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Magisterarbeit aus dem Jahr 1999 im Fachbereich Theologie - Praktische Theologie, Note: 2,0, Humboldt-Universität zu Berlin (FB Theologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit behandelt mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Priestertum aller Gläubigen und dem geistlichen Amt einen Teilbereich der Ekklesiologie. Mit der Reformation hat das Lehrmotiv des Allgemeinen Priestertums eine kirchenpolitisch brisante Stellung eingenommen. Das Allgemeine Priestertum und das ordinierte Pfarramt wird in heutiger Zeit wieder als Problem empfunden. Die Gemeinde sieht sich innerhalb der parochialen Kirchenstruktur und in einem Gegenüber zum Pfarramt. Die Gestaltung des öffentlichen Lebens in der Gemeinde wird gerne dem Pfarrer übertragen. Wenn von Kirche die Rede ist, dann wird zuerst nach der Amtskirche bzw. nach den Pfarrern gefragt. Diskutiert wird primär das Amtsverständnis, jedoch weniger das Allgemeine Priestertum oder die Gemeinschaft der Heiligen. Die Auslegungsgeschichte des Allgemeinen Priestertums hat dabei bis heute verschiedenste Ausprägungen erhalten. Martin Schian stellte treffend fest: "Es ist dem Gedanken des allgemeinen Priestertums gegangen wie das so reichlich benutzten, so vielfach hin und her gewendeten Gedanken meist zu gehen pflegt. Jeder Benützer hat ihn in seiner Weise verstanden, nach seiner Richtung hin ausgewertet."1 Die jeweiligen Akteure kirchlicher Geschichte haben dabei mit dem Motiv des Allgemeinen Priestertums ihre jeweilige ekklesiologische Intention vermittelt. Das begründet eine Analyse nach der theologischen Qualität des Allgemeinen Priestertums. Die begriffliche Abgrenzung des geistlichen Leitungsamtes vom Allgemeinen Priestertum wird im strengen rechtlichen Sinn vorgenommen: "Einsetzung, Kontinuität und geregelte Nachfolge bilden das Wesen des Amtes."2 D.h., Amtsträger werden durch kirchliche Instanzen eingesetzt, dazu ordiniert und nehmen eine Dauerfunktion wahr, in der sie Nachfolger haben können. In diesem Sinne wird das Amt als Institution verstanden. Zur Bezeichnung des institutionalisierten kirchlichen Predigt- bzw. Pfarramtes wird in dieser Arbeit dem Begriff des "ordinierten Amtes" der Vorzug gegeben. Der Begriff "geistliches Amt" ist abzulehnen. Genau wie dem Begriff des "besonderen Amtes" wird beiden Begriffen eine geistliche Höherwertigkeit zugeschrieben, die nach Luther eben nicht besonderes Merkmal des Amtsträgers ist.3 Der Begriff des "kirchlichen Amtes" erscheint ungeeignet, weil er die anderen Ämter in der Kirche neben dem Pfarramt nicht im Blick hat. Der Begriff "Laie" ist problematisch, trotzdem wird er Verwendung finden. [...] _____
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Einleitung
Die Arbeit behandelt mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Priestertum aller Gläubigen und dem geistlichen Amt einen Teilbereich der Ekklesiologie. Mit der Reformation hat das Lehrmotiv des Allgemeinen Priestertums eine kirchenpolitisch brisante Stellung eingenommen.
Das Allgemeine Priestertum und das ordinierte Pfarramt wird in heutiger Zeit wieder als Problem empfunden. Die Gemeinde sieht sich innerhalb der parochialen Kirchenstruktur und in einem Gegenüber zum Pfarramt. Die Gestaltung des öffentlichen Lebens in der Gemeinde wird gerne dem Pfarrer übertragen. Wenn von Kirche die Rede ist, dann wird zuerst nach der Amtskirche bzw. nach den Pfarrern gefragt. Diskutiert wird primär das Amtsverständnis, jedoch weniger das Allgemeine Priestertum oder die Gemeinschaft der Heiligen.
Die Auslegungsgeschichte des Allgemeinen Priestertums hat dabei bis heute verschiedenste Ausprägungen erhalten. Martin Schian stellte treffend fest: „Es ist dem Gedanken des allgemeinen Priestertums gegangen wie das so reichlich benutzten, so vielfach hin und her gewendeten Gedanken meist zu gehen pflegt. Jeder Benützer hat ihn in1Die seiner Weise verstanden, nach seiner Richtung hin ausgewertet.“ jeweiligen Akteure kirchlicher Geschichte haben dabei mit dem Motiv des Allgemeinen Priestertums ihre jeweilige ekklesiologische Intention vermittelt. Das begründet eine Analyse nach der theologischen Qualität des Allgemeinen Priestertums.
Die begriffliche Abgrenzung des geistlichen Leitungsamtes vom Allgemeinen Priestertum wird im strengen rechtlichen Sinn vorgenommen: „Einsetzung, Kontinuität und geregelte Nachfolge bilden2D.h., Amtsträger werden durch kirchliche das Wesen des Amtes.“
Instanzen eingesetzt, dazu ordiniert und nehmen eine Dauerfunktion wahr, in der sie Nachfolger haben können. In diesem Sinne wird das Amt als Institution verstanden.
Zur Bezeichnung des institutionalisierten kirchlichen Predigt- bzw. Pfarramtes wird in dieser Arbeit dem Begriff des „ordinierten Amtes“ der Vorzug gegeben. Der Begriff „geistliches Amt“ ist abzulehnen. Genau wie dem Begriff des „besonderen Amtes“ wird beiden Begriffen eine geistliche Höherwertigkeit zugeschrieben, die nach Luther eben
1Schian, Priestertum, 113.2Hanson, Amt, 534.
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3Der Begriff des nicht besonderes Merkmal des Amtsträgers ist. „kirchlichen Amtes“ erscheint ungeeignet, weil er die anderen Ämter in der Kirche neben dem Pfarramt nicht im Blick hat.
Der Begriff „Laie“ ist problematisch, trotzdem wird er Verwendung finden. Hier soll er verstanden werden als „Nicht-Theologe“ im Gegensatz zum ausgebildeten. Der Aspekt der fachlichen Kompetenz bzw. Inkompetenz auch für nicht theologische Sachverhalte, die den Unterschied zwischen Experten und fachlich Unkundigen verdeutlicht, schließt die Definition mit ein.
Einer religionsphänomenologischen Analyse der Gestalt des Priesters wird nicht nachgegangen. Die Fragestellungen, die sich in einem Priester-Opfer-Schema begründen, würden über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Ebenso gilt dies auch für den wichtigen Bereich der feministischen Theologie, die eine Nähe zum Motiv des Allgemeinen4Die A rbeit schließt in allen Fragen zum Priestertums innehat.
Allgemeinen Priestertum und ordinierten Amt die Frauen mit ein, jedoch ohne die damit einhergehende Problematik mit aufzunehmen.
Dogmatische Entwürfe haben immer eine ekklesiologische Dimension. Deshalb können Dogmatiken hier nur exemplarisch untersucht werden. Dies näher zu analysieren wäre sinnvoll, kann aber nur umfangreich in einer systematischen Arbeit erfolgen.
Sucht man in neuerer Zeit nach umfassenden Beiträgen zum Allgemeinen Priestertum, dann finden sich lediglich die vor einiger Zeit erschienenen Arbeiten von Barth, Voß und die Untersuchungen zu Luther von5Weitere Arbeiten finden sich dann erst in den Freiwald und Goertz.6Im praktisch-theologischen Bereich sind sechziger und siebziger Jahren.
die Diskussionsbeiträge noch seltener. Lediglich auf die umfangreichere Habilitationsschrift von Herlyn in neuerer Zeit kann verwiesen werden,7Obwohl das die unter anderem Allgemeines Priestertum behandelt.
3Ich greife hier vor, daß die Gleichheit der Christen coram deo entscheidend ist,
siehe Abschnitt 1.1.3.3.4Vgl. Meer, Priestertum; Siegele-Wenschkewitz, Priestertum.5Vg l. Barth, Priester, 1990; Voß, Gedanke, 1990; Freiwald, Verhältnis, 1993;
Goertz, Priestertum, 1997.6Vgl. z.B. Lieberg, Amt.7Vgl. Herlyn, Sache, 1997.
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Motiv vom Allgemeinen Priestertum bekannt ist, scheint dessen8Aktualität nicht bewußt zu sein.
Das Verhältnis zwischen Allgemeinem Priestertum und ordiniertem Amt wurde zumeist in ekklesiologischen Reformen wie in der Reformation oder im Pietismus immer als Problem empfunden. Hier zeigt sich, daß das Thema immer wieder eingebettet ist in eine Erneuerung kirchlicher Strukturen. Hinter der Diskussion nach der Begründung des Amtes steht das Problem, ob das Amt einen göttlichen und damit heilsnotwendigen Charakter hat. Als Gegenmodell zu dem „von oben“ gibt es das „von unten“, das die Begründung in der Gemeinde sucht.
Diesem problematischen Verhältnis wird im ersten Teil der Arbeit historisch-systematisch nachgegangen, indem in den theologiegeschichtlich wichtigen Epochen nach den Vorstellungen von Amt und Allgemeinem Priestertum und ihrer Verhältnisbestimmung gefragt wird.
Zunächst wird Luthers Entwurf des Allgemeinen Priestertums im Zusammenhang seiner Theologie betrachtet. Dem folgt mit den Bekenntnisschriften eine Darstellung der Auslegungsgeschichte bezogen auf das Allgemeine Priestertum, das ordinierte Amt und ihr Verhältnis zueinander. Anschließend werden wichtige Reformbewegungen wie die des Pietismus, der Verfassungsbestrebungen im 19. Jahrhundert oder der Befreiungstheologie aufgenommen. Analysiert wird hier schwerpunktmäßig das Allgemeine Priestertum.
Die Arbeit wird im zweiten Teil in Beispielen das Verhältnis von Allgemeinem Priestertum und ordiniertem Amt aus praktischtheologischer Sicht in neuerer evangelischer Zeit analysieren. Dazu werden Beiträge für das ordinierte Amt herangezogen, die die Gestalt des ordinierten Amtes definieren. Eine Analyse des Allgemeinen Priestertums wird anhand von kirchlichen Handlungsfeldern erarbeitet, um für Amt und Gemeinde eine glaubwürdige Position für das Allgemeine Priestertum und auch für das ordinierten Amt zu erhalten. Die Zuständigkeiten und Grenzen des ordinierten Amtes und die Verwirklichung des Allgemeinen Priestertums in der christlichen Gemeinde im Gegenüber gilt es aus praktisch-theologischer Sicht zu analysieren.
8Heintze redet vom „praktischen Vergessen des allgemeinen Priestertums“.
Heintze, Priestertum, 640.
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Martin Luther hat in seinen reformatorischen Hauptschriften von 1520-91523 die Lehre vom Allgemeinen Priestertum der Christen dargelegt. Eine eigene Schrift für das Allgemeine Priestertum gibt es jedoch nicht, weshalb konstruierend vorgegangen werden muß.
Nicht die Entwicklung der Lehre Luthers, sondern die Kontinuität seiner Aussagen im Verlauf seiner Wirkung sind dabei von Interesse. Im folgenden können natürlich nur Grundzüge dieses Verhältnisses betrachtet werden, die für die Herleitung des Allgemeinen Priestertums und des ordinierten Amtes wichtig sind.
Zunächst wird versucht, das Allgemeine Priestertum und das ordinierte Amt in Luthers Lehre vom Menschen in seinem Verhältnis zu Gott und zu der Welt einzuordnen.
1.1.1 Das Allgemeine Priestertum in der Anthropologie Luthers
In dem Verhältnis des Menschen zur Welt ist der Mensch ganz äußerlich, in seinem Verhältnis zu Gott ganz innerlich. Damit beschreibt Luther seine grundlegende Anthropologie. Luther bezieht d iese Unterscheidung auf den ganzen Menschen und nicht auf einzelne Körperteile. Er trennt nicht Geist und Fleisch, Geist im Verhältnis zu Gott und Fleisch zur Welt: Es sind Totalaspekte.
In seinem Gottesverhältnis ist der Mensch als Gerechtfertigter ganz innerlich gemeint, als äußerer Mensch steht er als Sünder in der Welt: simul iustus et peccator. Innen und außen stehen nicht für verschiedene10Orte, sondern für jeweils eine der beiden Relationen.
Daß der Mensch als geistlicher, neuer Mensch der Welt begegnet und umgekehrt der Sünder vor Gott steht, sollte nicht verwirren. Luther wollte nicht die Wirklichkeit als Ganzes abbilden, sondern diese Gegensatzpaare wollen nur engumgrenzte Sachverhalte illustrieren. Hier
9Besonders: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen
Standes Besserung, WA 6, 404-469, bes. 407 ff; De captivitate Baylonica
ecclesia praeludium, a.a.O. 6, 497-573, bes. 560 ff; Von der Freiheit eines
Christenmenschen, a.a.O. 7, 20-38, bes. 26 ff.
10„Igitur spiritualis homo totus homo est, quantum sapit quae dei sunt, carnalis totus, quantum sapit quae sua sunt.“, a.a.O. 2, 589, 1-3.
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zeigt sich bereits die Rechtfertigungslehre Luthers als Ableitung von Röm
11. der den Aspekt des Glaubens mit 3, 28: „Hominem iustificari fide“ den Werken verbindet, den Bezug zur Welt.
Luther verknüpft diese zwei Lebensbezüge „innerer“ und „äußerer“ Mensch mit dem Begriff der Freiheit. Durch die Zuordnung von Freiheit und Gottesverhältnis bzw. Gebundenheit und Weltverhältnis gewinnt Luther eine Antithese, auf deren Hintergrund auch das Allgemeine13Danach sind alle Christen in völliger Priestertum zu verstehen ist.
Freiheit und völliger Unfreiheit bzw. Gebundenheit. Der Christ sei durch den Glauben von den Zeremonien frei, durch die Liebe aber an sie gebunden.
Diese Freiheit bedeutet Freiheit von allen menschlichen Geboten in14Hier zeigt sich die antipäpstliche Seite bezug auf die Heilsfrage. Luthers.
Der Christ ist frei von allen Werken, doch er vollbringt sie aus Rücksicht zu seinen Mitmenschen. Indem Luther auf die Neuwerdung des Menschen durch den rechtfertigenden Glauben als die eigentliche Bedingung christlicher Freiheit hinweist, wehrt er zugleich der Anschauung, die Freiheit von äußeren Dingen könne dem geistlichen Menschen aufgrund seiner Geistlichkeit zukommen. Die Freiheit des inneren Menschen besteht nur aufgrund der Neuheit des Gottesverhältnisses.