Dark Noise - Argos sieht alles - Margit Ruile - E-Book

Dark Noise - Argos sieht alles E-Book

Margit Ruile

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Beschreibung

Die Vorgeschichte zu Margit Ruiles packendem All-Age-ThrillerDark Noise über die Manipulation unserer Wirklichkeit und die Frage: "Was ist wahr?" Als Finn mit der Spraydose in der Hand von zwei Sicherheitsleuten der Firma ARGOS beim Graffitisprühen erwischt wird, bekommt er unerwartet Hilfe. Prospero nennt sich der geheimnisvolle Fremde mit den eleganten Schuhen und den hellen Augen. Was Finn zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Prospero ist der Kopf von Dark Noise, einer Gruppe von Aktivisten, die sich in das Computersystem von ARGOS gehackt haben. Denn ARGOS stellt überall in der Stadt Überwachungskameras auf. Niemand kann ihnen entgehen – ARGOS sieht alles. Und Dark Noise will das verhindern ...

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Rat-tag

ARGOS – Sicherheitstechnik. Der runde Schriftzug zog sich über eine neu gebaute Betonmauer, auf der oben der Stacheldraht glänzte. Sie war vollkommen weiß. Eine weiße Mauer, die nur auf Finn wartete. Sicherheitstechnik. Ein Witz! Er war schon an ganz andere, viel besser gesicherte Orte herangekommen. An Brücken, an S-Bahnen, an Baukränen. Sie hatten ihn noch nie erwischt. Er war schneller, er war klüger und hatte immer den Fluchtweg in seinem Kopf. Nein, nicht nur im Kopf. In seinen Muskeln. Er wusste immer, wohin er laufen sollte, sogar ohne dass er darüber nachdachte. Das Nicht-Nachdenken machte ihn so schnell. Entwischt zu sein, war ein großartiges Gefühl. Als würde ein heller Stern im Kopf zerplatzen und ihn für einen Moment schweben lassen.

Doch dieses Mal ging es nicht um das Entwischen. Die Aufregung, die er empfand, diese wilde Vorfreude, die er spürte, jedes Mal wenn er an die weiße Mauer dachte, rührte nicht daher, dass es so schwer war, zu ihr zu gelangen, oder dass der Ort besonders gesichert war. Es war etwas anderes, das ihn faszinierte und nicht mehr losließ, seitdem er den Schriftzug zum ersten Mal sah.

Es war das Auge.

Ein lid- und wimpernloses Auge, kalt und forschend.

Es steckte lang gezogen im O von Argos und füllte den ganzen Buchstaben aus. Auch wenn die S-Bahn schon längst daran vorbeigefahren war, dann starrte es Finn nach. Er konnte nicht sagen, wie sie es angestellt hatten, denn es war ja nur ein Schriftzug. Trotzdem hatte er das Gefühl, das Auge würde direkt ihn anblicken. Ihn und nur ihn. Er war gemeint. Es war ein verrückter Gedanke, der den Schriftzug noch aufregender machte. ARGOS. Mit einem A am Anfang. Es war geradezu perfekt.

Er hatte sich aus dem Haus gestohlen, auf sein Fahrrad gesetzt und war im bleichen Mondlicht neben den Gleisen entlanggefahren. Die Stadt war still um diese Uhrzeit. Nur seine Reifen auf dem Kies und der Dynamo, das leise quietschte. Dann hatte er sein Fahrrad in die Böschung neben den Gleisen geschmissen und sich die Stangen am Eingangstor hinaufgehangelt. Er war schmal und leicht, ein guter Kletterer. Auf der anderen Seite des Tores wäre er fast hinuntergefallen, denn sein Knöchel hatte sich in einer der Querstreben verhakt und er schürfte sich die Arme an dem Eisen auf, als er daran hinunterrutschte. Als er endlich auf dem schmalen Kiesweg aufkam und sich umsah, spürte er ein leichtes Rumoren im Magen. Er hatte den Weg unterschätzt. Von der S-Bahn aus sah er nur kurz aus, aber hier schien sich die Mauer lange zu ziehen. Es war dunkel, nur eine einzige Laterne schien in der Ferne, dort am anderen Tor.

Unten an der Böschung vor den Gleisen blitzte ein weiterer Zaun durch das dornige Gestrüpp. Wieso war das hier so gut gesichert? Ein Fluchtweg war ihm abgeschnitten, der zweite lag hinter ihm, das Tor, das mühsamer zu überklettern war, als er es sich vorgestellt hatte. Er duckte sich unter die Büsche, als er die Lichter einer S-Bahn auf sich zukommen sah. Sie ratterte vorbei, eine blitzende Schlange in der Dunkelheit. Das Rattern verklang und er lauschte auf Schritte, auf Menschen, Wachpersonal, vielleicht. Sie warteten auf ihn. Es war nur ein kleiner Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss wie ein Pfeil und den er schnell wieder verscheuchte. Blödsinn. Es war nichts, alles ruhig. Er schüttelte den Kopf. Es würde nicht lange dauern. Er würde über das Tor zurückklettern, sich sein Fahrrad schnappen und wäre weg wie ein lautloser Schatten.

Als er nach einigen Metern den Schriftzug vor sich sah, warf ihn die schiere Größe der Buchstaben fast um. Das A war riesig, fast so groß wie er selbst, und die Pupille des Auges hatte den Durchmesser seines Kopfes. Jetzt, da er ihm so nahe war, sah er, dass es nur hingemalt war. Es hatte nichts Magisches. Der Zaubertrick funktionierte nur aus der Ferne. Er holte eine silberne Spraydose aus seinem Rucksack und schüttelte sie, es klackerte in ihrem Inneren. Sie fühlte sich kalt an. Es würde ein wunderbares tag geben. Zsch. Zsch. Er liebte das Geräusch. Farbe, die aus der Dose zischte und sich dann auf der Mauer verbreitete. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und begann mit dem A.

Er suchte sich immer ein A. Ein A aus einem Schriftzug. Die Markierung eines Hochhausblocks, das Apothekenzeichen; er nahm das A, setzte es in einen Kreis. Anarchie. Keine Macht für niemand. Mächtige Worte. Sie rochen nach Wut und Revolution, nach Menschen, die auf die Straße gingen, und nach Freiheit. Sie waren wie ein kühler Wind, der ihm beim Fahrradfahren entgegenschlug. Sie brachten dieses aufregende Gefühl im Magen mit. Ein Gefühl wie fliegen, wie riesengroß und überall sein. Ein Gefühl wie sprayen.

Vor das A sprayte er ein R, dann ein T dahinter und beendete alles mit einem Rattenschwanz. RAT.

RAT, RAT, RAT. Die Stadt war voll davon. Sie war für ihn gebaut. Nur für ihn. RAT, RAT, RAT. Überall. Er war stolz darauf und er wünschte sich, dass es einmal jemandem geben würde, dem er das alles zeigen konnte. Er würde in der S-Bahn sitzen und aus dem Fenster auf seine Graffitis deuten. Ich bin überall. Er war an Hausmauern, an Brücken, an den verfallenen Industriegebäuden. Die Stadt gehörte ihm. Nachts, wenn ihn keiner vermisste, waren alle Flächen seine Flächen.

Das heißt – es war nicht nur die Nacht, in der ihn keiner vermisste. Es gab auch keinen, der ihn am Tag vermisste, aber das war eine ganz andere Geschichte.

Fertig. Er trat einen Schritt zurück. Das tag war perfekt. Etwas sagte ihm, dass er seine Spraydose wieder einstecken und zurücklaufen sollte. Jetzt. Sofort.

Und doch. Da war noch das Auge.

Er ging nahe an die Mauer, sprayte einen Augendeckel und Wimpern. Jetzt hatte es keine Macht mehr über ihn. Es würde ihm nicht mehr nachsehen. Nein, es würde ihm zublinzeln, wenn er vorbeifuhr. Finn, ich gehöre dir!

In diesem Augenblick hörte er das Hundegebell. Es kam von rechts, von dort, wo er über das Tor geklettert war. Ein Metalltor wurde aufgestoßen, das Scharnier quietschte. Das Gebell kam näher. Aus der Dunkelheit leuchtete der Lichtkegel einer Taschenlampe. Sicherheitsleute. Scheiße! Sie waren dort, wo er sein Fahrrad hingeworfen hatte.

Wohin? Nicht nach unten zu den Gleisen, dort war der Zaun. Die Mauer war zu hoch. Stacheldraht oben, keine gute Idee. Es gab nur die andere Richtung, auf die Laterne zu. Er warf im Rennen die Spraydose weg. Ein dumpfes Klicken, als sie unten neben dem Zaun aufkam. Schneller! Hinter ihm hörte er die Schritte. Schneller, geduckt den Weg an der Mauer entlang! Das Gebell war ganz dicht hinter ihm. Keine Möglichkeit, sich zu verstecken, sie würden ihn finden im Gebüsch. Wenn er es nur bis zu der Laterne schaffte. Dort über das andere Tor! Schneller! Er hatte einen kleinen Vorsprung - immerhin. Sein Herz raste. Gleich geschafft!