Western Legenden 74: Tag der Vergeltung - Alfred Wallon - E-Book

Western Legenden 74: Tag der Vergeltung E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Zwei Männer kommen nach San Angelo. Der eine will vergessen, was hinter ihm liegt, und der andere folgt seit Monaten einer Spur, die ihn nicht zur Ruhe kommen lässt. Währenddessen gibt es zwischen Tom Calhoun und den Cowboys von Rancho Bravo wieder Streit mit den Comanchen. Billy, der jüngste Sohn des Ranchers, gerät dabei in Lebensgefahr. RIO CONCHO Band 5 der historischen Familiensaga.

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In dieser Reihe bisher erschienen:

9001  Werner J. Egli Delgado, der Apache

9002  Alfred Wallon Keine Chance für Chato

9003  Mark L. Wood Die Gefangene der Apachen

9004  Werner J. Egli Wie Wölfe aus den Bergen

9005  Dietmar Kuegler Tombstone

9006  Werner J. Egli Der Pfad zum Sonnenaufgang

9007  Werner J. Egli Die Fährte zwischen Leben und Tod

9008  Werner J. Egli La Vengadora, die Rächerin

9009  Dietmar Kuegler Die Vigilanten von Montana

9010  Thomas Ostwald Blutiges Kansas

9011  R. S. Stone Der Marshal von Cow Springs

9012  Dietmar Kuegler Kriegstrommeln am Mohawk

9013  Andreas Zwengel Die spanische Expedition

9014  Andreas Zwengel Pakt der Rivalen

9015  Andreas Zwengel Schlechte Verlierer

9016  R. S. Stone Aufbruch der Verlorenen

9017  Dietmar Kuegler Der letzte Rebell

9018  R. S. Stone Walkers Rückkehr

9019  Leslie West Das Königreich im Michigansee

9020  R. S. Stone Die Hand am Colt

9021  Dietmar Kuegler San Pedro River

9022  Alex Mann Nur der Fluss war zwischen ihnen

9023  Dietmar Kuegler Alamo - Der Kampf um Texas

9024  Alfred Wallon Das Goliad-Massaker

9025  R. S. Stone Blutiger Winter

9026  R. S. Stone Der Damm von Baxter Ridge

9027  Alex Mann Dreitausend Rinder

9028  R. S. Stone Schwarzes Gold

9029  R. S. Stone Schmutziger Job

9030  Peter Dubina Bronco Canyon

9031  Alfred Wallon Butch Cassidy wird gejagt

9032  Alex Mann Die verlorene Patrouille

9033  Anton Serkalow Blaine Williams - Das Gesetz der Rache

9034  Alfred Wallon Kampf am Schienenstrang

9035  Alex Mann Mexico Marshal

9036  Alex Mann Der Rodeochampion

9037  R. S. Stone Vierzig Tage

9038  Alex Mann Die gejagten Zwei

9039  Peter Dubina Teufel der weißen Berge

9040  Peter Dubina Brennende Lager

9041  Peter Dubina Kampf bis zur letzten Patrone

9042  Dietmar Kuegler Der Scout und der General

9043  Alfred Wallon Der El-Paso-Salzkrieg

9044  Dietmar Kuegler Ein freier Mann

9045  Alex Mann Ein aufrechter Mann

9046  Peter Dubina Gefährliche Fracht

9047  Alex Mann Kalte Fährten

9048  Leslie West Ein Eden für Männer

9049  Alfred Wallon Tod in Montana

9050  Alfred Wallon Das Ende der Fährte

9051  Dietmar Kuegler Der sprechende Draht

9052  U. H. Wilken Blutige Rache

9053  Alex Mann Die fünfte Kugel

9054  Peter Dubina Racheschwur

9055  Craig Dawson Dunlay, der Menschenjäger

9056  U. H. Wilken Bete, Amigo!

9057  Alfred Wallon Missouri-Rebellen

9058  Alfred Wallon Terror der Gesetzlosen

9059  Dietmar Kuegler Kiowa Canyon

9060  Alfred Wallon Der lange Weg nach Texas

9061  Alfred Wallon Gesetz der Gewalt

9062  U. H. Wilken Dein Tod ist mein Leben

9063  G. Michael Hopf Der letzte Ritt

9064  Alfred Wallon Der letzte Mountain-Man

9065  G. Michael Hopf Die Verlorenen

9066  U. H. Wilken Nächte des Grauens

9067  Dietmar Kuegler Die graue Schwadron

9068  Alfred Wallon Rendezvous am Green River

9069  Marco Theiss Die Mathematik des Bleis

9070  Ben Bridges Höllenjob in Mexiko

9071  U. H. Wilken Die grausamen Sieben

9072  Peter Dubina Die Plünderer

9073  G. Michael Hopf Das Gesetz der Prärie

9074  Alfred Wallon Tag der Vergeltung

9075  U. H. Wilken 5000 Dollar für seine Leiche

9076  Lee Roy Jordan Wo Chesterfield geht

TAG DER VERGELTUNG

RIO CONCHO NO.05

WESTERN LEGENDEN

BUCH 74

ALFRED WALLON

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

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Copyright © 2024 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Umschlaggestaltung: Mario Heyer u.V. der KI Software Midjourney

Logo: Mario Heyer

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten

www.Blitz-Verlag.de

ISBN: 978-3-689-84085-3

9074 vom 01.09.2024

INHALT

Tag der Vergeltung

Comancheria

Über den Autor

Tag der Vergeltung

Schnee hing in der Luft. Der Wind war seit einer knappen halben Stunde stärker geworden und trieb nun die dichten grauen Wolken vor sich her, die sich weiter westlich zusammengeballt hatten. Dort am Horizont, wo sich die Davis Mountains erhoben, hinter denen sich Mexiko erstreckte, schneite es wahrscheinlich schon längst. Also würde es auch nicht mehr lange dauern, bis in der Brasada der erste Schneefall den Beginn des Winters in Texas signalisierte.

Der Westwind war schneidend kalt, aber das ignorierte der hochgewachsene Comanche. Er und die anderen Krieger, die aus dem Llano Estacado gekommen waren und sich nun inmitten einiger Fettholzbüsche verborgen hielten, beobachteten von dort einen Trupp von fünf Weißen draußen in der Ebene, schauten gespannt zu, was dort geschah. Der junge Comanche, dessen blauschwarzes Haar vom Winterwind zerzaust wurde, war mit seinen Gefährten schon fast eine Stunde hier. Aber keiner der ahnungslosen Weißen hatte bemerkt, dass die Kwahadi-Comanchen in der Nähe waren!

„Wann greifen wir an, Quanah?“, wollte der breitschultrige Antelope Warrior von seinem Anführer wissen.

„Gleich“, erwiderte der Krieger, in dessen Adern auch ein Teil weißes Blut floss. Sein Name war Quanah, und er war der Sohn von Cynthia Ann Parker, die sein Vater Peta Nocona zur Frau genommen hatte. Dann aber waren die Texas Rangers gekommen und hatten das Winterlager der Kwahadi überfallen. Dabei war sein Vater getötet und seine Mutter gewaltsam entführt worden. Quanah hatte sie seit diesem verhängnisvollen Tag nie mehr wiedergesehen.

Seit dieser Zeit trug Quanah Hass in seinem Herzen, und der richtete sich gegen jeden Weißen, der in das Land seines Volkes eingedrungen war, als wenn es dem weißen Mann schon ganz gehörte!

„Sie arbeiten an dem singenden Draht“, murmelte Quanah gedankenverloren, während seine Blicke über das karge Land glitten. „Es werden noch mehr Weiße in unser Land kommen wegen des singenden Drahtes. Das müssen wir verhindern, und deshalb werden wir die Weißen jetzt töten.“

Er brauchte nur einen kurzen Blick in die Gesichter der übrigen sechs Krieger zu werfen, um zu erkennen, dass auch sie seinen Hass teilten. Jeder der Kwahadi war fest entschlossen, das Teufelswerk des weißen Mannes zu zerstören und diejenigen zu töten, die daran arbeiteten.

Quanah gab den Kriegern einige leise Befehle. Es bedurfte nicht vieler Worte, um den Plan nun in die Tat umzusetzen. Lautlos schlichen sich die Krieger näher heran an den Ort, wo die Weißen mit dem Aufstellen von Holzpfählen zugange waren. Weder Quanah noch seine Gefährten begriffen die Funktionsweise des Telegrafen, den die Kwahadi den singenden Draht nannten. Sie wussten nur, dass man mit dessen Hilfe blitzschnell die Soldaten in den umliegenden Forts verständigen konnte. Und das bedeutete, dass die Soldaten umso rascher reagieren konnten, wenn es darauf ankam.

Die Situation wurde für die Comanchen immer bedrohlicher, also war es höchste Zeit, dass man das weitere Vordringen des singenden Drahtes endlich stoppte. Denn nur so konnte Quanah verhindern, dass die Weißen immer zahlreicher wurden. Sonst würden sie den Kwahadi noch mehr stehlen, als sie es schon getan hatten. Die Weißen fragten niemanden um Erlaubnis. Sie nahmen sich einfach das, was sie haben wollten!

Quanah duckte sich ganz tief, nutzte jede noch so geringe Deckung aus, um weiter in die Nähe der Weißen zu kommen. Ein spitzer Stein presste sich in seinen Magen, als er weiter voran schlich. Aber der junge Krieger ignorierte das und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die Feinde, während er seinen Kriegsbogen bereitlegte und dann einen Pfeil aus dem Köcher holte. Sekunden später zielte er damit bereits auf den Rücken eines der ahnungslosen Männer.

* * *

Matt Davenport fror, als ihm der eiskalte Westwind ins Gesicht blies. Auch wenn er eine dicke Felljacke und Handschuhe trug, so spürten er und seine Kameraden doch den Frost, der schon seit Tagen das Land im Griff hatte.

„Was ist los, Matt?“, rief ihm der untersetzte Buck Taylor zu, der zusammen mit Frank Jessup gerade einen weiteren Pfahl aufgerichtet hatte und dann in dem Loch versenkte, das Ken North und Robert Cole mühsam in den harten Boden gegraben hatten. „Komm und hilf uns, umso früher sind wir fertig!“

Davenport nickte stumm und ging zu den anderen Männern. Mit vereinten Kräften schafften sie es, den Holzpfahl im Boden zu verankern. Dann ging Davenport hinüber zu dem Pritschenwagen, um das Telegrafenkabel zu holen, das die beiden neu gesetzten Pfähle miteinander verbinden sollte.

„Ein Scheißjob ist das!“, beklagte sich Robert Cole fluchend, dem die Kälte und der Wind die letzten Stunden über ziemlich zugesetzt hatten. „Warum haben sich diese Schreibtischhengste das mit der Telegrafenlinie nicht schon früher überlegt? Mann, wenn wir schon im Frühjahr mit dem Bau begonnen hätten, brauchten wir jetzt in dieser Kälte nicht mehr zu schuften.“

„Du bist nicht hier, um dich zu beschweren, sondern um deinen Job zu machen, Cole“, wies ihn der Vorarbeiter Taylor heftig zurecht. „Und jetzt halte keine großen Reden, sondern hilf lieber Matt mit dem Kabel. Es wird gleich anfangen zu schneien. Hast du das begriffen?“

Cole murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, befolgte dann aber doch die Anweisungen des untersetzten Vorarbeiters. Eine gute halbe Stunde verging, dann hatten die Männer auch diese Arbeit schließlich hinter sich. Genau zum richtigen Zeitpunkt, denn noch während Matt Davenport die letzten Handgriffe oben bei den Leitungen erledigte, fing es auch schon an zu schneien. Dicke weiße Flocken fielen vom Himmel, die im Wind hin und her tanzten.

„So, das war’s!“, rief Davenport mit sichtlich erleichterter Stimme. „Fang mal auf, Buck!“

Er warf den Hammer dem Vorarbeiter zu und wollte dann langsam den Pfahl hinuntersteigen. Genau in diesem Moment erfüllte ein leises Zischen die Luft, und Bruchteile von Sekunden später bohrte sich etwas mit solcher Wucht in Davenports Rücken, dass dieser das Gleichgewicht verlor und hinunterstürzte. Der Mann schrie, als er den höllischen Schmerz spürte, der ihn fast wahnsinnig werden ließ.

„Comanchen!“, brüllte nun der Vorarbeiter, als er den gefiederten Pfeil im Rücken seines Kameraden stecken sah. Das war aber auch das Einzige, was er noch tun konnte. Denn ein zweiter Pfeil traf ihn und ließ ihn auf der Stelle zusammenbrechen.

Gellende Kriegsschreie erfüllten die Luft, als plötzlich zehn Comanchen von einer Sekunde zur anderen aus den Büschen kamen und sich auf die Arbeiter stürzten. Der Schrecken über den schnellen Tod ihrer Kameraden lähmte die drei anderen, sodass sie gar nicht mehr dazu kamen, sich zu wehren. Noch ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnten, waren die Comanchen auch schon bei ihnen, sprangen sie an und rissen sie zu Boden. Messer wurden gezückt, bohrten sich in die Körper der unglücklichen Weißen.

Nur wenige Sekunden waren vergangen, seit die Comanchen den Angriff begonnen hatten, aber schon war alles vorbei. Quanah und seine Krieger hatten ganze Arbeit geleistet und alle Weißen gnadenlos getötet. Wilder Triumph erfasste ihn jetzt, als er die Blicke der anderen sah. Genugtuung erfüllte jeden der Krieger, weil sie es geschafft hatten, die Weißen zu töten, ohne selbst Verluste zu erleiden.

Während drei der Krieger nun die Toten durchsuchten, waren einige andere Comanchen bereits zu dem Pritschenwagen geeilt, kletterten hinauf und schrien Sekunden später laut auf, als sie drei Gewehre erbeuten konnten. Ältere Sharps-Hinterlader sowie fünf Paterson-Colts mit entsprechender Munition.

„Die Waffen werden uns noch stärker machen, Quanah!“, rief Antelope Warrior dem Anführer der Comanchen zu und reckte eines der Gewehre mit siegessicherer Geste in den Himmel empor. Quanah gönnte seinem Gefährten diesen Triumph. Aber wenn die Kwahadi auf Dauer gegen die Weißen bestehen wollten, dann benötigten sie noch viel mehr Gewehre und Munition, nicht nur die wenigen Waffen, die sie in vergangenen Überfällen bereits schon erbeutet hatten. Denn die wenigen Weißen, die hierhergekommen waren, bildeten nur den Anfang.

Quanah wusste, dass noch viele andere nur darauf warteten, dass die Soldaten und die Ranger die Kwahadi vertrieben. Deshalb hatte er Vorkehrungen getroffen, wie er noch an weitere Gewehre kommen konnte. Nicht nur durch Überfälle!

„Nehmt auch die Pferde!“, rief Quanah den anderen Kriegern zu, als sie die Waffen an sich rissen und dann vom Wagen sprangen. „Und dann lasst uns zurückreiten! Ich möchte nicht, dass die Texas Ranger unsere Spur entdecken.“

„Die Ranger werden uns niemals aufspüren!“, rief der junge Touch-the-Cloud und hielt Quanah die erbeutete Waffe entgegen. „Sie werden nur den Tod im Llano Estacado finden, wenn sie uns folgen. Denn dort sind sie hilflos wie Kinder!“

Quanah ließ dem jungen Krieger seinen Triumph. Aber er selbst hatte schon seine eigenen Erfahrungen mit den Texas Rangern gemacht, und das hatte ihn vorsichtig werden lassen. Auch wenn es nur wenige Männer waren, mit denen es die Kwahadi zu tun hatten, so waren die Ranger doch sehr gefährlich. Und deshalb wollte er so rasch wie möglich weg von hier, nachdem sie die Weißen getötet und ausgeraubt hatten.

Sie nahmen all das mit sich, was sie gebrauchen konnten, zogen den Toten auch ihre Stiefel und Jacken aus. Dann tauchten sie in den Büschen unter, eilten zurück zu ihren Pferden, die sie im Dornengestrüpp verborgen hatten. Die Schneeflocken wurden jetzt dichter, als die Comanchen in nordwestlicher Richtung davonritten. Dort, jenseits des Horizontes, erstreckte sich der weite und öde Llano Estacado, ihre Heimat.

* * *

Colonel Amos Calhoun zog sich den breiten Hut noch tiefer in die Stirn, als ihm der kalte Wind dichte Schneeflocken ins Gesicht blies. Seit einer guten halben Stunde schneite es ziemlich dicht, und die Brasada war nun mit einem weißen Kleid überzogen. Winter war über das Land hereingebrochen, und es sah ganz danach aus, als wenn die Temperaturen in den nächsten Tagen noch mehr sinken würden.

Unweit der Ebene, die die Postkutsche der Overland Line nun durchquerte, zügelte er sein Pferd auf einer Hügelkuppe und ließ seine Blicke über das weite Land schweifen. Die tanzenden Schneeflocken ermöglichten ihm nur eine schlechte Sicht. Amos Calhoun verfluchte im Stillen die Tatsache, dass es ausgerechnet jetzt zu schneien begann, wo er mit seinen Männern die Kutsche sicher nach San Angelo zu geleiten hatte. Es herrschten sehr unsichere Zeiten, denn die Comanchen wehrten sich gegen die Weißen, die mit der Postkutsche und der neuen Telegrafenlinie nach Texas kamen.

Seine Gedanken brachen ab, als er Hufschläge hörte, die sich der Stelle näherten, von der aus er das Land beobachtete. Er wandte den Kopf und sah seinen Sohn Jess, der ebenfalls mit seinem Vater und zehn anderen Rangern den Schutz der Postkutsche gewährleisten sollte.

„Kannst du was erkennen?“, rief Jess seinem Vater zu, während er nun ebenfalls seinen Rappen zügelte.

Amos Calhoun schüttelte stumm den Kopf. „Der Schnee wird immer dichter“, erwiderte er dann nach einer kleinen Weile. „Aber auch die Comanchen werden ihre Mühe haben, uns vorzeitig zu entdecken.“

„Also können wir nur hoffen, dass wir ihnen nicht über den Weg laufen“, schlussfolgerte Jess. „Verdammt, ich wünschte, wir hätten San Angelo schon erreicht, Pa.“

„Das kann noch ein paar Stunden dauern bei diesem Wetter“, antwortete der Rangercolonel. „Du siehst ja selbst, wie schlecht nun die Sicht geworden ist. Pete muss aufpassen, dass er mit der Kutsche nicht noch vom Weg abkommt. Lass uns wieder hinunterreiten zu den anderen, Junge.“

Jess nickte und folgte dann seinem Vater, der dem Pferd bereits die Hacken in die Weichen gedrückt hatte und losgeritten war. Die beiden erreichten wenige Augenblicke später die Kutsche. Jess hörte, wie einer der vier Insassen sich mit ängstlicher Stimme aus dem Fenster hinaus erkundigte, ob die beiden Ranger etwas Verdächtiges bemerkt hatten.

„Es ist alles ruhig da draußen, Mister!“, antwortete sein Vater dann. „Machen Sie es sich da drin etwas bequem. Wir werden San Angelo am späten Nachmittag erreicht haben.“

Damit versuchte der Rangercolonel, die Passagiere in der Kutsche halbwegs zu beruhigen. Aber die Angst vor den Comanchen ließ sich nicht so einfach beseitigen. Denn zu viel war in den letzten Wochen und Monaten in Texas geschehen. Seit die Gesellschaft den Telegrafen baute, hatten die Überfälle der Comanchen zugenommen. Und es sah ganz danach aus, als wenn Texas so schnell nicht zur Ruhe kommen würde. Ganz im Gegenteil.

Jess hörte den alten Pete Newcomb oben auf dem Kutschbock laut fluchen. Natürlich versuchte er, seine Pferde anzutreiben, um so schnell wie möglich das sichere San Angelo zu erreichen. Aber die dichten tanzenden Schneeflocken machten ihm jetzt einen Strich durch die Rechnung. Jess konnte sich gut vorstellen, was in dem Postkutschenfahrer jetzt vorging. Denn wahrscheinlich war dies die letzte regelmäßige Fahrt überhaupt!

Und das bedeutete für Männer wie Pete Newcomb, dass sie jetzt ihren Job verloren. Denn die Overland Line wollte das Leben ihrer Angestellten und erst recht das ihrer zahlenden Passagiere nicht länger aufs Spiel setzen. Das wussten auch die vier Männer, die in die Kutsche nach San Angelo gestiegen waren. Aber sie mussten gute Gründe haben, diese gefahrvolle Reise anzutreten.

* * *

Die Miene des hageren Mannes wirkte eine Spur blasser, als er sich vom Fenster abwandte und sich wieder zurücklehnte. Geoff Hastings hatte gerade mit dem Rangercolonel gesprochen, und dessen Worte hatten nicht unbedingt dazu beigetragen, die Furcht zu beseitigen, die von dem Whiskeyhändler Besitz ergriffen hatte, seit er die Kutsche nach San Angelo bestiegen hatte. Aber am Ziel wartete ein lukratives Geschäft auf ihn, das er sich nicht entgehen lassen wollte.

„Nun beruhigen Sie sich doch endlich!“, sagte der untersetzte Wesley Rankin, der in San Angelo lebte und im Norden Verwandte besucht hatte, weil es dort eine Erbschaftsangelegenheit zu regeln gegeben hatte. „Der Colonel und seine Männer werden schon darauf achten, dass wir sicher nach San Angelo kommen. Nicht wahr, Reverend?“

Die letzten Worte Rankins galten dem aschblonden Mann im dunklen Anzug eines Priesters, der bisher gedankenverloren das immer dichter werdende Schneetreiben verfolgt hatte und sich erst jetzt vom Fenster wieder abwandte.

„Die Wege des Herrn sind unergründlich, Mister Rankin“, erwiderte er mit ruhiger Stimme. „Aber ich denke doch, dass wir sicher in San Angelo ankommen werden.“

„Da sehen Sie’s!“, sagte Rankin nun zu dem Whiskeyhändler und atmete erleichtert auf, als sich Hastings nun doch allmählich wieder beruhigte. Denn dessen nervöses Verhalten hatte die anderen Passagiere in der engen Kutsche schon reichlich genervt. Auch wenn das niemand ausdrücklich gesagt hatte.

„Was führt Sie denn eigentlich nach San Angelo, Mister?“, wandte sich Rankin nun an einen älteren grauhaarigen Mann, der sich bisher ziemlich schweigsam verhalten hatte. Er saß dem Reverend gegenüber und hielt mit seinen nervigen Händen eine Tasche auf dem Schoß fest, von der er sich bisher noch kein einziges Mal getrennt hatte. Der Angesprochene überlegte einen kurzen Moment, bevor er schließlich die Frage Rankins beantwortete.

„Ich bin nur auf der Durchreise, Sir. Auch wenn ich jetzt notgedrungen in San Angelo eine Zwangspause wegen der Comanchen einlegen muss, so werde ich weiterreisen, sobald die Ranger und die Armee mit den Comanchen fertig sind.“

„Verzeihen Sie meine Neugier, Mister“, hakte Rankin sofort nach, während er seine Blicke auf die Tasche des Mannes richtete. „Aber sind Sie vielleicht Arzt? Ich meine ...“

Er hielt überrascht inne, als er bemerkte, wie der Angesprochene bei diesen Worten heftig zusammenzuckte und einige Sekunden benötigte, um seine innere Ruhe wiederzufinden. Dann aber bemerkte der grauhaarige Mann die erstaunten Blicke der anderen Passagiere und nickte schließlich.

„Ja, ich bin Arzt“, murmelte er schließlich. „Aber weshalb interessiert Sie das denn so brennend? Das ist sicherlich kein Beruf, über den es große Worte zu verlieren gilt.“

„Und ob“, hielt ihm Rankin entgegen. „San Angelo braucht dringend einen Doc, Mister. Wollen Sie sich nicht hier niederlassen?“

„Nein!“, antwortete der Mann etwas heftiger, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. „Ich will weiter nach Südwesten“, fuhr er fort. „Mein Bruder lebt in Arizona, und dort will ich hin.“

„Nun, vielleicht überlegen Sie es sich ja doch noch anders, wenn wir erst einmal in San Angelo sind“, meinte Rankin. „Sie werden sehen, dass es eine junge aufstrebende Stadt ist. Ein guter Arzt hätte hier ein schönes Auskommen, das können Sie mir wirklich glauben.“

Falls er mit diesen Worten beabsichtigt hatte, den Grauhaarigen nun zu einer weiteren Antwort zu bewegen, so sah er sich im Irrtum. Der Mann, der von sich behauptet hatte, er sei Arzt, schwieg jetzt wieder und wich den prüfenden Blicken Rankins aus. Wesley Rankin machte sich seinen eigenen Reim auf die ganze Sache, beschloss aber dennoch, sofort nach dem Eintreffen der Kutsche in San Angelo die anderen Mitglieder des Stadtrates, dem er ebenfalls angehörte, sofort zu informieren. Schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass ein Arzt und ein Reverend nach San Angelo kamen. Denn die Stadt am Rande der Brasada brauchte ebenso einen Geistlichen wie einen Arzt. Zumal das Gotteshaus nach wochenlangem Bau allmählich der Vollendung entgegensah.

Die Kutsche musste nun das Tempo notgedrungen drosseln, als der Wind immer heftiger wurde und Schneeflocken sogar in den Innenraum wehte. Selbst mit zugezogenen Vorhängen wurde das auch nicht besser. Es war schneidend kalt, und der holprige Weg, den die Kutsche jetzt zurücklegte, trug auch nicht gerade dazu bei, um den Passagieren auf dieser langen Fahrt wenigstens etwas Bequemlichkeit zu verschaffen. Alle wurden ziemlich unsanft durchgeschüttelt.

Reverend Brian Shaw fror genauso wie die übrigen Männer in der Kutsche. Da half auch der Brandy nichts, den Geoff Hastings in seinem Koffer hatte und seinen Leidensgenossen zum Aufwärmen spendierte. Aber die Gedanken des Mannes in der Priesterkleidung weilten sowieso an einem anderen Ort. An einem einsamen Grab in der Nähe von Fort Phantom Hill.

Plötzlich waren laute Stimmen von draußen zu vernehmen. Augenblicke später erklang die fluchende Stimme des Kutschers, der das Pferdegespann zu zügeln versuchte. Schließlich gelang es Pete Newcomb, die Kutsche zum Stehen zu bringen.

„Was ... was hat das zu bedeuten?“, entfuhr es dem aufgeregten Hastings, der natürlich in diesem Moment wieder das Schlimmste befürchtete.

„Keine Ahnung“, erwiderte Wesley Rankin, schob den Vorhang beiseite, riskierte einen Blick aus der Kutsche und stellte dann fest, dass wenigstens der schneidende Wind etwas abgeflaut war. Auch der Schneefall ließ jetzt etwas nach, sodass er die Ranger gut fünfzig Yards vor der Kutsche erkennen konnte.

„Können Sie was sehen?“, fragte ihn der Arzt, der natürlich ebenso wie der Reverend wissen wollte, weshalb die Kutsche so plötzlich angehalten hatte.

„Ich weiß nicht, was da vorn los ist“, antwortete Rankin. „Aber da kommt gerade einer von den Rangern herangeritten. Ich werde ihn fragen, Gentlemen.“ Mit diesen Worten schaute er aus dem Fenster. „He, Ranger! Warum halten wir denn an? Ist etwas mit der Kutsche?“

Jess Calhoun musste sich die Worte erst zurechtlegen, bevor er antwortete. Seine Miene wirkte angespannt, und Rankin ahnte schon, dass da etwas Folgenschweres geschehen sein musste.

„Mister Rankin, wir sind auf einen Trupp Telegrafenarbeiter gestoßen“, antwortete der junge Ranger wahrheitsgemäß. „Sie sind alle tot, ermordet von Comanchen. Es ist kein schöner Anblick. Vielleicht sollten Sie besser in der Kutsche bleiben.“

„Ich glaube, ich werde gebraucht“, meldete sich nun Reverend Shaw zu Wort, der den gut gemeinten Ratschlag des Rangers überhört zu haben schien. Er erhob sich mühsam und verließ dann den engen Innenraum der Kutsche. „Wenn Sie gestatten, dann möchte ich für die Seelen der Unglücklichen beten, Ranger.“

„Das kann ich Ihnen nicht verwehren, Reverend“, erwiderte Jess mit gemischten Gefühlen. „Die armen Teufel haben es hinter sich. Ob sie noch was von Ihrem guten Willen mitbekommen, wage ich zu bezweifeln.“

„Der Glaube ist es, der einen Menschen stark macht, junger Freund“, antwortete der aschblonde Geistliche. „Vielleicht sollten Sie öfters in die Kirche gehen, dann wären Sie womöglich schon zu dieser Einsicht gekommen.“

„Und was ist mit Ihnen, Mister?“, erklang jetzt Wesley Rankins Stimme aus dem Inneren der Kutsche. Die Worte galten dem grauhaarigen Mann. „Sie sind doch Arzt. Wollen Sie sich die Toten nicht wenigstens mal ansehen? Oder haben Sie Angst?“

Jess Calhoun blickte nun erstaunt auf den Mann mit der Ledertasche in der Hand, der jetzt notgedrungen die Kutsche verließ und unsicher zu der Stelle schaute, wo Colonel Calhoun und die anderen Ranger waren.

„Was, Sie sind Arzt?“, fragte Jess. „Na, dann kommen Sie gleich mal mit, Mister ...?“

„Paul Bendell“, kam es kurz über die Lippen des Grauhaarigen. Zusammen mit Reverend Shaw folgte er Jess Calhoun. Hinüber zu der Stelle, wo die Toten lagen.

Colonel Amos Calhoun erhob sich jetzt mit einem lauten Seufzer, als er seinen Sohn mit dem Reverend und einem zweiten Mann herankommen sah.

„Ich bin Arzt“, erwiderte Bendell kurz, als er den fragenden Blick des Colonels erkannte. Er verlor keine weiteren Worte mehr, sondern inspizierte die Leichen kurz. Es war alles andere als ein schöner Anblick. Die Männer waren einen harten Tod gestorben. Sie mussten vollkommen ahnungslos gewesen sein, als der Tod seine knöchernen Finger nach ihnen ausgestreckt hatte.

„Was meinen Sie, Doc?“, wollte Amos Calhoun nun von Bendell wissen. „Wie lange ist es her?“

„Das lässt sich schwer schätzen“, erwiderte der grauhaarige Arzt achselzuckend und erhob sich schließlich wieder, nachdem er zwei der fünf Leichen untersucht hatte. „Es ist zu kalt, um das genau feststellen zu können, Colonel. Vielleicht sind sie heute Morgen überfallen worden, vielleicht aber auch erst vor wenigen Stunden.“

Amos Calhoun nickte nur und richtete seine Blicke nun auf einen Ranger, der das Gelände unweit der Telegraphenmasten abgesucht hatte.

„Nichts!“, bekam er dann von dem Ranger zu hören. „Der Schnee hat alle Spuren verwischt. Diese roten Hundesöhne sind wie vom Erdboden verschwunden. Es lässt sich nichts mehr feststellen, Colonel.“

Das hatte Amos Calhoun insgeheim schon vermutet. Der Winter löschte alle Spuren der roten Mörder. Sie waren so blitzschnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht sein mussten. Und fünf redliche Männer hatten sterben müssen! Manchmal hasste er diese schwere Aufgabe, die er nur mit einer Handvoll Männer erledigen konnte. Texas war ein weites Land. Zu groß, um überall rechtzeitig einzugreifen.

„Was sollen wir tun, Pa?“, wollte Jess nun von seinem Vater wissen. „Der Boden ist zu hart gefroren, um sie anständig zu begraben.“

„Das weiß ich selbst“, brummte Amos und ließ seine Blicke so lange über die schneebedeckte Landschaft schweifen, bis er fand, wonach er gesucht hatte. „Wir bringen sie hinüber zu der Felsengruppe und bedecken sie mit Steinen. Das sind wir ihnen schuldig, Leute.“

Auf sein Geheiß hin begannen die Ranger mit ihrer traurigen Arbeit. Eine halbe Stunde später hatten sie Steine über die Toten gehäuft. Reverend Brian Shaw sprach dann mit sonorer Stimme ein Gebet, während der Wind allmählich wieder aufkam und weitere dichte Wolken am fernen Horizont aufzogen. Das bedeutete erneuten Schneefall.

„Herr, nimm diese Unglücklichen zu dir und vergib ihnen ihre Sünden“, beendete Shaw sein kurzes Gebet. „Sie haben nicht viel von ihrem Leben gehabt.“

Dann bekreuzigte er sich erneut und wandte sich dann von der Grabstätte ab, wo die Telegrafenarbeiter ihre letzte Ruhe gefunden hatten. Auch Colonel Amos Calhoun und seine Ranger holten ihre Pferde und stiegen wieder in die Sättel. Schließlich wollten sie alle vor Einbruch der Dunkelheit San Angelo erreichen. Von dem nahe gelegenen Fort Concho und den dort stationierten Soldaten versprachen sie sich Schutz und Sicherheit. Hier draußen jedoch, in der endlosen Weite der Felsenwildnis und der sich weiter westlich erstreckenden Brasada kamen sie sich verloren vor.

„Ich werde mit den Verantwortlichen in San Angelo ein ernstes Wort reden müssen“, sagte Amos zu seinem Sohn, während er nach den Zügeln seines Pferdes griff. „Das kann nicht länger gut gehen, dass die Männer ohne jeglichen Schutz ihre Arbeit verrichten müssen. Verdammt, dann sollen sie eben bewaffnete Begleitreiter einstellen, die wenigstens etwas Sicherheit garantieren können.“

„Meinst du denn, dass sie auf dich hören werden, Pa?“, fragte ihn Jess mit einer gehörigen Portion Zweifel in der Stimme. „Die Company will doch an allen Ecken und Enden sparen, wie ich gehört habe. Da kann ich mir nur schwer vorstellen, dass die noch zusätzlich was lockermachen.“

„Wenn denen die Arbeiter davonlaufen, weil sie um ihr Leben fürchten müssen, dann wird es noch mehr kosten, Junge“, erwiderte Amos grimmig. „Und eins kannst du mir glauben: Die Nachricht vom Überfall der Comanchen wird sich in Windeseile herumsprechen.“

„Als wenn wir nicht schon genügend andere Sorgen am Hals hätten“, fügte Jess hinzu. „Da ist schließlich noch die Sache mit den Waffen, die die Comanchen über dunkle Kanäle bekommen. Hier bei diesem Überfall haben sie zwar keine Gewehre benutzt. Das muss aber nichts heißen.“

Amos nickte. Weil er wusste, an was Jess jetzt dachte. Seit einigen Monaten schon besaßen die Comanchen Gewehre, die ihnen von gewissenlosen Geschäftemachern zugespielt worden waren. Amos und seine Leute waren von Austin offiziell beauftragt worden, sich um diese Sache zu kümmern. Aber das war leichter gesagt als getan. Als wenn die Texas Ranger nicht noch genügend andere Sachen zu erledigen hätten!

Trotzdem hatten Amos und insbesondere Jess sich bemüht, etwas herauszufinden. Bis jetzt aber waren sie kaum einen Schritt weitergekommen. Fest stand nur, dass die Waffenhändler aus diesem Teil des Landes stammten. Denn es waren Quanah Parkers Comanchen, die die meisten Gewehre besaßen.

Während die Texas Ranger ihren Pferden die Zügel freigaben, hatten auch Reverend Shaw und Doc Bendell wieder die Postkutsche erreicht und nahmen dort ihre Plätze ein. Natürlich wurden sie von dem ängstlichen Hastings mit Fragen bestürmt, aber beide zogen es vor, nicht darauf zu antworten. Denn das, was sie gesehen hatten, war schrecklich genug, um jedem die Vergänglichkeit des Lebens vor Augen zu halten.

Pete Newcomb ließ seine Peitsche knallen, und das Pferdegespann setzte sich sofort in Bewegung. Augenblicke später hatten sie die Stätte des Todes bereits hinter sich gelassen. Dichte Schneeflocken fielen vom Himmel und bedeckten die Grabstelle mit einem weißen Kleid.

* * *

Tate Clayburn verfluchte im Stillen die Momente, wo er sein warmes Office und den behaglichen Ofen verlassen musste, um eine seiner täglichen Runden zu machen. Aber schließlich verlangte man das von einem frisch gewählten Gesetzeshüter, der gerade mal zwei Monate im Amt war, der erste überhaupt in der jungen aufstrebenden Stadt San Angelo.

Der Marshal warf einen letzten bedauerlichen Blick in Richtung des Ofens, bevor er sich die dicke Mackinaw-Jacke überstreifte und dann hinaus ins Freie ging. Über Nacht hatte es geschneit, und die Dächer der Häuser waren weiß. Die Mainstreet hatte sich in eine Schlammbahn verwandelt, nachdem es schon tagelang geregnet hatte. Jetzt bedeckte die weiße Pracht den größten Teil des Schlamms. Aber noch immer war ein Vorwärtskommen, insbesondere für Fuhrwerke und Pferdegespanne, ziemlich schwierig. Ganz zu schweigen von den Menschen, die die Straße überqueren mussten.

Sehnsüchtig blickte der Marshal hinüber zu dem kleinen Haus am Ende der Straße, wo Amy Stewart ihr Restaurant betrieb. Wie gerne wäre er jetzt dorthin gegangen, um die Gesellschaft der hübschen Amy zu genießen. Aber das musste eben warten, bis er seine Arbeit hinter sich hatte. Amy Stewart und Tate Clayburn hatten wirklich Glück gehabt. Sie hatten San Francisco genau im richtigen Moment verlassen, um hier in dieser kleinen Ansiedlung ihre Chance zu nutzen, um noch einmal von vorn zu beginnen. Denn in der Stadt am Pazifischen Ozean waren beide in gefährliche Auseinandersetzungen mit einem Mann namens Henderson verwickelt gewesen, der San Francisco mit einem Netz aus Terror und Gewalt überzogen hatte.

„Guten Morgen, Marshal!“, riss nun die Stimme des bärtigen Storebesitzers Seamus Growan Tate Clayburn aus seinen Gedanken. „Sieht ganz so aus, als wenn wir heute noch eine Menge Schnee bekommen!“

Clayburn winkte dem Iren zu, der als einer der ersten Pioniere in diesen Teil von Texas gekommen war und zu den Mitbegründern dieser Stadt gehörte.

„Der Winter kommt dieses Jahr früh“, antwortete er dann. „Verdammt, ich muss mich erst noch an diese Kälte gewöhnen. In San Francisco war’s da weitaus angenehmer.“

„Aber in San Angelo scheinen Sie sich trotzdem ganz wohl zu fühlen, Marshal“, sinnierte Growan und schaute bei diesen Worten hinüber zu Amy Stewarts Haus. Weil er wie die meisten Bewohner der Stadt wusste, was Clayburn für die hübsche Amy empfand.

Clayburn erwiderte nichts darauf, sondern grinste nur, während er seinen Weg dann fortsetzte. Tatsächlich schien Growan mit seiner Prophezeiung über das Wetter recht behalten zu haben. Denn als der Marshal die Mainstreet in südlicher Richtung entlangging, sah er die dichten Wolken am fernen Horizont, die sicherlich schon bald auch die Ebene erreicht haben würden. Wahrscheinlich hielt das Wetter die meisten Menschen in ihren Häusern zurück.

Um diese Stunde war die kleine Stadt meistens sehr belebt, denn die Kutsche der Overland Line musste bald eintreffen. Und mit der Kutsche kamen meist auch Neuigkeiten und weitere Ansiedler, die sich ebenfalls im Gebiet des Rio Concho niederlassen wollten. Tate Clayburn blickte in Richtung Horizont, als erwarte er, dort jeden Moment die Postkutsche zu sehen. Doch draußen in der weiten Ebene blieb alles ruhig. Also setzte er seinen Weg fort, ging das Wagnis ein, die schlammige Mainstreet zu überqueren, und erreichte somit die Schmiede auf der gegenüberliegenden Seite.

Hammerschläge erklangen aus dem Inneren des Gebäudes: Ein Zeichen, dass Moses Rennington gut zu tun hatte. Seit sich der schwarze Schmied in San Angelo niedergelassen hatte, konnte er sich über mangelnde Arbeit wirklich nicht beklagen. Moses war ein Könner auf seinem Gebiet, und das wussten viele Kunden zu schätzen.

Clayburn betrat die Schmiede. Moses Rennington, der ein noch glühendes Hufeisen mit dem Hammer heftig bearbeitete und dabei die Hitze ignorierte, die von dem heißen Feuer in der Esse ausstrahlte, sah jetzt den Marshal hereinkommen, hielt aber dennoch nicht in seiner Arbeit inne. Erst als er das Hufeisen so geformt hatte, wie es seinen Vorstellungen entsprach, ließ er es abkühlen und legte dann erst den schweren Hammer beiseite.

„Hallo, Marshal!“, begrüßte ihn dann der Schmied. „Ist es schon Zeit für Ihren Rundgang?“

Als er sah, wie Clayburn nickte, schüttelte Moses verwundert den Kopf.

„Da sieht man mal, wie die Zeit vergeht“, fuhr er fort. „Ich habe gar nicht mitbekommen, dass es schon so spät ist. Aber das ist ja kein Wunder bei der Menge, die ich heute noch erledigen muss. Die beiden Whitcombs wollen bis spätestens morgen früh ihre Pferde beschlagen haben.“

Mit diesen Worten wies er auf die fünf Tiere, die sich weiter hinten befanden.

„Das sind die restlichen Pferde“, meinte er und wischte sich den Schweiß aus der Stirn. „Und bis Sonnenuntergang muss ich das alles erledigt haben.“

„Wer weiß, wie lange Sie die beiden noch als Kunden haben werden, Moses?“, sinnierte Clayburn. „Die Ära des Pony Express geht langsam, aber sicher zu Ende.“

„Da wäre ich mir noch nicht so sicher“, hielt ihm der schwarze Schmied entgegen. „Gut, die Overland Line befördert auch Post, und sogar weitaus günstiger. Aber vergessen Sie nicht die Comanchen, Marshal. Ich habe gehört, dass man davon redet, die Postkutschenlinie vorübergehend stillzulegen. So lange, bis die Comanchen endgültig besiegt sind.“

„Das kann noch Jahre dauern“, bezweifelte Clayburn. „Also würde ich mich darauf nicht verlassen. Und selbst wenn die Overland Line ihren Betrieb den Winter über einstellt, so wäre das für Aaron Whitcomb und seinen Sohn Lance die Chance. So könnten es die beiden schaffen, sich noch eine Zeit lang über Wasser zu halten. Trotzdem: Der Pony Express gehört der Vergangenheit an. Die Zukunft ist die Overland Line.“

Moses wollte gerade etwas darauf erwidern, hielt dann aber inne, als er im selben Moment Hufschläge hörte. Auch Clayburn hatte das vernommen und spähte aus der Schmiede. Dann sah er den Reitertrupp und dahinter die Postkutsche, die soeben die ersten Häuser am unteren Ende der Mainstreet passierten und wenige Minuten später vor dem Depot der Overland Line zum Stehen kamen.

Clayburn und Moses, die nur gut fünfzig Yards davon entfernt waren, hörten auf einmal die aufgeregten Stimmen der Ranger und die befehlsgewohnte Stimme von Amos Calhoun. Von einem unguten Gefühl getrieben, ging Clayburn jetzt auf die Postkutsche zu, weil er irgendwie zu ahnen begann, dass da etwas nicht stimmte. Und als er dann die Kutsche erreicht hatte und sah, wie die Passagiere ausstiegen, da wusste er, dass er sich nicht getäuscht hatte. Denn er hörte die aufgeregte Stimme eines der Reisenden, der von einem Überfall sprach.

Der Marshal wollte auf Colonel Calhoun zugehen, um ihn zu fragen. Aber der schien es eilig zu haben. Er drückte die Zügel seines Pferdes einem der anderen Ranger in die Hände und überquerte dann die Straße, verschwand schließlich in einem flachen Gebäude weiter oberhalb der Straße, das das Hauptquartier der Telegrafengesellschaft in diesem Bezirk darstellte.

„Marshal, es ist was passiert“, sagte nun Jess Calhoun, der Sohn des Colonels. „Die Comanchen haben einen Trupp Arbeiter der Telegrafengesellschaft überfallen und sie alle getötet. Fünf Mann, es war ein grauenhafter Anblick.“

„Verdammt!“, entfuhr es Tate Clayburn, als er diese Hiobsbotschaft vernahm. „Wo genau war das?“

„Vielleicht dreißig Meilen weiter nördlich“, erwiderte der junge Ranger. „Am Rand der Brasada. Aber der Schnee hat alle Spuren zugeweht. Wir haben überhaupt keine Fährten mehr entdecken können. Jetzt ist mein Vater zu den Verantwortlichen der Telegrafenlinie gegangen. Er will denen klarmachen, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Wir Ranger können nicht überall gleichzeitig sein, um das Schlimmste zu verhindern.“

„Wem sagen Sie das?“, gab ihm der Marshal recht. Denn er kannte den Rangercolonel gut genug, um zu wissen, wie sehr er sich jetzt darüber aufregte, dass weitere Weiße den Comanchen zum Opfer gefallen waren. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er viel erreichen wird. Diese Männer dort drüben, sie denken nur an ihren Profit und daran, dass die Telegrafenlinie spätestens im kommenden Frühjahr in Betrieb genommen werden kann.“

„Es wird ein harter Winter für uns alle werden“, meinte Jess daraufhin und blickte den Passagieren der Kutsche hinterher, die mittlerweile ihr Gepäck an sich genommen hatten und das Depot der Overland Line verließen. Die Blicke des Marshals folgten denen des jungen Rangers und entdeckten dann den Mann in der Kleidung des Geistlichen.

„Ein Reverend in San Angelo?“, fragte er erstaunt. „Das wäre ja ideal, jetzt wo die Kirche schon fast fertig ist.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher, Marshal“, fügte Jess hinzu. „Der Reverend sieht nicht so aus, als wenn er hierbleiben wolle. Und der Grauhaarige, der ebenfalls ins Hotel geht, ist ein Arzt. Beide scheinen mir recht schweigsame Burschen zu sein. Ich glaube nicht, dass die in San Angelo bleiben, obwohl ein Priester und erst recht ein Doc hier wirklich dringend gebraucht werden, wie ich gehört habe.“

„Und ob“, bestätigte ihm das Clayburn. „Wenn das erst unser Stadtrat erfährt, bin ich sicher, dass man mit dem Reverend und dem Doc reden wird.“

Der Marshal konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, dass mit der Ankunft des Geistlichen und des grauhaarigen Arztes Dinge in Bewegung gerieten, die von folgenschwerer Bedeutung waren. So aber nickte er Jess Calhoun nur kurz zu und setzte seinen Rundgang anschließend wieder fort, während die Ranger ihre Unterkünfte aufsuchten und auf die Rückkehr von Colonel Amos Calhoun warteten. Eine halbe Stunde später fing es dann auch in San Angelo zu schneien an.

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