Das Blut am Dubbeglas - Boris Stijelja - E-Book

Das Blut am Dubbeglas E-Book

Boris Stijelja

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Beschreibung

eBook mit den kompletten 220 Seiten des original Taschenbuchs. „Immer, wenn er Krimis träumt…“ – In „Das Blut am Dubbeglas“ verbindet Boris Stijelja mit feinem Humor und kroatisch-pfälzischem Charme die Welt des Theaters mit einem rätselhaften Krimi. Als Theaterleiter träumt der Comedian vor jeder Premiere die aufregendsten Sachen und löst die Fälle zusammen mit seiner Assistentin Bettina und seinem besten Freund David gleich selbst. In dieser Nacht träumt er vom Tod einem seiner besten Hauptdarsteller, der auf ominöse Weise ertrunken ist. Ohne Spuren und ohne Zeugen stellt die Polizei die Ermittlungen zunächst ein. Aber Boris lässt die Sache keine Ruhe. „Das Blut am Dubbeglas“ ist ein Cosy Krimi, der mit Witz, Charme und einer Prise pfälzischer und kroatischer Lebensart nicht nur Krimi-Fans, sondern alle, die humorvolle Geschichten lieben, begeistert.

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6. Wenn der Kroate-Bu ermittelt
7. Ein Hoch auf Onkel Miloš
8. Erfolge, Spaß und Polizeiarbeit
9. Dramen und ein Baron von Rhödan
10. Zwei Doppelleben und eine tote Liste
11. Das Glück kommt, wenn man’s braucht
12. Das Blut am Dubbeglas
Der Autor

Boris Stijelja

 

 

 

 

 

 

 

Das Blut am Dubbeglas

 

... wenn der Kroate-Bu ermittelt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Milltown Media Verlag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum:

 

Boris Stijelja Das Blut am Dubbeglas

... wenn der Kroate-Bu ermittelt

 

Bearbeitung & Lektorat: Stephan C. Braun

Umschlaggestaltung: Carsten Czanderna

eBook Auflage 1 / 2024 Druck & Layout: Milltown Media Verlag

© 2024 Milltown Media Verlag Remscheider Str. 43, 42369 Wuppertal Alle Rechte vorbehalten

Nachdruck (auch auszugsweise) verboten

 

www.milltown-media.de

 

 

 

 

 

Für Dustin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mein typisches Premierenfieber

Es ist jedes Mal dasselbe. Vor jeder Theater-Premiere oder neuen Comedy-Reihe oder neuem Solo-Programm oder neuem Weingut-Konzept bin ich so aufgeregt, dass ich schon Nächte davor anfange, in Träumen zu phantasieren. Wobei ich da keine schönen Träume von Sonne, Strand und Meer habe. Ein Freund von mir hat mal gesagt, man könne das mit dem Träumen trainieren. Da habe ich mich abends wochenlang konzentriert und meditiert und versucht, mein Unterbewusstsein zu manipulieren. Immer und immer wieder. Alles nur, damit ich in meinen Träumen reich und sexy bin. Als das nicht klappte, sagte mein bester Freund: „Nun ja, das ist vielleicht auch ein bisschen viel verlangt.“

Seltsam, dass mein Unterbewusstsein dennoch in der Lage ist, die absurdesten Alpträume zu gestalten.

Aber bei Premieren ist es, wie erwähnt, ganz, ganz schlimm.

 

Ich bin Boris Stijelja, halb Deutscher und halb Kroate. Oder besser gesagt „halb Pfälzer“ und „halb Kroate“. Meine Eltern stammen aus Kroatien und ich bin in Mannheim geboren. Seit Jahren arbeite ich als Comedian, Schauspieler und vor allem als Theaterleiter. Mein Boulevardtheater ist in der Pfalz zu finden. Genauer gesagt, in Deidesheim. Ein kleiner idyllischer Ort, der in meinen Träumen doch viel, viel wilder ist, als man glaubt.

Und in vielen Nächten habe ich mittlerweile unzählige Fälle, vor unzähligen Premieren gelöst. So auch diesen, in einer Nacht vor ein paar Jahren.

 

Ach, noch eine Sache. Bevor mein Comedy-Krimi-Roman losgeht, möchte ich mich jetzt schon mal bei allen meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Schauspielerinnen und Schauspielern, Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartnern entschuldigen. Ihr alle seid ZUM GLÜCK nicht so, wie in dieser Geschichte. Ich danke euch, dass ihr alle treue und wunderbare Menschen seid.

 

Und wer trotzdem glaubt, sich wiederzuerkennen, den muss ich wirklich enttäuschen. Die Personen sind frei erfunden.

 

Euer

Boris

1. Immer, wenn er Krimis träumt

„Jesses, Maria und e bisslsche von Josef! Ist das so schwer? Du kommst von LINKS auf die Bühne und rufst laut deinen Text. Wie oft soll man dir das noch sagen?? Links!!! LIIINKS!!! Wenn du links von rechts nicht unterscheiden kannst, dann schreib es dir doch auf die Hand!“

Der Regisseur schaute dankbar zu mir in den dunklen Zuschauerraum, wo ich wie immer während der Hauptprobe eines neuen Stückes saß, und schüttelte verzweifelt mit dem Kopf. Eigentlich mischte ich mich nie in die Arbeiten der einzelnen Gewerke im Theater ein, aber so langsam wurde auch ich nervös.

Auf der Bühne war das Bühnenbild komplett für eine Krimi-Komödie mit dem Titel „Das Blut am Dubbeglas“ eingerichtet. Ein billiges Stück, das in der Wohnung eines Richters und dessen Frau spielt. Der Richter hatte ein Verhältnis mit dem Dienstmädchen und die Ehefrau kam dahinter. Also das typische, alte Boulevard-Klischee. Tür auf, Tür zu, drei Verwechselungen und ein Toter, der am Ende gar keiner war, sondern der Reitlehrer der Ehefrau,

Auf der Bühne stand Christine Nestler. Eine blonde, junge Schauspielerin der B-Garnitur. Sie hatte früher einige Stücke in der katholischen Kirchengemeinde St. Hubertus gespielt und fühlte sich nun zu Größerem berufen. Weil sie preiswert war, und die Rolle sowieso eine dumme „Klischee-Blondine“ verlangte, hatte ich sie besetzt. Bei der heutigen Probe hatte Regisseur Kai-Jakob von Altenbach mit dem Nachwuchs-Sternchen noch mehr Mühe als sonst, weil sie einfach nicht in der Lage war, Text und entsprechende Gänge zu koordinieren. Christine stand hilflos auf der Bühne. Kai-Jakob ging auf sie zu, griff sie an den Schultern und drehte sie zur linken Bühnenseite. Seine Augen funkelten. „Von da!!! Ganz einfach!!! Von da!!!“, fauchte er sie an, während Christine mit den überraschten Worten „Da ist links?????“ in dieselbe Richtung sah.

 

Wenn eine Produktion etwas nicht gebrauchen konnte, dann war es Begriffsstutzigkeit. Menschen, die zwar talentiert waren, aber nicht verstanden, was man von ihnen wollte. Die keinerlei Vorstellungsvermögen hatten. Etwas, was im Schauspielgewerbe das A und O ist.

 

Vom Eingang in den Zuschauerraum hörte ich die Stimme meiner Assistentin Bettina. Im Theater nannten sie alle nur „Bett Ina“, weil sie sich in dieser Schreibweise einen Facebook-Account eingerichtet hatte. Sie litt an leichtem Verfolgungswahn und schwor Stein und Bein, dass unser ehemaliger Hausmeister nachts öfter vor ihrem Fenster stehen würde. Der Hausmeister war Mitte 70 und konnte ohne Rollator noch nicht einmal bis vor die Haustür. Zwei Mal in der Woche kam ein Pflegedienst, der ihm unter anderem half, seine Wäsche zu sortieren. Abgesehen davon, dass er Bett Inas Wohnung niemals ohne fremde Hilfe gefunden hätte, befanden sich ihre Fenster im zweiten Stock.

„Boris? Da ist Clemens Heister am Telefon. Es ist dringend“, flüsterte sie halblaut in den dunklen Raum, während Christine auf die Bühne laufend „Ich kann jetzt nicht, Herr Doktor! Ihre Frau kommt gleich!“ rief. Natürlich kam sie wieder von rechts.

Ich drehte mich zu meiner Assistentin um und winkte ab.

„Bei dem ist alles dringend!“, rief ich halblaut zurück, „Was will er denn?“

„Er fragt, ob seine Gagenrechnung schon bezahlt wäre.“

Verdutzt stand ich auf und ging ihr entgegen, während auf der Bühne nun der Spielpartner von Christine auftrat und ihr mit der aufgeheizten Stimme eines röhrenden Ehemannes „Was kann es mich interessieren?“, antwortete.

Ich verwies stumm auf die Bühne und sagte meiner Assistentin „Da hörst du’s. Was kann es mich interessieren?“.

 

Clemens Heister war ein mehr oder weniger lokal bekannter Rezitator. Er trat häufig in merkwürdigen Gewändern auf und gab diverse Rilke- und Kästner-Abende, die zu unserer Überraschung sehr gut besucht waren. Für das Theater war das aus verschiedenen Gründen wichtig. Zum einen freute es die Stadt, wenn im Boulevardtheater hin und wieder auch „große Kunst“ gegeben wurde und zum anderen bedeutet ein volles Haus auch volle Kassen. Darüber hinaus war Heister Notar im Ruhestand, so dass man ihn also hin und wieder mal nach juristischen Dingen fragen konnte, ohne dass man gleich ein großzügiges Rechtsanwaltshonorar bezahlen musste.

„Was für eine Rechnung?“, fragte ich.

„Von seinem großen Auftritt am Sonntag!“, erklärte Bett Ina.

 

Der große Auftritt war ein bunter Abend, an dem er beteiligt war, der gerade mal zwei Tage zurücklag. Daher bat ich sie, ihm auszurichten, dass ich mich jetzt nicht kümmern könnte.

Dieses Spiel machten wir jedes Mal. Nicht, dass Clemens Heister das Geld nötig gehabt hätte, im Gegenteil, als ehemaliger Notar hatte er mehr als genug Geld, es ging bei ihm häufig um das Prinzip. So auch sein Drang auf die Bühne, damit die großen Geister der Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerieten, wie er immer sagte.

 

Meine Assistentin verdrehte genervt die Augen. „Ich hasse es, wenn ich für dich lügen soll!“

„Das ist keine Lüge!“, belehrte ich sie und zeigte entschuldigend in Richtung Bühne.

„Die Proben laufen auch ohne dich!“, bemerkte sie spitz.

„Sicher!“, gab ich zu, „aber MIT mir laufen sie besser. Nun geh bitte und lass den Künstler nicht warten. Überweis ihm das Geld und sage ihm, ich rufe ihn morgen an!“.

Beleidigt ging Bett Ina zurück in ihr Büro. Sie konnte es nicht leiden, wenn ihr Umfeld nicht sofort ihre Wünsche ausführte. Daher nutzte ich pädagogisch die Gelegenheit, immer das Gegenteil von dem zu machen, was sie gerade verlangte.

 

Ich setzte mich wieder auf meinen Platz und beobachtete das Treiben auf der Bühne. Christine stand nun vornübergebeugt mit dem Rock nach oben und dem Hintern Richtung Publikum.

„Na, wo ist denn das kleine Bienchen? Wo hat sie denn das kleine Bienchen?“, gierte der „Richter“, während er auf Christines weißes Spitzenunterhöschen tätschelte. Diese kreischte aufgedreht: „Aber, Sie werden doch nicht! Aber Sie werden doch nicht! Aber Herr Doktor!!!! Es ist auf der rechten Seite!“, und zeigte auf ihre linke Pobacke.

Entnervt warf der Regisseur das Textbuch auf den Boden. „Das halte ich nicht mehr aus! Ich kündige!“, schrie er und stampfte wütend mit seinem Fuß auf.

Mal wieder rätselnd, warum ein Autor auf die Idee kommt, dass eine junge Frau sich ein „Bienchen“ auf die Pobacke tätowieren lassen würde, damit ein betrügender Ehemann danach suchen würde, stand ich leise auf und schlich in unser Theaterbüro. Ich hatte für heute genug gesehen. Sollte sich Kai-Jakob, doch alleine damit rumärgern.

Als ich in das Büro kam, sah mich Bett Ina vorwurfsvoll an: „Ich denke, die können nicht ohne dich proben!“

„Entschuldigung! Sie KONNTEN nicht ohne mich proben. Jetzt gerade können sie!“, klärte ich sie auf.

„Grrrrr! Ihr Kroaten!!! Ihr habt auch für alles eine Ausrede!“, meckerte sie.

„Das macht uns so beliebt!“, grinste ich und setzte mich an meinen Schreibtisch.

 

Es dauerte so ungefähr dreißig bis fünfundvierzig Minuten, bis meine Bett Ina wieder mit mir sprach. Sie konnte auch nicht anders, denn meine Mutter rief an und sie musste das Gespräch an mich herübergeben. Und kaum hatte ich „Hallo!“, in den Hörer gesprochen, da legt meine Mutter auch schon los.

„Boris! Šta se dogodilo? Zašto se ne javljaš?“, schimpfte sie aufgeregt.

„Ach Mama“, antwortete ich: „Ich melde mich im Moment so wenig, weil ich so viel zu tun habe. Wir haben am Samstag Premiere und du weißt doch, wie das ist.“

„Warum hast du keinen Beruf, Boris? Was haben wir falsch gemacht?“

„Mama, ich habe einen Beruf.“

„Aber nicht richtig. Du machst mir die gleichen Sorgen wie Lucija mit ihrem Matej. Stell dir vor, er ist jetzt Tänzer. Wie du! Strašno! Furchtbar!“

Es hat grundsätzlich keinen Zweck meiner Mutter zu erklären, dass ich weder Tänzer noch Schauspieler in einer Laienspielgruppe war, die mit einem Kelly-Family-Bus über die Lande zog und in alten Sälen von Gasthäusern Komödien wie „Die Perle Anna“ spielte.

Aber sie lamentierte weiter, so dass ich heute, wo meine Nerven sowieso nicht so besonders gut waren, meine schärfste Waffe einsetzen musste: „Mama“, sagte ich, als sie eine Pause machte, „Mama. Ich war gestern wieder im Fernsehen.“

Sofort war es still im Hörer und ich hörte an ihrem Atmen, dass sie aufgeregter wurde.

„Mein Junge! Boris! Ist das wahr?? Du warst im Fernsehen? Jebote. Das muss ich Lucija erzählen, sie wird platzen vor Neid. Matej hat noch nie im Fernsehen getanzt. Aber du, mein Junge, ich bin so stolz. War es eine große Rolle? So wie dieser ...? Wie heißt der Schauspieler? Der Amerikanische. Tim Wiesel?“

„Du meinst Vin Diesel“, korrigierte ich sie, „Und nein, ich habe nicht in Fast & Furious mitgespielt. Es war eine kleine Rolle, die mir ein Freund besorgt hat.“

„Das macht nichts!“, sagte dann meine Mutter zufrieden: „Hauptsache Fernsehen!“

Es funktionierte jedes Mal. Man musste ihr nur etwas an die Hand geben, womit sie bei Nachbarn und Freunden in Kroatien glänzen konnte. Dann war sie selig. Und was gibt es Schöneres, als wenn eine Mutter glücklich ist?

 

Meine Eltern leben in Dalmatien. Ein kleiner Ort in der Nähe von Split. Da wo tausende Menschen im Jahr Urlaub machen. Eine tolle Region von Sonne, Strand und Meer. Immer, wenn ich daran denke, bin ich automatisch der Kroate-Bu, der in der Pfalz lebt, aber im Herzen immer ein Kroate bleibt.

Das Wichtigste, was man übrigens über uns Kroaten wissen muss, ist, dass wir alles – aber auch alles erfunden haben. Jedenfalls behaupten wir das. Allerdings sind wir auf eine Erfindung besonders stolz. Der gaben wir auch direkt den Namen „Hrvat“. Was „Kroate“ bedeutet. Weltweit kennt man die Erfindung als „Krawatte“.

 

Durch das Telefon hörte ich zwar die Stimme meiner Mutter, die mir irgendetwas über einen neuen Zaun erzählte, verfiel aber währenddessen in einen Tagtraum, in dem ich sehr wohl reich und sexy war. Mit einem tollen Boot auf der Adria und einem Glas Schampus in der Hand. Das wäre ein Leben. Und wenn nicht so, dann wenigstens in bequemen Schlappen und kurzer Hose in einem Hafencafé bei einem leckeren Cappuccino.

Ich verabschiedete mich von meiner Mutter und versprach ihr, mich am Wochenende ausführlich zu melden. Dann legte ich den Hörer auf und bekam das Bild vom Meer in Kroatien nicht aus dem Kopf. Vielleicht wäre ich doch besser Tänzer geworden. Tänzer wie Matej.

Vielleicht sollte ich erwähnen, dass Matej sehr erfolgreich eine größere Kette von Tanzschulen in Dalmatien besaß, und im Gegensatz zu mir auch ein Luxusboot.

„Konntest du Clemens abwimmeln?“, fragte ich meine immer noch schmollende Bett Ina.

„Er sagt, er müsste noch was Dringendes fragen. Es geht um seine Lesung im März.“

„Die ist in einem halben Jahr! Was kann da so wichtig sein?“

„Ruf ihn an, dann weißt du es!“, sagte meine Assistentin in dem typischen, beleidigten Frauenton, den ich überhaupt nicht leiden konnte. Als ich sie gerade zurechtweisen wollte, hörten wir lautes Scheppern aus Richtung Bühne. Sofort ließ ich alles stehen und liegen und rannte in den Theaterraum.

Auf der Bühne lag der Regisseur auf dem Boden. Christine, der „Richter“ und die „Ehefrau“ standen entsetzt um ihn herum und versuchten, etwas über seinen Gesundheitszustand herauszufinden.

Ich stieg die Stufen zur Bühne hoch und sah mir die Bescherung an. Der Wohnzimmertisch in der Kulisse war umgeschmissen und sämtliche Requisiten, die sich darauf befanden, lagen auf dem Bühnenboden. Eine Karaffe mit Wasser, Weißweinflaschen, Untersetzer, Zeitungen und ein Dubbeglas.

„Was ist denn hier passiert?“, fragte ich in die Runde. Die drei Schauspieler starrten mich an. Noch einmal wiederholte ich meine Frage: „Was zur Hölle ist hier passiert???“

Christine sah mich mit großen Kulleraugen an: „Kai wollte mir etwas vormachen und kam von rechts und da ist der dann auf die Fresse gefallen!“

Der Regisseur öffnete die Augen, stöhnte und rief: „Von LINKS!!!!!!“. Dann schloss er wieder die Augen.

Zusammen mit der „Ehefrau“ räumte ich die Requisiten auf und stellte so das Bühnenbild wieder her. Der „Richter“ kümmerte sich unterdessen um Kai-Jakob, der langsam wieder zu Kräften kam und vorsichtig aufstand.

Als ich das kaputte Dubbeglas wieder auf den Tisch stellte, entdeckte ich Blutflecken darauf.

„Hat sich jemand an dem Glas geschnitten?“, fragte ich: „Hier ist Blut dran!“. Noch bevor ich es ausgesprochen hatte, sah ich, wie es rot aus einer Wunde an der Hand des Regisseurs tropfte.

Ich ging zurück ins Büro und bat Bett Ina mit dem Verbandskasten ins Theater zu gehen, um die Hand des Regisseurs zu versorgen.

 

In der Theaterwelt heißt es, dass wenn eine Generalprobe schief geht, es eine gute Premiere wird. Nachdem, was bisher schon alles passiert war, müsste die Premiere eigentlich eine Sensation werden. Eigentlich. Offen gesagt hatte ich an diesem Abend meine großen Zweifel.

Mittlerweile war es kurz vor zweiundzwanzig Uhr und ich überlegte, ob ich jetzt, bevor ich nach Hause fuhr, noch eben rüber zur „Kanne“ ging, um eine Kleinigkeit zu essen.

Der Gasthof zur „Kanne“ ist eine kleine Deidesheimer Institution und man trifft eigentlich immer sympathische Leute. Der Wein ist gut, das Essen auch. Was will man mehr? Zumal es auch mal schön ist, nicht immer nur im Vorbeifahren irgendwo Fast Food zu sich zu nehmen. Wenn man ständig unterwegs oder auf Tour ist, wie wir das Herumreisen als Künstler nennen, dann ist man nicht mehr ganz so verwöhnt, was das Essen anbelangt. Manchmal ist man schon froh, wenn man ein trockenes Brötchen bekommt, an dem man sich nicht die Zähne ausbeißt.

 

Die Entscheidung, in der Kanne was zu essen, wurde mir abgenommen, als unser Techniker Matthias anrief, um mir zu sagen, dass es einen Kurzschluss gab und nun zwei Scheinwerfer ausgefallen waren. Ich ging also zum Technikraum, um mir einen Eindruck über diese neue Katastrophe zu verschaffen. Der Raum war leer und so beobachtete ich durch das Technikfenster, dass auf der Bühne immer noch geprobt wurde. Kai-Jakob fuchtelte mit seiner verbundenen Hand durch die Gegend und versuchte, den Darstellern irgendetwas zu erklären. Unser Techniker kam in den Raum und zeigte mir nur einen Daumen nach oben: „Sie leuchten wieder. Super! Oder?“

Ich drehte mich seufzend um und ging.

„Hey!“, rief mir Matthias nach: „Ich dachte, du freust dich! Haben wir doch Geld gespart.“

Stumm ging ich aus dem Technikraum, holte im Büro meine Tasche und meinen Autoschlüssel und nickte Bett Ina zu: „Bis morgen! Ich muss jetzt nach Hause!“

Knapp eine halbe Stunde waren es vom Theater bis zu meiner Wohnung. Jedenfalls spät abends, wenn es kaum Verkehr auf den Straßen gab. Zum Glück war das an diesem Abend so, denn ich war müde und erschöpft und freute mich auf mein Bett.

Kaum zu Hause machte ich mich direkt fertig für die Falle. Schnell in den Pyjama und nochmal fix ins Bad. Als ich meine Zahnbürste ansetzte, sah ich, dass ich noch einen Blutrest vom Dubbeglas an der Hand hatte und auf einmal erstarrte ich. Es waren jetzt noch zwei Tage bis zur Premiere und ich wusste, was das bedeutet. Ich stieg in mein Bett und deckte mich zu. Stumm starrte ich die Decke an und versuchte, mich auf schöne Dinge zu fokussieren. Das Meer in Kroatien, die Weinberge in der Pfalz, eine schöne Schorle trinken mit Freunden, doch ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich wusste genau heute oder morgen Nacht musste es passieren. Ich würde im Schlaf wieder irgendeinen Kriminalfall lösen. Irgendwas würde wieder im Traum passieren und nur allein auf mich käme es dann an.

Ich machte das Licht aus und schloss die Augen. Und es passierte wieder. In dieser Nacht.

 

2. Wo ist Jan?

Gerade mal zwei Stunden hatte ich geschlafen, als mich eine Art Klingeln, oder etwas Ähnliches, wach machte. Ich griff nach meinem Handy und schaute auf das Display. Ein Uhr dreißig. Halb zwei. Aber kein Anruf, keine Nachricht, nichts. Das hatte mich also nicht geweckt. Ob es vielleicht die Türklingel gewesen war?

Im Dunkeln ging ich zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Unten vor der Tür sah ich eine Nachbarin aus unserem Haus, die gerade dabei war, die Mülltonnen auf die Straße zu stellen. Als sie mich entdeckte, fuchtelte sie erklärend mit den Armen. Ich öffnete das Fenster und schon hörte ich sie herauf rufen: „Morgen werden die Tonnen geleert!“.

Wortlos machte ich das Fenster wieder zu und fragte mich, wie man auf die Idee kommen konnte, um diese Uhrzeit, mit entsprechendem Lärm Tonnen rauszustellen.

Wenn ich eine deutsche Eigenschaft in meinen Genen habe, dann ist es die, die in der Welt und im Leben für Ordnung sorgt. Was für die Schwaben die „Kehrwoche“ ist, ist für mich Pfälzer die „Mülltonnenrausstellregelung“.

In unserem Haus wohnten fünf Parteien, also mussten die Tonnen von jedem Bewohner alle fünf Wochen einmal raus und wieder reingestellt werden. Wenn ich das als Künstler und Theaterleiter konnte, der viel unterwegs war, warum konnte das dann nicht eine Frau, die den ganzen Tag zu Hause war und eigentlich nichts zu tun hatte? Diese Nachbarin vergaß ständig, die Tonnen rauszustellen. Und wenn es ihr dann mal wieder einfiel, dann macht sie es morgens um fünf oder nachts um halb zwei. Hauptsache, sie weckte die gesamte Nachbarschaft.

Ich schlich wieder in mein Bett und versuchte einzuschlafen. Aber es gelang mir nicht. Wo ich ansonsten komatös umfiel und direkt im Reich der Träume landete, hatte ich in dieser Nacht Schwierigkeiten, zur Ruhe zu finden. Irgendetwas beschäftigte mich. Aber ich konnte nicht sagen, was es war. In meinem Kopf kreisten die Gedanken um alle Ereignisse des Tages, aber auch um alle Aufgaben, die ich am nächsten Tag unbedingt erledigen musste.

Verdammt! Ärgerte ich mich. Ich hatte vergessen, einem Schauspieler mitzuteilen, dass am nächsten Vormittag der Fototermin für alle Darsteller der übernächsten Komödie stattfinden sollte. Wir wollten mit dieser Komödie so früh wie möglich in den Vorverkauf und darum sollte unser Designer so schnell wie möglich das Plakat erstellen. Allen hatte ich Bescheid gesagt, außer Jan. Ihn hatte ich vergessen.

Ich nahm mein Handy und tippte die Nachricht schnell ein. Hoffentlich hatte er nichts vor und der Fototermin konnte wie geplant stattfinden. Jan war wichtig. Er war der Hauptdarsteller und daher das Zugpferd des Stücks.

Jan hieß eigentlich Hendrik-Jan Schönau und war ein typischer Schauspieler im Spielalter zwischen 35 und 45. Er selber war 39 Jahre und voller Angst die „Vierzig“ zu erreichen. In seiner übertriebenen Vorstellung war man dann offiziell alt. Jan, wie wir ihn alle nannten, weil ihn der Name „Hendrik“ anwiderte, war seit Jahren schon mit einer jungen Frau namens Mandy zusammen. Verheiratet waren sie nicht. Irgendwie wurde ihre Hochzeit turnusmäßig geplant, aber aus unbekannten Gründen dann wieder verschoben.

Ich lernte Jan vor ein paar Jahren kennen, als er sich bei mir als Schauspieler bewarb. Er spielte lange Jahre in einem kleinen Theater in Landau. Der dortige Intendant, ein alternder Homosexueller, war so vernarrt in ihn, dass er anfing, selber Stücke zu schreiben, in denen Jan mehr oder weniger nackt auftreten sollte. Irgendwann war der Tag gekommen, wo es Jan selber komisch vorkam, warum ausgerechnet er immer diese Rollen spielen sollte und sich somit nach anderen Spielstätten umsah.

Ich war über seine Bewerbung mehr als glücklich. Gute Schauspieler braucht man immer. Besonders die, die gerne spielten und zuverlässig waren. Als Jan und ich uns einig wurden, bat er mich allerdings um einen Gefallen. Er wollte gerne als erstes ein Winterstück spielen, in dem er mit Mütze, Schal und dicker Jacke auftreten dürfte. Nach den unschönen Erfahrungen im alten Theater wollte er sich vermummen und verhüllen. Ich musste damals lachen. Allerhand Eigenheiten und Wünsche von Schauspielern kannte ich ja schon. Aber diesen Wunsch hatte selbst ich noch nie gehört.

„Nur wenn es geht!“, bat er. „Ich will einfach mal ein ganzes Stück lang eine Hose tragen.“

„Es tut mir leid“, lachte ich, „diesen Wunsch werde ich wahrscheinlich so nicht erfüllen können.“.

Er war enttäuscht. Ich sehe heute noch Jans deprimiertes Gesicht.

„Was soll ich denn als erstes spielen?“, fragte er fast schon traurig.

„Etwas in einer Kutte!“, lachte ich weiter. „Das Stück, wo ich dich gebrauchen kann, heißt ‚Der Mönch im Himmelbett‘. Aber keine Angst, als Mönch bleibst du angezogen!“

Nun lachte Jan auch und seitdem ist Jan einer der Stars unseres Theaters.

 

Ich schaffte es doch, wieder einzuschlafen und wurde unsanft von meinem Wecker geweckt. Gewohnheitsmäßig schaute ich auf mein Handy. Keine Nachrichten. Das ist für meine Verhältnisse sehr selten. Normalerweise hatte ich um sieben Uhr morgens schon mindestens fünfzehn WhatsApp-Nachrichten, zwanzig E-Mails und vierzig entgangene Anrufe. Aber an diesem Morgen war es still. Totenstill.

Auf dem Weg in die Küche öffnete ich WhatsApp, um zu sehen, ob Jan meine Nachricht erhalten hatte. Doch ich sah nur einen grauen Haken. Die Nachricht war nicht mal angekommen. Vielleicht hatte er sein Handy ausgeschaltet. Für Künstler ist es nicht ungewöhnlich, wenn sie bis zehn Uhr oder länger schliefen.

Langsam zog ich mich an und trank eine Tasse Kaffee, bevor ich mich ins Theater aufmachte. Innerlich hoffte ich, dass der heutige Probentag besser verlaufen würde. In meinem Büro angekommen begrüßte ich gut gelaunt meine Assistentin.

„Guten Morgen Bettina!“

„Hallo!“, antwortete sie nur knapp.

Sie schien an diesem Morgen äußerst gereizt. Vielleicht war sie hormonell derzeit einfach nicht ganz in Ordnung. Bei Frauen kommt das ja hin und wieder mal vor. Wie hatte es mal unser Regisseur gegenüber einer Schauspielerin genannt? „Hast du wieder die Maler im Keller?“ Daraufhin war sie so empört und verlangte, dass ich Kai-Jakob sofort entlasse. Ich tat das zum Glück nicht, denn wie sich herausstellte, konnte die Schauspielerin die „Maler“ gar nicht „im Keller“ haben. Sie war nämlich schwanger und hatte mir sowieso gekündigt. Dennoch bat ich ihn, solche Bemerkungen zukünftig zu unterlassen.

Wie immer, wenn ich ins Theater kam, machte ich einen Rundgang durchs Haus, um überall nach dem Rechten zu sehen. Als ich in den Theaterraum kam, war zu meiner Überraschung die Bühne komplett leer. Nicht eine Wand, nicht ein Stuhl, nicht ein Tisch war zu sehen. Ich stieg die Stufen hoch und sah mich um. Das komplette Bühnenbild war feinsäuberlich weggeräumt. Auch von den Blutflecken, die nach dem Sturz von Kai-Jakob zurückgeblieben waren, war nichts zu sehen.

Ich eilte zurück in mein Büro und fragte Bettina, warum das Bühnenbild abgebaut worden war.

„Clemens ist doch heute dran. Da brauchen wir nachher nur ein Stehpult. Er liest Kästner für eine Gruppe älterer Menschen aus dem Altenheim.“

„Kästner? Heute? Wie viele verkaufte Karten?“, fragte ich.

„Das ist eine geschlossene Veranstaltung. 12 Leute. Mehr wollten nicht.“

Wieder war ich überrascht, dass ich mich an nichts erinnern konnte.

„Geht es dir nicht gut?

---ENDE DER LESEPROBE---