Dariks Memoiren - Lucian Caligo - E-Book

Dariks Memoiren E-Book

Lucian Caligo

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Beschreibung

Der bekennende Taugenichts Darik weiß wenig über seine wahre Natur. Nur eines steht fest, er ist kein Mensch. Auf der Suche nach sich selbst stolpert er in ein Abenteuer, von dem er nicht ahnt, dass es sein Letztes sein wird.

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Seitenzahl: 310

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Bisher verdingte sich Darik als Tagelöhner und Söldner. Außerdem besitzt er ein Faible für das Übernatürliche, da er selbst nicht ganz normal ist. Neben allen Fragen, die sein Leben aufwirft, ist die nach seiner Existenz, das größte Rätsel.

Über den Autor:

Lucian Caligo ist 1985 in München geboren. Seit er schreiben kann, verfasst er fantastische Geschichten. Während der Arbeit als Krankenpfleger studierte er das Leben. 2015 beschloss er, seiner Leidenschaft mehr Raum einzuräumen und seine Werke zu veröffentlichen. Seither jagt ein Buchprojekt das nächste, sehr zur Freude seiner wachsenden Leserschaft.

Mehr über Werke und Autor unter:

www.lucian-caligo.de

Für Rudy,

danke für das Cover,

es ist eine Freude mit dir zu arbeiten

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Die Nacht im Wald

Die Nacht der Wölfe

Die Nacht im Grab

Die Nacht in der Hölle

Epilog

Prolog

Allein durch unsere Erinnerungen werden wir zu dem, was wir sind ... Ich spüre, wie das Vergessen nach mir greift, wie mein Wesen erlischt. Bitte hilf mir ...«

»Ich bin hier, Darik«, versicherte sie. »Erzähl mir deine Geschichte.«

Wo beginnt man, wenn man davon berichtet, wer man ist? Vielleicht bei seiner Kindheit, dort wo alles begann? Bei dem Versuch mich daran zu erinnern, blickte ich bereits in leeren Raum. Es blieb mir nicht viel Zeit.

Wenn ich auch nichts sehen konnte, so spürte ich doch das Mitgefühl und die Geduld der Frau, die an meinem Lager wachte, in dem ich sterben sollte. Sie hielt meine Hand. Sie würde mich nicht alleine lassen, bis es endgültig vorbei war.

»Vagabund, Taugenichts und Tunichtgut, so wurde ich genannt. Auch wenn ich nicht offen widersprach, so habe ich mich immer als ein Abenteurer verstanden«, begann ich. »Einer, der den Bedürftigen hilft, wenig für sich nimmt ... Aber wir alle halten uns für gute und rechtschaffene Menschen. Das war ich wohl nicht, also ein Mensch.

Hier begann es, das größte Abenteuer dieses verlöschenden Lebens ...«

Die Nacht im Wald

Ich hing kopfüber in einem Pferdetrog. Nicht weil es mir gefallen würde, es hatte sich vielmehr so ergeben. Ich hatte ein paar zwielichtige Gesellen um ihr Geld gebracht. Nun hatten sie mich eingeholt und wollten mir den Zaster abpressen. Die Schwierigkeit bestand darin, dass ich nicht eine Münze besaß, nie besessen hatte.

Um die Zeit totzuschlagen, bis sie die Lust daran verloren mich zu quälen, las ich einen Aushang, der gegenüber an die Stallwand angeschlagen war:

›... ergeht der fürstliche Beschluss: Wer dem schauerlichen Treiben der marodierenden Bande Einhalt gebietet, soll mit einhundert Silberlingen belohnt werden.‹

Ein verlockendes Angebot. Vielleicht etwas zu verlockend, dachte ich noch so bei mir, als mir der Kopf erneut nach unten gedrückt wurde. Das Wasser war abgestanden, deshalb jedoch nicht minder wohltuend. Ich spürte, wie meine Haut sich die Substanzen herauszog, die ich zum Leben benötigte. Für viele Menschen wäre diese Behandlung eine Tortur gewesen. Und natürlich tat ich meinen alten Freunden den Gefallen und mimte ihnen den Ertrinkenden. In Wirklichkeit war es für mich eine willkommene Abwechslung zur Mittagshitze, von der ich mittlerweile ziemlich ausgedörrt war.

»Und, wie ist das?«, höhnte Grämond, mein ehemaliger Wegbegleiter. Ein feister, unfreundlicher Geselle, für den es nichts Wichtigeres als Geld zu geben schien. Aber irgendwoher musste seine Leibesfülle schließlich stammen. So ein fetter Ranzen unterhielt sich nicht von allein.

»Hilfe«, spie ich das Wasser aus. Es fiel mir schwer so etwas wie Angst, vor dem Ersticken oder Ertrinken vorzutäuschen, denn solch eine Gefahr kannte ich nicht.

»Vielleicht bist du jetzt redseliger«, grinste Grämond.

Ich blinzelte das Wasser aus meinen Augen. Dabei ließ ich mich tief in die Arme seiner beiden Spießgesellen sinken. Diese bekamen sogleich Mühe, mich auf den Beinen zu halten. »Ich habs ausgegeben«, erklärte ich ihm verzweifelt.

»Das glaube ich dir nicht«, erwiderte er. »Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du immer was auf die Seite legst.«

Tatsächlich log ich. Aber aus anderen Gründen. Die Bauernfamilie war nicht in der Lage, uns für die geleisteten Dienste zu bezahlen. Deshalb verzichtete ich darauf, Geld zu nehmen. Da ich alleine dem fiesen Gnom in ihren Feldern nicht Herr wurde, war ich gezwungen mir Hilfe zu suchen. Da kam mein alter Freund und seine beiden Kumpanen gerade recht. Dem Bauern hatte ich aufgetragen, den dreien, falls sie bei ihm auftauchten, zu sagen, ich hätte mich mit dem Geld auf und davon gemacht. Eine solch großherzige Geste traute Grämond einem Vagabunden wie mir nicht zu. Womit er nicht ganz unrecht hatte. Ich hatte es mir nicht nehmen lassen, die hübsche Bauerstochter zu verführen. Wobei »verführen« das falsche Wort war. Sie hatte mich regelrecht in ihr Bett gezerrt. Es überraschte mich nicht, dass dieser Wildfang keine Jungfrau mehr war. Ihre ungeheuerlichen Fertigkeiten beim Liebesspiel trafen mich dennoch unvorbereitet. Lange war ich nicht mehr so entlohnt worden. Schon daran zu denken, zwang mir das dümmliche Grinsen eines Lustmolchs ins Gesicht. Aber wer kann, der kann. So hieß es zumindest, oder?

»Was grinst du so bescheuert?«, fragte Grämond grimmig. »Ich will jetzt wissen, wo mein ... ich meine, unser Anteil ist.« Allmählich schien ihm der ohnehin schon dünne Geduldsfaden zu reißen.

»Gut ich habs verloren«, versuchte ich ein weiteres falsches Geständnis.

Wütend zog er sein Messer. »Jetzt reicht es!«, brauste er auf. »Dann werde ich dich eben so lange mit meinem Messerchen kitzeln, bis du redest.«

Da ich jegliche Körperspannung fallen gelassen hatte, fiel es seinen beiden Kumpanen besonders schwer, mich vom Wassertrog wegzuschleifen.

Grämond kam auf mich zu gewatschelt. Seine grauen Augen funkelten böse.

Ich entschied, dass es nun an der Zeit war, die schlecht sitzende Maske des halb Ertrunkenen fallen zu lassen. Ich zog meine Beine an und sprang auf. Zur völligen Überraschung der beiden Kerle, die bisher vergeblich versucht hatten, mich einigermaßen in einer aufrechten Position zu halten. Dem Rechten schlug meine Schulter heftig ins Gesicht. Er vermochte sich nur kurz der Ohnmacht zu erwehren, bevor er niedersank. Den Linken traf ich am Kinn. Er taumelte nach hinten. Mit einem Tritt in den Magen unterband ich dessen halbherzigen Versuch, das Schwert zu ziehen.

Jetzt da mir Grämond Auge in Auge gegenüber stand, wich das Rot seiner prallen Wangen einer Leichenblässe. Scheinbar gelang es dem Zorn, den Mangel an Tapferkeit auszugleichen, denn er stürzte sich überraschenderweise auf mich. Ein guter Kämpfer zu sein, dessen war er sicher nicht schuldig, aber er bewegte seine Körpermasse überraschend schnell. Mit meinem linken Unterarm wehrte ich sein Messer ab. Für gewöhnlich trug ich Armschienen aus Leder, die mich vor solch schwachen Angriffen schützten, heute war es jedoch zu heiß dafür. Die Klinge schnitt durch das Hemd und glitt über meine Haut. Noch bevor ich den Schmerz spürte, schlug ich Grämond mit der Faust gegen die Schläfe. Er taumelte an mir vorbei und ging wie ein Mehlsack zu Boden.

»Ach verdammt«, fluchte ich, als ich den zerschnittenen Ärmel beurteilte. Ein guter Schneider war teuer. Die Wunde an meinem Arm beachtete ich kaum. Mein zähflüssiges Blut schloss diese bereits. Es bedurfte keiner Behandlung. Dennoch krempelte ich den Ärmel nach oben, damit der Lebenssaft nicht noch weiter in den Stoff eindrang. An meinem eigentümlichen Blut scheiterte selbst die beste Waschfrau.

»Was bist du?«, keuchte der Kerl, den ich mit einem Tritt zu Boden geschickt hatte, als er die Schnittwunde sah.

»Anders«, antwortete ich, während ich meinen Schwertgurt anlegte, den mir die drei abgenommen hatten. Ich überprüfte den Sitz der Waffen. Ein stumpfes Kurzschwert, welches ich mit Links führte. Es diente, lediglich der Parade von Angriffen. Von dem Langdolch ging die eigentliche Gefahr aus. Mit der geschwungenen Klinge fand ich jedweden Schwachpunkt eines Panzers. Den Inhalt meines Rucksacks hatte Grämond, auf der Suche nach dem Geld, achtlos auf den Boden geleert. Ich sammelte meine Habe zusammen. Diese bestand unter anderem aus den Lederarmschienen, einem Amulett, einem Buch mit dem Titel »Märchen, Mythen und Legenden« und einem unscheinbaren Messer. Der schon sehr mitgenommene Wälzer war ein treuer Begleiter geworden. Besonders ab dem Zeitpunkt, als ich feststellen musste, dass die meisten Geschichten darin nicht die Spinnerei eines Fantasten waren, sondern schlicht die Wahrheit. Das Buch hatte mir häufig gute Dienste geleistet. Ebenso wie das Messer, welches ich von einer wunderlichen Alchemistin erhalten hatte. Die Klinge bestand aus einer Silberlegierung und war außerdem geweiht worden. Eine nützliche Waffe gegen alles Unheilige.

Mein Interesse galt weiterhin dem Aushang, den ich zuvor nur durch einen Wasserschleier wahrgenommen hatte. Ein unsinniges Unterfangen, ein Plakat mit so viel Text aufzuhängen, denn schließlich konnten die meisten Menschen nicht lesen. Allerdings verhieß die Botschaft nichts Gutes. Weshalb man diesen Anschlag vermutlich absichtlich hinter der Gaststätte, bei den Ställen verbarg. So wurden noch weniger Reisende darauf aufmerksam.

Um den Hain bei Königsberg geschehen grausame Morde. Die Gesetzlosen haben Reisende und die Landbevölkerung zum Ziel. Es wird geraten, sich nach Einbruch der Nacht von dort fernzuhalten. Jeder, der einen brauchbaren Hinweis über den Aufenthalt der Mörder erbringt, kann mit einer Belohnung rechnen. Da die Angriffe mittlerweile auch Staatsbeamten gelten, ergeht der fürstliche Beschluss: Wer dem schauerlichen Treiben der marodierenden Bande Einhalt gebietet, soll mit einhundert Silberlingen belohnt werden.

»Einen brauchbaren Hinweis«, ich fasste mir unwillkürlich an den Hals. Einmal hatte ich den Fehler begangen, der Staatsgewalt detaillierte Hinweise über eine Diebesbande zu bringen. Ich hatte sie so gründlich ausgekundschaftet, dass man mich für einen der Halunken hielt und mich zum Dank dafür aufknüpfte. Ich verbrachte eine verdammte Nacht am Strang. Am nächsten Morgen erklärte mich ein Medikus für tot. Ich wurde zusammen mit dem Lumpenpack, derer man durch meine Hinweise habhaft geworden war, in ein Massengrab geworfen. Dies war mir eine Lehre. Seither war ich dazu übergegangen, gleich Resultate zu liefern.

Dieser Aushang klang vielversprechend.

Wahrscheinlich handelte es sich um eine Mörderbande, die sich daran aufgeilten, anderen Gewalt anzutun. Vielleicht war es aber auch ein Kult, der irgendeinem der alten Herrscher, den Farudähen, opferte. Es konnte auch eine tollwütige Bestie sein. In jedem Fall war ein Wald ein gutes Versteck.

Weil ich völlig abgebrannt war, hatte ich entschlossen, mich der Sache anzunehmen. Nicht ahnend auf was ich mich einließ.

»Hör zu«, sprach ich beiläufig zu dem einen von Grämonds Männern, der noch bei Bewusstsein war. Er hatte es nicht gewagt aufzustehen. »Ich habe heute besonders gute Laune, deshalb lasse ich dich am Leben.« Ich setzte ein diabolisches Grinsen auf, welches ihm verheißen sollte, dass ich nicht vor einem Mord zurückschreckte, wenn dieser dazu diente, meine Stimmung zu heben. »Ich empfehle dir, dich von Grämond fernzuhalten und einem ehrlichen Handwerk nachzugehen. Wenn mir zu Ohren kommt, dass ihr die arme Bauernfamilie nicht in Ruhe lasst, dann finde ich euch. Und mit Sicherheit bin ich dann sehr schlecht gelaunt, verstanden?«

Er nickte erschrocken.

»So ist´s brav.« Im Vorbeigehen tätschelte ich seinen Kopf wie den eines Hundes, der folgsam Männchen machte. Ihn zu töten wäre vielleicht die bessere Wahl gewesen. Denn schließlich musste er ahnen, dass ich anders als die Menschen war. Dies genügte für gewöhnlich, um mich der Hexerei anzuklagen. Allerdings pflasterten bereits zu viele Leichen meinen Weg. Deshalb verzichtete ich, wo es möglich war darauf, meine Gegner umzubringen. Nenn es den widersprüchlichen Ehrencodex eines Vagabunden. Im Grunde wusste ich nicht, was mich daran hinderte, meine Gegner endgültig zur Strecke zu bringen. Selbst nachdem ich bereits neununddreißig Menschen in das Kerbholz meines Gewissens geschlagen hatte, zögerte ich noch immer dabei, jemandem den Todesstoß zu versetzen. Jeder Soldat, den ich danach fragte, hatte mir versichert, dass das Töten immer leichter werden würde. Manch einer empfand dabei mittlerweile Vergnügen oder gar Lust. Solche Gefühle wollten sich bei mir nicht einstellen. Die Zahl der von mir Getöteten lastete wie eine Schuld auf mir, die irgendwann abgegolten werden musste. An der Macht über Leben und Tod, an der sich so manch ein Krieger berauschte, lag mir nichts. Mich reizte das Mysteriöse, den Schleier des Unbekannten zu lüften. Mein eigenes Leben war dabei das größte Geheimnis, das es zu enträtseln galt.

***

Ich bereute es sogleich, Königsberg betreten zu haben. Wie in allen Städten überlagerte der Gestank nach Pisse und Fäkalien alles. Welchem widersinnigen Gedanken ich auch entsprungen war, insgeheim dankte ich meinem Erschaffer dafür, dass ich nicht darauf angewiesen war, über die Nase atmen zu müssen. Ein vorsichtiges Schnuppern genügte mir um festzustellen, dass diese Stadt wie alle anderen war. Hohe Häuser, verdreckte Straßen, auf denen sich Auscheidungen und Essensreste zu einem widerwärtigen Brei vermischten. Schlechtgelaunte Menschen, deren Nähe man nicht nur wegen ihres Schweißgeruchs mied. Diese Stadt besaß so gar nichts Königliches. Freilich, die Fachwerkhäuser ragten hoch hinauf. Auch wenn sie teilweise so schief gebaut waren, dass sie nur stehen blieben, weil dicke Holzstreben sie zu den Nachbarbauten hin abstützten. Auch die Stadtmauer machte vermutlich Eindruck auf viele Menschen, für mich hingegen erschien sie wie ein Gefängnis. Was trieb jemanden nur dazu hier wohnen zu wollen? Es gab kaum einen lebensfeindlicheren Ort als eine Stadt. Für gewöhnlich war ich am liebsten barfuß unterwegs, doch hier erschienen mir die Sohlen meiner Stiefel viel zu dünn.

In den Straßen herrschte ein Gedränge, das mir nicht erlaubte, den sich hier versammelnden Menschen aus dem Weg zu gehen.

Was wollte ich nur hier? Ach ja richtig, ich erhoffte mir ein Bild davon zu machen, was im Umland vor sich ging. Dass man in Königsberg Angst vor marodierenden Banden hatte, wollte ich nicht glauben. Gerade war ich mit offen zur Schau gestellten Waffen an der Stadtwache vorbeigelaufen, ohne dass sie mich eines zweiten Blickes gewürdigt hätten.

Erst als ich mein Missfallen dieser Stadt gegenüber beiseite geräumt hatte, stellte ich fest, dass ich nicht der einzige Waffenträger war. Es wimmelte hier geradezu von Jägern, Abenteurern und Söldnern. Zwielichtige Gesellen, von denen man besser Abstand hielt. Was den Stadtbewohnern sicherlich schwerfiel, denn sie wurden von deren Aufmarsch fast gänzlich verdrängt. Die Vernünftigen zogen sich in die Häuser zurück und verhielten sich still. Jene, die sich hinauswagten, trugen unfreiwillig zum Amüsement der Söldner bei.

Offenbar war das Gesindel von der Aussicht auf leichtes Geld angelockt worden wie Schmeißfliegen von einem Haufen Scheiße. Beim Anblick dieser Konkurrenz verblasste meine Hoffnung auf die Belohnung. Allerdings hatte ich einen zu weiten Weg auf mich genommen, um gleich aufzugeben. Vielleicht war es mir möglich, diese Gesellen für meine Absichten zu ... gewinnen. Natürlich ohne dass sie es wussten. Mit Grämond hatte dies ebenfalls vortrefflich geklappt, zumindest bis er mich bei meiner Flucht erwischt hatte, nachdem er mir auf die Schliche gekommen war.

Das Pack, in den Straßen von Königsberg - zu dem ich mich selbstverständlich dazuzählte - drängte zum Hauptplatz. Ich wurde von ihnen mitgerissen wie von der Strömung eines reißenden Flusses. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich meinem Schicksal zu ergeben und mich mittragen zu lassen. Alsbald kam der Strom zum Erliegen. Ich fand mich auf dem Hauptplatz vor einem Holzpodest wieder, zu dem wie aller Orts ein Galgen gehörte. Ich fragte mich jedes Mal, wenn ich so ein Mordwerkzeug erblickte, ob es abschreckend wirken sollte? Oder stand die Todesschlinge für einen Grad an Zivilisation, den ich nicht verstand? Wie dem auch sein mochte, auf dem Podest schritt ein adrett gekleideter, junger Mann, mit einer auffälligen Feder am Hut, herum. In einer Schänke hätte ich ihn für einen Barden gehalten. Da er aber die Farben des Fürstentums trug, handelte es sich wohl eher um einen Herold, auch wenn ihm die bewaffnete Eskorte fehlte. Die starke Stimme des Mannes hallte über den Marktplatz. Weder schrie er, noch schien er sich dabei besonders anstrengen zu müssen.

»Fürst Pirmin der Achte von Gabur entbietet den tapferen Recken seinen Gruß und Dank, da sie sich hier eingefunden haben, um die Bande im Wald zur Strecke zu bringen!«, rief er über die versammelte Menge hinweg. Ich an seiner Stelle wäre eher misstrauisch, oder zumindest vorsichtig, wenn sich in meiner Stadt so viele zwielichtige Gesellen unter Waffen aufhielten. Der Wächter am Stadttor hatte auf mich wie ein Ehrengardist gewirkt. Vermutlich unterhielt der Fürst von Gabur keine eigene Streitmacht. Dies war nicht unüblich für ein Fürstentum, das erst kürzlich an den Kaiser gefallen war. Ein Grund mehr warum es Pirmin nach so vielen Söldnern verlangte, die seine Probleme lösten.

»Er lässt jeden der tapferen Recken bitten, sich so schnell als möglich zu dem Wald aufzumachen, damit sein Volk wieder ruhig schlafen kann.«

»Erst lädt er uns ein, und schon gehen wir ihm auf den Sack«, spottete ein breitschultriger Kerl vor mir. Die Worte galten seinen Kumpanen, die ebenso verwegen aussahen. Sie kleideten sich wie Jäger. Allerdings waren sie entweder so flink, dass sie ihrer Beute zu Fuß nachstellten, oder sie hatten ihre Gewandung, aufrechten Jägersmännern abgenommen. Denn sie besaßen weder eine Armbrust noch einen einzigen Bogen. Dafür trugen sie Schwerter, die sie offen zur Schau stellten. Schon die Griffe zeugten von exzellenten Klingen. Diese Waffen waren wohl ebenfalls über zweifelhafte Wege in ihre Hände gefallen.

»Fürst Pirmin der Achte von Gabur zahlt jedem, der dazu beiträgt diese Bande zur Strecke zu bringen, zweihundert Silberlinge!«, rief der Herold. »Wie ihr seht, kennt seine Großzügigkeit kaum Grenzen.«

Die versammelte Menge jubelte. Ich hingegen wurde misstrauisch. Etwas stimmte hier nicht. Anstatt das Angebot zu begrenzen, angesichts der vielen Söldner, erhöhte er es sogar. Es sollte ihm doch klar sein, dass nach Abschluss der Arbeit jeder hier behaupten würde, seinen Teil dazu beigetragen zu haben. Nach der Auszahlung musste unter den Söldnern blutiger Streit ausbrechen. Denn diese Gestalten würden zwangsläufig der Versuchung erliegen, den eigenen Lohn um zweihundert Silberlinge zu erweitern.

»Glück auf, liebe Freunde!« Unter dem Jubel der Umstehenden verließ der Herold das Podest. Gänzlich unbehelligt verschwand er in einer Gasse. Niemand ging davon aus, dass er das Geld bei sich hatte, sonst hätte er keine fünf Schritt überlebt. Der Einzige, der die Verfolgung aufnahm, war ich. Nur ein Lügner erkennt einen anderen Lügner. Die Söldner auf dem Platz, verstanden sich ohne Frage auf Mord und Totschlag, auf ihre Weise waren sie aber ehrliche Männer. Allein ich ahnte, dass der Herold etwas verschwieg.

Bei meinen Bestreben, ihm zu folgen, kämpfte ich mit der Menschenmenge wie ein Ertrinkender gegen die Wellen. Außerdem wollte ich den schwitzenden Leibern, der Männer nicht zu nahe kommen. Endlich gelang es mir, das Meer stinkender Kerle hinter mich zu bringen. Es schüttelte mich bei dem Gedanken, was sich durch den Kontakt mit ihnen alles in mein Leinenhemd eingenistet haben musste.

Wenn er nicht wie ein Pfau durch die Straßen stolziert wäre, so hätte ich den Herold bereits verloren. Der Versuch, in solch einem Dreckloch Würde auszustrahlen, war lächerlich.

Ich passte ihn an einer schmalen Gasse ab. Widerstandslos ließ er sich in den Schatten bugsieren. Es ging so schnell, dass uns kaum einer bemerkte.

Der Herold sah mich abgeklärt an, als wüsste er genau, was ich von ihm wollte.

»Ich habe kein Geld bei mir«, seufzte er. »Durchsuche mich ruhig, wenn du willst.« Er lud mich dazu ein, indem er vorsichtig die Arme hob. »Aber passe auf mein Gewand auf. Der letzte deiner Freunde hat es mir unter dem Arm zerrissen. Ein guter Schneider kostet viel Geld.«

Natürlich wurde er heute nicht zum ersten Mal überfallen.

»Oh keine Sorge«, beteuerte ich. »Deine Kleidung lasse ich ganz, Ich werde dir lediglich den Arm brechen und dir ein Knie zertrümmern.«

Er erschrak heftig.

Selbstverständlich war es nicht meine Absicht, ihn zum Krüppel zu schlagen, allerdings hatte er für sein überhebliches Gebaren eine Abreibung verdient.

»Lass uns nochmal darüber reden! Das Geld kommt morgen früh hier an, ich kann -«, platzte er heraus.

Er verstummte, als ich das Paradeschwert zog. »Ich will wissen, warum der Fürst so großzügig ist!«, offenbarte ich mein wahres Anliegen.

»Der Schutz, seiner Untertanen, ist ihm ein -«

»Eh, du sollst doch nicht lügen.« Drohend hob ich den Eisenprügel.

»Aber ich darf nicht- Au!«, jammerte er, als ich ihm auf die Finger schlug.

»Von mir erfährt keiner was«, beteuerte ich, um ihm die Zunge zu lockern. »Zumindest nicht, dass du mit mir geplaudert hast.«

Der Herold sah sich nach allen Seiten um. Außer uns befand sich niemand in der Gasse. »Es ist sein Sohn«, flüsterte er.

»Sein Sohn?«

»Pirmin der Neunte«, seine Augen tanzten hilfesuchend nach links und rechts an mir vorbei.

Um seine Aufmerksamkeit zurückzuerlangen, schüttelte ich ihn heftig am Kragen. »Was ist mit ihm?«

»Er befindet sich im Wald ... seit sieben Tagen und ist nicht mehr herausgekommen«, offenbarte er.

»Und weil er glaubt, man brächte ihm seinen Sohn zurück, zahlt der Fürst so gut?«, fasste ich zusammen.

»Ja genau«, stimmte er zu. Als ich ihn losließ, blitzte in seiner Miene für einen Lidschlag die Häme auf. Er glättete gerade seine Kleider, als ich ihn erneut gegen die Hauswand stieß. Er sah mich erschrocken an. »Ich lass mich nicht für dumm verkaufen«, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, drückte ich ihm das Paradeschwert gegen die Kehle. »Was verschweigst du?«

»Bitte«, brachte er gepresst über die Lippen. »Ich darf -«

»Den Marktschreier mit zerdrücktem Kehlkopf mimen?«, jetzt lag die Häme bei mir.

»In Ordnung, in Ordnung!«, knickte er ein. Er atmete übertrieben erleichtert auf, als ich ihn freigab. »Es ist eine Finte«, gestand er. »Die Gesetzlosen des Landes sollen in den Wald ziehen und dort umkommen, so wird er sie ohne Verluste los.« Er befühlte prüfend seinen Hals, um sicherzustellen, dass dieser wirklich noch den Kopf mit dem Rumpf verband.

»Dann sind die Morde nur ein Gerücht, das der Fürst in die Welt gesetzt hat?«, fragte ich, wobei ich einen Schritt auf ihn zu machte. Diese Drohgebärde ließ ihn heftig zusammenzucken.

»Nein, aber so schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe«, erklärte der Herold. »Seit das verdammte Kaiserreich ...«, er stockte und tadelte sich innerlich für den Fluch auf den Kaiser. »Es sind fast alle Soldaten abgezogen worden, wir haben nicht mehr genug Männer, um für Ordnung zu sorgen. Seither nimmt die Zahl der Gesetzlosen stetig zu. Dazu kam auch noch die Sache mit dem Wald und die Entführung des jungen Fürsten.«

»Er sitzt also wirklich im Wald fest«, vergewisserte ich mich.

Der Herold nickte. Seine höfische Etikette war von ihm abgefallen, wie ein schlecht geknoteter Umhang. Ohne diese Fassade erschien er tatsächlich glaubhaft.

»Und was lauert da im Wald?«

»Was weiß denn ich!«, empörte sich der Herold. »Wir gehen von einer verdammten Räuberbande aus, die Lösegeld für den Bengel haben wollen.«

»Gab es denn Forderungen?«

»Nach einem Lösegeld?«, vergewisserte er sich.

Ich nickte.

»Nein«, antwortete er zögerlich. Als fiel ihm in diesem Moment auf, dass die Theorie an diesem Umstand krankte.

»Danke«, ich steckte das Schwert weg und vollführte eine übertriebene Verbeugung, bevor ich ihn in der Gasse stehen ließ.

»Halt, was tust du jetzt?«, rief er mir nach. Die Antwort blieb ich schuldig.

***

Ich saß auf einer Bank vor einer Taverne, in der ich keinen Platz mehr bekommen hatte, da sie gänzlich überfüllt war. Mein Bedauern darüber hielt sich in Grenzen. In dieser stinkenden Kloake zusätzlich eine tiefe Decke über dem Kopf zu haben, stehende Luft um mich herum, vielleicht noch ein Feuer in der Nähe, das wäre zu viel gewesen. Der blaue Himmel erinnerte mich daran, dass es noch andere, bessere Orte gab.

Etwas irritiert hatte mir die Schankmaid einen Eimer Wasser überlassen, ohne dafür Geld zu nehmen. Entgegen meiner Erwartung war das kühle Nass klar und sauber. Ich erfrischte meine Füße darin. Eine gute Art, um neue Kraft zu schöpfen. Während ich über meine nächsten Schritte nachdachte, sah ich mir die Gestalten an, die hier durch die Stadt schlichen. Es handelte sich meist um die unangenehme Sorte von Abenteurern, die auf schnelles Geld aus waren. Bewaffnet mit allerhand Kriegsgerät, deren offene Handhabung im Kaiserreich eigentlich verboten war. Der Plan des Fürsten verdiente meine Anerkennung. All diese Halunken hatten wegen der Belohnung ihr Versteck verlassen und würden sich alsbald gegenseitig das Fell über die Ohren ziehen. Das Vorhaben besaß nur einen Schwachpunkt. Er konnte unmöglich sicher sein, dass dieses Gesinde sich im Wald gegenseitig auslöschte. Die Überlebenden würden ihren Zorn mit Sicherheit an der Landbevölkerung auslassen, wenn sie herausfanden, dass sie in eine Falle geraten waren. Noch dazu riskierte er das Leben seines Sohnes. Das alles schien mir sehr gewagt. Je länger ich darüber nachdachte, umso weniger ließen sich die einzelnen Teile zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Es schien so, als fehlten mir noch erhebliche Informationen. Vielleicht war ich dem Herold doch auf den Leim gegangen.

Hier und da kam es zwischen den Söldnern und den Stadtbewohnern zu kleinen Auseinandersetzungen. Fremde waren gerne gesehen aber nicht in diesen Massen und von diesem Menschenschlag. Meist ging es bei den Konflikten um das liebe Geld. Die Halunken drückten mit der Zurschaustellung von roher Gewalt, die Preise bei den Händlern und Handwerkern. Vor allem der Schmied hatte arge Probleme damit, den Leuten die zuvor verabredete Summe abzunehmen. Von der Stadtwache drohte kein Eingreifen, sie wussten sich in der Unterzahl und taten gut daran, sich im Verborgenen zu halten.

Auch wenn ich meinen fragwürdigen Sinn für Gerechtigkeit beleidigt sah, so hielt ich mich aus den Angelegenheiten heraus. Menschen untereinander behandelten sich nun mal wie primitive Kreaturen. Eine Erkenntnis, mit der ich mich schon längere Zeit abgefunden hatte.

»Tun die Füße weh?«, fragte eine engelsgleiche Stimme. Sie drang sogleich in mein Wesen und veranlasste mein Herz zu harten Schlägen.

Ich drehte mich um. In der Tür der Taverne stand eine in Leder gewandete Frau. Die gehärteten Platten aus Tierhaut saßen perfekt an den Rundungen ihres Körpers. In ihrem Gürtel stellte sie mehrere Messer zur Schau. Auf ihrem Rücken hing eine wuchtige Armbrust. Die Bolzen dazu trug sie in einem Köcher an ihrem Oberschenkel. Ihre braunen Haare hatte sie zurückgebunden. Sie besaß ein Lächeln, das mich sogleich vereinnahmte. Es dauerte, bis ich bemerkte, dass ich sie anstarrte. »Was? Oh«, ich erinnerte mich an den Wassereimer, in dem meine Füße steckten. »Ja, war ein langer Marsch ...«, log ich routiniert.

»Ich finde Männer interessant, die offen zu ihren Schwächen stehen. Das zeugt von Stärke.« Sie biss sich auf die Unterlippe, während sie mich mit ihren dunklen Augen musterte. Bei meinen ungewöhnlich harten Gesichtszügen blieb sie hängen. Ein anderes Weib hatte diese als scharfkantig wie ein Fels beschrieben. Da ich nicht viel Wert auf mein Äußeres legte, hatte ich nie einen Gedanken daran verschwendet. Erst jetzt, da mich diese Frau ansah, dachte ich darüber nach. Ich fragte mich, ob ich ihr gefiel und ob sie sich auch Morgen noch an mich erinnern würde. Eine befremdliche Überlegung, die so gar nicht zu mir passte.

»Du kommst nicht von hier, oder?«, schlussfolgerte sie.

Ich schüttelte den Kopf. Teils um zu verneinen, teils um mich von ihren tiefen Augen loszureißen, in denen ich zu versinken drohte, wie in einem schwarzen Ozean.

»Und woher kommst du?«, fragte sie lächelnd. Meine Verlegenheit schien ihr Spaß zu bereiten.

Zur Antwort deutete ich mit meinem Daumen über die Schulter.

»Von dort also, und du willst sicher nach dort?«, sie zeigte in die entgegengesetzte Richtung.

»So ist´s«, räusperte ich mich.

»Mailien, was ist jetzt?«, fragte eine Männerstimme. Ich musste suchen, um sie einzuordnen. Dabei stand der Kerl direkt neben ihr. Er war ein - nun eigentlich beachtete ich ihn nicht weiter. Meine Missachtung ging so weit, dass ich ihn gänzlich vergaß.

»Das ist ...«, stellte sie ihren Begleiter vor. Wie gesagt, ich strich den Kerl und seinen Namen sogleich wieder aus meinem Gedächtnis. Ihr Name spukte mir dagegen unaufhörlich durch den Kopf. Mailien ... Mailien ... Mailien ...

»Haben wir die Vorstellungsrunde beendet?«, fragte der Begleiter der schönsten Frau, die ich je gesehen hatte.

»Du kennst uns jetzt, wie ist dein Name?«, fragte sie neugierig.

»Darik«, stellte ich mich vor.

Wenn ihr Begleiter zu etwas gut war, dann um mich ein wenig von ihr loszureißen, sodass ich einen klaren Gedanken fassen konnte. »Du bist ebenfalls wegen des Geldes hier?«

»Hör dir das an ...«, der Name ihres Weggefährten blieb auch diesmal nicht in meinem Gedächtnis hängen. »Wie sich Darik ausdrückt.« Sie blickte mich an. »Dein Äußeres passt nicht zu einem Gelehrten«, stichelte sie. »Aber ja«, beantwortete sie letztendlich die Frage. »Genauso wie du. Wir könnten noch einen starken Arm gebrauchen, unsere Gruppe ist etwas ... ausgedünnt worden.«

»Lass den Kerl«, wandte ihr Begleiter, der nicht mehr Substanz besaß als ein Schatten, ein. »Schau ihn dir an, der Weichling nimmt ein Fußbad«, spottete er. Auch wenn ich ihn nicht wirklich wahrnahm, wusste ich ihn sogleich einzuschätzen. Er empfand mehr für seine Gefährtin und wollte ihre Gesellschaft um keinen Preis teilen.

»Ich will eure Zweisamkeit nicht stören«, erwiderte ich. Langsam zog ich meine Füße aus dem Eimer und ließ sie abtropfen. Dabei vermied ich es auch nur eine Fußsohle auf den verdreckten Stadtboden zu setzen.

Mailien baute sich vor mir auf. Mit ihren Fingern spazierte sie über meine Brust nach oben. »Wenn du es dir anders überlegst ... wir begegnen uns sicher im Wald.« Sie tippte mir frech auf die Nase.

Zu mehr als einem unartikulierten Schlucklaut war ich nicht im Stande. Ich sah ihr noch lange nach, als sie hüftschwingend davon schritt, gefolgt von ihrem Schatten.

Ich bemerkte kaum, wie ich mir die Schuhe zuschnürte. Mailien erinnerte mich an ein Tier, von dem ich einst gehört hatte. Ein Insekt, glaube ich, dieses fraß ihre Partner nach dem Liebesspiel auf. Diese Frau wirkte ähnlich gefährlich. Sie wusste genau um ihre Wirkung auf Männer. Ihre Bewaffnung sprach dafür, dass sie ihre Opfer entweder aus dem Hinterhalt zur Strecke brachte, oder diese ganz nah an sich heranließ, um sie abzustechen. Männer benutzte Mailien dabei als ihren Schild. Und alle Männer wären bereit, sich für diese Frau in brenzlige Situationen zu begeben. Oder gar ihr Leben zu riskieren, nur um ihr die eigene Stärke zu beweisen. Nur so konnte ich es mir erklären, dass ihre Begleiter ständig wechselten. Sie kamen bei dem Versuch um, die Gunst vom Mailien zu erringen. Um ein Haar wäre ich ebenfalls in ihre Fänge geraten.

Wenn ich ehrlich bin, drehten sich meine Gedanken immer noch um sie, als ich beim Schmied meine Waffen abholte. Der Schmied sah mich verblüfft an, als ich, ohne zu murren und zu verhandeln oder gar eine Drohung auszusprechen, den von ihm genannten Betrag zahlte. Ich nahm den Mann kaum wahr. In meinen Ohren sangen die Nymphen Mailiens Namen im Chor.

Erst als ich vor die Stadttore trat, die unbelastete Luft einatmete und die Sonne auf der Haut spürte, fand ich zurück in den gegenwärtigen Moment. Die Wirkung von Mailiens Gegenwart verblasste allmählich. So sehr hatte mich bisher noch keine Frau vereinnahmt.

Wenn ich etwas fürchtete, dann Feuer und in heißer Liebe zu einer Frau zu entbrennen. Es missfiel mir, nicht mehr Herr über meine Gefühle zu sein. Und doch, wenn man mich vor wenigen Augenblicken gefragt hätte, so hätte ich geschworen, Mailien für immer und ewig zu lieben. Ich entschied, dass es besser war mich von dieser Frau fernzuhalten. Dass ihre Fähigkeit Männer zu beeinflussen keinen natürlichen Ursprung haben konnte, fiel mir zu diesem Zeitpunkt nicht ein. Ich war froh, ihrem Einfluss entkommen zu sein.

***

»Was soll ich dir sagen, das erinnert mich doch sehr an meine Heimat, mit den Hügeln, dem Fluss dort drüben und dem Wald. Nur das Wetter war schlechter. Aber das hat uns nicht wirklich interessiert, gegen die Kälte gab es Schnaps und was für welchen. Wenn man glaubt, Mönche könnten nicht trinken, na da hast du dich aber getäuscht. Meine Herrn! Die vertragen vielleicht ...«

Es gab Momente, in denen ich mich fragte, was ich wohl an mir hatte, dass mir jeder zweite seine Lebensgeschichte erzählen wollte. Der Kerl redete wie ein Sturzbach und änderte dabei unentwegt das Thema. Er brachte es fertig, im selben Satz über das Wetter zu sprechen, seinen Geburtsort zu beschreiben und von einem Saufgelage zu berichten, das drei Jahre zurücklag. Seine Worte wandelten sich in meinem Gehör irgendwann zum Rauschen eines Wasserfalls. So war das Geplapper auszuhalten. Mein selbsternannter Begleiter nannte sich Baldrinus. Er war noch keine Zwanzig und trug zerrissene Kleidung, die vermuten ließ, dass es sich bei ihm um einen glücklosen Abenteurer mit wenig Erfahrung handelte. In gewisser Weise erinnerte er mich an mich selbst, zu Beginn meiner Reise. Sein Schwert in der ausgeblichenen Lederscheide weckte ebenfalls Erinnerungen. Wahrscheinlich war es nicht besonders scharf. Ich hatte in meinen Anfängen einen Dolch in so einer Schwertscheide getragen, um gefährlicher auszusehen. Ein grober Fehler, denn damit provozierte ich die wirklich gefährlichen Menschen. Oft war ich deshalb in Situationen geraten, in denen meine Gegner zu lachen begonnen, wenn ich aus der Schwertscheide lediglich einen schartigen Dolch zog. Darauf folgte meist eine saftige Abreibung. Damals hatte ich eines gelernt: Es war besser unterschätzt, als überschätzt zu werden. Mein Begleiter Widerwillens erinnerte mich wie gesagt an die Zeit meiner Anfänge. Vielleicht empfand ich deshalb diese väterlichen Gefühle für ihn. Denn sonst wäre mir dieser abgerissene Wicht herzlich egal gewesen.

Baldrinus war als Waise in einer Klosterstadt aufgewachsen. Nachdem seine Vorliebe für Frauen bekannt wurde, hatte man ihn verstoßen. Interesse am gleichen Geschlechte zu haben, wäre kein Problem gewesen, so meinte er. Denn jeder Mönch nannte einen Bückknaben sein Eigen. Seither schlug er sich mehr schlecht als recht alleine durch.

Ich befand mich zusammen mit ihm und etwa fünfzig bis sechzig Halunken auf dem Weg zu besagtem Wald. In diesem hauste die mordende Diebesbande, die vermutlich den jungen Fürsten in ihrer Gewalt hatte. Unser Tross wirkte wie eine Jagdgesellschaft. Es gab Bögen, die ein oder andere Armbrust und auch Hunde. Die meisten der Männer prahlten mit ihren Errungenschaften. Ganz so, als wären wir alle zu einem Wettkampf unterwegs. Den Ernst der Lage erkannten sie nicht. Woher sollten sie auch wissen, dass sie nicht Jäger, sondern Gejagte waren. Ich hatte mich dazu entschlossen, ebenfalls in diese Falle zu tappen. Da ich wusste, dass es eine war, glaubte ich, aus dieser Situation glimpflich und mit fetter Beute herauszukommen. Damals hielt ich das für eine gute Idee, heute könnte ich mich selbst ohrfeigen, wenn ich daran denke, wie naiv ich war. Wie erwähnt, ging ich von einer marodierenden Räuberbande aus. Baldrinus hoffte hingegen auf willige Amazonen. Das Gerede eines Jungspundes, der sich die Hörner erst noch abstoßen musste.

Unter den Kerlen, die gemeinsam zum Wald schritten, gab es vor allem zwei Gruppen. Eine die aus jenen Schlägern bestand, die ich schon auf dem Marktplatz gesehen hatte, die Jäger ohne Bogen. Die andere setzte sich aus einfachen Männern vom Land zusammen. Mit ihren primitiven Langbögen wirkten sie auf mich wie eine Bauernmiliz, die nicht dem Geld hinterherjagten, sondern das Morden beenden wollten. Auf dem Weg von der Stadt zum Wald hinab, schlossen sich die übrigen Abenteurer jeweils einer der beiden Gruppen an. Ich fühlte mich zu keiner Gruppe zugehörig. Die aufrichtigen Männer wären mir als Kameraden lieber, allerdings glaubte ich nicht an ihren Erfolg. So blieb ich als Einziger alleine. Nachdem Baldrinus ebenfalls zu keiner der Gruppierungen passte, hatte er mich zu seinem Begleiter auserkoren.

»Ich habe einmal in Ginsterburg einen Waldschrat gestellt. Er hatte sich in der Stadt verlaufen, war ein freundlicher Zeitgenossen, man musste ihn nur mit Hirschblut hervorlocken und in den Wald führen. Der hat sich vielleicht gefreut, die alte Weide wiederzusehen, er hätte sie am liebsten bestiegen. Aber sein Ast war noch nicht hart genug, wenn du verstehst ...«, Baldrinus stieß mir mit dem Ellenbogen in die Seite, um mich auf seinen Scherz hinzuweisen. »Das war lustig«, beschwerte er sich. »Was hast du denn?«, erkundigte er sich, als er meine Blicke bemerkte.

»Müsste es hier nicht Menschen geben?«

»Gibts doch, ein ganzer Haufen wackerer Recken. Von denen jeder auf eine üppige Belohnung hofft. Das wird Streit geben, darüber wem, was und wie viel zusteht ...«, plapperte er fröhlich.

»Schau dich um«, verlangte ich. Zwischen Wald und Stadt lagen einige kleine Höfe von Familien, die sich nahe dieser Metropole niedergelassen hatten. Es gab auch ein paar Pferdekoppeln und eine Mühle. Dennoch vermochte ich keine Menschenseele zu sehen. Zunächst war ich davon ausgegangen, dass die Bauern sich in ihren Häusern versteckten. Eine weise Entscheidung, wenn so viele üble Gesellen über ihre Ländereien zogen. Doch in den offenen Fenstern fehlten die neugierigen Blicke. Einige Hühner waren aus ihren Ställen ausgebrochen und pickten nun die Saat von den Feldern. Ein Stier hatte Eingang in ein Haus gefunden, fraß aus einem Getreidesack und schiss auf den Boden. Niemand machte sich die Mühe die Tiere einzufangen.

»Das ist ganz schön gruselig«, fing Baldrinus die hier vorherrschende Stimmung ein, die bestenfalls zu einem Leichenacker passte. »Als ich Kind war, da habe ich bei solchem Wetter immer draußen gespielt, die Saat war ausgebracht, es gab nicht viel zu tun. Und mich hätten keine zehn Pferde zum Studium an die Bücher gebracht. Ich konnte damals so schnell rennen, dass mich der dicke Klosterbruder auf seinem Ackergaul nicht eingeholt hat. Der konnte vielleicht fluchen, das sage ich dir ...«

Scheinbar nahm seine Beunruhigung Baldrinus nicht die Freude am Plappern. Seine Worte vermischten sich erneut zu einem nervtötenden Rauschen.

Vor uns zeigte sich bereits der Wald, der auf mich zunächst wie ein Hoffnungsschimmer am Horizont erschien. Ein unendliches Grün, dessen sich der Mensch noch nicht bemächtigt hatte. Bald bemerkte ich jedoch, dass mit dem Wald etwas nicht stimmte. Normalerweise empfand ich ein belebendes Hochgefühl beim Anblick eines sich im Wind wiegenden Blättermeers. Doch dieser Wald übertrug eine andere Stimmung auf mich. Er vermittelte ein drückendes, schwermütiges Gefühl, so als würde er in Ketten liegen. Als hätte etwas Übles von ihm Besitz ergriffen, das weit über einen Baumpilz hinausging.

»Oder?«, fragte Baldrinus.

»Was?«