Das Alphabet der Angst - Katharina Domschke - E-Book

Das Alphabet der Angst E-Book

Katharina Domschke

0,0
18,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Faszinierend und Respekt einflößend zugleich – die Angst. Jeder kennt sie. Sie ist lebenswichtig, weil sie uns vor Gefahr schützt. Allerdings fühlt sie sich alles andere als gut an, weshalb sie meist verdrängt und selten angesprochen wird. Besonders laut wird das Schweigen dann, wenn Angst zur Erkrankung wird – und das, obwohl es sich mit Abstand um die häufigste psychische Störung handelt. Prof. Katharina Domschke und Prof. Peter Zwanzger, international anerkannte klinische wie wissenschaftliche Experten auf dem Gebiet der Angsterkrankungen, nehmen uns mit diesem Buch die Angst vor der Angst. Informativ und unterhaltsam geht es um die zahlreichen und vielfältigen Ausprägungen eines zutiefst menschlichen Gefühls. Mit einem Vokabular von Angstlust bis Zähneklappern werden die nützlichen, die problematischen und die schädlichen Aspekte der Angst beleuchtet – und viele Wege aus der Angst heraus aufgezeigt. Dabei reicht das Spektrum vom klinischen Phänomen der Angsterkrankungen bis hin zu soziokulturellen Aspekten der Angst mit Ausflügen in Literatur, Kunst und Musik – von Angstbeißer und Angstblüte über Gottesfurcht und Gespenster, Penis-Panik und Panikstörung bis hin zu Wut, Witz und Waldbaden. Ein kurzweiliger, faszinierender und lehrreicher »Deep Dive« in das Thema Angst – ein unterhaltsames Buch für interessierte Leser, ein Ratgeber für Patienten und eine Fundgrube für wissenschaftlich Anspruchsvolle.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 327

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Katharina Domschke / Peter Zwanzger

Das Alphabet der Angst

200 Fakten rund um unsere wichtigste Emotion

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2025

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: ZeroMedia GmbH, München

Umschlagmotiv: © Finepic, München

Autorenfotos: © Britt Schilling und © Uta Kellermann

E-Book-Konvertierung: ZeroSoft, SRL

ISBN Print 978-3-451-60886-5

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83650-3

Inhalt

Die Angst verstehen lernen

Das Alphabet der Angst

A

B

C

D

E

F

G

H

I

J

K

L

M

N

O

P

Q

R

S

T

U

V

W

X

Y

Z

Danksagung

Quellen und Literatur

Sachregister

Personenregister

Über die Autoren

DIE ANGST VERSTEHEN LERNEN

Angst: unsere wichtigste Emotion – so steht es auf dem Cover dieses Buchs. Stimmt das denn wirklich? Würde man da nicht eher an Freude denken, ein positives und deshalb womöglich noch viel wichtigeres Gefühl? Positiv vielleicht. Entscheidend ist an dieser Stelle aber, dass es sich bei Angst um eine Empfindung handelt, die uns als körpereigenes Alarmsystem vor Bedrohungen warnt und vor Gefahren schützt. Angst ist buchstäblich überlebensnotwendig – und daher wahrscheinlich tatsächlich unsere wichtigste Emotion.

Angst ist entsprechend allgegenwärtig und betrifft uns als Individuen genauso wie als Gesellschaft über alle Zeitalter, Sprachen und Kulturen hinweg – als „phobos“, „terror“ oder „anxiety“, in Job, Medien, Werbung, Wirtschaft und Politik, in Literatur, Kunst und Musik. Zudem ist Angst ein sehr facettenreiches Gefühl – sie hat viele Gesichter und kann uns in Form von Ängstlichkeit, Furcht, Panikattacken, Schrecken oder Sorgen begegnen. Ebenso wie unsere Seele und Gedanken erfasst Angst aber auch unseren Körper und äußert sich zum Beispiel in Form von Atemnot, Herzklopfen, Ohnmacht, Schwindel, Magen-Darm-Beschwerden, Schwitzen oder Zittern.

Neben diesen ganz allgemeinen und wahrscheinlich uns allen mehr oder weniger bekannten Aspekten kann Angst aber auch zur Erkrankung werden, wie etwa zur Agoraphobie, Panikstörung, sozialen Phobie oder Zahnarztangst. Dabei sind die Ursachen vielfältig und reichen von genetischen und anderen biologischen Faktoren über Lernprozesse bis hin zu Umweltvariablen.

Die gute Nachricht ist jedoch: Es gibt zahlreiche Wege aus der Angst, umfassende Möglichkeiten der Therapie und beste Chancen auf Heilung – mittels Selbsthilfe oder im Rahmen einer professionellen Behandlung in Form einer Psycho- oder Pharmakotherapie. Übrigens: Wenn Sie unter einer Spinnenphobie leiden und es dennoch geschafft haben, dieses Buch in die Hand zu nehmen und es vielleicht sogar mit dem Cover nach oben auf den Nachttisch zu legen, ist Ihre erste Expositionsübung schon mal gelungen – herzlichen Glückwunsch!

Auf den folgenden Seiten wollen wir Sie mitnehmen auf eine Reise durch die Welt der Angst aus der Perspektive des literarisch, kunstgeschichtlich, theologisch oder soziologisch interessierten Lesers ebenso wie aus dem Blickwinkel von Menschen mit Angsterkrankungen. Wissenschaftlich fundiert und vor dem Hintergrund jahrzehntelanger klinischer Erfahrung in der Behandlung von Patientinnen und Patienten wird der Themenkomplex so breit wie möglich aufgefächert. Ein informatives wie hoffentlich unterhaltsames Nachschlagewerk zu den vielfältigen Aspekten der Angst, von denen einige auch im Gedicht von Loredana Nemes vorkommen, das wir diesem Buch als Geleit vorangestellt haben. Gleichzeitig ein Ratgeber, in dem die Ursachen von Angsterkrankungen und die zahlreichen präventiven wie therapeutischen Optionen erklärt werden – erstmals in alphabetischer Systematik, die Sie direkt zu den für Sie spannendsten Begriffen führt und dennoch durch viele thematische Querverbindungen (durch → gekennzeichnet) als zusammenhängende Lektüre lesbar ist. 

Denn die Erfahrung zeigt, dass uns bei der Auseinandersetzung mit den bedrohlichen Feinden unseres Seelenfriedens das Erklären ihrer Eigenarten, das Wissen über ihr Wesen in entscheidender Weise hilft, sie zu bewältigen – eindrücklich illustriert im Märchen vom „Rumpelstilzchen“ der Gebrüder Grimm. Da verspricht, kurz gesagt, die arme Müllerstochter einem seltsamen, namenlosen Männlein ihr erstgeborenes Kind dafür, dass das Männlein ihre Hochzeit mit dem König ermöglicht. Als die Müllerstochter dann zur Königin avanciert und Mutter eines schönen Kindes wird, fordert das Männlein seinen Preis, es sei denn, sie errate seinen Namen. Dieser wird der Königin glücklicherweise von einem Vertrauten zugetragen, der beobachtet, wie das bereits siegessichere Männlein nachts ums Feuer tanzt und singt: „Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß.“ Von der Königin konfrontiert mit deren Wissen um seinen Namen, reißt sich das Männlein vor Zorn entzwei.

Und gleichermaßen hat die Angst die Oberhand, solange sie namenlos bleibt, solange man ihr Wesen, ihre Symptome, ihre Prognose nicht kennt, solange sie einem diffus, vage und nebulös erscheint. Sobald man aber ihren Namen weiß, sobald man ihre vielen Facetten, ihre mannigfaltigen Erscheinungsformen, ihre Ursachen, ihren Verlauf und ihre Behandlungsmöglichkeiten kennt, wird sie entmachtet, verliert ihren Schrecken und „reißt sich“ – analog zum Rumpelstilzchen – im Idealfall „entzwei“.

Entsprechend soll dieses Buch all denen, die Angst kennen oder gar unter ihr leiden, die Chance einer Entzauberung der Angst bieten. Denn: Wer die Angst besser ver-steht, kann sie be-stehen, wer die Angst begreift, kann mit ihr leichter umgehen. Oder in den Worten der polnisch-französischen Nobelpreisträgerin Marie Curie: „Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr.“

Eine spannende Lektüre – durchaus auch mit etwas „Angstlust“ – wünschen Ihnen

Katharina Domschke und Peter Zwanzger

Freiburg im Breisgau / Wasserburg am Inn

November 2024

Angst atmet anders.

Angst berichtet besessen von Bärtigen.

Angst cellophaniert den Charme Chinas.

Angst duckt sich durchsichtig.

Angst erntet Echo.

Angst frisst Freiheit.

Angst gärt im Genick.

Angst heiratet heimlich Herrn Hass.

Angst interessiert sich fürs Innenleben.

Angst Jagd Juden.

Angst küsst Kinder.

Angst lauert im lila LKW.

Angst macht Macht.

Angst nagt am Naturell.

Angst okkupiert den Okzident.

Angst protokolliert planmäßig die Poesie.

Angst quadriert die Qual.

Angst riecht nicht nach Rhododendron.

Angst schwärzt die Schatten.

Angst tröstet tödlich.

Angst umzäunt Ungarn.

Angst verkantet in Versicherungen.

Angst wandert durch die schönste Vene.

Angst vor dem x-beliebigen Xenon.

Angst you you you.

Angst zuckt zittert zerbricht.

„Alphabet der Angst, 2017“ aus Loredana Nemes: GierAngstLiebe, Katalog zur Ausstellung in der Berlinischen Galerie, Hartmann Books, 2018.

Das Gedicht diente den Autoren als Inspiration für den Buchtitel.

A

ABGRUND

An einem steilen Abgrund kann man es mit Angst im Sinne von Höhenangst (→) zu tun bekommen. Und umgekehrt ist die Angst selbst für viele der Abgrund schlechthin: Man verliert den Halt, gerät ins Wanken und droht abzustürzen. Nicht umsonst wird das vom englischen Begriff für „Abgrund“ („abyss“) abgeleitete Adjektiv „abysmal“ unter anderem auch mit „schaurig“ oder „entsetzlich“ übersetzt.

Der „Abgrund der Angst“ ist auch ein Topos in der Literatur. Für die Schriftstellerin Elfriede Jelinek ist „die Angst […]wie ein ständiger Spaziergang ins Nichts, in den Abgrund“1, und in Charles Baudelaires Gedicht „Der Abgrund“ bedeutet die Angst für die Hauptfigur Pascal „seinen Abgrund, der immer mit ihm ging“2. Auch in der bildenden Kunst wird die Angst häufig im Kontext eines Abgrunds dargestellt. So gibt der österreichische Maler Alfred Kubin der Angst die Gestalt eines Gespensts (→), das einen sich hilflos an den bröckelnden Rand des Abgrunds klammernden Menschen in die Tiefe zieht.3

ACHTSAMKEIT

In einer viel zitierten buddhistischen Parabel lautet die Antwort eines alten Zen-Meisters auf die Frage „Was tust du, um glücklich und zufrieden zu sein?“ „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich, und wenn ich esse, dann esse ich. […] Sicher liegt, geht und esst auch ihr. Aber während ihr liegt, denkt ihr schon ans Aufstehen. Während ihr aufsteht, überlegt ihr, wohin ihr geht, und während ihr geht, fragt ihr euch, was ihr essen werdet. So ist eure Aufmerksamkeit ständig woanders und nicht da, wo ihr gerade seid. In dem Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft findet das eigentliche Leben statt. Richtet eure Aufmerksamkeit ganz auf den gegenwärtigen Moment, und ihr habt die Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein.“

Genau das ist mit Achtsamkeit, im Englischen „Mindfulness“, gemeint – das bewusste und urteilsfreie Wahrnehmen der Gegenwart, des Hier und Jetzt, des Gegenübers und der Umgebung, genauso wie das aufmerksame Achten auf die eigenen Gedanken und Gefühle, ohne diese zu werten. Diese Kultur des Bewusstseins und des Gegenwärtig-Seins ist aus der buddhistischen Tradition abgeleitet und dort unter dem Begriff „sati“ bekannt.4 Achtsamkeitsübungen zum Beispiel in Form von Meditation (→), Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) (→), Yoga (→), progressiver Muskelrelaxation (→) oder auch Waldbaden (→) können Symptome von Stress (→), Depression (→) und eben auch Angst (→) wirkungsvoll reduzieren.5

ADRENALIN

„Adrenalin-Kick“, „Adrenalin-Junkies“, „Adrenalin-Motorsport“, „Adrenalin, das Hormon, das uns unbesiegbar macht“ – so wird in Zeitungen und Zeitschriften getitelt. Adrenalin ist in der Tat das Hormon, das uns wach und aufmerksam macht, zu Höchstleistungen befähigt und im Sinne der Angstlust (→) durchaus auch Spaß bringt. Adrenalin ist aber auch das Hormon, das als Hauptakteur des sympathischen Nervensystems (→) bei Angst (→) und Stress (→) eine zentrale Rolle spielt und uns daher hier beschäftigen wird.

Adrenalin, auch als Epinephrin bezeichnet, gehört biochemisch zu den Katecholaminen und wird – wie auch seine Schwestersubstanz Noradrenalin oder Norepinephrin – vom Nebennierenmark produziert und ausgeschüttet. Noradrenalin wird zusätzlich im sympathischen Nervensystem (→) und insbesondere in einer als Locus coeruleus (lat. himmelblauer Ort) bezeichneten Region des Hirnstamms gebildet. Im Gehirn wirkt Noradrenalin als Neurotransmitter (→), also als Nervenbotenstoff, und bindet an sogenannte Adrenozeptoren, die in α1-, α2- und β-Rezeptoren unterteilt werden. Das Recycling von Noradrenalin findet über die Rückaufnahme in die Nervenzelle mittels des Noradrenalin-Transporters statt.6

Von der basalen Aktivität, sozusagen dem Hintergrundrauschen des Adrenalin- und Noradrenalin-Systems, ist die kurzfristige, die sogenannte „phasische“, akute Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin zu unterscheiden. Letztere spielt gemeinsam mit Cortisol (→) eine zentrale Rolle in unserem Alarmsystem (→) bei Gefahr im Verzug, also bei der akuten Angst- und Stress-Reaktion. Über eine vermehrte Durchblutung der Muskeln sowie eine Erhöhung von Herzfrequenz und Blutdruck ermöglicht sie unserem Körper die „Fight“-, „Flight“- oder „Freeze“-Reaktion (→) und macht damit das Überleben in einer Situation der Bedrohung (→) wahrscheinlicher.

Bei Angsterkrankungen geht man davon aus, dass die Basis-Aktivität des Adrenalin- und Noradrenalin-Systems chronisch vermindert ist, wodurch die Rezeptoren übersensibel reagieren, wenn sie im Rahmen einer phasischen Ausschüttung plötzlich von Adrenalin und Noradrenalin geflutet werden. Daher werden in der medikamentösen Therapie von Angsterkrankungen unter anderem kombinierte Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) (→) eingesetzt, die neben dem Serotonin-Transporter eben auch den Noradrenalin-Transporter blockieren. Dadurch steht für die Weitergabe des Noradrenalin-Signals wieder genug Nervenbotenstoff zur Verfügung, und die basale Aktivität des Adrenalin- und Noradrenalin-Systems kann sich somit normalisieren.7

AGORAPHOBIE

Mehrfach hat Johanna in den letzten Wochen Panikattacken erlitten – zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie weiß nicht, warum. Zweimal im Supermarkt, einmal in der U-Bahn und öfters auchin der Vorlesung an der Uni. Jedes Mal war das für sie eine Katastrophe, einmal musste sogar der Notarzt kommen, weil die Leute dachten, Johanna hätte einen akuten Asthmaanfall. Je häufiger sie diese Attacken überfielen, umso mehr Sorgen machte sie sich, dass ein solcher Zustand wieder auftreten könnte. Sie hatte richtiggehend Angst vor der Angst. In der Folgezeit vermied sie öffentliche Verkehrsmittel, insbesondere die U-Bahn, und nahm an den Vorlesungen online von zu Hause aus teil. Schließlich fiel es ihr zunehmend schwer, einkaufen zu gehen, ja, überhaupt die Wohnung zu verlassen. Jetzt fühlt sie sich fast eingesperrt. Ihr Psychologe sagt, das sei eine Agoraphobie. Sie fragt: Was ist das?

Erstmals beschrieb der Berliner Psychiater Carl Westphal 1872 in einer Publikation mit dem Titel „Die Agoraphobie, eine neuropathische Erscheinung“ die Symptomatik grundloser Ängste vor öffentlichen Plätzen, wie dies auch die griechische Wortherkunft nahelegt („agora“: der Marktplatz, „phobos“: die Furcht).8 Nach heutigem Verständnis bezieht sich das Erkrankungsbild der Agoraphobie auf eine Vielzahl von Situationen und Orten. Gemäß dem modernen psychiatrischen Klassifikationssystem ICD-10 handelt es sich um Befürchtungen bis hin zu Angstattacken, wenn es darum geht, das Haus zu verlassen, Geschäfte zu betreten, in Menschenmengen und auf öffentlichen Plätzen zu sein oder alleine mit Bahn, Bus oder Flugzeug zu reisen. Die Patienten fürchten dabei, in eine Situation zu geraten, aus der es keinen Ausweg gibt und in der bei einem medizinischen oder anderen Notfall keine Hilfe erreichbar ist. Entsprechend vermeiden (→) Betroffene diese Situationen aktiv oder können sie nur in Anwesenheit einer Begleitung bewältigen. Häufig stellt sich die Agoraphobie wie bei Johanna nach Panikattacken (→) ein, die sich aufgrund der ausgeprägten körperlichen Symptome mitunter wie ein akuter medizinischer Notfall anfühlen können.9 Die Therapie der Wahl ist gemäß nationalen Leitlinien (→) eine kognitive Verhaltenstherapie (→), bei der insbesondere die Exposition (→), also die therapeutengeleitete Konfrontation (→) mit den gefürchteten Situationen, im Vordergrund steht.10 In schwerer ausgeprägten Fällen kann auch eine medikamentöse Therapie mit gut verträglichen Antidepressiva (→) infrage kommen.

ALARM und ALARMSYSTEM

Schreck (→), Furcht (→) und Angst (→) fungieren als unser körpereigenes Alarmsystem. Sie zeigen an, wenn eine Bedrohung (→) im Raum steht oder eine potenzielle Gefahr im Verzug ist, sie erhöhen die Grundanspannung, das „Arousal“ (→), sie machen wach und wachsam. Sie bereiten uns für die „Fight“-‚ „Flight“- oder „Freeze“-Reaktion (→) vor und optimieren damit die Chancen für das Überleben. Ganz so wie in einem Tierexperiment des Biologen Lee Alan Dugatkin, bei dem genetisch modifizierte ängstliche Guppies in einem gemeinsamen Aquarium mit ihrem Fressfeind, dem Schwarzbarsch, signifikant länger am Leben blieben als ihre genetisch mutigeren Verwandten, die dem Schwarzbarsch innerhalb von kürzester Zeit zum Opfer fielen.11„Angst ist für das Überleben unverzichtbar“, formulierte schon die Philosophin Hannah Arendt, oder „Best safety lies in fear“, heißt es in William Shakespeares Hamlet.

Manchmal ist diese eigentlich äußerst sinnvolle „Alarmanlage“ allerdings überempfindlich, und es kommt zu Fehlalarmen, zum Beispiel wenn wir Gefahren überschätzen, uns unangebracht viele Sorgen (→) machen oder unsere Amygdala (→) unkontrolliert als Bedrohungsdetektor aktiv ist und aus heiterem Himmel eine Panikattacke (→) auslöst. Solche „falschen Alarme“ können dann zu einer auf Dauer überzogenen Alarmbereitschaft und damit zur Entstehung von Angsterkrankungen führen.

ALBTRÄUME

Sabine, eine Patientin mit einer generalisierten Angststörung, träumt im Rahmen ihrer katastrophisierenden Sorgen um das Wohl ihrer 18-jährigen Tochter Sophia immer wieder, dass Sophia auf einer Party ist, tanzt, Alkohol trinkt und dabei ein Betäubungsmittel untergeschoben bekommt, unter dessen Einfluss sie ausgeraubt und vergewaltigt wird. Sabine wacht dann voller Angst, schweißgebadet und mit Herzklopfen auf.

Albträume sind mit dem Gefühl der Angst verbundene Träume – „Angstträume“ also, an die man sich anders als beim Pavor nocturnus (→) beim Aufwachen lebhaft und detailliert erinnert. Sie wiederholen sich oft in gleicher oder ähnlicher Form und können zu Schlafstörungen (→) führen. Albträume können isoliert auftreten oder auch im Gefolge von Angsterkrankungen wie zum Beispiel der generalisierten Angststörung (→) oder der Trennungsangststörung (→).

Die Behandlung von belastenden Albträumen kann durch Entspannungsverfahren (→) und spezifische psychotherapeutische Techniken wie die „Imagery Rehearsal“-Therapie (IRT) erfolgen. Die IRT – ins Deutsche übertragen das Einüben von Vorstellungen – kann sowohl im Rahmen der Selbsthilfe (→) als auch Therapeuten-geleitet angewendet werden.12 Bei der IRT lernen die Betroffenen, das „Drehbuch“ ihrer Albträume im wachen Zustand mit einem alternativen Ende umzuschreiben, das heißt, sich ganz konkret einen guten Ausgang zu überlegen, der keine Angst hervorruft. Diese abgewandelte Handlung stellt man sich dann über mehrere Wochen immer wieder möglichst intensiv vor und kann damit den Verlauf des Traums positiv beeinflussen. Sabine, unsere oben vorgestellte Patientin, würde also das Drehbuch ihres Albtraums beispielsweise folgendermaßen umschreiben: Ihre Tochter Sophia ist auf einer Party, tanzt, trinkt Alkohol, und wird – Achtung: jetzt kommt die alternative Wendung – später von zwei der Mutter bekannten Freundinnen nach Hause begleitet und kommt wohlbehalten dort an. Bei extrem ausgeprägten Albträumen empfehlen Studien auch die pharmakologische Behandlung mit dem Medikament Prazosin, das die Wirkung von Adrenalin (→) an den Nervenzellen blockiert, in Deutschland aber derzeit nicht erhältlich ist.13 Bei Albträumen im Zusammenhang mit Angsterkrankungen ist häufig zu beobachten, dass sich die Albträume verflüchtigen, wenn die zugrunde liegende Angsterkrankung leitliniengerecht behandelt wird. Wenn die Albträume durch ein Trauma (→) bedingt sind, sollte man sich ebenfalls professionelle Hilfe in Form einer Traumatherapie holen.

ALKOHOL

Schon Wilhelm Busch dichtete in seiner „Frommen Helene“: „Es ist ein Brauch von alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör!“14 Und in der Tat ist erhöhter Alkoholkonsum eine häufige Begleiterscheinung von Angsterkrankungen, insbesondere der sozialen Phobie (→), der Panikstörung (→) und der Agoraphobie (→).15

Warum? Vielleicht kennen Sie das: Alkohol kann kurzfristig entspannend und angstlösend wirken, indem er an den Gammaaminobuttersäure (GABA) (→)-Rezeptor andockt, der eine inhibitorische und damit beruhigende Wirkung vermittelt. So greifen Schüchterne vor der Betriebsfeier gern zu einem Piccolo oder finden das „Vorglühen“ hilfreich, um auf einer Party Hemmungen abzubauen und sozial lockerer zu werden. Besorgte versuchen ihren Kummer in Alkohol zu ertränken, müssen aber bald erkennen, dass Sorgen – wie Heinz Rühmann gesagt haben soll – gute Schwimmer sind.

Mittelfristig, d. h. in der Nacht oder am Morgen nach dem Alkoholkonsum, folgt nämlich oft die sogenannte „Hangxiety“, eine Wortverschmelzung aus „Hangover“ und „Anxiety“. Dem normalen „Kater“ gesellt sich dann ein „psychischer Kater“ mit verstärkter Ängstlichkeit (→), übermächtigen Sorgen (→) oder intensivierten Panikattacken (→) hinzu. Dies, weil der sinkende Alkoholspiegel auf der einen Seite zu einer verringerten Stimulation der beruhigenden GABA-Rezeptoren und auf der anderen Seite zu einem relativen Überschuss des Nervenbotenstoffs Glutamat (→) führt, was für einen Anstieg des Anspannungs- und Angstniveaus sorgt.16

Langfristig droht bei regelmäßigem Alkoholkonsum die Abhängigkeit. Als Folge einer Angsterkrankung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Suchterkrankung in der Tat auf fast das Doppelte.17 Eine solche Alkohol- oder andere Substanzabhängigkeit beeinflusst dann wieder die Behandlung von Angsterkrankungen negativ, d. h. die Patienten profitieren weniger von einer Psychotherapie (→) oder Psychopharmakotherapie (→), haben eine höhere Rückfallwahrscheinlichkeit und ein erhöhtes Risiko für Suizidalität (→).18

Es empfiehlt sich bei einer Angsterkrankung also definitiv nicht, dem Rat des selbsternannten „Panikpräsidenten“ Udo Lindenberg aus seinem Song „Hoch im Norden“ (1972) zu folgen: „Keine Panik auf der Titanic, / Jetzt trinken wir erstmal einen Rum mit Tee.“

AMYGDALA

„Eine Nabe im Rad der Furcht“ – so beschreibt der berühmte amerikanische Neurowissenschaftler und Emotionsforscher Joseph E. LeDoux die Rolle der Amygdala in unserem Nervensystem als die zentrale Relaisstation für das Erkennen von Bedrohungen und damit in der Folge für die Auslösung von Angst und Furcht.19

Bei der Amygdala (griech.: Mandelkern) mit ihren verschiedenen Untereinheiten handelt es sich um eine entscheidende Struktur des sogenannten limbischen Systems (→), einer Gruppe von Gebieten in unserem Gehirn, die für die Entstehung und Verarbeitung von Emotionen verantwortlich ist. Dabei kommt der Amygdala eine besondere Rolle bei der Wahrnehmung und Interpretation von Reizen zu, die eine mögliche Bedrohung (→) darstellen, woraus sich dann eine Angstreaktion entwickeln kann. Auch scheint sie eine zentrale Bedeutung beim „Erlernen“ von Furcht und Angst zu haben, beispielsweise durch den Vorgang der Konditionierung (→). Ebenso sind bestimmte Zellbereiche in der Amygdala in der Lage, Erlebnisse von Bedrohung zu speichern, auch wenn diese bereits lange zurückliegen. Durch Stress (→) kann eine Reaktivierung dieser Erinnerung herbeigeführt werden. Entsprechend werden Fehlfunktionen der Amygdala mit der Entstehung von Angsterkrankungen in Verbindung gebracht.

Die Amygdala und die mit ihr verbundenen Gehirnstrukturen werden auch als Furchtnetzwerk bezeichnet. Hierzu gehören neben der Amygdala und dem benachbarten Gebiet des „Bed Nucleus der Stria Terminalis“ (→) unter anderem der Hirnstamm, der Hypothalamus, der Hippocampus (→), der präfrontale Kortex (→) und die für die Interozeption (→), also die Wahrnehmung von Körpersignalen zuständige Insula.20

ANGST

Angst ist zunächst einmal eine völlig normale Grundemotion (→) des Menschen, gehört also zum Basisinstrumentarium unserer Gefühle. Angst entsteht aus der beklemmenden Empfindung der Bedrohung (→), der Unsicherheit oder der Besorgtheit. Der deutsche Begriff „Angst“ leitet sich aus dem Lateinischen von „angustia“ („die Enge“) bzw. „angere“ („erwürgen“, „die Kehle zuschnüren“, „erdrosseln“) ab.21 Die Angst – ein beengender Zustand, der einem die Luft nimmt. Entsprechend äußert sich die Angst neben der Gefühlsebene auch körperlich als Atemnot (→), Herzklopfen (→), Zittern (→), Schwindel (→), Schwitzen (→) oder Ohnmachtsgefühl (→). Zudem hat Angst eine kognitive Dimension in Form von katastrophisierenden Gedanken, Bedenken oder Sorgen (→).

Wie schon von Sigmund Freud formuliert, ist die „Angst“ von der „Furcht“ (→) abzugrenzen: „Angst bezeichnet einen gewissen Zustand wie Erwartung der Gefahr und Vorbereitung auf dieselbe, mag sie auch eine unbekannte sein; Furcht verlangt ein bestimmtes Objekt, vor dem man sich fürchtet.“22 Man „hat“ also Angst, aber man fürchtet sich „vor etwas“. Die Angst ist im Gegensatz zur Furcht nicht gerichtet, reagiert nicht auf ein bestimmtes Objekt oder eine klar definierte Situation, sondern ist ein eher unvorhersehbar auftretendes, unbestimmtes, frei flottierendes Gefühl, das sich entweder auf nichts Bestimmtes bezieht oder auf eine lediglich gedanklich vorweggenommene potenzielle Gefahr („antizipatorische Angst“). Mit den Worten des Philosophen Martin Heidegger: „Das Wovor der Angst ist das In-der-Welt-sein als solches […] das Wovor der Angst ist kein innerweltliches Seiendes … Das Wovor der Angst ist völlig unbestimmt […] daß das Bedrohende nirgends ist, charakterisiert das Wovor der Angst. Das Drohende kann sich deshalb auch nicht aus einer bestimmten Richtung her innerhalb der Nähe nähern, es ist schon ‚da‘ – und doch nirgends, es ist so nah, daß es beengt und einem den Atem verschlägt – und doch nirgends […] Das Wovor der Angst ist die Welt als solche“.23

Wie es der Philosoph Rüdiger Safranski einmal im persönlichen Gespräch formulierte, sollte uns das Gefühl der Angst sozusagen als „Diagnostikum“ dazu anregen, möglicherweise dysfunktionale oder gar gefährdende Lebensumstände in unserer Welt genauer zu untersuchen und zu hinterfragen, um diesen dann mit dem Mut (→) als „Therapeutikum“ zu begegnen.

Die Angst kann sich aber auch von ihrer sinnvollen Funktion lösen, sich selbstständig machen und – wie Ingeborg Bachmann schrieb – zum „Überfall“, zum „Terror“ werden, zum „massiven Angriff auf das Leben“, zum „Fallbeil, zu dem man unterwegs ist in einem Karren zu seinem Henker, angeblickt von einer verständnislosen Umgebung“.24 In diesem Fall sprechen wir dann von behandlungsbedürftigen Angsterkrankungen wie zum Beispiel der Panikstörung (→) oder der generalisierten Angststörung (→), die mit erheblichen Einschränkungen im alltäglichen, sozialen oder beruflichen Leben und einem deutlichen Leidensdruck einhergehen.

ANGSTBEISSER

Als Angstbeißer werden in der Tierpsychologie Hunde bezeichnet, die aus Unsicherheit und Schreckhaftigkeit heraus viele Situationen als vermeintlich bedrohlich erleben und versuchen, sich mit aggressivem Bellen oder eben Beißen zu schützen. Im übertragenen Sinn bezeichnet man zum Beispiel Politiker oder Manager als Angstbeißer, wenn sie sich in ihrer Position – berechtigt oder nicht – bedroht fühlen und aus dieser Angst heraus zu Präventivschlägen ausholen oder einen aggressiven Führungsstil an den Tag legen. Und auch bei Patienten, gerade männlichen Geschlechts (→), kann Aggressivität aus einer Angststörung erwachsen oder eine eigentlich zugrunde liegende Angsterkrankung verdecken.25 So wurden bei Jugendlichen wie auch bei Erwachsenen mit einer Panikstörung (→) oder einer sozialen Phobie (→) signifikant mehr Wutausbrüche und Phasen pathologischen Jähzorns („Intermittent Explosive Disorder“) identifiziert als bei einer Kontrollgruppe ohne Angsterkrankungen.26

Die evolutionäre Erklärung wäre, dass hier auf eine wahrgenommene Bedrohung (→) und die dadurch ausgelöste Angst eine Verteidigungs- und Kampf-, also „Fight“-Reaktion (→) erfolgt. Aggressives Verhalten kann aber auch als psychodynamischer Mechanismus der Abwehr von Angst verstanden werden. So lässt sich das unangenehme Gefühl der Angst durch das Gefühl des Zorns überdecken und dadurch besser aushalten. Dabei wird die Angst im Zuge passiv erlebter Bedrohungen, Frustrationen oder Entbehrungen bewusst oder unbewusst in aktives Handeln in Form aggressiven Verhaltens überführt, wodurch die Hilflosigkeit, die Ohnmacht (→) der Angst in die Selbstwirksamkeit des „Beißens“ umgewandelt wird. Aggression kann schließlich auch der Wiederherstellung von Selbstsicherheit dienen und ein integriertes Selbstgefühl vermitteln, wenn die Angst aus einer großen Selbstunsicherheit resultiert und man im Grunde Angst vor einem „Selbstverlust“ hat27 – als „Angstbösewicht“ wird der „Wicht“ dann „wichtig“.

ANGSTBLÜTE

Die „Angstblüte“ ist unter Botanikern ein Begriff für das üppige letzte Austreiben von Pflanzen vor deren Vergehen, die sogenannte Notfruktifikation oder Notreife. Wenn sterbende Pflanzen aufgrund ihres Lebensalters bzw. in Phasen der Kälte, Nässe oder Dürre ihr Ende nahen fühlen, tun sie alles, um noch rasch ihre Gene weiterzutragen und den Arterhalt zu sichern. Apfelbäume bilden dann im Herbst neben reifenden Früchten gleichzeitig neue Blüten, im Wald finden sich massenhaft Eicheln, Kastanien und Bucheckern auf dem Boden.28

Im übertragenen Sinn könnte man mit Blick auf ein Menschenleben die „Angstblüte“ als das letzte Aufblühen im höheren Lebensalter verstehen, als den Versuch, vor dem Tod alles noch einmal in vollen Zügen zu erleben. Mit der Angstblüte bäumt man sich auf gegen die Todesangst (→) und trägt der Torschlusspanik (→) bzw. FOMO (→), der „Fear of Missing Out“ Rechnung. Und genau darum geht es in Martin Walsers Roman „Angstblüte“, in dem der alternde Protagonist Karl von Kahn geschäftlich und privat ein letztes Mal zu ganz großer Form aufläuft. Getrieben von der Frage „Soll das alles sein?“, von der Sorge, etwas verpasst zu haben, und von der Angst vor der eigenen Vergänglichkeit „simuliert“ von Kahn auf dem Bankkonto und im Bett noch einmal „das Leben“, muss aber letztlich erkennen, dass Zinseszinseffekte und die junge Geliebte Joni seine ihm gesetzte Lebensspanne auch nicht mehr zu verlängern in der Lage sind.29

ANGSTGEGNER

Der Begriff des „Angstgegners“ war schon den alten Römern als Furcht vor bestimmten Feinden des Römischen Reichs bekannt – zum Beispiel in Form des spätestens durch Asterix bekannt gewordenen „metus Gallicus“, der Angst vor den unbesiegbaren Galliern.30 In unserer Zeit wird vom „Angstgegner“ primär im Bereich des Sports gesprochen. So stellte zum Beispiel Fußball-Rekordmeister Bayern München in der Bundesliga, beim Europapokal oder in der Champions League für viele Mannschaften lange den Inbegriff des Angstgegners dar. Im Tennis könnte man vielleicht Novak Djokovic, mit 400 Wochen Rekordhalter als Nummer 1 der Weltrangliste, als einen solchen Angstgegner bezeichnen.

Man erwartet – durchaus aus Erfahrung heraus, aber auch im Rahmen einer Art Legendenbildung – die haushohe Überlegenheit des Gegners, antizipiert das eigene Unterliegen und entwickelt eine klassische Versagensangst (→). Dabei unterschätzt man häufig die eigene Potenz bzw. überschätzt das Leistungsniveau des Gegners und entwickelt vor der entscheidenden Begegnung eine hohe Erwartungsangst. Die Negativbotschaften an sich selbst durch den inneren Zweifler „Angst“ lähmen und verhindern den Zugriff auf die eigenen Ressourcen, was im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung dann tatsächlich zur Niederlage führen kann. In den Worten der Tennislegende Björn Borg: „If you are afraid of losing, then you dare not win“ – also, wenn man sich vor dem Verlieren fürchtet, traut man sich nicht zu gewinnen. Das Gefühl der Verletzlichkeit ist hier viel gefährlicher als die Verletzbarkeit selbst. Wie William Shakespeare gesagt haben soll: „Was Macht hat, mich zu verletzen, ist nicht halb so stark wie mein Gefühl, verletzt werden zu können.“

Sportwissenschaftler empfehlen, die übersteigerte Angst vor dem Gegner auf ein mittleres Maß zurückzudrängen und eher eine Haltung des Respekts als der Angst einzunehmen, um damit – ganz im Sinne des Yerkes-Dodson-Gesetzes (→) – das optimale Leistungsniveau abrufen zu können.31

ÄNGSTLICHKEIT

„Ich glaube oft oder immer, dass mir meine Schwierigkeiten über den Kopf wachsen.“

„Ich mache mir oft oder immer zu viele Gedanken über unwichtige Dinge.“

„Ich mache mir oft oder immer Sorgen über mögliches Missgeschick.“

„Ich werde oft oder immer nervös und unruhig, wenn ich an meine derzeitigen Angelegenheiten denke.“32

Stimmt man diesen Aussagen aus dem „State-Trait-Angstinventar“ (STAI) des amerikanischen Psychologen Charles Spielberger zu, darf man sich wohl eher zur ängstlichen Fraktion der Menschheit rechnen. Diese überdauernde Charakter- oder Persönlichkeitseigenschaft, Situationen als bedrohlich zu bewerten, bezeichnet man als Ängstlichkeit, als sogenannte „trait anxiety“. Im Gegensatz dazu ist die Angst (→) als aktueller Zustand, als „state anxiety“, zu verstehen.

ANGSTLUST

Die Lust an der Angst, der freiwillig gesuchte „Nervenkitzel“, der „wohltuende Schauder“, die „Mutprobe“, der „Thrill“, der „Kick“, der „Flirt mit der Gefahr“, das „auf die Folter Spannen“, der „delightful horror“, die „Libidinisierung der Angst“ – für diese „Mischung von Furcht, Wonne und zuversichtlicher Hoffnung angesichts einer äußeren Gefahr“ prägte der ungarische Psychologe Michael Balint den Begriff der „Angstlust“.33 Schon Johann Gottfried Herder verknüpfte die Furcht mit dem Angenehmen („Da schwand der furchtbar-angenehme Traum“),34 genau wie Friedrich Nietzsche die Gefahr mit dem Reiz und die Furcht mit der Lust („Wer vom Reiz der Gefahr spricht, kennt die Lust an der Emotion der Furcht an sich.“).35 Oder wie es im Bass-Arioso in der Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach heißt: „Betrachte, meine Seel’, mit ängstlichem Vergnügen, mit bittrer Lust und halb beklemmtem Herzen.“36

Angst kann also bis zu einem gewissen Grad auch Spaß machen und der Unterhaltung dienen wie zum Beispiel in der Geisterbahn, beim Bungee-Jumping, in der Achterbahn, bei einem Kriminalroman, einem Schauermärchen und einem Horrorfilm mit Monstern, Serienmördern oder Vampiren.

Entscheidend für die Lust am Schrecklichen ist aber, dass man sich selbst in einer Position der Sicherheit befindet bzw., wie es schon Johann Wolfgang von Goethe formulierte: „Es ist wunderbar […], daß der Mensch durch Schreckliches immer aufgeregt sein will. […] Es ist an Mord und Totschlag noch nicht genug, an Brand und Untergang; die Bänkelsänger müssen es an jeder Ecke wiederholen. Die guten Menschen wollen eingeschüchtert sein, um hinterdrein erst recht zu fühlen, wie schön und löblich es sei, frei Atem zu holen.“37 Analog Aristoteles’ Definition der griechischen Tragödie kann eine solche Surrogaterfahrung, also die ersatzweise Erfahrung überstandener Angst, einer „Reinigung der Gefühle“, der sogenannten „Katharsis“, dienen und damit in zukünftigen angstauslösenden Situationen emotional widerstandsfähiger machen bzw. die Resilienz (→) stärken.38

ANGSTSENSITIVITÄT

Es gibt Menschen, die bereits eine geringfügige Atemnot (→) als Hinweis darauf interpretieren, gleich zu ersticken, einen leichten Schwindel (→) als Vorboten einer Ohnmacht (→) wahrnehmen, einen harmlosen Extraschlag des Herzens, eine sogenannte Extrasystole, und Herzklopfen (→) als sichere Indikatoren für einen Herzinfarkt oder einen eingeschlafenen Arm als Anzeichen eines Schlaganfalls ansehen. Diese übersteigerte Furcht vor körperlichen, insbesondere herz- und atmungsbezogenen Symptomen, wird als erhöhte Angstsensitivität bezeichnet und kann über den „Anxiety Sensitivity Index“ (ASI) mittels eines Fragebogens gemessen werden.39 Eine hohe Angstsensitivität ist meist mit einer gesteigerten Sensibilität für körpereigene Empfindungen, also einer besonders guten Fähigkeit zur Interozeption (→), verbunden. Entscheidend für eine hohe Angstsensitivität ist die katastrophisierende Fehlinterpretation solcher Signale aus dem Körperinneren, die den Einstieg in den Teufelskreis der Angst (→) bedeuten kann. Entsprechend haben Menschen mit einer ausgeprägten Angstsensitivität ein erhöhtes Risiko, an einer Panikstörung (→) zu erkranken.40

Mit dem Ziel der Prävention (→) von Angsterkrankungen wurde das sogenannte „Cognitive Anxiety Sensitivity Treatment“ (CAST) entwickelt, das auf Basis von allgemeinen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Prinzipen und interozeptiven Expositionsübungen (→) unter Verwendung der Strohhalmatmung und der Hyperventilation die Angstsensitivität und damit das Risiko für Angststörungen senken kann.41 Auch über die Technik des Biofeedback (→) lässt sich eine erhöhte Angstsensitivität reduzieren, indem Angst-assoziierte körperliche Symptome akustisch oder visuell zurückgemeldet werden, was den Betroffenen eine aktive Steuerung dieser Symptome erlaubt.

ANTIDEPRESSIVA

Obwohl ursprünglich für die Behandlung der Depression (→) entwickelt, zeigen Antidepressiva bei Angststörungen gleichermaßen eine gute Wirksamkeit. Antidepressiva gehören der Klasse der Psychopharmaka an. Etwas vereinfacht ausgedrückt entfaltet sich die Wirkung dieser Medikamente durch einen regulierenden Eingriff in den Stoffwechsel unseres Nervensystems – ungefähr so, wie Medikamente gegen Diabetes in die Regulation unseres Zuckerstoffwechsels eingreifen. Allerdings ist die Wirkweise komplex, weswegen es etwa drei Wochen dauert, bis sich der Effekt auf die psychischen Symptome bemerkbar macht. Mittlerweile ist eine Vielzahl an unterschiedlichen Substanzen verfügbar. Eingeteilt werden sie unter anderem auf Basis ihres pharmakologischen Wirkprinzips. Dabei spielen vor allem die Wiederaufnahmehemmung der Nervenbotenstoffe (→) Serotonin (→) und Noradrenalin (→) durch Blockade der jeweiligen Transportermoleküle, die Aktivierung oder Hemmung bestimmter Rezeptoren oder Rezeptor-Subtypen sowie die Abbauhemmung von Neurotransmittern durch Herunterregulation bestimmter Enzyme eine wichtige Rolle.42

Zu den wichtigsten Substanzgruppen in der Therapie von Angsterkrankungen gehören die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) (→) sowie die selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) (→). Diese wurden in zahlreichen Studien und Metaanalysen untersucht und gelten allen nationalen wie internationalen Leitlinien (→) zufolge als hochwirksam, gut verträglich und damit als Substanzen der ersten Wahl. Eine Zulassung besteht darüber hinaus für das trizyklische Antidepressivum Clomipramin und den reversiblen Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) Moclobemid.43

Je nach Diagnose existieren Leitlinien-Empfehlungen im Hinblick auf bestimmte Präparate und deren Dosierung, basierend auf der jeweiligen Studienlage. Zu den am häufigsten bei der Panikstörung (→), der Agoraphobie (→), der sozialen Angststörung (→) und der generalisierten Angststörung (→) eingesetzten Substanzen gehören die SSRI Citalopram, Escitalopram, Paroxetin und Sertralin sowie die SNRI Duloxetin und Venlafaxin. Dabei sollen Antidepressiva zur Behandlung von Angststörungen insbesondere dann eingesetzt werden, wenn ein mittlerer oder hoher Schweregrad der Erkrankung vorliegt oder mit anderen Verfahren, zum Beispiel einer Psychotherapie (→), keine Besserung der Symptomatik zu erzielen war. Laut Leitlinien und nach unserer klinischen Erfahrung sollte die medikamentöse Therapie bei Patienten mit Angsterkrankungen nach Eintreten der Remission, also dem vollständigen Verschwinden der Symptome, noch sechs bis 12 Monate fortgeführt werden. Die Dauer kann verlängert werden, wenn ein Absetzversuch zu einem Wiederauftreten der Angstsymptomatik führt, wenn der Krankheitsverlauf besonders schwer war oder wenn sich aus bestimmten Aspekten Hinweise auf eine längere Behandlungsnotwendigkeit ergeben.44

Trotz guter und nachgewiesener Wirksamkeit sowie internationaler Leitlinienempfehlung herrscht bezüglich des Einsatzes von Antidepressiva in Deutschland immer noch eine gewisse Ambivalenz – sowohl bei Patienten als auch auf Seiten mancher Ärzte und Psychotherapeuten. Auch Sie haben bestimmt schon Schlagzeilen gelesen wie „Antidepressiva – Fluch oder Segen“, „Medikamente gegen Depression – Teufelszeug oder Anker“ oder „Antidepressiva – Gefährliche Helfer“. Neben der Sorge im Hinblick auf mögliche Nebenwirkungen spielen insbesondere eine befürchtete Medikamentenabhängigkeit (→) oder das Vorurteil, dass Antidepressiva die Persönlichkeit verändern könnten, eine große Rolle.45

Umso wichtiger ist es hier hervorzuheben, dass im Rahmen des Einsatzes von Antidepressiva im Vergleich zu anderen Substanzen, wie zum Beispiel Benzodiazepinen (→), eine Abhängigkeitsentwicklung nicht festgestellt werden kann. Antidepressiva machen weder high, noch sind sie auf dem Drogenmarkt zu finden, man muss die Dosis nicht steigern, um den gleichen Effekt zu erzielen, und entwickelt kein „Craving“, also kein Verlangen nach dem Medikament. Auch kommt es nicht wie bei anderen abhängigkeitserzeugenden Substanzen zu Entzugssymptomen. Lediglich bei etwa 15 Prozent der Patienten treten gegebenenfalls leichte Absetzsymptome auf, die aber zeitlich limitiert sind und aller Erfahrung nach durch ein schrittweises Ausschleichen über mehrere Wochen oder Monate deutlich reduziert werden können.46 Auch muss mit dem Mythos aufgeräumt werden, dass Antidepressiva die Persönlichkeit, also die wesentlichen und ihn individuell ausmachenden Eigenschaften des Menschen, verändern – vielmehr lassen sie im Idealfall die eigene Persönlichkeit befreit von übermäßigen Ängsten und Sorgen wieder zum Vorschein kommen.

Die kritische Grundhaltung in Deutschland zu Antidepressiva ist umso erstaunlicher, als viele andere, durchaus tatsächlich als problematisch einzustufende und in ihrer Wirksamkeit nicht belegte Substanzen wie zum Beispiel Cannabis (→) oder bestimmte nicht evidenzbasierte Psychotherapieverfahren als unbedenklich wahrgenommen werden. Der wissenschaftlich fundierten Information und Aufklärung von Patienten wie Professionellen kommt daher weiterhin eine zentrale Bedeutung zu.

ANTIKONVULSIVA

Bei Antikonvulsiva, auch Antiepileptika genannt, handelt es sich eigentlich um Medikamente zur Behandlung der Epilepsie. Interessanterweise konnte in großen randomisiert-kontrollierten Studien gezeigt werden, dass ein bestimmtes Antikonvulsivum, die Substanz Pregabalin, auch gegen Angst hilft.47 Pregabalin wurde für die Behandlung der generalisierten Angststörung (→) zugelassen und weist neben der angstlösenden auch eine beruhigende Wirkung auf.48

Der Effekt kommt zustande über die Wirkung an sogenannten Ionenkanälen, Lücken in der Zellwand, die Kalzium in die Zelle eintreten lassen. Werden diese Kanäle durch Pregabalin moduliert, kommt es zu einer Herabsetzung der Erregbarkeit von Nervenzellen, was die angstlösende Wirkung ermöglicht.49

Die Substanz ist im Allgemeinen gut verträglich, Müdigkeit und Schwindel können allerdings als Nebenwirkungen auftreten. Darüber hinaus gibt es Berichte über den Missbrauch von Pregabalin vor allem bei Patienten mit Opiatabhängigkeit oder einer anderen Drogen- bzw. Medikamentenabhängigkeit (→) – allerdings meist in Dosisbereichen, die weit über der Zulassung liegen.50 In den Leitlinien (→) zur Behandlung von Angststörungen wird daher empfohlen, von der Verwendung von Pregabalin bei Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen Abstand zu nehmen.51 Die über ein mögliches Abhängigkeitspotential noch hinausgehenden alarmistischen Schlagzeilen aus dem Frühjahr 2024 wie „Tausende Todesfälle durch beliebtes Medikament?“ konnten im Rahmen einer eingehenden Analyse der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft entkräftet werden: Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch von Pregabalin besteht kein Anlass zur Sorge.52

AROUSAL

Der englische, aber mittlerweile auch im Deutschen etablierte Begriff „Arousal“ wird häufig im Sinne von sexueller Erregung verwendet, steht aber primär für den ganz generellen Erregungs-, Anspannungs-, Aktivierungs- oder Wachheitsgrad unseres zentralen Nervensystems in einem Spektrum von sehr niedrigem „Arousal“, d. h. letztlich dem Schlaf oder gar dem Koma, bis hin zum maximalen „Arousal“ bei starken Schmerzen oder angesichts einer Bedrohung (→).53 Bei Gefahr im Verzug läuft das „Arousal“-System auf vollen Touren, aktiviert das sympathische Nervensystem mit rascher Freisetzung von Adrenalin (→) und bringt die „Fight“-, „Flight“- oder „Freeze“-Reaktion (→) in Gang, um der Bedrohung adäquat und überlebenssichernd begegnen zu können.54 Ein mittlerer Grad von „Arousal“ ist auch – gemäß dem Yerkes-Dodson-Gesetz (→) – für eine optimale Aufmerksamkeits- und Leistungsfähigkeit notwendig.55 Wenn der Zustand der Anspannung allerdings unangemessen häufig auftritt und übermäßig stark ausgeprägt ist, spricht man von einer „Überspannung“, dem sogenannten „Hyperarousal“, das mit Nervosität, Reizbarkeit, muskulärer Verspannung und Schlafstörungen (→) einhergeht und typisch für Angsterkrankungen wie die generalisierte Angststörung (→) ist.

ATMUNG und ATEMNOT

Der Begriff „Angst“ (→) leitet sich etymologisch vom lateinischen Wort „angustia“ („die Enge“) bzw. dem Verb „angere“ („erwürgen“, „die Kehle zuschnüren“, „erdrosseln“) ab. Entsprechend „raubt“ einem die Angst auch im Volksmund „den Atem“ oder „schnürt einem die Luft ab“ respektive „die Kehle zu“, vor Angst kann einem der „Atem stocken“ oder die „Luft“ gleich ganz „wegbleiben“. „Angst atmet anders“, schreibt die Künstlerin Loredana Nemes im Geleit-Gedicht dieses Buchs56 – oder in den Worten des Superstars Madonna: „[…] bis mich wieder eine dieser Panikattacken erwischt. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht genug Luft bekomme […] Meine Panik besteht darin, dass jeder im Raum mir die Luft wegatmet.“57

Der Zusammenhang zwischen Atmung und Angst ist physiologisch komplex. Eine von dem amerikanischen Psychiater Donald F. Klein geprägte Theorie propagierte den sogenannten Erstickungs-Fehlalarm („false suffocation alarm“) als einen möglichen Pathomechanismus von Panikattacken (→).58 Dabei geht man davon aus, dass bei ängstlichen Menschen die für die Messung von Kohlendioxid (CO2) zuständigen Chemorezeptoren im Gehirn eine erniedrigte Reizschwelle für CO2 haben oder sogar spontan aktiv sind und dann analog einem defekten Rauchmelder einen Fehlalarm auslösen. In der Folge beschleunigt sich die Atemfrequenz, um möglichst viel des vermeintlich zu hoch konzentrierten CO2 abzuatmen. Diese Hyperventilation führt dann über einen übermäßigen Verlust von CO2 zu einer sogenannten respiratorischen Alkalose, also einer Erhöhung des Blut-pH-Werts, wodurch Schwindel (→), Herzklopfen (→), Tachykardie und letztlich Angst (→) bis hin zur Panikattacke (→) entstehen. Entsprechend wird bei einer akuten Panikattacke mit Hyperventilation die Rückatmung in eine Tüte empfohlen, um die CO2-Konzentration wieder zu normalisieren.

Um erst gar nicht in diesen Teufelskreis zu geraten, kann in stressreichen Situationen achtsames Atmen sinnvoll sein – gemäß dem Motto „Jetzt erstmal tief durchatmen!“. So werden schon von jeher Atemtechniken in der Heilkunst anderer Kulturen wie zum Beispiel im Yoga (→), speziell dem Pranayama-Yoga, eingesetzt. Ein besonderer Fokus dieser Techniken liegt auf dem langsamen Ausatmen, das den Parasympathikus (→) im Sinne einer Vagusnervstimulation (→) aktiviert und damit beruhigend und angstlösend wirkt. So kann man zum Beispiel beim Einatmen bis vier zählen, beim Ausatmen aber bis sechs und damit die Ausatemphase etwas verlängern. Oder man praktiziert die Atmung durch nur ein Nasenloch, wobei das linke wohl mit dem entspannenden Parasympathikus verknüpft ist, während die Atmung durch das rechte Nasenloch über eine Stimulation des Sympathikus (→) anregend wirken soll. Erste Studien zeigen tatsächlich positive Effekte dieser Yoga-basierten Atemtechniken nicht nur in stressreichen Situationen, sondern auch bei Angsterkrankungen wie der Panikstörung (→) oder der generalisierten Angststörung (→).59

AUTOGENES TRAINING

„Der rechte Arm ist ganz schwer“, „Das linke Bein wird ganz warm“, „Das Herz schlägt langsam und regelmäßig“, „Die Atmung ist ganz ruhig“ oder „Die Stirn ist angenehm kühl“ – diese formelhaften Sätze kommen beim autogenen Training zum Einsatz. Das Verfahren ist eine ursprünglich von dem deutschen Psychiater, Psychotherapeuten und Psychoanalytiker Johannes H. Schultz entwickelte Entspannungstechnik, die über Autosuggestion, also eine Art Selbstbeeinflussung oder selbst durchgeführte Hypnose (→), zu einer Beruhigung der körperlichen Funktionen wie zum Beispiel von Herzschlag oder Atmung (→) und damit einer psychischen Entspannung bzw. Reduktion von Angst führen kann.60 Das autogene Training ist allerdings wissenschaftlich weniger gut untersucht und in Eigenregie schwieriger zu erlernen als die progressive Muskelrelaxation (PMR) (→) und wird daher in den Leitlinien (→) für die Behandlung von Angsterkrankungen nicht explizit empfohlen.61 Als allgemeine Entspannungstechnik zur Reduktion von Angst hat das Verfahren aber dennoch einen gewissen Stellenwert.62