Das Blinddarm-Wochenende - Jürgen Aymar - E-Book

Das Blinddarm-Wochenende E-Book

Jürgen Aymar

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Beschreibung

Geschichten aus der Jugendzeit des Autors. Lustig, aber auch manchmal etwas traurig.

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Vorwort

Geschichten aus meiner

Jugend.

Die Erfahrungen in meiner

Kindheit.

Heiter, aber auch

manchmal traurig.

Wenn ich heute an die

Dinge denke, die damals

passiert sind, kann ich nur

den Kopf schütteln, was

ich doch für ein

ungeschickter Tollpatsch

und Pechvogel als Kind

gewesen war. Fragen Sie

mich bitte nicht, wie ich

heute bin!

Inhalt

Das Experiment

Die Ohrfeige

Die Katze an der Leine

Der Blinddarm

Die Seifenkiste

Die Muschel-Mafia

Ein kleiner Schnitt

Dicke Luft im Zimmer

Schuld war der Tee

Ein Experiment

oder:

Holz kann verdammt weh tun

Ein Zirkus war in der Stadt. Ich quengelte so lange herum, bis meine Mutter entnervt aufgab. Gegen einen sechsjährigen Weltmeister im Quengeln hatte keine Mutter dieser Welt eine Chance, nicht einmal meine.

Wir fuhren also mit dem Bus in die Stadt zum Zirkus, zur Nachmittagsvorstellung.

Es war so aufregend. Die wilden Tiere, die Clowns, einfach alles. Aber was mich am meisten faszinierte, waren die chinesischen Artisten. Sie hatten kein Trapez mit Netz und allem Drum und Dran. Nein, die Chinesen hatten nur eine simple Wippe. Eine einfache Wippe, also nur so ein Brett auf einem Rundholz. Einer stand immer auf einer Seite des Brettes. Ein anderer sprang auf das andere Ende. Dadurch wurde der andere in die Höhe katapultiert. Er schlug dann einen Salto oder sprang in die Höhe auf die Schultern eines Kollegen.

Das sah so toll aus. Einfach fantastisch!

Selbst auf dem Heimweg musste ich immer an diese Zirkusnummer denken.

Sie ließ mich einfach nicht mehr los.

Auch in den nächsten Wochen kreisten meine Gedanken immer wieder um diese chinesischen Artisten, die nur mit einer simplen Wippe so viele tolle Dinge anstellen konnten. Ob ich das auch könnte? Das fragte ich mich ernsthaft.

Das kann ich doch auch! Kann doch nicht so schwer sein. Kann doch jeder.

Wenn man sechs Jahre alt war, konnte man anscheinend alles.

Es war an einem warmen Sommertag.

Unser Nachbar und seine Familie waren an diesem Tag sehr beschäftigt. Er hatte in seinem Garten einen alten Baum gefällt. Nun sollte der Baum, der auch sehr groß gewesen war, weiter zerkleinert werden.

Unser Nachbar hatte eine mobile Bandsäge. Das war so ein uralter Traktor, auf dem hinten, direkt hinter dem Fahrersitz, eine Bandsäge montiert war. Mit dieser Maschine fuhr unser Nachbar immer zu den Menschen in unserem Dorf. Jeder, der Holz für seine Öfen benötigte, bestellte den großen Meister der Bandsäge.

Doch heute an diesem Tag brauchte er sie selber für sich in seinem Garten.

Für mich und auch die anderen Kinder war das ein Riesenerlebnis. Der Lärm der Säge, der Geruch von verbranntem Sägemehl und frischen Harz lag in der Luft.

Die Männer standen um den Traktor herum, fütterten mit immer neuen Holzstämmen die Säge, die mit ihrer hohen Stimme ihr kreischendes Lied sang. Das immer nur kurz tiefer wurde, fast brummend, wenn sich ihre Zähne gierig in das Holz fraßen.

Die Kinder halfen den Frauen, das Reisig zusammen zu sammeln. Die Frauen banden dann es dann zu Bündeln zusammen. Ich wusste damals nicht, wozu das gut war. Heute weiß ich es natürlich besser. Denn auch das Reisig wurde gebraucht. Nichts wurde weggeworfen. Holz war teuer, und mit Reisig gab es auch ein heißes Feuer.

Damals gab es in den meisten Küchen noch Beistellherde, die mit Holz und Reisig befeuert wurden. Und diese Herde waren hungrig. Wollten immer mehr von dem teuren Holz.

Wie auch immer. Ich beobachtete das geschäftige Treiben mit regem Interesse.

Ja, ich half sogar den Nachbarskindern beim Sammeln und Bündeln des Reisigs.

Doch auf einmal sah ich etwas, etwas, das mich das Ganze hier rundherum vergessen ließ.

Was sich leider später als schwerer Fehler entpuppte.

Es handelte sich dabei um ein kleines Brett, es lag in der Nähe eines Stapels kleiner, etwa armdicker Äste. Die Stücke waren beinahe gleichmäßig rund. Da hatte ich auf einmal eine Idee, allerdings eine folgenschwere. Was mir kurze Zeit später auf schmerzhafte Weise bewusst wurde.

So ein rundes Stück Holz und dieses Brett wären perfekt für eine Wippe, dachte ich. Fast wie im Zirkus bei den chinesischen Artisten.

Wenn man Artist werden wollte, musste man bestimmt sehr früh anfangen mit dem Training. Warum sollte ich nicht jetzt sofort anfangen zu trainieren? Auf der Stelle?

Ja, warum eigentlich nicht?

Gesagt, getan. Ich nahm das kleine Brett, eines von den Rundhölzern, ging ein paar Schritte beiseite. Ich schaute mich heimlich um. Konnte jemand sehen, dass ich etwas vorhatte? Anscheinend nicht, denn keiner achtete auf mich, sie waren allesamt beschäftigt. Das war doch perfekt für mein Vorhaben, dachte ich.

Die Erwachsenen standen nämlich meistens schnell bewaffnet mit ihren Dauersprüchen parat. Und feuerten natürlich gleich eine Breitseite voll weiser Ratschläge auf das hilflose und unbewaffnete Kind ab.

„Lass´ das liegen, du machst dich

schmutzig!“

„Finger weg!“

„Das ist nichts für kleine Kinder!“

„Was machst du da?“

„Wehe, du machst dir die Hose kaputt!“

oder

„Mach´ dich ja nicht schmutzig!“

Was man eben als Kind sich so anhören musste.

Aber ich hatte Glück, ich war diesmal nicht in Gefahr. Keiner der Erwachsenen nahm Notiz von mir und meinem wichtigen Projekt. Alles waren sie damit beschäftigt, den Baum zu zerkleinern.

Ich nahm also dieses Rundholz, legte es auf den Boden vor mir. Darauf legte ich das Brett. Perfekt! Ich hatte eine Wippe.

Tatsächlich. Sie sah wie eine Miniatur-Ausgabe der Zirkus-Wippe aus.

Der Durchführung meines Experimentes stand also nun nichts mehr entgegen.

Wer sollte den Countdown zählen? Und wer wird der Astronaut sein, wer wird gleich in den himmelblauen Äther geschossen, so hoch, so weit, wo noch nie ein Mensch gewesen war? Zumindest für meine Person, musste ich mir zugestehen.

Ich sollte vielleicht doch weniger die Fernsehserie „Raumschiff Enterprise“ anschauen.

Wer oder was sollte also mein Flugobjekt sein? Ich schaute mich nach etwas Passendem um. Ah ja, hab dich!

Das könnte gehen. Ich hatte ein Holzscheit erspäht, der gerade groß genug war, um auf das Brett zu passen.

Ich legte das Stück Holz auf meine Wippe. Ich bekam eine Gänsehaut vor Erregung. Wie weit mag dieses Versuchsobjekt wohl fliegen? Würde es einen Salto machen? Und wenn ja, wie oft? Vielleicht sogar einen „Salto Mortale“ einen tödlichen 3-fachen? Ich würde es in wenigen Augenblicken wissen. Die Spannung stieg ins scheinbar Unermessliche, so sehr war ich aufgeregt. Ich hob mein rechtes Bein so hoch ich konnte. Mit aller Kraft trat ich auf die Wippe.

Das Ergebnis war so spektakulär, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Durch die Wucht, wie mein Fuß auf das Brett der Wippe traf, es herunterschmetterte, wurde die andere Seite nach oben katapultiert. Das Holz trat seinen Flug ins freie All an. Mit einer ungeheuren Geschwindigkeit gewann es an Höhe.

Dennoch kam mir alles wie in Zeitlupe vor. Ich konnte das Flugobjekt mit meinen Blicken ohne Probleme verfolgen, schaute ihm nach, wie es nach oben schoss. Allerdings änderte sich plötzlich die Flugbahn in eine Richtung, die der Chef des Kontroll-Zentrums der NASA mit Sicherheit nicht so berechnet hatte. Was war geschehen?

„Houston, we have a problem!“

Jim Lowell, du Weichei, du weißt ja nicht, was Probleme sind. Hattest ja noch nie mein Problem gehabt.

Denn mein Problem war eines und zwar ein Gewaltiges!

Meine Erinnerung setzte erst an dem Punkt wieder an, als ich blutüberströmt, den Kopf weit hinten im Nacken, in Panik über die Straße rannte. Wie ich allerdings über die Straße kam, ist mir heute noch ein Rätsel. Ich konnte ja eigentlich nichts sehen, nur den blauen, wolkenlosen Himmel. Mein Kopf war ja immer noch nach hinten gebeugt.

Ich blutete immer noch wie ein Schwein bei der Hausschlachtung, doch merkwürdigerweise hatte ich keine Schmerzen. Kann mich jedenfalls an keine erinnern. Ich denke mal, dass ich einen Schock hatte, anders kann ich es mir nicht erklären.

Was war denn eigentlich geschehen?

Mein Experiment hatte sich offensichtlich als ein massiver Fehlschlag entpuppt. Die Reise zu den Sternen hatte das Stück Holz nicht angetreten. Statt in die Umlaufbahn, war es geradewegs in mein Gesicht geflogen.

Nicht ohne einen gewaltigen Krater in meinem Gesicht, gleich unter der Nase, zu reißen.

So ein Holzscheit ist nämlich kein poliertes Stück Möbel. Er ist rau, rissig, mit scharfen Kanten. Und natürlich überhaupt nicht so weich wie ein Wattebausch. Das können sie mir glauben. Ich weiß, von was ich rede.

Ich wollte eigentlich nie im Mittelpunkt stehen. Da fühlte ich mich immer so beobachtet.

Doch durch meine Aktion hatte ich mich selbst in das grelle Rampenlicht der allgemeinen Aufmerksamkeit gestoßen.

Ich weiß noch, dass ich verantwortlich für eine Massenpanik war. Allerdings nur eine kleine, begrenzt auf unsere Straße, wo es ja passiert war.

Alle schrien und rannten wie verschreckte Hühner herum. Hatte es denn nicht gereicht, dass ich mit meinem blutigen Gesicht herumrannte? Doch das war mir in diesem Augenblick vollkommen egal. Ich blutete immer noch sehr stark. Doch Schmerzen, wie gesagt, an Schmerzen kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Vielleicht hatte ich ja doch einen kleinen Schock erlitten. Was dann geschah, keine Ahnung, Filmriss. Oder mein Bewusstsein hatte sich komplett ausgeschaltet. Das nächste, an das ich mich erinnern konnte, war, dass ich beim Hausarzt auf so einen komischen Stuhl saß. Er war ganz aus Metall. Und ich war angeschnallt. Plötzlich wurde der Stuhl nach hinten geklappt, ich saß auf einmal nicht mehr, ich lag flach.

Unser damaliger Hausarzt, ein lieber alter Mann, beugte sich über mich. Ich konnte ihn ganz gut leiden. Er mochte Kinder gern. Und er war noch ein Doktor alter Schule, wie es sie heute leider nicht mehr gibt. Diesen Typ Landarzt, der noch spät nachts durch den tiefen Schnee stapft. Der in der einen Hand die kleine, schwarze Doktortasche ganz festhält. Und mit der anderen Hand verhindert, dass sein Schal und sein Hut vom stürmischen Wind und dem Schneegestöber davon gerissen wird.

Der das alles tat, nur um einen Krankenbesuch bei dir zu machen. Weil deine Mutter ihn angerufen hatte, weil sie besorgt war, weil du Fieber hattest.

Damit er sich deinen Hals und die Mandeln ansehen konnte. Damit er deinen kleinen Oberkörper abhören und abklopfen konnte. Und um dir dann am Schluss einen süßen Saft gegen den schlimmen Husten verschreiben konnte.

Und bevor er dann wieder zurück in die kalte Winternacht stapfte, versprach er dir, am nächsten Tag noch mal nach dir zu schauen.

Aber ich bin abgeschweift. Wir hatten keinen Winter und ich hatte auch keine Grippe. Es war Sommer, und ich lag da so flach in seinem Folterstuhl. Hilflos wie eine Schildkröte auf dem Rücken, und er beugte sich über mich. Hätte ich doch nur eine Grippe gehabt!

Er hantierte mit irgendwelchen Instrumenten an meiner Wunde herum, ich konnte leider nichts erkennen, außer der Zimmerdecke der Arztpraxis. Die eigentlich mal wieder gestrichen werden sollte. Doch das half mir auch nicht weiter. Auch spürte ich überhaupt nichts.

Er hatte mich mit ziemlicher Sicherheit lokal betäubt.

Später, als ich wieder zu Hause war, rannte ich sofort ins Schlafzimmer meiner Großeltern. Dort hatte meine Großmutter einen großen Frisierspiegel.

Ich sah mich im Spiegel ganz genau an.

Ich betrachtete die Wunde in meinem Gesicht. Oder bewunderte ich sie, dieses hässliche Ding? Ein hässlicher, blutverkrusteter Fremdkörper in meinem Gesicht. Moment! War es das, was ich schon vermutet hatte? Ja, richtig. Ich konnte es trotz des getrockneten Blutes erkennen. Der Doktor hatte die Wunde zugenäht. Ganz deutlich konnte ich den harten, schwarzen Zwirn erkennen. Ich war genäht worden! Nicht nur, das meine Mutter mir ständig und andauernd meine zerrissenen Hosen nähen musste.

Nein, jetzt musste ich selber genäht werden!

Es war übrigens nicht meine Schuld, dass andauernd meine Hosen genäht werden mussten. Aus irgendeinem Grund hatten alle meine Hosen immer Löcher oder Risse bekommen. Ohne Ausnahme. Ich kann es mir nur dadurch erklären, dass mir meine Mutter immer nur die billigsten Hosen gekauft hatte.

Ganz schlechte Qualität. Es kann keinen anderen Grund gehabt haben. Oder doch? Lassen wir das. Waren ja doch andere Zeiten als heute.

Ich konnte meinen Blick nicht vom Spiegel nehmen. Ich war genäht worden!

Ich konnte es immer noch nicht fassen.

Richtig! Ich war genäht worden!

Die Wochen danach verliefen nicht viel anders. Andauernd musste ich mich im Spiegel anschauen. Ich musste ja meine Wunde kontrollieren. Ob es eine Änderung geben würde in meinem Gesicht. Dabei war ich doch schon sehr ungeduldig gewesen. Denn der Heilungsprozess ging nur langsam vonstatten, weil ich ständig an der Wunde kratzte und herum pulte. Ich versuchte dabei immer die Blutkruste zu entfernen. Manchmal hatte ich es allerdings übertrieben, denn die Wunde fing dann wieder an zu bluten.

Doch der Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden“ traf dann letztendlich auch auf meine zu, Irgendwann war auch sie vollständig verheilt. Doch das stimmte nicht ganz. Eine kreuzförmige Narbe blieb zurück. Sie erinnert mich immer noch heute, nach so vielen Jahren, an dieses missglückte Experiment. Ich hatte meine Lektion gelernt, hatte meine Strafe bekommen. Die aber leider danach noch lange nicht zu Ende war.

Ich wurde nämlich ständig blöd angequatscht, warum ich so eine Narbe über meiner Oberlippe hätte. Das hat, ehrlich gesagt, schon ziemlich genervt.

Ach ja, und noch etwas: In einen Zirkus ging ich auch nie wieder!

Die Ohrfeige

und

ihre Folgen

Die Geschichte begann auf dem Schulhof unserer kleinen Grundschule.

Es war einer der letzten Spätsommertage. Die Sonne schien hell und warm, der Herbst schien noch in weiter Ferne. Unser kleiner Schulhof konnte kaum die Massen an Schülern bewältigen. Ich war damals Schüler der ersten Klasse, ein ABC-Schütze, wie man so schön sagt.

Es war in der großen Pause. Kinder in unserem Alter sind ziemlich ausgelassen, damals wie heute. Meine Schulkameraden und ich waren da nicht besser als die anderen Kinder in diesem Alter. Das Spiel, das wir spielten, so glaube ich jedenfalls, war „Räuber und Gendarm“. Ist auch nicht mehr so wichtig. Es ging hauptsächlich um eine harmlose Rangelei zwischen 7jährigen Jungs. Dabei passierte es. Ein Junge aus meiner Klasse verpasste mir absichtlich oder unabsichtlich ein Faustschlag oder Ohrfeige auf meine linke Backe. Ich musste mich danach vor Schmerzen an eine Hausmauer lehnen. Er hatte nämlich einen Backenzahn getroffen, der damals schon sehr empfindlich war. So lehnte ich meinen Kopf gegen die Hausmauer, hatte tierische Schmerzen, weinte bitterlich. Als der Schmerz langsam abgeklungen war, hatte ich nur eines, nämlich eine tierische Wut! Ich wollte diesem Jungen alles heimzahlen. So suchte ich ihn überall auf dem Schulhof, bis ich ihn gefunden hatte.

Ich musste ihn total überrascht haben.

Was dann passierte, weiß ich nicht mehr genau. So hatte ich es auch nicht geplant.

Ich musste ihn jedoch richtig getroffen haben. Er landete nämlich in einer Pfütze, war von oben bis unten mit Dreck und Schmutz bedeckt, denn das Wasser in der Pfütze war natürlich nicht sauber. Ich sehe heute noch diese traurige Gestalt vor mir stehen. Er war von oben bis unten nass und schmutzig.

Er hielt die Arme merkwürdig vom Körper weg. Als ob das noch was nützen würde. Ich konnte keinen Flecken an ihm entdecken, der nicht verdreckt war.

Nach dem Schock schien er wie erstarrt zu sein. Doch dieser Zustand hielt dann doch nicht sehr lange an.

Plötzlich rannte er weinend davon.

Wahrscheinlich nach Hause. Sein Glück war, das er direkt neben der Schule wohnte. So musste er mit diesem peinlichen Aussehen nicht so weit durch die Gegend rennen.

Ich hatte weniger Glück! Die Volksseele kochte. Ich hatte gewagt, mich zu wehren, nun wurde ich dafür bestraft.

Man wollte mich zerreißen, aufknüpfen, verbrennen, irgendwie vernichten. Ich hatte etwas ins Rollen gebracht, das nicht mehr gestoppt werden konnte. Ich kann mich erinnern, einer meiner Schulkameraden, der eher als sehr ruhig bekannt war, rastete vor Wut aus, ein Stier, der auf den Torero zurasen, ihn niedertrampeln wollte. Er wurde auch tatsächlich von zwei Jungs festgehalten, die ihn aber kaum halten konnten. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt, eine Bestie, die mich in der Luft zerreißen wollte. Wenn er auch noch Schaum vor dem Mund gehabt hätte, ich hätte mich nicht gewundert.

Meine Einwände, dass der andere Junge, also der mit der Schlammmaske, mich vorher genauso verletzt hatte, hörte niemand, wollte wohl auch niemand hören. Hatte ja auch niemand bemerkt.

War ja auch nicht wichtig, ich war ja der Bösewicht, dem man an die Wand nageln wollte.

Die großen Jungs von der 4. Klasse beteiligten sich nun an der Hexenjagd.

Ich wurde geschubst, herumgezerrt. Ich wurde als tollwütiges Tier bezeichnet.

Wo war eigentlich der Lehrer, der Pausenaufsicht hatte? Ich wusste nicht, was noch passiert wäre, doch der Pausengong rettete mich, vorerst zumindest. Wir mussten alle wieder in die Schulklasse. Der Unterricht ging weiter. Ich stand irgendwie neben mir.

Die Vorkommnisse hatten mich total geschockt, erschüttert. Auf einmal ging die Klassentür auf, mein „Opfer“ kam mit seiner Mutter herein. Er war frisch gewaschen und hatte frische Sachen an.

Ich konnte die frische Seife bis zu meinem Platz riechen. Oh nein, dachte ich, jetzt geht’s erst richtig los. Ich schrumpfte auf meinem Stuhl, wurde immer kleiner. Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig. Doch nichts passierte. Die Mutter redete kurz mit unserer Lehrerin, konnte aber nichts verstehen, weil sie sehr leise miteinander redeten. Das Gespräch war sehr kurz, danach verabschiedete sie sich und ging dann wieder aus dem Klassenzimmer. Das frisch gewaschene Opfer setzte sich auf seinen Stuhl in seiner Reihe. Der Unterricht ging ganz normal weiter.

Irgendwann war auch dieser unselige Schultag vorbei, und ich wollte nach Hause gehen. So ging ich über den Schulhof runter in Richtung Straße. Ich dachte noch kurz daran, dass der Junge direkt gegenüber der Schule wohnte. Ich war kaum vom Schulgelände runter, wollte die Straße runter gehen in Richtung nachhause, da wurde ich aber von der Mutter meines Opfers abgefangen und auf das Übelste beschimpft. Auch sie bezeichnete mich als tollwütig, und dass man mich weg sperren müsste. Ich begann zu weinen, weil mich die Mutter so massiv anging, versuchte zu erklären, dass ihr lieber Sohn das Gleiche auch mit mir getan hatte. Doch das wurde nicht zur Kenntnis genommen. Irgendwann ließ sie mich dann doch nach Hause gehen, nicht ohne mir zu drohen, dass sie zur Schulleitung gehen würde. Ich würde schon sehen, was mich erwarten würde.

Na, da konnte ich mich ja auf etwas gefasst machen. Wenn ich jetzt heute darüber nachdenke, es wäre vielleicht besser gewesen, wenn die Schulleitung eingeschaltet worden wäre, was leider aber nie der Fall gewesen war.

Ich ging weiter nach Hause, hörte sie immer noch hinter mir her schimpfen.

Meine Tränen rannen nicht mehr, doch heftiges Schluchzen schüttelte mich immer noch durch.

Als ich heimkam, hatte ich mich schon wieder etwas beruhigt.

Zuhause erzählte ich nichts, warum, weiß ich bis heute nichts. Ich sagte auch später nichts, zu niemandem. Auch dann nicht, als es Tage später erst richtig anfing. Die Mutter hatte geblufft. Hatte wohl eingesehen, dass ihr Sohn auch nicht ganz unschuldig an der Sache gewesen war. Von dieser Seite kam nie wieder was. Auch der Junge war mir irgendwann nicht mehr böse. Jungs eben, Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, so sagt man eben. Und da ist ja auch was Wahres dran.

Nein, von da an begann erst die richtige Hölle, aber von einer anderen Seite. Die Jungs von der 4. Klasse ließen nämlich nicht mehr locker. In keiner großen Pause ließen sie mich in Ruhe. Ich wurde herum geschubst, angerempelt.

Man malträtierte mich mit Niespulver.

Und sie hatten auch schnell gemerkt, dass ich mich nicht groß wehrte. Wozu sollte ich mich schon wehren? Sie hatten endlich ein Opfer gefunden, das sie quälen konnten. Allein gegen diese großen Jungs hatte ich ja eh keine Chance. Und zum Lehrer rennen und alles erzählen? Mir hatte ja am Anfang doch auch keiner zugehört, warum dann jetzt? Und die Lehrer von der Pausenaufsicht? War ja keiner da an dem unseligen Tag. Oder hatten sie nur einfach weggeschaut? Vielleicht lag es ja daran, dass ich nur der uneheliche Sohn einer jungen Frau war, die nicht einmal eine Einheimische war, sondern nur eine Zugezogene.

Anscheinend merkte nie jemand, dass ich gequält wurde, oder man wollte es nicht merken. Vielleicht schauten sie alle weg. Denn es setzte sich auch niemand von den anderen Schülern für mich ein.

Wahrscheinlich hatten alle Angst davor, danach auch von diesen Viertklässlern belästigt zu werden.

Das ging so über Wochen, den ganzen Winter über, den Frühling, bis zu den großen Ferien. Dann verließ ich diese schöne Schule. Ich zog mit meiner Mutter weg in den Nachbarort. Wer weiß, wie es weitergegangen wäre, wenn ich in dieser Schule geblieben wäre?

Man weiß es nicht. Ich jedenfalls war nicht traurig, diese Schule zu verlassen.

Die Katze an der Leine

oder

Noch ein Experiment

Ich hatte eine Idee. Und diese Idee lies mich nicht mehr in Ruhe. Konnte ich eine Katze fangen und wie einen Hund an der Leine führen? Wäre das möglich?

Ich weiß, für meine sechs Jahre hatte ich schon komische Ideen. Aber komisch oder nicht, ich musste wissen, ob das klappen würde. Ich hatte zumindest noch nie eine Katze an der Leine gesehen.

Warum eigentlich nicht? Ich wusste es damals leider nicht besser, deshalb wollte ich unbedingt diesen Beweis erbringen.