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Jakob Wolff erhält von seiner Freundin Lilo einen Brief, dass er dringend nach Eberstadt kommen soll. Dort habe sie einen Arzt gefunden, der wohl eine Lösung gegen den Fluch sein könnte. Doch als Jakob dort ankommt, ist das Verhalten der Bewohner mehr als mysteriös. Wieso finden dort seltsame Rituale statt? Und wer ist der Doktor, der als Wohltäter in der Burg geradezu vergöttert wird? Auf der Suche nach den Antworten zu diesen Rätseln geraten Jakob und Lilo in tödliche Gefahr.
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Seitenzahl: 117
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Jakob Wolff
Der Alchemist
1733
von Lucian Caligo
Ein Roman aus der Jakob Wolff Reihe
Leseratten Verlag
Lucian Caligo
Jakob Wolff - 1733 - Der Alchemist
ISBN 978-3-945230-29-9
1. Auflage, Allmersbach im Tal 2017
Copyright Leseratten Verlag, Marc Hamacher
71573 Allmersbach im Tal
© Alle Rechte vorbehalten
www.leserattenverlag.de
www.lucian-caligo.de
Mein Name ist Jakob Wolff und ich bin verflucht. Wenngleich mein Leben davon gezeichnet und bestimmt ist, wandle ich länger als die meisten Menschen über diese Erde. Jedes Jahr streckt der Teufel erneut seine Klauen nach mir aus und versucht mich in die Feuer der Hölle zu reißen. Wenn meine Seele auch an ihn gebunden ist, so trage ich keine Schuld an dem, was mir widerfahren ist. Deshalb kommt es nicht in Frage, sie ihm kampflos zu überlassen. Um dieses Schicksal von mir zu wenden ist nicht viel mehr notwendig, als ein Elixier und eine Zauberformel, zum richtigen Zeitpunkt gesprochen. Ach ja, und jemand der meinen Platz einnimmt. Diesen zu finden war noch nie besonders schwer, schlechte Menschen gab es viele. Obwohl es bereits Routine geworden war mein Leben zu bewahren, war es dennoch mein sehnlichster Wunsch, den Fluch von mir zu nehmen.
Lilo - meine treue Gefährtin durch die Jahrhunderte - meinte, sie habe von einem Arzt gehört, der diesen Fluch brechen könnte. Das Jahr ist fast um und die Zeit drängte, aber nicht nur deshalb klammerte ich mich an jeden noch so dünnen Strohhalm. Denn was wäre ich ohne die Hoffnung auf ein normales Leben?
»Heh da!«, wurde ich aus meinen trüben Gedanken gerissen. »Aus dem Weg! Glaubst wohl, die Straße gehört dir ganz …«, der Ruf wurde vom Wiehern gezügelter Pferde unterbrochen.
Ich stolperte zum Straßenrand. Die beiden Gäule scheuten und der Kutscher hatte seine liebe Not, sie wieder in den Griff zu bekommen.
»Ihr feinen Herren glaubt wohl, ihr könnt euch alles erlauben?«, plusterte sich der Kutscher auf. Die Zornesröte erstreckte sich angefangen vom Kinn bis über sein aufgedunsenes Gesicht. Selbst seine Glatze glänzte wie eine Kirsche in der Sonne. Von der rechten bis zur linken Wange spannte sich über die Nase eine martialisch aussehende Narbe. Ganz so, als habe man ihm einst mit einer Axt den Schädel gespalten. Ein Wunder, solch eine Verletzung überlebt zu haben. Sein fetter Bauch bebte bei jeder Silbe.
»Tut mir leid, ich war in Gedanken«, lenkte ich ein und trat zur Seite. Mein Blick blieb auf die Peitsche gerichtet, die wie eine Schlange auf des Kutschers Knien ruhte. Er hielt mich offenkundig für einen Mann von Stand, gegen die er aus Prinzip etwas zu haben schien. Auf der verlassenen Straße war ich für seine Wut ein dankbares Ziel.
Der Kutscher musterte mich argwöhnisch. Für einen Moment blieb sein Blick auf meiner Umhängetasche hängen. In dieser ruhte, in Wachstuch eingeschlagen, der Hexenhammer. Ein Werk voller Grausamkeiten gegen meine Art, aber auch voller nützlichem Wissen, wenn man imstande war, es den Seiten zu entlocken.
»Seid Ihr ein Gelehrter?«, fragte der Kutscher und kniff die Augen zusammen.
»Arzt«, verbesserte ich. »Sagt guter Mann, ist dies die Straße nach Eberstadt?«, fragte ich, mehr um ihn von meiner Person abzulenken.
Er blickte mich irritiert an, als hätte ich ihn aus einer weitschweifigen Überlegung gerissen.
»Ja, noch ein gutes Stück die Straße lang. Liegt im Schatten der Burg.«
Ich trat neben den Kutschbock und sog prüfend die Luft ein. Der süßliche Geruch von Verwesung stieg mir in die Nase.
»Für ein paar Münzen nehme ich Euch mit«, bot er an.
»Danke, aber nein«, lehnte ich ab. »Was habt Ihr geladen? Nicht, dass es mich etwas anginge«, nahm ich meinen Worten die Schärfe.
»Baumaterial«, brummte er und ließ versonnen seinen Blick über die Plane schweifen, die über das Fuhrwerk gespannt war. »Eberstadt gehen die Steine und Balken aus, ein lohnendes Geschäft.«
Er wirkte ehrlich, deshalb erwog ich für einen Moment, ob der Gestank vielleicht aus dem Gebüsch am Wegesrand drang. Doch es gab keinen Zweifel, der Verwesungsgeruch stammt vom Wagen und kam mit Sicherheit nicht aus des Kutschers Achselhöhlen. Es roch nach Morast, faulem Fleisch und altem Blut.
»Ich möchte Euch nicht weiter aufhalten«, verabschiedete ich mich und reckte ihm zum Abschied die Hand entgegen. Dies diente weniger der Höflichkeit, ich wollte vielmehr einen Blick in seine Gefühlswelt tun, um zu überprüfen, ob er log. Meine Hexerkräfte erlaubten es mir, durch bloßen Hautkontakt den Gesundheitszustand und das Gefühlsleben meines Gegenübers zu erschließen. Auf das Letztere kam es mir an. Natürlich vermochte ich keine Lüge zu spüren. Wer jedoch die Unwahrheit sagte oder etwas verheimlichte, verspürte immer eine gewisse Aufregung. Selbst wenn er sie gut verbarg, so entging sie nicht meinen Fähigkeiten.
Der Kutscher blickte mich verwirrt an. Zögerlich ergriff er meine Hand.
»Ich hoffe, Ihr macht mit Eurer Fracht gute Geschäfte«, lenkte ich seine Gedanken auf die Ladung. Aber da war nichts. Ich spürte nicht mehr als das arglose Gemüt eines einfachen Mannes, der sich über mein Gebaren wunderte. Ich ließ ihn los.
»Ja danke«, sprach der Kutscher und fischte nach den Zügeln. Mit einem letzten Blick auf mich und leichtem Kopfschütteln setzte er seinen Karren in Bewegung.
Das Fuhrwerk rumpelte an mir vorbei. Für einen Moment erwog ich ihm nachzulaufen, aufzuspringen und einen Blick unter die Plane zu werfen. Doch bei solchen Kapriolen hätte meine Kleidung Schaden genommen. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen. Wahrscheinlich hatten die Steine nur zu lange im Morast gelegen und sonderten deshalb den Geruch ab, den ich mit modernder Verwesung verband. Meinen Kräften konnte ich diesbezüglich vertrauen.
Mich rechts am Straßenrand haltend setzte ich meinen Weg fort. Es wurde Mittag, was ich an dem Grummeln in meiner Magengegend erkannte. Um mich abzulenken, zog ich den Brief von Lilo aus meiner Tasche und faltete ihn auf. Den Blick auf die Zeilen gerichtet setzte ich meinen Weg fort:
Jakob, lautete die Anrede. Nicht: geschätzter Jakob, oder verehrter oder gar geliebter, sondern einfach nur Jakob. Allein das machte mich bereits skeptisch, aber es handelte sich eindeutig um Lilos Handschrift. Der Text barg auch keine der geheimen Zeichen, die wir vereinbart hatten um einander mitzuteilen, dass sich der andere in Gefahr oder in widrigen Umständen befand.
Meine Suche hat Interessantes zu Tage gefördert. Bitte komm so schnell wie möglich nach Eberstadt. Hier gibt es einen Arzt, der uns helfen kann. Die Zeit drängt. Aber wer wüsste das besser als du.
Diese Spitze war nicht ungewöhnlich. Es kam immer darauf an, welchen Gefühlshengst Lilo gerade ritt. Mal saß sie im Sattel der Selbstvorwürfe – schließlich war sie nicht ganz unschuldig an meinem Fluch – ein anderes Mal bemühte sie einen abweisenden Ton, gelegentlich auch jenen der Anklage.
Das Wort Arzt war hingegen wirklich eine verborgene Botschaft. Schließlich hatte ich kein medizinisches Problem. Wo würde es auch einen Arzt geben, der mir helfen konnte? Nein, es musste sich dabei um einen Okkultisten handeln, der über Wissen verfügte, welches ich nicht besaß.
Gezeichnet Liselotte.
Das war ebenfalls eigenartig; sie schrieb ihren Namen nur selten aus. Das nahm den Zeilen die letzte persönliche Note. Und wenn mir das noch nicht genügte, so kam der Umstand dazu, dass ich den Boten zahlen musste, der den Brief überbracht hatte. Der Jungspund hatte sich nur zu der Reise überreden lassen, indem Lilo ihm einen fürstlichen Lohn versprochen hatte, den natürlich ich entrichten durfte.
Der Brief knitterte unwillkürlich in meiner Hand. Zugegeben, ich war darüber etwas aufgebracht. Vielleicht war da aber auch noch etwas anderes. Die Gefühle von anderen Menschen waren ein offenes Buch für mich, während ich mir meine eigenen ungern vergegenwärtigte.
Die von Bäumen gesäumte Straße verbreiterte sich und alsbald erhoben sich vor mir die ersten Häuser. Ein Ortsschild wies mich darauf hin, dass ich mich nun in Eberstadt befand. Über die Hausdächer ragte ein schroffer Felsen, auf dessen Gestein nur wenige Gewächse Fuß gefasst hatten. Darauf thronte eine kleine Burg, die wie ein ausgedienter Wächter anmutete. Dessen Bergfried erschien wie ein Denkmal, welches der Ritterschaft galt. Einst waren Soldaten auf den Wehrgängen patrouilliert. Das alte Gemäuer schien sich nach dieser Zeit zurückzusehen, als diese Festung noch von Bedeutung für das Volk waren. Die Burg hatte ihre Ära überlebt und schien verlassen. Damit teilte sie das Schicksal mit so vielen dieser Bauwerke.
Eberstadt dagegen erschien wie eine Kleinstadt, von denen es viele gab. Ins Auge stachen mir lediglich die vielen Baustellen. Neue Häuser wurden errichtet, andere erweitert. Offenbar befand sich dieses Nest im wirtschaftlichen Aufschwung. Aber wenngleich es früher Nachmittag war, befand sich keine Menschenseele auf den Straßen. Ein unheimliches Gefühl an einen Ort zu kommen, der voller Leben hätte sein müssen und niemanden zu sehen. Es sah so aus, als hätten alle von jetzt auf gleich ihre Werkzeuge fallengelassen, und wären verschwunden.
Der Wind pfiff zwischen den Fachwerkhäusern hindurch und trug eigentümliche Geräusche an meine Ohren. Zunächst hielt ich es für Baustellenlärm. Vielleicht hatten sich alle Städter zu einer Gemeinschaftsarbeit zusammengefunden. Dafür waren die Klänge jedoch zu rhythmisch und dumpf. Irgendetwas riet mir, mich davon fernzuhalten. Aber ich wollte mich schließlich mit Lilo treffen und sie würde vermutlich dort zu finden sein, wo sich die Stadtbewohner aufhielten. Wahrscheinlich befand sie sich wie immer mitten im Geschehen. Nie hätte ich damit gerechnet, was ich sah, als ich um die nächste Ecke bog.
Da waren sie, die Bürger von Eberstadt! Sie hatten sich auf einem Platz versammelt, in dessen Mitte ein Scheiterhaufen brannte. Den Flammen zum Trotz überlief mich ein eiskalter Schauer. Zu oft hatte ich gesehen, was ich hier nur vermutete: Eine Hexenverbrennung!
Ich wich reflexartig in den Schatten eines Hauses zurück. Warum man sich gerade dann besonders auffällig verhielt, wenn man eigentlich unentdeckt bleiben wollte, vermochte ich nicht zu sagen. Mein Herz pochte bis zum Hals. Ich benötigte einige Minuten, bis mir dämmerte, was ich da sah. Das hieß, ich verstand es immer noch nicht, aber es war zumindest keine Hinrichtung. Auf allen vier Seiten des Platzes standen jeweils zwei Trommler, die in einem ungestümen Takt auf ihre Instrumente eindroschen. Den Menschen um das Feuer, wohnte nicht die geifernde Schaulust inne, wie bei einer Verbrennung üblich. Nein, sie tanzten. Das hier war keine Hexenverbrennung, es wirkte vielmehr wie ein heidnisches Ritual. Die Ausgelassenheit, die hier herrschte, hatte ich noch nirgends gesehen, und sie war ansteckend. Die Trommeln hämmerten in meine Ohren und waren angetan, mein Herz erneut in Aufruhr zu versetzen. Selbst ich, der sich, wann immer es nur möglich war, von großen Menschenansammlungen fernhielt, spürte das Verlangen, mich unter die Feiernden zu mischen und mit ihnen zu tanzen. Die Verwunderung über diese Anwandlung hielt mich nicht nur zurück, sondern machte mich auch misstrauisch. War es der rhythmische Klang der Trommeln, der dieses Bedürfnis in mir weckte? Oder war es etwas anderes, das über das Weltliche hinausging?
Ich versuchte mich zu entspannen und mich so natürlich wie möglich zu geben, als ich den Weg um den Platz herum fortsetzte.
Es blieb nur zu hoffen, dass kein Kirchenmann des Weges kam und Zeuge von dem wurde, was die Menschen hier trieben. Dieser hätte die Feierlichkeiten auf seine Weise beendet. Ich vermutete, dass in den Krügen, die hier die Runde machten, kein Wasser war. Ein weiterer Punkt, an dem die Kirche Anstoß nehmen würde.
Wie ich Lilo kannte, befand sie sich mitten unter den Feiernden. Mich in die schwitzende Menge einzugraben, danach stand mir wenig der Sinn. Ich ging am Rand des Platzes entlang und hielt nach ihren kupferblonden Haaren und ihrer zierlichen Gestalt Ausschau. Doch in der bewegten Masse wäre sie gänzlich untergegangen.
Ich schritt zu einer Taverne, die Zum Kalb hieß. Auch dieses Gebäude wurde erweitert. So wie ich die Baustelle deutete, bekam sie einen Stall dazu. Außerdem hatte man das Dach abgedeckt, vermutlich um dem Haus noch ein Stockwerk obendrauf zu setzen. Wahrscheinlich für weitere Fremdenzimmer. Neben der Tür stand ein Schild, auf dem Zum Ochsen stand. Offenbar plante der Gastwirt weittragende Veränderungen.
An einem offenen Fenster stand weit hinausgelehnt ein breiter Mann in ungewöhnlich feinem Zwirn.
»Sagt, guter Mann, was wird hier gefeiert?«, sprach ich ihn an, wobei ich laut sprechen musste, um die Trommelschläge zu übertönen.
Der Mann musterte mich kurz. Der Blick eines Menschenkenners. »Das kann ich nicht so recht beantworten«, erwiderte er. »Er nennt es Donnerfest.«
»Er?«, fragte ich nach.
»Er«, nickte der Mann. Er deutete zur Burg hinauf. »Der Doktor.«
»Donnerfest, das klingt nicht vertraut«, überlegte ich. Natürlich wollte ich nicht sagen, dass es wie ein heidnisches Ritual anmutete. Es stand mir fern, die Menschen hier beleidigen zu wollen.
»Gibt’s auch nur hier. Der Doktor wünscht sich das einmal im Monat. Er meint, er bräuchte Unwetter, um seine Arbeit zu tun.« Er zuckte mit den Schultern. »Soll mir recht sein. Er lässt für die gesamte Stadt Bier springen. Hat meinem Geschäft nicht geschadet.« Er zupfte demonstrativ an seinem Kragen.
»Ihr seid der Gastwirt«, schloss ich messerscharf.
»So ist’s«, stimmte er zu.
»Und der Doktor glaubt, wenn die Menschen hier unter Trommelklang feiern, gibt es ein Gewitter?«, vergewisserte ich mich.
»So ist’s«, gab er mir erneut recht. Offenbar hatte er sich an mir sattgesehen, denn er wandte sich den Feiernden zu.
Ich wollte mir bereits ein ruhiges Plätzchen suchen, oder einen Ort, von dem aus ich die Menge besser überschauen konnte, da fügte der Gastwirt hinzu: »Bisher hat es immer geklappt.«
Das machte mich stutzig. Er bemerkte meinen fragenden Blick und lachte.
»Doktor Dippel ist ein intelligenter Mann. Ich glaube, er weiß einfach, wann es ein Gewitter geben wird. Dann spendiert er eine Feier, nennt es Donnerfest und schon haben die Menschen weniger Angst, wenn es abends blitzt und donnert.«
»Ein Wohltäter also«, überlegte ich laut.
»Das ist er«, stimmte der Gastwirt zu und nickte, um seine Worte zu bekräftigen.
»Sagt, habt Ihr noch ein Zimmer frei? Ich kann im Voraus zahlen«, schob ich nach.
»Um Eure Zahlungsfähigkeit mach ich mir keine Sorgen. Zur Not reiß ich Euch die Kleider runter und verhöker die«, grinste er. »Ein Zimmer habe ich tatsächlich noch.«
»Kann ich es beziehen?«, fragte ich.
»Sicher, kommt.« Er verschwand vom Fenster.