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Als seine Frau ein Angebot als Geschäftsführerin erhält, übernimmt der promovierte Wirtschaftsredakteur Martin-Niels Däfler Haushalt und Kindererziehung. Doch das Hausmann-Dasein entwickelt sich unverhofft zum Abenteuer. Kleine Katastrophen (angebrannter Milchreis) und mittlere (aufgeschürfte Knie) bestimmen von nun an sein Leben. Mit Improvisationstalent und Managementmethoden versucht Papa Däfler dem Chaos Herr zu werden. Das gelingt nicht immer, denn ihm fehlen: Geduld, Geschick und Erfahrung. So verwundert es dann auch nicht, wenn Ordnungsfanatiker Däfler die Kinderzimmer mit der 4-Felder-Methode zu entrümpeln versucht und dabei grandios scheitert. Ob Hausaufgaben kontrollieren, Lego-Monster zusammenstecken oder Puppenhaus renovieren: Daddy ist stets gefragt und meistens überfordert. So meistert er immer wieder aufs Neue die täglichen Herausforderungen – zwar nicht perfekt, dafür mit Liebe und Humor.
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Seitenzahl: 275
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-636-06385-4 | Print-Ausgabe
ISBN 978-3-86882-030-0 | E-Book-Ausgabe (PDF)
Meiner Mutter in Liebe und Dankbarkeit gewidmet
E-Book-Ausgabe (PDF): © 2009 bei mvgVerlag, FinanzBuch Verlag GmbH, München. www.mvg-verlag.de
Print-Ausgabe: © 2008 bei mvgVerlag, FinanzBuch Verlag GmbH, München. www.mvg-verlag.de
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlaggestaltung: Coverdesign Uhlig, Augsburg Umschlagabbildung: Gary S. Chapman / Getty Images Satz: Jürgen Echter, Landsberg am Lech Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
„Dass ich auf Knien meinem Schöpfer danken kann, wie gut ich’s habe, sagt mein Mann“ – Irgendwie musste sich diese Liedzeile aus dem Schlager „Das bisschen Haushalt“ in meiner Großhirnrinde festgesetzt haben, als ich meiner Frau zusagte, den Haushalt samt Kinderbetreuung zu übernehmen. Carola hatte die Chance bekommen, als Geschäftsführerin eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens tätig zu werden – ein Vollzeitjob natürlich. Paul, zu diesem Zeitpunkt acht Jahre alt, und Rebecca, fünf Lenze zählend, wollten wir nicht den Launen eines aufgedrehten, in der Endphase ihrer Pubertät befindlichen Au-pair-Mädchens oder der Erziehungsgewalt eines Fräulein Rottenmeier aussetzen. Schließlich hatten wir die Kinder in die Welt gesetzt, um sie selbst aufzuziehen und ihnen unsere Ideale zu vermitteln. Kinderbetreuungsgesetz hin, Elterngeld her – Erziehung ist Sache der Eltern und lässt sich nicht delegieren. Da sind wir konservativ. Bis dahin war das Mamas Job. Und das war gut so. Ich konnte meinem Beruf als freier Wirtschaftsredakteur und Berater ohne große Einschränkungen nachgehen, Auswärtstermine in München oder Münster wahrnehmen und abends auch mal länger am Computer sitzen.
An jenem Abend, als Carola von dem Angebot berichtet hatte, stellte ich eine gedankliche Bilanz auf, warf Vor- und Nachteile in die Waagschale: „Wie wird sich mein gewohnter und geliebter Tagesablauf ändern?“ Als Selbstständiger sollte es mir doch relativ leicht möglich sein, mein Arbeitspensum so einzuteilen, dass ich am Nachmittag Zeit für die Kinder und den Haushalt hätte. Die Vormittage hätte ich ja immer noch frei für meinen Job. Ganz so schlimm würde es sowieso nicht, weil Rebecca ja noch in den Kindergarten ging und dort bis 15:00 Uhr blieb. Und wenn sie im September in die Schule käme, na, dann würden wir schon sehen. Was Paul betrifft, der nicht den Hort besucht, dachte ich mir: „Der Junge kommt zwar schon um 13:00 Uhr aus der Schule nach Hause, aber dann haben wir zwei wenigstens genügend Zeit, um die Hausaufgaben in aller Ruhe zu erledigen.“ Ja, das könnte funktionieren. Das würde sich mit unseren Erziehungsgrundsätzen in Einklang bringen lassen.
Fürs Putzen und Bügeln durften wir ohnedies schon lange auf die kompetente Unterstützung unserer Perle Natalia zählen. Blieben nur noch Einkaufen, Kochen, Waschen und die Kinder – das bisschen Haushalt eben. Im Übrigen: Es täte mir auch ganz gut, nach über zehn Jahren harter Aufbauarbeit im eigenen Geschäft mal ein wenig kürzer zu treten und die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen. Weniger Stress, weniger Ärger, dafür mehr Ruhe und Gelassenheit. Wie hieß es noch mal in Johanna von Koczians Hit? „Er muss zur Firma geh’n tagein tagaus, sagt mein Mann. Die Frau Gemahlin ruht sich aus zu Haus, sagt mein Mann.“ Ja, das wollte ich auch – mich zu Hause ausruhen! Mein Entschluss stand fest.
Paul und Rebecca haben wir natürlich auch gefragt, ob der Papa zukünftig zu Hause bleiben und die Mama in die Firma gehen solle. Nun, die Begeisterung – ich will es nicht verschweigen – hielt sich in Grenzen, Skepsis herrschte vor: Ob denn der Papa auch Pfannkuchen backen könne? Ob der Papa auch der Puppe Julia einen Zopf flechten könne? Ob der Papa auch so geschickt wie die Mama sei und den Lego-Exo-Force-Aero-Booster zusammenbauen könne? „Ach, Kinder, es gibt nichts, was man nicht lernen kann“, beruhigte ich die beiden und gab mich so unbesorgt wie der Trainer von Bayern München vor einem Pokalspiel beim Regionalligisten SV 1916 Sandhausen.
Der Familienrat beschloss letztendlich einvernehmlich und bei klarem Bewusstsein: Ab 1. Juli arbeitet Carola Vollzeit und ich als Teilzeit-Wirtschaftsredakteur und Hausmann. Ich freute mich, war euphorisch ob der neuen Aufgabe, malte mir meine Zukunft in rosigen Farben aus: Endlich würde ich es auch so gut haben wie die Millionen Mütter da draußen, die nachmittags entspannt auf dem Spielplatz in der Sonne sitzen, mit ihren Freundinnen klönen und den Kleinen beim Spielen zuschauen. Oh, wie würde es mir gut gehen!
Ich nahm mir vor, meine Erlebnisse und freudigen Erfahrungen zu protokollieren, um mich später einmal besser an diesen Lebensabschnitt erinnern zu können. Im Internet hatte ich sogar ein passendes Buch gefunden: „Tagebuch schreiben“. Erster Tipp daraus: „Versuchen Sie, eine entscheidende Zeitspanne in Ihrem Leben durch einen Vergleich zu beschreiben. Zum Beispiel: ‚Diese Phase war wie eine schmale, überdachte Brücke‘!“ Hmmm, ich kann doch jetzt noch nicht wissen, wie die Hausmann-Phase wird, ob ich sie als dornigen Weg oder als vierspurige Autobahn beschreiben kann? Hilft mir nicht weiter. Eine andere Empfehlung ist dafür gar nicht so schlecht: „Beginnen Sie mit einem Selbstporträt!“ Aber wie schreibe ich ein Selbstporträt? Ich hab’s – ich füll’ den F.A.Z.-Fragebogen aus!
FrageAntwortWas ist für Sie das größte Unglück?Wenn kein Weißwein mehr im Kühlschrank liegt und wenn es in der Wohnung unordentlich ist Wo möchten Sie leben?Dort, wo ich schon wohne. Alternativ: an der australischen Ostküste, in der Karibik oder in Oberbayern Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück?In einem Liegestuhl auf einer einsamen Malediveninsel zu liegen, in Reichweite ein Weinkühler mit einer Flasche „Vitiano“ sowie ausreichend Lesestoff Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?Wenn jemand meinen Geburtstag vergessen hat Ihre liebsten Romanhelden?David Bourne in Hemingways „Garten Eden“ Ihre Lieblingsmaler?Edward Hopper Ihr Lieblingskomponist?Hector Berlioz Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten?Einfühlungsvermögen, Humor, Genussfreude, Gelassenheit, Tatkraft, Kreativität Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten?Die gleichen wie bei einem Mann Ihre Lieblingstugend?Hilfsbereitschaft, Ordentlichkeit Ihre Lieblingsbeschäftigung?Lesen, Kinder kitzeln, Rasen mähen Wer oder was hätten Sie sein mögen?Na, nur ich selbst. Alternativ: Katze in meinem Haushalt Ihr Hauptcharakterzug?Dass ich stets souverän und gelassen bleibe, vor allem im Umgang mit Paul und Rebecca Was schätzen Sie bei ihren Freunden am meisten?Vertrauen, viele Interessen, Spaß an gutem Essen und Trinken, die Fähigkeit, sinnentleerte Diskussionen führen zu können Ihr größter Fehler?Habe ich Fehler? Ihr Traum vom Glück?Wieso Traum? Meine Familie ist wahr gewordenes Glück (meint zumindest Carola) Was möchten Sie sein?Hä? Ein Gegenstand? Ein Tier? Kapier ich nicht. Also gut, damit was dasteht: Tisch Ihre Lieblingsfarbe?Schwarz Ihre Lieblingsblume?Sonnenblume Ihr Lieblingsvogel?Der, der mich im Frühling nicht morgens um 04:30 Uhr aus dem Schlaf reißt Ihr Lieblingsschriftsteller?Ernest Hemingway Ihr Lieblingslyriker?Bert Brecht Ihre Helden in der Wirklichkeit?So ein Quatsch: Jeder ist ein Held Ihre Heldinnen in der Geschichte?Jede ist eine Heldin Ihre Lieblingsnamen?Die, die ich meinen Kindern gegeben habe Was verabscheuen Sie am meisten?Den Gebrauch von Schimpfwörtern. Wenn Paul und Rebecca nicht auf das hören, was ich sage Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?Streit unter Geschwistern mit zwei Wörtern beenden zu können: „Schluss jetzt!“ Wie möchten Sie sterben?Mit einem Glas Weißwein in der Hand und einer hübschen Blondine auf dem Schoß Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?Gott sei Dank, noch weit genug von der Senilität entfernt (obwohl Paul da anderer Ansicht ist) Ihr Motto?Lach’ über die Dinge! (angeblich von der Oma des ehemaligen Tutti-Frutti-Moderators, Hugo Egon Balder)Carola hat heute ihren ersten Arbeitstag. Nun beginnt es also – das Dasein als Hausmann und Vollzeit-Vater. Gut gelaunt und frohen Mutes habe ich mir den Vormittag freigenommen, um mich mental auf meinen neuen Lebensabschnitt einzustimmen und selbigen strategisch zu planen. Nichts werde ich dem Zufall überlassen! Hier gelten nämlich ab sofort feste Regeln. Schluss mit dem Laisser-faire-Stil! Schluss mit den Tagen ohne festgelegten Ablauf! Schluss mit dem Schlendrian! Ich werde jetzt Familienregeln einführen, jawohl! Die Woche werde ich in einzelne Zeitfenster unterteilen. Und ich werde dafür sorgen, dass sich das Haus stets in einem ordentlichen Zustand befindet. Paul und Rebecca sollen schon früh lernen, dass man im Leben nur mit System und Disziplin weiterkommt.
Ich mache mir einen Kaffee, gehe die Stufen hinunter in mein Home-Office, schalte den Computer an und öffne Excel. Der noch jungfräulichen Tabelle gebe ich den Namen „10-Punkte-Plan Projekt Hausmann Version 1.0“ – darin halte ich fest, welche Aufgaben ich demnächst angehen möchte:
Grundsätze für unser Zusammenleben aufstellen Kinderzimmer aufräumen Freizeitaktivitäten strukturieren Essensplan entwerfen Haushaltstätigkeiten-Matrix erstellen Garage entrümpeln Flohmarktartikel zusammenstellen Neue Spielgeräte für Garten konstruieren Katzentoilette für den Garten bauen Rebeccas Puppenhaus renovierenWo ich gerade so im Schwunge bin, nehme ich mir sogleich den ersten Punkt vor und lege eine weitere Datei an. Ich taufe sie auf den pathetischen Namen „Unser Grundgesetz“ und hacke eingedenk der bereits gemachten Erfahrungen folgende Leitlinien in die Tastatur.
Unser Grundgesetz, aufgestellt von Papa am 1. JuliWir akzeptieren, dass Mama und Papa die Chefs sind und wissen, dass Mama und Papa Ermahnungen nur einmal aussprechen.Wir gehen höflich miteinander um und verzichten darauf, uns mit Idiot, Zicke, Trottel, Depp oder blöde Kuh anzureden. Wir essen nur am Tisch und nicht auf der Toilette oder auf der weißen Wohnzimmercouch. Wir nehmen zum Aus- und Anziehen keine Spielsachen mit ins Bad. Wir schreien uns nicht an, erst recht nicht, wenn Papa in einem wichtigen Kundentelefonat ist. Wir tun uns nicht weh. Wir schlagen, treten, beißen, kratzen, boxen und spucken nicht. Wir essen keine Körperteile anderer Familienmitglieder. Wir jammern nicht, wenn wir etwas wollen. Wir hören zu, wenn ein anderer spricht. Wie spielen höchstens eine Stunde Nintendo am Tag. Wir hören die Detlef Jöcker-CD maximal fünfmal hintereinander. Wir respektieren die Regeln, die jeder in seinem Zimmer aufgestellt hat. Wir behandeln andere so, wie wir selbst gern behandelt werden würden. Wir kitzeln den anderen nur, wenn er es möchte. Wir kratzen nicht am Teppich (gilt nur für die Katzen). Wir überreden andere nicht, etwas zu tun, was sie nicht möchten. Wir spucken Essen, das uns nicht schmeckt, nicht aus. Wir sind ordentlich und räumen unsere Spielsachen immer auf. Wir spielen im Wohnzimmer keinen Fußball. Wir machen Pipi nur auf der Toilette. Wir verwenden keine Kraftausdrücke und sprechen ein gutes Deutsch. Wir entführen und misshandeln keine Barbiepuppen. Wir respektieren das Eigentum anderer, sind aber beim Verleihen großzügig. Wir schmeißen dem anderen keine Nachttischlampen auf den Kopf, wenn wir hungrig sind (gilt nur für die Katzen). Wir halten beim Essen unsere Stammplätze ein und streiten nicht jeden Tag erneut darüber, wer wo sitzen darf. Wir diskutieren nicht über die Farbe von Bechern, Tellern oder Schüsseln, aus denen wir essen oder trinken.Wir lassen die anderen in Ruhe essen und klauen unserem Sitznachbarn keine Fleischstücke vom Teller. Wir motzen nicht über die Qualität, die Konsistenz oder den Geruch des Essens, selbst wenn es Kohlrabigemüse ist. Wer etwas zuerst hat, darf damit spielen. Wenn ein anderer es haben möchte, muss er fragen. Wir versuchen nicht, Hund Janosch Knoten in die Ohren zu machen. Wir schreiben nicht mit Straßenmalkreide „Timo ist ein Arschloch“ auf die Garageneinfahrt. Wir erscheinen pünktlich beim Klavierunterricht, Fußballtraining, Reiten, Voltigieren, Kommunionunterricht, VHS-Englischkurs und zur Zaubermusikstunde. Wir erledigen die uns übertragenen Hausarbeiten in der von Papa definierten Gründlichkeit und Sorgfalt. Wir kleben keine Paninisticker auf Papas Kundenpräsentationen. Wir ziehen unsere Gummistiefel bereits in der Garderobe und nicht erst im Esszimmer aus. Wir laden nicht gleichzeitig drei Freunde zum Übernachten ein, ohne zuvor Papa oder Mama gefragt zu haben. Wir bringen unsere Schmutzwäsche allein in die Waschküche und stopfen sie nicht in die Matchboxauto-Schublade.Als Paul an der Tür klingelt, stelle ich mit Schrecken fest, dass es schon Mittag ist. Und ich habe nichts zum Essen vorbereitet! Schnell öffne ich eine Dose Ravioli. Da die Hausaufgaben heute nicht sehr umfangreich sind und ich mich zum Einstand als Hausmann von meiner besten Seite zeigen will, erlaube ich Paul ausnahmsweise, den Fernseher einzuschalten – irgend so ein Pokemon-Spongebob-Simpsons-Quatsch läuft da ja immer. Während er glotzt, kann ich noch schnell einen kleinen Auftrag abarbeiten, den ich vergessen hatte, heute früh zu erledigen.
Zweite Panne: Als ich auf die Uhr schaue, erkenne ich, dass ich eigentlich schon längst im Kindergarten hätte sein sollen. Na toll, gleich am ersten Tag zu spät. „Los, Paul, wir müssen los, deine Schwester abholen!“, schreie ich hektisch in Richtung Wohnzimmer. Im Kindergarten begrüßt uns Rebecca mit vorwurfsvoller Mine. Frau Knoll, die Erzieherin funkelt mich böse an, schaut reichlich auffällig auf ihre altmodische Armbanduhr und murmelt etwas von „festen Abholzeiten“.
„’tschuldigung, ich hatte noch ein wichtiges Kundentelefonat“, verteidige ich mich nicht ganz wahrheitsgemäß, „soll nicht wieder vorkommen.“ Zur Wiedergutmachung biete ich Rebecca an, ohne Umwege zum Spielplatz zu fahren. „Och, nö, ich will lieber weiter fernsehen“, kommentiert Paul meinen Vorschlag. „Ja, ich will auch heim und fernsehen“, verkündet Rebecca in dem ihr eigenen Quengelton. „Bei so einem schönen Wetter geht’s raus an die frische Luft. Drinnen hocken könnt ihr im Herbst noch oft genug. Jetzt keine Widerrede – das wird bestimmt klasse, wenn der Papa mit euch auf den Spielplatz geht“, versuche ich die beiden zu motivieren.
Mit langen Gesichtern und schlurfenden Schrittes folgen mir zwei sichtlich enttäuschte Kinder. Hatte ich angedroht, dass wir zu Großtante Elfriede fahren oder hatte ich einen schönen Nachmittag auf dem Spielplatz in Aussicht gestellt? Wer soll diese Kinder verstehen? Es scheint wohl Schöneres zu geben, als mit seinem Erzeuger unterwegs zu sein. Nun, die Freude wird noch kommen, wenn wir erst mal dort sind – mutmaße ich.
Tatsächlich – kaum sind wir angekommen, hellen sich die Minen auf. Allerdings aus einem anderen Grund: Paul und Rebecca haben Freunde entdeckt. Sie stürmen sofort auf das Klettergerüst zu. „Gott sei Dank, wir müssen nicht mit unserem Alten spielen“, denken sie vermutlich erleichtert. Meiner Kinder beraubt, stehe ich nun recht orientierungslos da. Ich lasse meinen Blick wandern und erblicke etliche Sitzbänke mit Müttern, die in heitere Gespräche vertieft zu sein scheinen. Genau so hatte ich mir das vorgestellt. Welche Idylle! Ich fühle mich schon deutlich besser, auch ohne Kinder. Aber: Wohin soll ich jetzt gehen?
Ich sondiere die Lage und lasse meine Augen wandern: Beate und Carolin im angeregten Dialog. Die zwei kenne ich vom Elternabend, da gehe ich mal hin. „Hallo, ihr beiden, darf ich mich zu euch gesellen?“ Sicher doch – ich sei herzlich willkommen und ach, wie schön, endlich mal ein Mann hier. Ob ich Urlaub hätte? Nein, mit Stolz geschwellter Brust verkünde ich: „Ab sofort bin ich für den Haushalt und die Kinder zuständig!“
Vier verdutzte Augen blickten mich an, als hätten sie gerade erfahren, dass Desperate Housewives vom Programm abgesetzt wurde. Etwas mehr Begeisterung hatte ich schon erwartet.
„Du? Das machst du keine vier Wochen!“
Na, euch werde ich es zeigen – das ist doch eine leichte Übung, den Haushalt zu organisieren und die Kurzen zu beaufsichtigen. Gerade als ich dies denke, dringt fürchterliches Geschrei herüber: Paul ist von der Hängebrücke gestürzt und hat sich beim Aufprall den Ellbogen angestoßen.
„Das tut doch gar nicht weh“, will ich ihn trösten. Er heult nur noch mehr. „Dann zeig doch mal her.“ Äußerlich ist nichts zu erkennen. Ich vermute eine Fraktur, mindestens jedoch eine ernst zu nehmende Prellung und überlege mir schon den kürzesten Weg ins nächste Krankenhaus. Meine Diagnose erweist sich glücklicherweise als falsch. Wenige Augenblicke später sieht der Patient nämlich seinen Freund Marcel und läuft quietschfidel zu ihm hin. Aus den Augenwinkeln sehe ich Beate und Carolin wissend lächeln.
Gut, die Lektion hatte ich gelernt: Nicht jedes Kindergeschrei bedeutet automatisch: Notarzt.
Lässig setzte ich die Unterhaltung mit meinen Banknachbarinnen fort. „Ach, wisst ihr, wer mal so richtig im Business war wie ich, einer der ständig unter Strom gestanden hat, der hat sich auch mal ’ne ruhige Zeit verdient. Ganz geschmeidig wird das jetzt.“
Beate und Carolin schauen einander vielsagend an. Ihre Antwort geht in einem plötzlich hereinbrechenden Schwall lautstarker Beschimpfungen unter, die ich mich aufgrund jugendschutzrechtlicher Bestimmungen nicht wage, meinem Tagebuch anzuvertrauen. Denn wer weiß schon, wer das mal lesen wird! Mitten in der Gruppe zankender Kinder: Rebecca. Es geht um die Machtverhältnisse im Sandkasten. Töchterlein hat offenbar den Streit angezettelt und ich muss schlichten, was nur dadurch gelingt, dass ich Rebecca in Schutzhaft nehme und zu mir auf den Schoß setze.
Indessen werden die Kontrahenten von ihren Müttern mit Butterkeksen, Gummibärchen, Milchschnitten und ungeschälten Apfelschnitzen versorgt. Was habe ich zu bieten? Nichts. Nicht einmal einen Kaugummi habe ich dabei. Ich nehme mir vor, gleich morgen das Tupper-Vollsortiment zu bestellen und im Baumarkt eine 32-Liter-Kühlbox zu erstehen. Diese werde ich in Zukunft mit Apfelsaft, Karotten, Schokoriegeln und anderen Leckereien füllen – meinen Sprösslingen soll es an nichts fehlen! Für heute beschließe ich, nach Hause zu gehen, Carola müsste auch schon zu Hause sein. Hätte mir ja auch jemand mal sagen können, wie das auf dem Spielplatz so wirklich ist. Auf dem Heimweg summe ich leise vor mich hin: „Dass ich auf Knien meinem Schöpfer danken kann, wie gut ich’s habe als Hausmann!“
Tag zwei meines neuen Lebens beginne ich wie den ersten, nämlich mit einer Tasse Kaffee vor dem Computer. Bevor ich einen Artikel mit dem überaus reizvollen Thema „Umsetzung eines wertorientierten Steuerungskonzeptes für Zinsänderungsrisiken“ überarbeite, ergänze ich noch mein „Grundgesetz“ – einige neue Aspekte und Themen sind mir eingefallen, als ich gestern nicht einschlafen konnte.
Unser Grundgesetz, Ergänzungen von Papa am 2. JuliWir diskutieren nicht mehr als zweimal wöchentlich über die Sinnhaftigkeit von Hausaufgaben. Wir kacken nicht in das Rosenbeet (gilt nur für Kater Don). Wir wischen uns Küsse von Oma und Großtante Elfriede nicht demonstrativ ab. Und wir machen dabei auch kein angewidertes Gesicht. Wir erzählen unseren Freunden nicht, dass Papa immer so viel pupsen muss, wenn er Sauerkraut gegessen hat. Wir antworten nicht: „So ein Mist“, wenn jemand zu uns sagt: „Bist du aber groß geworden.“ Wir kommentieren Papas Kochkünste nicht mit den Worten: „Willst du uns vergiften?“Der Vormittag vergeht viel zu schnell, aber diesmal schaffe ich es, rechtzeitig für Paul und mich einen Milchreis zu kochen und später pünktlich im Kindergarten aufzutauchen. Zu Hause erläutere ich Paul und Rebecca den Tagesplan für heute: Da der Kühlschrank, das Nudelfach und der Obstkorb leer sind, gehen wir zunächst zum Supermarkt. Danach werden die Hausaufgaben erledigt und anschließend ist „Freispielzeit“. Bevor ich mit dem Kochen anfange – das wird um 17:35 Uhr der Fall sein – üben wir noch Klavier.
„Hey, Dad, mach’ doch nicht so ’nen Stress!“, motzt Paul. „Ich mache keinen Stress, ich bringe jetzt Struktur in unsere Tage!“ „Papa, was ist Stugur?“ „Also, Rebecca, das ist, wenn alles nach einem festgelegten Plan passiert.“ „Aber ich will keinen Stugur.“ „Das heißt nicht Stugur, sondern Struktur. Und außerdem ist das nicht schlimm, sondern hilft uns, die Zeit vernünftig einzuteilen. So, und jetzt ab zum Auto, wir wollen einkaufen.“
Die Fahrt zum Supermarkt verbringen wir diskutierend über die Vorteilhaftigkeit durchstrukturierter Tage. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass a) Paul anderer Ansicht ist und b) Rebecca überhaupt nicht verstanden hat, was ich eigentlich meine. Das ist mir jetzt auch egal – die werden das noch kapieren.
Am Supermarkt angelangt, stelle ich fest, dass im Geldbeutel alle Münzsorten vertreten sind, nur kein 50-Cent-Stück, um den Einkaufswagen auszulösen. Klasse Auftakt. „Wartet ihr bitte hier, ich geh’ nur schnell wechseln.“ Was sich jedoch schwierig gestaltet, weil man, um an die Kassen zu gelangen, den ganzen Markt durchqueren muss. Bei Rückkehr zum Auto stelle ich fest, dass sich die beiden aus purer Langweile den Autoatlas geschnappt und die Übersichtskarten für das Rhein-Main-Gebiet mit Blumenwiesen- und Weltraummonster-Zeichnungen dekoriert haben. Ich lasse nie mehr einen Kuli im Auto liegen!
Wieso gibt es hier nur ein Kindereinkaufswagenauto? Gibt es nur Ein-Kind-Familien in Deutschland? „Ich will fahren!“ „Nein, ich!“ „Du spinnst wohl, ich bin der Ältere!“ „Du bist viel zu groß dafür!“ „Du alte Zicke!“
Beide quetschen sich auf den Sitz, was natürlich nicht geht. Ich zerre sie wieder heraus und verfüge, dass nun keiner fahren dürfe. Ich schiebe den Einkaufswagen durch die Eingangsschiebetüre, links und rechts behängt mit den beiden Kindern, die sich vorstellen, auf einem Surfbrett zu stehen. Schweißperlen sammeln sich auf meiner Stirn.
In der Gemüseabteilung prüfe ich fachmännisch – das hatte ich mir von erfahrenen Einkäuferinnen abgeschaut – die Gurken durch zartes Befühlen der Enden. Dabei hatte ich nicht bedacht, dass Kinder durch Vorbilder lernen. Rebecca zermalmt mit ihren Händen die überreifen Strauchtomaten und Paul kontrolliert etwas zu fest die Konsistenz der Erdbeeren. Schnell weiter, hoffentlich hat’s niemand bemerkt. Vor dem Cerealienregal debattieren wir dann über das Thema „gesunde Ernährung“. „Kinder, wir nehmen den Hafer-Dinkel-Müsli-Mix.“ „Igittigitt – das essen wir nicht.“ „Oh doch, ihr werdet das essen, das ist gut für euch.“ „Nö, werden wir nicht.“„Doch!“
Paul und Rebecca sprechen sich vehement für Smacks und Nougatkissen aus. Mein biodynamischer Vorschlag unterliegt der Mehrheitsmeinung: Auch deshalb, weil sich bereits eine Gruppe interessierter Zuhörer um uns gebildet hat und ich nicht auch noch vom Marktleiter ob meiner lärmenden Brut angesprochen werden will.
Die Tiefkühltruhe will ich ignorieren und zu den Milchprodukten eilen. Doch mein Vorhaben scheitert, denn Paul hat sich schon den Wagen geschnappt und instinktsicher die Pizzaabteilung angesteuert. „Vergiss es – es gibt keine Pizza.“ „Der Lukas isst auch immer Pizza.“ „Aber du heißt nicht Lukas und dieses Industrieessen ist gar nicht gut für euch.“ „Woher willst du das denn wissen?“
So weit ist es jetzt schon: Die väterliche Kompetenz in Ernährungsfragen wird angezweifelt. Um eine weitere Debatte zu unterbinden, schließen wir einen Kompromiss: Zwei Salamipizzen dürfen mit, wenn vier Becher Naturjoghurt ebenfalls in den Wagen wandern. Jetzt steht nur noch die schwierigste Aufgabe bevor – die Quengelware an der Kasse elegant zu umkurven. Aber da hat man keine Chance! Kaugummis, Bonbons, Schokoriegel und Panini-Bilder drängen sich auf engstem Raum, noch dazu – ihr gemeinen Marketingstrategen! – genau auf Blickhöhe von Grundschulkindern.
„Ich will ein Überraschungsei!“, skandiert Rebecca, als ich mit dem Einkaufswagen in den Kassenbereich einbiege. „Überraschungseier sind was für Babys“, keift Paul. Rebecca bekommt einen Schreikrampf und verdeutlicht ihrem Bruder lautstark und unter Einsatz ihrer Fäuste, dass sie kein Baby ist und überhaupt Überraschungseier eine klasse Erfindung sind. Indessen hat sich Paul schon ein Duplo geschnappt und auf das Band gelegt. Die Folter der väterlichen Nerven wird verlängert, weil die Rentnerin vor uns unbedingt passend zahlen will.
Meine Erkenntnis für heute: Gehe nur dann mit den Kindern einkaufen, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt.
Mein Tagesablauf ist seit Dienstag streng geregelt: Aufstehen um 05:30 Uhr, duschen, Janosch – unseren einjährigen Westi-Rüden – füttern und in den Garten lassen, auf dass er sich dort erleichtern kann, für Don, Dana und Felix, unsere ewig hungrigen Katzen, den Dosenöffner spielen, Frühstück vorbereiten, Carola und die Kinder wecken, frühstücken, und alle halbwegs pünktlich aus dem Haus bugsieren.
Paul geht allein zur Schule, Rebecca wird in der Regel von Carola in den Kindergarten gebracht. Ab 07:30 Uhr kehrt Ruhe ein. Mir bleibt bis 12:50 Uhr Zeit, meine Arbeit zu erledigen. Das sind 280 Minuten oder 16.800 Sekunden, wie ich ausrechne – deutlich zu wenig für all das, was ich eigentlich machen sollte und möchte. Ich brauche also nicht nur ein Konzept für die nachmittägliche Kinderbetreuung, sondern muss mir auch was einfallen lassen, wie ich meine Arbeit in den Griff bekomme. Einerseits möchte ich meine Kundenkontakte aufrechterhalten, andererseits kann ich unmöglich so viel arbeiten wie zuvor. Hinzu kommt, dass ich gern auch eigenes Geld verdienen möchte. Carola ist zwar nun unser Hauptfinanzierer, aber je mehr ich noch beisteuere, desto schneller haben wir unser Haus abbezahlt. Hmmm, was tun? Ich beschließe, in Zukunft nur noch die Aufträge anzunehmen, die lukrativ sind, bei denen also mein Aufwand und das Honorar in einer vernünftigen Beziehung stehen. Keine „Lückenfülleraufträge“ und „Gefälligkeitsjobs“ mehr!
Den heutigen Vormittag verbringe ich deshalb damit, zwei Anschreiben aufzusetzen: eines an meine schlecht zahlenden Kunden, in dem ich mitteile, dass ich meinen Stundenlohn verdoppelt habe – die beste Strategie, um Aufträge abzuwehren. Den zweiten Brief schicke ich an meine Lieblingskunden. Darin lasse ich wissen, dass ich wegen eines höchst anspruchsvollen und langwierigen Projekts zukünftig nur noch vormittags zur Verfügung stehe, gern aber weiterhin für sie tätig sei.
Beide Briefe beende ich just-in-time. Also muss Paul nicht auf sein Mittagessen warten. Um 14:50 Uhr verlassen wir das Haus, um Rebecca aus dem Kindergarten abzuholen. Ich gehe zur „Bärengruppe“ und suche dort mein Töchterlein. Selbige ist aber nicht im Gruppenraum anzutreffen. Sie trainiert im oberen Hof für ihre Karriere als Formel-1-Pilotin und malträtiert erbarmungslos ein Dreirad. Gerade als ich erscheine, nimmt sie eine Kurve, viel zu schnell, wie ich finde, und verliert das Gleichgewicht. Schluchzend kommt Rebecca zu mir gerannt und muss erst einmal getröstet werden. Das zerschrammte Knie bekommt ein Pflaster und einen Kuss – danach ist die Welt wieder in Ordnung und wir gehen gemeinsam ins „Drachenzimmer“, den Raum für die älteren Hortkinder. Dorthin ist Paul gleich nach unserer Ankunft gelaufen, um mit seinem Freund Lukas über die beste Spielstrategie bei „Mario Kart“ zu beratschlagen.
„Nö“, er gehe keinesfalls mit nach Hause, sondern er bleibe lieber hier und setze sein Fachgespräch fort. „Wenn ich sage, dass es nach Hause geht, dann geht es auch nach Hause.“ „Geht es nicht.“ „Wenn du nicht augenblicklich kommst, liegst du heute Abend um sieben Uhr im Bett.“ „Ist mir doch egal!“ „Das wird dir nicht egal sein.“
Offensichtlich will er vor seinen Kumpels einen auf dicke Hose machen. Aber nicht mit mir. Ich flüstere ihm ins Ohr, dass ich, sollte er nicht sofort seine Sachen zusammenpacken, vor allen seinen Freunden davon berichten werde, wie er als Baby Daumen gelutscht hat. Das ist zwar eine pädagogische Bankrotterklärung, aber es wirkt. Paul ist gnadenhalber damit einverstanden mitzukommen, allerdings nur unter der Bedingung, dass er seine Hausaufgaben erst nach dem Abendessen machen müsse.
Ich begleite Rebecca zu ihrem Kleiderhaken. „Wo sind eigentlich deine Haarspangen, die Mami dir heute Morgen rein-gemacht hat?“ „Keine Ahnung!“ Aber jetzt, wo ich es sage, vermisst Rebecca ihren Lillifee-Haarschmuck plötzlich auf das Ärgste. „Wooohooo sind die Spangen?“, wimmert sie.
Also machen wir uns auf die Suche. Zunächst am Maltisch, dann in der Puppenküche, anschließend im Kinderrestaurant und schließlich auf den Toiletten. Fehlanzeige. Meine weiße Jeans hat inzwischen schwarze Knie. Trotzdem: Weitersuchen! In der Legoecke, auf dem oberen Hof und im Traumstundenzimmer – dort schließlich finde ich sie, zwischen zwei Matratzen. Inzwischen ist es 15:34 Uhr, Paul hat die Wartezeit genutzt, um die Sandalen seiner Schwester zu verstecken: „Na, du Kackbalken, wo sind denn die Schühchen?“, provoziert er Rebecca. „Noch einen Ton von dir und du hast eine Woche strengstes Fernsehverbot. Und wenn die Schuhe nicht innerhalb von 30 Sekunden auftauchen, kommt noch eine weitere Woche dazu!“
„Papa, du bist ein Spielverderber!“ Ist mir jetzt auch wurscht – Hauptsache, wir kommen vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause. Teilerfolg: beide Kinder vollständig angezogen, inklusive Haarspangen. Doch da kommt Ursula, Supermami von Anne-Sophie und Ole-Leander, um die Ecke gebogen. Ursula ist nicht irgendeine Mutter – sie ist stellvertretende Elternbeiratsvorsitzende. Ursula hat nicht nur die gesamte Ratgeberliteratur zum Themenkomplex „Erziehung, Kinder, Familie“ gelesen, sondern verfügt auch über ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein. Das hatte mir schon Carola erzählt. Mit missionarischem Eifer nutzt sie jede sich bietende Gelegenheit, pädagogische Flachpfeifen wie mich zu belehren und bekehren. Sie drängt mir ein Gespräch über die mittägliche Verpflegung im Kindergarten auf.
„Du, sollten wir nicht zukünftig einführen, dass die Mütter einmal pro Monat für alle Kinder kochen?“ „Jo“, antworte ich knapp. Das ist meine Strategie: Ich lasse mich erst gar nicht auf eine Diskussion ein. „Weißt du, da müssen wir nicht täglich etwas zum Wärmen mitgeben.“ „Jo.“ „Und außerdem werden die Kinder viel abwechslungsreicher ernährt.“ „Jo.“ „Und auch der soziale Aspekt des gemeinsamen Essens ist nicht zu unterschätzen.“ „Jo.“
Ich will nur noch weg von hier. Rettung naht – eine andere Mutter erscheint, um ihren Sohn abzuholen. Ich binde sie galant in unsere Unterhaltung ein und schleiche mich dann schnell davon. Eine letzte Herausforderung wartet: Ich muss Rebeccas heutige Kunstproduktion einpacken. 17 allerliebste Collagen aus etwa 3 Kilogramm Leim, Knöpfen, Federn, Glitzerperlen und Korken. „Wie schön, mein Schatz!“
Zu Hause werde ich die Kunstwerke in dem großen Karton mit der Aufschrift: „Erst nach vier Wochen zu entsorgen“, deponieren. Schließlich ist es schon oft genug vorgekommen, dass Rebecca just in dem Moment nach einem ganz bestimmten Gemälde gefragt hat, als ich das Altpapier zum Container gebracht hatte. Da kann es nicht schaden, ein Zwischenlager zu unterhalten.
Die erste Woche als Hausmann neigt sich dem Ende zu – Gott sei Dank! Das Thermometer zeigt heute 31 Grad an und die Hausaufgaben können auch am Wochenende erledigt werden. Also fasse ich den Entschluss, mit den Kindern ins Freibad zu gehen. Sobald Paul von der Schule zu Hause ist, werden wir zum Kindergarten spurten, Rebecca abholen und von dort dann direkt zum Schwimmbad fahren.
Was brauchen wir alles für unseren Ausflug? Ich nehme mir einen großen Notizzettel und erstelle eine Checkliste, schließlich soll das hier in Zukunft ja alles viel besser organisiert sein! Wenn wir aus dem Schwimmbad zurück sind, werde ich die Checkliste entsprechend meiner Erfahrungen überarbeiten und in den Computer eingeben.
Schwimmbad-ChecklisteHandtücher Strandmatten Badehosen/-anzüge (je 2) Badeschuhe Ersatzkleider Beutel für nasse Badesachen (ersatzweise auch Plastiktüte) Sonnencreme (Lichtschutzfaktor 30) Sonnenbrille Shampoo Haarbürste Schwimmflügel Sonnenschirm Wasser-/Sandspielsachen Schlauchboot Luftmatratze (Krokodil) Lesestoff Brettspiele/Quartett Gummibärchen Kekse (ohne Schokoladenüberzug) Obst Getränke (gekühlt)Bis ich alles zusammen habe, vergehen zwei Stunden. Hätte nie gedacht, dass das so aufwendig ist. Was jetzt noch fehlt, sind die Badeschuhe der Kinder. Ich kann sie beim besten Willen nicht finden und schreibe daher Carola eine SMS: WO SIND DIE BADESCHUHE VON P + R? Zwei Minuten später trifft die Antwort ein: MACH DIE AUGEN AUF!! IM KLEIDERSCHRANK, 3. SCHUBLADE VON UNTEN, GANZ HINTEN! C.
Paul erscheint und als ich ihm sage, dass wir gleich ins Schwimmbad fahren, ernte ich zum ersten Mal in dieser Woche so etwas wie ein Lob: „Klar, können wir machen!“
Bewaffnet mit zwei Badetaschen, einer Kühlbox sowie einer Klappkiste, in der sich das Schlauchboot und die Krokodil-Luftmatratze befinden, brechen wir auf. Wenigstens Rebecca ist erkennbar begeistert von meiner Idee: „Super, da können wir die Wasserrutsche runtersausen.“
Ich war offenbar nicht der Einzige, der den Einfall hatte, den heißen Nachmittag für einen Schwimmbadbesuch zu nutzen: Der Parkplatz ist restlos überfüllt, selbst die Feuerwehrzufahrten sind belegt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als unser Auto auf einem zehn Gehminuten entfernten Ausweichparkplatz unterzubringen – auch dort herrscht schon drangvolle Enge, von einem Schattenplatz ganz zu schweigen. Wir haben Glück und quetschen uns zwischen einen altpapiergrauen Golf und einen verbeulten Vectra.
Paul und Rebecca tragen gemeinsam die Klappkiste und ich schleppe den Rest. Auf halbem Weg macht Rebecca schlapp: „Ich kann nicht mehr, die Kiste ist zu schwer. Und in meiner Sandale ist ein Stein.“ Also stellen wir alles hin, ich ziehe Rebeccas Schuh aus und wische mir den Schweiß von der Stirn. Die beiden Taschen hänge ich mir jetzt über die Schulter, stelle die Kühlbox auf die Klappkiste und weise die Kinder an, vor mir zu gehen.
Als wir endlich vor der Kasse angekommen sind, haben sich meine Arme um gut und gerne sieben Zentimeter verlängert. Immerhin haben sie nun genügend Zeit, sich wieder auf Normallänge zurückzuziehen, denn wir müssen etwa eine Viertelstunde warten, bis ich der vom Besucheranstrom sichtlich genervten Dame in ihrem klimatisierten Kassenhäuschen entgegenhauchen kann: „Ein Erwachsener, zwei Kinder.“
„Wie alt?“, bellt sie zurück. Auf der Preistafel hatte ich gelesen, dass Kinder ab acht Jahren mehr zahlen müssen. Also antworte ich: „Einmal fünf und einmal sieben.“ „Aber Papa, ich bin doch schon acht“, schreit Paul ganz entrüstet. „Ach ja, stimmt mein Schatz, das hatte ich ganz vergessen“, murmele ich. Die Kassiererin schaut mich abfällig an, als hätte ich mich gerade als Boss einer kasachischen Mädchenhändlerbande zu erkennen gegeben. Die Eintrittskarten händigt sie mir aber doch aus. Wahrscheinlich erspart mir nur die Schar der Einlass begehrenden Gäste hinter mir eine gesalzene Strafpredigt über die Verwerflichkeit des Erschwindelns von Vergünstigungen.
Kaum haben wir uns durch den Eingangsbereich hindurch-gequält – mit meinem „Gepäck“ bleibe ich natürlich überall hängen –, überblicken wir die Liegewiese. Nur noch wenige DIN A4-große Stellen von Gras sind zu sehen. Ansonsten: Eine Ansammlung von halbnackter, teilweise verbrannter, Haut, Werbegeschenk-Sonnenschirmen, ausgebreiteten Handtüchern mit Sonnenuntergangsmotiven und allerhand Wasserspielgetier. Ich habe mal Bilder von japanischen Schwimmbädern gesehen – damit könnte es das hier durchaus aufnehmen. Ich bereue meine Entscheidung, aber nun gibt es kein Zurück mehr.
Ganz am Rand, unmittelbar neben einer Brombeerhecke, sehe ich noch ein freies Fleckchen. Bis wir uns den Weg dorthin gebahnt haben, vernehme ich allerdings dreimal den netten Zuruf: „Passen Sie doch auf, Sie Trottel“ und höre zweimal: „Mein Gott, können Sie nicht vorsichtig sein?!“
Schließlich – kurz vor dem Ziel – trete ich auf das Handtuch einer etwas älteren, wohlbeleibten Dame in türkisfarbenem Badekleid. Sie weist mich mit den Worten zurecht „Herrje, schauen Sie doch, wo Sie hinlaufen!“ Um weitere Eskalationen zu vermeiden, entschließe ich mich kurzerhand, nach einem anderen Plätzchen für uns drei zu suchen.
Endlich, nach zwanzig Minuten des Umherirrens haben wir noch einen freien Quadratmeter gefunden – die Fläche langt gerade, um unser mitgeschlepptes Inventar abzustellen. „Das ist nicht so schlimm, schließlich wollen wir uns ja hauptsächlich im Wasser aufhalten“, beruhige ich die Kinder, die sich auch etwas mehr Entfaltungsmöglichkeiten gewünscht hätten. Außerdem müssen wir jetzt sowieso erst einmal zum Kiosk, denn wir haben ja noch nichts gegessen. Rasch ziehen wir uns um und machen uns auf den Weg zur Imbissbude, die wir – ganz ohne sperrigen Ballast – auch vergleichsweise schnell erreichen.
Im Warten mittlerweile geübt, reihen wir uns in die Schlange der Hungrigen und Dürstenden ein – Gelegenheit, die Umstehenden einer genauen Musterung zu unterziehen. Hier offenbart sich in aller Deutlichkeit, dass Deutschland tatsächlich zu dick ist. Dies ist keine Panikmache oder Kampagne der Krankenkassen, sondern Fakt: Unsere Gesellschaft besteht mindestens zur Hälfte aus adipösen, weißhäutigen Gestalten mit Bierhängebäuchen und Cellulitishintern. Daneben gibt es das andere Extrem: Wohlgeformte Astralkörper in makellosem Mallorcabraun. Erfreulicherweise steht genau so einer vor mir. Er gehört einer Mittzwanzigerin in knappstem ferrariroten Bikini …
Wir sind an der Reihe. Ich bestelle dreimal das klassische Schwimmbadessen: Bockwurst mit Pommes und doppelt Ketchup. Dazu zwei Apfelsaftschorlen und ein Weißbier. Mangels Sitzgelegenheiten – selbige haben hauptsächlich Karten spielende Rentner vereinnahmt – lassen wir uns auf den Boden nieder, vertilgen dort unsere Würste und besprechen das weitere Programm. Manchmal sollte man doch eher diktatorisch vorgehen und einfach sagen, was Sache ist. Damit jedenfalls könnte man so manche Diskussion vermeiden. Zu spät. Paul will unbedingt das Schlauchboot zu Wasser lassen, während Rebecca die Rutsche favorisiert. Ich wiederum hätte gern erst einmal eine kleine Pause gemacht, denn mit vollem Magen soll man ja schließlich nicht ins Wasser. Mein salomonisches Urteil: Ich ziehe meinen Vorschlag zurück und wir losen aus, was wir als Nächstes machen.