Das Auge der Fliege Die UnderDocks 2 - Andreas Schlüter - E-Book

Das Auge der Fliege Die UnderDocks 2 E-Book

Andreas Schlüter

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Beschreibung

Ein neuer Fall für Leon Ein nächtlicher Beutezug durch die Schule, eine Einbruchserie in öffentliche Gebäude und Krankenhäuser – und ein Eindringling in der geheimen Zentrale der UnderDocks! Alles Zufall? Leon und sein Superhelden-Team fühlen sich nicht mehr sicher und wollen der Sache nachgehen. Verblüfft stellen sie bald fest, dass der vermeintliche Täter ein Junge in ihrem Alter ist. Victor spricht kein Wort Deutsch und ist auf der Flucht vor einer kriminellen Bande, für die er arbeiten soll, und die gefährliche Pläne mit ihm hat. Klarer Fall für die UnderDocks! Leon, mit seiner Fähigkeit, durch Wände gehen zu können, im Vorteil, tauscht mit Victor Kleidung und Aussehen und lässt sich von der Bande einfangen . . . 

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Seitenzahl: 260

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Andreas Schlüter

Die UnderDocks

Das Auge der Fliege

Mit Illustrationen von Yannik Lüdemann

Deutscher Taschenbuch Verlag

© 2014 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Umschlagkonzept: Balk und Brumshagen

Umschlaggestaltung: Lisa Höfner unter Verwendung von Illustrationen von Yannik Lüdemann

Lektorat: Katja Korintenberg

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

eBook ISBN 978-3-423-42540-7 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-76105-5

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de/ebooks

Eine aufregende Nachricht

Als Leon morgens aufwachte, hatte er gleich so ein seltsames Gefühl, dass heute etwas Außergewöhnliches geschehen würde. Er wunderte sich darüber, denn solche Vorahnungen kannte er nicht.

Hausroboter Paul, eine mit Technik vollgestopfte Schaufensterpuppe, rollte ins Zimmer, um ihn zu wecken. Vor einiger Zeit noch hätte Leon ihn sofort wieder hinausgeschickt. Denn Paul war ursprünglich auch darauf programmiert gewesen, ihm beim Ankleiden zu helfen. Zum Glück hatte Leon seine Eltern aber dazu überreden können, dieses Programm bei Paul zu löschen. Leon war zwölf Jahre alt und brauchte nun wirklich keinen Babysitter mehr, auch keinen elektronischen. So beschränkte sich Pauls Aufgabe darauf, Leon zu wecken und für ihn und seine Eltern im Esszimmer das Frühstück bereitzustellen.

»Du bist schon wach!«, stellte Paul fest. Sich wundern oder überrascht sein konnte er als Roboter nicht. Das einzige Gefühl, das er hin und wieder zeigte, war, beleidigt einzuschnappen. Und zwar so überzeugend, dass er damit der ganzen Familie gehörig auf die Nerven ging. Paul benahm sich manchmal wie eine zickige Diva. Aber heute Morgen war er offenbar gut gelaunt, soweit sich das von einem Roboter sagen ließ.

»Das Frühstück steht in zwanzig Minuten bereit«, teilte er mit und wollte schon wieder zurück in die Küche. Dort arbeitete ein zweiter Roboter als Koch, der nur aus vier Armen, einer Kamera- und einer Sprechfunktion bestand.

»Was gibt’s Neues?«, wolle Leon von Paul wissen. Er sprach jetzt ganz leise, denn diese harmlos klingende Frage galt einem ganz besonderen Geheimnis, von dem seine Eltern nichts ahnten: »Geheimcode null null sieben null.«

Vor einem Jahr hatte Leon zusammen mit seinen Freunden Pep und Linda die UnderDocks gegründet. Der Name war ein Wortspiel aus Underdogs – was so viel wie unterschätzte Außenseiter bedeutete – und den Schiffswerkstätten im Hafen, den Docks. Denn Leon lebte in der Hamburger Hafencity – im Jahre 2051. Die UnderDocks hatten es sich damals zur Aufgabe gemacht, gegen eine kriminelle Jugendbande, die Sharks, vorzugehen, was ihnen auch gelungen war. Die Sharks gab es nun nicht mehr.

Aber die UnderDocks waren zusammengeblieben, um weiter gegen Ungerechtigkeiten und Kriminalität vorzugehen. Auch wenn es seit einem Jahr keinen Fall mehr für sie gegeben hatte.

Leon hatte den Haushaltsroboter Paul jetzt heimlich so programmiert, dass er sich in den Polizeifunk einklinken konnte. Er sammelte dort und auch sonst in den Medien alle aktuellen Informationen über solche Kriminalfälle, die für Leon von Bedeutung sein konnten. Nur das Einloggen in den Polizeicomputer war Leon nicht gelungen. Es wäre auch illegal gewesen und er scheute sich, weiter daran zu basteln.

Auf die Frage nach Neuigkeiten, verbunden mit dem Code 0070, spulte Paul alle gefundenen Nachrichten ab. Wie diese: »Einbruch in der Hafenschule!«

»Was?«, Leon sprang von seinem schwebenden Bett herunter, das wie eine Hängematte frei in der Luft hing. »Das ist meine Schule! Was wurde gestohlen?«

»Dreißig Spinde wurden aufgebrochen!«, berichtete Paul. »Täter unbekannt. Spurensicherung vor Ort!«

»Wow!«, rief Leon. »Das muss ich sofort Pep und Linda erzählen.«

»Frühstück beginnt in fünfzehn Minuten!«, sagte Paul.

»Nix da!«, widersprach Leon. »Keine Zeit. Wir müssen sofort los!«

»Wir?«, fragte Paul.

»Na, du natürlich nicht, Paul! Meine Freunde und ich.«

Paul seufzte erleichtert, was Leon irritiert aufmerken ließ. Das hatte Paul noch nie gemacht. Manchmal hatte Leon den Eindruck, Paul entwickelte allmählich doch so etwas wie Gefühle. Auch wenn das ja eigentlich unmöglich war!

»Ich war noch nie außer Haus«, sagte Paul. Draußen hätte Paul sich vermutlich auch nur schwer zurechtgefunden. Denn darauf war er nicht programmiert.

Leon sprang in seine Hightech-Kleidung, die sich wie immer selbsttätig verschloss. In die Ärmel waren zahlreiche Computerchips und ein kleiner flexibler Bildschirm eingenäht, die ein vollständiges Kommunikationssystem darstellten. Leon drückte zwei Sensoren auf dem Touchscreen am linken Ärmel. Der erste aktivierte das System, der zweite stellte eine Verbindung zu seinem besten Freund her.

Kurz darauf tauchte Pep als dreidimensionale Projektion mitten in Leons Zimmer auf. Leon sah, dass Pep gerade eben sein Haus verließ, um zu Fuß durch die Hafencity zu Leon zu gehen.

Linda hingegen, die nur eine Etage unter Leon wohnte, meldete sich lediglich über den Lautsprecher: »Ich bin im Bad. Was gibt’s?«

Leon erzählte, was er soeben von Paul erfahren hatte. Den beiden war sofort klar, was das bedeutete.

Pep wechselte in den Laufschritt. »Bin gleich da!«

Und auch Linda beeilte sich. »Ich bin in fünf Minuten unten!«

Jetzt brauchte Leon nur noch eine Erklärung für seine Eltern, weshalb er nicht am gemeinsamen Frühstück teilnehmen konnte. Denn die Wahrheit konnte er ihnen unmöglich sagen, ohne Pauls Geheimfunktion aufzudecken. So behauptete er einfach, dass er mit einigen Jungs vor dem Unterricht noch eine Runde »Virtu-table« spielen wollte. Eine Mischung aus Tischtennis und Computerspiel. Man spielte an einer halben, realen Tischtennisplatte. Die Tischhälfte des Gegners dagegen wurde nur virtuell angezeigt, ebenso wie der Gegner. Der virtuelle Gegner aber war nicht eine programmierte Computerfigur, sondern existierte tatsächlich irgendwo auf der Welt und tauchte lediglich als holografische Projektion im Raum auf.

Leon, Pep und Linda trafen sich unten vor der Haustür und sausten auf ihren Gleitgel-Schuhen so schnell wie möglich zur Schule. Wobei Pep richtig laufen musste, weil er mal wieder sehr altmodische Schuhe trug. So wie er auch höchst selten Hightech-Anzüge anzog. Pep liebte seine Kleidung ohne jegliche Technik, die sogar noch nass und schmutzig wurde und richtig gewaschen werden musste. Seine Vorliebe war recht ungewöhnlich für einen technischen Tüftler wie ihn. Aber er war körperlich fit und konnte mit Linda und Leon gut mithalten.

Schon lange war nicht mehr so etwas Aufregendes passiert wie dieser Einbruch in der Schule. Zwei oder drei Wochen zuvor war Leon in der Hafencity selbst Opfer eines Taschendiebs geworden, der ihm das bisschen Bargeld gestohlen hatte, das man immer noch trotz aller elektronischer Zahlungssysteme bei sich trug. Doch selbst dieser Diebstahl war nicht halb so aufregend gewesen wie jetzt diese Meldung.

Der Eingang zum Schulgebäude, in dem die Spinde standen, war bereits abgesperrt, als Leon, Linda und Pep die Schule erreichten. Eine Traube von Schülern reckte davor die Hälse, um irgendwie erkennen zu können, was drinnen vor sich ging. Die Polizei und der Schuldirektor untersuchten die Spuren im Gebäude und schienen bereits die ersten Besitzer der aufgebrochenen Spinde zu befragen. Daneben hatten lediglich zwei Redakteure der Schülerzeitung etwas näher herantreten dürfen, um Informationen für ihren Bericht zu erhalten. Schließlich erschien die Schülerzeitung jeden Mittag um 12 Uhr auf dem großen Display am Schuleingang und natürlich würde der Einbruch heute das Hauptthema sein.

»Da kommen wir nicht durch!«, stellte Pep vor der Absperrung fest.

»Ich schon!«, sagte Leon und grinste.

Ein Spion

Etwa zur gleichen Zeit, als Leon die UnderDocks gegründet hatte, hatte er an sich eine seltsame Gabe bemerkt. Wenn Leon es wollte und gleichzeitig den Atem anhielt, konnte er durch Wände gleiten! Außer Pep und Linda wussten nur noch die zwei weiteren Mitglieder der UnderDocks von dieser seltsamen Fähigkeit: die Geschwister Kevin und Tanja aus Downtown, einem finsteren und gefährlichen Gebiet im südlichen Zentrum Hamburgs, nicht allzu weit von der Hafencity entfernt. Leon würde die beiden am Nachmittag über den Einbruch informieren, denn sie besuchten eine andere Schule.

Linda und Pep ahnten also, was Leon jetzt vorhatte.

»Das ist nicht ungefährlich«, warnte Pep. »Wenn dich einer erwischt, weiß jeder von deiner Fähigkeit.«

Linda sah die Sache ähnlich. Andererseits wollte sie auch nicht abwarten und sich später mit einer lauen offiziellen Erklärung abspeisen lassen, sondern wirklich erfahren, was dort geschehen war.

»Ich versuche, von der rechten Seite hineinzukommen«, sagte Leon.

Das Gebäude hatte neben dem vorderen Eingang auf der linken Seite noch einen weiteren, der in den Schulhof führte. Rechts vom Gebäude – also hinter der Wand, an der die Spinde standen – lag der Schulgarten, den man problemlos betreten konnte. Die Absperrung endete dort, weil es keinen Zugang vom Garten ins Gebäude gab.

»Dann landest du genau in den aufgebrochenen Schränken, die sie gerade untersuchen!«, warnte Pep.

»Darin liegt die Gefahr, aber auch unsere Chance, alles mitzubekommen«, erklärte Leon. »Also, behaltet den Garten im Auge!«

»Okay!«

Leon machte sich auf den Weg.

Linda blieb an der Hausecke stehen, während Pep Leon bis zur Mauer begleitete, um Rückendeckung zu geben und helfen zu können, falls irgendetwas schiefging. Es wäre nicht das erste Mal, dass Leon in einer Wand stecken bliebe. Manchmal vergaß er, die Luft anzuhalten. Oder er hielt den Atem zu lange an und flutschte versehentlich vollkommen durch eine Wand hindurch. Das Durchwandern einer Wand erforderte erheblich mehr Koordination, Disziplin und Fingerspitzengefühl, als Leon manches Mal aufbringen konnte, zum Beispiel wenn er aufgeregt war. Und jetzt war er aufgeregt!

Noch einmal schaute Leon sich nach allen Seiten um, ob ihn jemand sah. Dann holte er tief Luft, um den Atem anzuhalten und den Kopf durch die Wand zu stecken, doch Pep hielt ihn zurück. »Warte!«

Leon stieß seinen angehaltenen Atem wieder aus. »Was ist?«

»Knie dich hin«, schlug Pep vor. »Dann bist du nicht gleich auf Augenhöhe mit jemandem auf der anderen Seite!«

Eine gute Idee, fand Leon. Kniend hielt er nun erneut den Atem an, steckte vorsichtig den Kopf durch die Wand – und erschrak!

Sein Blick fiel auf ein paar Beine direkt vor seiner Nase. Uniformierte Beine. Ein Polizist!

Er untersuchte gerade das obere Regal des Spinds, in dem Leons Kopf unten im Schuhfach aus der Wand ragte. Leon wollte sich natürlich sofort zurückziehen. Aber durch den Schreck hatte er geatmet und steckte fest.

»Verdammt!«, fluchte er leise.

Jetzt bemerkte er, dass sich seine Nase ganz dicht über ein paar alten, abgetretenen Turnschuhen befand, die entsetzlich stanken.

»Uähh!«, ekelte sich Leon.

Der Polizist merkte auf, weil sich da im untersten Fach irgendetwas rührte, und bückte sich.

Leon sog schnell die Luft mitsamt des Turnschuh-Gestanks tief ein, hielt den Atem an, als würde er unter Wasser tauchen wollen, und zog im selben Moment den Kopf zurück, in dem der Polizist nach unten schaute.

»Was ist?«, fragte Pep auf der anderen Seite.

Leon atmete tief durch. »Bäh, das stinkt!«, stöhnte er.

Pep musste lachen, als Leon ihm von den Turnschuhen erzählte.

»Das sind meine!«, kicherte er. »Ich wollte die schon lange mal wegwerfen, hab sie aber immer noch als Ersatz im Schrank.«

»Ersatz?«, stieß Leon entsetzt aus. »Die alten Stinkedinger? Wie kann man solche Schuhe haben?«

»Ich finde die Marke gut. Die gibt es leider nicht mehr!«, verteidigte sich Pep.

»Was?«, quiekte Leon auf. »Sooo alt sind die schon?« Er fragte sich gerade, wie viele Jahre Fußschweiß in den Schuhen und damit jetzt in seiner Nase steckten. »Mann, Pep!«

»Aber wenigstens wissen wir jetzt, auf welcher Höhe du durch die Wand geguckt hast. Genau in meinen Schrank. Deiner ist nur zwei Türen weiter!«, stellte Pep zufrieden fest.

Leon schätzte ab, wo ungefähr sich sein Schrank befinden musste, und unternahm dort einen zweiten Versuch. Er wusste, dass in seinem Schrank das untere Fach leer war.

Und er hatte Glück. Entweder war der Polizist schon an seinem Schrank gewesen oder er würde gleich erst kommen. Im Moment jedoch war die Luft vor seinem Schrank rein. Leon war zwar klein, aber nicht klein genug, um ganz und gar ins untere Fach zu passen. Also ließ er seine Beine einfach draußen aus der Wand baumeln und hielt nur seinen Oberkörper im Schließfach versteckt. Die Tür seines Spinds stand einen Spalt offen. So konnte er es wagen hinauszuspähen. Er sah den Schuldirektor, der sich nur ein paar Meter weiter gerade mit zwei Polizisten unterhielt. Leon spitzte die Ohren.

In den vergangenen Wochen, so berichtete der eine der beiden Polizisten, war bereits an verschiedenen Orten eingebrochen worden: in Villen, Büros, sogar in einem Krankenhaus und der Universität.

Das wusste Leon bereits von Paul. Nur hatten ihn diese Einbruchmeldungen heute Morgen noch, als er sie von Paul erfahren hatte, nicht sonderlich interessiert. Jetzt allerdings sah die Sache anders aus. Möglicherweise waren hier dieselben Diebe am Werk gewesen. Es sah nach einer organisierten, professionellen Bande aus. Andererseits … Leon hörte weiter, wie der eine Polizist berichtete, dass der Dieb durchs Toilettenfenster eingestiegen war.

Durchs Toilettenfenster?, wunderte sich Leon. Da passte doch nur ein Kind durch! Aber es waren doch wohl keine Kinder für die Einbruchserie der vergangenen Wochen verantwortlich? Und weshalb sollte ein Kind in die Schule eindringen, um dreißig Schülerspinde aufzubrechen? Der Dieb wollte sich ja wohl kaum Peps alte Latschen klauen! Die meisten Schüler nutzten ihre Schränke aber eigentlich nur wie Pep: um Sportkleidung oder ihre Schulverpflegung darin aufzubewahren. Gedruckte Schulbücher gab es schon lange nicht mehr, stattdessen arbeiteten die Schüler mit Tablets. Darin waren sämtliche Unterrichtsmaterialien, Bücher, Hausarbeiten, Zeugnisse, Landkarten und so weiter gespeichert. Niemand ließ dieses Tablet über Nacht in der Schule. Nur im Kunstunterricht zeichneten sie noch auf richtigem Papier mit echten Stiften. Mochte sein, dass einige dieser Werke in den Schränken aufbewahrt wurden. Aber wegen der Schülerbilder war wohl kaum ein Dieb hier eingestiegen.

Auch der Schuldirektor, der inzwischen den größten Teil der betroffenen Schüler befragt hatte, zog gemeinsam mit den Polizisten entsprechend verwundert Bilanz: zwei Hightech-Anzüge in Kindergröße waren gestohlen worden, ein paar Gleitgel-Schuhe und ansonsten lediglich Astrocookies, davon allerdings so viele, wie ein Kind wohl überhaupt nur tragen konnte.

Astrocookies waren nicht nur an Leons Schule der neueste Hit, seit die Weltgemeinschaft unter Federführung Chinas wieder kräftig in die Raumfahrtforschung eingestiegen war. Man arbeitete fieberhaft daran, bis zum Jahre 2070 die erste mit menschenähnlichen Androiden bemannte Raumkapsel zum Mars zu schießen. Als Nebenprodukt dieses Raumfahrtprogramms waren die neuen Astrocookies entstanden, die eines Tages möglicherweise auf dem Roten Planeten als Nahrung für die ersten Weltall-Touristen dienen sollten: knallbunte, keksgroße Tabletten, die sich im Gaumen sofort auflösten, süß-sahnig, fruchtig oder herzhaft (zum Beispiel nach Currywurst oder Döner) schmeckten und den menschlichen Körper mit allem versorgten, was er benötigte. Jeder Cookie ersetzte eine vollständige Mahlzeit. Es gab sie speziell als Frühstück, Mittag- und Abendessen. Eine Menge Schüler hielten sich einen ganzen Vorrat an verschiedenen Sorten in ihren Schränken. Viele dieser Vorräte waren nun verschwunden. Es deutete also manches darauf hin, dass ein vielleicht obdachloses Kind in die Schule eingebrochen war, um sich mit Kleidung und Essen zu versorgen.

Leon hatte genug mitbekommen. Langsam schob er sich durch die Wand wieder zurück zu Pep. Mit ihm gemeinsam ging er zu Linda, um die Informationen auszuwerten.

»Ich könnte das gut verstehen«, kommentierte Pep. »Wenn ich allein ohne Eltern und ohne Geld auf der Straße leben müsste, würde ich auch irgendwo mein Essen stehlen. Was sonst?«

Leon nickte zustimmend. Trotzdem kam ihm irgendetwas an der Sache komisch vor.

»Meint ihr wirklich, dieser Einbruch hier hat nichts mit der Einbruchserie der letzten Wochen zu tun?«

Linda konnte es sich nicht vorstellen.

Leon drückte eine Taste auf dem Touchscreen seines Ärmels, ließ sich mit Pauls Zentraleinheit verbinden und gab den Geheimcode 0070 ein. »Mal hören, was der Polizeifunk vermeldet!«

Das Ergebnis war eine echte Überraschung. Was Leon bei seiner kleinen Lauschaktion nicht mitbekommen hatte, war: Die Polizei hatte mittlerweile festgestellt, dass Fingerabdrücke und Faserspuren der Kleidung identisch waren mit einigen, die man beim Einbruch in die Universität und ins Krankenhaus gefunden hatte.

»Das ist allerdings eine dickes Ding!«, fand Pep.

Und auch Linda grübelte, was denn der Dieb, wenn es wirklich ein obdachloses Kind gewesen sein sollte, in einer Klinik und der Uni zu suchen gehabt haben mochte.

»Vielleicht ist er verletzt?«, überlegte Pep.

Aber dann hätte ein Einbruch in eine Apotheke genügt. In eine Klinik einzudringen, war ungleich komplizierter. Da Leon über Paul nur Zugang zum Polizeifunk hatte, aber nicht in den Zentralcomputer der Polizei, konnte er nicht sofort feststellen, was in der Uni und in der Klinik gestohlen worden war.

»Auf jeden Fall ist das eine merkwürdige Sache«, befand er, »der wir nachgehen sollten!«

Linda war davon nicht so überzeugt. »Okay, die Sache ist komisch«, gab sie zu. »Aber was geht uns das an? Vielleicht wurden mir ein paar Cookies gestohlen. Was soll’s? Es gibt Schlimmeres. Mit der Klinik und der Uni haben wir nichts zu tun. Das ist etwas anderes als letztes Jahr mit den Sharks. Da mussten wir uns wehren.«

Leon musste ihr im Prinzip zustimmen. Dennoch: Erst war er selbst Opfer eines Taschendiebs geworden, dann die Einbruchserie, jetzt der Einbruch in die Schule. Und der Täter war offenbar noch ein Kind. »Dass dahinter eine Profibande steckt, wie es die Medien behaupteten, kann ich mir nicht vorstellen«, gab er zu bedenken. »Profis hinterlassen doch keine Fingerabdrücke und brechen keine Schränke auf, um Kekse zu stehlen!«

»Das Seltsame ist: Mit den Fingerabdrücken müsste man den Täter doch längst identifiziert haben!«, ergänzte Pep.

Seit vielen Jahren existierten nämlich gar keine Ausweise mehr. Jeder Mensch identifizierte sich bei allem – Polizei, Reise, Krankenkasse, Büchereien, Banken usw. – mit seinem Fingerabdruck, der sogenannten Fingerprint-ID. Das bedeutete, jeder Einwohner Europas war mit seinem Fingerabdruck bei den Behörden registriert. Wenn also die Polizei Fingerabdrücke entdeckt hatte, diese aber nicht zuordnen konnte, hieß das, dass die Person nie registriert worden war!

»Dass ein obdachloses Kind nicht registriert ist, kann doch gut sein«, überlegte Leon. »Diese Registrierung ist erst ab vierzehn Jahren Pflicht. Die meisten in unserem Alter sind nicht erfasst. Ich hab auch noch keine Fingerprint-ID!«

»Nein?«, wunderte sich Pep. »Ich schon. Dabei bin ich jünger als du!«

»Du bist auch schon mal in die USA gereist. Ich nicht«, erklärte Leon den Unterschied.

Leon wusste, dass manche Diebesbanden aus diesem Grunde Kinder zum Stehlen zwangen. Denn die kamen nicht nur durch kleine Schlupflöcher, die für Erwachsene zu eng waren, sie hinterließen auch keine zuordenbaren Fingerabdrücke.

»Vielleicht ist da draußen jemand, der Hilfe braucht!«, überlegte Leon. Und ein bisschen hoffte er es fast.

»Ein Dieb, der Hilfe braucht?« Pep kaute zweifelnd auf seiner Unterlippe. Dann musste er einräumen, dass das schon möglich sein konnte.

»Okay«, schlug Leon vor. »Treffen wir uns heute Nachmittag in der Schwarzen Kammer. Ich gebe Kevin und Tanja Bescheid.«

Noch ein Einbruch!

Die Schwarze Kammer war die geheime Zentrale der UnderDocks. Vor zwei Jahren hatte Leon den fensterlosen unterirdischen Raum entdeckt. Entstanden war der Raum beim Bau des U-Bahn-Tunnels, der die Innenstadt mit der Hafencity verband. Vielleicht war er ursprünglich als Material- oder Abstellraum für Bahnarbeiter vorgesehen gewesen, denn er lag ganz in der Nähe der U-Bahn-Haltestelle Überseequartier. Gleich um die Ecke wohnte Leon. Offensichtlich aber schien niemand den Raum zu benötigen.

Zuerst hatte Leon nicht mal geahnt, dass der Raum mit der U-Bahn zusammenhing. Denn gefunden hatte er ihn von der anderen Seite, als er wieder einmal auf der Suche nach einem unterirdischen Weg in die Schule gewesen war, um von der damaligen Sharks-Bande nicht erwischt zu werden. An jenem Morgen war er an einem Kanaldeckel vorbeigekommen, der wegen irgendwelcher Straßenbauarbeiten offen gestanden hatte. Kurz entschlossen war Leon hineingeschlüpft und unten in der Kanalisation gelandet, in der ein zwar glitschig nasser, aber durchaus komfortabler und vor allem beleuchteter Weg an den unterirdischen Abwasserkanälen entlangführte. Seine Navigationsbrille hatte ihn Richtung Schule geführt, direkt an einer kleinen Abzweigung vorbei, an der Leon stehen geblieben war. Bis heute konnte er nicht sagen, was ihn dazu bewogen hatte, nicht weiter seinem Navigator zu folgen, sondern stattdessen diese Abzweigung zu nehmen. Nach kurzer Zeit war er auf die lediglich angelehnte Tür gestoßen, hinter der sich der kleine, dunkle Raum befand. Schon beim ersten Blick hinein hatte für ihn festgestanden, dass dies exakt der Ort war, den er sich für seine Zwecke immer gewünscht hatte. Später hatte er seine Mitstreiter kennengelernt, ihnen die gut ausgerüstete Schwarze Kammer gezeigt und seitdem diente sie als Hauptquartier der UnderDocks.

Eine Viertelstunde vor dem vereinbarten Treffen öffnete Leon den Kanaldeckel in einem unbeobachteten Moment, stieg in den Schacht, zog den Deckel wieder hinter sich zu, kletterte die metallene Sprossenwand hinunter und ging in Richtung seiner geheimen Schwarzen Kammer. Die anderen würden vermutlich von der U-Bahn-Seite kommen, aber Leon bevorzugte immer noch diesen Weg über die Kanalisation.

Als er die Kammer aufschließen wollte, schreckte er zurück. Die Tür stand offen! Er war der Einzige, der einen Schlüssel besaß. Das Schloss war auch nicht aufgeschlossen, sondern brutal aufgebrochen worden.

Verflucht! Nicht nur in seine Schule, auch in ihre Schwarze Kammer war jemand eingedrungen. Eine Katastrophe!

Handelte es sich etwa um denselben Einbrecher wie in der Schule, der Uni und der Klinik? Höchst seltsam! Welchen Zusammenhang sollte es zwischen diesen Orten geben? Niemand außer den fünf Mitgliedern der UnderDocks wusste von diesem geheimen Quartier!

Oder hatten sich etwa die Bauarbeiter der U-Bahn an ihren alten Raum erinnert und das Schloss aufgebrochen, weil sie keinen Schlüssel mehr besaßen? Das wäre eine plausible Erklärung gewesen. Trotzdem blieb Leon auf der Hut.

Vorsichtig, nur mit zwei Fingern, stieß er die Tür ganz auf, blieb aber noch draußen davor stehen.

»Hallo?«, rief er hinein.

Niemand antwortete. Natürlich nicht. Wenn ein Dieb anwesend gewesen wäre, warum sollte der sich jetzt zu erkennen geben? Allerdings, wenn doch die Bauarbeiter …?

Die Schwarze Kammer machte ihrem Namen alle Ehre: Es war stockfinster. Hier unten schien noch alles aus einer anderen Zeit. Weder öffnete sich die Tür automatisch, noch ging das Licht von selbst an, wenn man die Kammer betrat. Wie vor Jahrzehnten musste man einen Schalter benutzen. Leon traute sich nicht, die drei Schritte bis zum Lichtschalter zu gehen. Stattdessen stellte er seine Brille auf Infrarot, was ihm die Sicht im Dunkeln ermöglichte. Zögerlich trat er in die Kammer ein.

Wartete.

Lauschte.

Es schien wohl niemand da zu sein.

Noch zwei Schritte.

Warten.

Er stellte die Brille wieder auf Normalmodus, tastete mit seiner Hand zum Schalter, knipste das Licht an – und erschrak!

Wie sah es denn hier aus?

Die Spuren des Eindringlings waren nicht zu übersehen: Essensreste auf dem Arbeitstisch. Leere Getränkedosen auf dem Boden, daneben eine Decke auf einer Matratze. Kein Zweifel: Hier hatte jemand übernachtet!

Leon kam der Einbrecher in der Schule in den Sinn: ein obdachloses Kind, das sich Kleidung und Essen besorgte! Die Reste auf dem Tisch stammten eindeutig von Astrocookies. Neben dem notdürftigen Bett lagen verstreut recht heruntergekommene Kleidungsstücke, schmutzig und zerrissen.

Das Verrückteste aber: Ein schwerer Schrank, den Leon und Pep mühselig in Einzelteilen hierhergetragen und erst hier unten zusammengebaut hatten, stand plötzlich auf der anderen Seite des Raumes – wohl, um Platz für die Schlafstätte zu schaffen. Waren hier gleich mehrere eingedrungen? Niemand war in der Lage, den schweren Schrank allein zu tragen! Und Kratzspuren waren auf dem Boden nicht zu erkennen. Es mussten demnach mindestens zwei Personen hier gewesen sein! Aber es gab nur eine Schlafstätte. Und die zerrissene Kleidung von einer Person lag hier unten.

»Was ist denn hier los?«

Leon fuhr zusammen. Himmel, hatte er sich erschreckt! Hinter ihm standen plötzlich Linda und Pep. Leon atmete einmal tief durch.

»Könnt ihr nicht Hallo sagen?«, beschwerte er sich. Und zeigte den beiden seine Entdeckungen.

»Verdammt!«, lautete Peps erster Kommentar. »Ein Einbruch in die Schwarze Kammer, unsere geheime Zentrale!«

Linda und Leon wussten, was er damit sagen wollte: Die UnderDocks waren aufgeflogen! Wer, warum auch immer, in der Kammer gewesen war – sie durften hier nicht länger bleiben! Ihr Hauptquartier musste umziehen. Das würde ein gehöriges Stück Arbeit werden. Vorausgesetzt, sie fanden überhaupt wieder ein neues, so geniales Versteck.

Erneut wurde ihr Gespräch unterbrochen. Durch den U-Bahn-Tunnel hallte ein unendliches Gequassel herüber.

»Tanja und Kevin kommen!«, stellte Leon fest, obwohl die anderen beiden das auch sofort erkannt hatten.

Linda verzog leicht die Mundwinkel. Von Anfang an hatte sie Tanja nicht wirklich ausstehen können. Durch das gemeinsame Abenteuer vor einem Jahr waren sie sich zwar nähergekommen und Linda hatte später auch nichts mehr dagegen gehabt, dass Tanja bei den UnderDocks mitmachte, aber allerbeste Freundinnen würden die beiden vermutlich niemals mehr werden.

Tanjas Markenzeichen war, dass man zuerst immer ihre Stimme hörte, bevor sie selbst in Erscheinung trat. Denn Tanja war ein Mädchen, das – nach Leons Ansicht – eigentlich niemals schwieg. Sie und ihr Bruder Kevin gehörten ursprünglich zur fiesen Bande der Sharks, doch irgendwann hatten sie die Seiten gewechselt. Kevin war ein »ausgebildeter« Taschendieb, wenn man da von einer Ausbildung reden durfte. Und Tanja aufgrund ihrer Eigenschaft als Quasselstrippe die perfekte Betrügerin. Ihre Opfer hatte sie so lange vollgequatscht, bis sie auf jeden Deal eingegangen und auf jeden Betrug hereingefallen waren. Unter Versicherungsvertretern hätte sie vermutlich als Jahrhundert-Talent gegolten.

»Hey, Leute!«, platzte Tanja in die Schwarze Kammer herein. »Was ist denn hier passiert? Das sieht ja aus wie in Kevins Zimmer. Total chaotisch. Ich sag euch, neulich erst habe ich ihm …«

»Einbruch!«, unterbrach Pep sie, während die anderen Kevin begrüßten.

Es fiel Leon schwer, die beiden Geschwister über das neueste Ereignis zu informieren, weil Tanja immer dazwischenredete. Doch nachdem er es geschafft hatte, überließ sie ihrem Bruder, dem Fachmann für Diebstähle, das Wort.

»Unser Dieb ist ein Mädchen, oder wie?«, fragte Kevin in die Runde.

Die anderen sahen ihn erstaunt an. Wie kam er denn darauf?

Kevin kniete sich auf den Boden, rutschte unter den Tisch, auf dem die Essensreste lagen, und zog einen Ohrring hervor: »Ich kenne jedenfalls keinen Jungen, der solche Dinger trägt!«

Der Ohrring bestand aus einem großen, blau glitzernden Stein in einer verschnörkelten goldenen Fassung, der an einem kleineren, titangefassten Bernstein baumelte.

»Wie hast du den so schnell gesehen?«, wunderte sich Leon.

Kevin schmunzelte.

Tanja erklärte es ihm: »Eine Angewohnheit aus alten Tagen. Kevin hat einen Blick für Diebstahlspuren.« Sie kannte seine Fähigkeit, Details, die einen Dieb verraten könnten, auf Anhieb zu erkennen.

»Ich vermute, es ist nur Diebesgut«, sagte Linda, die – angeregt durch Kevins Fund – nun auch aufmerksamer in die Ecken schaute und eine Halskette entdeckte, deren Steine einwandfrei zum Ohrring passten. Sie fanden auch den zweiten Ohrring, einen dazu passenden Ring und eine Uhr mit blau-bernsteinfarbenem Zifferblatt.

»Eine Armbanduhr!« Ehrfürchtig zeigte Pep, der ja eine Vorliebe für alte Dinge hatte, sein Fundstück den anderen.

Tanja nahm die Uhr vorsichtig entgegen und betrachtete sie wie ein seltsames, fremdes Wesen. »Und wozu ist das hier?«

»Das ist das Armband. Damit bindet man sich die Uhr ums Handgelenk!«

»Eine Uhr? Ums Handgelenk?«, fragte Tanja. »Wieso das denn?«

»Damit man weiß, wie spät es ist«, antwortete Linda leicht schnippisch.

Doch Tanja winkte ab. »Dazu muss man sich doch nicht solch ein Monstrum um den Arm wickeln. Ein Zeitmesser ist doch in jedem Shirt!«

Pep, der ein altmodisches Hemd ohne jede Technik trug, streckte ihr seine Ärmel entgegen.

»Okay, in fast jedem Shirt!«, räumte Tanja ein. »Ihr meint, es gibt noch mehr altmodische Spinner wie Pep?«

»Du hast echt keine Ahnung, Tanja!«, meckerte Pep. »Die Uhr ist doch wunderschön.«

»Mag sein«, brach Leon die Debatte ab. »Offenbar haben wir es mit einem Dieb zu tun, der hier sein Quartier aufgeschlagen hat. Vermutlich sogar derselbe Täter, der auch in die Schule und die Klinik eingebrochen ist.«

»Die Frage ist, wie er unsere Schwarze Kammer gefunden hat!«, warf Pep in die Runde. »Purer Zufall?«

»Du meinst, die Sharks sind wieder aktiv?«, fragte Leon. Das Entsetzen in seinem Gesicht war nicht zu übersehen. Aber die Wiederkehr der Sharks würde so manches erklären.

Doch Kevin winkte sofort ab. »Vergesst es, Leute. Tjark, ihr ehemaliger Anführer, wohnt seit einem Dreivierteljahr im Ruhrgebiet. Staatliche Ganztagsschule mit Hausaufgabenbetreuung und Nachmittagsunterricht. Bis nachmittags um fünf macht der dort keinen Schritt ohne Aufsicht. Wie im Knast! Jedenfalls ist Tjark nicht zurück in Hamburg. Und schon gar nicht auf Diebestour. Ganz sicher!«

Seine Schwester bestätigte ihn: »Die Sharks gibt es nicht mehr. Sonst hätte ich von denen gehört.«

»Okay!« Leon glaubte den beiden. Auch über Roboter Paul hatte Leon seit damals nie wieder etwas von den Sharks gehört. Also konnte man diese Möglichkeit wohl wirklich ausschließen.

Bevor sie weiter überlegen konnten, was jetzt zu tun war, hatte Tanja schon wieder etwas entdeckt.

»Ach du Scheiße, seht mal hier!« Sie zeigte auf einen dunklen Fleck am Boden gleich neben dem umgestellten schweren Schrank.

»Was ist das?«, fragte Leon.

»Wenn ihr mich fragt, Leute«, rief Tanja, »dann ist das Blut!«

Eine unheimliche Begegnung

Leon stockte der Atem. Blutspuren! Was war in ihrer Schwarzen Kammer passiert?

»Hier auch!«, rief Linda. »Und hier!« Sie zeigte auf dunkelrote Flecken auf dem Boden, die durch die Tür hinausführten. Draußen mehrten sich die Flecken, auf dem weiteren Weg wurden es weniger und dann tauchten sie nur noch in unregelmäßigen Abständen auf; mal zwei nebeneinander, dann wieder einzelne in unterschiedlichen Abständen.

Kevin betrachtete die Flecken genau. Er ging von der Tür ein paar Schritte fort, drehte um, kehrte wieder zurück. Dann wiederholte er die Prozedur, ging diesmal einige Meter weiter von der Tür weg, ohne den Blick vom Boden zu nehmen, kehrte wieder um und kam zurück zur Tür.

»Was macht er da?«, fragte Linda.

»Ich sag doch, von Spuren versteht er etwas«, beteuerte Tanja. »Vor allem von Einbruchspuren!«

»Hast du mal in deinem Mülleimer nachgeschaut?«, fragte Kevin schließlich.

Leon schüttelte den Kopf. »Der ist immer leer. Jedes Mal, wenn ich gehe, nehme ich den gesamten Abfall mit und entsorge ihn heimlich zu Hause oder unterwegs am Bahnhof.«

»Schau nach«, forderte Kevin ihn auf. »Ich wette, da liegt gebrauchtes Verbandsmaterial drin.«

Leon hob verwundert die Augenbrauen, zog den kleinen Metalleimer unter dem Tisch hervor, öffnete den Deckel und staunte. Kevin hatte recht. Mit spitzen Fingern pulte Leon ein blutverschmiertes Stück Stoff hervor. Es schien ein abgerissenes, altes Baumwoll-Shirt oder Ähnliches zu sein. »Woher hast du das gewusst?«

»Die Blutflecken stammen vom Hin- und Rückweg!«, erklärte Kevin. »Deshalb die unterschiedlichen Größen und Abstände. Der Dieb hat sich unterwegs verletzt, sich irgendwo ein Stück Stoff besorgt, um die Wunde auf die Schnelle zu versorgen. Danach hat er sich vermutlich richtiges Verbandszeug beschafft, kam relativ stark blutend hierher, hat die Tür aufgebrochen. So ähnlich hätte ich es jedenfalls auch gemacht.«

Leon verzog das Gesicht. Er mochte es nicht besonders, wenn Kevin sich zu sehr an seine Vergangenheit als Dieb erinnerte.

»So wie die Tür mit Gewalt demoliert wurde, hatte der Dieb es offenbar sehr eilig«, setzte Kevin fort. »Deshalb sind vor der Tür mehr Flecken als woanders. Er kam hier herein, setzte sich und verarztete seine Wunde. Seinen alten, durchgebluteten Stoffverband hat er immerhin in den Mülleimer geworfen.«

»Nicht schlecht!«, musste Linda anerkennen. »Aber wenn das so stimmt, was du sagst, Kevin, dann kannte der Dieb diesen Raum. Er muss schon vor seiner Verletzung hier gewohnt haben.«

Kevin nickte ihr zu. »Gut möglich. Dann muss ihn etwas anderes vor der Tür aufgehalten haben. Vielleicht hatte er auch einfach nur die Hände voll.«

Leon überlegte, wie lange sie nicht mehr in der Schwarzen Kammer gewesen waren. Seiner Meinung nach schon bestimmt drei Wochen. Er hatte ja sogar schon überlegt, die UnderDocks aufzulösen, weil es einfach nichts zu tun gab.

»Möglicherweise also hat ein Dieb sich unsere Schwarze Kammer seit drei Wochen zu seinem Unterschlupf gemacht«, überlegte Pep laut. »Mann, das ist ein Ding. Wir sind eine Geheimorganisation gegen Verbrechen – und bieten den Dieben das Versteck! Wenn das nicht peinlich ist!«

»Muss ja keiner erfahren«, schlug Kevin vor.

Tanja kniete sich auf den Boden und betastete die Blutflecken. »Wann, sagst du, Leon, war der Einbruch in die Klinik?«