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Dies ist das zweite Buch in der Serie Die Forts am Bozeman Trail Die Oglala-Sioux haben Seamus Donegan und seine beiden Söhne überfallen. Amos und Ben sind tot, ihr Vater überlebt. Verletzt und skalpiert gelingt ihm die Flucht. Donegan will den Tod seiner Söhne rächen. Auf seinem Weg der Rache hinterlässt er bei jedem getöteten Oglala-Sioux ein blutiges Kreuz auf der Stirn. Er wird zum gnadenlosen Killer, der kein Erbarmen kennt. Die Indianer fürchten ihn. Donegan geht seinen Weg unerbittlich weiter, der ihn zu einem Deserteur aus Fort Connor führt und in dem von Oglala-Sioux belagerten Fort endet, dessen Besatzung kaum noch Lebensmittelvorräte besitzt. Ein schrecklicher Tod erwartet alle Soldaten, wenn nicht bald ein Nachschubtransport aus Fort Laramie eintrifft. Doch die Oglala-Sioux versuchen dies mit aller Macht zu verhindern. In diesen dramatischen Tagen entscheidet sich nicht nur Donegans Schicksal, sondern auch das vieler Soldaten. Die Printausgabe umfasst 234 Buchseiten Eine Exklusive Sammlerausgabe des Titels als Taschenbuch können Sie nur direkt über den Versabdshop des Blitz-Verlages beziehen.
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Seitenzahl: 252
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Die Forts am Bozeman Trail
In dieser Reihe bisher erschienen
3201 Alfred Wallon Blaurock-Patrouille
3202 Alfred Wallon Der Sioux-Killer
Alfred Wallon
Der Sioux-Killer
Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerIllustrationen: Wiktoria Matynia/123RF.comSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-332-2Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!
11. August 1865
Am frühen Morgen, in der Nähe des Powder River
Als er zum ersten Mal wieder etwas spürte, kam er sich vor wie in der Hölle. Zuerst war es nur ein kleiner Schmerz, der sein allmählich erwachendes Bewusstsein berührte. Aber daraus wurde innerhalb weniger Sekunden die Hölle. Der Kopf drohte zu explodieren, und er hörte ein grauenvolles Röcheln. Erst kurz darauf begriff er, dass er selbst es gewesen war, der diese Laute ausgestoßen hatte. Wie ein Tier im Todeskampf!
Verzweifelt versuchte er, die Augen zu öffnen, um in dieser wabernden Flammenhölle wenigstens eine geringe Orientierung zu bekommen. Aber es gelang ihm irgendwie nicht. Seine Augenlider waren schwer wie Blei, und er selbst konnte seinen Körper nur teilweise bewegen. Weil etwas ihn daran hinderte.
Dann spürte er, wie sein rechter Arm das Hindernis beseitigte. Die Finger seiner rechten Hand erreichten das Gesicht, versuchten, das permanente Rot irgendwie wegzuwischen, das seine Sicht trübte. Es war, als hätte ein dichter roter Schleier seine Sicht auf immer und ewig getrübt – und das, was sich hinter diesem Schleier befand, konnte er nur als blasse Konturen erkennen.
Dutzende von Gedankenfetzen und verwirrenden Bildern jagten sich, während er immer noch nicht begriff, was mit ihm geschehen war. Das Erwachen aus der alles verschlingenden Dunkelheit und die steigenden Schmerzen, die ihn peinigten – all dies trug mit dazu bei, dass er überhaupt nicht begriff, was mit ihm geschehen war.
In diesen quälenden Sekunden der Rückkehr ins Leben wusste er weder seinen Namen, noch erinnerte er sich daran, was überhaupt geschehen war. Warum er nur eingeschränkt sehen und sich immer noch kaum bewegen konnte, begriff er nicht. Er wusste bis jetzt nur, dass die Dunkelheit immer weiter zu weichen begann und die Flut von Gedankenbildern, die ihn verwirrte, allmählich nachließ. Übrig blieb nur der Wunsch, dass diese grausamen Schmerzen endlich nachließen und er wieder richtig sehen konnte.
Wieder bewegte er seine rechte Hand in Richtung der Augen, und aus einem Reflex heraus gelang es ihm, die klebrige Nässe, die sein Sichtfeld einschränkte, zu entfernen. Dann blickte er direkt in ein grelles, schmerzendes Sonnenlicht und schloss sofort wieder die Augen.
Seine Nase registrierte plötzlich einen Geruch, der ihn beunruhigte. Je schneller seine übrigen Sinne aus den Tiefen der Bewusstlosigkeit wieder zurückkehrten, umso stärker wurde die Unruhe, die ihn erfasste und ihm signalisierte, dass irgendetwas Verhängnisvolles geschehen war. Denn er spürte jetzt nicht nur einen bohrenden Kopfschmerz, sondern auch gleichzeitig ein Pochen in seiner Schulter, das in diesem Zustand fast schon eine Panik auslöste.
Ich bin hilflos!, schrie eine innere Stimme. Schwach und hilflos – aber dennoch lebe ich. Nur für wie lange ...?
Eine quälende Ewigkeit später gelang es ihm schließlich, auch die andere Hand von der unbekannten Last freizubekommen, die seinen Körper auf dem Boden festhielt und einfach nicht nachgeben wollte. Wieder und wieder rieb er über sein Gesicht, bis aus der feuerroten Hölle schließlich eine andere Umgebung wurde. Eine Umgebung, an die sich auch sein Verstand wieder erinnerte.
Als die Sicht wieder so klar wurde, dass er seine nähere Umgebung erkennen konnte, wusste er, was die Ursache dafür war, warum er sich nicht bewegen konnte. Etwas lag auf seiner Brust. Etwas, das streng roch und ihm seltsamerweise irgendwie bekannt vorkam – ohne dass er schon sagen konnte, warum das so war.
Er blickte in das schmerzverzerrte blutige Gesicht eines Toten, dessen Augen ihn anklagend anstarrten. Die Augen eines jungen Mannes, der sein ganzes Leben noch vor sich gehabt hatte. In Bruchteilen von Sekunden klärte sich die Flut von Erinnerungen und Ängsten, die von allen Seiten gleichzeitig auf ihn eingestürmt waren. Nun wusste er, wer er war!
„Ben ...“, keuchte Seamus Donegan, während er sich von der Last seines toten Sohns Ben zu befreien versuchte. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er Sekunden später auch seinen ältesten Sohn Amos erblickte, der wenige Schritte entfernt lag. Ebenfalls tot!
Er versuchte, sich zu erheben, soweit das in diesem geschwächten Zustand überhaupt möglich war. Gleichzeitig bildete sich in seinem Magen ein unangenehmer Druck, während in der Kehle sich etwas bildete, was einen Hustenanfall verursachte. Dem folgte ein heftiges Erbrechen, das Donegans Körper schüttelte und ihn in Atemnot brachte.
Als er schließlich nichts mehr im Magen hatte, war er in Schweiß gebadet, und er zitterte immer noch am ganzen Leib. Der bohrende Kopfschmerz hatte merkwürdigerweise etwas nachgelassen, aber das dumpfe Pochen in seiner Schulter hatte sich dagegen noch etwas verstärkt.
Jetzt wusste er, was geschehen war. Seine Söhne und er hatten auf eigene Faust versucht, die Alder Gulch in Montana zu erreichen, um dort nach Gold zu graben. Die Pratt-Brüder hatten sich ihnen angeschlossen, aber nur wenig später hatte es Ärger gegeben, und Donegan hatte handeln müssen. Harper Pratt war gestorben, weil er etwas Folgenschweres entdeckt hatte. Und als sein Bruder Travis hatte eingreifen wollen, war auch er umgebracht worden.
Donegan und seine beiden Söhne hatten aber noch nicht das Ende ihrer Pechsträhne erreicht. Schon einen Tag später waren sie in einen Hinterhalt geraten, und Donegan hatte zusehen müssen, wie diese verdammten roten Bastarde seine Söhne getötet hatten. Er war wenig später durch einen vernichtenden Hieb gefallen und gestorben – das war jedenfalls seine letzte Erinnerung gewesen. Aber Donegan lebte noch. Jedoch Amos und Ben waren tot!
Er schaffte es schließlich, aufzustehen, aber er schwankte noch stark. Immer wieder überkam ihn ein Schwindel, während er vorsichtig nach seinem Kopf tastete und auf einmal eine Stelle berührte, an der sich normalerweise hätten Haare befinden müssen. Aber da war gar nichts mehr. Weder Haare noch Kopfhaut.
Diese roten Hundesöhne hatten ihn skalpiert! Und die Schulter war ebenfalls verletzt durch einen Messerstich. Dort, wo Blut geflossen war, hatte sich eine starke Kruste gebildet. Als Donegan versuchte, das Hemd an der Schulter zu lösen, stöhnte er laut, weil es jetzt wehtat. Und als er seine Stirn berührte, fühlte sie sich heiß an. Sehr heiß!
Fieber, dachte er voller Entsetzen. Ich habe Fieber bekommen! Ich muss etwas tun, sonst ...
Allein der Gedanke, dass er nur erwacht war, um die Leichen seiner beiden Söhne zu sehen und dann kurz darauf die endgültige Reise ins Jenseits anzutreten, war so schrecklich, dass er seine letzten Kräfte mobilisierte. Er konnte ... nein, er durfte einfach nicht sterben. Nicht jetzt und erst recht nicht hier.
Noch während er sich diese Tatsache schonungslos vor Augen hielt, wurde ihm bewusst, dass er nicht länger hierbleiben konnte. Der sich immer stärker ausbreitende Geruch von Tod und Verwesung würde wilde Tiere anlocken. Ganz zu schweigen von den Sioux, die vielleicht noch einmal an den Ort ihrer blutigen Tat zurückkehren konnten.
So grausam diese blutige Realität auch war – er konnte und durfte nicht länger hierbleiben. Er musste Schutz suchen und einen Ort finden, an dem er in seiner momentanen Hilflosigkeit nicht zum Opfer wurde.
Auch wenn er selbst nicht wusste, woher er die Kraft und den Willen nahm, um diese schrecklichen Bilder des Todes überhaupt noch verarbeiten zu können, so gelang es ihm dennoch. Es nutzte nichts, auf die Leichen seiner Söhne zu starren und Trauer zu empfinden. Das machte sie nicht mehr lebendig. Er musste jetzt vor allem an sich selbst und an sein eigenes Überleben denken. Dennoch war es nicht sicher, ob ihm das überhaupt gelingen würde.
Er war allein in der Wildnis und verletzt – und er spürte das Fieber, das seinen Körper erfasst hatte. Seamus Donegan wankte ein paar Schritte und musste zunächst wieder innehalten, um Luft zu holen. Er war so schwach, dass jede Bewegung ganz viel Kraft kostete. Aber er biss die Zähne zusammen und marschierte weiter. Bis zu dem Wagen, auf dem sich einmal alles befunden hatte, was ihm und seinen beiden Söhnen eine neue Zukunft in Montana hätte ermöglichen sollen. Diese Träume waren jedoch ein für alle Mal vernichtet!
Donegan schaffte es erst beim dritten Versuch, auf den Wagen zu klettern und sich dann umzuschauen. Natürlich war ihm klar, dass die Sioux den Wagen gründlich durchsucht und alles mitgenommen hatten, was für sie noch irgendeinen Wert darstellte. Er fand lediglich noch ein Messer, das einer dieser blutrünstigen Hunde übersehen haben musste – und einen Beutel, in dem sich noch etwas Brot befand. Nicht viel, aber trotzdem mehr, als er in dieser Situation überhaupt erwartet hatte.
Er nahm beides an sich und stieg wieder vom Wagen herunter. Noch bevor er mit den Füßen den Boden berührt hatte, überkam ihn von einer Sekunde zur anderen ein Schwächeanfall. Zum Glück konnte er sich noch rechtzeitig an einer Verstrebung festhalten, bevor er das Gleichgewicht verlor und hinfiel. Denn er ahnte, dass er sich dann nicht mehr so schnell hätte erheben können.
Donegan wartete einen Moment, öffnete den Beutel und nahm ein Stück Brot an sich. Er konnte nur schätzen, wie lange er bewusstlos dort drüben gelegen hatte. Aber er verspürte einen nagenden Hunger, der jetzt seinen Tribut forderte. Trotzdem ging er mit dem Brot sehr sparsam um, denn er wusste überhaupt nicht, wie es mit ihm weitergehen sollte. Aber er schob den Gedanken beiseite, dass er in dieser Wildnis jetzt ums Überleben kämpfen musste. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er sich mitten im Indianerland befand.
Er schob sich einen Brocken Brot in den Mund und kaute darauf herum. Erst dann schluckte er es herunter und spürte, wie sein Körper noch nach mehr verlangte. Jedoch zwang er sich, diesem Gefühl nicht weiter nachzugeben, sondern war dankbar dafür, dass er überhaupt noch etwas zu essen gefunden hatte.
Er schaute hinauf zum Himmel und stellte fest, dass die Sonne schon ein gutes Stück weiter nach Westen gewandert war. Der Abend war nicht mehr fern. Höchste Zeit also, Ausschau nach einem sicheren Unterschlupf zu halten, bevor die wilden Tiere kamen. Deshalb setzte er vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Zwar ganz langsam, aber mit jedem weiteren Meter, den er sich vom Ort des Todes entfernte, wuchs auch die Hoffnung, dass es ihm gelingen würde, irgendwie zu überleben. Auch wenn es nur eine geringe Chance war, so klammerte er sich an den Gedanken, dass diejenigen, die seine Söhne so brutal ermordet hatten, irgendwann dafür zahlen mussten!
Dieser Hass war es, der ihm zusätzliche Kräfte verlieh und das schier Unmögliche Wirklichkeit werden ließ. Seamus Donegan wankte zwar ein wenig, aber mit jedem weiteren Schritt brachte er immer mehr Entfernung zwischen sich und die Stätte des Todes.
Während er tiefer in den Wald eindrang, musste er immer wieder gegen das Fieber ankämpfen, das seinen Körper in Schüben erreichte und ihn wanken ließ. Er wusste aber auch, dass er niemals aufgeben durfte. Sonst wäre alles umsonst gewesen. Diejenigen roten Bastarde, die seine Söhne auf dem Gewissen hatten, mussten die Zeche zahlen – egal wie viel Zeit verstrich. Donegan war kein Mann, der Rechnungen offenstehen ließ. Selbst in seinem geschwächten Zustand und mit den Verletzungen, die er erlitten hatte, kämpfte er sich weiter.
Mehr als eine Stunde mochte vergangen sein, bis er schließlich einen kleinen Bach entdeckte, der sich sein Bett in zahlreichen Windungen einen flachen Hügel hinunter grub. Für Donegan bedeutete dieses Wasser Überleben. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er den kleinen Bach erreichte und langsam niederkniete. Er tauchte beide Hände in das kalte Wasser und seufzte, als allein dieses Gefühl ihm schon ein unbeschreibliches Wohlgefühl bereitete.
Ganz vorsichtig reinigte er sein Gesicht und versuchte auch, das verkrustete Blut von der Stelle seines Kopfes zu entfernen, wo man ihm den Skalp abgezogen hatte. Für einen winzigen Moment sah er im klaren Wasser des Baches sein Spiegelbild und zuckte zusammen, als ihm klar wurde, wie ausgezehrt er aussah.
Die Wunde in der Schulter blutete zwar nicht mehr, aber er konnte auch nicht erkennen, wie tief sie war. Einer der Sioux musste von hinten auf ihn eingedrungen sein und ihn mit dem Messer verletzt haben. Auch wenn die Verletzung noch schmerzte und ihn mehr als nur einmal dazu zwang, die Zähne zusammenzubeißen und tapfer zu bleiben, konnte er dennoch atmen, ohne dass er einen Stich in der Lunge verspürte. Was nichts anderes bedeutete, als dass vermutlich keine inneren Organe ernsthaft verletzt waren. Zumindest hoffte Donegan das.
Erst jetzt hob er die Hände an seinen Mund und nahm einige Schlucke. Das Wasser tat ihm gut und ließ zusätzliche Lebensgeister in seinen geschundenen Körper zurückkehren.
„Ich schaffe es“, murmelte Donegan mit krächzender Stimme. „Ich brauche nur etwas Zeit. Aber dann werdet ihr es büßen ...“
Für ihn war das so etwas wie ein heiliger Schwur, den er jetzt an diesem kleinen und unscheinbaren Bach gefasst hatte. Er würde alles dafür tun, dass diese Gedanken nicht nur reines Wunschdenken blieben, sondern Wirklichkeit wurden. Alles, was dafür nötig war – das waren Zeit und Ruhe.
Wieder aß er etwas von dem Brot aus dem Beutel und trank erneut Wasser. Schon jetzt fühlte er sich deutlich zuversichtlicher und beschloss deshalb, weiter nach einem geeigneten Ort zu suchen, wo er langsam wieder zu Kräften kommen konnte. Er hoffte, dass er solch einen Platz in der Nähe des kleinen Baches finden würde. Denn hierher würden auch Tiere kommen, um zu trinken. Für ihn bedeutete das eine Chance auf Fleisch, das er dringend brauchte.
Das wenige Brot, das er besaß, würde vielleicht zwei oder drei Tage reichen – aber nicht länger. Bis dahin musste er so weit wieder zu Kräften gekommen sein, dass er auf die Jagd gehen konnte. Wie er das in seinem angeschlagenen Zustand überhaupt bewerkstelligen konnte, darüber dachte Donegan nicht nach. Er wusste nur, dass er eine Lösung finden würde, wenn der Zeitpunkt gekommen war.
Jetzt galt sein Interesse einem abgebrochenen Ast, der nur wenige Schritte von ihm entfernt lag und genau die richtige Größe besaß, um ihm als Gehhilfe zu dienen. Mit dem Messer aus dem Wagen schnitt er die Zweige ab. Allein das verursachte wieder einen Schweißausbruch und ein Pochen in der Schulter. Aber er machte trotzdem weiter, bis er zufrieden sein Werk betrachtete. Nun besaß er so etwas wie eine Krücke, mit der er schneller vorankommen konnte.
Seine Blicke schweiften über das Gelände um den Bach herum und fixierten schließlich einen Punkt etwas oberhalb. Instinktiv schritt er darauf zu. Mit dem starken Ast, den er als Stütze benutzte, schaffte er das in einer knappen Viertelstunde. Dann stand er vor einer mit Büschen und Moos bewachsenen Felswand – und er entdeckte einen Einschnitt im Gestein, den er vom Bach aus gar nicht sehen konnte. Dieser Einschnitt erweiterte sich zu einer Höhle, die Donegan ohne Zögern betrat.
Auch wenn er damit rechnen musste, dass diese Höhle einem wilden Tier als Unterschlupf diente, kroch er hinein. Das Messer hielt er weiter in der rechten Hand – aber nichts wies darauf hin, dass ihm eine unmittelbare Gefahr drohte. Seine Nase registrierte auch keinen Tiergeruch.
Allmählich wich die Spannung, die von Donegan seit seinem Erwachen Besitz ergriffen hatte – und die kleine Höhle gab ihm zumindest so etwas wie einen Hauch von Sicherheit in dieser Wildnis. Jetzt gab er der Erschöpfung nach, die schon seit geraumer Zeit ihren Tribut forderte.
Er konnte nur hoffen, dass das Fieber ihm jetzt nicht die letzten Kraftreserven raubte. Das war einer seiner letzten Gedanken, bevor sein Kopf zur Seite fiel und er das Bewusstsein verlor.
13. August 1865
Kurz vor Sonnenaufgang – in der Höhle unweit des kleinen Baches
Seamus Donegan konnte nicht mehr unterscheiden, ob es nur Albträume waren, die in seinem Kopf herumspukten, oder ob diese Dinge wirklich geschahen. Er konnte sich auch nicht mehr an alles erinnern, als er aus dem Schlaf erwachte und feststellte, dass sich in der Höhle mittlerweile ein penetranter Geruch verbreitet hatte. Eine Mischung aus Schweiß, Urin und Eiter – und er fühlte eine unangenehme Kälte in seinen Knochen. Deshalb versuchte er, sich hochzustemmen, und stellte dabei gleichzeitig fest, dass der bohrende Schmerz in seinem Kopf abgeflaut war. Er hatte auch nicht mehr das Gefühl, dass er innerlich von einer unbeschreiblichen Hitze gequält wurde. Das war eigentlich ein gutes Zeichen.
Als er mit der rechten Hand nach seiner Stirn tastete, fühlte sich die Haut normal an. Weder trocken noch irgendwie heiß. Die Schulter quälte ihn noch etwas, aber als er nach der Wunde tastete, stellte er fest, dass auch dort die Schwellung etwas zurückgegangen war und sich die Wundränder weitestgehend geschlossen hatten. Also auch hier kein Anzeichen für eine Entzündung oder sonst etwas Besorgniserregendes.
Donegan und seine Söhne hatten gelernt, sich selbst zu versorgen, und dieses praktische Wissen – auch in Sachen Krankheiten oder kleinere Verletzungen – kam ihm jetzt zugute. Jetzt hatte er nur noch eines im Sinn: seinen quälenden Durst zu stillen. Deshalb musste er wohl oder übel den sicheren Schutz der Höhle verlassen und hinunter zum Bach gehen.
Er kroch vorsichtig heraus, schaute wachsam nach allen Seiten und stellte fest, dass nichts darauf hinwies, dass sich irgendjemand in der Nähe aufhielt. Mithilfe des starken Astes bewältigte er den Weg bis zum Bach ohne größere Probleme. Dort kniete er nieder und trank von dem herrlich kühlen Wasser, das seine Sinne in einer Form belebte, wie er es bis jetzt noch nicht gekannt hatte. Weil er mittlerweile wusste, wie knapp er dem Tod entronnen war. Und wenn er weiterhin am Leben bleiben wollte, dann musste er sich jetzt darum kümmern, dass er etwas zu essen hatte.
Er besaß nur das Messer – es war seine einzige Waffe. Wie sollte er damit ein Tier erlegen? Das war so gut wie unmöglich. Aber er besaß keine anderen Hilfsmittel. Weder eine Schlinge noch eine weitere Waffe.
Während seine Gedanken sich förmlich überschlugen, um einen Weg aus diesem Dilemma zu finden, hörte er plötzlich ein knackendes Geräusch jenseits der Büsche weiter unterhalb des Baches. Donegan duckte sich und blieb still liegen, während er genau beobachtete, was jetzt weiter geschah.
Bange Augenblicke vergingen, bis sich plötzlich die Büsche teilten und ein Reh zum Bach kam. Misstrauisch äugte es umher, weil es der Ruhe nicht traute. Aber dann schien das Tier sich sicher zu fühlen, kam ganz nah an den Bach, senkte den Kopf und begann zu trinken.
Dort ist die Nahrung, nach der du dich gesehnt hast, dachte Donegan. Du musst jetzt ganz ruhig bleiben. Nimm das Messer ... du musst jetzt schnell sein!
Gerade in dem Augenblick, als er sich lautlos erheben und mit dem Messer zu einem Wurf ausholen wollte, durchbrach plötzlich ein lautes Zischen die Stille. Gefolgt von einem dumpfen Laut. Im selben Moment knickte das Reh urplötzlich mit den Vorderläufen ein. Ein Pfeil steckte in seiner Kehle, ließ es kurz in Panik geraten. Es konnte nicht mehr fliehen. Der Pfeil hatte das Tier mitten ins Leben getroffen.
Fassungslos und erschrocken zugleich beobachtete Donegan, was gerade geschehen war. Dann bemerkte er eine Gestalt zwischen den Büschen, die sich jetzt dem Bachufer näherte. Es war ein junger Sioux-Krieger, der einen gespannten Bogen bei sich hatte und mit einem zweiten Pfeil auf das Reh zielte, um es an einer Flucht zu hindern. Aber dann ließ er den Bogen und den Pfeil sinken, als ihm klar wurde, dass bereits der erste Pfeil das Tier erlegt hatte.
Als er sich über das Wild beugte, legte er Pfeil und Bogen beiseite und zückte stattdessen ein Messer. Er schien das Tier an Ort und Stelle ausweiden zu wollen. Donegan begriff, dass er nur eine einzige Chance hatte – nämlich genau in dem Moment, in dem der Indianer abgelenkt war und sich nur noch um seine Jagdbeute kümmerte.
Donegan kam aus seiner Deckung hoch und schleuderte einen Stein nach dem Krieger, der immer noch nichts bemerkt hatte. Bruchteile von Sekunden später erwischte der Stein den Indianer seitlich am Kopf und brachte ihn ins Taumeln. Dennoch wälzte er sich herum und erkannte auf einmal die Gefahr, die ihm drohte. Aber er war trotzdem zu benommen, um rasch reagieren zu können.
Das war alles, was Donegan brauchte. Er stürzte sich auf den Krieger, holte mit dem Messer aus und stieß mit der Klinge nach ihm. Der erste Versuch scheiterte, weil der Indianer instinktiv den Arm hochriss, um diesen Angriff abzuwehren. Aber Donegan ließ sich nicht abschrecken und kämpfte mit solch einer wilden Entschlossenheit weiter, dass die Gegenwehr des Kriegers nicht wirksam genug war.
Donegan brüllte vor Hass, als er die Klinge bis zum Heft in die Brust des Sioux-Indianers stieß. Der Feind bäumte sich unter ihm auf, aber Donegan sah, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis diese Gegenwehr erlahmte. Blut trat über die Lippen des Indianers. Ein kurzer, aber heftiger Hustenanfall folgte. Dann fiel sein Kopf zur Seite, und er lag still.
Keuchend blickte Donegan auf den Sioux, den er soeben getötet hatte. Er empfand nichts dabei. Stattdessen hätte er beinahe einen Triumphschrei ausgestoßen, als ihm klar wurde, was das jetzt bedeutete. Noch vor zwei Tagen war er dem Tod näher gewesen als dem Leben – und jetzt war genau das eingetreten, was er sich insgeheim erhofft, aber niemals geglaubt hatte, dass es tatsächlich geschehen würde.
Nun besaß er ein zweites Messer sowie Pfeil und Bogen – und genügend Fleisch zum Überleben. Zumindest in den nächsten Tagen. Im ersten Augenblick wollte er sich schon auf das getötete Reh stürzen und sich einen ersten Fleischbrocken herausschneiden. Er hielt dann aber inne, als ihm bewusst wurde, dass er in diesen Sekunden nicht gründlich genug nachgedacht hatte.
War der Sioux allein unterwegs gewesen, oder waren noch andere Indianer in der Nähe?
Verdammt, er hat doch bestimmt ein Pferd gehabt – wo zum Teufel ist es?, dachte er plötzlich. Er wandte sich von dem Reh und dem toten Indianer ab und schlug sich stattdessen in die Büsche. In die Richtung, aus der der Indianer gekommen war. Und tatsächlich entdeckte er dessen Pferd in knapp einhundert Metern Entfernung. Er hatte das Tier dort zurückgelassen.
Jetzt nur keinen Fehler machen, dachte Donegan und blieb erst einmal stehen, als er bemerkt hatte, dass das Pferd auf einmal zu schnauben begann und mit dem rechten Vorderhuf die Erde aufwühlte.
Wenn es etwas gab, mit dem sich ein Mann wie Seamus Donegan auskannte, dann waren es Pferde. Deshalb redete er mit ganz ruhiger Stimme auf das Pferd ein, während er langsam näherkam und dabei keine überhastete Geste machte. Es kam nicht darauf an, was er sprach, sondern wie er es sagte. Sein Plan funktionierte tatsächlich. Das Tier wurde wieder ruhiger und ließ es sogar zu, dass Donegan die Zügel ergreifen konnte.
„Wir beide werden noch gute Freunde“, sagte Donegan und streichelte mit der Hand die Nüstern des Pferdes. „Du und ich – wir beide schaffen das gemeinsam, nicht wahr?“
Ganz langsam zog er an den Zügeln und spürte keinen Widerstand. Das Pferd ließ es sich gefallen und folgte ihm hinaus zu der Stelle, wo das Reh und der Indianer zurückgeblieben waren. Dort band er das Pferd an einem Strauch fest und ging noch einmal hinüber zu dem Reh. Mit großer Anstrengung schaffte er es, das Tier über den Rücken des Pferdes zu wuchten. Das Tier schnaubte zwar noch einmal kurz, aber nachdem sich Donegan noch einmal Zeit nahm und mit ihm sprach, beruhigte sich das Tier wieder.
Donegan nahm noch den Köcher mit den Pfeilen und den Bogen an sich und wollte schon wieder zurückgehen, aufsitzen und davonreiten. Dann aber entschied er sich doch noch anders und ging zurück zu dem toten Sioux-Krieger.
Er zog das Messer, an dem noch Blut klebte, und musterte den Indianer mit einer Spur von Hass und Verachtung. Dann kniete er nieder und ritzte auf die Stirn des Toten ein großes X. Eigentlich wollte er den Toten noch mehr verunstalten, aber er hatte nicht mehr die Kraft dazu. Das musste reichen, um den anderen roten Hundesöhnen zu zeigen, dass hier jemand einen Kampf gewonnen und sein Zeichen hinterlassen hatte!
Jetzt ging er zurück zu dem Pferd und zog sich auf den Rücken. Das kostete ihn mehr Kraft, als er zunächst gedacht hatte. Hinzu kam noch die Tatsache, dass das Tier immer noch vor dem Blutgeruch scheute, der von dem getöteten Reh ausging. Viel Zeit hatte Donegan nicht mehr, um aufzusitzen.
Irgendwie schaffte er es doch noch. Aber das kostete ihn jede Menge Schweiß. Und er spürte Feuchtigkeit unter seinem Hemd. Die Schulterwunde war wieder aufgebrochen. Jetzt hatte er aber keine Zeit mehr, sich darum zu kümmern. Er musste zusehen, dass er so schnell wie möglich von hier wegkam, bevor man ihn entdeckte. Denn eins hatte er mittlerweile gelernt: Wo ein Indianer überraschend auftauchte, gab es meist noch andere!
Donegan drückte dem Tier die Hacken in die Weichen, und das Pferd setzte sich in Bewegung. Jetzt fiel ihm ein Stein vom Herzen, weil er das alles trotz seines geschwächten Zustandes noch geschafft hatte. Er besaß jetzt nicht nur ein Pferd, sondern auch zwei Messer sowie einen Bogen mit Pfeilen. Somit war er nicht mehr ganz wehrlos, falls es weiteren Ärger geben sollte.
„Kommt nur, ihr verdammten Bastarde“, murmelte Donegan. „Ihr werdet schon sehen, was dann passiert ...“
Er ließ sich tragen von den Gedanken an Hass und Vergeltung, denn die schrecklichen Bilder seiner ermordeten Söhne würde er niemals vergessen. Und dafür würde er Rache fordern. Sobald er wieder ganz gesund war!
Das Pferd hatte sich mittlerweile an seinen neuen Herrn gewöhnt und gehorchte ihm. Seamus Donegan trieb es weiter an. Er ritt weiter hinauf in die Berge, weil er glaubte, dass die Gefahr zu groß war, in den Tälern auf weitere Indianer zu stoßen. Hin und wieder hielt er an, um sich und dem Tier ein wenig Ruhe zu gönnen. Denn er musste nach wie vor noch auf seinen Körper achten und durfte ihm nicht zu viel zumuten.
Zwei Stunden später erreichte er eine Felsengruppe, die ihm genügend Schutz bot. Dort zügelte er das Pferd, saß ab und zog auch das getötete Reh herunter.
„Wir bleiben erst einmal hier“, sagte er mehr zu sich selbst und führte das Tier zu einem Strauch, wo er es mit den Zügeln festband und sich dann dem Reh widmete. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, als er damit begann, das Tier auszuweiden und die besten Stücke Fleisch herauszuschneiden. Er durfte jetzt nicht wählerisch sein, was den Verzehr anging. Zuerst wollte er das Fleisch roh herunterschlingen, weil er großen Hunger verspürte. Aber dann entdeckte er in unmittelbarer Nähe einige Steine, von denen er wusste, dass er sie als Feuersteine benutzen konnte.
Donegan sammelte etwas Gras und dürres Holz, türmte es vorsichtig auf und nahm dann zwei Stöcke, die er mit etwas Abstand in den Boden steckte. Ein dritter Stock sollte als Spieß dienen. Dann nahm er zwei Feuersteine, schlug sie mehrmals gegeneinander und hoffte, dass bald die ersten Funken sprühten. Das geschah zwar dann auch, aber es reichte immer noch nicht aus, damit das Gras endlich zu brennen begann.
Seine Schulter begann wieder zu schmerzen, und er musste einen kurzen Moment innehalten. Dann setzte er seine Bemühungen fort, und schließlich wurde er für seine Ausdauer belohnt. Das Gras begann zu brennen, und die kleine Flamme leckte gierig nach dem dürren Holz. Nur zwei Minuten später brannte das kleine Feuer, und Donegan konnte nun den Spieß darüber hängen.
Da das Holz und das Gras sehr trocken waren, bildete sich nur wenig Rauch. Außerdem verbargen die Felsen das Feuer. Man würde es erst entdecken und den Rauch riechen, wenn man sich in unmittelbarer Nähe aufhielt.
Donegan beobachtete das Feuer, hielt aber auch immer wieder Ausschau nach eventuellen Gefahren. Denn eins war sicher: Die Gefährten des Sioux, den er getötet hatte, würden so schnell nicht aufgeben und ihm auf den Fersen bleiben. Er war noch lange nicht in Sicherheit.
Eine knappe halbe Stunde später war das Fleisch gar, und Donegan ließ es sich schmecken. Er genoss jeden einzelnen Bissen und spürte, wie neue Kräfte in seinen Körper zurückkehrten. Das erste Mal nach seinem schmerzhaften Erwachen glaubte er, dass er es schaffen würde, in dieser Wildnis zu überleben.
Ein anderer an seiner Stelle hätte höchstwahrscheinlich darauf gehofft, irgendwann auf Soldaten oder andere Weiße zu treffen und sich denen anzuschließen. Donegan gingen jedoch ganz andere Dinge durch den Kopf. Diese verdammten roten Bastarde hatten ihm seine Zukunft gestohlen und alles geraubt, was er jemals besessen hatte. Das, was er noch am Leib trug, war alles, was davon übrig geblieben war.
Nein, er würde dieses Land nicht verlassen. Es interessierte ihn auch nicht, dass andere Siedlertrecks höchstwahrscheinlich schon wieder in Richtung Montana unterwegs waren und von Soldaten eskortiert wurden. Gold hatte keinen Wert mehr für ihn – und das Schicksal anderer Menschen ebenso wenig.
Während er ein weiteres Stück Fleisch aß, hielt er sich vor Augen, dass er noch eine Mission zu erfüllen hatte. In diesen Stunden zerbrach alles, was ihm jemals etwas bedeutet hatte, und seine Gedanken konzentrierten sich ausschließlich darauf, dass er den Tod seiner Söhne blutig rächen würde. Auch wenn er bis jetzt nur zwei Messer sowie einen Köcher mit Pfeilen und einen Bogen besaß, so bedeutete das nicht zwangsläufig, dass er seinen Wunsch nach Rache nicht umsetzen konnte. Im Gegenteil – er war entschlossener denn je, das zu tun, was nach seiner Meinung nach getan werden musste.
Donegan war schon vorher ein verbitterter und sehr starrköpfiger Mann gewesen, der immer zuerst an sein eigenes Wohl gedacht hatte. Jetzt aber existierte in seinem Herzen keine Wärme mehr, sondern nur noch Hass!
15. August 1865
Am späten Nachmittag – am südlichen Ausläufer des Tongue River
Zwei weitere Tage waren vergangen, in denen auch der letzte Rest des Fiebers abgeklungen war. Seamus Donegan fühlte sich jetzt wieder kräftig genug, um auch längere Ritte hinter sich zu bringen und nur wenige Pausen einzulegen. Er hatte sich meistens weiter oben in den Bergen aufgehalten und war zuletzt fast einen halben Tag in einem unwegsamen Felsmassiv geblieben, von wo aus er seine Verfolger gut im Blickfeld gehabt hatte.