Das Gewissen eines Killers - Alfred Wallon - E-Book

Das Gewissen eines Killers E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Ich wusste nicht genau, was mich in Cheyenne erwartete, als ich in den Zug stieg. Es waren gemischte Gefühle, nachdem ich Tom Horns Brief erhalten und gelesen hatte. Irgendwie war ich zunächst hin und her gerissen, ob ich überhaupt seine Bitte erfüllen sollte. Denn Horn war ein verdammter Hundesohn, mit dem ich oft nicht klargekommen war. Selbst nicht vor zwei Jahren, als wir zusammen für den gleichen Rancher schmutzige Jobs in der Gegend von Iron Mountain erledigten. Aber wenn die Prämie stimmt, dann vergisst man manchmal jegliche Gedanken darüber, wie es mit der Moral aussieht... Kurz nach meiner Ankunft in Cheyenne musste ich feststellen, dass ich Schatten auf meiner Fährte hatte. Männer, denen es ganz und gar nicht passte, dass ich Tom Horn helfen wollte. Sie lauerten mir auf und wollten mich aus dem Hinterhalt abknallen. Aber da hatten sie die Rechnung ohne mich gemacht... Das Gewissen eines Killers ist ein Roman von Alfred Wallon über einen Mann namens Tyler Banks, der einen Mord begangen hat, aber im entscheidenden Moment darüber schweigt. Auf äußerst spannend Weise schildert er den Weg des Killers und dessen inneren Zwiespalt. Ein ungewöhnlicher Western, den man so schnell nicht vergisst!

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Seitenzahl: 228

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DAS GEWISSEN EINES KILLERS

ONLY EBOOK - WESTERN

BUCH 2

ALFRED WALLON

IN DIESER REIHE BISHER ERSCHIENEN

e101  Alfred Wallon Die letzten Tage von Stonewall Jacksone102  Alfred Wallon Das Gewissen eines Killerse103  Alfred Wallon Stahlspur nach Leadvillee104  Alfred Wallon Die Pioniere von Kentuckye105  Alfred Wallon Tod am little big Horne106  Alfred Wallon Geistertanze107  Alfred Wallon Die Expeditionen des Jedediah Smithe108  Alfred Wallon Die Expeditionen des Meriwether Lewis und William Clarke109  Alfred Wallon John Calhouns Geheimnis - Die Calhouns - Eine Texas-Dynastie - Band 1e110  Alfred Wallon Revolver-Rache

© 2024 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a,  51570 Windeck

Redaktion: Alfred Wallon

Titelbild: Mario Heyer

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Satz: Torsten Kohlwey

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-7579-4152-9

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INHALT

Prolog

Begegnung hinter Gittern

Der Auftrag

Frank Millers Tod

Der alte Mann und die Vergangenheit

Ein verzweifelter Ausbruch

Tod aus dem Hinterhalt

Die Entscheidung

Die Hinrichtung

Nachwort

Über den Autor

PROLOG

Wyoming

1. November 1903

Auf dem Weg nach Cheyenne

Ich wusste nicht genau, was mich in Cheyenne erwartete, als ich in den Zug stieg. Es waren gemischte Gefühle, nachdem ich Tom Horns Brief erhalten und gelesen hatte. Irgendwie war ich zunächst hin und her gerissen, ob ich überhaupt seine Bitte erfüllen sollte. Denn Horn war ein verdammter Hundesohn, mit dem ich oft nicht klargekommen war. Selbst nicht vor zwei Jahren, als wir zusammen für den gleichen Rancher schmutzige Jobs in der Gegend von Iron Mountain erledigten. Aber wenn die Prämie stimmt, dann vergisst man manchmal jegliche Gedanken darüber, wie es mit der Moral aussieht.

Im Grunde genommen hätte ich es eigentlich wissen sollen, dass es Ärger mit Horn geben würde, wenn wir wieder aufeinander trafen. Auch wenn das schon einige Jahre her war, so hatte ich nicht vergessen, welche Rolle Horn damals gespielt hatte, als die Armee Geronimo und die letzten freien Apachen jagte und schließlich besiegt hatte. Er hatte sich genau wie einige Generäle nicht gerade mit Ruhm bekleckert – aber das ist mittlerweile Geschichte, und es nutzt nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Es gibt keine freien Apachen mehr, und es wird niemals mehr welche geben.

Damals hatte ich so meine eigenen Probleme gehabt. Einer der Apachen, die später noch aus dem San Carlos Reservat geflüchtet waren, war Chato gewesen. Ein mutiger Krieger, mit dem ich damals zusammen als Scout für die Armee gearbeitet hatte. Und ausgerechnet mich hatte die Armee damals ausgesucht, um den geflohenen Apachen anschließend zu jagen und wieder einzufangen. Chato hatte dabei sein Leben verloren, und ich hatte es nicht verhindern können.

Irgendwie war er mein Freund gewesen, und ich wünschte mir, ich hätte das viel früher und deutlicher zur Sprache gebracht. Aber ich glaube, dass Chato damals wusste, dass ich einen Job zu erledigen hatte – und ich denke, dass er mir in den letzten Minuten seines Lebens dann doch vergeben hat.

Nur ich konnte mir damals selbst nicht verzeihen, dass ich mich erneut vor den Karren der Armee hatte spannen lassen. Obwohl ich doch eigentlich hätte wissen, dass die Generäle vor Ort und das Bureau of Indian Affairs im weit entfernten Washington keinerlei Rücksicht auf Einzelschicksale nehmen würden. Und es galt immer noch der Spruch, den General Phil Sheridan einmal geprägt hatte: Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer!

Ich ließ mich damals treiben und verließ Arizona für einige Zeit. Die folgenden Jahre stellten nicht gerade Ruhmestaten in meiner persönlichen Laufbahn dar. Ich trank viel und versuchte, einiges zu vergessen. Aber je mehr ich den billigen Fusel in mich hineinschüttete, umso schlimmer wurde es. Bis ich eines Morgens aufwachte und mir bewusst wurde, dass ich verdammt tief in der Scheiße steckte! Zum Glück gelang es mir, aus dieser Sackgasse wieder zu entkommen. Auch wenn mich seitdem das Leben deutlich gezeichnet hat.

Mein Name ist Tyler Banks. Man kann mich anheuern, wenn man einen unangenehmen Job erledigen lassen will. Und zwar so, dass es endgültig ist. Ich habe es mir abgewöhnt, lästige Fragen zu stellen, wenn ich einen Auftrag erledige. Ich führe ihn aus, kassiere meine Prämie und mache mich dann vom Acker.

Mein Verhältnis zu anderen Menschen ist distanziert. Nach meinem Weggang aus Arizona bin ich die meiste Zeit allein geblieben und bin es heute immer noch – wenn man mal von gelegentlichen Stunden mit einigen Damen des horizontalen Gewerbes absieht. Aber mittlerweile habe ich mich damit abgefunden und denke nicht mehr viel darüber nach.

Seltsam, dass mir ausgerechnet jetzt solche Gedanken durch den Kopf gingen. Aber kurz nachdem ich in Denver eingestiegen war und der Zug losfuhr, beschäftigte ich mich immer wieder mit den Ereignissen der letzten zwei Jahre. Ich habe einiges auf dem Kerbholz, und manches davon dürfte den einen oder anderen Gesetzeshüter alarmieren, wenn er es wüsste. Aber auch wenn ich jetzt schon auf die Fünfzig zugehe, so weiß ich immer noch, mich zu wehren, wenn mir einer krumm kommt. Und die wichtigste Regel war damals schon die gleiche wie heute noch. Sie lautet: schnell ziehen ist nicht das Wichtigste, aber sein Ziel so zu treffen, dass danach endgültig Ruhe herrscht, ist das, was letztendlich zählt.

Ich bemerkte das ältere Ehepaar, das schräg gegenüber von mir im Waggon saß. Die beiden schauten immer wieder in meine Richtung, steckten anschließend die Köpfe zusammen und redeten so leise und vorsichtig miteinander, dass ich es nicht mitbekam. Für viele zivilisierte Menschen wirke ich wie ein Mann aus der Vergangenheit – und wenn man genau darüber nachdenkt, dann ist das ja auch so. Ich habe die wilden und brutalen Jahre der Apachen-Aufstände mitbekommen und weiß, dass nur der Stärkere überlebt.

Der Mann und die Frau dagegen, die sich wohl an meinem Äußeren irgendwie störten, schienen diese Zeit nicht zu kennen. Vermutlich stammten sie aus einer der größeren Städte im Osten und kannten den Westen nur aus einschlägigen Zeitungsberichten. Und die Art und Weise, wie sie auf meinen Revolvergurt und die Waffe schauten, ließ darauf schließen, dass sie mich wohl für einen dieser Revolverhelden hielten, von denen in den letzten Jahren schon zahllose frei erfundene Abenteuer in billigen Heften verbreitet wurden.

Ich versuchte, die beiden so gut wie möglich zu ignorieren, aber es passte mir trotzdem nicht, dass sie mich betrachteten wie ein seltenes Insekt, von dem man nicht wusste, ob man es bewundern oder sich davor fürchten sollte. Deshalb beschloss ich, diesen, für die beiden sicherlich unerträglichen Gewissenskonflikt auf meine Weise zu beenden. Und es war mir verdammt egal, ob es der Etikette entsprach oder nicht.

Ich drehte mich um und schaute zu der Frau und dem Mann herüber.

»Ist irgendwas?«, fragte ich mit einem provozierenden Grinsen.

Der Frau blickte betreten zu Boden, und der Mann zuckte zusammen, als er mein Grinsen registrierte und sich Bruchteile von Sekunden später der Tatsache bewusst wurde, dass meine Augen nach wie vor kalt blieben – und äußerst wachsam.

»Äh... nein«, murmelte er hastig und bekam auf einmal einen roten Kopf. So als wenn ihn plötzlich jemand bei etwas Verwerflichem ertappt hatte, was man ihm niemals zugetraut hätte.

»Wenn Sie mir was zu sagen haben, dann tun Sie es!«, forderte ich den sichtlich eingeschüchterten Mann auf. Erst jetzt bemerkte ich bei näherem Hinsehen, dass er einen weißen Kragen unter seiner dunklen Jacke trug. Sein Äußeres wirkte würdevoll. War der Mann womöglich ein Priester, den ich jetzt zurechtgewiesen hatte?

»Sie sollten sich schämen, Mister!«, ergriff nun die Frau das Wort, weil ihr Mann immer noch zögerte, etwas zu sagen. »Sehen Sie nicht, dass Sie uns Angst einjagen mit Ihrem aggressiven Verhalten?«

Ihre Augen sprühten Funken. Auch wenn ihr Mann jetzt einzulenken versuchte, so blieb sie immer noch standhaft.

»Ma´am, ich kenne weder Sie noch Ihren Mann«, sagte ich. »Aber ich weiß, dass Sie über mich gesprochen haben. Also – wenn es irgendetwas zu besprechen gibt, dann sollten wir das gleich klären. Bevor es zu weiteren Missverständnissen kommt.«

Normalerweise reicht die Art und Weise, wie ich so etwas sage, eigentlich aus, um alles zu regeln. Aber in diesem Fall funktionierte es nicht. Die beiden schienen mich zu kennen und trauten sich aber nicht, mir zu sagen, wo wir uns schon einmal begegnet waren.

»Es herrscht endlich Ruhe im Iron Mountain Bezirk«, sagte der Mann, nachdem er sich wieder gefangen hatte. »Warum sind Sie zurückgekommen?«

Also hatte ich doch richtig vermutet. Die beiden kannten mich, und jetzt war ich selbstverständlich neugierig geworden.

»Wer sind Sie?«, fragte ich ganz direkt.

»Ich bin Reverend Lucas Abernathy – und das ist meine Frau Ella. Wir waren vor zwei Jahren in Iron Mountain, als... nun ja, als die Morde ihren Anfang nahmen.«

»Ist das so?«, fragte ich und ließ in meiner Stimme wieder eine leichte Drohung anklingen. »Und warum kehren Sie jetzt wieder zurück.«

»Gott möge mir und meinem Mann vergeben, für das, was wir denken und fühlen, Mister«, sagte Ella Abernathy. »Aber wir wollen sehen, wie diesen Mörder Tom Horn seine gerechte Strafe ereilt. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber irgendwann wird es Gerechtigkeit geben. Es hat lange genug gedauert.«

»Ich kann dazu nichts sagen«, erwiderte ich. »Und es spielt auch gar keine Rolle mehr. Auch wenn es Sie nichts angeht: ja, ich bin ebenfalls auf dem Weg nach Cheyenne. Aber nur, weil Horn mich darum gebeten hat. Die letzte Bitte eines zum Tode Verurteilten sollte man nicht abschlagen, oder?«

Der Reverend murmelte etwas vor sich hin, was ich nicht verstand. Aber dann erhob er wieder seine Stimme und schaute mich dabei sehr streng an.

»Wer Gewalt sät, wird Tod ernten, Mister«, sagte er.

Falls dies eine Drohung gewesen sein sollte, so kam sie bei mir jedoch nicht an. Auf mich wirkte es eher wie die Ermahnung eines Lehrers mit erhobenem Zeigefinger. Mehr empfand ich nicht dabei.

»Ich weiß nicht, was Sie mir damit sagen wollen«, fuhr ich daraufhin fort. »Am besten lassen Sie mich ganz in Ruhe. Ich habe bereits eine stundenlange Zugfahrt hinter mir und bin schlecht gelaunt. Ich möchte nicht, dass es durch weitere Missverständnisse zu irgendwelchen Komplikationen kommt – verstehen Sie?«

Während die letzten Worte über meine Lippen kamen, tastete ich mit der rechten Hand - rein zufällig, wie es schien – nach dem Kolben meines Remington-Revolvers. Und diese Geste schienen der Reverend und seine Frau tatsächlich zu verstehen.

»Entschuldigen Sie bitte«, kam nun seine Antwort. »Wir wollten keinen Streit auslösen. Natürlich können wir Ihnen nicht vorschreiben, wohin Sie reisen, Mister. Aber ich werde trotzdem ein Gebet für Sie sprechen.«

»Wenn Sie sich dadurch besser fühlen und glauben, damit eine gute Tat vollbracht zu haben, dann tun Sie das«, seufzte ich und wandte mich wieder ab. »Aber hören Sie auf, mich heimlich anzustarren!«

Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Ich ging zurück zu meinem Sitzplatz und konzentrierte mich stattdessen auf die Landschaft, die der Zug gerade passierte. Es war eine schöne Herbstlandschaft. Zahllose bewaldete Hügel säumten den Schienenstrang, und das Laub der Bäume schillerte in prächtigen Farben. Es war die Zeit des Jahres, wo sich der Herbst schon so gut wie verabschiedet hatte und bald die kalte Jahreszeit beginnen würde. Hier in den Hügeln, insbesondere um Iron Mountain herum, würde der Winter schon ein paar Wochen früher einsetzen.

Nicht gerade eine ideale Zeit, um Tom Horn einen letzten Gefallen zu tun. Es mag zwar verdammt egoistisch klingen – aber ich konnte diesen Hundesohn noch nie leiden, und das ist auch heute noch so. Aber ich war ihm trotzdem noch was schuldig, denn vor knapp einigen Jahren verhinderte er, dass mir ein hinterhältiger Revolvermann eine Kugel in den Kopf jagte. Wenn ich meine Schuld dadurch bezahlte, indem ich nach Cheyenne reiste und ihn noch einmal besuchte, dann waren wir damit quitt.

Meine Gedanken brachen ab, als sich weiter hinten die Tür des Wagons öffnete und ein Schaffner hereinkam.

»Ladies und Gentlemen!«, rief er. »In einer halben Stunde erreichen wir Cheyenne. Der Zug endet hier. Erkundigen Sie sich bitte an der Bahnstation nach weiteren Anschlüssen. Die Union Pacific bedankt sich bei Ihnen – und bis bald mal wieder...«

Das war natürlich ein einstudierter Satz. Aber die Bahnlinie schien offensichtlich sehr bemüht, Stammkunden zu gewinnen. In den letzten drei Jahren hatten einige der großen Eisenbahnlinien ihr Schienennetz quer durch die Weiten Amerikas ausgebreitet, und die weißen Flecken auf der Landkarte wurden immer weniger. Das Problem mit den Indianern war schon vor etlichen Jahren gelöst worden, und links und rechts des Schienenstranges entstanden immer wieder neue Ansiedlungen. Einige davon wuchsen so rasch an, dass selbst ich das kaum glauben wollte.

Ich kannte noch die Zeit, als man tagelang durch das Land reiten konnte, ohne eine Menschenseele anzutreffen. Aber das hatte sich gründlich geändert. In den großen Städten weiter im Osten und selbst hier gab es mittlerweile elektrischen Strom. Es gab zwar immer noch die Möglichkeit, Telegramme zu versenden – aber mittlerweile gab es Geräte, die man Telefone nannte und die es möglich machten, in Echtzeit Gespräche zu führen. Drüben im Osten waren die Straßen schon längst nicht mehr von Pferdegespannen und Droschken bevölkert, sondern von stinkenden, vierrädrigen Gefährten, die man Automobile nannte. All dies nannte man technischen Fortschritt, und der schritt mit einer geradezu beängstigenden Geschwindigkeit voran.

Ich war fest entschlossen, mich diesen neuen Herausforderungen zu stellen, wenn es erforderlich war, denn ich hatte vor, noch einige Jahre im Geschäft zu bleiben. Die Vorstellung, als alter Mann irgendwo im Schaukelstuhl auf der Veranda einer schönen Farm zu sitzen und seine Enkelkinder zu bespaßen, war für mich jenseits aller Realität.

Viel deutlicher dagegen war der Gedanke, irgendwann allein in einer heruntergekommenen Hütte sein Leben fristen zu müssen und auf Almosen und den guten Willen anderer angewiesen zu sein. Eine schreckliche Vorstellung war das – und jedes Mal, wenn ich daran dachte, wurde mir übel. Dann doch lieber eine Kugel einfangen, auf der vielleicht schon mein Name stand, ohne dass ich wusste, wann dieser Zeitpunkt eintreten würde...

Reverend Abernathy und seine Frau waren mit sich selbst beschäftigt und schauten auch nicht mehr herüber zu mir. Das war gut so. Stattdessen dachte ich darüber nach, was ich als erstes unternehmen würde, wenn ich in Cheyenne ankam. Sollte ich gleich Tom Horn in seiner Zelle besuchen oder mir erst einmal ein Bild von der Stimmung in Cheyenne machen? Schließlich waren schon zwei Jahre vergangen, und in dieser Zeit kann sich mehr ändern, als einem lieb ist. Auf solche Dinge wollte ich lieber vorbereitet sein, bevor ich mich eventuell bei irgendjemandem unbeliebt machte.

Der Zug drosselte jetzt sein Tempo, als in der Ferne die ersten Häuser von Cheyenne auftauchten. Ich riskierte einen Blick und stellte bereits aus dieser Entfernung fest, dass die Entwicklung und Ausbreitung dieser Stadt deutliche Spuren hinterlassen hatte. Bereits während der kritischen Jahre des Johnson County-Krieges war hier schon eine Menge los gewesen. Dies hatte sich noch verstärkt, und etliche neue Häuser waren hinzugekommen. Das sind eben die Zeichen der neuen Zeit, dachte ich, während ich mir vorstellte, dass diese stinkenden Automobile irgendwann auch einmal hier die Luft verpesten sollten.

Ich konnte jedoch nicht wissen, dass diese neue Zeit bereits angebrochen war und ich mich bald mit eigenen Augen selbst davon überzeugen würde.

BEGEGNUNG HINTER GITTERN

Der Reverend und seine Frau hatten es eilig, den Waggon zu verlassen, sobald der Zug den Bahnhof erreicht hatte und zum Stehen gekommen war. Ich sah den beiden nur noch kurz nach, während sie sich unter die anderen Menschen am Bahnsteig mischten und sie nur wenige Augenblicke später bereits verschwunden waren.

Auch ich stieg jetzt mit meinem Koffer aus und schaute mich erst einmal in Ruhe um. Ein Junge mit lockigen Haaren und dreckiger Kleidung rannte am Bahnsteig auf und ab und versuchte, den ankommenden Passagieren eine Zeitung zu verkaufen. Dabei ging er ziemlich aufdringlich vor, und einige Leute störten sich daran.

Ich wollte den Jungen auch zunächst abblitzen lassen, hörte dann aber, wie er ganz aufgeregt mit der linken Hand gestikulierte.

»Todesurteil gegen Tom Horn wurde gefällt. Hinrichtung findet noch diesen Monat statt. Lesen Sie unsere Extraausgabe! Nur fünfzig Cents!«

Ich runzelte die Stirn, als ich das hörte. Offensichtlich hatten sich die Dinge dramatisch zu Toms Horns Ungunsten verschlechtert, seit er mir diesen Brief geschrieben hatte. Es konnte also nicht schaden, wenn ich mich gleich über den aktuellen Stand der Dinge informierte.

»Gib mir eine Zeitung«, sagte ich zu dem Jungen und drückte ihm fünfzig Cents in die Hand. Natürlich bemerkte ich, wie er fast schon hypnotisch auf meinen Revolvergurt mit dem Remington starrte – aber ich tat so, als wenn ich das nicht bemerkt hätte.

»Wo gibt’s hier ein Hotel, in dem man gut und preiswert für einige Tage übernachten kann?«, fragte ich den Zeitungsjungen, nachdem er mir ein Exemplar ausgehändigt hatte.

Er schaute mich und meinen Revolvergurt wieder ganz neugierig an, bevor er darauf antwortete.

»Das Cattlemen´s Hotel am Ende der Main Street, Mister«, klärte er mich auf. »Ist zwar nicht ganz billig – aber wenigstens gibt’s keine Läuse in den Betten.«

»Danke«, sagte ich, nahm meinen Koffer und die Zeitung und machte mich auf den Weg. Natürlich wusste ich, dass der Junge mir nachstarrte und sich vermutlich den Kopf darüber zerbrach, mit welchem Revolverhelden aus den billigen Romanen von Ned Buntline ich am meisten Ähnlichkeit hatte. Sollte er denken, was er wollte – es interessierte mich nicht. Ich wollte erst einmal ein Zimmer haben, meinen Koffer auspacken und dann die Zeitung lesen. Anschließend würde ich dann Tom Horn im Gefängnis aufsuchen.

Das Cattlemen´s Hotel befand sich am Ende der breiten Straße. Es war ganz aus Stein gebaut und wirkte sehr imposant. Ich würde vermutlich tief in die Tasche greifen müssen, um hier die Zeit bis Horns Hinrichtung abzuwarten. Aber ich würde es tun, denn ich war ihm noch etwas schuldig. Und ich bin kein Mann, der Schulden unnötig lange aufschiebt.

Eine Viertelstunde später stand ich an der Rezeption des Hotels und ließ den kritischen Blick des Angestellten über mich ergehen.

»Wie lange wollen Sie bleiben, Mister Banks?«, fragte mich der Mann, nachdem er meinen Namen gelesen hatte, während ich mich im Buch eintrug. »Bei mehr als einer Woche könnten wir Ihnen einen Sonderpreis gewähren und...«

»Vielleicht bleibe ich bis zum Ende des Monats«, unterbrach ich ihn. »Ich kann´s aber noch nicht genau sagen.«

»Wollen Sie auch der Hinrichtung beiwohnen?«, fragte der Mann und brachte es tatsächlich nicht fertig, seine Neugier zu zügeln.

»Ich will erst einmal ein Zimmer«, sagte ich. »Alles Weitere werde ich entscheiden, wenn es soweit ist. Reichen 100 Dollar als Anzahlung?«

Der Mann machte ganz große Augen. Wahrscheinlich sah ich so aus, als könne ich mir das nicht leisten, deshalb erstickte ich seine Skepsis, indem ich zwei Geldscheine herausholte und auf den Tisch legte.

»Nicht anfassen«, sagte ich, als ich bemerkte, dass er wie ein hungriger Geier seine Krallenhände nach dem Geld ausstreckte. »Die Druckerschwärze ist noch nicht getrocknet.«

Er zuckte zusammen und begriff erst Sekunden später, dass es sich um einen Scherz gehandelt hatte. Er wich meinem Blick aus, drehte sich um und nahm einen Schlüssel von einem der zahlreichen Haken im Regal.

»Nummer 7 – gleich im ersten Stock, Mister Banks«, sagte er. »Das Zimmer ist am Ende des Ganges rechts. Von da aus haben Sie einen guten Überblick auf die Hauptstraße... und auf das Gefängnis...«

»Ah«, sagte ich, ließ ihn aber immer noch im Unklaren, ob mich das wirklich interessierte. Ich nahm meinen Koffer, ging nach oben und öffnete die Tür zu dem Zimmer, das für die nächste Zeit meine Unterkunft darstellen sollte. Den Koffer stellte ich ab und schaute mich erst einmal um. Es war alles vorhanden: Bett, Schrank und ein paar einfache Möbel. Aber für mich reichte es aus. Und nachdem ich mich kurz aufs Bett gelegt und dessen Bequemlichkeit geprüft hatte, kam ich zu der Entscheidung, dass alles passte.

Ich nahm die Zeitung, setzte mich in den Sessel neben dem Fenster und warf einen Blick auf die Titelseite. Natürlich ging es um den Gerichtsprozess und das gefällte Urteil über Tom Horn. So wie es aussah, würde man Horn am 20. November einen Strick um den Hals legen und ihn aufhängen. Die Beweise schienen klar – das Gericht hatte entschieden, dass er verantwortlich für Willie Nickells Tod war!

Als ich diesen Namen las, gingen mir wieder alle möglichen Gedanken im Kopf herum. Ich wusste aber auch, dass dies zu nichts führte. Denn das Schicksal hatte bereits unwiderrufliche Fakten geschaffen, und ich wäre ganz sicher der einzige gewesen, der das noch hätte ändern können. Was aber dann auch bedeutet hätte, dass ich selbst gewaltig in der Scheiße steckte. Aber so tief ging meine Loyalität zu Tom Horn nicht, dass ich dafür meinen eigenen Hals riskierte.

Ich legte die Zeitung beiseite, stand auf und schaute aus dem Fenster. Mittlerweile war die Sonne schon weit nach Westen gerückt. Bis zum Abend war es nicht mehr fern. Wenn ich also jetzt Tom Horn einen Besuch abstatten wollte, dann sollte ich das lieber jetzt tun.

Ich verließ das Zimmer wieder und ging die Treppe nach unten. Ich sah, wie der Hotelangestellte mit einem anderen Gast redete und dabei auf das Buch zeigte, in dem ich mich eben registriert hatte. Als der Mann mich sah, brach das Gespräch plötzlich ab, und eine eigenartige Stille breitete sich plötzlich in der Lobby aus. Für mich war das Beweis genug, dass der Angestellte mit dem zweiten Mann offensichtlich über mich gesprochen zu haben schien – und das bedeutete nichts anderes, als dass auch er wohl meinen Namen kannte oder mit ganz bestimmten Dingen in Verbindung brachte. In den letzten beiden Jahren schien man mich also nicht vergessen zu haben.

Der Mann, der an der Rezeption stand, gefiel mir nicht. Er hatte irgendetwas Lauerndes, Misstrauisches an sich, ohne dass ich hätte genau sagen können, warum das so war. Aber ich war lange genug in diesem Geschäft, um sofort zu wissen, dass dieser Kerl mit Vorsicht zu genießen war. Und die Art und Weise, wie er mich anschaute, ließ mich sofort spüren, dass er mich nicht mochte und möglicherweise im Sinn hatte, Streit anzufangen.

Es gibt immer solche Typen, die glauben, dass man mit Prahlen und großen Sprüchen weiterkommt und den anderen, auf den man es abgesehen hat, einschüchtern kann. Bei mir würde sich dieser Kerl allerdings die Zähne ausbeißen. Ich war schon einigen solcher Großmäuler begegnet, die mich hatten provozieren wollen. Ein Teil von ihnen lag schon seit einigen Jahren sechs Fuß tief unter der Erde, und die anderen hatten ganz schnell Leine gezogen, nachdem sie begriffen hatten, dass mit mir nicht gut Kirschen essen war.

Der Mann war groß und schlank und trug einen sorgfältig gestutzten Oberlippenbart. Sein Gesicht wirkte asketisch, als wenn er an Schwindsucht litt. Er schien sich mehr in geschlossenen Räumen als im Freien aufgehalten zu haben, wie ich aufgrund seiner blassen Gesichtsfarbe schloss. Die Augen in seinem Gesicht flackerten unruhig, als er meinem Blick nicht auswich.

»Wollen Sie was von mir?«, fragte ich ihn ganz direkt, um das Spiel abzukürzen. Denn ich hatte keine Lust, mich mit ihm anzulegen und mich mit einigen Wortgefechten weiter reizen zu lassen.

»Wie kommen Sie denn darauf?«, stellte der Mann die Gegenfrage. »Seine Stimme klang unangenehm hoch und gereizt. »Ich habe mich nur nach einem freien Zimmer erkundigt – das ist alles. Ich glaube, Ihre Nerven sind nicht die besten, Mister. Schließen Sie besser nicht von sich auf andere...«

Während er das sagte, senkte er seine rechte Hand – unauffällig, wie er glaubte und sicherlich auch hoffte – in die Nähe des Revolverkolbens.

»Ich würde es besser bleiben lassen!«, drohte ich ihn in einem Tonfall, der eine unmissverständliche Warnung beinhaltete. »Machen Sie keine Dummheiten – es ist die ganze Sache nicht wert, glauben Sie mir das...«

Irgendetwas in meiner Stimme schien ihn doch zur Vernunft zu ermahnen und ihn daran zu erinnern, dass dies vermutlich nicht der richtige Augenblick war, um eine offene Konfrontation zu suchen.

»Sie sind in Cheyenne nicht willkommen, Banks«, murmelte er und hatte es auf einmal eilig, das Hotel zu verlassen. Er zog den Schwanz ein und zog Leine. Das war mir nur recht. Typen wie ihn mochte ich nicht.

»Wer war das?«, wollte ich von dem Hotelangestellten wissen. »Sie kennen ihn doch, oder?«

Ich bemerkte das kurze Zögern des Mannes. Er wich dabei meinen Blicken aus.

»Hören Sie«, versuchte ich es noch einmal. »Ich habe keine Lust, um den heißen Brei herumzureden. Also sagen Sie mir, was Sie wissen, ja?«

»Sein... sein Name ist Gil Hopkins«, sagte der Hotelangestellte. »Mister Banks, ich weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat – bitte lassen Sie mich aus der Sache heraus. Ich habe schon zu viel gesagt und...«

»Noch nicht genug!«, fiel ich ihm ins Wort. »Erzählen Sie weiter. Was wissen Sie noch über diesen Hopkins?«

»Er kam ins Hotel, nur eine halbe Stunde, nachdem ich Ihnen den Schlüssel zu Ihrem Zimmer aushändigte, Mister Banks«, erwiderte der Mann mit stockender Stimme. »Er erkundigte sich nach Ihnen und wollte wissen, wie lange Sie bleiben. Ich .. ich weiß nicht, woher er von Ihrer Ankunft wusste – das müssen Sie mir glauben.«

»Weiter!«, forderte ich ihn auf. »Ist das wirklich alles?«

»Es heißt, dass er mit der Nickell-Sippe in Verbindung steht«, berichtete der Mann weiter. »Der Mann hält sich schon seit einigen Tagen in Cheyenne auf. Als würde er auf jemanden warten, von dem er noch nicht genau weiß, wann er hier ankommt. Nun scheint es mir, als wenn das Warten für ihn ein Ende hat...«

»Interessant«, murmelte ich. »Keine Ahnung, was das mit mir zu tun hat«, sagte ich, um den Angestellten irgendwie zu beruhigen. Währenddessen zog ich einen Fünf-Dollar-Schein aus meiner Jackentasche und legte ihn auf das Rezeptionspult. »Tun Sie mir bitte einen Gefallen und lassen mich das wissen, wenn Sie diesen Mann noch einmal sehen? Wenn er beginnt, Fragen über mich zu stellen, dann geht mich das schon etwas an. Meinen Sie nicht auch?«

»Natürlich, Mister Banks«, versicherte mir der Mann, während er blitzschnell den Geldschein einsteckte, als gelte es, einen Schnelligkeitswettbewerb auf Teufel komm raus zu gewinnen. »Ich gebe Ihnen sofort Bescheid.«

Ich nickte ihm kurz zu und verließ dann das Cattlemen´s Hotel. Mir gefiel die Sache nicht, dass dieser Hopkins sich nach mir erkundigt hatte. Die ganze Zeit über zermarterte ich mir das Hirn, wo ich diesen Namen schon einmal gehört hatte. Zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern, ob ich ihm wirklich schon einmal persönlich begegnet war. Aber darauf würde ich wohl oder übel eine Antwort bekommen.

Die Dinge verliefen in eine Richtung, die mir nicht passte. Aber wenn ich es mir genau überlegte, dann hätte ich eigentlich damit rechnen müssen. Denn der eine oder andere erinnerte sich bestimmt noch an mich und meine Rolle, die ich damals bei den Ereignissen in Iron Mountain gespielt hatte. Manchmal sind auch zwei Jahre zu kurz, um bestimmte Dinge zu vergessen. Erst recht wenn sie sich auf so dramatische Weise abgespielt haben wie es damals der Fall gewesen war.

* * *

Der Mann, der mir auf mein Klopfen hin die Tür zum Sheriff´s Office öffnete, hatte den Anschein eines behäbigen Walrosses. Zumindest wiesen sein buschiger Schnauzbart und seine massige Gestalt daraufhin. Aber ich hatte es mir längst abgewöhnt, Menschen nur nach dem Äußeren zu beurteilen. Denn der Mann, der den Blechstern an seiner Weste trug, hatte sehr wachsame Augen, und denen war mein Revolverhalfter natürlich nicht entgangen.

»Guten Tag«, sagte ich. »Ich möchte zu Tom Horn.«