Das Augsburg-Experiment - Alfred Wallon - E-Book

Das Augsburg-Experiment E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Dr. Andreas Fischer ist ein erfolgreicher Wissenschaftler, der für einen Augsburger Pharmakonzern arbeitet. Aber er betreibt noch unbemerkt eigene Forschungen, die von einer Organisation finanziert werden, denen ein Menschenleben völlig gleichgültig ist. Erst nachdem einige Menschen in Augsburg auf rätselhafte Weise verschwunden sind, beginnt die Polizei mit ihren Ermittlungen. Das einzige, was man bisher weiß, ist, dass zwei der Vermissten miteinander befreundet waren.Als Hauptkommissar Robert Brandner Tage später vor der Leiche eines vermissten Studenten steht, ahnt er, dass dieser Fall purer Sprengstoff ist. Denn der Tote ist auf unerklärliche Weise um Jahrzehnte gealtert - und es gibt trotz weiterer Ermittlungen nicht die geringste Erklärung dafür.Auch der Privatdetektiv Frank Gerber ist mit diesem Fall befasst. Die Mutter des toten Studenten und eine Freundin haben ihn beauftragt, einige Ungereimtheiten zu untersuchen. Dies bringt Gerber auf die Spur von Dr. Andreas Fischer, denn mittlerweile ist ein weiterer Student spurlos verschwunden. Als Gerber gewisse Zusammenhänge zwischen den beiden Fällen erkennt, ist kurz darauf sein eigenes Leben in Gefahr. Denn die Organisation, die hinter dem Wissenschaftler steht, möchte jeden Mitwisser ausschalten!

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Seitenzahl: 263

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Alfred Wallon

Das Augsburg-Experiment

Inhaltsverzeichnis

ERSTER TEIL

ZWEITER TEIL

DRITTER TEIL

Nachwort

Impressum

ERSTER TEIL

Freitag 21. Oktober 2016

Am Ortsausgang Aystetten gegen 5.00 Uhr

»Sie muss jeden Augenblick kommen«, sagte der Mann und warf dabei einen Blick auf seine Armbanduhr, bevor er weitersprach. »Falls sie nicht verschlafen hat...«

»Glaubst du das?«, hörte er seinen Gesprächspartner über das Handy. »Wir haben sie doch eine ganze Woche lang beobachtet. Solche Menschen kann man doch ganz leicht einschätzen. Die macht doch jeden Tag und jeden Abend fast das gleiche.«

»Das schon«, meinte der Mann. »Aber so wie ich sie einschätze, muss man mit so etwas rechnen. Deshalb darf einfach nichts schiefgehen. Steht du am vereinbarten Ort?«

»Natürlich«, lautete die Antwort des anderen. »Schon seit zehn Minuten. Ich bin pünktlich – das weißt du...«

»Wie viele Autos sind vorbeigekommen?«

»Bis jetzt noch gar keines«, bekam er zu hören. »Doch... in diesem Moment schon. Aber das macht nichts. Der Nebel ist perfekt. Einen besseren Tag hätten wir nicht wählen können.«

»Das stimmt«, nickte der Mann. »Ok – ich glaube sie kommt gerade. Ich muss jetzt aufhören. Wir sehen uns gleich. Ich bin gespannt, wie weit sie mit dem Auto noch fahren kann. Eigentlich dürfte sie es gar nicht mehr bis zum Tunnel schaffen. Halte dich bereit. Es muss schnell gehen.«

»Gut.«

Weiterer Worte bedurfte es nicht. Der Plan war jetzt in die entscheidende Phase getreten. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Denn der Auftrag, den die beiden Männer erhalten hatten, war ganz eindeutig. Bis jetzt waren alle Vorbereitungen gut und unbemerkt vonstattengegangen. Selbst die kleine Manipulation am Auto der Frau hatte niemand bemerkt. Wie denn auch? Um vier Uhr morgens schliefen die meisten Menschen – es war die Stunde, wo der Schlaf bekanntlich am tiefsten ist. Und diese Zeit hatte der Mann genutzt.

Der Plan der beiden Männer richtete sich gegen eine ahnungslose junge Frau, die eigentlich nur auf dem Weg zur Arbeit war und die nicht wusste, dass die bekannte und vertraute Welt, die bisher ihr Leben bestimmt hatte, sich schon in wenige Stunden in einen Scherbenhaufen verwandeln würde!

*

Freitag, 21.Oktober 2016

Kurz vor dem Neusäßer Tunnel gegen 5.30 Uhr

Silke Mertens drehte das Radio laut auf, als sie ihre Wohnung in Aystetten verließ, sich hinters Steuer ihres Ford Fiesta setzte und sich auf den Weg ins Klinikum machte. Die dröhnenden Bässe des CD-Players sollten helfen, ihre Müdigkeit zu vertreiben. Trotzdem gähnte sie mehrmals. Silke war noch sehr müde und wäre gerne zuhause geblieben, denn in der letzten Nacht hatte sie nicht viel Schlaf bekommen. Sie war mit zwei Freundinnen auf einer Party im Drunken Monkey´s gewesen, und dort war es recht spät geworden. Ganze drei Stunden hatte sie schlafen können, und als sie dann das schrille Klingeln des Weckers brutal aus ihren Träumen riss, war ihr das so vorgekommen, als hätte sie gerade erst die Augen geschlossen.

Aber das half alles nichts. Die Schicht im Klinikum rief, und Silke musste pünktlich sein, wenn sie sich keinen Ärger einhandeln wollte. Denn ihr Chef hatte nicht viel Verständnis für nächtelanges Durchfeiern. Da Silke aus dem Grund schon einmal Probleme gehabt hatte, musste sie sich jetzt umso mehr am Riemen reißen.

Sie fuhr über die Entlastungsstraße, vorbei an der Abfahrt Neusäß-Zentrum und würde in wenigen Augenblicken den Tunnel erreichen. Silke fuhr etwas schneller als es eigentlich erlaubt war. Aber sie wollte nicht zu spät kommen, weil sie keine Lust hatte, sich irgendwelche Vorträge wegen Unpünktlichkeit anhören zu müssen.

Zu dieser frühen Stunde war kaum jemand in diesem Bereich unterwegs. Plötzlich begann ihr Auto zu stottern und wurde langsamer. Hektisch trat sie das Gaspedal durch, aber das brachte auch nichts. Der Fiesta ruckte immer noch und schaffte gerade noch einmal hundert Meter - aber dann gab er seinen Geist ganz auf. Silke konnte den Wagen noch rechts auf einen kleinen Parkplatz kurz vor dem Tunnel lenken, so dass er kein Hindernis mehr darstellte. Sie versuchte zwar nochmals, den Motor zu starten, aber die Zündung war völlig tot.

»Verdammt!«, fluchte sie und schlug wütend mit der Faust aufs Lenkrad. »Ausgerechnet jetzt!«

Sie war noch einen guten Kilometer vom Klinikum entfernt - und ihr blieb nichts anderes übrig, als den Rest der Strecke zu Fuß zurückzulegen. Busse und Straßenbahnen fuhren zu dieser frühen Stunde nur im Stadtzentrum alle 10 Minuten, aber hier draußen würde das erst nach sechs Uhr der Fall sein. Bis dahin musste sie aber längst im Klinikum sein. Wenn sie sich beeilte und etwas schneller ging, war das auch zu schaffen.

Um das Auto konnte sie sich jetzt nicht mehr kümmern. Vom Klinikum aus wollte sie in der Werkstatt anrufen. Die würden dann den Schlüssel bei ihr abholen und sich dann um alles Weitere kümmern. Mit etwas Glück war dann bis zu ihrem Feierabend alles geregelt.

Noch wurde die aufgehende Sonne von dichten Nebelschleiern verhüllt. Es war kalt, und Silke fror. Sie trug nur eine dünne Jacke und hatte sich natürlich nicht darauf eingerichtet, noch eine gewisse Strecke zu Fuß zu gehen. Aber das ließ sich nun nicht vermeiden.

Sie drehte sich noch einmal kurz um, bevor sie den Eingang des Tunnels erreichte. Auf einmal spürte sie ein eigenartiges Gefühl tief in ihrem Inneren, als sie den Tunnel betrat und bemerkte, wie dumpf und hohl ihre Schritte dabei klangen. Unwillkürlich beschleunigte sie ihre Schritte, denn sie wollte diese 450 Meter durch den Tunnel so schnell wie möglich hinter sich bringen.

Ihr Auto konnte sie schon nicht mehr erkennen, obwohl sie vielleicht gerade hundert Meter hinter sich hatte. Aber der Nebel verschluckte fast alles, ließ sie den Verlauf der Straße vor Beginn des Tunnels nur erahnen. Silke kam sich allein und verlassen vor, und der dichte Nebel trug auch nicht gerade dazu bei, ihre Laune zu heben. Die hatte jetzt den sprichwörtlichen Nullpunkt erreicht.

Eine gute Viertelstunde war vergangen, und die Zeiger ihrer Armbanduhr rückten mitleidlos auf sechs Uhr vor. Nein, sie würde es doch nicht schaffen, pünktlich zu sein. Aber vielleicht drückte Dr. Cloos ja noch ein Auge zu, wenn sie nur ein wenig zu spät kam. Schließlich war sie ja nicht schuld daran, dass ihr Auto liegengeblieben war...

Plötzlich hielt Silke inne, weil sie hinter sich ein leises Scharren vernommen hatte. Sie zuckte zusammen, war verunsichert und blickte sich misstrauisch nach allen Seiten um. Aber das Zwielicht des Tunnels ließ nichts Auffälliges erkennen.

Da war doch gar nichts, redete sie sich selbst Mut zu, ging aber trotzdem schneller als sonst. Ausgerechnet jetzt musste sie daran denken, dass hier schon einmal eine Frau von einem Exhibitionisten belästigt worden war. Die Polizei hatte den Kerl aber zum Glück nur wenige Tage später schnappen können.

Da - jetzt hörte Silke wieder ein leises Tappen! Und diesmal kam es aus einer ganz anderen Richtung. Am anderen Ende des Tunnels bemerkte sie plötzlich eine konturenhafte Gestalt in den Nebelschwaden. Aber nur für Bruchteile von Sekunden. Hatte sie sich das womöglich nur eingebildet?

Ihr Herz pochte schneller, als sie sich erneut umdrehte und zurückschaute.

Schritte erklangen...

Da läuft jemand, warnte sie eine innere Stimme. Mein Gott, das ist hoffentlich keiner von diesen...?

Mittlerweile war Silke so nervös, dass ihre Hände zu zittern begannen. Sie keuchte, während sie noch schneller ging – sie rannte jetzt, wollte so schnell wie möglich das Ende des Tunnels erreichen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie endlich den Tunnel hinter sich ließ. Aber der Nebel, der sie jetzt umhüllte, trug alles andere dazu bei als ihre Angst zu mindern.

Weiter drüben begann sich der Nebel etwas zu lichten, und sie konnte die Lichter des großen Klinikums sehen.

Wäre der Nebel nicht gewesen, dann hätte sie auch diese beklemmende Atmosphäre nicht so gespürt. Aber selbst die Bäume am Straßenrand wirkten an diesem Morgen seltsam bedrohlich.

Mir tut doch keiner was, redete sie sich selbst Mut zu. Es lohnt sich doch gar nicht bei mir. Ich habe gerade mal zehn Euro in der Tasche. Und außerdem habe ich doch bisher immer Glück gehabt. Nein, nein - mir passiert schon nichts...

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und nun war es aus und vorbei mit der Ruhe, zu der sie sich selbst gezwungen hatte. Sie wusste, dass hier etwas nicht stimmte, dass irgendetwas in den weißlichen Nebelschleiern lauerte und nur noch auf den richtigen Moment wartete, um zuzuschlagen.

Nur Bruchteile von Sekunden später tauchte plötzlich eine dunkle Gestalt seitlich vor ihr in den Nebelschleiern auf und stellte sich Silke demonstrativ in den Weg. Ein großer kräftiger Mann mit schwarzen Haaren. Seine Augen richteten sich mitleidlos auf die junge Krankenschwester.

»Nein...nein...«, murmelte Silke mit erstickter Stimme und hob abwehrend beide Hände, als der Mann nun auf sie zuging. Aber diese momentane Starre hielt nicht lange an. Dann wirbelte sie urplötzlich herum und rannte einfach los. Genau in die andere Richtung – wieder auf den Tunnel zu - aber das wurde ihr erst viel zu spät bewusst. Genauso wie die schreckliche Tatsache, dass der Mann, der ihr nun mit keuchendem Atem hinterher rannte, offensichtlich nicht allein war.

»Hilfe!«, schrie Silke mit lauter Stimme und betete inständig, dass dies irgendjemand hörte. Aber das Schicksal meinte es an diesem nebelverhangenen Morgen nicht gut mit ihr.

Ein weiterer Mann tauchte aus dem Tunnel auf, stellte sich ihr in den Weg. So plötzlich, dass ihm Silke buchstäblich in die Arme rannte. Er packte sie grob, riss sie herum und bog ihr beide Arme auf den Rücken.

Silke trat nach ihm, während sie fast verrückt vor Angst wurde. Sie reagierte wie ein in die Enge getriebenes Tier, schrie erneut laut um Hilfe, aber das wurde nur Sekunden später im Keim erstickt. Der zweite Mann war zur Stelle und presste seine schwielige rechte Hand so fest auf Silkes Mund, dass ihr die Luft knapp wurde.

»Sei still!«, sagte er mit drohender Stimme dicht an ihrem Ohr. »Noch einen Laut, und du bist tot. Hast du das verstanden?«

Um seine Drohung zu untermalen, zückte er mit der anderen Hand ein Messer, dessen Klinge er gefährlich nahe vor Silkes hübsches Gesicht hielt. Sie schloss die Augen, wurde fast ohnmächtig vor Angst und gab jegliche Gegenwehr auf.

Einer der Männer hatte in der Zwischenzeit ein Tuch auf ihre Nase und ihren Mund gepresst, und Silke roch plötzlich etwas Süßliches, das sich betäubend auf ihre Atemwege legte und sie nur noch verschwommen sehen ließ. Arme und Beine fühlten sich auf einmal bleischwer an, und sie wollte nur noch eines: schlafen und diesen schrecklichen Albtraum vergessen.

Ihre Beine konnten das Gewicht des Körpers nicht mehr tragen. Silke brach bewusstlos in den Armen des Mannes zusammen. Sie merkte nicht mehr, wie der zweite Mann ihre Füße packte und sie dann mit Hilfe seines Kumpans zu einem Auto trug, das direkt oberhalb des Tunnels stand. Silke würde erst gut zwei Stunden später in einem dunklen Kellerraum wieder das Bewusstsein erlangen - aber dann würde der eigentliche Albtraum erst beginnen.

Denn für Silke Mertens würde es keine Rückkehr mehr geben. Sie war das zweite Opfer in einer Kette mysteriöser Vermisstenfälle - und ein winziges Teil in einem grausamen Mosaik, dessen Konturen noch unscharf blieben...

*

Freitag, 11. November 2016:

Augsburg-Haunstetten, Königsbrunner Straße, Club Red Star –

kurz vor Mitternacht

Ein tiefes Stöhnen drang aus seiner Kehle, als er sich nicht mehr länger zurückhalten konnte und sich mit zuckenden Bewegungen auf Jenny ergoss. Schweiß stand ihm auf der Stirn, als er über ihr zusammensank und das wilde Pochen seines Herzens spürte. Für Bruchteile von Sekunden wurde ihm schwarz vor den Augen, und er murmelte einen leisen Fluch, weil die schwarzhaarige Frau ihn so stark gefordert hatte.

Seine Blicke huschten umher, und er sah nackte, in sich verschlungene Leiber auf den Matratzen, die sich im Rausch der Sinne verloren. Auch Clara mischte wie üblich dort mit, wo sie sich am meisten Spaß erhoffte. Die brünette Clara, Betreiberin eines Party- und Swingerclubs, der den hochtrabenden Namen Red Star Club trug, befand sich im Mittelpunkt der Exzesse, die auf der Spielwiese jetzt ihren Höhepunkt fanden.

Zehn Personen hielten sich in diesem Raum auf, und keiner achtete mehr auf den anderen. Jeder gab sich seinen Lüsten und Wünschen hin, trieb auf einen baldigen Höhepunkt zu - und Minuten später erfüllten lautes Stöhnen und spitze Schreie den Raum, als die Welle endgültig überschwappte.

Jenny (er kannte nicht mehr als ihren Vornamen, denn weitere persönliche Kontakte waren im Red Star Club nicht erwünscht) blickte leer und irgendwie enttäuscht an ihm vorbei, fixierte einen imaginären Punkt an der Decke, während sich Dr. Andreas Fischer von ihr löste und etwas Unverständliches vor sich hinmurmelte. Er war zu früh gekommen - wie es öfters der Fall gewesen war. Aber auch an diesem Partyabend blieb er ein Gefangener seiner eigenen Befangenheit, der sich selbst in diesem hemmungslosen Partytreiben nicht richtig gehen lassen konnte.

Seine Sexpartnerin kümmerte sich daher nicht weiter um ihn, sondern wandte sich einem jüngeren Pärchen zu und schenkte einer blonden, hageren Frau ihre Aufmerksamkeit, die von ihrem Partner gerade oral befriedigt wurde. Und nur wenige Sekunden später war sie auch schon ein Teil des Ganzen und achtete nicht mehr auf den zweiundfünfzigjährigen Fischer, der sich von den Matratzen erhob und rasch den Raum verließ. Das Stöhnen der anderen Partygäste nahm er nur noch am Rande wahr.

Seine Gedanken waren eine Mischung aus Bitterkeit und Enttäuschung, die ihn auch an diesem Abend ergriffen und sein weiteres Denken und Handeln bestimmten. Er hatte schnellen Sex gehabt - aber da war wieder diese Leere danach, die ihn fast verrückt machte. Eine grenzenlose Enttäuschung, die er nicht mit Händen greifen und sie auch nicht in Worte fassen konnte - aber sie war und blieb immer noch sein ständiger Begleiter. Selbst an diesem Ort, an dem man frivole Spielchen miteinander treiben konnte. Zumindest versprach das die weibliche Stimme auf dem Anrufbeantworter des Partyclubs)

»Willst du schon gehen?«, erkundigte sich Elisabeth, nachdem er geduscht und sich hastig angezogen hatte. Elisabeth stand an der Bar des Clubs und blickte dabei gelangweilt auf die alte Standuhr an der gegenüberliegenden Wand, lauschte mit einer Mischung aus verhaltener Neugier und sehnsüchtiger Erinnerung auf das Stöhnen und Keuchen jenseits des Perlmuttvorhanges, der die Spielwiese und die Bar voneinander trennte. »Komm, nimm noch einen Drink - es ist doch im Preis inbegriffen...«

»Na gut - ein Bier. Aber mach schnell. Es wird Zeit, dass ich gehe...«

Bist du ungeduldig, weil deine Frau zuhause auf dich wartet und sich womöglich fragt, warum das Geschäftsessen mit deinem Kunden so lange dauert?, signalisierten Elisabeths Blicke. Natürlich sprach sie das nicht aus, sondern behielt diese Gedanken lieber für sich. Sie wusste nichts außer den Vornamen der Partygäste - und manchmal war sie sicher, dass selbst diese nicht stimmten. Nur Andreas - der hieß wirklich so. Er machte nicht den Eindruck eines Täuschers, sondern schien eher einer von der Sorte zu sein, bei denen sich die Midlife-Crisis einige Jahre zu spät eingestellt hatte und der damit offensichtlich nicht fertig wurde. Aber das war sein Problem...

»Wohl bekomm's«, sagte Elisabeth, nachdem sie das frisch gezapfte Bier auf die blank polierte Theke gestellt hatte. »Das tut hinterher immer ganz gut, oder?«

»Mensch, lass mich doch zufrieden!«, kam es barsch über Andreas Fischers Lippen, und seine Stimme klang so feindselig, dass sich Elisabeth hastig abwandte und den einsamen älteren Mann an der Theke nicht länger beachtete. Das war auch der Moment, wo weitere Partygäste an die Bar kamen.

Fischer hielt es jetzt hier nicht mehr länger aus. Enttäuschung zeichnete sich in seinen Blicken ab, als er Jenny zusammen mit dem jüngeren Pärchen von der Spielwiese kommen sah. In ihren Augen leuchtete ein Feuer, das er bisher niemals hatte entfachen können. Neid und Missgunst stiegen in ihm auf. Hastig trank er sein Bier aus und verließ grußlos die Bar.

Aber sein Verschwinden wurde ohnehin kaum registriert - er war nur ein zahlender Gast, der seine Lust nach Sex hatte befriedigen wollen - und dieses Verlangen kostete einen einzelnen Herrn jedes Mal hundert Euro. Pärchen dagegen zahlten eine weitaus niedrigere Pauschale - und einzelne Damen hatten sogar freien Zutritt (aus verständlichen Gründen, denn es gab immer Herrenüberschuss...).

Ein Mann wie Andreas Fischer jedoch hatte kaum andere Möglichkeiten. Er lebte allein, hatte in den letzten fünf Jahren fast alle seine Freunde und Bekannten verloren. Es hatte ganz langsam begonnen sein Leben hatte sich praktisch verändert, als Heike gestorben war. Seine Frau, mit der er mehr als zwanzig Jahre verheiratet gewesen war. Aber der Krebs fragt nicht nach Liebe und Geborgenheit, wenn er unerwartet zuschlägt. Im Endstadium war Heike nicht mehr sie selbst gewesen, und die vielen Chemotherapien hatten auch eine einst so willensstarke Frau wie sie resignieren lassen. In der Uniklinik war sie gestorben, kurz vor Silvester 2015 - und Fischer war bis zum letzten Atemzug bei ihr gewesen.

Heikes grauenhafte Schmerzen und ihre Hilflosigkeit - all dies würde er nie vergessen können. Diese Bilder hatten sich in seinem Gedächtnis verankert - und sie traten immer in solchen Momenten wieder zum Vorschein, wenn seine Stimmung zwischen Melancholie und Bitterkeit hin und herschwankte.

Er hörte Jennys Lachen wie aus weiter Feme, während er nach seinem Mantel griff und sich nicht mehr nach den übrigen Partygästen umblickte, die nun die Bar umschwärmten. Ein schwerer, moschusähnlicher Geruch schwebte in der Luft, den er in diesen Sekunden als ausgesprochen widerwärtig empfand. Deshalb hatte er es umso eiliger, den Red Star Club zu verlassen.

Mit schnellen Schritten eilte er den schäbig wirkenden Flur entlang, riss die Haustür auf, trat ins Freie - und atmete erst dann wieder auf, nachdem er die schwere Tür hinter sich zugeschlagen hatte. Erst jetzt schien er aus einem Traum erwacht zu sein, dessen glitzernde und lüsterne Fassade sich in ein Meer aus Scherben verwandelt hatte. Vor allen Dingen dann, als seine Blicke nach links und rechts schweiften und sich vergewisserten, dass die Straße auch wirklich menschenleer war ( vielleicht ein Zeichen des stummen Eingeständnisses, dass er einen anrüchigen Ort betreten hatte).

Wind kam auf, zerrte an seinem Mantelkragen und ließ Dr. Fischer frösteln. Um diese Jahreszeit waren die Nächte in Schwaben schon empfindlich kalt - erst vor wenigen Tagen hatte bereits der erste Nachtfrost eingesetzt, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sich erste Reifglätte auf den Straßen bildete.

Das Tappen seiner Schritte auf dem Gehsteig kam ihm in diesen Sekunden seltsam laut vor. Andreas Fischer hatte beide Hände in den Manteltaschen vergraben und hielt den Kopf gesenkt, als er sich vom Red Star Club entfernte und sich auf dem Weg zu seinem Wagen machte, den er einige hundert Meter entfernt am oberen Ende der Straße abgestellt hatte. Dort gab es einen Parkplatz am EDEKA-Center, der um diese Zeit immer frei war. Und für ihn war es die beste Lösung. Schließlich wollte er nach Möglichkeit verhindern, dass ihn jemand durch Zufall den Red Star Club betreten sah. Das würde seinem Ruf nicht gut tun.

Andreas Fischer fluchte, als er feststellen musste, dass sich auf der Windschutzscheibe seines roten BMW bereits erster Reif gebildet hatte. Missgelaunt zog er den Schlüssel heraus, schloss die Wagentür auf und suchte im Handschuhfach nach dem Eiskratzer. Dann machte er die Windschutzscheibe frei und schwor sich dabei, das nächste Mal lieber mit einem Taxi zum Red Star Club zu fahren...

*

Samstag 12. November 2016

Tanzbar Amarillo, Königsbrunn

Parkplatz vor der Disco, gegen 1.00 Uhr morgens

Jens Bauer fühlte noch das dumpfe Dröhnen der Rhythmen in seinem Schädel, als er zusammen mit Lukas Walser und Tina Steffens die Tanzbar Amarillo verließ. Tina war noch völlig aufgedreht und summte mit verzückter Miene die letzten Klänge mit. Sie lachte, als der untersetzte Lukas beinahe gestolpert wäre - wenn ihn Jens nicht im letzten Moment aufgefangen hätte.

Lukas war nicht unbedingt ein Draufgänger-Typ - seinen Mangel an Flirterfahrungen kompensierte er mit dem übermäßigen Genuss von Alkohol. Und als die schlanke Tina ihm vor etwas mehr als einer Stunde sehr deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie kein Interesse an einem One Night Stand mit ihm hatte, hatte sich Lukas aus Frust einiges an Alkohol hinter die Binde gekippt.

An der frischen Nachtluft rächte sich das. Ihm wurde übel, aber er versuchte dennoch krampfhaft, sich das nicht anmerken zu lassen. Deshalb war es ihm peinlich (erst recht vor Tinas Augen), dass Jens ihn bis zum Auto stützen musste.

»Ich glaube, du brauchst dringend etwas Schlaf«, meinte Jens zu seinem Freund. »Ich bringe dich jetzt nach Hause - okay?«

»K... keine Sorge«, murmelte Lukas, der immer noch ziemlich blass im Gesicht war. »Ich halte das... schon aus. Von mir aus können wir noch in die Mahagoni Bar fahren.«

»Ich nicht«, meldete sich Tina zu Wort. »Mir reicht' s für heute. Ich muss morgen früh raus - meine Eltern kommen zu Besuch, und da muss ich fit sein - versteht ihr?«

»Willst wohl alles auf Hochglanz polieren, wie?«, kam es stotternd über Lukas’ Lippen (und seine Worte beinhalteten einen gewissen Trotz). »Also ich würde an deiner Stelle...«

»Du bist aber nicht an meiner Stelle, Lukas«, fiel ihm die blonde Tina ins Wort und gab ihm mit einer eindeutigen Geste zu verstehen, dass es besser war, wenn er jetzt seinen Mund hielt. »Was ist, Jens? Soll ich mir hier noch die Füße in den Bauch stehen, bis ihr euch endlich einig geworden seid? Falls es noch länger dauert, kann ich auch ein Taxi nehmen...«

»Nein - ich fahre dich nach Hause«, antwortete Jens rasch. »Nach Bergheim sind es ja nur zehn Minuten von hier. Komm, steig ein...«

Mit einem kurzen Achselzucken wollte er Tina zu verstehen geben, dass sie Lukas’ Worte besser nicht auf die Goldwaage legen sollte. Lukas war zu bis unter die Halskrause. Egal, was er jetzt sagte - er würde bei Tina nur noch weiter ins Fettnäpfchen treten.

Jens setzte sich ans Steuer, Lukas hockte sich neben ihn, und Tina nahm auf dem Rücksitz Platz. Jens startete den Motor des alten VW Golf. Es klappte nicht gleich beim ersten Mal - aber das war ja auch kein Wunder. Der Wagen hatte schon fast 150.000 km auf dem Tacho und war kurz davor, bald ganz den Geist aufzugeben. Für kurze Strecken war er noch gut - aber eine weite Reise wagte Jens damit nicht mehr.

Jens steuerte den Wagen vom Parkplatz, bog dann wenige hundert Meter später auf die Bobinger Straße ein und fuhr weiter in Richtung Wertachstraße. Von dort aus weiter zur Königsallee, die in die Bürgermeister-Wohlfarth-Straße mündete, dem Zentrum von Königsbrunn. Wenig später sahen die drei Freunde schon die blauen Warnlichter der Polizei. In Höhe des Cineplex-Kinos schien es einen Unfall gegeben zu haben.

»Komm, fahr weiter rechts ab«, schlug Tina vor. »Ich habe keine Lust, im Stau zu stehen. Fahr über die Peter Dörfler-Straße, und dann nach links in die Heidestraße – von da aus kommen wir auch in Richtung Haunstetten.«

Jens nickte nur, widmete den blinkenden Blaulichtern vor dem Kino keine Aufmerksamkeit mehr und fuhr rechts ab. Die Haunstetter Straße, die schließlich in die Königsbrunner Straße mündete, war eine der größeren Zubringer in Richtung Zentrum. Hier reihten sich Wohn- und Geschäftshäuser aneinander.

Für Jens war das alles viel zu hektisch. Er lebte in Inningen. Zwar immer noch nahe bei Augsburger Stadtteil Göggingen, aber wesentlich ruhiger. Dort wohnte er in einem kleinen Zimmer mit Bad, Schlaf- und Kochgelegenheit - mehr war es nicht, aber Jens stellte keine großen Ansprüche. Lukas hatte es da etwas besser - er war Mitglied einer schlagenden Studenten-Verbindung, die ihm ein großzügiges Zimmer in einem Haus für ausgewählte, politisch positiv orientierte Studenten zur Verfügung gestellt hatte (was immer das auch für Konsequenzen mit sich brachte). Lukas sprach nicht viel darüber, also kümmerte es Jens auch nicht sonderlich.

Tina Steffens studierte nicht. Sie arbeitete als Verkäuferin in der City-Galerie bei Saturn. Sie lebte in Bergheim, in einem alten Mietshaus und bewohnte dort die obere Etage.

»Fahr jetzt langsamer!«, riss Jens Tinas helle Stimme plötzlich aus seinen Gedanken. »Ja, wir sind schon auf der Königsbrunner Straße. Noch langsamer, Jens...«

Kopfschüttelnd drosselte Jens das Tempo, auch wenn er nicht wusste, warum er das tun sollte. Lukas Walser murmelte etwas vor sich hin, was Jens nicht verstand.

»Ja, das ist gut so«, murmelte Tina in stiller Vorfreude. Während sie das sagte, huschte ihr Blick zur Straßenseite, und Jens fragte sich erneut, was es zu dieser späten Stunde dort Interessantes zu entdecken gab.

Die Königsbrunner Straße war stadtauswärts nicht gerade ein bevorzugtes Wohngebiet. Zahlreiche Gewerbetreibende hatten sich hier ebenfalls angesiedelt.

Tinas Interesse galt jedoch einem ganz bestimmten Haus. »Ich wusste, dass es hier was zu sehen gibt...«, murmelte sie, als die Lichtkegel der Scheinwerfer zwei Männer und zwei Frauen erfassten, die gerade das besagte Haus verließen. »Na sieh mal einer an«, fuhr sie dann kopfschüttelnd fort. »Siehst du die Frau da vorn, Jens? Ich meine die Rothaarige mit dem schwarzen Mantel? Gütiger Himmel das ist meine Nachbarin Julia Greven. Es kursieren schon einige Gerüchte im Ort, dass sie ein recht lockeres Leben führt. Aber das hier jetzt...« Sie brach ab und suchte nach den passenden Worten.

»Ach so - ihr wisst gar nicht, wo wir hier sind«, klärte Tina nun ihre beiden Freunde auf. »Das ist der Red Star Club - ein recht bekannter Swingertreff in und um Augsburg. Heute Abend haben die Partytime. Da war bestimmt' ne Menge los und...«

»Woher weißt du das denn?«, fiel ihr Lukas Walser ins Wort. »Sag nur, du warst da schon mal drin...?«

»Ach was - man muss nur die Augen und Ohren offenhalten«, erwiderte sie. »Und in der Augsburger Allgemeinen steht ohnehin fast jeden Tag eine Kleinanzeige von diesem Club. Mensch Jens - fahr jetzt endlich weiter. Die Greven muss mich nicht unbedingt sehen. Los, mach schon!«

Jens tat, was Tina sagte und beschleunigte den Wagen wieder. Der Red Star Club und die vier Gäste blieben hinter ihnen zurück.

»Ich glaube, mir wird schlecht«, murmelte Lukas urplötzlich. »Halt an, ich muss gleich kotzen. Ich...«

Der Rest der Worte endete in einem Gurgeln, und das war ein eindeutiges Alarmsignal für Jens, kurz darauf auf die Bremse zu treten. Er lenkte den Golf an den Straßenrand, gegenüber vom EDEKA-Center und hielt an.

Lukas riss sofort die Beifahrertür auf, taumelte förmlich ins Freie und übergab sich nur wenige Schritte würgend neben einer Mauer. Er kotzte sich förmlich die Seele aus dem Leib - Alkohol in Maßen wäre besser für ihn gewesen.

Während sich Lukas‘ Mageninhalt auf dem Bürgersteig verteilte, blickte Jens ungeduldig hinüber zur anderen Straßenseite. Es wäre ihm peinlich gewesen, jetzt erwischt und zur Rede gestellt zu werden. Tina dagegen schien sich über Lukas augenblicklichen Zustand köstlich zu amüsieren. Sie kicherte immer wieder und schien das alles für einen großartigen Spaß zu halten.

Mehr aus einer Laune des Zufalls heraus glitten Jens’ Blicke weiter die Straße hinauf, entdeckten plötzlich einen Mann, der auf der anderen Seite der Straße marschierte und jetzt zu einem Auto auf dem EDEKA-Parkplatz ging. Er musste an ihnen vorbeigekommen sein, während Jens angehalten hatte - aber er war ihm trotzdem nicht aufgefallen, denn der Mann trug dazu noch einen dunklen Mantel.

Erst als er sich an der Wagentür zu schaffen machte und dabei kurz hinüber sah, konnte Jens sein Gesicht erkennen.

»Also sowas...«, murmelte er sichtlich überrascht. »Das ist ja...«

Er brach ab und sah zu, wie der Mann nun hastig in seinen Wagen stieg, den Motor startete und eine Spur zu schnell vom Parkplatz fuhr.

»Was ist?«, wollte Tina wissen. »Kennst du den Typen etwa?«

»Ja«, sagte Jens mit einem Achselzucken. »Das ist Dr. Fischer - er ist gewissermaßen mein Chef für die nächsten acht Wochen. Ich bin überrascht, ihn hier so spät noch zu sehen.«

»Vielleicht war er ja auch im Swingerclub«, grinste Tina und konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, wie richtig sie mit ihrer Vermutung lag. »Solche älteren Typen stehen doch bekanntlich auf sowas. Ist dieser Dr. Fischer verheiratet?«

»Was weiß ich?«, antwortete Jens. »Es interessiert mich auch nicht. Ich mag ihn nicht sonderlich. Das ist ein besonders penibler und korrekter Bursche. Mein Praktikum bei RED Diagnostics ist kein Zuckerschlecken, Tina. Der reagiert schon mies, wenn man nur fünf Minuten zu spät zur Arbeit kommt. Für den gibt' s nur sein Labor und...«

»...und vielleicht noch ganz andere Dinge, von denen weder du noch ich Ahnung haben«, fuhr sie fort. »Ich geb dir mal einen guten Ratschlag, Jens - wenn er dir wieder mal Vorwürfe macht, dann frag ihn doch einfach danach, was er hier zu dieser späten Stunde verloren hatte. Wenn er dann zusammenzuckt, weißt du genau, wo er war...«

Das war typisch Tina. Schlussfolgerungen ziehen und diese dann sofort zu ihrem eigenen Vorteil einsetzen, war eine ihrer Spezialitäten. Vielleicht wechselte sie deshalb immer wieder ihre Partner, weil ihr keiner gut genug war. Auch Jens hatte keine Chancen bei ihr - sie waren nur gute Freunde, und das reichte ihm.

»He, was ist denn, Lukas?«, rief Tina. »Bist du endlich fertig? Mensch, mir ist kalt, und ich bin müde!«

»Verdammte Scheiße!«, brummte Lukas, wischte sich über den Mund, stolperte dann zum Wagen zurück und ließ sich mit einem ächzenden Laut auf den Beifahrersitz fallen. »Die beiden letzten Drinks hatten es doch in sich...«

Er versuchte dabei schelmisch zu grinsen, aber daraus wurde nur eine missglückte Grimasse.

Jens Bauer schwieg und gab wieder Gas. Der Rest der Fahrt verlief ohne weitere Zwischenfälle. Zuerst setzte er Tina in Bergheim ab und fuhr dann Lukas zurück in die Stadt, wo sich in der Nähe vom Jakober Tor das Haus von Lukas‘ Studentenverbindung Rheno-Palatia befand. Und in der Nähe dieses Hauses hatte Lukas auch eine Wohnung gefunden. Er hatte seinen Freunden zwar nie viel darüber erzählt, aber Jens ahnte, dass Lukas ohne Mitgliedschaft in dieser Verbindung niemals solch eine preisgünstige Wohnung hätte finden können.

Beinahe hätte Jens mit dem linken Kotflügel beim Einparken die Mauer gestreift - er bemerkte es gerade noch, bevor es passierte. Lukas stieg aus, nickte Jens noch kurz zu aber der war schon seit einiger Zeit mit seinen Gedanken ganz woanders. Worum diese Gedanken und Vermutungen jetzt kreisten, das hätte Lukas mit seinem alkoholumnebelten Gehirn ohnehin nicht verstanden.

Also schwieg Jens und fuhr dann rasch wieder zu seiner Wohnung nach Inningen zurück. Schlafen konnte er ohnehin nicht - aber er besaß ein Amazon Prime-Abo, und das garantierte ihm jederzeit spannende Unterhaltung. Und zwar dann, wenn er es wollte!

*

Augsburg -Göggingen, unterhalb des Hotelturms

In der alten Villa in der Schießstättenstraße, gegen 8.00 Uhr

Dr. Andreas Fischer hatte in dieser Nacht schlecht geschlafen. Immer wieder hatte er sich von einer Seite auf die andere gewälzt und kaum ein Auge dabei zugemacht. Als dann das erste Morgengrauen die Schatten der Nacht vertrieb, fühlte er sich wie gerädert. Und als nur wenige Minuten später die ersten vereinzelten Regentropfen gegen die Scheiben der hohen Fenster klatschten, da wusste er, dass es ein trüber und öder Tag werden würde.

Er stand auf, ging ins Bad und erschrak, als er sich im Spiegel betrachtete. Seine Augen waren blutunterlaufen, und die Hautfarbe hatte eine solche Blässe angenommen, dass sich Fischers Hausarzt bei diesem Anblick wahrscheinlich ernsthafte Sorgen um ihn gemacht hätte.

Lustlos duschte er und zog sich an. Er verspürte keinen großen Hunger aber es war ihm klar, dass er etwas essen musste, wenn er seine Arbeit bewältigen wollte. Nach Heikes Tod hatte er die Oberpfalz verlassen und durch seine guten Kontakte dann einen Job bei RED Diagnostics gefunden. Er lebte seitdem in der alten, mit Efeu überwucherten Villa in der Schießstättenstraße, inmitten eines parkähnlichen Grundstücks.

Etwas weiter oberhalb befand sich das mexikanische Restaurant Manolito´s, wo während der Sommermonate Hochbetrieb herrschte. Dr. Fischer hatte das am Rande mitbekommen - aber es war ihm völlig gleichgültig. Andere Menschen oder Restaurants und Kneipen interessierten ihn nicht mehr.

Das Klingeln des Telefons riss ihn aus der morgendlichen Monotonie. Im ersten Moment blickte er missmutig auf den Apparat im Wohnzimmer, entschloss sich dann aber doch dazu, das Gespräch abzunehmen.

»Ja, wer spricht da bitte?«, meldete er sich schlecht gelaunt.

»Wie laufen Ihre Forschungen, Dr. Fischer?«, hörte er die sonore Stimme eines Mannes, die er sofort erkannte. »Wir hoffen doch sehr, dass Sie uns nächste Woche weitere Fortschritte melden können...«