der Strafe treten. Jeder muß sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können. Er mag nun vernünftig oder unvernünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böse seyn, das geht den Staat nichts an. Wir Alle sind Narren es hat Keiner das Recht einem Andern seine eigenthümliche Narrheit aufzudringen.
Jeder muß in seiner Art genießen können, jedoch so, daß Keiner auf Unkosten eines Andern genießen oder ihn in seinem eigenthümlichen Genuß stören darf.
CAMILLE
Die Staatsform muß ein durchsichtiges Gewand seyn, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß sich darin abdrücken. Die Gestalt mag nun schön oder häßlich seyn, sie hat einmal das Recht zu seyn wie sie ist, wir sind nicht berechtigt ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden. Wir werden den Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebsten Sünderin Frankreich den Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen.
Wir wollen nackte Götter, Bachantinnen, olympische Spiele und von melodischen Lippen: ach, die gliederlösende, böse Liebe!
Wir wollen den Römern nicht verwehren sich in die Ecke zu setzen und Rüben zu kochen aber sie sollen uns keine Gladiatorspiele mehr geben wollen.
Der göttliche Epicur und die Venus mit dem schönen Hintern müssen statt der Heiligen Marat und Chalier die Thürsteher der Republik werden.
Danton du wirst den Angriff im Convent machen.
DANTON
Ich werde, du wirst, er wird. Wenn wir bis dahin noch leben, sagen die alten Weiber. Nach einer Stunde werden sechzig Minuten verflossen seyn. Nicht wahr mein Junge?
CAMILLE
Was soll das hier? das versteht sich von selbst.
DANTON
Oh, es versteht sich Alles von selbst. Wer soll denn all die schönen Dinge ins Werk setzen?
PHILIPPEAU
Wir und die ehrlichen Leute.
DANTON
Das und dazwischen ist ein langes Wort, es hält uns ein wenig weit auseinander, die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert den Athem eh wir zusammen kommen. Und wenn auch! – den ehrlichen Leuten kann man Geld leihen, man kann bey ihnen Gevatter stehn und seine Töchter an sie verheirathen, aber das ist Alles!
CAMILLE
Wenn du das weißt, warum hast du den Kampf begonnen?
DANTON
Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte dergleichen gespreizte Catonen nie ansehn, ohne ihnen einen Tritt zu geben. Mein Naturell ist einmal so. Er erhebt sich.
JULIE
Du gehst?
DANTON zu Julie
Ich muß fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf.
Im Hinausgehn. Zwischen Thür und Angel will ich euch prophezeien: die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir Alle können uns noch die Finger dabey verbrennen. Ab.
CAMILLE
Laßt ihn, glaubt ihr er könne die Finger davon lassen, wenn es zum Handeln kömmt?
HÉRAULT
Ja, aber bloß zum Zeitvertreib, wie man Schach spielt.
I, 2 EINE GASSE
Simon. Sein Weib.
SIMON schlägt das Weib
Du Kuppelpelz, du runzliche Sublimatpille, du wurmstichischer Sündenapfel!
WEIB
He Hülfe! Hülfe!
Es kommen LEUTE gelaufen. Reißt sie auseinander! reißt sie auseinander!
SIMON
Nein, laßt mich Römer, zerschellen will ich dieß Geripp! Du Vestalin!
WEIB
Ich eine Vestalin? das will ich sehen, ich.
SIMON
So reiß ich von den Schultern dein Gewand,
Nackt in die Sonne schleudr’ ich dann dein Aas.
Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht.
Sie werden getrennt.
ERSTER BÜRGER
Was giebt’s?
SIMON
Wo ist die Jungfrau? sprich! Nein, so kann ich nicht sagen. Das Mädchen! nein auch das nicht; die Frau, das Weib! auch das, auch das nicht! Nur noch ein Name! oh der erstickt mich! Ich habe keinen Athem dafür.
ZWEITER BÜRGER
Das ist gut sonst würde der Name nach Schnaps riechen.
SIMON
Alter Virginius verhülle dein kahl Haupt. Der Rabe Schande sizt darauf und hackt nach deinen Augen. Gebt mir ein Messer, Römer! Er sinkt um.
WEIB
Ach, er ist sonst ein braver Mann, er kann nur nicht viel vertragen, der Schnaps stellt ihm gleich ein Bein.
ZWEITER BÜRGER
Dann geht er mit dreien.
WEIB
Nein, er fällt.
ZWEITER BÜRGER
Richtig, erst geht er mit dreien und dann fällt er auf das dritte, bis das dritte selbst wieder fällt.
SIMON
Du bist die Vampyrzunge die mein wärmstes Herzblut trinkt.
WEIB
Laßt ihn nur, das ist so die Zeit, worin er immer gerührt wird, es wird sich schon geben.
ERSTER BÜRGER
Was giebts denn?
WEIB
Seht ihr, ich saß da so auf dem Stein in der Sonne und wärmte mich seht ihr, denn wir haben kein Holz, seht ihr …
ZWEITER BÜRGER
So nimm deines Mannes Nase.
WEIB
… und meine Tochter war da hinunter gegangen um die Ecke, sie ist ein braves Mädchen und ernährt ihre Eltern.
SIMON
Ha sie bekennt!
WEIB
Du Judas, hättest du nur ein Paar Hosen hinaufzuziehen, wenn die jungen Herren die Hosen nicht bey ihr hinunterließen? Du Brantweinfaß, willst du verdursten, wenn das Brünnlein zu laufen aufhört, he? Wir arbeiten mit allen Gliedern warum denn nicht auch damit; ihre Mutter hat damit geschafft wie sie zur Welt kam und es hat ihr weh gethan, kann sie für ihre Mutter nicht auch damit schaffen, he? und thut’s ihr auch weh dabey, he? Du Dummkopf!
SIMON
Ha Lucrecia! ein Messer, gebt mir ein Messer, Römer! Ha Appius Claudius!
ERSTER BÜRGER
Ja ein Messer, aber nicht für die arme Hure, was that sie? Nichts! Ihr Hunger hurt und bettelt. Ein Messer für die Leute, die das Fleisch unserer Weiber und Töchter kaufen! Weh über die, so mit den Töchtern des Volkes huren! Ihr habt Kollern im Leib und sie haben Magendrücken, ihr habt Löcher in den Jacken und sie haben warme Röcke, ihr habt Schwielen in den Fäusten und sie haben Sammthände. Ergo ihr arbeitet und sie thun nichts, ergo ihr habt’s erworben und sie haben’s gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigenthum ein paar Heller wieder haben wollt, müßt ihr huren und bettlen; ergo sie sind Spitzbuben und man muß sie todtschlagen.
DRITTER BÜRGER
Sie haben kein Blut in den Adern, als was sie uns ausgesaugt haben. Sie haben uns gesagt: schlagt die Aristocraten todt, das sind Wölfe! Wir haben die Aristocraten an die Laternen gehängt. Sie haben gesagt das Veto frißt euer Brot, wir haben das Veto todtgeschlagen. Sie haben gesagt die Girondisten hungern euch aus, wir haben die Girondisten guillotinirt. Aber sie haben die Todten ausgezogen und wir laufen wie zuvor auf nackten Beinen und frieren. Wir wollen ihnen die Haut von den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Todtgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!
ERSTER BÜRGER
Todtgeschlagen, wer lesen und schreiben kann!
ZWEITER BÜRGER
Todtgeschlagen, wer auswärts geht!
ALLE schreien
Todtgeschlagen, todtgeschlagen!
Einige schleppen einen jungen Menschen herbey.
EINIGE STIMMEN
Er hat ein Schnupftuch! ein Aristocrat! an die Laterne! an die Laterne!
ZWEITER BÜRGER
Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne! Eine Laterne wird herunter gelassen.
JUNGER MENSCH
Ach meine Herren!
ZWEITER BÜRGER
Es giebt hier keine Herren! An die Laterne!
EINIGE singen.
Die da liegen in der Erden,
Von de Würm gefresse werden.
Besser hangen in der Luft,
Als verfaulen in der Gruft!
JUNGER MENSCH
Erbarmen!
DRITTER BÜRGER
Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! S’ist nur ein Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord durch Arbeit, wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zapplen, aber wir werden uns losschneiden.
An die Laterne!
JUNGER MENSCH
Meinetwegen, ihr werdet deßwegen nicht heller sehen!
DIE UMSTEHENDEN
Bravo, bravo!
EINIGE STIMMEN
Laßt ihn laufen! Er entwischt.
Robespierre tritt auf, begleitet von Weibern und Ohnehosen.
ROBESPIERRE
Was giebt’s da Bürger?
DRITTER BÜRGER
Was wird’s geben? Die paar Tropfen Bluts vom August und September haben dem Volk die Backen nicht roth gemacht. Die Guillotine ist zu langsam. Wir brauchen einen Platzregen.
ERSTER BÜRGER
Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brod, wir wollen sie mit Aristocratenfleisch füttern. Heh! todtgeschlagen wer kein Loch im Rock hat.
ALLE
Todtgeschlagen! todtgeschlagen!
ROBESPIERRE
Im Namen des Gesetzes!
ERSTER BÜRGER
Was ist das Gesetz?
ROBESPIERRE
Der Wille des Volks.
ERSTER BÜRGER
Wir sind das Volk und wir wollen, daß kein Gesetz sey; ergo ist dießer Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes giebts kein Gesetz mehr, ergo todtgeschlagen!
EINIGE STIMMEN
Hört den Aristides, hört den Unbestechlichen!
EIN WEIB
Hört den Messias, der gesandt ist zu wählen und zu richten; er wird die Bösen mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die Augen der Wahl, seine Hände sind die Hände des Gerichts!
ROBESPIERRE